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Aus meinen Notizb�chern: Heft XVII
Heft XVII
Begonnen M�rz 1982
Vorbemerkung:
Den folgenden Text aus meinen Notizb�chern habe ich eigentlich nicht für die Ver�ffentlichung sondern für mich selber geschrieben, um meine
eigenen Gedanken festzuhalten und zu klären. Sie haben deshalb einen vorl�ufigen
Charakter, insbesondere was die benutzte Terminologie betrifft. Trotz z. T.
grundlegender überarbeitung sind diese Notizen auch in der Formulierung holpriger als
andere Texte der Ethik-Werkstatt. Es sind m. E. darin jedoch Gedanken enthalten, die
für die Entwicklung einer normativen Theorie der kollektiven Entscheidung und
für die Ethik allgemein von Interesse sein können. Wo ich heute anderer Ansicht
bin als damals, habe ich dies manchmal in eckigen Klammern hinzugef�gt und
begr�ndet.
****************************************************************************************************************** weiter S.74 Manuskript
*XVII-1*
Eine Bedingung politischer Stabilit�t in
kapitalistisch-parlamentarischen L�ndern ist wohl die Verbindung von Besitz und
Bildung. Eine gr��ere Schicht eigentumsloser Gebildeter (Akademiker,
Intellektueller) ist für den Bestand des Kapitalismus problematisch. Aber
gegenw�rtig haben die h�her Qualifizierten ihr Eigenheim, ihr kleineres
Wertpapierpaket, ihre Eigentumswohnung oder ihr Wochenendhaus.
*XVII-2*
Mit der
Konstruktion des Naturzustandes können die Vertragstheoretiker begr�nden, warum
überhaupt nach allgemein g�ltigen Normen gesucht werden soll: aus Eigeninteresse.
Wie ist das bei der Diskurstheorie? Der Diskurstheoretiker sagt: "Wenn
jemand die Frage stellt, warum soll ich nach Wahrheit streben?", so hat er das
Prinzip der argumentativen Begr�ndung schon anerkannt.
*XVII-3*
Die Rechtfertigung
der Diskurstheorie einmal in Form eines fiktiven Dialogs darstellen, der damit
endet, dass der Vertreter der Diskurstheorie sagt: "Gut, dann diskutieren wir
eben nicht, sondern wir spielen verbales <<Mensch �rger dich nicht!>>".
*XVII-4*
Ein Affekt gegen die Vernunftsphilosophie wird sicherlich von der falschen
Entgegensetzung von Vernunft und Trieb bzw. Vernunft und Gef�hl erzeugt. In der
Erziehung ist der Appell an das Kind: "Nun sei doch vern�nftig!" oft nicht mehr
als der Appell für die Anpassung an die herrschende Ordnung, nicht jedoch der
Appell, für unstrittige Argumente empf�nglich zu sein.
*XVII-5*
Die Frage: "Warum
soll ich vern�nftig sein?" er�brigt eine Antwort, da die Frage den erfragten
Sinn vern�nftiger Begr�ndung bereits voraussetzt.
*XVII-6*
Selbstzufriedenheit
ist eine eher negativ bewertete Eigenschaft, dabei ist dies eine der wichtigsten
Quellen menschlichen Gl�cks.
*XVII-7*
Man kann sich vern�nftigerweise
entschlie�en, sich in bestimmten Lebensbereichen nicht durch "Vernunft" sondern
durch Gef�hl, Intuition oder etwas ähnliches steuern zu lassen. Das ist kein
Widerspruch, denn die Vern�nftigkeit liegt auf verschiedenen Ebenen: die
Anwendung eines bestimmten Steuerungsmechanismus kann entweder empirisch von den
Resultaten her oder auch theoretisch von einer Analyse des Steuerungsmechanismus
her begr�ndet werden. 'Vern�nftig sein' hei�t nicht, dass man nur aufgrund
überlegter Entscheidung handelt, ebenso wie im sozialen Bereich Vern�nftigkeit
nicht die ausschlie�liche Anwendung diskursiver Verfahren erfordert.
Diese Diskursregeln haben methodisch eine Priorit�t vor dem Prinzip des
solidarischen Gesamtinteresses. Andererseits lassen sich erst mit dem Verweis
auf das Gesamtinteresse diskursive Verfahrensregeln au�er Kraft setzen.
*XVII-8*
Die grundlegenden politischen und weltanschaulichen Auseinandersetzungen gehen
auch darum, welche Bed�rfnisse die Menschen wirklich haben, was sie brauchen,
was sie gl�cklich macht, was ihrem Wesen bzw. ihrer Natur gem�� ist. Deutlich
wird das an dem Streit um �kologie, überindustrialisierung, übertechnisierung,
das einfache Leben, Reizüberflutung, st�dtische Beschr�nktheit �
*XVII-9*
Einmal
die verschiedenen Mechanismen systematisieren, durch die Personalentscheidungen
für normsetzende �mter getroffen werden. Wie werden die Bosse der Mafia
bestimmt, wie die H�uptlinge kleiner St�mme �?
*XVII-10*
Von besonderer Bedeutung
ist die Aufspaltung von Entscheidungsbefugnissen auf mehrere Gremien und
Personen (Premier, K�nig, oberster Richter), die alle einen bestimmten Einfluss
auf die Entscheidung nehmen. Diese Beziehungen lassen sich nur schwer
analysieren.
Zum Beispiel das komplizierte Gewebe der Normsetzung in
einer modernen parlamentarischen Demokratie: das Parlament verabschiedet
Gesetze, der Premier, die Minister, die Verwaltungshierarchie entscheiden im
Rahmen der Gesetze, der Pr�sident muss Gesetze unterschreiben, die
Verfassungsrichter machen eine Normenkontrolle, nur bestimmte Institutionen
können Gesetze einbringen oder das Verfassungsgericht anrufen: ein kompliziertes
Gewebe von ineinandergreifenden Rechten und Normsetzungsbefugnissen.
übersichtlichkeit lässt sich hier wohl nur durch ein Zerlegen dieses Komplexes
in grundlegende, wiederkehrende Elemente gewinnen. Um Aussagen darüber zu
machen, inwiefern verschiedene Verfahren zu einem dem Gesamtinteresse
entsprechenden Resultat f�hren, muss man Annahmen über die Motivationsstruktur
der Amtsinhaber machen. Hier werden die theoretischen Modelle meist
problematisch, da sie stark vereinfachte Zielfunktionen unterstellen m�ssen, die
noch dazu empirisch schwer zu testen sind.
*XVII-11*
Im Zeitalter der
Weltraumfahrt und der Utopien über fremden Wesen aus dem Weltraum verst�rkt sich
vielleicht etwas das Bewusstsein von der Gemeinsamkeit aller Menschen als
Menschen.
*XVII-12*
An der Frage der Zuwanderung aus der Dritten Welt,
also an der
Ausl�nderfrage zeigt sich, wie schwer es ist, Solidarit�t zu praktizieren.
Letztlich ist es für die Mitteleurop�er "unzumutbar", diesen Strom fremder
Sprache, Religion und Nationalit�t aufzunehmen, den Import von Armut und fehlender
Bildung.
*XVII-13*
Methodologische �bung: einmal einen politischen Text nehmen und
Satz für Satz fragen: "Wie k�nnte man diesen Satz beweisen oder widerlegen, um
welche Art von Sätzen handelt es sich hier" usw.
*XVII-13a*
Kann
man die M�glichkeit wahrer Erkenntnis bestreiten?Wohl nicht. Denn
"bestreiten"setzt einen Wahrheitsbezug voraus.Allerdings kann man für bestimmte
Fragen die M�glichkeit ihrer wahren Beantwortung bestreiten.
*XVII-14*
Bis auf die
Zufallsverfahren beruhen alle Entscheidungsverfahren auf menschlichem Verhalten,
d.h. man kann nur dann etwas über die Resultate dieser Entscheidungsverfahren
aussagen, wenn man Annahmen über das Verhalten der Beteiligten macht. Wenn diese
Annahmen nicht selber normativ gemeint sind, so stellt sich die Frage, ob diese
Annahmen
realistisch sind, ob sich die Entscheidungstr�ger tats�chlich so wie angenommen
verhalten bzw. unter welchen Bedingungen sie das tun. Das sind Fragen einer
positiven Wissenschaft, die als solche gekennzeichnet werden m�ssen.
Hier m�ssen die Ergebnisse der Verhaltenswissenschaften � soweit vorhanden �
herangezogen werden, eventuell m�ssen verschiedene Verhaltensannahmen
durchgespielt werden. Auf Anthropologie, Psychologie, Soziologie et cetera kann
hier nicht verzichtet werden. Das zeigt sich schon daran, dass vergleichbare
Normsetzungsverfahren in verschiedenen Gesellschaften zu sehr unterschiedlichen
Resultaten gef�hrt haben. Das Problem wird sein, trotzdem zu relevanten,
allgemeiner verwendbaren Ergebnissen hinsichtlich der verschiedenen
Normsetzungsverfahren zu gelangen.
*XVII-15*
Die Frage: "Was soll ich tun?"
lässt sich
nicht beantworten, ohne zu wissen, was die Anderen tun bzw. tun werden. Diese
Frage
ist zu unterscheiden von der Frage: "Was sollen wir alle tun?" bzw. "Was soll jeder tun?",
bei der vorerst kein Verhalten anderer als
empirisch gegeben angenommen wird, sondern alles Verhalten als willensm��ig
steuerbar angenommen wird.
*XVII-16*
Ein weiser Richter wird ber�cksichtigen m�ssen,
ob sein Richtspruch tats�chlich durchsetzbar ist. Angesichts der modernen,
organisierten Staatsgewalt, die scheinbar alles durchsetzen kann, verliert man
diesen Aspekt oft aus den Augen. Aber von hier aus schleichen sich Machtgesichtspunkte
( Wird sich ein M�chtiger überhaupt an den Richtspruch halten?) in Erw�gungen der
gerechten Normsetzung ein. Ein Richtspruch, der doch unterlaufen
wird, kann trotz 'idealer' Gerechtigkeit den gr��ten Schaden anrichten. Beispiel:
internationaler Politik.
*XVII-17*
Einmal die anthropologischen Annahmen
bei HART ("Is there any natural Right?) systematisieren. Auf dieser Abstraktionsebene lassen sich offenbar
bereits
normativ relevante Schlussfolgerungen ziehen.
*XVII-18*
Die institutionalisierte
Diskussion als Element verschiedener Entscheidungsverfahren analysieren, zum
Beispiel als Vorbedingung für Wahlen oder Abstimmungen. Hier wären dann auch
Gesch�ftsordnungen � zum Beispiel die des Bundestags � zu diskutieren und zu
fragen, inwieweit sie die bestm�gliche Aufkl�rung der Entscheidungstr�ger über
Eigen- bzw. Gesamtinteresse erm�glichen. Solche Diskussionen sind keine
Diskurse, da sie unter Entscheidungszwang stehen. ähnliches gilt für die
Verfahrensordnungen vor Gerichten. Hier gibt es ja inzwischen auch sehr
ausgefeilte Techniken des "brain-storming" und anderer Verfahren, die bestimmte
sozialpsychologische Barrieren überwinden helfen. Freie Diskussion, Meinungs-und
Informationsfreiheit, freier Zugang zu den Massenmedien, Abschaffung der Zensur.
All das sind wichtige Elemente politischer Entscheidungsverfahren.
*XVII-19*
(26)
Terminologisches:
Vielleicht sollte man bei inneren Wahrnehmungen statt von "Erfahrung" von "Erleben"
sprechen. "Erleben" wären vor allem die innersensorischeN Empfindungen wie Schmerz;
Unlust, Freude etca. Angehnehmes, Unangenehmes, also all das, was nicht
intersubjektiv übereinstimmender Wahrnehmung zug�nglich ist. Aber ist nicht auch
Schmerz intersubjektiv nachvollziehbar? Etwa wenn ich frage:" Was empfindet ein
Mensch, dem ich ein gl�hendes Eisen auf die Haut dr�cke?" Die Antwort: "Schmerz" ist
intersubjektiv und nachvollziehbar ähnlich wie die Antwort auf die Frage: "Was
siehst Du am Himmel für eine Farbe, wenn die Sonne scheint und keine Wolken da
sind?" �"Blau". Kann man mit dem gleichen Anspruch auf Allgemeing�ltigkeit
sagen: "Ein wolkenloser Himmel ist bei Sonnenschein blau" wie man sagen kann:
Die Ber�hrung eines gl�henden Eisens mit der Haut ist schmerzhaft" ? Hier einmal die verschiedenen Dimensionen der Wahrnehmung der
Welt durchgehen und die Grade der Intersubjektivit�t analysieren
*XVII-20*
für die
normative Problematik ist das Erleben im obigen Sinne noch nicht ma�gebend,
entscheidend ist hier die St�rke und Richtung der Einstellung hinsichtlich
Bejahung (Beibehaltung) bzw. Verneinung (Vermeidung) des Erlebnisses. In der
Alltagssprache ist das Einstellungelement gewähnlich untrennbar mit dem
Erlebniselementen verbunden. Schmerz ist eben zu verneinen bzw. zu vermeiden zumindest
ceteris paribus. Wo liegen die Grenzen für die Intersubjektivit�t?
*XVII-21*
Bis auf die Zufallsverfahren beruhen alle Entscheidungsverfahren
auf menschlichem Verhalten. D.h. man kann nur dann etwas über die Resultate
dieses Entscheidungsverfahrens aussagen, wenn man Annahmen über das Verhalten
der Beteiligten macht. Wenn diese Annahmen nicht selber normativ gemeint sind,
so stellt sich die Frage, ob sie realistisch sind, ob sich die
Entscheidungstr�ger tats�chlich so wie angenommen Verhalten bzw. unter welchen
Bedingungen sie das tun.
*XVII-22*
Das sind Fragen einer positiven Wissenschaft, die
als solche deutlich gekennzeichnet werden m�ssen.
Hier m�ssen die Ergebnisse
der Verhaltenswissenschaften � soweit vorhanden � herangezogen werden, eventuell
m�ssen verschiedene Verhaltens Annahmen durchgespielt werden. Auf Anthropologie
auf Anthropologie, Psychologie, Soziologie et cetera et cetera kann hier nicht
verzichtet werden.Das zeigt sich schon daran, das vergleichbare
Normsetzungsverfahren in verschiedenen Gesellschaften zu sehr unterschiedlichen
Resultaten gef�hrt haben. Das Problem wird sein, trotzdem zu relevanten,
allgemeiner verwendbaren Ergebnissen hinsichtlich der verschiedenen
Normsetzungsverfahren zu kommen.
*XVII-23*
Die Frage:"Was soll ich tun?"
lässt
sich nicht beantworten, ohne zu wissen, was die anderen tun bzw. tun werden. Sie
ist dadurch zu unter scheiden von der Frage: "Was wollen wir alle tun?"
bzw.
"Was soll jeder tun?" bei der vorerst kein Verhalten anderer
Individuen als empirisch
gegeben angenommen wird, sondern Verhalten als willensm��ig steuerbar angenommen
wird.
*XVII-24*
Ein weiser Richter wird immer ber�cksichtigen m�ssen, ob sein
Richtspruch tats�chlich durchsetzbar ist. Angesichts der modernen organisierten
Staatsgewalt die scheinbar alles durchsetzen kann, verliert man diesen Aspekt
oft aus den Augen. Aber von hier aus schleichen sich macht Gesichtspunkte ("
wird sich ein m�chtiger überhaupt einen Richterspruch halten?") In Erw�gung der
gerechten Normsetzung. Ein Richtspruch, der doch unterlaufen wird, kann trotz
idealer Gerechtigkeit den gr��ten Schaden anrichten. Beispiel Internationale
Politik.
*XVII-25*
Die institutionalisierte Diskussion als Element
verschiedener Entscheidungsverfahren analysieren, zum Beispiel als Vorbedingung
für Wahlen oder Abstimmungen.Hier werden dann auch Gesch�ftsordnungen � zum
Beispiel die des Bundestages � zu diskutieren und zu fragen, inwieweit sie die
bestm�gliche Aufkl�rung der Entscheidungstr�ger über Eigen-bzw. Gesamtinteresse
erm�glichen. Solche Diskussionen sind keine Diskurse, da sie unter
Entscheidungszwang stehen. ähnliches gilt für die Verfahrensordnungen vor
Gerichten. Hier gibt es ja inzwischen auch sehr ausgefeilte Techniken des "brain
storming", die bestimmte sozialpsychologische Barriere überwinden wollen. Freie
Diskussion, Meinungs-und Informationsfreiheit, freier Zugang zu den
Massenmedien, Abschaffung der Zensur. Das sind sehr wichtige Elemente
politischer Entscheidungsverfahren.
*XVII-26*
Terminologisches: vielleicht sollte
man bei inneren Wahrnehmungen statt von "Erfahrung" von "Erleben" sprechen.
"Erleben" wären vor allem die innersensorischen Empfindungen wie Schmerz,
Freude, Lust, Angenehmes und Unangenehmes, also das, was nicht intersubjektiv
übereinstimmender Wahrnehmung zug�nglich ist.
*XVII-27*
Aber ist nicht auch
Schmerz intersubjektiv nachvollziehbar? Etwa wenn ich Frage: "Was empfindet ein
Mensch, dem ich ein gl�hendes Eisen auf die Haut dr�cke?" Die Antwort "Schmerz"
ist intersubjektiv nachvollziehbar ähnlich wie die Antwort auf die Frage: "Was
siehst du am Himmel für eine Farbe, wenn die Sonne scheint und keine Wolken da
sind?" Blau".
Kann man mit dem gleichen Anspruch auf Allgemeing�ltigkeit sagen: "Ein wolkenloser Himmel ist bei Sonnenschein blau",
so wie man sagen kann:
Die
Ber�hrung eines gl�henden Eisens mit der Haut ist schmerzhaft"? Hier einmal
die verschiedenen Arten der Wahrnehmung der Welt durchgehen und die Grade
der Intersubjektivit�t analysieren.
*XVII-28*
für die normative Problematik ist
das Erleben im obigen Sinne noch nicht ma�gebend, entscheidend ist hier die
St�rke und Richtung der Einstellung hinsichtlich der Bejahung (Beibehaltung) bzw.
Verneinung (Vermeidung) des Erlebnisses. In der Alltagssprache ist das
Einstellungsmoment gewähnlich untrennbar mit dem Erlebniselement verbunden:
Schmerz ist eben zu verneinen bzw. zu vermeiden.
*XVII-29*
Der Mensch ist ein Wesen mit ähnlichkeiten und
Variationen zu anderen Menschen, nicht nur bei der Augenfarbe sondern auch bei den Bed�rfnissen. In
der Alltagssprache ist das Einstellungsmoment gewähnlich untrennbar mit dem
Erlebniselement verbunden. Schmerz ist eben zu verneinen bzw. zu vermeiden.
*XVII-30*
Um
sich klarzumachen, wie schwierig es ist, so etwas wie die menschliche
Bed�rfnisstruktur festzustellen, braucht man blo� an Homosexualit�t zu denken
und an die Diskussion über den pathologischen Charakter dieser sexuellen
Einstellung.
*XVII-31*
Man kann die normative
Fragestellung auch technisch wenden. Gesellschaftlich verinnerlichte
Moral als Bedingung eines stabilen Gemeinwesens: wie w�chst und wie
verk�mmert Gemeinsinn, Orientierung am Gemeinwohl?
*XVII-32*
Bei
physikalischen Beschreibungen und Messungen ist das subjektive Moment weitgehend neutralisiert. Man sagt ja nicht: "Der Raum wirkt auf mich
wie ... "
bzw. "Der Raum kommt mir vor wie ...", sondern bezogen auf ein Zentimeterma� sagt man:
"Bezogen auf ein Zentimeterma� sagt man: "Der Raum hat die Ma�e 560mm
x 450mm mal 320mm" oder so ähnlich. Durch die Ma�prozedur wird
die Eigenschaft auf ein beobachtbares Datum � im Prinzip eine angezeigte Zahl auf einem
Messger�t � zur�ckgef�hrt, das intersubjektiv nachvollziehbar ermittelt wird.
*XVII-33*
Kann ein Blinder die Farbe des Himmels erforschen, wenn er ein Frequenzmessger�t hat, das
die Ergebnisse in Blindenschrift ausdruckt? Was geht verloren bei der
übersetzung des Satzes "Der Himmel ist blau" in den Satz "Der
Himmel hat die Frequenz xyz"? "Das unmittelbare Erlebniselement." Man sagt ja auch:
"Das muss man erlebt haben. Das kann man mit Worten gar nicht beschreiben."
*XVII-34*
Im Zeitalter der Farbfotografie ist die Kunst der sprachlichen
Vermittlung von Bildhaftem nicht mehr so wichtig. Statt des beredten
Reiseberichtes hat man den Bildband bzw. den Film, der das Erlebnis unmittelbar vermittelt.
*XVII-35*
Kann man sagen: "für A ist dies wahr und für B ist etwas anderes wahr?" Wohl nur in
dem Sinne, dass beide etwas Verschiedenes für wahr halten. Wahrheit ist keine
subjektbezogene Eigenschaft von Behauptungen.
*XVII-36*
Die Welt rein �sthetisch
betrachten, als sei sie ohne Leiden und Konflikt oder als spiele das alles keine
Rolle. Entlastet.
*XVII-37*
Die zentrale Frage immer im Auge behalten: "Wie kann man
die wirklichen Bed�rfnisse bzw. Interessen der Menschen erkennen und
gegeneinander abw�gen?"
Vor allem die quantitative Gewichtung der
Bed�rfnisse, die zu Grunde liegende Idee einer intersubjektiv nachvollziehbaren
Messung des sozialen Nutzens ist zu klären.
*XVII-38*
Einerseits geht es
nicht, in der Philosophie einfach drauflos zu reden. Andererseits ist die
forcierte Erfindung einer Kunstsprache mit ausdr�cklicher Definition aller
Begriffe nicht notwendig. Vieles ist unproblematisch und auch unmissverst�ndlich.
Beides kann - wenn gew�nscht -pr�zisiert werden.
*XVII-39*
Kann man als Bezugssystem
für den
interpersonalen Nutzenvergleich ein durchschnittliches menschliches
Bed�rfnissystem w�hlen?
*XVII-40*
Problematisch ist bei mir der übergang vom
Wahrheitsbegriff der argumentativen Konsensf�higkeit zum Solidarit�tsprinzip
(Ber�cksichtigung aller Interessen so als wären es zugleich die eigenen). Hier
besteht
eine logische L�cke, wenn ich sage, dass eben nur das solidarisch bestimmte Gesamtinteresse
argumentativ konsensf�hig ist. Welches sind die impliziten Voraussetzungen
dieses übergangs? Warum soll man sich so orientieren, als sei man zugleich jeder
andere? Ergibt sich die Ankennung der Individuen als Gleiche als gleich gro�e Bestandteile der
Gesamtheit?
*XVII-41*
Beim Solidarit�tsprinzip wird jeder aufgefordert, die
Interessen jedes andere so zu ber�cksichtigen, als seien es zugleich seine
eigenen. In dieser Formulierung gibt es keinen gemeinsamen Ma�stab, denn die
Formulierung ist subjektrelativ. Wie ber�cksichtigt jeder seine eigenen
Interessen? Wo ist der Ma�stab der Gewichtung, auf den sich jeder in gleicher
Weise beziehen kann?
(Es folgt ein l�ngeres Zitat von J. L. Simon in
KYKLOS 1982.)
*XVII-42*
Empirische Indikatoren für Wohlfahrtsniveaus von Individuen sind
auf jeden Fall hilfreich. Doch muss man ihre normative Aussagekraft mit einem
anthropologischen Bed�rfnismodell und einer Theorie der solidarischen
Interessenber�cksichtigung diskutieren. Indikatoren spalten das Problem auf. Sie
sagen nicht, ob es dem jeweiligen Individuum insgesamt besser geht, sondern ob es
ihm in einer bestimmten Hinsicht besser geht, also mit einer etc.-Klausel.
*XVII-43*
Das Solidarit�tsprinzip soll sicherstellen, dass bei der
Entscheidung über das, was sein soll, alle zum gleichen Resultat und damit zum
Konsens kommen. Zentral ist der Umstand, dass ich die Frage nicht subjektiv aus
meiner Interessenlage beantworte, sondern so, als sei ich gleichzeitig auch
jeder andere, dass ich mich vorstellungsm��ig in die Lage aller anderen
hineinversetze. Aber wie gewichte ich dann die unterschiedlichen Interessen, um
sie abzuw�gen zu können? Wenn jeder seine eigene Bed�rfnisstruktur zum
Ausgangspunkt nimmt, wird es nicht zu einem einheitlichen Resultat kommen. Denn
jemand, der sich selber zum Beispiel nichts aus Musik macht, wird es
gering gewichten, wenn die M�glichkeit des Musikgenusses allgemein eingeschr�nkt
wird. Damit ein Konsens m�glich ist, muss zuvor eine Einigung über die
Gewichtigkeit verschiedener tangierter Interessen bzw. Bed�rfnisse bestehen.
*XVII-44*
Einmal analysieren, wie gewähnlich solche Diskussionen gef�hrt werden,
welche M�glichkeiten der Einigung hier überhaupt bestehen. Diese Diskussionen
verlaufen oft unabh�ngig von konkreten Entscheidungen, bewerten bestimmte
Bed�rfnisse "als solche". Gibt es hier objektivierbare Ma�st�be? Die alten
Utilitaristen hatten ein Ma� mit ihrem Prinzip des gr��ten Gl�cks, der gr��ten
Lustempfindung, eine � wenn auch tr�gerische � Antwort auf diese Frage. Was ist
denn z. B. das gewichtigere Bed�rfnis: Ungest�rt schlafen zu können oder Klavier
spielen zu können wann man m�chte? Schlafen ist wohl elementarer als die
Freude am Musizieren. Was hei�t hier "elementarer"?
*XVII-45*
Elementarer wäre ein Bed�rfnis
im Verhältnis zu einem anderen dann, wenn immer zuerst dieses Bed�rfnis befriedigt
werden m�sste, um
das andere Bed�rfnis befriedigen zu können. Mit diesem
Kriterium lie�e sich wahrscheinlich nur eine grobe Rangfolge aufstellen.
Schwierigkeiten tauchen vor allem dadurch auf, dass es bei realen Konflikten
nicht nur die Varianten "Befriedigung" und "keine Befriedigung" des
Bed�rfnisses X gibt, sondern verschiedene Grade der Befriedigung, die dann
gegeneinander abgewogen werden m�ssen.
Immer muss man sich dabei jedoch
auf ein gemeinsames Modell gemeinsamer Bed�rfnisse beziehen, um einen Konsens
zu erzielen. Allerdings erfordert das nicht die Fixierung auf "die"
menschliche Bed�rfnisstruktur. Auch in Bezug auf Ihre Bed�rfnisse gibt es
zwischen Menschen Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Das Problem ist, auch noch
diese unterschiedlichen Bed�rfnisstrukturen vergleichbar zu machen. � lletztlich
vielleicht doch so etwas wie dem "Beitrag zu menschlichem Gl�ck" wie bei den
alten Utilitaristen?. Einmal KRIELES Theorie der Gerechtigkeit durchsehen. Er
arbeitet ja auch mit dem Kriterium der unterschiedlichen Elementarit�t von
Interessen.
*XVII-46*
Vielleicht verschiedene Stufen unterscheiden:
Interessen -
Willensleistungen relativ zu einer Situation;
Vorliebe - Willensleistungen
Leben relativ zu einer Lebensgeschichte,
Bed�rfnisse � Willenshaltungen relativ
zur genetischen Anlage.
*XVII-47*
Nach welchen Kriterien kann man sagen, dass eine
Frage falsch gestellt ist? Offenbar vom Erreichen eines bestimmten Zweckes her.
Oder aber von falschen Voraussetzungen der Frage. Oder von der M�glichkeit ihrer
Beantwortung her.
*XVII-48*
Versuche, Rechtsordnungen zu systematisieren, m�ssen
fragmentarisch sein, denn die Gr�nde für die Normen sind in den Rechtstexten
gar
nicht enthalten. Damit fehlen die übergeordneten Pr�missen eines m�glichen
logischen
Systems.
*XVII-49*
Dasselbe Verhalten lässt verschiedenste Beschreibungen
in Handlungsbegriffen zu, insbesondere können unterschiedliche Ziele bzw.
Motivationen zugrundegelegt werden.
*XVII-50*
für die Probleme des interpersonalen
Nutzenvergleichs kann der Begriff der "basic needs" sinnvoll sein, wie er sich
bei SEN findet. Das sind gewisserma�en "Zwecke in sich selbst", die nicht für
andere Zwecke verfolgt werden. Das sind Dinge, die jemand unter Absehung von
allen m�glichen Folgen w�nschen w�rde.
*XVII-51*
über das, was Menschen brauchen, was Menschen
gl�cklich machen, was ihrer Natur entspricht, was ihre Bed�rfnisse sind, werden
wichtige Diskussion gef�hrt, politisch au�erordentlich folgenreich sein können.
Auch in den Volksweisheit spielen die menschlichen Bed�rfnisse eine gro�e Rolle.
Spr�che wie: "der Mensch lebt nicht von Brot allein", "macht gl�cklich � aber es
beruhigt","All you need is love" , menschenfeindliche Stadt oder ähnliches
machen das deutlich.
*XVII-52*
Einmal eine Bestandsaufnahme machen über
wissenschaftliche und popul�re Meinungen über menschliche Bed�rfnisse. Am besten
erforscht ist wohl die Situation der Kleinkinder � oder? Bei Jenny-Baby liegen die
Dinge noch recht einfach: die Befriedigung bzw. Nichtbefriedigung ihrer
Bed�rfnisse ist durch Weinen oder Schreien bzw. ruhiger schlafen oder l�cheln
für mich genau angezeigt. Und man kann recht genau die Gr�nde ihres Weinens
angeben: Entweder sie ist hungrig; oder sie hat die Windeln vollgepinkelt und
vollgekackt; oder sie sieht m�de aus und will schlafen oder sie hat Luft im
Magen und muss noch aufsto�en, oder sie hat Bl�hungen, oder sie hat
Schwierigkeiten mit zu harter Kacke, oder Schmerzen irgendwelcher Art (zu
hei�es Fl�schchen Milch, oder sie hat sich gestoßen�, oder sie langweilt sich
und die Zuwendung oder Spielhandlung oder das Essen ist ihr ungewohnt, schmeckt
ihr nicht, oder sie hat Schnupfen und bekommt schlecht Luft�
ähnlich
k�nnte man auch einmal festhalten, was bei ihr Freude und Zufriedenheit ausl�st.
genau generell ist das die Beseitigung der genannten Zust�nde. Auf den ersten
Blick k�nnte man sagen, dass der Wunsch nach Lebenserhaltung am elementarsten
ist, denn dass man am Leben bleibt, ist die Voraussetzung dafür, dass alle
�brigen W�nsche erf�llt werden. Aber wenn ich den Wunsch habe, nicht jahrelang
ans Krankenbett gefesselt zu sein oder in geistiger Umnachtung dahin zu
vegetieren, so kann ein Freitod diese W�nsche unter Umst�nden erf�llen. Der
Wunsch weiterzuleben muss ja nicht notwendig der st�rkste oder wichtigste sein.
*XVII-53*
Den Begriff des elementaren Bed�rfnisses einmal genauer
analysieren: Welche Bed�rfnisse m�ssen befriedigt werden, damit bestimmte andere
Bed�rfnisse überhaupt befriedigt werden können?. Man k�nnte auch fragen: Welche
Bed�rfnisse m�ssen befriedigt worden sein, damit bestimmte andere Bed�rfnisse
überhaupt entstehen können? Zum Beispiel muss ein Auto haben, damit W�nsche nach
bestimmtem Autozubeh�r aufkommen.
*XVII-54*
"Gr��tm�gliche Befriedigung des solidarisch
bestimmten Gesamtinteresses": darin stecken die Probleme. Zum einen scheint es
Interessen zu geben, die nicht in die normale Aggregation eingehen, weil es
"Interessen in Bezug auf Interessen" sind, zum Beispiel das Interesse an der
gr��tm�glichen Befriedigung des solidarisch bestimmten Gesamtinteresses, also
das eigentlich "moralische Interesse" oder das Interesse an der Beibehaltung von
als gerecht geachtete Normsetzungsverfahren. Solche Interessen darf man nicht
umstandslos zusammenfassen und verrechnen mit normalen Eigeninteressen. Diese
verschiedenartigen Typen von Interessen einmal katalogisieren und definieren �
geleitet von den Gesichtspunkt der Bestimmung eines normativ akzeptablen
Gesamtinteresses: Was geht in dieses ein und auf welche Weise? Was muss
eliminiert werden?
*XVII-55*
Loyalit�tsverlust gegenüber den bestehenden
Institutionen kann sehr unterschiedliche Folgen haben, je nachdem ob dieser
durch ein Aufkommen anderer normative überzeugungen hinsichtlich der
gesellschaftlichen Ordnung hervorgerufen wurde oder ob der Loyalit�tsverlust nur
auf ein Hervor brechen der Einzelinteressen zur�ckzuf�hren ist.
*XVII-56*
Wie kann
man Interessen nachvollziehen, die man selber nicht teilt? Kann ich zum Beispiel
als Nichtangler die Begeisterung der passionierte Angler verstehen oder kann ich
als Nichthundehalter die Begeisterung eines Hundebesitzers nachvollziehen? Das
Erlebnis des Andern kann ich wohl nicht voll teilen, andernfalls würdech ja selber
zum Angel- oder Hundefan. Trotzdem gibt es vielf�ltiges Material, um die
relative Gewichtigkeit der fraglichenInteressen abzusch�tzen.
*XVII-57*
Das
wichtigste ist der Bericht des Betreffende über seine eigenen Empfindungen,sein
eigenes Erleben, zum Beispiel durch sprachlichen Ausdruck (Poesie .u.a.) oder durch
Verhalten, Klinik et cetera, deren Bedeutung dem anderen ebenfalls klar ist. Das
Problem dabei ist, dass damit eine Vielzahl von Indikatoren zur Verf�gung
gestellt werden, die im Falle eines Interessenkonfliktes auf eine Dimension
gebracht werden m�ssen, um kollidierende Interessen gegeneinander abw�gen zu
können.
*XVII-58*
Eine zus�tzliche Komplikation tritt dadurch ein, dass die faktisch gehegten
Interessen noch der Kritik bed�rfen, bevor sie in das Gesamtinteresse eingehen
d�rfen. Mit dem Problem der Interessen- oder Bed�rfniskritik muss ich mich noch
einmal explizit befassen. Insbesondere muss ich mich dabei auf tats�chlich
stattfindende Diskussion über die Berechtigung von Bed�rfnissen (etwa nach
Haschisch, nach Motorradrennen, Zigaretten rauchen, homosexuellem Sex, nach
Pornographie et cetera) beziehen. Wie werden solche Diskussion gegenw�rtig tats�chlich gef�hrt? Welche
Kriterien werden ins Spiel gebracht? Wie werden sie begr�ndet? Die
methodologischen Regeln herauskristallisieren, kritisch diskutieren. Erleben. Mit
Worten kann ich einem anderen Erfahrungen und Erlebnisse mitteilen, die dieser gar nicht kennt.
Dies geschieht durch Bezugnahme auf allgemeine Erfahrungen
(Wortbedeutungen), durch Vergleiche, Bilder, Metaphern, Beschreibungen ihrer
Zust�nde, physiologische Reaktionen et cetera.
*XVII-59*
Hier stellt die
Umgangssprache bzw. die literarische Sprache ein ungeheuer differenziertes
Instrumentarium an Ausdrucksmitteln zur Verf�gung.
*XVII-60*
Eine zus�tzliche
Komplikation tritt dadurch ein, dass die faktisch gehegten Interessen noch der
Kritik bed�rfen, bevor sie in das Gesamtinteresse eingehen können.
*XVII-61*
Man
sagt:"Ich kann seine Begeisterung verstehen, aber nicht teilen, eben weil man
vielleicht mehr wei� als der Betreffende selber über die Sache wei�.
*XVII-62*
Wir können uns vieler Dinger v�llig gewiss sein, ohne dass unsere entsprechenden
Behauptungen ohne weiteres intersubjektiv überpr�fbar wären. Zum Beispiel bin
ich mir in der gegebenen Situation ganz sicher, dass ich Kopfschmerzen habe,
ohne dass für andere eine M�glichkeit der Nachpr�fung best�nde. Werden solche
nicht oder kaum nachpr�fbaren Tatbest�nde zum Beispiel bei Entschuldigung
angef�hrt, so sagt man wohl: "Das kann jeder sagen" - "Und das sollen wir
Dir
glauben?"-- "Das ist eine billige Ausrede". Durch ihr mangelnde Intersubjektivit�t
werden Tatbest�nde jedoch nicht weniger wichtig und erst recht nicht
unwirklich. Auch wenn sich die Wissenschaften hier vielleicht für unzust�ndig
erklären.
*XVII-63*
Wie kann ein Bed�rfnis bzw. eine Bed�rfnisstruktur Gegenstand
der Erfahrungswissenschaft werden? Wie kann man feststellen, dass ein
bestimmter Mensch (ein bestimmtes Lebewesen) oder dass jeder Mensch (jedes
Lebewesen einer bestimmten Art) ein bestimmtes Bed�rfnis hat? Was meint man,
wenn man sagt: "A hat das Bed�rfnis nach x"?
*XVII-64*
Man k�nnte die Existenz
eines Bed�rfnisses am Verhalten des betreffenden Wesens festmachen: "A verh�lt
sich so, dass das Bed�rfnis x befriedigt wird". Das Bed�rfnis m�sste man an
einem bestimmten Zielzustand festmachen und dadurch definieren. Nun kann jedoch
nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt das Befriedigungsverhalten erwartet werden.
(z.B. wenn das Lebewesen verschiedene Bed�rfnisse hat, deren Befriedigung nicht durch
dasselbe Verhalten erreicht wird.)
*XVII-65*
In Adam Smith's 'Theorie der
ethischen Gef�hle' finden sich gewisse Parallelen zu meinen Gedanken. Zum
einen hat er die Methode des 'Sich- Hineinversetzens in die Lage des
anderen' behandelt' (I, arabisch 1, i ffdie Volk folgende.) Zum andern hat der
Standpunkt des unparteiischen- Beobachters ähnlichkeit mit der Forderung nach
Ber�cksichtigung fremder Interessen so als wären es die eigenen;es erzeugt die
erforderliche Objektivit�t. Adam Smith hat sich auch über den Nutzen allgemeiner Regeln
(oder genereller Normen, wie ich sagen w�rde) ausgelassen (S. 197ff.).
*X*XVII-66*
Wie verh�lt sich" Bed�rfnis" (das, was Menschen begehren) zum "Motiv" (dem,
was Menschen zum Handeln bewegt)? Kann die positive Psychologie nur etwas über
Motive sagen oder auch über Bed�rfnisse?
*XVII-67*
Viele Worte und
Handlungsbegriffe enthalten einen direkten Bezug zur Bed�rfnisbefriedigung:
helfen, belohnen, bestrafen, schaden, n�tzen, qu�len ... Wir k�nnten diese
Worte nicht gebrauchen, wenn wir nichts über die Bed�rfnisse anderer Menschen oder von
Menschen im allgemeinen wissen w�rden.
*XVII-68*
'Sich hineinversetzen in die Lage des andern' ist
so eine Sache. Oft wei� man gar nicht, was ihm fehlt, zum Beispiel wenn ein Baby
schreit und man kommt nicht auf die Ursache.
*XVII-69*
Bei Tieren und Pflanzen kann
man eigentlich recht gut sagen, was sie brauchen", denn man hat Anzeichen
für ein gutes Gedeihen: Appetit, Wachstum, Gesundheit, Lebensalter,
Fortpflanzungsbereitschaft, Aufzuchterfolge bei Tieren, Wachstum und Gesundheit
bei Pflanzen. Im Prinzip gibt es entsprechende Anzeichen für ein "Gedeihen" auch
bei Menschen. Um die Lebensbedingungen zu beurteilen muss man sehen, was für
Kinder oder Menschen daraus hervorgehen.
*XVII-70*
Man kann aus den Umst�nden der
Lebenslage auf die Empfindungen und Interessen von Menschen schlie�en, man kann
es auch direkter aus ihren sprachlichen �u�erungen.
*XVII-71*
Ausgangspunkt ist der Streit um Normen: sei es dass man darüber streitet, wie ein
bestimmtes Individuum in einer bestimmten Situation h�tte handeln sollen; sei
es, weil man
streitet, welches Normsetzungsverfahren bzw. welche Institution gelten sollen. Eventuell
ist der Ausgangspunkt auch der Zweifel, also der innere Widerstreit in einem
Individuum).
Dieser Ausgangspunkt ist wohl ein unbestreitbares Faktum.
Zumindest in modernen Gesellschaften. (Aber auch in �ltesten Gesellschaften gibt
es den Streit um die Macht � der allerdings oft gar nicht von Argumenten
begleitet war.)
*XVII-72*
Unter bestimmten Bedingungen kommt es zum
Streit um Normen, zum Beispiel wenn unterschiedliche normative überzeugungen
existieren, oder unterschiedliche normative Kriterien vertreten werden. Dies ist
vor allem wahrscheinlich, wenn ein rascher zivilisatorischer Wandel stattfindet
oder wenn unterschiedliche Zivilisationen aufeinanderprallen, oder wenn sich
durch sozialen Wandel die Lebenslage verschiedener Bev�lkerungsgruppen auseinander
entwickelt. wenn sich Interessengegens�tze versch�rfen. Hinzu kommen muss die
F�higkeit, überhaupt ein Urteil in normativen Fragen vertreten zu können und die
Bereitschaft, auch eine vom Gewohnten abweichende Meinung zu vertreten.
*XVII-73*
Mich einmal mit der Familie als institutionelles Normsetzungsverfahren besch�ftigen.
Erstaunlicherweise geschieht dies in der heutigen politischen Philosophie
relativ selten. Bei der Familie wird ganz deutlich, dass man nicht von homogen
aber st�ren ausgehen kann dass auch die Rationalit�tsannahme unpassend ist. Die
Ehe kann man im Prinzip noch nach den Vertragsmodell analysieren, sie ist
juristisch ja auch ein � allerdings staatliche Orgel normierter Vertrag. Bei der
Familie, die Kinder hervorbringt und aufzieht, sieht die Sache schon anders aus.
Zu rechtfertigen (oder kritisieren) ist das Recht der Eltern auf normsetzende
und sanktionierende Gewalt über ihre Kinder (im Rahmen der Gesetze und einer
staatlichen Kontrolle elterlicher Pflichten gegenüber den Kindern). Die Familie
ist eine au�erordentlich wichtige Institution, allerdings f�hrt sie zu keinen Normen
für die Makroebene.
*XVII-74*
Aber das macht das Eigentum-Vertrags-System auch
nicht. Bei der Familie spielt wohl eine gro�e Rolle, dass es Motivationen gibt,
die � wenn sie nicht von selbst vorhanden sind � nur schwer gezielt erzeugt
werden können. Zwar ist es im Prinzip denkbar, dass die Kinder nicht von den
leiblichen Eltern aufgezogen werden. Aber wie kann irgendeine Person die
gleiche Qualit�t der Motivation zur fürsorge und Pflege entwickeln wie die eigenen Eltern,
die das Kind in der Schwangerschaft heranwachsen sp�rten und die sich
auf das Neugeborene einstellen konnten? Interessant ist in diesem Zusammenhang
auch die Verkn�pfung von Familie und Privateigentum über G�tergemeinschaft und
Erbrecht. Desgleichen die Varianten der Familie (Patriarchat, Gro�familie ...).
Zur �konomischen Theorie der Politik gibt es eine gute Gesamtdarstellung von
David k. Whynes und Roger A. Bowles. New York 1981.
*XVII-75*
Zum Problem der Gleichheit. Douglas Rae:
Cambridge 1981
analysiert die unterschiedlichen Implikationen von Gleichheitsforderungen und
Grenzen der Legalisierung.
*XVII-76*
Noch einmal Erich Fromms "Insane Society"
ansehen, was dort über krankmachende soziale Lebensbedingungen steht, von welchen
Bed�rfnissen dort ausgegangen wird. Dazu vielleicht Maslows Hierarchie der
Bed�rfnisse. Man m�sste daztu die Unterscheidungen von DOLLARD / MILLER über
"primary drive", "learned drive" etc. beachten, die überlagerung von
"angeborenen Reflexen" durch Gro�hirnaktivit�ten.
*XVII-77*
Vielleicht lässt sich
hier doch ein Bed�rfnismodell herausfiltern, dass einen klärenden Bezugsrahmen
abgeben kann für die kritische Diskussion faktisch ge�u�erter oder theoretisch
postulierter menschlicher Bed�rfnisse. Allerdings sind die Beziehungen zwischen
Interesse, Bed�rfnis und Motiv au�erordentlich kompliziert: Menschen m�gen
in einer bestimmten Situation das gleiche Interesse �u�ern � also die gleiche
Alternative bevorzugen � aber sie können das aus v�llig unterschiedlichen
Motiven heraus tun und dabei durch v�llig unterschiedliche Bed�rfnisse motiviert sein.
*XVII-78*
Die Sache darf sich allerdings nicht im Kreise drehen: Man kann nicht
menschliche Bed�rfnisse bestimmen durch das, was Menschen faktisch
anstreben, und dann das, was
Menschen faktisch anstreben, kritisch-normativ messen an dem auf diese Weise gewonnenen
Bed�rfnissystem. Das wäre ein Zirkel. Das Problem bei Bezugnahme auf die
faktischen Pr�ferenzen ist au�erdem, dass diese von normativen überzeugungen
beeinflusst sind, deren Berechtigung ja gerade überpr�ft werden soll: "angeborene
Bed�rfnisse + sozial vermittelte Werte = faktische Pr�ferenz" � (das ist
bereits
sehr vereinfacht.)
*XVII-79*
Wichtig wird auf jeden Fall die begriffliche Kl�rung
der verschiedenen Dimensionen des Willens: Bestimmung durch
�u�ere
Zust�nde (Ziele),
innere Zust�nde (physiologische Optima),
Verhalten
(Streben), situationsbezogen, situationsenthoben.
*XVII-80*
Eine wichtige Quelle
normativer Argumentation sind Urteilsbegr�ndungen der Gerichte. Hier findet sich
reichhaltiges Material, mit dem auf hohem Niveau argumentiert wird.
Hier werden h�ufig G�terabw�gungen vorgenommen und Annahmen gemacht über die relative
St�rke von Bed�rfnissen et cetera.
*XVII-81*
Meine Ideen zu Handlungs-und
Regelutilitarismus vielleicht doch einmal in einem Aufsatz niederlegen: dass das
Problem der Zweistufigkeit nicht so sehr ein Problem des unterschiedlichen
Allgemeinheitsgrades ist als ein Problem der Differenz zwischen Wahrheitssuche
und sozialem Koordinationsstreben.
*XVII-82*
Gibt es den Standpunkt eines Kollektivs
unabh�ngig von den konstituierenden Individuen? Ja, zumindest in Form von
"überleben" bzw. "Wachstum" als Ziele des Kollektivs bzw. der Organisation.
Soziologisch-empirisch gesehen wird die Gruppe versuchen, das Verhalten des
Individuums zum Nutzen der Gruppe zu lenken. Wie kommt es zu dieser Abstraktion
von den Interessen der Individuen und zum Ausbau einer Gruppenmoral, hinter der
dann auch die Machtbeziehungen zwischen den Individuen verschwinden können.
Offenbar sind Kollektive ohne normative Gef�ge (Normsetzungsverfahren,
inhaltliche Verhaltensnormen) in den Auseinandersetzungen mit der Natur und mit anderen
Kollektiven nicht überlebensf�hig.
Die andere Quelle von Normen und wohl
UnterwerfungsVerhältnisse, das Bestreben von Individuen oder Gruppen, andere
Individuen oder Gruppen ihren Interessen dienstbar zu machen. Beides kann sich
zu einer konkreten sozialen Ordnung verbinden, wenn sich Strukturen mit
privilegierten �mtern und Funktionen ausbilden, die sowohl für die
Auseinandersetzung des Kollektivs mit seiner Umwelt dienlich sind als auch
interne Ungleichheiten des Nutzenniveaus bzw. der Macht darstellen.
*XVII-83*
Unterschiedliche Beschreibungen des Verhaltens von Menschen können
schon dadurch entstehen, dass man die Einheiten der Handlung unterschiedlich
umfassend festlegt: kleinere Elemente oder gr��ere Einheiten. Gibt
es "Handlungsatome" im Sinne kleinster Einheiten, aus denen man alle anderen
Handlungen zusammensetzen kann? Wie sind die Beziehung zwischen elementaren und
zusammengesetzten Handlungsbegriffen?
*XVII-84*
Um nicht als "unhistorisch" oder
aus "wissenssoziologisch v�llig unreflektiert zu gelten, sollte ich explizit
schreiben, in welcher historischen Situation, in welchen Traditionslinien,
bezogen auf welche Konflikte ich meine eigene Arbeit verstehe. Allerdings wird
man dann auch schnell in eine bestimmte politische Ecke gestellt.
*XVII-85*
Was
sagen erfahrungswissenschaftliche Forschungen � Psychologie, Ethnologie,
Soziologie � zu Ausma� und Entstehung altruistischer Gef�hle, moralischer
überzeugungen, kollektiver Identifikationen im Individuum? Hinzuziehen m�sste
man wohl auch noch die biologische Forschung zum Verhalten von Menschenaffen.
*XVII-86*
Ich muss noch einmal genau den Punkt klarmachen, an dem die Beschaffenheit
der Motivationsstruktur (Egozentrik, gruppenbezogene Normen) für die Fragen der
Moral eine Rolle spielt. Bei der Bestimmung des Gesamtinteresses spielt die Art
der Motivation wohl keine Rolle. Auch egozentrische "Teufel" m�ssten, um sich
zwanglos zu einigen, von einem solidarisch bestimmten Gesamtinteresse ausgehen.
(Oder w�rden sie beim vertraglichen Konsens, also bei den gemeinsamen Interessen
halt machen? Vielleicht w�rde sie das faktisch tun, aber dann wäre es eben keine
"zwanglose" Einigung im hier gemeinten Sinne. Verhandlungsmacht etc.)
Genauer: Inwiefern gibt es in
sozialen Beziehungen mit ann�hernd gleich starker gegenseitiger
Abh�ngigkeit auch bei Rationalverhalten eine Tendenz zu
Normen wechselseitiger R�cksichtnahme? Inwiefern �ndert sich die Situation, wenn
man gleichartige oder verschiedenartige Bed�rfnisstrukturen annimmt?
*XVII-87*
Wo gibt es empirisches Material über Gesellschaften bzw. Organisationen, die auf
die Verfolgung des Eigeninteresses verzichten und gewisserma�en "kommunistisch"
funktionieren? Welche Ergebnisse lassen sich feststellen?
*XVII-88*
Terminologisches: "Interesse"
ist das, was ein Individuum in einer bestimmten Situation unter idealen
Bedingungen der Information und Reflexion will. Dies "Wollen" lässt sich
darstellen durch eine Bewertung der in der Situation gegebenen Alternativen.
Genauer gesehen ist dies das" ideale" bzw. "aufgekl�rte" Interesse, das vom "faktischen"
Interesse abweichen kann. Das "faktische" Interesse ist das, was ein Individuum
in einer bestimmten Situation will, ausgedr�ckt durch eine Bewertung der von ihm
wahrgenommenen Alternativen.
Weiter pr�zisierend m�sste man sagen: "Im
aufgekl�rten eigenen Interesse ist das, was ein Individuum unter idealen
Bedingungen wollen w�rde, wenn es keinerlei R�cksicht auf die Interessen anderer
zu nehmen h�tte."
Aber "R�cksicht nehmen" und" R�cksichtnahme" ist zweierlei.
Einmal gibt es "kluges" R�cksicht nehmen: Ich ber�cksichtige auch,
was die anderen wollen, weil sie bei Nicht-Ber�cksichtigung ihrer Interessen
Reaktionen zeigen, die meinen Interessen zuwiderlaufen.
Zum anderen gibt es" moralische" R�cksichtnahme: "Ich ber�cksichtige fremde
Interessen um ihrer selbst willen, also unabh�ngig davon was für Reaktionen bei
den Betroffenen zu erwarten sind. überall wo es interpersonale Abh�ngigkeiten
gibt � und wo gibt es das nicht �, gebietet schon das Eigeninteresse eine
gewisse Ber�cksichtigung fremder Interessen. Gesellschaften bestehen gerade aus
solchen vielf�ltigen und wechselseitigen Abh�ngigkeiten. Dadurch ergibt sich
ein h�chst kompliziertes Interessengeflecht: Man kann die Interessen der
Individuen nicht unabh�ngig voneinander bestimmen.
*XVII-89*
Bei "kluger"
Ber�cksichtigung fremder Interessen hat man nicht das reine
Eigeninteresse, sondern ein Eigeninteresse, das mit geformt ist durch die bestehenden
Abh�ngigkeitsbeziehungen und faktischen Interessenstrukturen mit den anderen. Das
reine Eigeninteresse w�rde auch unerw�nschte Gegenreaktionen anderer
ausschlie�en. Oder ist es nicht im reinen Interesse der
Arbeiter, den Lohn so hoch wie m�glich zu setzen? Dann w�rde der
Kapitalist wahrscheinlich den Betrieb stilllegen.
*XVII-90*
Welche Lohnh�he ist
im Interesse des Arbeiters? Wenn er die Reaktionen des Unternehmers
einkalkuliert, ist es nicht der maximale Lohn, obwohl er natürlich lieber mehr Lohn als weniger mit nach
Hause nimmt. An diesem Beispiel
wechselseitiger Abh�ngigkeit einmal die
Probleme der Interessenterminologie verdeutlichen und terminologische
Vorschl�ge machen, die für die Beantwortung normativer Fragen brauchbar sind. Die
interessante Frage ist, ob bei der Feststellung der eigenen Interessen die wahrscheinlichen Reaktionen der anderen einkalkuliert
werden sollen oder nicht.
An dem Problem der antizipierten Gegenreaktionen
zeigt sich das Ungen�gen nur einstufiger Alternativenmengen. In der Realit�t
sind es meist durch ein Nacheinander von Reaktionen gebildete Handlungsverl�ufe. Allerdings k�nnte man jeden dieser Verl�ufe als einer zur
Entscheidung stehende Alternative behandeln.
weiter S.90
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(Ende Heft XVII) 02.04.'82
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