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Aus meinen Notizb�chern:
Heft X
Vorbemerkung: Die
folgendenTexte aus meinen Notizb�chern habe ich urspr�nglich nicht für die Ver�ffentlichung
sondern für mich selber geschrieben, um meine eigenen Gedanken festzuhalten und
zu klären. Sie haben deshalb einen vorl�ufigen Charakter, insbesondere was die
benutzte Terminologie betrifft. Trotz z. T. grundlegender überarbeitung sind
diese Notizen auch in der Formulierung holpriger als andere Texte der
Ethik-Werkstatt. Es sind m. E. darin jedoch Gedanken enthalten, die für die
Entwicklung einer normativen Theorie der kollektiven Entscheidung und für die
Ethik allgemein von Interesse sein können. Wo ich heute anderer Ansicht bin als
damals, habe ich dies manchmal in eckigen Klammern hinzugef�gt und begr�ndet.
Heft X
*X - 1*
Den Begriff der
"Ausbeutung" hinsichtlich seiner normativen Implikationen analysieren. Ihn in
Beziehung zu meinen normativen Kategorien setzen (siehe A. Heller und Ossowski).
*X - 2*
Inwiefern hat das Individuum nicht-egozentrische Interessen? Es
ist zum Beispiel das "Eigene" gegenüber dem "Fremden" zu bewahren, die eigene
Sprache, Gruppe, Kultur et cetera. Hier mag sich ein Individuum "opfern", um die
Weiterexistenz der eigenen Gruppe zu sichern. Es ist das "Eigene", das
Individuen gemeinsam haben, es sind die gemeinsamen "Eigen"schaften. Extrem
gesprochen: Wenn die menschliche Gesellschaft ein "Ameisenstaat" wäre, so w�rden
sich die einzelnen "Funktionstr�ger" vielleicht sagen: "Wir sind jederzeit
ersetzbar, aber wenn unsere K�nigin umkommt, sind auch wir nicht mehr
ersetzbar."
*X - 3*
In der Entfaltung des Intersubjektivit�tsprinzips entwickele ich die Bedingungen
eines argumentativen Konsens. Hier einmal genauer klären, welcher Art diese
"Bedingungen" sind. Handelt es sich um empirische
Voraussetzungen, um logische Implikationen, um logische Konsequenzen, die sich
zusammen mit anderen Annahmen ergeben?
*X - 4*
Die Herstellung eines argumentativen Konsens erfordert (empirisch oder logisch?
Siehe dazu den Aufsatz von Quine) die Kommunikation zwischen den Individuen.
Eine erfolgreiche Kommunikation impliziert, dass sich die Beteiligten verstehen.
Je nach dem Medium der Kommunikation ist Verständnis an verschiedene empirische
Bedingungen gekn�pft. Beim Sprechen zum Beispiel an eine Mindestlautst�rke. (Das
Problem der akustischen Verst�ndlichkeit.) Aber sind solche Bedingungen
Gegenstand einer Methodologie der Erkenntnis? Wohl nicht. Hier einmal abklären,
welche Bedingungen sinnvollerweise Gegenstand der Methodologie sind.
*X - 5*
Der Diskurs über die G�ltigkeit bestimmter Behauptungen ist im Prinzip niemals
abgeschlossen und kann zu jeder Zeit wieder er�ffnet werden. In diesem
Sinne gibt es keine abschlie�ende G�ltigkeit. Andererseits gibt es den
Zwang, zwischen mehreren nicht miteinander zu vereinbarenden Behauptungen diejenige
auszuw�hlen, die man dem Handeln zu Grunde legt.
Dazu ein Beispiel: Mehrere
�rzte unterscheiden sich in ihrer Diagnose eines Krankheitsbildes. Insofern als
die verschiedenen Krankheiten unterschiedliche, einander ausschlie�ende
Therapien erfordern, muss eine Entscheidung gef�llt werden, welche Diagnose zur
Grundlage der Behandlung genommen werden
soll.
Dies Entscheidungsproblem ist ein anderes als das Problem, darüber zu
entscheiden, ob eine Ausssage wahr ist oder nicht. Denn nachdem die
Entscheidung der ersten Art gef�llt ist (Welche Behauptung legen wir unserem
Handeln zu Grunde?), kann die Diskussion um die Entscheidung der zweiten Art
(Ist die Diagnose wahr oder falsch?) immer noch weitergehen. Die Methodologie
hat es wohl nur mit der zweiten Art von Entscheidung zu tun, sie ist im Prinzip
von Handlungszw�ngen freigestellt. (Hiier haben die Statistiker bereits vieles
beizusteuern.)
*X - 6*
Vielleicht
kann man die Besonderheiten des Rechts gegenüber der Ethik darin sehen, dass es
sich beim Recht um normative Entscheidungen unter konkretem Handlungsdruck
handelt. Wenn man sich aber erst einmal für eine bestimmte Norm als
Handlungsgrundlage entschieden hat,
so ergeben sich daraus Folgerungen und Verbindlichkeiten, gleichg�ltig ob die
Norm im grunds�tzlichen Sinne g�ltig ist.
In der empirischen Methodologie ist
der statistische Hypothesentest eine Methode zur Entscheidung, welche Behauptung
man seinem praktischen Handeln zu Grunde legen soll. Damit ist über "Wahrheit"
nicht definitiv entschieden. Als deterministische Alls�tze sind beide Hypothesen
"falsch".
*X - 7*
Lassen sich aus den allgemeinen normativen überlegungen noch weitere
Einschr�nkungen hinsichtlich der Alternativen ableiten, die zur
Mehrheitsabstimmung gestellt werden d�rfen? Offenbar ist das der Fall. Aus dem
Prinzip der "Personunabh�ngigkeit" kann man z.B. ableiten:"Es d�rfen keine
Entscheidungen 'ad personam' getroffen werden, denn die Alternativen m�ssen
definierbar sein ohne den Gebrauch von Eigennamen. Generell gesprochen m�ssen
Unterschiede in der Behandlung von Personen oder Personengruppen auf "sachliche"
Unterschiede bezogen sein. Ob diese sachlichen Unterschiede im konkreten Fall
die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen, ist damit natürlich noch nicht
entschieden.
*X - 8*
Der Begriff "Interesse"
wird auch ohne Bezug zu konkreten Entscheidungsproblemen gebraucht, etwa im Sinne
von Zielen, die unter allen Umst�nden angestrebt werden. Etwa: "Jeder hat das
Interesse, in seinem Beruf voranzukommen".
Aus solchen
Interessenbestimmungen folgt weder empirisch, wie Individuen handeln,
wenn sie ihre Interessen verfolgen, noch normativ, wie sie handeln sollten, wenn
sie ihre Interessen befriedigen wollen, denn es kann noch andere Interessen
(Ziele, Werte) geben, deren gleichzeitige Befriedigung nicht bzw. nur teilweise
m�glich ist.
Zum Beispiel: "Jeder hat das Interesse, ein bequemes Leben zu
f�hren".
Im Falle einer Entscheidung muss das Individuum seine Interessen
abw�gen, um zu entscheiden, welche Handlung in seinem vorrangigen Interesse ist.
*X - 9*
Die sanktionsfreie Interessen�u�erung ist wahrscheinlich
eine Ausnahme bei gesellschaftlichen Konflikten. Selbst die geheime Wahl
moderner Form unterliegt indirekt Sanktionsmechanismen: Die Diskriminierung
findet meist im Vorfeld der Wahl statt � man handelt sich für seine politischen
Einstellungen st�ndig positive oder negative Sanktionen ein. In kleinen Gremien
lässt sich auch bei geheimer Abstimmung h�ufig rekonstruieren, wie der Einzelne
gestimmt hat.
*X - 10*
Offenbar best�tigen wahlsoziologische Studien, dass die W�hler bei der
Abgabe des Stimmzettels eher ihre eigenen Interessen verfolgen als dass sie
damit ihre Ansicht vom
Gesamtinteresse ausdr�cken, denn es gibt eine starke Korrelation zwischen den
sozio�konomischen Eigenschaften und den Wahlentscheidungen. Aber man
k�nnte diese Korrelation zumindest teilweise auch als das Ergebnis des
vereinheitlichenden Einflusses auf die Meinungen innerhalb dieser Gruppen
ansehen.
Experimentum crucis wäre die Untersuchung von F�llen mit Individuen
gleicher sozialer Lage aber ohne ein spezifisches gruppeninternes
Einflusssystem. Wenn beide Gruppen ähnlich abstimmen, dann schlagen die
gleichartigen individuellen Interessen durch. Man k�nnte die Gleichartigkeit
auch noch als Resultat ähnlicher Sozialisations- und Bildungsbedingungen
interpretieren, die zur Angleichung der Ansichten über das Gesamtinteresse in
den Gruppen f�hren.
*X - 11*
Mich noch einmal eingehender mit R.P. Wolffs Theorie der "Kollektivwerte"
befassen.
*X - 12*
Welche Interessenkonstellation impliziert einen Interessenkonflikt? Wenn
die Rangfolge der Alternativen bei zwei Individuen genau entgegengesetzt ist
(zum Beispiel beim Nullsummen- oder Konstantsummenspiel von zwei Personen), ist
der Konflikt unvermeidlich. Wie ist es bei unterschiedlichen
Pr�ferenzrangfolgen? Hier k�nnten Individuen mit unterschiedlichen Rangfolgen in
der gleichen Koalition auftauchen.
*X - 13*
Von Marxisten wird gegen einen Ansatz bei den individuellen Interessen
die soziale Bestimmung der Privatinteressen ins Feld gef�hrt. Dies ist insofern richtig, als die Interessen eines Individuums
immer nur relativ zu bestimmten Entscheidungssituationen definiert werden
können. Diese Situationen ergeben sich auch
aus den gegebenen sozialen, insbesondere aus den �konomischen Verhältnissen.
Deshalb gehen in die individuellen
Interessen immer schon gesellschaftliche Verhältnisse ein. Zum Beispiel ist das
individuelle Interesse des Arbeiters am Abschluss eines Arbeitsvertrages
bestimmt durch die bestehenden EigentumsVerhältnisse.
Trotzdem ist die generelle
Kritik am indivdualistischen Ansatz falsch, denn es kommt darauf an, welche
Entscheidung in der jeweiligen Situation ansteht. Wenn man z. B. das Interesse
eines Arbeiters an der
Einf�hrung einer nicht-kapitalistischen Eigentumsordnung bestimmen will, gehen
die bestehenden EigentumsVerhältnisse nicht mehr als Beschr�nkung des
Alternativenberreichs in die individuellen Interesse ein.
*X - 14*
Einzel- und Kollektivinteresse:
Der Alternativenbereich, innerhalb dessen
das Interesse zu bestimmen ist, �ndert sich je nach den verf�gbaren Ressourcen
des Akteurs. Ein Einzelner mit seinen geringen Ressourcen hat nur einen kleinen
Bereich von Handlungsalternativen. Gro�e Kollektive, die ihre Ressourcen
zusammentun, haben einen viel gr��eren Alternativenbereich. Das sind die
Vorteile von Koordination und Kooperation.
*X - 15*
Man kann Interessen auf den verschiedensten Entscheidungsebenen
formulieren, zum Beispiel als hypothetische Wahl zwischen hypothetischen
Zust�nden (meist mit impliziten Ceteris-paribus-Klauseln). In der
gr��ten Konkretion als Wahl zwischen Handlungsalternativen.
*X - 16*
Zur Interdependenz von Nutzenver�nderungen:
Der Wert, den ich einer
zus�tzlichen G�termenge beimesse, h�ngt auch davon ab, wie viele G�ter
(Lebensmittel, Waffen, Maschinen etc.) andere dabei zus�tzlich bekommen. Das hei�t, nicht meine
absolute sondern meine relative G�terversorgung entscheidet über die Gr��e der
individuellen Nutzenver�nderungen. Diese Interdependenz ist nicht imagin�r
("Neid"), sondern ergibt sich aus den Folgen hinsichtlich anderer G�ter: zum
Beispiel bei sexueller Konkurrenz, bei knappen G�tern et cetera, wo relativer
Reichtum und nicht absoluter Reichtum den Ausschlag gibt. Ob die Vergr��erung
meines Grundeigentums in einem konkreten Fall meine Chancen bei der
Partnerkonkurrenz vergr��ert, h�ngt auch davon ab, wie in diesem Fall das
Grundeigentum meines Konkurrenten vergr��ert wird.
*X -
17*
David MILLERs Einwand gegen den "interpersonalen Nutzenvergleich": "� can
certainly try to imagine how much utility I would enjoy, if I were in your
(objective) social position, but I cannot imagine how much utility I would enjoy
with your inherited characteristics and background, since I would then no longer
be myself." (Miller 1978: Rational Choice. S.6)
Das Argument ist nicht
schl�ssig: Warum soll man sich nicht auch in die pers�nlichen Eigenschaften und
Pr�ferenzen eines anderen vorstellungsm��ig hineinversetzen können? Der Einwand:
"Dann ist man ja nicht mehr man selbst" geht ins Leere, denn es wird ja gerade
verlangt, in der Vorstellung so wie der andere zu werden! Alles andere wäre ein
rein intrasubjektiver Nutzenvergleich (siehe ALCHIAN in "Meaning of utility
measurement"): Wie würdech mich unter verschiedenen �u�eren Bedingungen
f�hlen?
Bei ethisch-normativen Fragen geht es gerade darum, wie der andere
sich f�hlt. Ich kann mir ohne weiteres vorstellen, wie es wäre, wenn ich andere
Pr�ferenzen h�tte als ich sie tats�chlich habe. Man hat z. B. die Erinnerung an
vergangene, inzwischen ge�nderte Pr�ferenzen und man kann ohne Probleme sagen:
"Fr�her mochte ich überhaupt keine Pilzgerichte, heute schmecken sie mir
ausgezeichnet." Somit wei� ich, wie es für jemanden ist, der keine Pilze mag,
oder verallgemeinert: der etwas essen soll, gegen das er einen Widerwillen hat.
Zumindest auf dem Wege solcher Verallgemeinerungen existieren Br�cken des
Verständnisses zwischen dem Wollen der Menschen. Diese Verallgemeinerungen
dr�cken sich aus im Gebrauch von W�rtern, die diese subjektiven Erfahrungen
intersubjektiv verst�ndlich bezeichnen, zum Beispiel als "Widerwille", "Schmerz",
"Ekel", "Phobie", "Gleichg�ltigkeit", "Lust", et cetera.
*X - 18*
In jeder kollektiven Entscheidungsregel, die individuelle Pr�ferenzordnungen
aggregiert, wird - oft ohne ausdr�ckliche Erw�hnung - auf dem Wege einer
"Normalisierung" der individuellen Pr�ferenzen ein intersubjektiver
Nutzenvergleich vorgenommen. Zum Beispiel wird im Mehrheitsprinzip jede
individuelle Pr�ferenzordnung gleich gewichtet. Beim Paretoprinzip werden nur
gleichgerichtete Interessen ("gleich gut oder besser" � ("gleich gut") �"gleich
gut oder schlechter") ber�cksichtigt. Wenn die Interessen der verschiedenen
Individuen in Bezug auf eine m�gliche Ver�nderung kontr�r ausgerichtet sind,
also besser für A aber schlechter für B sind, ist das Pareto-Prinzip nicht
anwendbar.
*X - 19*
Begriffe sind
Erkenntnisinstrumente: Sie dienen zur allgemeing�ltigen Beantwortung von Fragen.
Aber zur Formulierung der Fragen sind bereits Begriffe n�tig. Ist das ein
unzul�ssiger Zirkel? Wohl nicht, denn Fragen in Bezug auf Fragen sind Fragen.
Man kann sie ohne Zirkelschluss stellen und beantworten.
*X -
20*
Zum Problem der r�umlichen Abgrenzung von Entscheidungseinheiten.
Zum
Beispiel bei einer Grenzziehung zwischen zwei Nationen im Falle von
Mischbesiedelung des Gebietes und einer Aufteilung auf nicht mehr als zwei neue
Gebiete:
Wenn man den Wunsch jedes Individuums nach Zugeh�rigkeit zu einem
Gemeinwesen, in dem die je eigene Nationalit�t, Sprache, Kultur et cetera
vorherrscht, gleich gewichtet, so entspricht diejenige Grenzziehung dem
Mehrheitsprinzip, bei der die Zahl derjenigen, die nicht in einem Gemeinwesen
ihrer Wahl wohnen, minimiert wird.
Allerdings werden auch andere
Gesichtspunkte eine Rolle bei der Aufteilung spielen: Verf�gung über vorhandene
Anlagen und andere Ressourcen, milit�rstrategische Gesichtspunkte, L�nge der
Grenze, Umfang des G�ter- und Personenverkehrs und seine Kontrollierbarkeit et
cetera. D.h. dass ethnische Gesichtspunkte nicht allein die Interessenstruktur
bestimmen. Es kommt auch auf die politische Stabilit�t der neuen Grenzen an.
*X - 21*
Zu untersuchen wäre, welchen Einfluss sympathische bzw. antipathische
Gef�hle auf die Bestimmung des Gesamtinteresses haben. Es k�nnte sein, dass
Sympathie, sofern sie wechselseitig ist, zu ähnlichen Ergebnissen f�hrt wie eine
Koalition.
*X - 22*
Genauer die Struktur der Hierarchie untersuchen. In einer
Hierarchie ist das Monopol der Normsetzung bei der Spitze der Hierarchie. Die
Spitze delegiert Entscheidungskompetenz nach unten, allerdings immer
vorbehaltlich einer überpr�fung durch die Spitze. Die unteren Instanzen bleiben
damit an einer mehr oder weniger langen Leine. Davon zu unterscheiden ist die
übertragung relativ autonomer Entscheidungsrechte auf Einzelne oder
Teilkollektive.
*X - 23*
Der F�deralismus als Innovationsinstrument. Einzelne
Bereiche können für sich experimentieren, andere können aufgrund dieser
Erfahrungen leichter nachziehen. Die Erfahrungsbasis ist bei verschiedenartigem
Vorgehen breiter.
*X - 24*
In meiner Arbeit habe ich die Bedeutung von Normen und
Werturteilen im Unterschied zu positiven Aussagen n�her analysiert. Au�erdem
habe ich die enge Beziehung zwischen "Sollen" und "Wollen" deutlich gemacht.
N�her auszuarbeiten ist jetzt, dass sich "Sollen" immer auf einen Bereich des
M�glichen bezieht und hier eine Entscheidung trifft. "Sollen" (ebenso wie
"Wollen") impliziert eine Auswahl aus mehreren M�glichkeiten. Eine Auswahl kann
nur zwischen einander ausschlie�enden M�glichkeiten, den Alternativen, getroffen
werden.
*X - 25*
Nehmen wir eine Norm im politischen Bereich, zum Beispiel den
Beschluss einer Regierung, den X-Kanal zu bauen. (Dies ist eine sehr pauschale
und unspezifizierte Normen, die nicht besagt, wer wann welche Handlungen
ausf�hren muss. Gewähnlich wird bei fehlender Pr�zisierung die Vollst�ndigkeit
dadurch hergestellt, dass einer Instanz die Kompetenz übertragen wird, die noch
fehlenden Detailentscheidungen vor Ort zu treffen.)
Was sind in diesem
Fall die Alternativen? Wie lässt sich der Bereich des M�glichen bestimmen? Eine
M�glichkeit wäre es, den Kanal nicht zu bauen. Wenn diese M�glichkeit nicht
best�nde, dann wäre die Norm überfl�ssig bzw. sie w�rde sich in die Prognose
umwandeln, dass der Kanal gebaut werden wird (auch ohne das Zutun der Regierung,
dem jetzigen Entscheidungstr�ger). Die M�glichkeit, nicht zu bauen, ist eine
Alternative, denn Bau und Nicht-Bau schlie�en sich bereits logisch aus.
Schwieriger und bereits unübersehbar komplex sind die �brigen M�glichkeiten, wie
zum Beispiel: Bau einer Autobahn bzw. einer Eisenbahn, oder irgend eine andere
Verwendung der für den Kanal ben�tigten Ressourcen. (Hier m�sste man ein
einfacheres Beispiel finden, das nicht an die extrem disponible Ressource "Geld"
gekn�pft ist.)
Auszuscheiden wären solche M�glichkeiten, die sich
zugleich mit dem Bau des Kanals verwirklichen lassen. natürlich lassen sich so
gut wie alle Projekte als einzelne zugleich mit dem Kanalprojekt verwirklichen,
ausgenommen vielleicht das Projekt eines Naturschutzgebietes in dieser Gegend
oder die Beibehaltung der bisherigen Nutzung der ben�tigten Fl�che. Deshalb wäre
es bei diesem Beispiel sinnvoller, die Gesamthaushalte der Regierung als
Alternativen zu nehmen, denn die Beschr�nkung der M�glichkeiten ergibt sich erst
aus den Kosten aller Projekte. Damit ist zum Beispiel der Umfang der
Steuereinnahmen und der Kreditaufnaufnahme als Beschr�nkung der
Handlungsm�glichkeiten der Regierung gesetzt.
Diese Steuereinnahmen sind
jedoch selber unter anderm durch Normen der Steuergesetzgebung fixiert worden.
Insofern die Regierung diese ab�ndern und die Steuern erh�hen kann, ist diese
Beschr�nkung keine prinzipielle.
*X - 26*
Prinzipielle Beschr�nkungen von
Handlungsm�glichkeiten ergeben sich nur aus naturwissenschaftlich gewonnenen
Gesetzm��igkeiten, so wie sich aus dem Satz von der Erhaltung der Energie die
Unm�glichkeit eines Perpetuum mobile ergibt. Dies wäre eine prinzipielle
Unm�glichkeit für die Existenz eines Perpetuum Mobile. '
Au�erdem gibt es
Unm�glichkeit unter bestimmten Bedingungen. So ist es unm�glich, Eisen zu
schmelzen, sofern es nicht auf eine bestimmte sehr hohe Temperatur erhitzt wird.
Um diese Temperatur zu erzielen, bedarf es wiederum bestimmter Hilfsmittel, wie
z. B. einer starken Sauerstoffzufuhr, so dass sich Ketten von Bedingungen zur
Erm�glichung eines Ereignisses ergeben.
*X - 27*
Man muss wohl zwischen
verschiedenen Arten von M�glichkeiten unterscheiden:
a) die M�glichkeiten,
dass überhaupt ein Ereignis x eintritt;
b) die M�glichkeit, dass x unter
bestimmten Bedingungen eintritt;
c) die M�glichkeit für einen bestimmten
Akteur, ein Ereignis x zu erzeugen;
d) die M�glichkeit, dass in unbestimmter
Zukunft ein Ereignis x eintreten wird etc.
*X - 28*
Kompliziert wird das Ganze
weiterhin dadurch, dass genau genommen nicht eine Auswahl zwischen den
spezifizierten Alternativen zu treffen ist, sondern dass diese Alternativen
einschlie�lich ihrer Konsequenzen zu bewerten sind. Da gibt es nun wiederum
notwendige, wahrscheinliche, m�gliche Konsequenzen. Problematisch wird das ganze
aber weniger durch unsere ungen�gende Kenntnis von gesetzm��igen Zusammenh�ngen
und Konsequenzen, die generell unsere Prognosem�glichkeiten beschr�nken, als
vielmehr durch die Tatsache, dass soziale Konsequenzen der Entscheidung Ausfluss
menschlicher Handlungen sind. Wenn diese Handlungen nun zu positiven oder
negativen Konsequenzen f�hren, ist die Sanktionsfreiheit nicht mehr gegeben.
Damit taucht die Frage auf, ob sich Sanktionsfreiheit überhaupt gestellt werden
kann. (Dies ist ein Argument gegen Habermas' Entwurf eines herrschaftsfreien
Diskurses.)
*X - 29*
H�ufig besteht der Dissens bereits in Bezug auf die
Beschaffenheit der Entscheidungssituation selber: Die einen m�chten das zur
Disposition stellen, was die andern als gegebene Bedingungen der Entscheidung
ansehen. Konkrete Entscheidungen finden immer mit der meist unausgesprochenen
Klausel statt: "Vorausgesetzt, die folgenden Ausgangsbedingungen sind gegeben �"
*X - 30*
Das Problem "Sanktionsfreiheit der Entscheidung" stellt sich dann, wenn die
Realisierung einer M�glichkeit vom Willen und Handeln anderer Individuen
abh�ngt.
Sanktionen schlie�en bestimmte M�glichkeiten aus: Die Drohung "Geld
her oder ich schie�e!" schlie�t die M�glichkeit aus, dass der überfallene sein
Geld erh�lt und unbeschadet weitergeht - es sei denn, die Drohung war nur ein
Bluff. Gewalt oder die Androhung von Gewalt f�hrt immer zur Eliminierung von
Alternativen (siehe Biersted in Tumin). Die Forderung: "Keine gezielte
Einschr�nkung des Alternativenbereichs durch fremdes Handeln" ist der normative
Kern der Sanktionsfreiheit.
*X - 31*
Man muss unterscheiden zwischen der
Sanktionsfreiheit des Diskurses (keine Sanktionen gegen individuelle
Meinungs�u�erungen o. �.) und der Sanktionsfreiheit gegenüber den m�glichen
kollektiven Beschl�ssen (keine Sanktionen auf die Entscheidung des Kollektivs
für bestimmte Alternativen).
Das letztere Problem spielt wohl auf der
Diskursebene keine Rolle, wo gesagt wird: "Diese Alternative ist die beste."
Aber dann m�ssten die angenommenen Konsequenzen spezifiziert werden, sodass man
feststellen kann, ob es dabei zu unzul�ssigen Sanktionen kommt. Das Ganze ist
somit keine einmalige Entscheidung, die dem Selbstlauf überlassen bleibt,
sondern ein zu realisierender m�glicher Ablauf, der m�gliche Sanktionen (und
damit die Realisierung einer anderen Alternative) zu verhindern h�tte.
Bei der individuellen Entscheidung sind die tats�chlich zu erwartenden und nicht
die bestm�glichen Reaktionen aller Beteiligten zu ber�cksichtigen.
Auch
positive Sanktionen (Belohnungen) können das Problem der zul�ssigen Reaktionen
anderer aufwerfen, wenn sie gezielt als Reaktion auf bestimmte Entscheidungen
eingesetzt werden.
Insofern hier von allen m�glichen Verhaltensweisen
der Individuen ausgegangen wird und daraus die (kollektiv oder indivduell) beste
Alternative ausgew�hlt wird, wird das Problem der Durchsetzbarkeit der
Alternativen ausgeklammert. Es geht hier um die "ideale" Alternative. Vor diesem
Hintergrund stellt sich dann das Problem, wie die ideale Alternative zur
Realit�t wird.
*X - 32*
Angenommen, ein Individuum bzw. eine Gruppe, deren
besondere Interessen bei der gew�hlten normativen Alternative weniger gut
ber�cksichtigt wurden, verweigert die Mitarbeit oder reagiert sogar negativ.
Dann k�nnte man ein solches Verhalten von der idealen Alternative her normativ
kritisieren und Ma�nahmen ergreifen, um die nicht kooperierenden Individuen zu
einem Verhalten gem�� der idealen Alternative zu bewegen. Hier ergeben sich nun
verschiedene M�glichkeiten:
1. es gelingt, das Verhalten der betreffenden
Individuen gem�� der idealen Alternative zu gestalten;
2. es gelingt nur
teilweise, das Verhalten gem�� der idealen Alternative zu gestalten;
3. es
gelingt nicht, das Verhalten gem�� der idealen Alternative zu gestalten.
In
allen F�llen zeigt sich eine Modifizierung des urspr�nglichen Bereichs der
Alternativen. Im Fall 1 wird die ideale Alternative durch die
Durchsetzungsma�nahmen modifiziert. Diese Ma�nahmen können derart mit Kosten und
unerw�nschten Nebenfolgen verbunden sein, dass damit die W�nschbarkeit der
idealen Alternative in frage gestellt ist. Man m�sste auf jeden Fall einen
erneuten Vergleich zwischen den Alternativen anstellen.
Hierfür ein
Beispiel: Es wäre für alle besser, wenn keiner das Auto eines andern ohne dessen
Zustimmung benutzen w�rde. Wenn man eine entsprechende Norm durchsetzen k�nnte,
dann k�nnte man sich T�r- und Lenkradschl�sser und das st�ndige Auf- und
Zuschlie�en ersparen. Aber die Realisierung dieser idealen Norm w�rde unter den
gegebenen Bedingungen einen riesigen überwachungsapparat erfordern.
Hier
wird deutlich, dass es sich um verschiedene Bedeutungen des Wortes "m�glich"
handelt: Einerseits wäre es im Prinzip für jeden m�glich, diese Norm zu befolgen
- auch ohne Schl�sser. Andererseits erfordert eine Durchsetzung der Norm das
Abschlie�en, weil eben auch normwidriges Verhalten zu erwarten ist. Eine
Durchsetzung der idealen Norm "Benutze das Auto eines anderen nicht ohne desssen
Erlaubnis!" ist insofern nur mit Schl�ssern m�glich.
Zum einen wird
angenommen, dass es jedem Individuum m�glich ist, nicht zu stehlen. Zum anderen
wird festgestellt, dass es nicht m�glich ist, ohne den Einsatz von Schl�ssern
und dergleichen den Autodiebstahl zu verhindern. Ist das
widersprüchlich? Offensichtlich stehen bei der ersteren M�glichkeitsbehauptung
unausgesprochen allgemeinere Annahmen im Hintergrund wie: "Jeder gesunde
Mensch kann seinen K�rper bewegen wie er es will".
Aber zeigt
nicht die Tatsache, dass jemand das Auto stiehlt, dass es ihm offensichtlich
nicht m�glich war, anders zu handeln?
Ist das eingetretene Faktum (etwa die
gew�rfelte "5") nicht die Widerlegung der Behauptung anderer M�glichkeiten?
(Diese Retrospektive auch einmal bei Zufallsprozessen klären. War es m�glich,
dass statt der "5" eine "6" gew�rfelt wurde? Nach den gegebenen Umst�nden
offenbar nicht - oder?)
*X - 33*
Was meint man, wenn man sagt:
"Die Handlung x
ist für Individuum A m�glich"?
Umgangssprachlich bezieht man sich h�ufig auf
die Beschaffenheit des Wollens:
"Es war mir beim besten Willen nicht m�glich
zu kommen" oder
"Bei einigerma�en guten Willen ist es dir m�glich zu kommen"
oder
"Er k�nnte kommen, wenn er nur wollte".
Die M�glichkeit für ein
Individuum A, die Handlung x auszuf�hren, wird dabei unter der Voraussetzung
eines entsprechenden Willens gemacht. Wenn ein solcher Wille nicht vorhanden
ist, f�hrt A unter Umst�nden nicht die Handlung x aus.
Trotzdem bleibt es
sinnvoll zu sagen:" Es wäre (bei etwas gutem Willen) für A m�glich gewesen, x zu tun."
*X - 34*
Zu klären wäre jetzt, wie man solche Behauptungen begr�nden kann. Au�erdem
wäre das Konzept des "Willens" zu klären. Offensichtlich liegen solchen
Behauptungen Annahmen über die F�higkeiten eines Menschen zu Grunde, vor allem
in Beziehung zur willensm��igen Beherrschbarkeit der K�rperbewegungen. (Hier
gibt es physiologische überg�nge zu nicht mehr willensm��igen, unwillk�rlichen
Verhaltensweisen.)
Au�erdem gibt es Abstufungen, die einem Menschen die
Befolgung einer Norm leicht, anstrengend, schwierig oder nahezu unm�glich
machen. Dies dr�ckt aus, welches Ma� an Willensanstrengung für das Individuum
erforderlich ist, um die Norm zu erf�llen (bzw. die Handlung x zu tun).
Die Willensanstrengung bezieht sich auf die St�rke der entgegenstehenden
Motivation, die zur Erf�llung der Norm überwunden werden muss. So kostet es
einem Hungernden eine gr��ere Willensanstrengung, ein fremdes St�ck Brot nicht
zu nehmen, als einem Satten. Man spricht vor Gericht von "mildernden Umst�nden",
wenn es dem T�ter gro�e überwindung gekostet h�tte, die Norm einzuhalten. Oder
es dient zur Abstufung der Schwere von Straftaten: Unterschlagung einer
Fundsache, leichter und schwerer Diebstahl, Einbruch, Raub et cetera. Am
schwersten wird der anhaltend "b�se Wille" bestraft, die bewusste Normverletzung
trotz Absicherung der Norm.
*X - 35*
Zur Macht in der
Demokratie.
Man k�nnte sagen: Durch Mehrheitsbeschluss kann die Anwendung
der Machtmittel verboten werden. Aber vielleicht ist dieser Beschluss nicht
m�glich, weil die M�chtigen das Machtmittel y bei der Antscheidung anwenden
können. Das wäre ein circulus vitiosus. Ein kaum angreifbares System, das nur in
einem umfassenden Konflikt, das hei�t in einer Revolution zu beseitigen wäre.
Solche Konstellationen analysieren.
(ähnliche Absicherungen gibt es auch im
Manipulationsbereich.)
*X - 36*
Wolff betont, dass zur Definition von Macht das
Urteil über die Wichtigkeit von Entscheidungen geh�rt. Insofern gibt es also ein
wertendes Element in der Definition ("key decisions").
*X - 37*
Das
utilitaristische Prinzip (und auch das Solidarit�tsprinzip) werden
problematisch, wenn sie in Situationen angewendet werden, in der bereits Normen
gelten (Bestrafung eines Normverletzers, Ausf�hrung eines Testaments, Einhaltung
eines Versprechens et cetera). Zur Behebung dieses Problems wurde der
Regelutilitarismus formuliert (das nachlesen Brandt, Lyons etc.) Aber es
scheint, dass hier vor allem das Problem der Rechtssicherheit thematisiert wird.
Diese wird untergraben, wenn aus utilitaristischen Gr�nden Normen verletzt
werden, deren Geltung von allen Beteiligten vorausgesetzt wurde.
*X - 38*
Zur
Begr�ndung des Intersubjektivit�tsgebotes:
"Das Intersubjektivit�tsgebot
kann nicht ohne inneren Widerspruch bestritten werden". Dies ausf�hren.
*X - 39*
Ein Problem in meiner Dissertation: ich habe die Qualifizierung der
individuellen Interessen nicht bereits beim Solidarit�tsprinzip diskutiert. wo
es eigentlich hingeh�rt, sondern erst bei den individualistischen
Entscheidungsystemen.
*X - 40*
Probleme bei der Bestimmung des aufgekl�rten
Interesses: Was ist ma�gebend: Qualifikationskriterien der Interessenwahrnehmung
oder intersubjektive Nachvollziehbarkeit? Bestimmt letztlich jedes Individuum
selbst seine Interessen, oder muss jeder Andere diese Interessen nachvollziehen können?
Bestimmt also letztlich jeder die Interessen jedes anderen? Hier ist ein Bruch
in meiner Argumentation. Ma�geblich ist wohl die letztere Konzeption � ähnlich
wie in der positiven Methodologie.
*X - 41*
In vielen F�llen ist die
Leistungsf�higkeit (das Potential) von Individuen nicht einfach zu bestimmen,
das h�ngt von der Motivation und der Bereitschaft zur Anstrengung bei den
Individuen ab. Hier haben Anreizsysteme eine Funktion, da sie bisher verborgene
M�glichkeiten erschlie�en, die ex ante nicht feststellbar waren.
*X - 42*
Zum
Unterschied von ethischen Wahrheitsfragen und Rechtsfragen.
Die Ebenen "Was
ist wahr?" und "Was soll in einer gegebenen Situation verbindlich sein?" m�ssen
unterschieden werden. Dies gilt nicht nur für normative sondern auch für
empirische Behauptungen. Selbst wenn man sich in einer bestimmten Situation -
zum Beispiel Br�ckenbau - dazu entschlossen hat, eine bestimmte
Materialfestigkeit anzunehmen und diese Annahme für alle Beteiligten verbindlich
macht, (ohne übereinstimmende Annahmen über die faktischen Gegebenheiten ist
koordiniertes Handeln unm�glich) kann die Wahrheit dieser Annahme im Diskurs jederzeit
wieder problematisiert werden, denn der Diskurs ist handlungsentlastet.
Andererseits muss man handeln und diesem Handeln bestimmte Annahmen zugrunde
legen. Die Entscheidung darüber ist aber nicht handlungsentlastet, sie muss
innerhalb eines bestimmten Zeitraums
definitiv getroffen werden.
ähnlich im normativen Bereich. Man muss
definitive Entscheidungen treffen und es muss ein Verfahren existieren, um die
geeignetsten Normen hierfür zu bestimmen, aber das hei�t nicht, dass man diese
Entscheidungen nicht im Diskurs problematisieren darf. Es bedarf zum politischen
Handeln von Kollektiven einer verbindlichen normativen Einigung auch dann, wenn
kein Konsens erzielt wurde. Dies ist vor allem die Funktion des Rechts: Eine
für alle verbindliche Norm zu setzen, auch dann, wenn der Diskurs über diese
Norm nicht abgeschlossen ist.
*X - 43*
Man sagt: "Es h�tte den Angeklagten eine
schier übermenschliche Willensanstrengung gekostet. (der Versuchung zu
widerstehen)."
*X - 44*
Hares Argumente �hneln dem Intersubjektivit�tsgebot: "Wer
'sollen' nicht universalistisch gebraucht, stellt gar keine moralischen
Behauptungen auf und ist aus der Diskussion". (So etwa in Birnbacher/Hoerster).
Rawls (in B/H) enth�lt zahlreiche Parallelen zu meinem Intersubjektivit�tsgebot- und
zum
Solidarit�tsprinzip.
*X - 45*
Zur Kritik des Handlungsutilitarismus. F�hrt die
Regel "Maximiere den Gesamtnutzen!", wenn sie von jedem Individuum isoliert
angewendet wird, zu unentschiedenen Situationen? Ein Beispiel wäre eine
Gesellschaft ohne Vorfahrtsregel an Kreuzungen. Ob der von rechts kommende oder
der von links kommende Verkehr Vorfahrt hat, macht nutzenm��ig keinen
Unterschied. Ohne Koordination wei� man jedoch nicht, welches Fahrverhalten
nutzenmaximierend ist.
Hier gibt es zwei Ebenen der Normierung: die
Entscheidung für die Koordinierung und die Koordinierung selber.
[Seiten
97-103 weggelassen wegen Tabellen-Darstellung)]
*X - 46*
Zu Kant: Kant betont, dass
nur der gute Wille unbedingt gut genannt werden kann, nicht jedoch eine Tugend
wie Tapferkeit. Dies liegt daran, dass alle F�higkeiten und guten Eigenschaften Mittel zu einem
schlechten Zweck werden können. Der gute Wille jedoch, der darin besteht, die
g�ltigen Normen zu erf�llen, ist gerade dadurch bestimmt, dass er auf den guten
Zweck zielt. Ein guter Wille kann nicht auf einen schlechten Zweck zielen. Aber
kann er nicht durch einen andern Menschen missbraucht werden? So kann man einen
Menschen guten Willens durch Vorspiegelung falscher Tatsachen zu moralisch
problematischen Handlungen bringen, etwa für jemanden zu spenden, der sich als
blind verstellt, obwohl er sehen kann. Guter Wille gepaart mit Unwissenheit und
Dummheit kann deshalb ebenfalls problematisch sein.
[Bis Seite 111 weggelassen.]
*X - 47*
Wenn man fordert, dass dasjenige sein soll, was den Gesamtnutzen maximiert,
so entstehen "Pflichten gegen sich selbst". Das ist z.B. der Fall, wenn es
Handlungsalternativen gibt, die nur mich betreffen. Ich habe dann die überfl�ssige
"Pflicht", meinen
individuellen Nutzen zu maximieren.
Die Situation sähe anders aus, wenn
durch die Handlung ein anderer besser gestellt werden k�nnte, oder wenn ich oder
jemand anders schlechter gestellt w�rden. Das erg�be schon eher eine Pflicht.
Offenbar fungiert der Begriff "Pflicht" vor allem als Gegengewicht zu
"Eigeninteresse", so dass es paradox klingt, wenn jemand die
Pflicht hat, sein Eigeninteresse zu verfolgen.
Wenn die Verfolgung
meines Eigeninteresses das ist, was ich wirklich will, und die Pflicht das ist,
was ich soll, so erscheint es als setsam zu sagen dass ich etwas soll, was ich
sowieso will. Dies h�ngt damit zusammen, dass ich Normen als
Konfliktl�sung verstanden habe. Im obigen Fall existiert jedoch kein
Interesssenkonflikt. In
diesem Fall hat das Maximum des Gesamtnutzens nichts Zwingendes. (In ähnlicher Weise hat das Gesamtnutzenmaximum nichts zwingendes, wenn
ein gemeinsames Interesse existiert und alle dieselbe Alternative bevorzugen. Allerdings geht es dann
auch um den Nutzen der
anderen, so dass hier eher eine moralische Situation existiert.)
Die
Verfolgung des Eigeninteresses wird gewähnlich nicht als moralisch betrachtet,
der Begriff "Pflicht" erscheint deshalb unangemessen. Das h�ngt sicherlich damit
zusammen, dass die Individuen eine urspr�nglich vorwiegend eigenn�tzige
Motivation haben und dass Moral vor allem die Aufgabe hat, andere Motivationen
zu schaffen, die � wenn n�tig � die eigenn�tzige oder die nicht normgem��e
Motivation zur�ckdr�ngen können
überhaupt erscheint die
ganze normative Problematik unverst�ndlich, wenn man nicht die Tatsache
eigenn�tziger Motivation der Individuen als Ausgangspunkt nimmt.
Das Problem kommt am
sch�rfsten heraus bei der Analyse von Entscheidungssystemen, die den Individuen
bewusst erlauben, nur ihre eigenen Interessen (innerhalb bestimmter normativer
Schranken) zu verfolgen.
*X - 48*
Man muss scharf unterscheiden zwischen der
Bewertung einer Handlung und der Bewertung des Handelnden. Eine Handlung kann
falsch sein, aber trotzdem bleibt der Handelnde frei von Vorw�rfen. Die
Unterscheidung von Brandt (in: "Credible Utilitarianism") zwischen subjektiv und objektiv
richtigen Handlungen ist da sehr brauchbar.
*X - 49*
Oben war gesagt worden, dass
die Regel "Maximiere den Gesamtnutzen!" zu keiner Indeterminiertheit f�hrt, da
es immer ein Maximum gibt (bzw. mehrere, aus denen eines ausgew�hlt werden
muss). Aber selbst wenn es nur ein Maximum gibt, f�hrt die voneinander
unabh�ngige Anwendung der Regel durch die Individuen dann zu Problemen, wenn
diese von unterschiedlichen Sachverhalten ausgehen. Auch wenn
die Maximierungsabsicht vorausgesetzt wird, bedarf es also der Koordination bzw. Abstimmung zwischen
den Individuen über die tats�chliche Lage, die Alternativen, die Konsequenzen,
die Bewertung et cetera.
*X - 50*
Ein Problem bei der Maxime "Versprechen
brauchen nicht eingehalten zu werden, sofern die Nichteinhaltung eine Steigerung
des gesamten Nutzens mit sich bringt" besteht darin, dass es unter
Umst�nden mehrere Formen der Nichteinhaltung gibt, die das
Maximierungs-Kriterium erf�llen. Das bevorzugt unter diesen Umst�nden denjenigen, der in der Aufdeckung
solcher Alternativen am findigsten ist. Au�erdem gilt, dass solche Versprechen
gar nicht erst gegeben werden sollten.
*X - 51*
Bei der Koordinierung zur
Erzielung eines Nutzenmaximums kann Eigeninteresse immer st�rend auftreten, z.
B. wenn sich zwei Individuen A und B zum gemeinsamen Spaziergang
verabreden, der für sie ein Nutzenmaximum ist � z. B. für beide besser ist als getrenntes
Spazierengehen.
Wenn man zuk�nftiges Verhalten zeitlich koordiniert, so
mag man gegenüber dem Zeitpunkt aktuell indifferent sein: ob wir uns um 4:00
oder um 5:00 Uhr verabreden, ist mir aus meiner jetzigen Sicht egal. Insofern
wirft das Eigeninteresse bei der Festlegung des Zeitpunktes noch keine Probleme
auf. Allerdings ist es immer ein gewisses Problem, sich in Bezug auf sein
k�nftiges Verhalten festzulegen, da Ungewissheit oder Risiko hinsichtlich dessen
besteht, was in der Zwischenzeit passiert. Es kann etwas "dazwischen kommen",
das ich nicht erwartet habe, und pl�tzlich passt mir die verabredete Zeit gar
nicht mehr. Eventuell ist der gemeinsame Spaziergang zu diesem Zeitpunkt nun
nicht mehr mein individuelles Nutzenmaximum und wom�glich auch nicht mehr das
Gesamtnutzenmaximum.
Insofern, als sich die Lage - richtiger: meine
Kenntnisse von der Lage und ihrer Entwicklung - in der Zwischenzeit ver�ndern
kann, ist jede Festlegung des eigenen Verhaltens für die Zukunft problematisch.
Man zieht es vor, sich nicht festzulegen. Das Problem der Festlegung eigenen Verhaltens versch�rft sich, wenn
unabsehbare Entwicklungen eintreten.
*X - 52*
Im Alltag gibt es deshalb auch die
eingeschr�nkten Verabredungen: Etwa jemand erwartet einen wichtigen Besuch,
dessen genaue Ankunft aber unbestimmt ist, so dass dies zeitlich mit dem
Spaziergang kollidieren k�nnte. Man sagt dann: "Ich komme, sofern
der Besuch nicht inzwischen eingetroffen ist. Wenn ich 5 Minuten sp�ter noch
nicht da bin, warte nicht l�nger auf mich!"
*X - 53*
Auch im Nachhinein gibt es
begr�ndete Entschuldigungen für die Nichteinhaltung von Versprechen. Nicht nur,
wenn man durch �u�ere Umst�nde, die man nicht zu verantworten hat, verhindert
ist, sondern auch, wenn eine unerwartete Situation eingetreten ist und ein
anderes Handeln erforderlich macht. (zum Beispiel Hilfeleistung bei einem
Unfall).
Dies wird auch von den Kritikern des Handlungsutilitarismus
gesehen. Andererseits wird wohl zu Recht eingewandt, dass nicht irgendein
minimaler Zuwachs des Gesamtnutzens den Bruch der Verabredung rechtfertigen kann
(Brandt) Durch ein Versprechen hat man die Situation ver�ndert. Man kann das
Versprechen nicht einfach ignorieren und den Gesamtnutzen v�llig neu
kalkulieren.
Inwiefern hat sich die Situation ver�ndert? Zum einen ist durch
die Verabredung dem anderen eventuell ein Schaden entstanden bzw. ein Nutzen
entgangen, denn er hat sich daran gehalten und das hat ihn daran gehindert,
andere Dinge zu tun, die ihm selber (oder auch Dritten) gr��eren Nutzen gebracht
h�tten. Unter diesen Bedingungen muss der Utilitarist sagen: "Es ist zwar
gerechtfertigt, dass ich die Verabredung nicht einhalte, aber es war falsch,
überhaupt diese Verabredung zu treffen." Insofern kann der Utilitarist nicht
einfach zur Tagesordnung übergehen, sondern er muss mit einer Kritik und einer
eventuellen Sanktionierung einverstanden sein. Eine derartige Sanktionierung
nicht des Bruchs sondern des leichtfertigen Eingehens eines Versprechens gibt es
auch in der Rechtspraxis, wenn jemand zum Beispiel eine Reise gebucht hat, aber
- bevor er die Reise angetreten hat - merkt, dass es viel besser ist, diese
Reise nicht zu machen. Er muss dann u. U- eine Konventionalstrafe zahlen.
Hier bricht man kein Versprechen, sondern sucht das Versprechen
einverst�ndlich r�ckg�ngig zu machen. Dies ist gewähnlich mit gewissen Kosten
verbunden, die damit als Sanktionierung für das Eingehen des ungeeigneten
Versprechens wirken: "Gehe nicht leichtfertig Versprechen ein!" (Allerdings ist
es wohl nicht immer so, dass wenn es utilitaristisch gerechtfertigt ist, das
Versprechen nicht zu halten, es auch nicht gerechtfertigt war, das Versprechen
zu geben. Man denke an die Situation, wo jemand in der Hand von Verbrechern ist,
die ihn foltern, und dieser, um Zeit zu gewinnen ein falsches Versprechen abgibt
- etwa am n�chsten Tag die Verbrecher zu einem Geldversteck zu f�hren. Aber
unter Drohung gegebene Versprechen verpflichten schon aus anderen Gr�nden meist
nicht.
*X - 54*
Ein entscheidendes Problem des utilitaristischen
Kalk�ls in solchen Situationen besteht darin, dass das Gesamtnutzenkalk�l nicht
operational und damit nicht justiziabel ist. Man wird bei der solidarischen
Abw�gung der Vor- und Nachteile von Einhaltung bzw. Bruch des Versprechens
h�ufig nicht einer Meinung sein, so dass dann unterschiedliche Meinungen darüber
bestehen, wie der Betreffende h�tte handeln sollen. Selbst wenn man aber
Einigkeit herstellen k�nnte über das Ergebnis der Nutzenkalkulation, so wäre das
sicherlich mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Aus diesem Grund empfiehlt
es sich, der Verpflichtung zur Einhaltung des Versprechens als solcher ein
gr��eres Gewicht zu geben. Die Einhaltung ist prinzipiell feststellbar, da sie
unmittelbar in Handlungskategorien empirisch beschrieben ist und nicht erst die
Anwendung eines Nutzenkalk�ls voraussetzt.
*X - 55*
überlie�e man die Entscheidung
über Einhaltung bzw. Nichteinhaltung des Versprechens einen Nutzenkalk�l, so
best�nde die Gefahr, dass jemand � etwa zu seinen Gunsten � sich "verrechnet",
dass jemand bewusst zu seinen Gunsten übertreibt, t�uscht usw. Wo dies nicht zu
erwarten ist, zum Beispiel unter Freunden, ist es auch viel unproblematischer,
ein Versprechen nicht einzuhalten, da Unwahrhaftigkeit und unsolidarischer
Egoismus in der Beziehung praktisch ausgeschlossen werden können. Hier nimmt man
dem andern seine Begr�ndung ab, sebst wenn man die Behauptungen im einzelnen
nicht nachpr�fen kann.
Ein solches Vorgehen ist allerdings im gr��eren
gesellschaftlichen Rahmen nicht m�glich: Hier kann jeder behaupten, er habe
pl�tzlich seine kranke Oma pflegen m�ssen oder ähnliches. Deshalb "ziehen" hier
solche Argumente nicht, da sie nicht � oder zumindest nur mit gro�em Aufwand �
nachpr�fbar sind. Deshalb wird man aus utilitaristischen Gr�nden für die
Einhaltung von Normen sein, die operational formuliert sind. (Hier sind die
Normen also nur Faustregeln, so dass es in dem Fall, wo die Nutzenkalkulation
bereits gegeben und von allen akzeptiert ist, moralisch gerechtfertigt ist, die
Norm zu brechen.)
Die Schwierigkeiten bei der Anwendung des Nutzenkalk�ls
k�nnten es auch erklären, weshalb man nur in eindeutigen und schwerwiegenden
F�llen die Nichteinhaltung eines Versprechens für gerechtfertigt h�lt (Wie ist
es im Recht? Welche Gr�nde für die Nichteinhaltung rechtskr�ftiger Vertr�ge gibt
es? Gibt es überhaupt welche?)
*X - 56*
Man muss das Problem der Selbstverpflichtung durch Versprechen wohl noch
grunds�tzlicher analysieren. Versprechen setzen bereits einen normativen Rahmen
voraus, n�mlich dass das versprechende Individuen das Recht und die M�glichkeit
hat, über das versprochene Handeln autonom zu bestimmen. So wären von vornherein
Versprechen ung�ltig, für die dies nicht gilt und das Versprechen: "Ich
verspreche dir, X zu t�ten" ist ung�ltig, wenn gleichzeitig das T�ten verboten
ist. Das hei�t, es m�ssen bei einem Versprechen bereits private Verf�gungsrechte
entsprechender Art vorausgesetzt werden.
Bevor man nun die Frage stellt, ob
man ein einzelnes Versprechen halten soll oder nicht, wäre deshalb zu fragen
nach den Gr�nden für diese individuellen Verf�gungsrechte und für die
Freistellung dieses Handlungsbereichs für Versprechen und Vertr�ge.
*X - 57*
Im
Bereich der Eigentums- und Vertragsrechte ist die Verfolgung des Eigeninteresses
ausdr�cklich erlaubt - wenn nicht gar geboten, damit die "unsichtbare Hand" für
das Erreichen des Optimums wirksam werden kann. Vor diesem Hintergrund moralisch
zu argumentieren in dem Sinne, dass man für sich selbst in Anspruch nimmt,
jemand anders bestehlen zu d�rfen bzw. die eingegangenen Verpflichtungen nicht
einhalten zu m�ssen, da sonst das Gesamtnutzenmaximum nicht erreicht wird, ist
wohl "fehl am Platz." Man w�rde pl�tzlich mit einem v�llig fremden Prinzip
(Maximierung des Gesamtnutzens) in einen Bereich hineinregieren, der nach dem
Prinzip funktioniert: "Jeder darf (soll) seinen Eigennutzen maximieren!" Man
darf auf jeden Fall nicht gleichzeitig beide Prinzipien vertreten, da sie sich
widersprechen können.
Oder k�nnte man auch hier sagen: "Dies ist eine
Faustregel, aber die andere Regel wende ich an, wann immer es m�glich ist"?
Dies geht wohl nicht, denn die Faustregel muss verbindlich gemacht werden, damit
sie funktionieren kann. Z.B.kann das Anreizsystem nicht funktionieren, wenn man
den Individuen hinterher ihre Belohnungen wieder wegnimmt. Die Faustregel wurde
ja gerade eingef�hrt,weil das Maximierungsprinzip selber nicht unmittelbar
anwendbar war. Man kann jetzt nicht fiktiv die Anwendbarkeit des
Mximierungsprinzips annehmen, ohne zugleich die Faustregel au�er Kraft zu
setzen.
*X - 58*
Wenn die Ungewissheit steigt, ob Abmachungen zuk�nftig eingehalten werden,
so werden mehr Individuen "auf Nummer Sicher" gehen wollen und eigentlich
m�gliche normative Alternativen können nicht realisiert werden.
*X - 59*
Die
utilitaristischen Beispiele (Testamentsvollstrecker ohne weitere Zeugen o.�.)
arbeiten oft mit der Annahme, dass niemand es bemerkt, wenn man den Willen des
Sterbenden nicht erf�llt. Wenn man aber ein solches Handeln für richtig h�lt und
die entsprechende Norm für allgemeing�ltig, so hei�t das doch, dass jeder so
handeln soll. Dann w�rde jedoch die Institution "Testament" nicht mehr benutzt
werden.
Es scheint, dass Utilitaristen wie Smart die Frage "Ist diese
Norm g�ltig?" vermischen mit der Frage: "Ist es n�tzlich, diese Norm zu
propagieren?" Dass ein g�ltiges normatives Prinzip u.U. falsch verstanden werden
k�nne, sodass eine Propagierung abzulehnen ist, macht das Prinzip dadurch noch
nicht falsch. (Es ist wohl eher umgekehrt: Smart versucht gerade, beide Fragen
scharf zu trennen.)
*X - 60*
Konkretionsstufen von Normen:
Normen dr�cken ein
WillensVerhältnis (conatives) Verhältnis zur Welt aus.
Sie lassen sich
sprachlich durch ein "Sollen" ausdr�cken, in der einfachsten Form: "x soll
(nicht) sein!"
Gegenst�nde des Sollens können sein:
a) Zust�nde b)
Handlungen
Das "Sollen" kann sich auf einzelne Zust�nde bzw. Handlungen
beziehen ("Es soll eine Autobahn zwischen Berlin und Hamburg gebaut werden!")
Das "Sollen" kann sich auch auf ganze Klassen von Zust�nden oder Handlungen
beziehen ("Kein Mensch soll hungern m�ssen!")
(Die Unterscheidung zwischen
Zust�nden und Handlungen scheint hier überfl�ssig zu sein.)
Wright ("Norm
and Action") hat die verschiedenen Bestandteile und Arten von Normen breits
recht gut analysiert. Meine Frage nach der Realisierbarkeit von Normen ist
jedoch spezifischer. Bei G�fgen (S.111) findet sich die Unterscheidung von
"objective" und "goal" in Bezug auf Handlungsziele:
"Goal" ist ein Zustand,
der voll realisiert werden muss, um ein Erfolg zu sein (alles oder nichts).
("Die Partei hat das Ziel - im Sinne von 'goal' -, den n�chsten Regierungschef
zu stellen."
"Objective" ist ein Ziel, an das man sich m�glichst weit
ann�hern soll ("je n�her desto besser") "Unser Ziel ist die Veringerung von
Arbeitslosigkeit")
*X - 61*
Es gibt unterschiedliche Beziehungen
zwischen einer Norm und ihrer Realisierung:
Zum einen gibt es Normen, deren
Realisierung prinzipiell ausgeschlossen ist, zum Beispiel wenn Normen in Bezug
auf bereits Vergangenes formuliert werden. Ein Beispiel dafür: "Du h�ttest ihn
nicht beleidigen sollen!" Die Irrealit�t der Normerf�llung wird hier sprachlich
bereits durch den Konjunktiv angegeben. Man kann diese Form als Anwendung einer
generelleren Norm ansehen: "Du sollst ihn nicht beleidigen!"
Wenn dazu die
Tatsachenfeststellung kommt: "Du hast ihn beleidigt", so ergibt sich als
logische Schlussfolgerung: "Du h�ttest ihn nicht beleidigen sollen!"
Dieser
Satz setzt bereits voraus, dass die generelle Norm nicht erf�llt wurde. Insofern
ist er eigentlich keine reine Norm.
Man kann jedoch auch Normen für
Vergangenes formulieren (oder nur zitieren?), ohne dass ihre Nichterf�llung
bereits vorausgesetzt wird. Man kann zum Beispiel sagen: "Du solltest gestern um
22:00 Uhr zuhause sein!" und dann die Frage anschlie�en: "Und wann bist Du
tats�chlich zuhause gewesen?" Allerdings ist die fragliche Handlung bereits
geschehen. An ihr lässt sich nichts mehr �ndern.
*X - 62*
Bei vielen Dingen wei�
man im Voraus nicht, ob sie sich realisieren lassen. Hier sind strikte Gebote,
die Norm zu realisieren, fehl am Platz.
*X - 63*
Es gibt verschiedene Ursachen für
die Nichterf�llung einer Norm wie: "A soll x tun (das Geschirr abwaschen)!"
1.) A wusste nicht, dass er x tun sollte.
Er war über das Gebot bzw. dessen
Existenz nicht informiert (falsch informiert, hat es missverstanden�) (Und
konnte sich nicht informieren).
2. )A kann x nicht tun.
Ihm fehlt die
F�higkeit dazu.
Er wei� nicht, wie das geht. Ihm fehlt das n�tige Geschick
oder Er hat nur einen Arm.
3. )A fehlen die notwendigen Hilfsmittel.
Er hat
kein Wasser und kann keines beschaffen
Das Wasser geh�rt jemand anders, der
es nicht bereitstellen will.
4. ) A will x nicht tun.
Er wollte x nicht
tun, weil er lieber spazieren gehen wollte,
5. ) A's Wille, x zu tun, war zu
schwach gegenüber anderen Motiven.
A hat einen unüberwindlicher Ekel, seine
H�nde in schmutziges Wasser zu tun.
6.) A wurde von den Umst�nden daran
gehindert, x zu tun.
A war in der K�che eingeschlossen.
7. ) A wurde
gewaltsam daran gehindert, x zu tun.
Er wurde von jemandem eingeschlossen.
8. ) A wurde durch Drohungen davon abgehalten, x zu tun.
Es wurden A Pr�gel
angedroht, für den Fall dass er nicht abw�scht.
9. ) A verga�, x zu tun.
A
wusste, dass er x tun sollte, aber er hat es aus seinem Bewusstsein verdr�ngt.
*X - 64*
Sofern der Grund für die Nichterf�llung im Willen von A liegt, kann man die Art
dieses normwidrigen Willens, die Art des Tatmotivs noch weiter unterscheiden: "A
hat x nicht getan, weil ..."
� weil er es für ein ungerechtfertigtes Gebot gehalten
hat;
� weil er in Bezug auf eine andere Norm unterlag, die damit unvereinbar
war, und die er für rechtm��ig hielt;
� weil er keine Lust dazu hatte.
-
weil er lieber etwas anderes tun wollte;
� weil es für ihn gro�e Nachteile
gehabt h�tte�
*X - 65*
Aus den Gr�nden für die Nichterf�llung der Norm ergeben
sich dann die Ma�nahmen, die getroffen werden m�ssen, um die Normerf�llung zu
erreichen. Diese Ma�nahmen m�ssen allerdings mitbewertet werden.
*X - 66*
Nun mag es
bestimmte Normen geben, die unter den gegebenen Bedingungen nicht oder nicht
hinreichend durchgesetzt werden können, obwohl ihre Einhaltung w�nschenswert wäre.
Ihre Einf�hrung als sanktionsgest�tzte Norm wird damit jedoch nicht
w�nschenswert (Beispiele?)
Unter diesen Verhältnissen muss jetzt die
zweitbeste Norm gefunden werden, die den Realisierungsschwierigkeiten
(Motivationsstrukturen, MachtVerhältnissen etc.) Rechnung tr�gt. Die
urspr�ngliche Norm mag als moralisches Ideal (für Helden und Heilige)
fortbestehen, aber die konkretere Ebene der Pflichten und Sanktionen
(Rechtssystem) wird davon nicht beherrscht (Ist das die scheinheilige
"Sonntagsmoral"?)
*X - 67*
Ein gutes Klassifikationsschema entwickeln für Gr�nde
der Nicht-Realisierung, um übersichtlichkeit zu schaffen.
*X - 68*
Einmal die
Gr�nde für nicht sanktionierte Normenverst��e auflisten. Zum Beispiel ist
jemand, der hinreichend Macht besitzt, nicht sanktionierbar � er sanktioniert
umgekehrt diejenigen, die seinem Willen zuwiderhandeln. Ebenso die
Nicht-Justiziabilit�t bestimmter Fakten � und darauf bezogener Be- oder
Entschuldigungen.
Man kann Normtypen nach der Art und der Schwere der
Sanktionierung unterscheiden. Zum Beispiel sind positive Sanktionen dort zu
finden, wo es nicht sinnvoll ist, nur die Unterschreitung eines Minimalstandards
zu bestrafen, sondern jedes überschreiten ist entsprechend zu belohnen.
*X - 69*
Ob ein Tatbestand x realisierbar ist, h�ngt von der Existenz bestimmter
Bedingungen ab. Jede Bedingung h�ngt in ihrer Realisierbarkeit wiederum von der
Existenz weiterer Bedingungen ab. So ergeben sich Ketten von Bedingungen. Damit
x realisiert wird, muss zumindest eine hinreichende Bedingung (und m�ssen alle
notwendigen Bedingungen) erf�llt sein.
*X - 70*
Teleologische versus
deontologische Theorien. Die Ersteren behaupten, dass die Bewertungen prim�r
sind und dass die Normen aus ihnen abgeleitet sind. Begr�nden, warum das
sinnvoll ist. Warum können Normen nicht prim�r sein?
*X -
71*
Unterscheiden
zwischen verschiedenen Arten von Fragestellung, die auf dieselbe Norm bezogen
sein können. In allgemeiner Form: "Alle A's sollen in der Situation s die
Handlung x tun (unterlassen)".
1.) Soll jeder unbedingt die Norm befolgen?
2.) Soll die Norm eingef�hrt werden und sollen Verst��e sanktioniert werden?
3.) Werden in einer bestimmten Gesellschaft (bzw. Teilgesellschaft) Verst��e
tats�chlich sanktioniert?'
4.) Soll jeder der Norm zustimmen? (Wann und wo?)
5.) Soll jeder den Willen haben, die Norm zu befolgen?
*X
- 72*
für die
verschiedenen Ebenen normativer Geltung ist die Unterscheidung zwischen formaler
(prozeduraler) und materialer(inhaltlicher) Richtigkeit von Entscheidungen von
Interesse: Eine Norm mag aus einer anerkannten Prozedur hervorgegangen sein,
aber sie kann trotzdem falsch sein (zum Beispiel bei Mehrheitsentscheidungen).
*X - 73*
Im rechtlichen Bereich ist Legitimit�t immer prozedural erzeugt, denn über
diese Inhalte lässt sich kaum streiten. Recht: ein System mandatorischer Normen,
ein Gef�ge rechtskr�ftiger Entscheidungen durch erm�chtigte (kompetente)
Instanzen.
*X - 74*
Aus dem Satz "Alle sollen x tun" folgt nicht: "Ich soll x
tun", wenn "alle" nicht hei�t "jeder einzelne" sondern "alle gemeinsam".
Wenn 6 Leute erforderlich sind, um das Auto anzuschieben, und 6 sind zugegen, so
ergibt sich die Aufforderung "Alle sollen schieben!" Aber das bedeutet
nicht, dass ich
schieben soll, wenn die andern nicht mitschieben: das wäre Kr�ftevergeudung.
Gefordert wird nur die Bereitschaft, zu schieben, sofern gen�gend andere die
gleiche Bereitschaft zeigen.
*X - 74a*
Dahl/Lindblom analysieren das
Durchsetzungsverm�gen in Bezug auf Normen systematisch unter dem Stichwort:
"Kontrolle". Hier ist der übergang zu realen Problemen der �konomischen und
politischen Ordnung. Ich darf mich nicht in die blo�en Begriffsprobleme verlieren.
Allerdings kommen dann empirische psychologische und soziologische Annahmen ins
Spiel. Hier muss Klarheit erhalten bleiben. Methodologische und faktische
Behauptungen d�rfen nicht unkontrolliert vermengt werden.
*X - 75*
Das Problem der
normativen Methodologie ist nicht nur das Problem der Rechtfertigung expliziter
Normen. Gro�e Bereiche menschlichen Handelns sind frei von (moralischen) Normen
und lassen den Individuen Spielraum für die Verfolgung ihrer eigenen Interessen.
Auch diese Normfreiheit ist eine normative Ordnung.
*X -
76*
Unterscheiden:
1. unmittelbar auf einzelne Handlungen bezogene Fragen: Wie
sollen die Individuen handeln?
2. auf generelle Normen für Handlungen bezogene Fragen:
Welche Normen sollen gelten?
Beispiel:
1. Soll Individuum A diesen
Vertrag abschlie�en und halten?
2. Soll dieser Bereich überhaupt durch
Vertr�ge geregelt werden?
*X - 77*
Die Auseinandersetzung um Handlungs- oder
Regelutilitarismus leidet unter einer Vermengung der Ebenen. Wenn verbindlich
entschieden wurde, dass ein Bereich vertraglich geregelt wird, so bleiben die
geschlossenen Vertr�ge verbindlich, selbst wenn die darin enthaltenen Normen
inhaltlich "ung�ltig" sind. Der Handlungsutilitarist f�hrt die Annahme ein, dass
die Nutzenkalkulation unproblematisch sei. Aber gerade weil dies nicht so ist,
wurden weitere normative Prinzipien bzw. Verfahren (wie z. B. Versprechen) eingef�hrt.
Ein anderes Problem ist der Motivationsaspekt: Wenn ich das Prinzip "Entlohnung
entspechend der Leistung" als Leistungsanreiz einf�hre, dann darf ich es nicht
unterlaufen, indem ich nach vollbrachter Leistung frage: "Ist die vereinbarte
Entlohnung denn auch im Gesamtinteresse?" und im Falle von "nein" dann direkt
nach den Bed�rfnissen verteilen.
Der Handlungsutilitarist nimmt dann
an, dass "Heimlichkeit" existiere, dass niemand von der Verletzung des
Leistungsprinzips, des Eigentumsrechts o.�. erf�hrt, so dass "demoralisierende"
Konsequenzen ausgeschlossen werden. Aber ist nicht seine eigene Position demoralisierend? Wer eine
normative Ordnung �ffentlich propagiert, der richtet implizit die Aufforderung an alle, diese Position zu
übernehmen. Die "heimliche" Position untergr�bt die Glaubw�rdigkeit der Ordnung.
Ebenso die Norm: "Handele dem geltenden Leistungsprinzip zuwider, wenn es
keiner bemerken kann!"
*X - 78*
Normen sind abh�ngig vom tats�chlichen Verhalten
der anderen: Wenn ich im Stra�enverkehr von rechts komme und Vorfahrt habe, darf
ich trotzdem nicht weiter fahren, wenn ich merke, dass ein anderer Autofahre meine
Vorfahrt nicht beachtet. Aber das kann man selber als weitere Norm formulieren, die das
Recht auf Vorfahrt einschr�nkt insofern als sie nicht erzwungen werden darf.
Zum "consequentialism". Man verurteilt Verhalten, selbst wenn es
tats�chlich keinen Schaden zur Folge hatte. Dies geschieht dann, wenn es h�tte
sein können, dass ein Schaden entsteht bzw. dass es wahrscheinlich gewesen wäre und der Handelnde nicht wusste wie
es ausgehen w�rde.
*X - 79*
Paradox: ich habe richtig gehandelt, und zugleich darf
man mich bestrafen, weil meine Entschuldigungs- bzw. Rechtfertigungsgr�nde nicht
"justiziabel" sind.
*X - 80*
Unterscheiden zwischen:
1.) mandatorischen Normen
(s. Raz), die besagen, wer nach welchen prozeduralen Regeln welche Normen setzen
darf. Diese Normen machen wohl das Verbindliche des Rechts aus, selbst wenn die
Normen, die gesetzt werden, inhaltlich (material) falsch sind. In diesem Fall
ist wiederum prozedural normiert, wie eine Revision angestrebt werden darf.
natürlich besteht auch die M�glichkeit, dass das Revisionsgericht in seinem
Urteil ebenfalls eine inhaltlich falsche Norm setzt. Aber wenn alle Versuche zur
�nderung ersch�pft sind (�nderung der Einzelentscheidung, �nderung der
Vorschrift, nach der sie getroffen wurde; �nderung des Gesetzes, auf dem die
Vorschrift beruht, �nderung der Verfassung, nach der das Gesetz zu Stande kam �)
� dann gibt es im Rahmen des Rechts keine M�glichkeit mehr zur Korrektur. Insofern kann es
im Recht kein absolutes Widerstandsrecht geben: Ein solches Recht w�rde das
Recht sprengen, denn seine Rechtm��igkeit setzt voraus, dass es eine Instanz
gibt, die die Berechtigung des Widerstands verbindlich feststellt. Aber diese
Instanz kann ebenfalls irren � und was dann? Dann ben�tigt man wiederum ein
au�errechtliches Widerstandsrecht.
*X - 81*
Ich muss die Diskussion über das
Widerstandsrecht bei den Rechtstheoretikern einmal ansehen. Hier wird zum
Verhältnis von Verbindlichkeit und G�ltigkeit bereits einiges gesagt sein.
Hierzu auch die Interpretation von Kelsen (in Topitsch bei Luchterhand), der als
Funktion des Rechts die Friedensstiftung sieht: Es sollen verbindliche
Entscheidungen getroffen werden, die den Streit bzw. Konflikt definitiv beenden.
Dies muss auch dann m�glich sein, wenn die Entscheidung eigentlich ungerecht ist.
Die Alternative dazu ist die Herstellung eines Konsens über das Gerechte, aber
da der Konsens oft nicht erreichbar ist, ist die Alternative zum Recht als
verbindlicher Prozedur eine Art Naturzustand, wo jeder das, was er für das Recht
h�lt, auf eigene Faust und nach eigenen Kriterien durchsetzt. (Hierzu noch
einmal Kant ansehen).
Andererseits soll das Verfahren der Normsetzung nicht irgendeine
Entscheidung treffen, sondern eine m�glichst
gerechte Entscheidung. Nicht nur
der Hobbessche absolute Souver�n kann definitive Entscheidungen treffen. Man
sollte die Prozeduren so gestalten, dass m�glichst das Gesamtinteresse erreicht
wird: etwa durch einen Gesetzgeber in Form einer repr�sentativen Versammlung,
durch Revisionsm�glichkeiten verschiedenster Art, durch pr�zise
Verfahrensregelungen, durch Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaats (hier
die Position von Radbruch zu ungerechtem Recht heranziehen. Sie wird diskutiert
in Hart: Begriff des Rechts; Exzerpt in Hoerster).
*X -
82*
Die Verbindlichkeit
des Rechts muss einspringen, wo der praktische Diskurs zu keinem Konsens f�hrt.
überall dort, wo etwas zu entscheiden ist, und wo ein Dissens darüber m�glich
ist, muss es eine Instanz geben, die autorisiert ist, die Entscheidung für alle
verbindlich zu treffen: Gerichte, Parlamente, Eigent�mer, Amtsinhaber.
Allerdings sind diese Entscheidungen in verschiedener Weise revisionsf�hig:
Berufung, Beschwerde, Abwahl, Novellierung: allerdings wiederum nur auf
prozedural festgelegten Wegen.
Daneben kann der praktische Diskurs
weitergehen, um den Dissens aufzul�sen und um der normsetzenden Instanz genauere
Entscheidungskriterien an die Hand zu geben.
*X - 83*
Aus der Tatsache, dass
irgendeine Instanz die für alle verbindlichen Entscheidungen treffen muss, folgt
nicht, dass es gerade diese Instanz sein muss.
*X - 84*
Jemand mag die gesamte
Rechtsordnung einschlie�lich der Grundnorm ablehnen. Das ist zu unterscheiden davon,
dass jemand nur eine einzelne Entscheidung ablehnt, aber die Autorisierung der
Entscheidungsinstanzen nicht infrage stellt.
*X - 85*
Warum sind Gesetze, die niemand einh�lt, problematisch? Sie machen aus der
Gesellschaft eine Gesellschaft von notorischen Normverletzern. Wenn die
Gesellschaft trotzdem nicht zusammenbricht, so zeigt dies, dass das Gesetz
zumindest nicht elementar wichtig ist. Wenn die Normverletzungen sanktioniert
werden, so ergibt sich daraus ein Aufwand an Beweisf�hrung und Bestrafung, den
man vielleicht scheut. (dies ist allerdings eher ein
technisches Problem).
Weiterhin scheinen die Individuen selber nicht von der
Berechtigung des Gesetzes überzeugt zu sein, sonst wäre ihre eigene moralische
Motivation st�rker und das w�rde zu einer gewissen Einhaltung des Gesetzes
f�hren. Die überwachung, Sanktionierung und moralische überzeugung ("ihm in's
Gewissen reden") wäre dann auch nicht Sache spezifischer Funktionstr�ger,
sondern w�rde von jedem mit übernommen. Wechselseitige Kontrolle wäre vorhanden.
Wenn ein Gesetz trotz Sanktionierung von kaum jemandem eingehalten
wird, so hei�t das, dass das Gesetz Bed�rfnisse der Individuen einschr�nkt,
die st�rker sind als das Interesse an der Vermeidung der angedrohten
Sanktion. Gewähnlich geht die allgemeine Nichtbefolgung eines Gesetzes einher
mit dessen Nicht-Sanktionierung.
*X - 86*
Warum ist ein Gesetz schlecht, das
nicht sanktioniert wird? Es mag Gesetze geben, gegen die nicht versto�en wird,
so dass es keiner Sanktionen bedarf.
*X - 87*
Ein Gesetz, das übertreten wird und trotzdem nicht sanktioniert wird, ist
problematisch, weil es ungerecht ist: Einige Individuen halten sich an das
Gesetz und erlegen sich insofern bei der Verfolgung ihrer eigenen Interessen
Beschr�nkungen auf. Die anderen Individuen tun das nicht und haben insofern
einen Vorteil, ohne dass sie den Nachteil einer Bestrafung fürchten m�ssen. Dies
ist Ungleichbehandlung und Benachteiligung der Gesetzestreuen. Die Letzteren
können diese Ungerechtigkeit dadurch abstellen, dass sie ebenfalls
das Gesetz übertreten. Solch ein Zustand ist gewähnlich instabil, er untergr�bt
die Moral der Gesetzestreuen (es sei denn, diese haben entsprechend starke
moralische überzeugungen und imagin�re Belohnungen der Gesetzestreuen: ein
ruhiges Gewissen, Belohnung im jenseits et cetera)
Wenn das Gesetz
zus�tzlich noch als im Gesamtinteresse liegend betrachtet wird � und das muss
zumindest dem Schein nach für jedes Gesetz behauptet werden, wenn es nicht nur
Ausdruck purer Gewaltherrschaft sein soll �, so bedeutet die fehlende
Sanktionierung au�erdem, dass es der Sanktionsinstanz nicht um das
Gesamtinteresse zu tun ist: Damit verliert sie allgemein Autorit�t bzw.
Legitimation, was sich auch auf andere Bereiche übertragen kann.
*X - 88*
Nicht
jede Norm, die sich nicht für eine Verrechtlichung eignet, ist deshalb auch als
Norm ung�ltig, sie kann unter Umst�nden moralische Norm bleiben.
1.
Variante:
Das mit der Norm angestrebte Gut wird durch die Handlung eines
einzigen Individuums hervorgebracht bzw. der zu vermeidende Schaden wird durch
die Handlung eines einzigen Individuums hervorgebracht. Eine solche isoliert
wirksame Handlung eines Individuums wäre: "Ich schlage einen anderen Menschen"
oder "Ich behandele meine Wunde". Im einen Fall sind Handelnder und Betroffener
verschieden, im andern Fall identisch. Im einen Fall ist das unmittelbare
Resultat ein Schaden, im andern Fall ein Gut. (Allerdings wird es immer auf den
Zusammenhang ankommen. Wenn der Get�tete gerade im Begriff war, mithilfe eines
Maschinengewehrs zahlreiche andere Menschen umzubringen, so hat seine T�tung
diesen das Leben gerettet und die indirekte Folge der T�tung war ein gro�es
Gut.)
Wenn Handelnder und Betroffener identisch sind, dann bedarf es
normalerweise keiner Normierung, denn in der Regel kann man davon ausgehen, dass
jeder eigenen Schaden vermeiden und eigenes Gutes anstreben wird. (Ausnahmen bei
unaufgekl�rtem, kurzsichtigem oder neurotischem Wollen).
Hier kann es
h�chstens Klugheitsregeln geben. Man stelle sich etwa einen Robinson vor, für
den es ausgeschlossen ist, dass er jemals wieder mit anderen Menschen in
Ber�hrung kommt. Er hat h�chstens das Problem, seine eigenen Ziele miteinander
in Einklang zu bringen und sich dementsprechende Regeln der eigenen
Lebensf�hrung aufzuerlegen. Auch das mag manchmal schwer fallen, wenn er etwa
zur Vorsorge für den Winter m�hsam Vorr�te anlegen muss oder wenn er zur
Erhaltung der eigenen Gesundheit regelm��ig gymnastische �bungen machen muss.
Normativ interessanter werden Situationen, in denen Handelnder und Betroffener
nicht identisch sind. (Aber Ausgangspunkt sollen die Interdependenzen zwischen
Handlungen sein.)
2. Variante:
Handlungen, bei denen das Gut nur
geschaffen wird, wenn mehrere Individuen handeln bzw. bei denen der Schaden nur
dann vermieden wird, wenn mehrere Individuen handeln. Ein Beispiel hierfür wäre:
Ein Individuum hilft einem anderen, das alleine nicht über eine Mauer klettern
kann. Oder: Die elektrische Sicherung eines Hauses brennt durch, wenn mehrere
Individuen gleichzeitig ihre Heizger�te eingeschaltet haben. Hier n�tzt es
nichts, wenn einer etwas tut bzw. bereit ist etwas zu tun, weil das Resultat die
in bestimmter Weise koordinierten Handlungen mehrerer Individuen voraussetzt.
Hier tauchen also Koordinationsprobleme auf.
Man k�nnte wiederum sagen,
dass die Sache unproblematisch ist und sich von selbst regelt, wo Handelnde und
Betroffene identisch sind und wo das Resultat homogen ist (für alle gut oder für
alle schlecht). Das Beispiel wären zwei Individuen, die sich gegenseitig helfen
eine Mauer zu überklettern, die sie alleine nicht oder nur mit sehr viel
gr��eren M�hen überstiegen h�tten. Hier haben beide den Vorteil davon, dass
beide helfen. Aber hier können Komplikationen eintreten, denn Handlungen und
Resultate fallen für die verschiedenen Individuen nicht gleichzeitig an.
Der Ablauf ist etwa so, dass zuerst B die Mauer erklettert, wobei A ihn von
unten st�tzt. Dann zieht B von oben A nach, bis beide auf der Mauer sitzen. Aber
B kann den Vorteil der Hilfe von A für sich in Anspruch nehmen und anschlie�end
sich weigern, seinerseits A auf die Mauer zu helfen. Das überklettern der Mauer
ist also kein kollektives Gut, denn es kann einem Individuum des Kollektivs
vorenthalten werden. Genau genommen handelt es sich hier um zwei Komplexe von
Handlungen, die jeweils nur einem Individuum zugute kommen:
1. A und B
helfen B auf die Mauer
2. A und B helfen A auf die Mauer.
Beide
Handlungskomplexe können getrennt ausgef�hrt werden. Das muss das Kriterium sein
für die Handlungseinheiten, die zu analysieren sind.
Handelt es sich um
zwei oder mehr Handlungseinheiten, die als einzelne nicht für alle Handelnden
positive Resultate erbringen sondern nur, wenn alle Handlungseinheiten
ausgef�hrt werden, so haben die Individuen, die nach dem geplanten Ablauf
"abgeh�ngt" werden können, ein Interesse daran, dies auszuschlie�en: etwa indem
eine Verabredung getroffen wird (ein Versprechen gegeben, ein Vertrag
geschlossen etc.) alle Handlungseinheiten tats�chlich auszuf�hren. Man k�nnte
sich Verfahren denken, um die Einhaltung der Verabredung durch alle
sicherzustellen: etwa, dass eine allgemeine Sanktionsinstanz verpflichtet wird,
den Vertragsbr�chigen zu bestrafen, oder dass derjenige, der auf Vertrauen
angewiesen ist, ein Pfand erh�lt, dessen Verlust für den andern empfindlich
wäre.
Im Alltag gibt es h�ufig F�lle, wo man Rechte deshalb
nicht wahrnehmen kann, weil man die eigene Berechtigung nicht nachweisen
kann: "Da k�nnte ja jeder kommen und behaupten, er sei der Eigent�mer (der
Ehemann, der Vater, im Besitz einer Monatskarte etc.)".
*X - 89*
Entscheidend ist
h�ufig nicht, ob etwas der Wahrheit entspricht, sondern ob dies in der Situation
intersubjektiv nachweisbar ist. Wegen dieser Problematik gibt es auch in
verschiedenen Bereichen Nachweispflicht (Man muss Ausweise, Fahrscheine,
Eintrittskarten, Kassenbons besitzen, um sein Recht durchsetzen zu können.)
*X - 90*
Zur Interdependenz von Handlungen.
Handlungen mehrerer Individuen sind
meist dann erforderlich, wenn sich die Resultate erst nach Erreichen bestimmter
Schwellenwerte ergeben oder wenn sich die Resultate nur aufgrund von
arbeitsteiliger Kooperation ergeben. Schwelleneffekte gibt es etwa bei dem
bekannten Rasen, der zwar gelegentliches Betreten vertr�gt, der aber bei
h�ufigerem Betreten zerst�rt wird. Oder der Fahrstuhl, der bis zu sechs Personen
befürdert, aber bei mehr Leuten wegen überlastung stecken bleibt. Das wären
negative Resultate, die jeweils für alle Handelnden eintreten: Der Rasen ist für
alle kaputt, der Fahrstuhl ist für alle defekt.
Hier gibt es
allerdings noch weiteres zu ber�cksichtigen: Die einen betrifft der Anblick des
Rasens mehr als andere, die vielleicht nie wieder hier vorbeikommen werden.
Au�erdem ist der Rasen auch für diejenigen zertreten, die ihn gar nicht betreten haben.
ähnlich beim Fahrstuhl. D.h. dass die Interessenlage der Beteiligtenunterschiedlich sein kann.
Die Beispiele bezogen sich auf negative Resultate. Es gibt jedoch auch positive
Schwellen-Effekte: zum Beispiel, wenn der Dritte Mann zum Skat ben�tigt wird
oder die 100.000ste Mark für die Anschaffung eines Notarztwagens gespendet wird.
Weiterhin muss der Schwellenwert natürlich nicht in einem einzigen Sprung
verlaufen, die Nutzenfunktion k�nnte so aussehen: (hier eine seitliche
Treppenstufe gemalt).Es kommen auch andere Interdependenzen infrage, zum
Beispiel überproportionale Ver�nderungen von Schaden oder Nutzen (siehe dazu
Robbins, besprochen in Lyons.) Also nicht-lineare Verl�ufe, zum Beispiel so:
(hier ist eine Art S-Kurve gemalt.) Lyons spricht davon, dass der Nutzen nicht
additiv ist, d.h. dass der Effekt von n isolierten Handlungen nicht genauso gro�
ist wie der Effekt von n kombinierten Handlungen. Dies ist etwa bei Vorteilen
der Kooperation der Fall oder auch bei Nachteilen durch überf�llung: etwa wenn
sich die 5. Person auf eine Bank zw�ngt in der U-Bahn, die nur für vier Personen
geplant ist. Gibt es noch andere Interdependenzen? Es m�ssen nicht notwendig
homogene Handlungen sein, wie Lyons betont, so wie beim Rasenbeispiel oder bei
der U-Bahn-Bank. Vor allem �konomische Kooperation beruht h�ufig auf
Arbeitsteilung mit unterschiedlichen Funktionen, etwa Treiber und J�ger bei der
Hasenjagd, Starter und Pilot beim Segelfliegen. Ebenso gibt es negative
Interdependenzen verschiedenartiger Handlungen: zum Beispiel einen Fu�boden
lackieren und einen Fu�boden betreten, oder auf demselben Boden Rasen s�en und
Kartoffeln anpflanzen. Dies sind gewisserma�en "Kontraindikationen", um für
diese Problematik die Medizinersprache zu verwenden.
�brigens gibt es
Interdependenzen dieser Art nicht nur zwischen den Handlungen verschiedener
Leute sondern auch zwischen den Handlungen desselben Individuums: so ist
Alkoholtrinken als solches vielleicht unproblematisch und Autofahren als solches
auch. (Was wohl beides nicht ganz stimmt!) Aber in der Kombination "Alkohol am
Steuer" sind die Resultate sehr negativ.
Sind damit die normativ
relevanten InterdependenzVerhältnisse ersch�pft? Wohl kaum. Hier muss man die
Theorien der externen Effekte, der Kuppelprodukte und der kollektiven G�ter
heranziehen, und die Klassifizierung von "goods" und "bads" in der �konomie
ansehen. Die bestehenden Gesetze dahingehend durchgehen, ob die bestehenden
Normen in die Klassifikation passen. Welche Folgerungen ergeben sich in Bezug
auf Motivation und Durchsetzung nutzenmaximierender Verhaltensnormen aus diesen
Interdependenzen?
*X - 91*
Problematisch sind alle F�lle, in denen das Eigeninteresse
eines "notwendigen" Individuums zur Erzielung eines positiven Resultats bzw. zur
Vermeidung des negativen Resultats nicht ausreichend ist. Zu beachten: H�ufig
ist es nicht naturgegeben, bei wem Vorteile und Nachteile anfallen, sondern das
beruht auf normativer Regelung (zum Beispiel durch Eigentumsrechte, Zurechnungsregel
etc. , oder durch bestimmte technische Arrangements wie Sicht- oder
Schallisolierung.)
Wo das Eigeninteresse nicht ausreichend ist, bedarf es
einer anderen Motivation zum Beispiel moralischer Art, oder es m�ssen
Mechanismen geschaffen werden, die das Eigeninteresse am nutzenmaximierenden
Verhalten k�nstlich erzeugen. (Dadurch wird natürlich die Nutzenkalkulation
ver�ndert.)
*X - 92*
Wenn das Resultat klar ist und die zu seiner Erzielung bzw.
Vermeidung erforderlichen Handlungen feststehen, so kann ein Problem dadurch
entstehen, dass die handelnden Individuen ja wissen m�ssen, ob die �brigen
interdependenten Handlungen realisiert sind oder noch werden, denn auf isolierte
individuelle Handlungen treffen ja die Normen nicht zu. Wo das klar feststellbar
ist, wie zum Beispiel, ob im Fahrstuhl bereits die h�chstzul�ssige Personenzahl
erreicht ist, kann die schwellen-überschreitende Handlung als einzelne
identifiziert und normiert werden. Beim Rasenbeispiel ist jedoch keine
eindeutige Schwelle auszumachen und die bisherige überlastung durch Betreten ist
kaum feststellbar. Ebenfalls im Mietshaus, wo kaum feststellbar ist, ob die
anderen Bewohner gerade ebenfalls Heizger�te eingeschaltet haben, was zum
Zusammenbruch der Stromversorgung f�hren kann-. Hier kann
aufgrund von Informationsproblemen eine generelle Normierung aller relevanten
Handlungen sinnvoll sein: "Betreten des Rasens verboten!", "Anschluss von
elektrischen Heizger�ten verboten!"
*X - 93*
"Wenn zwei dasselbe tun, ist es
nicht dasselbe!" Wie Lyons feststellt, lässt sich das Kriterium: "Was wäre, wenn
jeder so handeln w�rde?" nicht negativ gegen Handeln mit Schwelleneffekten
wenden. Denn die Verallgemeinerung bezieht sich negativ nur auf die Klasse von
Handlungen, die schwellenüberschreitend ist.
Beim Fahrstuhl-Beispiel gibt es
allerdings keine zeitliche Reihenfolge, wie beim Rasen: Es ist schwierig bzw.
unm�glich, einem bestimmten Individuum bzw. seinem Handeln die
Schwellenüberschreitung anzulasten. (ähnlich diskutierte Lyons das Beispiel der
Wahlbeteiligung, wo man vorher nicht wei�, ob sich gen�gend andere beteiligen
werden.) Hier gibt es die zus�tzliche Regel der Reihenfolge des Eintreffens:
"Wer zuerst kommt, mahlt zuerst!" Die überschreitung der Belastungsgrenze wird
deshalb immer nur dem hinzukommenden Individuum vorgeworfen.
Wo auch solche
Regeln nicht anwendbar sind, wie beim W�hlen, wird es deshalb sinnvoll sein,
generell das W�hlen zur Pflicht zu machen. Aber unter der Voraussetzung, dass
jemand wei�, dass gen�gend Leute w�hlen werden und dass klare Mehrheiten
existieren, mag die Wahlpflicht für das einzelne Individuum hinf�llig sein.
Allerdings kann es hier paradoxe Effekte geben: Wenn eine Partei bei der letzten
Wahl eine klare Mehrheit bekommen hat, so m�gen jetzt viele Leute denken: "Auf
meine Stimme kommt es doch nicht an." Jeder denkt, dass die andern w�hlen
werden, und so w�hlt keiner.
*X - 94*
Neben der fehlenden Information
über die Handlungen der anderen gibt es ein Problem der Fairness bzw. der
Gleichbehandlung. Angenommen einige Individuen k�nnten ohne Schaden für
irgendjemanden den Rasen betreten, aber nicht alle, dann stellt sich das
Problem, wer zu den Bevorzugten geh�ren soll. Hier bedarf es also einer
zus�tzlichen Auswahlregel, die dem Kriterium solidarischer
Interessenber�cksichtigung gen�gen muss. Wenn einige sich das Recht herausnehmen
und die anderen in den Schwellenbereich geraten, so wäre ein solches
Ellbogenverfahren sicherlich nicht fair. Man kann natürlich Gleichbehandlung
dadurch herstellen, dass man generell das Betreten des Rasens verbietet. Dann
gibt es kein "b�ses Blut", keinen Streit darum, wer bevorzugt werden soll.
Allerdings wird dann wom�glich ein Nutzenmaximum verfehlt. (B�ses Blut wäre
allerdings auch eine Beeintr�chtigung des Gesamtnutzens!) Man k�nnte deshalb von
den Benachteiligten verlangen, dass sie auch eine ungleiche
Bed�rfnisbefriedigung akzeptieren, sofern diese Ungleichheit durch ein faires
Verfahren zu Stande gekommen ist und niemanden bevorzugt hat. Allerdings findet
man im Alltag h�ufig den Entschluss: "Bevor wir uns streiten, wer diese
unangenehme Aufgabe übernehmen soll, machen wir es doch alle zusammen."
*X - 95*
Ein Beispiel für interdependente Handlungen, die meist mit Vorteilen für
jeden Beteiligten verbunden sind, ist der Geschlechtsverkehr. Deshalb
braucht man ihn auch nicht anzuordnen.
*X - 96*
Es gibt Handlungen, die schlecht
befohlen werden können, und Normen, deren Einhaltung praktisch nicht kontrolliert werden
kann. Dazu geh�ren zum Beispiel Erfindungen und die Erbringung von
H�chstleistungen. Man wei� ja nicht, was n�tig ist, um eine Erfindung zu machen,
sonst k�nnte man ein bestimmtes Versuchsprogramm angeben, dessen Durchf�hrung
ohne weiteres befohlen werden k�nnte. Wo es im wesentlichen um gr��tm�gliches
Bem�hen und �u�erste Anstrengung geht, die ihrerseits schwer messbar sind, versagt die
Sanktionierung. natürlich findet man in Horrorgeschichten manchmal doch den
untauglichen Versuch: Einem Wissenschaftler wird befohlen, eine Erfindung zu
machen (Gold herzustellen) oder er wird hingerichtet. Dabei m�gen manch
wertvolle K�pfe rollen, ohne einen Erfolg zu erbringen, denn solche Erfolge
lassen sich nicht erzwingen. Es ist unbekannt, ob und wie der Erfolg m�glich
ist. Selbst die gr��ten Anstrengungen der gr��ten Talente können vergeblich
bleiben. Hier sind positive Sanktionen angebracht.
*X - 97*
Manche Handlungen
lassen sich nicht befehlen oder durch Sanktionen erzwingen, weil gerade in ihrer
Freiwilligkeit eine Bedingung ihres Wertes liegt: zum Beispiel Liebe, Sympathie,
Freundschaft usw.
Au�erdem gibt es Leistungen, die nur bei freiwilliger,
intrinsischer Motivation, bei Identifizierung mit der Aufgabe gelingen. Dies
gilt für hoch qualifizierte T�tigkeiten k�nstlerischer, wissenschaftlicher oder
sportlicher Art. Wenn man etwas nur gezwungen tut, wird es h�ufig schlecht sein.
Jeder Zwang kann l�hmend wirken. (Dies sind Fragen der Motivationspsychologie.)
*X - 98*
Eine Verabredung besteht aus einer gemeinsamen Willenserkl�rung, wobei jeder
seinen Teil zu erf�llen verspricht. Wer eine Verabredung bzw. ein Versprechen
nicht einh�lt, der verst��t gegen seine eigene Willenserkl�rung. Wer jedoch mit
seinen eigenen Willenserkl�rungen nicht mehr ernst genommen wird, ist in einer
schlimmen Situation. Man denke an die Situation der unm�ndigen Geisteskranken.
*X - 99*
Die
Besserstellung des einen hat h�ufig indirekte Nachteile für den anderen, es ist
keine pure Missgunst. So benachteiligt mich die Besserstellung des andern immer
dann, wenn wir als Konkurrenten um den gr��eren Erfolg angesehen werden und das
ist in unserer Gesellschaft fast immer der Fall, da die soziale Rangfolge und
der Abstand im
Wohlergehen zu anderen selber zu Werten werden, auf die man stolz ist.
Da kann es keine
isolierte Besserstellung Einzelner geben. (Besonders in Kampfsituationen, wo die
St�rkung des Gegners immer die eigene Schw�chung bedeutet.)
*X - 100*
Wie ist es im
Krieg, vielleicht sogar im totalen Krieg? Gilt da weiterhin für jede Handlung
die Gesamtnutzenmaximierung, oder muss der Handlungsutilitarist hier Abstriche
machen? Wie ist das vereinbar mit dem Ziel, den Gegner zu besiegen? Etwa wenn
ein Soldat vor der Entscheidung steht, ob er einen Feind erschie�en soll oder
nicht. Irgendwie scheint es intuitiv so zu sein, dass der Handlungsutilitarist den
normativen Zusammenhang au�er acht lässt, in dem eine Handlung steht. Der
Handlungsutilitarist ber�cksichtigt nur faktische Zusammenh�nge und individuelle
Bewertungen. Aber kann man eine einzelne Handlung isoliert normativ beurteilen,
wenn doch die Handlung bereits in einem bestimmten normativen Gef�ge stattfindet?
Es
bestehen vielleicht Konsistenzstrukturen: wenn es falsch ist, das Versprechen zu
halten, dann war es wahrscheinlich auch schon falsch, das Versprechen zu geben.
Wenn es falsch ist, den Feind zu erschie�en, dann war es wohl auch schon falsch,
den Krieg zu beginnen. Wenn es falsch ist, den T�ter zu verurteilen, dann war es
wohl auch schon falsch, das betreffende Gesetz zu machen.
*X - 101*
Normative Entscheidungen,
die sich gewähnlich auf einen Konflikt von Eigeninteressen beziehen, sind in
Bezug auf die Erzielung eines Konsens immer schwierig und problematisch. Deshalb
sind generelle Normen so wichtig. Sie lassen den Streit der Interessen nicht
st�ndig aufs Neue entstehen.
*X - 102*
Ein übergang von der individuellen Norm zur
generellen Norm ergibt sich bereits aus der solidarischen
Interessenber�cksichtigung, die eine Beurteilung "ohne Ansehen der Person"
verlangt: was für den einen gilt, muss ceteris paribus auch für alle anderen
gelten.
*X - 103*
Das Gebot: "Die Kinder sollen sich auf dem Schulhof nicht
pr�geln!" mag sich nicht nur an die Kinder richten sondern mehr noch an die
Aufsicht f�hrenden Lehrer. Wer ist der Adressat der Norm? Den Lehrern wird damit
ja kein Handeln direkt vorgeschrieben. Gemeint ist jedoch, dass die Lehrer für
die Einhaltung dieser Norm durch die Kinder sorgen sollen. Insofern sind sie der
Adressat. Sie können dies Ziel jedoch unter anderem dadurch erreichen, dass sie
ihrerseits gegenüber den Kindern das Gebot aussprechen.
*X - 104*
Der direkte
Imperativ ist mehr als der Wille, dass etwas Bestimmtes geschehen soll. So kann
ich zwar sagen: "Die B�cher sollen so stehen bleiben!" Aber ich kann nicht
sagen:" B�cher, bleibt so stehen!" Der Imperativ setzt einen Adressaten voraus,
der die Sprache versteht. Befehlen kann man nur einem Wesen, das verstehen und
handeln kann, das den Befehl realisieren kann. Handeln kann nur ein Wesen, das
wollen kann. Oder ist das Knipsen des Lichtschalters für die Lampe der Befehl,
an und aus zu gehen, so wie die Handbewegung des Polizisten für mich der Befehl
ist, anzuhalten oder weiterzufahren? (Hierzu auch Waismann über Regeln.) Ist
der Imperativ dann die Aufforderung, nicht nur das Gesollte zu tun, sondern es
auch zu wollen? Kann ich denn überhaupt etwas tun, was ich nicht will?
*X - 105*
Zu
H�ffe: "Begriff des Strebens" und anderes habe ich gelesen. Er ist zwar mit den
modernen Diskussionen bestens vertraut, aber seine Kritik hat als Konsequenz nur
die R�ckkehr zu Kantischen und Vorkantischen Gedankeng�ngen. Typisch, dass für
ihn Kategorien wie "Verantwortlichkeit" im Mittelpunkt stehen und nicht
Kriterien für die G�ltigkeit von Normen. Er expliziert Begriffe und der übergang
zu normativen Behauptungen geschieht eher unmerklich, wird durch die entwickelte
Begrifflichkeit eher suggeriert als ausgef�hrt: Es entsteht ein Ideal der
Selbstbeherrschung, dass erstmal die vorhandenen individuellen Interessen
zur�cksetzt, ohne klarzumachen, wie der Inhalt des sittlichen Willens, der von
Interessen frei ist, bestimmt werden kann. Hier flie�t unter Umst�nden
Beliebiges oder genauer gesprochen Tradiertes und sowieso schon Herrschendes
ein. Eine Mixtur von semantischen Analysen, Definitionen und normativen
Behauptungen.
*X - 106*
für Austin sind mit Strafandrohungen verbundene Normen
"Befehle" (commands) Im Unterschied etwa zu "W�nschen", den Normen ohne
Strafandrohung.
*X - 107*
Die Auseinandersetzungen zwischen den Rechtspositivisten
und den Naturrechtlern beruhen zum Teil auf Unklarheiten im Begriff der
"Geltung": die Positivisten interpretieren "Geltung" im Sinne von "Existenz"
bzw. "in Kraft sein", w�hrend die Naturrechtler "Geltung" im Sinne von
"Verbindlichkeit" bzw. "G�ltigkeit" interpretieren. Kelsen betont den
Zwangscharakter des Rechts, Radbruch betont, dass Zwang ein "M�ssen" aber kein
"Sollen" oder "Gelten" begr�nden kann.
*X - 108*
Harts empirische Version der
Naturrechtslehre (in H�rster) geht von bestimmten anthropologischen Annahmen
aus, die auch für meine Zwecke brauchbar sind:
1. der Mensch ist verwundbar.
2. die Menschen sind ann�hernd gleich
3. der Altruismus des Menschen ist
begrenzt
4. die Menge der G�ter ist begrenzt
5. Einsichtsf�higkeit und
Willensst�rke des Menschen sind begrenzt
Vor allem die Punkte 3 und 5 sind
für das Problem der Realisierung (Erf�llung) von Normen von Bedeutung.
*X - 109*
Es
ist nicht unbedingt notwendig, allgemeine anthropologische Konstanten zu
postulieren in Bezug auf eigenn�tziges, sympathisches oder moralisches
Verhalten. Es gen�gt, bestimmte Annahmen über Motivation und Verhalten zu machen
und dann zu zeigen, dass diese Annahmen auf die Menschen, mit denen man es
gegenw�rtig und auf absehbare Zeit zu tun hat, zutreffen. Sollten die Menschen
zu Engeln werden, treffen diese Schlussfolgerungen nicht mehr zu. Man k�nnte
auch schon jetzt im Gedankenexperiment ein Normensystem für Engel (aber mit
menschlichen Bed�rfnissen) entwerfen.
Die Plausibilit�t der
Verhaltensannahmen k�nnte man empirisch-theoretisch aufzeigen. Wichtig ist, dass
diese Annahmen sehr allgemeiner Natur sein können.
*X - 110*
Wie kann willensm��ig
nicht direkt steuerbares menschliches Verhalten trotzdem normativ geregelt werden? Gibt es dafür
praktizierte Beispiele? Wohl nur durch indirekte Normierung, die zum Beispiel
die Sch�dlichkeit der Folgen mindert: zum Beispiel Anschnallpflicht in Autos,
der Tote-Mann-Knopf in Z�gen, Versicherungspflicht, Alkoholverbot, Pflichten für
Dritte (Aufsichtspflicht).
*X - 111*
Die Maximierungsregel lautet: "Handele so,
dass ein Gesamtnutzenmaximum entsteht!" Wenn alle Individuen danach handeln
wollen, setzt die Erzielung eines eindeutigen Resultats voraus, dass alle
Beteiligten von den gleichen Situationsbedingungen ausgehen, das gleiche
Repertoire an Handlungsalternativen für die Beteiligten ber�cksichtigen, die
gleichen Annahmen über Konsequenzen machen und die gleichen Bewertungen
vornehmen. Nur dann ergibt sich ein einheitliches Maximum, denn dieses ist immer
relativ zu einer Entscheidungssituation. (Abgrenzung typischer, isolierter
Situationen.)
*X - 112*
Wenn man Situationsbeschreibung und Bewertung
vereinheitlichen will, m�sste man darüber vorweg einen Konsens herstellen - mit
erheblichem Kommunikationsaufwand und bleibender M�glichkeit des Dissens. Dies
ist mit einem riesigen Aufwand verbunden und bei schnell sich �ndernden
Situationen aus Zeitmangel gar nicht durchf�hrbar. (für vollkommen informierte
Wesen g�be es diese Problematik nicht, sie wären sich über Situation und
Bewertung immer einig und w�rden sich nie irren).
*X - 113*
In dieser Situation
m�ssen Normen für ganze Klassen von Situationen geschaffen werden, die vorweg
definiert und normiert werden können. Allerdings geschieht diese Normierung
immer unter Vernachl�ssigung der "Umgebung" der Situation. Daraus ergibt sich
die M�glichkeit, dass zwei normierte Situationsmodelle gleichzeitig auf dieselbe
Situation zutreffen und zu widersprüchlichen Handlungsvorschriften f�hren.(
Beispiel?)
*X - 114*
Normierung ist nur eine M�glichkeit der Verhaltenslenkung: Sie
bezieht sich auf Handlungsspielr�ume, wendet sich an den Willen, innerhalb des
Spielraums bestimmte Varianten zu realisieren. Man kann Menschen natürlich auch
durch Appell an ihren Willen in ihrem Verhalten lenken, zum Beispiel durch
Gestaltung der Handlungsbedingungen. Wenn ich jemandem sage: "Verlass das Zimmer
nicht, bis ich zur�ckkomme!" appelliere ich an seinen Willen. Er hat einen
Handlungsspielraum, der unter anderem die Alternativen enth�lt:
1. im Zimmer
bleiben; 2. das Zimmer verlassen. Ich appelliere an ihn, die Variante 1 zu
w�hlen.
Wenn ich ihn einschlie�e, so dass er das Zimmer nicht verlassen
kann, so erreiche ich dasselbe Verhalten, aber ohne die Aufstellung von Normen".
Wenn ich ihn
sanktioniere und ihm erw�nschte bzw. unerw�nschte Folgen für ein bestimmtes
Handeln androhe, so ver�ndere ich die Handlungsbedingungen und damit die
Interessenlage der Adressaten. Ich lenke dadurch sein Verhalten in die von mir
erw�nschte Richtung. (Insofern ist alles Normierung: Appell, Zwang und
Sanktionierung. Es sind Mittel, um das geforderte Verhalten zu erreichen, auch
wenn dies "sollen" nicht als verbaler Appell an das betreffende Individuum
adressiert ist.)
*X - 115*
Bei den Parkregelungen für PKWs geht man angesichts der
mangelnden Effektivit�t von Sanktionen immer mehr zu Verfahren der Verhinderung
über: Um das Parken auf Gehwegen und Mittelstreifen zu verhindern, werden Pf�hle
eingeschlagen und Steinmauern gezogen. Verbote und Geldstrafen reichen nicht
aus.
*X - 116*
Wenn es falsch war, ein Versprechen zu geben, so hat der
Versprechende selber diesen Fehler gemacht. Er kann die Nichteinhaltung des
Versprechens schlecht mit dem Hinweis auf sein Eigeninteresse rechtfertigen.
"Ich habe mein eigenes Interesse damals nicht richtig gesehen �" Das ist nur das
allbekannte Risiko der M�ndigkeit. Die Sanktionierung von Fehlern wirkt
erzieherisch.
*X - 117*
Der Handlungsutilitarismus atomisiert die normativen
Entscheidungen. So werden die Fragen: "Soll ein bestimmtes Versprechen gegeben
werden?" und "Soll ein bestimmtes Versprechen eingehalten werden?" v�llig
unabh�ngig voneinander behandelt (abgesehen von empirischen Interdependenzen).
*X - 118*
Warum sind die normativen Faustregeln verbindlich selbst in Einzelf�llen, wo
eine genaue Kalkulation m�glich wäre? Unter anderm aus Gr�nden der
Rechtssicherheit: Es kann nicht in Bezug auf einen Einzelfall pl�tzlich das
Verfahren ge�ndert werden, wenn dies nicht von vornherein vorgesehen war. Das
ist eventuell auch eine Frage der Fairness, denn bei andern F�llen h�tte die
genaue Kalkulation vielleicht ebenfalls zu anderen Entscheidungen (im Interesse
anderer Indiviuen) gef�hrt.
*X - 119*
Aus der Norm: "Alle Individuen sollen x tun!" folgt nicht umstandslos die
Norm:" Individuum A soll x tun!". Ein Beispiel: Abr�stung. Aus der Richtigkeit
der Norm: "Alle Staaten sollen abr�sten!" folgt noch nicht die Norm: "Staat A
soll abr�sten!" Das Wort "alle" hat hier die Bedeutung "alle und nur alle". Wenn
nur ein Staat abr�stet, kann das sogar schlecht sein im Sinne schlechter Folgen. Dies ist ein weiteres Beispiel
für Schwelleneffekte.
*X - 120*
Zur Sprache: "Kampfmoral", "Demoralisierung"
beziehen sich auf Motive und Einstellungen, die gepflegt werden m�ssen, auf
Motive, die verloren gehen können.
*X - 121*
Gerade weil der Streit um das
Gesamtnutzenmaximum nicht definitiv beendet werden kann, � ähnlich wie der
Streit um positive Wahrheit � bedarf es einer anderweitigen verbindlichen
Entscheidung, wenn man zu einem einheitlichen Willen kommen will.
Im Bereich
des Diskurses, der Argumentation, geht es um G�ltigkeit von Normen bzw.
Aussagen. Insofern der Streit um G�ltigkeit im Diskurs nicht definitiv
entschieden werden kann, bedarf es einer definitiven Entscheidung, d.h. es muss
verbindliche Normen geben � wobei der argumentative Streit über G�ltigkeit
daneben
weitergehen kann.
In dieser Situation kann man sich nicht der Verbindlichkeit
der gesetzten Norm entziehen, indem man argumentiert, diese Norm sei nicht nutzenmaximal.
Diese Argumentation kann sich erstmal nur auf das Kriterium der G�ltigkeit,
nicht aber das der Verbindlichkeit beziehen. Verbindlich ist ja das, was durch
das autorisierte Organ festgelegt wurde. (Es bedarf wohl eines
besonderen Organs, um Eindeutigkeit herzustellen.)
*X - 122*
Die Ebenen der
G�ltigkeit und der Verbindlichkeit stehen dabei nicht v�llig beziehungslos nebeneinander. Ziel
muss es sein, diejenigen Normen verbindlich zu machen, die G�ltigkeit
beanspruchen können. D.h. es gen�gt nicht, dass irgendeine Norm für verbindlich
erkl�rt wird, sondern es soll m�glichst die g�ltige Norm verbindlich gemacht
werden.
Damit wird deutlich, dass die Fragen: "Welche Norm ist g�ltig?" und
"Nach welcher Norm soll ich handeln?" auf verschiedenen Ebenen liegen. Die
G�ltigkeitsfrage liegt auf der Diskursebene, die Verbindlichkeitsfrage auf der
Handlungsebene (über die allerdings ebenfalls ein Diskurs gef�hrt werden kann.)
*X - 123*
Die Setzung von verbindlichen Normen verlangt von mir, dass ich zwar
nicht meine Vorstellungen von den g�ltigen Normen aufgebe, aber dass ich diese
überzeugungen zur�ckstelle, was mein eigenes Handeln betrifft. "Verbindlichkeit"
von Normen für alle bedeutet Herstellung des sozialen Friedens.Damit vermeidet
man den
ungeregelten Kampf um die Durchsetzung verschiedener normativer überzeugungen. (Dagegen bedeutet "G�ltigkeit" Herstellung des
sozialen Friedens, insofern der Kampf zur Durchsetzung unterschiedlicher
Interessen ausgeschlossen wird. Beides sind verschiedene Ebenen.)
*X - 124*
Ein einheitlicher sozialer
Wille besitzt keinen unendlich gro�er Wert. Wenn der Gesamtnutzen der verbindlichen Norm sehr weit unterhalb
des erzielbaren Gesamtnutzens für die g�ltigen Norm liegt, so kann diese
Nutzeneinbu�e es rechtfertigen, die Vorteile einer einheitlichen Normierung zu
opfern und die verbindliche Norm nicht zu befolgen. Eine Entscheidung darüber
verlangt also nicht nur eine Argumentation im Bezug auf G�ltigkeit, sondern auch
ein Abw�gen der Nachteile, die durch die Befolgung einer "schlechten" aber
verbindlichen Normen entstehen, mit den Nachteilen, die durch die Aufk�ndigung
der Verbindlichkeit dieser Norm entstehen.
*X - 125*
Bei der Aufk�ndigung der
Verbindlichkeit einer Norm wäre abzugrenzen, wie weit die Aufk�ndigung geht:
erstreckt sie sich nur auf diese bestimmte Norm oder auch auf die Instanz bzw.
die Prozedur, die diese Verbindlichkeit gesetzt hat, oder erstreckt sie sich auf
das ganze System der Setzung von Verbindlichkeiten (die Verfassung)?
*X - 126*
Wenn
G�ltigkeit nicht nur Konsensf�higkeit sondern einen faktischen Konsens erfordern
w�rde, w�rden G�ltigkeit und Verbindlichhkeit zusammenfallen.
*X - 127*
Oft ist der
Konsens allein schon aus Zeitmangel nicht herstellbar: Man erkennt die
Entscheidung eines F�hrers als verbindlich an (Hierarchie), weil die Zeit zum
Ausdiskutieren im Kollektiv nicht vorhanden ist und schnelle Entschl�sse
erforderlich sind. D.h. noch nicht, dass man die Entscheidungen des Vorgesetzten auch
für richtig h�lt. Man kann ohne weiteres sagen: "Ich halte diese Entscheidung
zwar für falsch, aber ich erkenne sie trotzdem als verbindlich für mich an".
*X - 128*
Die Notwendigkeit verbindlicher Normen ergibt sich als Schlussfolgerung
aus der Konsensproblematik. Das bedeutet jedoch nicht, dass jede existierende
Norm (faktisch durchgesetzte Norm) Verbindlichkeit beanspruchen kann. Der
übergang von der G�ltigkeitsebene zur Verbindlichkeitsebene muss selber
argumentativ konsensf�hig sein. Dass irgendeine Norm verbindlich sein soll,
hei�t nicht, dass jede beliebige Norm verbindlich gemacht werden kann. Ziel
bleibt es, Normen durchzusetzen, die m�glichst auch G�ltigkeit beanspruchen
können.
*X - 129*
Es muss durch die Prozedur für alle Individuen intersubjektiv
m�glichst eindeutig eine bestimmte Norm als verbindlich ausgezeichnet werden. Es
muss eine Instanz geben, die definitiv die verbindliche Norm festlegt. Diese
Instanz kann ein einzelnes Individuum sein, oder ein Gremium von Individuen, im
Prinzip k�nnte es auch irgend ein anderer Selektionsmechanismus sein, zum
Beispiel ein Zufallsmechanismus, der unter den verschiedenen für g�ltig
gehaltenen Normen ausw�hlt. Auf jeden Fall muss eine m�glichst eindeutige
Selektion zustandekommen.
*X - 130*
Aber abgesehen von der Forderung nach
intersubjektiver Eindeutigkeit kommt alles natürlich auf die Inhalte der so
ausgew�hlten Norm an. Die Prozedur zur Bestimmung verbindlicher Normen muss
nicht nur zu eindeutigen Ergebnissen f�hren, es m�ssen auch m�glichst g�ltige
Ergebnisse zustandekommen. D.h. Prozeduren, die zu besseren normativen
Ergebnissen f�hren, sind vorzuziehen. Wie lassen sich normsetzenden Prozeduren
diskutieren? Welche Kriterien sind anzulegen?
Normsetzende Prozeduren
wären vor allem zu messen an den Ergebnissen, die sie hervorbringen. Die Frage
lautet: F�hrt die Prozedur zu Normen, die in der Regel G�ltigkeit beanspruchen
können, die also in einem Diskurs konsensf�hig sind? (Zu ber�cksichtigen sind
auch Entscheidungskosten, Zeitbedarf etc.)
Eine solche Prozedur ist nicht nur eine
gedankliche Operation, sondern auch eine soziale Realit�t. T�glich spielen bei
ihrem T�tigwerden verschiedenste empirische Faktoren mit. Das erschwert die Beurteilung.
*X - 131*
Man kann einmal ein theoretisches Modell der Prozedur entwerfen, bei dem
man bestimmte Annahmen über ihr Funktionieren macht. (Siehe mein Modell der
Abstimmung). Man kann dann dies theoretische Modell anhand der logisch zu
erwartenden Resultate messen bzw. beurteilen. Allerdings kann es sein, dass �
wenn man dies theoretische Modell realisieren will � die Annahmen nicht
zutreffen und dass sich die Beteiligten anders verhalten als im Modell
angenommen. Dann muss man die tats�chlich entstandenen Resultate auf ihre
argumentative Konsensf�higkeit überpr�fen.
*X - 132*
Es gibt also zwei Ebenen der
Kritik an normsetzenden Prozeduren: einmal die Kritik an Konstruktionsfehlern,
die theoretisch keine g�ltigen Ergebnisse erwarten lassen, und zum andern die
inhaltliche Kritik an den tats�chlichen Ergebnissen.
*X - 133*
Ich habe M�rkte und
Wahlen in der Methodologie vor allem unter dem Gesichtspunkt der
Verfahrensvereinfachung diskutiert. Aber sie unterscheiden sich auch dadurch vom
Diskurs, dass Sie ein definitives Resultat haben und insofern geeignet sind zur
Setzung verbindlicher Normen. Ein weiterer Gesichtspunkt für die Bewertung
normsetzenden Prozeduren sind die Kosten der Prozeduren, also der Aufwand, den
sie erfordern.
*X - 134*
Die Prozeduren der Normsetzung können sich sehr stark in dem Ausma�
unterscheiden, indem sie selber verfahrensm��ig normiert sind: Vom W�rfeln bis
zur politisch argumentierenden �ffentlichkeit.
*X - 135*
Wenn Entscheidungsprozeduren eingef�hrt
werden, um bei normativen Fragen zu einem eindeutigen Resultat zu kommen (bei
prinzipiell offenem Streit um G�ltigkeit), so kann man nicht einerseits die
Entscheidungsprozedur akzeptieren und andererseits das Ergebnis mit
G�ltigkeitsargumenten als nicht verbindlich anerkennen. Man muss auf dieser
Ebene dann auch prozedural argumentieren. Vielleicht lässt sich so das Problem
aufl�sen, das Handlungsutilitaristen haben, wenn sie begr�nden sollen,
dass man gegebene Versprechen einhalten soll.
Versprechen (und Vertr�ge
als wechselseitige Versprechen) kann man als Normsetzungsprozeduren betrachten,
als Diskursersatz. Wenn man ein Versprechen gibt, so erkennt man die Prozedur
zumindest implizit als verbindlich an. Man kann dann nicht mit
G�ltigkeitsargumenten gegen das Ergebnis - die gesetze Norm - angehen.
*X - 136*
Versprechen oder andere Verpflichtungen in Bezug auf konkretes zuk�nftiges
Handeln erm�glichen begr�ndete Erwartungen über zuk�nftige Abl�ufe und damit
erfolgreicheres Handeln für die Beteiligten. Maximen der Nutzenmaximierung
können im Prinzip ähnlich strukturierend wirken � allerdings immer durch den
m�glichen Dissens darüber gest�rt, welche Handlung denn nun die
maximierende ist.
*X - 137*'
Man kann nicht einerseits an Mehrheitsabstimmungen
teilnehmen und diese als verbindliche Normsetzungsprozedur anerkennen (also auch
als Diskursersatz) und andererseits das Abstimmungsergebnis mit
G�ltigkeitsargumenten als für sich nicht verbindlich ablehnen.
*X - 138*
Man kann
nicht alle Handlungsvorschriften unter der Maxime "Nutzenmaximierung" betrachten.
Ein Beispiel sind die methodologischen Diskursregeln selber. Man verlangt zum
Beispiel nicht deshalb Verst�ndlichkeit der Argumentation, weil dies
nutzenmaximierend ist, sondern weil sonst kein Konsens m�glich ist. Hier m�ssen
verschiedene Ebenen von Regeln und Kriterien unterschieden werden. klären, wie
diese verschiedenen Ebenen zusammenh�ngen, zum Beispiel Wahrheitssuche und
Nutzenmaximierung. Beides f�llt nicht zusammen (dazu die Kritik am
Pragmatismus).
*X - 139*
Ganz deutlich wird die Differenz zwischen G�ltigkeit und
Verbindlichkeit bei der Prozedur der freiwilligen Gerichtsbarkeit: man überlässt
einem unparteiischen Dritten die Entscheidung und akzeptiert dessen Entscheidung
als verbindlich, gleichg�ltig wie diese ausf�llt. Das braucht einen nicht daran
zu hindern, diese Entscheidung inhaltlich zu kritisieren.
*X - 140*
Da die
Differenz zwischen G�ltigkeit und Verbindlichkeit existiert, sind gewähnlich in
die Prozeduren selber Sicherungen eingebaut: zum Beispiel
Revisions-, Einspruchs-, Beschwerde-, Klagem�glichkeiten. Man kann
den "Rechtsweg" einschlagen".
"Rechtssicherheit" muss man wahrscheinlich in
verschiedene Elemente zerlegen:
1.) die Eindeutigkeit einer definitiven
Entscheidung � jenseits des Streits der normativen überzeugungen. Sie wird durch
Setzung von Normen durch autorisierte Instanzen gem�� festgelegten Prozeduren
erreicht. Dies k�nnte jedoch im Prinzip auch durch willk�rliche, singul�re,
wechselnde Setzungen eines Diktators, eines Orakels oder eines
Zufallsmechanismus erreicht werden: im Prinzip k�nnte jeder Streit entschieden
werden.
2.) Aber das wäre noch nicht "Rechtssicherheit". Damit ist
gewähnlich auch gemeint, dass man sicher ist vor ungewollten Normübertretungen
und Sanktionen. D.h. dass es einem also m�glich sein muss, im Voraus zu wissen,
ob eine bestimmte Handlung eine Norm verletzt oder nicht. Dazu muss diese Norm
im Voraus bekannt sein und hinreichend eindeutig formuliert sein. Hieraus ergibt
sich das Verbot r�ckwirkender Gesetze. Genau genommen handelt es sich hier um
Fragen der Strafnormen: Wann soll wer bestraft werden?
3.) Ein weiterer Aspekt
der Rechtssicherheit ist eventuell die Absicherung von Erwartungen hinsichtlich
des Verhaltens anderer. Wenn Normen dauerhaft und stetig gelten und weitgehend
durchgesetzt werden, kann ich in meinen eigenen Planungen mit bestimmten
Verhaltensweisen anderer rechnen. Dies ist die Ordnungs- und
Koordinierungsfunktion des Rechts. Durch h�ufigen und unvorhersehbaren
Normwechsel werden meine Pl�ne durchkreuzt, ihnen wird der Boden entzogen.
Deshalb sind übergangsregelungen und Vertrauensschutz notwendig, wenn
l�ngerfristige Planungen m�glich sein sollen. (Bei Radbruch findet sich,
dass der Inhalt vom "Wollen" ein "Sollen" ist. Zum Beispiel Rechtsphilosophie S.
216. Dort finden sich Parallelen zu meiner Ansicht).
*X - 140*
Ich habe
"G�ltigkeit" als "allgemeine argumentative Konsensf�higkeit" bestimmt. Kurz
gesprochen ist G�ltigkeit im Diskurs zu erweisen. Insofern der Diskurs jedoch
prinzipiell nicht abgeschlossen ist, ergibt er keine definitiven Resultate.
Selbst wenn sich ein faktischer Konsens bei den an der Diskussion Beteiligten
herstellt, ist dieser Konsens doch prinzipiell gef�hrdet, denn er kann jederzeit
� durch neu hinzukommende Individuen und Argumente � wieder aufgebrochen werden.
Der Diskurs kann also kein definitives Resultat garantieren, er kann den Streit
der überzeugungen nicht definitiv beenden.
*X - 141*
Man kann nun auf einer h�heren
Ebene nach den M�glichkeiten und Grenzen des Diskurses bzw. der Wissenschaft
fragen und feststellen, dass der auf G�ltigkeit bezogene Diskurs den Streit
unterschiedlicher überzeugungen nicht ausschlie�en kann und den neuen Diskurs
darüber �ffnen, welche normativen Regelungen für den Streit der überzeugungen
gelten sollen. Das bedeutet nicht, dass damit das G�ltigkeitsproblem agnostisch oder
relativistisch ad acta gelegt werden muss: Der Diskurs kann ohne weiteres
weitergef�hrt werden und soll sogar weitergef�hrt werden, sofern man die
G�ltigkeit von Behauptungen anstrebt. Und man wird weiterhin daran festhalten,
dass m�glichst g�ltige Normen realisiert werden. Doch angesichts des faktischen
Streits um G�ltigkeit reicht dies nicht aus, um ein koordiniertes kollektives
Handeln anzuleiten.
*X - 142*
Im Diskurs können verschiedene überzeugungen problemlos
nebeneinander bestehen - eben als Gedanken, die h�chstens logisch im Konflikt
liegen. "Doch hart im Raume sto�en sich die Dinge" (Schiller?). Zum Beispiel,
wenn diese verschiedenen überzeugungen in Handeln umgesetzt werden sollen. Der
Diskurs kann also den Streit, den Kampf und letztlich auch den Krieg nicht ausschlie�en.
*X - 143*
In dieser
Situation kann man nun verschieden reagieren. Man kann es zum Beispiel beim
Streit der überzeugungen um die Realisierung belassen, was im Endeffekt wohl
hei�en w�rde, dass die st�rkeren Bataillonen siegen werden. Man kann jedoch auch
trotz des fortdauernden Streits um G�ltigkeit zu gemeinsamen Regelungen kommen
und damit die gewaltsame Auseinandersetzung ausschlie�en. Dazu muss man
bestimmte Normen � unbeschadet ihrer G�ltigkeit oder Ung�ltigkeit � als
verbindlich setzen und sich zu ihrer Befolgung verpflichten. d.h. jedoch
nicht, dass eine beliebige Regelung gew�hlt werden sollte, denn es kann der
normative Diskurs darüber gef�hrt werden, welche Norm als verbindlich gesetzt
werden sollte. Dies wäre eine Neuauflage des Diskurses darüber, welche Norm
G�ltigkeit beanspruchen kann, wenn man bei der inhaltlichen Diskussion der
betreffenden Normen verbleibt. Der Streit der überzeugungen kann jedoch nur
beendet werden, wenn ein Verfahren gew�hlt wird, das zu einem definitiven
Resultat f�hrt, dem dann Verbindlichkeit zugesprochen werden kann. Damit
verlagert sich der Gegenstand des Diskurses von der jeweiligen Norm und ihrer
inhaltlichen "materialen" Beschaffenheit auf die Beschaffenheit der Verfahren,
die zu den verbindlichen Normen f�hren, also auf formale, prozedurale Fragen.
*X - 144*
Man hat also verschiedene normsetzende Verfahren danach zu beurteilen, inwiefern sie zu inhaltlichen Normen f�hren, die m�glichst G�ltigkeit für
sich beanspruchen können. Auch dies ist wieder ein Diskurs, der kein definitives
Ergebnis garantieren kann, so dass es normsetzender Prozeduren der zweiten Stufe (mit
Verbindlichkeit der Resultate) bedarf. über diese kann wieder der Diskurs
gef�hrt werden usw. und so fort bis hin zur Verfassung bzw. Grundnorm, die selber
die Prozeduren und Grenzen ihrer eigenen Ab�nderung enth�lt, ohne dass die Wahl
dieser Prozeduren noch einmal prozedural verbindlich gemacht werden k�nnte: Hier
kann es nur noch Diskurs geben, ohne dass ein definitives Resultat gegenüber
der bestehenden Verfassungsnorm prozedural gewonnen werden k�nnte. Es entsteht
hier also ein System von stufenweise sich auseinander ableitenden
Verbindlichkeiten. Allerdings beruhen diese Verbindlichkeiten auf der
gesicherten G�ltigkeit der obersten Verfassungsnormen. Und diese kann nur
diskursiv ermittelt werden.
*X - 145*
Damit scheint die G�ltigkeitsfrage durch ein System von
Verbindlichkeiten eliminiert zu sein, jedoch tritt sie unabh�ngig von der
Begr�ndung der obersten verbindlichen Prozeduren der Verfassungserzeugung und
-ab�nderung � immer wieder auf allen Ebenen in Aktion als die
G�ltigkeitsüberzeugungen der an den Normsetzungsprozeduren beteiligten
Individuen. Das wird natürlich Auswirkungen auf die Resultate der Prozeduren
haben und h�ufig � allerdings nicht immer (s. invisible hand etc.) � werden die
beteiligten Individuen eine moralische Verpflichtung haben, g�ltigen Normen zur
Verbindlichkeit zu verhelfen.
*X - 146*
Die Kontroverse:
Handlungsutilitarismus versus Regelutilitarismus erscheint falsch gestellt: Eher
geht es um Verbindlichkeit (normsetzende Prozeduren) versus G�ltigkeit
(inhaltliche Normen).
*X - 147*
Raz hebt hervor, dass es Normen mit bewusster
Ausschaltung weiterer Argumente gibt: Zeit und Arbeit sparende Regeln,
autoritative Regeln. Er hebt die Analogie zu "Entscheidungen" hervor, die
ebenfalls Schlusspunkte der Argumentation darstellen. Irgendwann muss der
Prozess der überlegung einmal zu einem definitiven Ende gebracht werden � obwohl
man auch individuellen Entscheidungen endlos problematisieren kann.
*X - 148
*"Geltungsmodalit�ten" von Normen unterscheiden: Existenz, G�ltigkeit,
Verbindlichkeit et cetera.
*X - 149*
Nicht nur die prinzipielle Offenheit des
Diskurses, auch hohe Informations- und Entscheidungskosten können
Normsetzungsverfahren rechtfertigen, die die Anerkennung der Verbindlichkeit
ihrer Entscheidungen
verlangen auch ohne ihre Anerkennung als g�ltig.
*X - 150*
Normsetzungsverfahren
werden gewähnlich nicht für einzelne Entscheidungen geschaffen und benutzt,
sondern für ganze Klassen von Entscheidungen. Wodurch ist das gerechtfertigt? Im
Prinzip wären ja auch st�ndig neue Verfahren m�glich. Gr�nde hierfür sind
Kostengr�nde (man spart die immer neue Diskussion), Motivationsgr�nde (man l�st
die Entscheidung über das Verfahren vom Einzelfall mit seiner meist eindeutigen
Interessenlage), Koordinationsgr�nde (man stabilisiert die Zukunftserwartungen
aller Beteiligten).
*X - 151*
Grundsatz beim Milit�r: "über Befehle wird nicht
diskutiert!" Dort ist das begr�ndbar mit der gro�en Bedeutung, die
einem koordinierten Handeln (der verschiedenen Truppenteile) im Krieg zukommt.
Auf die Ausf�hrung der Befehle muss unbedingt Verlass sein. Dies darf nicht dem
Urteil verschiedener Individuen überlassen bleiben. Au�erdem fehlt es im Kampf
an Zeit zum Ausdiskutieren von Argumenten.
*X - 152*
Der Schiedsrichter beim
Fu�ballspiel ist ein gutes Beispiel für die Notwendigkeit verbindlicher Normen
unbeschadet ihrer G�ltigkeit. Ohne eine Instanz, die befugt ist, verbindliche
Normen zu setzen, w�rde unter Umst�nden mehr diskutiert als gespielt. (Die
wahrscheinlichen Verlierer k�nnten auch in die Diskussion fl�chten.) Allerdings
kann im Fu�ball ein Verein nachtr�glich Beschwerde gegen Entscheidungen des
Schiedsrichters f�hren.
*X - 153*
Raz unterscheidet nicht zwischen G�ltigkeit und
Verbindlichkeit, sondern zwischen verschiedenen Begr�ndungsebenen:
"A
norm is valid, if, and only if, it ought to be followed (S.73). A norm is valid
if, and only if, the norm subjects are justified in guiding their behaviour by
it whenever it applies (80). By talking of the validity of norms we isolate one
problem of justification: should the norm subjects guide their behaviour by the
norm? (81). The rule (to drive on the left side E.W.) is valid, namely ? people
ought to be guided by it, only if it is practised (81). These cases bring out
the importance of clearly distiguishing between the question of validity
and other problems of justification. In particular it shows the difference
between there being reasons for having a rule and there being a valid rule." (82)
Hier wird deutlich, dass Raz die Fragestellungen deutlich unterscheidet:
"Soll Norm x eingef�hrt werden?" und
"Soll entsprechend Norm x gehandelt
werden?"
*X - 154*
für die letztere Frage ("Soll entsprechend der Norm x gehandelt
werden?" E.W.) reserviert Raz den Begriff der "validity". Wenn eine Norm g�ltig
(valid) ist, soll sie befolgt werden. Die Frage ist, ob diese Terminologie
sinnvoll ist, denn Raz sagt selber, dass es manchmal hinreichende Gr�nde gibt,
um Normen zu befolgen, die auf Irrt�mern beruhen (zum Beispiel
Gerichtsentscheidungen).
*X - 155*
Im Deutschen kann man sprachlich noch zwischen
"Geltung" und "G�ltigkeit" unterscheiden. Die "validity" von Raz wäre eher "Geltung"
als "G�ltigkeit". Raz unterscheidet weiter: "A norm is valid if its norm
subjects ought ro endorse and follw it. A normative system is valid, if its
norms are valid ... A norm has systemic validity, if it is valid on grounds
which depend on its belonging to a certain system. A normative system is
systemically valid if, and only if, all its norms are systemically valid
relative to that system, i.e. if they are valid because, among other things,
they belong to that system. I am using 'valid' in a different sense from that of
'legally' valid: A norm is legally valid if and only if, it belongs to some
legal system. A norm may be legally valid without being systemically valid.
It may belong to a legal system but its norm subjects may not be justified
in following it." (127-28) Hier wird die Sache noch komplizierter. "Validity"
wird jetzt bezogen auf verschiedene Gesichtspunkte, z.B. "legally valid", also
"(g�ltig) geltend nach bestehendem (praktiziertem) Recht", zu unterscheiden etwa
von "morally valid".
*X - 156*
Bevor ich mich terminologisch festlege, muss ich
nochmal genauer den deutschen Sprachgebrauch untersuchen. "Geltung" und "G�ltigkeit"
werden h�ufig synonym gebraucht.(etwas ist g�ltig= etwas gilt / ein geltender
Fahrschein = ein g�ltiger Fahrschein ) Sie haben ja auch die gleiche Wurzel.
Geltung wird vielleicht eher durch konkrete menschliche Setzung erzeugt
als G�ltigkeit.
*X - 157*
Geltung kann durch Setzung erzeugt und vernichtet
werden:
"Ab 1. Januar gelten die neuen Fahrscheine." "Gelten" ist hier
soviel wie "in Kraft gesetzt sein". Gelten wird ganz unabh�ngig von Wahrheit,
Berechtigung oder Rechtfertigung gebraucht. Ich kann zum Beispiel einen
Erpresser, der mir per Brief eine Frist zur Bezahlung bis Freitag gesetzt hat
und der mir per Telefon eine Frist bis Sonnabend gesetzt hat, fragen: "Welche
Frist soll nun gelten? "soll gelten" hier in dem Sinne von "soll als dein Wille
gelten".
*X - 158*
Die Frage der Geltung kann wichtig sein, wenn ich mich darauf
berufen will, etwa: "Ich habe ihnen doch die verlangte Summe fristgerecht
bezahlt." Au�erdem muss ich wissen, welche Forderung gilt, wenn ich davon
ausgehe, dass der Erpresser seine Drohung wahr macht. "Geltung" bezieht sich
immer auf einen Willen, ist also relativ. Deshalb können bei unterschiedlichen
Willenstr�gern auch widersprüchliche Normen gelten. In einem
besetzten Land kann das Gebot der Besatzungsmacht gelten, die gesamte Getreideernte
an sie abzuliefern, und gleichzeitig das Gebot der Untergrundarmee, kein
Getreide an die Besatzungstruppen abzuliefern. Geltung von Normen gibt es nur
relativ zu einem Willenstr�ger bzw. einer normsetzenden Instanz. Ich kann
fragen: Was gilt als Wille dieser oder jener Instanz?, ohne deshalb schon die
Frage stellen zu m�ssen, ob ich diesem Willen Folge leisten will oder soll.
*X - 159*
Die Frage, ob eine geltende Norm für mich verbindlich ist, h�ngt davon
ab, ob die betreffende Instanz berechtigt ist, diese Norm zu setzen. Nun
kann eine Instanz ihre Berechtigung zur Setzung dieser Norm unter Umst�nden
dadurch nachweisen, dass es diese Berechtigung von einer anderen Instanz
herleitet: Diese übergeordnete Instanz hat ihr das Recht zugesprochen, diese
Norm zu setzen. Die Frage ist dann, ob diese dazu berechtigt war. Irgendwo muss
diese Kette einmal zu Ende sein, muss sich die Frage stellen, ob man die oberste
Instanz, von der die Berechtigung hergeleitet wird, als berechtigt anerkennt.
Wie kann eine solche Berechtigung begr�ndet werden?
*X - 160*
Jeder Befehl
ist kategorisch insofern er Verbindlichkeit beansprucht: "Geh über die Stra�e!"
In der Sprache von Raz: Normen sind "exclusionary reasons" zum Handeln. Sie sind
ein Grund, andere Gr�nde nicht zu ber�cksichtigen. Man kann nicht sagen: "Geh
über die Stra�e, es sei denn, Du willst lieber hier bleiben." Das wäre kein
Befehl sondern h�chstens ein "Rat" oder ein "Wunsch". Etwas anderes ist es, ob
dieser Anspruch auf Verbindlichkeit auch begr�ndet werden kann gegenüber
jemandem, der sagt: "Du hast mir gar nichts zu befehlen!" oder: "Deine Befehle
sind für mich nicht verbindlich!"
Oder ist der Anspruch eines Befehls nur
Befolgung (Gehorsam) und sollte man Verbindlichkeit nur solche Normen
zusprechen, die einen berechtigten Anspruch auf Gehorsam besitzen? Ein Anspruch
auf Verbindlichkeit wird dann nicht nur ein Anspruch auf Befolgung sondern die
Behauptung eines berechtigten Anspruchs auf Gehorsam. Rechtssysteme kommen im
Prinzip ohne den Anspruch auf Verbindlichkeit aus. Man denke etwa an die
Anordnungen, die von Kommandeuren der Besatzungstruppen in besetzten Gebieten
erlassen werden oder an Besatzungsrecht allgemein. Hier ist klar, dass es sich
um GewaltVerhältnisse handelt (Oder gibt es v�lkerrechtlich ein Recht der
Siegerstaaten, nach der Kapitulation eines Staates an dessen Stelle Recht zu
setzen?)
*X - 161*
Wenn man die Einhaltung von Normen davon abh�ngig macht,
ob sie g�ltig sind (dem Gesamtinteresse entsprechen), so k�nnte ja jeder kommen
und behaupten: "In diesem oder jenem Fall ist ein Bruch der Norm im
Gesamtinteresse". Deshalb kann es auch in den F�llen, wo dies vielleicht
einleuchtend (konsens) wäre, nicht zugegeben werden. Sonst w�rde die Norm
auch in weniger einleuchtenden F�llen problematisiert.
*X - 162*
Man k�nnte auch
generelle Normen flexibel machen, ohne das Ziel eindeutiger Verbindlichkeit
aufzugeben, wenn man eine Instanz schafft, die über Ausnahmen verbindlich
entscheidet. Diese Konstruktion ist wohl im Verwaltungsrecht �blich. Aber man
k�nnte natürlich die Norm auch gleich so formulieren, dass die F�lle, die
durch die Instanz ausgenommen werden, von vornherein nicht unter die Norm
fallen. Man m�sste dazu die Entscheidungsgrunds�tze der Instanz in die Norm
hinein nehmen.
*X - 163*
Mit der Ebene der Verbindlichkeit kommt unter
Umst�nden ein stark konservatives Element in die Theorie und eine Aufwertung
beliebigen positiven Rechts. Deshalb muss die Beziehung zwischen G�ltigkeit und
Verbindlichkeit besonders sorgf�ltig herausgearbeitet werden.
*X - 164*
In der
Rechtstheorie wird der Frage nach der Existenz eines Rechtssystems gro�e
Bedeutung beigemessen. Aber letztlich ist es keine Existenzfrage, ob eine
bestimmte Rechtsnorm verbindlich ist, sondern es bedarf der normativen
Anerkennung des Systems bzw. seines Tr�gers. In der Doppelherrschaft einer
revolution�ren Situation zum Beispiel wird ganz deutlich, dass es sich nur um
eine normative Frage handelt, ob eine bestimmte Rechtsnorm angewandt werden soll
oder nicht. Insofern eine solche Doppelherrschaft jedoch empirisch eine
instabile Situation ist, existiert in der Regel eine dominierende
Rechtsordnung, und es ist klar, dass man - wenn überhaupt eine - nur diese
anwenden kann.
*X - 165*
Ein Normensystem (System inhaltlicher Normen) kann
keinesfalls vollst�ndige Verbindlichkeit erzeugen, denn es gibt ja die
M�glichkeit des Streits um die Auslegung und Anwendung. Deshalb m�ssen Instanzen
existieren, die alle auftretenden Streitfragen verbindlich entscheiden können.
Solche Verbindlichkeit impliziert allerdings nicht notwendig die Sanktionierung
der Normübertretungen.
*X - 166*
Eine Norm N kann die beanspruchte
Verbindlichkeit aus verschiedenen Gr�nden verlieren:
� die unmittelbar
normsetzenden Instanz war zur Setzung der Norm N nicht berechtigt (befugt,
normativ kompetent, erm�chtigt), so dass die Setzung von N nichtig ist. (Unter
Umst�nden bestehen prozedurale Vorschriften, die den Weg zu einer verbindlichen
Erkl�rung als nichtig regeln). - Kompetenzüberschreitung, überschreitung des
Ermessensspielraums, des Zust�ndigkeitsbereichs,
� die unmittelbar
normsetzenden Instanz hat bei der Setzung von N selber prozedurale Vorschriften
verletzt, die sie Setzung der Norm N nichtig machen. (Unter Umst�nden muss diese
Verletzung wiederum durch dazu befugte Instanzen verbindlich festgestellt
werden.)
(� Die unmittelbar normsetzenden Instanz verletzt mit der gesetzten
Norm andere Normen, die für ihre eigene Berechtigung als logisch notwendig
vorausgesetzt werden m�ssen. Ein solcher Fall ist wohl schwer konstruierbar,
da gewähnlich Verfassungsvorschriften bzw. Zust�ndigkeitsregeln so etwas
ausschlie�en. Denkbar wären Verfassungsl�cken, zum Beispiel der Missbrauch von
Notstandsparagraphen.
� Die unmittelbar normsetzende Instanz leitet ihre
Berechtigung zur Setzung von N von Instanzen ab, die ihrerseits keine letzte
Berechtigung besitzen.
Auf all diesen Ebenen kann es auch Kritik vom
Gesichtspunkt der G�ltigkeit her geben:
� an der Norm,
� an der Kompetenz
und den prozedurale Vorschriften der direkt normsetzenden Instanz wie aller
anderen Instanzen bis hin zur Verfassung und dem Organ seiner verbindlichen
Auslegung (Verfassungsgericht).
*X - 167*
Inwiefern kann von
G�ltigkeitsgesichtspunkten her eine Norm ihrer Verbindlichkeit verlieren? Man
muss dazu den R�ckfall in den Streit der überzeugungen rechtfertigen können.
Dieser R�ckfall braucht allerdings nicht total zu sein, er kann sich auf
bestimmte Normen beschr�nken.
*X - 168*
Jellinek: Allgemeines Staatsrecht.
über das Recht:
"Kein Streit herrscht darüber, dass das Recht aus einer Summe
von Regeln für menschliches Handeln besteht. (S. 324)� Unwidersprochen bestehen
die Zwecke des Rechtes in dem Schutz und der Erhaltung (in engen Grenzen auch
fürderung) menschlicher G�ter oder Interessen durch menschliches Tun und
Unterlassen.� (325)
Die Rechtsnormen weisen nun folgende wesentliche
Merkmale auf:
1. es sind Normen für das �u�ere Verhalten der Menschen
zueinander.
2. es sind Normen, die von einer anerkannten �u�eren Autorit�t
ausgehen.
3. es sind Normen, deren Verbindlichkeit durch �u�ere M�chte
garantiert ist.
Durch diese Merkmale unterscheiden sich die Rechtsnormen von
den Normen der Religion, der Sittlichkeit und der Sitte, bei denen eines oder
das andere mangelt. Alles Recht hat als notwendiges Merkmal das der
G�ltigkeit. Ein Rechtssatz ist nur dann Bestandteil der Rechtsordnung, wenn er
gilt; ein nicht mehr geltendes Recht oder ein Recht, das erst gelten soll, ist
nicht Recht im wahren Verstande des Wortes.
Eine Norm gilt dann, wenn sie
die F�higkeit hat, motivierend zu wirken, den Willen zu bestimmen. Diese
F�higkeit entspringt aber aus der nicht weiter ableitbaren überzeugung, dass wir
verpflichtet sind, sie zu befolgen." (325)
*X - 169*
Radbruch: Rechtsphilosophie:
"Der Begriff des Rechts ist ein Kulturbegriff, d.h. ein Begriff von einer
wertbezogenen Wirklichkeit, einer Wirklichkeit, die den Sinn hat, einem Werte zu
dienen. Recht ist die Wirklichkeit, die den Sinn hat, dem Rechtswerte, der
Rechtsidee zu dienen." (119) Die Idee des Rechts kann nun keine andere sein als
die Gerechtigkeit.� Wir sind aber auch berechtigt, bei der Gerechtigkeit
als einem letzten Ausgangspunkt halt zu machen, denn das Gerechte ist wie das
Gute, das Wahre, das Sch�ne ein absoluter d.h. ein aus keinem andern Werte
ableitbarer Wert." (119 � 120)
*X - 170*
Die Notwendigkeit verbindlicher Normen
ergibt sich aus dem Fehlen eines definitiven Resultats des Diskurses. Der
Diskurs muss durch Normsetzungsverfahren erg�nzt werden, durch ein
Entscheidungsverfahren. Woran sind nun Normsetzungsverfahren zu messen? Wohl
daran, inwiefern sie g�ltige Normen hervorbringen. Dies wäre nun ein Zirkel,
denn um zu entscheiden wie gut das Normsetzungsverfahren ist, das man gew�hlt
hat, m�sste man zuvor wissen, ob die gesetze Norm g�ltig ist bzw. der g�ltigen
Norm nahe kommt. Aber man hat das Verfahren ja gerade eingef�hrt, weil man die
G�ltigkeit nicht definitiv entscheiden konnte. Die Probleme l�sen sich
jedoch, wenn nicht für eine Norm jeweils ein spezielles Verfahren gew�hlt wird,
sondern wenn Verfahren danach untersucht werden, inwiefern sie für ganze Klassen
von normativen Entscheidungen zur Setzung g�ltiger Normen f�hren. (Ich habe dies
zum Beispiel bei meiner Analyse von Modellen des
Eigentum-Vertrags-Systems und des Mehrheitssystems getan).
*X - 171*
Die
Notwendigkeit eines Sanktionssystems ergibt sich aus dem Mangel an Motivation zur Befolgung der gesetzten Normen. Es
besteht die M�glichkeit, dass diese Normen nicht immer befolgt werden. (Insofern
Befolgung von Normen nicht nur von Motivation abh�ngt, sondern zum Beispiel auch
von M�glichkeiten, gibt es neben der Sanktionierung noch weitere Mittel,
Normbefolgung zu fürdern: Erziehung, Verhinderung, �)
*X - 172*
Im Deutschen
besteht das Problem, dass der Begriff "Recht" mehrdeutig ist, wie an den
folgenden Gegensatzpaaren zu sehen ist:
Recht � Unrecht
Recht � Pflicht
rechtlich � au�errechtlich
rechtlich � widerrechtlich.
Recht als das
Rechte oder Gerechte ist nicht immer ein Merkmal der sozialen Institution
"Recht", ähnlich wie die Justiz nicht immer ein Vertreter der Gerechtigkeit
(Justitia) ist. Man sollte deshalb besser von "(staatlicher) Gesetzlichkeit" sprechen,
ähnlich wie die Engl�nder, die von 'law' oder 'statutes' sprechen.
*X - 173*
Nun
entziehen sich u.U. bestimmte Normen bzw. ihnen entsprechende Verhaltensweisen der
Sanktionierung, da die Normbefolgung bzw.-übertretung nicht oder nur unter
unvertretbaren Aufwand festgestellt werden kann, weil eine Sanktionierung nicht
motivationsfürdernd im Sinne der Normbefolgung wirkt, weil andere unerw�nschten
Nebenfolgen der Sanktion auftauchen.
für das Letztere ein Beispiel: Es
mag für eine Gesellschaft mit niedriger und weiter sinkender Geburtenzahl
n�tzlich sein, dass wieder mehr Kinder geboren werden. Aber eine
Norm, die Erwachsene ohne Kinder bestraft (sofern sie biologisch fruchtbar
sind), wäre nicht w�nschenswert, da damit eventuell Kinder zur Welt gebracht
werden, die von ihren Eltern gar nicht gew�nscht wurden, was jedoch für das
Aufwachsen der Kinder sehr sch�dlich wäre. Handlungen, deren Gelingen und Wert
daran h�ngt, dass sie freiwillig getan werden, entziehen sich deshalb der
sinnvollen Sanktionierung, aber natürlich kann man das Ziel "Es sollen mehr
Kinder geboren werden!" auch anders erreichen als durch eine Norm für die
potentiellen Eltern: zum Beispiel durch �ffentliche Propagierung, durch
Kindergeld, durch Urlaub für Eltern, durch kostenlosen Gesundheitsdienst, durch
medizinische Ma�nahmen gegen S�uglingssterblichkeit et cetera. Normierung ist
nur ein Mittel zur Verbesserung der Verhältnisse unter anderen.
*X - 174*
Wenn
sich aber bestimmte Normen der überwachung und/oder Sanktionierung entziehen, so
dass ihre Befolgung ungewiss oder tats�chlich gering ist, ergeben sich Probleme.
Angenommen es handelte sich um g�ltige Normen, die eine solidarische
Interessenber�cksichtigung beinhalten, so verletzen die Normverletzer diese
Solidarit�t: Sie befriedigen mit den Verst��en gegen die Norm ihre Interessen
auf Kosten anderer. Da sie dies ungestraft tun können, werden sie gewisserma�en
für Ihre Normverst��e noch belohnt. Damit besteht die Tendenz, das
normwidrige Verhalten noch zu verst�rken und die bisher normtreuen Individuen
werden demoralisiert, da sie zwar ihre Pflichten erf�llen aber aufgrund der
mangelhaften Pflichterf�llung der anderen ihre Rechte nicht wahrnehmen können.
Die Situation ist damit h�chst instabil und tendiert zum v�lligen Zusammenbruch
der normativen Ordnung. In dieser Situation m�ssen Normen, die bei Befolgung dem
Gesamtinteresse entsprochen h�tten, fallen gelassen werden.
*X - 175*
Die Juristen
bestehen eher auf Rechtskontinuit�t, weil für sie (und für Philosophen wie Kant) das
Fehlen verbindlicher, sanktionierter Normen ein horror vacui ist. Aber auch im
rechtsfreien Raum gibt es ja den Diskurs. Allerdings ist Gewalt nicht
ausgeschlossen im Streit der überzeugungen. Andererseits kann das Bestehen
einer Rechtsordnung auch bedeuten, dass eine soziale Gruppe die Gewalt des
Staates an sich gerissen hat und nun allen anderen ihren Willen per Recht und
Sanktionierung aufzwingt. Hier ist der Bruch mit dem geltenden Recht, die revolution�re Gewalt, unter
Umst�nden ein Segen.
*X - 176*
Inwieweit sich das Normsetzungsverfahren dem Diskurs
ann�hern kann und soll, h�ngt von der Art der zu dominierenden Sachverhalte ab:
Zeitdruck, Risiken, Informationslage, �u�ere Bedrohung des Kollektivs bzw.
Kampfsituation, Vernunftsf�higkeit der Individuen, moralisches Bewusstsein der
Individuen et cetera.
*X - 177*
Zu sagen: "Irgendeine verbindliche Entscheidung ist
besser als gar keine" stimmt nicht: denn keine Entscheidung ist auch eine. Es
bedeutet die (schwache) Erlaubnis für alle, in dieser Hinsicht nach Belieben zu
verfahren. Das ist nicht notwendigerweise der schlimmste Zustand.
*X - 178*
Man k�nnte allerdings sagen, dass eine Gebots- oder
Verbotsnorm die m�glichen Verhaltensweisen st�rker einschr�nkt und die Zukunft
insofern berechenbarer macht. Dies allerdings nur, wenn die Norm auch effektiv
sanktioniert bzw. realisiert wird.
*X - 179*
Normen, die nicht befolgt werden,
können den Zweck nicht erf�llen, zu dem sie geschaffen wurden, n�mlich einen im
Gesamtinteresse liegenden Zustand herbeizuf�hren. Allerdings mag auch eine nur
geringe Befolgung besser sein als gar keine (abgesehen vom Problem der
Ungerechtigkeit, das oben angesprochen wurde).
*X - 180*
Im Deutschen wird
"verbindlich" h�ufig im Sinne von "einklagbar" gebraucht. Wenn eine verbindliche
Zusage oder Auskunft, die jemand gegeben hat, nicht den Tatsachen entspricht,
kann er dafür zur Verantwortung gezogen werden (Strafe, Schadenersatz).
ähnlich ist es mit Gew�hrleistung und Garantie. Niemand kann garantieren, dass
ein Automotor mindestens ein Jahr funktioniert, aber wenn darauf ein Jahr
Garantie gegeben wird, so verpflichtet sich der Betreffende zu kostenlosem
Ersatz oder Reparatur, d.h. ihm muss es ernst sein mit der Behauptung.
*X - 181*
Wenn jemand sagt, dass durch verbindliche Normen die Handlungen der Individuen
berechenbarer werden, so k�nnte man dem entgegen halten, dass man die Handlungen
von Individuen auch ohne die Existenz von Verbindlichkeiten berechnen kann, etwa
in Form sozialwissenschaftlicher Prognosen. Aber die Berechenbarkeit als solche
ist es ja nicht, die durch Verbindlichkeit geschaffen wird. Das Ziel ist
ja, bestimmte Handlungsweisen verl�sslich zu garantieren und nicht irgendwelche
Handlungsweisen verl�sslich zu prognostizieren.
*X - 182*
"Man muss sich darauf
verlassen können". Demonstrieren, dass Verl�sslichkeit für das Erreichen vieler Ziele
unerl�sslich ist. (Dies gilt auch für die Zuverl�ssigkeit von Dingen. "Wenn die
Br�cke nicht als zuverl�ssig angesehen wird, wird sie nicht freigegeben."
"Ich kann
dir nicht versprechen, dass ich die Reparatur bis 16:00 Uhr fertig habe, aber
ich werde mein m�glichstes tun." Hier wird das Versprechen auf den Bereich
eingeschr�nkt, der in der eigenen Macht liegt (die eigenen Handlungen).
*X - 183*
"Man soll nur das Versprechen, was man auch halten kann." Das
Versprechengeben selber ist normiert, um der Stabilit�t der Erwartungen willen.
*X - 184*
Den Gehorsam gegenüber einem bestimmten staatlichen Gesetz kann man nicht
damit begr�nden, dass dies ein Gebot der Fairness sei: Der Staat sei ein
kooperatives Unternehmen für das Wohl aller und man k�nne nicht die Rechte
(Vorteile) in Anspruch nehmen, ohne auch die Pflichten (Nachteile) zu erf�llen.
So ähnlich Hoerster. Dagegen: "Ich mag ja in Bezug auf alle �brigen Gesetze
meine Pflicht tun, aber dieses eine Gesetz halte ich für falsch und m�chte es
durch ein anderes ersetzt wissen, an das ich mich dann auch halten w�rde."
natürlich kann das Eigeninteresse niemals einen hinreichenden Grund für die
Nichtbefolgung eines staatlichen Gesetzes abgeben, da Kritik an Normen nur vom
Gesamtinteresse her begr�ndet werden kann. Hoersters Beispiel trifft vielleicht
aufs Steuerzahlen und ähnliches zu: Beteiligung an den Lasten, wenn man die
Vorteile (staatliche Leistung) in Anspruch nimmt.
*X - 185*
Ich kann allerdings
nicht vom andern die Einhaltung eines Gesetzes fordern, wenn ich selber eine
Befolgung desselben Gesetzes ablehne: Hier ist Unfairness deutlich: Ich lege
allen Andern Einschr�nkungen auf, aber mir unter vergleichbaren Umst�nden nicht.
Das ist unsolidarisch.
*X - 186*
Gr�nde für die Befolgung jeder beliebigen
staatlichen Ordnung (ein Lieblingsthema der �lteren deutschen Rechtsphilosophie
und ihrer obrigkeitsstaatlichen Mentalit�t, vor allem bei Kant.)
Man k�nnte
sagen, dass jede Rechtsordnung - und sei sie noch so schlecht - zumindest eine
Koordination der individuellen Handlungen gew�hrleistet, insofern jeder wei�,
mit welchen Handlungen der Anderen man zu rechnen hat, mit welchen
staatlichen Sanktionen man zu rechnen hat und dass Gewaltaus�bung nur durch den
Staat und seine Organe erfolgt.
Aber dies t�uscht: Unter Umst�nden wei� ich
nur, dass ich mit allem zu rechnen habe, wenn gesetzlich andere Erlaubnisse und
Rechte formuliert werden, die für mich zu gr��ten Nachteilen f�hren können.
Vielleicht wei� ich für den Augenblick, mit welchen Sanktionen ich bei
bestimmten Handlungen zu rechnen habe, aber Gesetze können ge�ndert werden auf
rechtlich einwandfreien Weg. Das n�chste Gesetz kann mich schon v�llig
entrechten (s. Judengesetze). Auch Gewaltanwendung muss kein staatliches Monopol
bleiben: der Staat kann gesetzliche Selbstjustiz gegen bestimmte Gruppen
erlauben.
*X - 187*
Ein Grund für die Befolgung der jeweils existierenden Rechtsordnung
wird darin gesehen, dass diese sanktioniert wird. Aber warum soll man nicht
Normen propagieren, hinter denen noch keine bzw. nur eine schwache
Sanktionsgewalt steht, und das bestehende Normensystem bek�mpfen? "Ordnung" im
Sinne irgendeines Machtmonopols ist kein allesüberwiegender Wert, hier ist noch
mehr zu ber�cksichtigen. (Kant konnte sich die gerechtfertigte Ver�nderung nur als Reform von oben
vorstellen, als rechtliche Kontinuit�t.)
*X - 188*
Man k�nnte sagen, dass die
jeweils existierende Rechtsordnung befolgt werden sollte, weil dies das einzig
Verbindliche sei. Aber hier von Verbindlichkeit zu sprechen ist wohl fehl am
Platze, aus der puren Existenz von Normen folgt keineswegs deren Verbindlichkeit.
*X - 189*
Den Unterschied und den Zusammenhang zwischen den zwei
Geltungsebenen herausarbeiten: G�ltigkeit und Verbindlichkeit. G�ltigkeit
bezieht sich auf den Diskurs, also die Argumentation vom Gesamtinteresse her;
Verbindlichkeit bezieht sich auf ein endg�ltiges Normsetzungsverfahren.
*X - 190*
Wenn zum Beispiel ein Vertrag geschlossen wurde, in dem festgelegt ist, dass
Person A an Person B (bis zum Zeitpunkt T) das Gut x übergeben soll, und wenn A
dieses nicht tut mit der Begr�ndung, dass die übergabe von x für ihn selbst oder
für die Gesamtheit der Individuen nur sch�dlich sei, so kann B auf der übergabe
von x bestehen mit den Worten: "Ich lasse mich auf keine Diskussion
ein. Vertrag ist Vertrag."
B k�nnte bei Existenz eines kollektiven
Rechtssystems mit gesetzlichem Vertragsschutz auch sagen :"Dies ist ein
rechtskr�ftiger Vertrag und ich werde notfalls die Einhaltung des Vertrags
vor Gericht einklagen." Auch das Gericht h�tte da nicht die M�glichkeit, den
Vertragsinhalt zu pr�fen. (Es sei denn, aus dem Inhalt selber erg�ben sich
Bedingungen, die den Vertrag rechtsunwirksam bzw. nichtig machen w�rden.)
Dass Gericht k�nnte nur feststellen, ob der Vertrag rechtskr�ftig ist.
Die
Argumentation ist also von der inhaltlichen Ebene (der Rechtfertigung und Kritik
dessen, was durch den Vertrag als Norm gesetzt wird) auf die formale oder
prozedurale Ebene verschoben, auf die Pr�fung des Normsetzungsverfahren selber.
B beruft sich also gegenüber A auf die Verbindlichkeit von Vertr�gen:
1.
durch Vertrag gesetzten Normen sind verbindlich.
2. "A soll x an B
übergeben" ist eine durch Vertrag gesetzten Norm.
3. "Die Norm A soll x an B
übergeben" ist verbindlich.
Dagegen kann A nur argumentieren, wenn
er sich selber ebenfalls auf die prozedurale Argumentationsebene begibt. So
k�nnte A zum Beispiel die G�ltigkeit der ersten Pr�misse infrage stellen und
sagen:"Nicht alle durch Vertr�ge gesetzten Normen sind verbindlich." Zum
Beispiel k�nnte er sagen, dass er bei Abschluss des Vertrages betrunken war und
dass solche Vertr�ge nichtig seien.
Damit wäre der Streit um die Pr�misse
zu f�hren "Durch Vertr�ge gesetzte Normen sind nicht verbindlich, wenn bei
Vertragsabschluss eine der beteiligten Personen betrunken war."
Neben der
Problematik der normativen Pr�missen kann natürlich auch immer das Zutreffen auf
den konkreten Fall problematisiert werden. Einmal von der Faktenseite her:
"Wurde überhaupt ein Vertrag unter Beteiligung von A geschlossen?", "War A
tats�chlich betrunken?" , sowie von der Interpretation der gesetzten Norm her:
"Enth�lt der Vertrag tats�chlich die Norm, dass A x an B übergeben soll?" Diese
Punkte auseinanderhalten.
Die Gegenargumentation von A lautet also :
1.
"Durch Vertr�ge gesetzten Normen sind nicht verbindlich, wenn bei
Vertragsabschluss eine der beteiligten Personen betrunken war."
2."Bei
Abschluss des Vertrages zwischen A und B, in dem die Norm gesetzt wurde, dass A
x an B übergeben soll, war A betrunken."
3. A ist eine der am
Vertragsabschluss beteiligten Personen.
4. Die Norm; "A soll x an B
übergeben" ist nicht verbindlich.
Wenn B mit der normativen Pr�misse
nicht einverstanden ist, geht der Streit um die Bedingungen, unter denen durch
Vertrag verbindliche Normen gesetzt werden, weiter . Damit befindet man sich
wieder auf der Ebene des Diskurses. Die Kriterien dieses Diskurses über
Normsetzungsverfahren. ("Welche Verfahren sollen zur Setzung verbindlicher
Normen angewandt werden?") sollen jetzt nicht diskutiert werden. Wie bei
jedem Diskurs ist ein definitives endg�ltiges Ergebnis auch hier nicht
garantiert. Ein Kampf der überzeugungen kann nur vermieden werden, wenn es dafür
auf der Ebene der Prozeduren verbindliche Normen gibt.
Dies k�nnte zum
Beispiel im Vertrag selber geschehen, wenn in ihm ein Abschnitt etwa folgender
Art enthalten ist:
Unter den folgenden Bedingungen ist der vorliegende
Vertrag nicht verbindlich:
1. Trunkenheit eines der Beteiligten bei
Vertragsabschluss.
2. Anwendung von Gewalt oder Drohung.
3. ... ... usw.
Wenn A jetzt mit seinem Betrunkensein argumentiert, so k�nnte sich A auf
diese Pr�ambel und die in ihr enthaltene Klausel berufen. Aber B k�nnte die
Verbindlichkeit der Klausel bestreiten und sagen: "Zwar ist diese
Nichtigkeitsklausel in der Pr�ambel enthalten, aber sie sollte darin nicht
enthalten sein, denn bei Trunkenheit können auch gute Vertr�ge zu Stande
kommen."
B k�nnte argumentieren, dass die Trunkenheitsbedingung zwar drin
stehen aber nicht verbindlich sein kann, denn die jeweils beteiligten
Vertragspartner seien denkbar ungeeignet, um selber die Bedingungen der
Nichtigkeit zu formulieren: d.h., die Vertragspartner werden nicht als befugt
angesehen, Bedingungen für Vertr�ge bzw. deren Verbindlichkeit zu formulieren.
Das wäre wieder ein verfahrensm��iger Einwand, der von dem inhaltlichen
Einwand zu unterscheiden wäre, dass Trunkenheit kein Grund für die Nichtigkeit
von Vertr�gen sein soll.
Damit wäre man im Streit über das geignete Verfahren zur
Setzung solcher Vertragsklauseln. Dies wäre wiederum ein Diskurs ohne
definitives Resultat, und man k�nnte dem Streit der überzeugungen nur entgehen,
wenn es wiederum ein Verfahren zur verbindlichen Entscheidung dieses Streites
gibt. Auch hier k�nnte man sich verschiedenste Verfahren denken, über deren für
und Wider sich ebenfalls argumentieren lässt.
Es gibt also unter
Umst�nden eine Stufenfolge von Befugnissen zur Setzung verbindlicher Normen, mit
der argumentiert werden kann, ohne dass auf inhaltliche Fragen der G�ltigkeit
überhaupt eingegangen werden muss. Aber natürlich muss diese Stufenfolge
irgendwo an ihr Ende kommen. Das hei�t, dass irgendwann die Berufung auf eine
Befugnis zur Setzung verbindlicher Normen vorgenommen wird, ohne dass diese
Befugnis ihrerseits sich als verbindlich ausweisen kann durch Berufung auf
vorgeordnete Verfahren, die diese Befugnis verbindlich gesetzt haben. Dies wäre
dann gewisserma�en die "Verfassung" bzw. ein Element der Verfassung.
*X - 191*
Die
real vorhandenen Verfassungen enthalten allerdings selber in sich diese
Stufenfolge, und sind insofern nicht homogen. Zur Kennzeichnung der wirklich
letzten Normen, deren Verbindlichkeit ihrerseits nicht mehr prozedurale
gesichert ist, k�nnte man auch die Bezeichnung "Verfassungsgrundlagen" oder
"Grundnormen" (Kelsen) verwenden. Es muss hier �brigens nicht nur eine Grundnorm
geben, sondern es kann mehrere voneinander unabh�ngige Grundnormen geben.
Hier h�ngt das System der Verbindlichkeit also in der Luft, denn ohne eine
Anerkennung dieser Grundnormen als verbindlich kann es keine Verbindlichkeit der
abgeleiteten Normsetzungsbefugnisse ergeben und damit keine Verbindlichkeit der
prim�ren Normen, die unmittelbar das nicht normsetzende Verhalten betreffen.
Damit bleibt die Ebene des Diskurses die letzte Grundlage aller Verbindlichkeit.
*X - 192*
Probleme der G�ltigkeit werden immer dann aufgeworfen, wenn es um die
Frage geht, welche Norm innerhalb des vorgeschriebenen Rahmens gesetzt werden
soll (vorausgesetzt, dass das Gesamtinteresse nicht über die 'unsichtbare Hand'
oder analog sondern direkt zum Zuge kommen soll.)
*X - 193*
Die Aspekte der
Verbindlichkeit genau analysieren: Man k�nnte das Attribut "verbindlich" in
Bezug auf Normen folgenderma�en definieren:
Der Satz "Eine Norm N ist
verbindlich" ist definitionsgleich mit dem Satz "Norm N soll befolgt werden".
Aber wie ist das Verhältnis zur G�ltigkeit?
"Die Norm N ist g�ltig" ist
definitionsgleich mit "Die Norm N ist argumentativ konsensf�hig".
Das
Problem ist, dass in der Realit�t gewähnlich nur ein "für-g�ltig-Halten"
festzumachen ist, dass der Konsens faktisch nicht da ist (und selbst dann immer
nur vorl�ufig bleibt), sondern dass verschiedene überzeugungen
hinsichtlich der G�ltigkeit existieren. Diese überzeugungen lassen sich in
bestimmten konkreten Situationen nicht mehr argumentativ weiter vereinheitlichen
(was nicht hei�t, dass sie prinzipiell - also in einem idealen Diskurs - nicht
weiter diskutabel sind). Wenn man die unterschiedlichen überzeugungen nicht im
Kampf aufeinanderprallen lassen will, und so die gr��ere Macht darüber
entscheiden lässt, wessen überzeugung sich durchsetzt, so muss der Diskurs durch
ein Entscheidungsverfahren erg�nzt werden, das zu definitiven Ergebnissen f�hrt.
*X - 194*
Hier m�ssen nochmal der "ideale" Diskurs und seine Probleme analysiert
werden. Die G�ltigkeit einer Norm muss sich im idealen Diskurs erweisen: Sie
muss hier zum Konsens gelangen. Der ideale Diskurs abstrahiert von den Kosten
der Argumentation, von Zeitbeschr�nkungen, von der mangelnden Argumentation und
Vernunftsf�higkeit der Teilnehmer et cetera.
*X - 195*
Ein Problem jeder Argumentation ist die wechselseitige Abh�ngigkeit der
verschiedenen Behauptungen. Um eine Behauptung argumentativ zu st�tzen, werden
zahlreiche andere Behauptungen herangezogen, deren G�ltigkeit aber meist
ebenfalls problematisch ist, so dass sich der gesamte Bereich, der infrage
steht, schnell erweitert: Man kommt leicht vom 100. ins 1000., wie die
Redewendung besagt.
*X - 196*
Daraus ergibt sich, dass der Diskurs irgendwo unterbrochen werden muss, um ein
definitives Resultat festzuhalten, denn die Erkenntnis der Wahrheit bzw.
Wahrheitssuche ist meist kein Selbstzweck dient wiederum anderen Zwecken. natürlich sollen
wir unser Handeln m�glichst auf wahre Behauptungen gr�nden, aber die
Wahrheitssuche nicht unser einziges Ziel. Handeln steht oft unter Zeitdruck,
Fragen veralten, Entscheidung können vers�umt werden etc.
*X - 197*
Da für
verschiedene Teilnehmer die Bedingungen unterschiedlich sein können (Zeitdruck,
Risiken bei Fehlentscheidungen, Qualifikation der Argumentationsteilnehmer,
Schwierigkeitsgrad und prinzipielle Beantwortbarkeit der Frage, Vorurteil und
Ideologie et cetera.) m�ssen auch die Entscheidungsverfahren jeweils andere
sein. Man kann nur generelle Typen von Entscheidungsverfahren und deren Vor- und
Nachteile diskutieren. Dies sollte ich vielleicht einmal machen.
für das
Mehrheitsprinzip und das Eigentum-Vertragssystem habe ich es ja schon gemacht,
wenn auch mehr unter dem Gesichtspunkt der G�ltigkeit
*X - 198*
Die ganze
Begrifflichkeit in Bezug auf die Arten der Geltung ist verworren und muss neu
entworfen werden. Auch das Attribut "verbindlich" für die Resultate von
Entscheidungsverfahren ist nicht recht geeignet.
*X - 199*
In Bezug auf Normen gibt es einmal die Frage ihrer G�ltigkeit. Dieser
Frage entspricht die Frage, ob die Norm dem solidarisch bestimmten
Gesamtinteresse entspricht. Dann gibt es die andere Frage, ob die Norm durch ein
Entscheidungsverfahren erzeugt wurde, das seinerseits auf g�ltigen Normen beruht
oder das sich l�ckenlos aus einem solchen herleiten lässt. Man k�nnte dies auch
als die Frage nach der Legitimit�t der Norm bezeichnen. "L�ckenlos herleiten"
soll hei�en, dass das Entscheidungsverfahren, selbst wenn seinen Normen die
G�ltigkeit bestritten wird, diese doch legitim sein können, insofern sie
ihrerseits durch g�ltige (oder nur legitime) Entscheidungsverfahren
hervorgebracht wurden. Also:
Eine Norm ist g�ltig, wenn sie dem Gesamtinteresse entspricht. Eine Norm ist
legitim, wenn sie entweder durch ein legitimes oder ein g�ltiges
Entscheidungsverfahren (Normsetzungsverfahren) hervorgebracht wurde. Eine Norm
kann also zugleich g�ltig und legitim sein, muss es aber nicht. Sie kann auch
nur legitim und nicht g�ltig sein, oder nur g�ltig und nicht legitim.
*X - 200*
Es
ist problematisch, Verfahren als g�ltig zu bezeichnen, denn G�ltigkeit ist ja
erstmal nur eine Eigenschaft, die Behauptungen zukommen kann. Die Verfahren sind
g�ltig, wenn sie gem�� g�ltigen Normen stattfinden. Vielleicht sollte man dafür
doch einen anderen Ausdruck w�hlen. Andererseits kompliziert das die ganze
Angelegenheit noch mehr, da die Terminologie noch umfangreicher wird.
Vielleicht sollte man immer von Verfahren gem�� g�ltigen bzw. legitimen Normen
sprechen.
*X - 201*
Wichtig ist, dass es sich hier um
HerleitungsVerhältnisse von Normen handelt, die nicht den Charakter logischer
Deduktion haben. Aus g�ltigen Normen lassen sich logisch nur wiederum g�ltige
Normen herleiten bzw. deduzieren. Aber aus Verfahren können Normen hervorgehen,
die nicht g�ltig sind.
Im Unterschied zur logischen Ableitung ist bei
der verfahrensm��igen "Ableitung" die übertragung des Attributs der G�ltigkeit
nicht garantiert. G�ltigkeit ist demnach verfahrensm��ig nicht erblich. Erblich
ist nur das Attribut der Legitimit�t. Jede Norm, die durch ein Verfahren nach
legitimen Normen hervorgebracht wird, erbt die Eigenschaft der Legitimit�t.
Demgegenüber ist die G�ltigkeit einer Norm v�llig unabh�ngig von ihrer
Genese, unabh�ngig auch von ihrer verfahrensm��igen Erzeugung G�ltigkeit wird
auch nicht durch den Diskurs hervorgebracht, eben weil dieser kein definitives
Resultat hervorbringt, sondern eher eine st�ndige Bew�hrungsprobe darstellt.
Wenn man den Diskurs als ein Verfahren bezeichnet, dann ist es wichtig
festzuhalten, dass er kein Normsetzungsverfahren ist.
*X -
202*
Der Terminus
"Legitimit�t" ist wohl geeigneter als Verbindlichkeit, weil er noch nicht
pr�judiziert, ob die betreffende Norm in jedem Fall befolgt werden muss. (Das
muss ich noch diskutieren).
*X - 203*
Ein Problem ist, ob man bei
Entscheidungsverfahren bzw. den Normen, die diese regulieren, überhaupt von
G�ltigkeit sprechen kann. Ich habe dies getan, weil es sich bei den Ergebnissen
dieser Verfahren um Normen handelt, die auch als Behauptungen auftreten und die
argumentativ angegriffen und verteidigt werden können. Aber woran bemisst ich die G�ltigkeit dieser Normen? Wenn man eine singul�re Norm betrachtet, so
kann man nicht sagen, dass die Normen für das Entscheidungsverfahren g�ltig
sind, wenn die resultierende Norm g�ltig ist. Denn dann w�rden zum Beispiel die
Entscheidungskosten, der Zeitbedarf etc. des Verfahrens gar nicht
ber�cksichtigt.
*X - 204*
Kann man bei generellen Normen nur dann von G�ltigkeit
sprechen, wenn sie in jedem Einzelfall g�ltige Normen beinhalten? Was ist mit
generellen Normen, die den Charakter von vereinfachenden Faustregeln haben, die
also im Einzelfall falsch sein können? (in Analogie zu All-Sätzen in den
empirischen Wissenschaften?)
*X - 205*
Ich habe gesagt: "Normen sind g�ltig,
wenn sie dem Gesamtinteresse entsprechen." Aber ist das sinnvoller
Sprachgebrauch? Muss man nicht genauer sagen: "Normen sind g�ltig, wenn deren
Realisierung dem Gesamtinteresse entspricht"? Dies wäre genauer, das impliziert
jedoch nicht, dass damit auch der Versuch ihrer Realisierung gerechtfertigt ist,
denn der Versuch und damit die Realisierung kann scheitern, sodass nichts
gewonnen und viel verloren wäre.
Das hie�e, dass die Frage nach der
G�ltigkeit der Norm noch nicht die Frage beantwortet, ob man jetzt die
Einf�hrung der Bombe versuchen sollte: Dazu wären noch Realisierbarkeit und
Kosten zu pr�fen und die Vorteile abzuw�gen. G�ltigkeit wäre dann nur
hypothetisch und noch nicht direkt auf den politisch Handelnden bezogen. Dies
ist vielleicht auch sinnvoll, denn je nach dem Handelnden k�nnten ja
unterschiedliche Grade der Realisierung und unterschiedliche Kosten in Bezug auf
dieselbe Norm anfallen.
Andererseits: Wenn G�ltigkeit v�llig von der
Frage der Realisierbarkeit abgekoppelt wird, dann wären vor allem Forderungen
nach Schlaraffenl�ndern g�ltig. Hier muss noch das Kriterium der
Realisierbarkeit hnzugezogen werden.
Aber warum? Man kann sich darüber
einig sein, dass Schlaraffenl�nder im Gesamtinteresse liegen: solche abstrakten
Ziele sind unsch�dlich. Aus ihnen folgt ja nicht, dass deshalb eine bestimmte
Handlung hier jetzt sein sollen, weil sie ein Mittel dazu sind. Aus Zielen
folgen Mittel nicht logisch.
Man kommt wahrscheinlich um solche
abstrakten Zielformulierungen gar nicht herum, wenn man den Bereich der zu
pr�fenden Handlungsalternativen irgendwie einengen will.
*X - 206*
Meine
Definition von Legitimit�t bzw. Verbindlichkeit wirft Probleme auf. Wenn ich als
"legitim" alle Normen bezeichnen, die entweder aus einem legitimen Verfahren
hervorgegangen sind oder die aus einem g�ltigen Verfahren hervorgegangen sind,
so kann das dazu f�hren, dass zwei verschiedene miteinander unvereinbare Normen
verbindlich sind: einmal die Norm, die durch das legitime aber ung�ltige
Verfahren hervorgebracht wurde, und zum andern die Norm, die durch das g�ltige
aber nicht legitime Verfahren hervorgebracht wurde.
*X -
207*
Damit wird aber der
Zweck verfehlt, der überhaupt erst zur Einf�hrung von definitiven
Normsetzungsverfahren gef�hrt hat: Die Entscheidung für eine bestimmte Norm, die
allgemein verbindlich ist.
Um dies Problem zu vermeiden, d�rfen legitime Normen
nur durch legitime Verfahren erzeugt werden. Hier ergibt sich allerdings sofort
das Problem, dass dieser Erzeugungsprozess kein unendlicher Regress sein darf.
Wenn er nicht zirkul�r ist, dann muss er irgendwo anfangen: dieser anfangs
aktive Normsetzungsprozess, der sich seinerseits aus keinem anderen legitimen
Verfahren herleiten kann, kann aber selber nicht legitim sein: also können auch
die daraus abgeleiteten Normen nicht legitim sein.
Insofern
erf�llt auch diese Definition nicht ihren Zweck, legitime Normen nicht als
erzeugt durch einen beliebigen Willen, sondern als in bestimmter Weise
anzuerkennen zu qualifizieren. (Vielleicht sollte ich erstmal ohne diese
positive Auszeichnung das Problem eindeutiger Normierung durch normsetzende
Verfahren analysieren.)
*X - 208*
Gefordert ist, dass jede normative Frage,
die auftaucht, eindeutig beantwortet wird. Der Diskurs kann das aus
verschiedenen Gr�nden nicht leisten. Auch ein inhaltliches Normensystem kann
dies nicht leisten, weil es niemals vollst�ndig sein kann. Au�erdem braucht es
zu seiner Anwendung immer die Interpretation. (Weiterhin ist ein solches
Normensystem statisch, das hei�t es kann ver�nderten Verhältnissen nicht
angepasst werden, so dass es unter dem Gesichtspunkt m�glichst g�ltige Normen zu
realsieren, inakzeptabel ist.)
*X - 209*
Ein inhaltliches Normensystem kann zwar
eindeutig sein � im Sinne von widerspruchsfrei und pr�zise in gewissen Grenzen �
aber es kann nicht vollst�ndig sein. Oder doch? Zum Beispiel durch die Einf�gung
einer Restnorm: "Alle Handlungen, über die in diesem Normensystem nichts
bestimmt ist, sind erlaubt."
*X - 210*
Die Vollst�ndigkeit ist wohl doch nicht entscheidend. Im Prinzip k�nnte
ein inhaltliches Normensystem das
Kriterium der Eindeutigkeit erf�llen. Aber problematisch ist die wohl eine
Verbindung von Eindeutigkeit und G�ltigkeit um die es letztlich geht. (Ein
anderer Aspekt ist die Durchsetzung, die ebenfalls nicht durch ein Normensystem
als Gebilde von Sätzen bzw. Bedeutungen geleistet werden kann). Wie kann
sichergestellt werden, dass jede normative Frage eindeutig beantwortet wird?
*X - 211*
Eine M�glichkeit wäre ein Verfahren, das zu jeder Frage eine bestimmte Norm
als Antwort erzeugt. Ein Verfahren ist dabei keine inhaltliche Normen, aus der
die Antwort deduziert wird. Die Antwort wird "erzeugt". Damit ergibt sich im
Unterschied zur Deduktion die M�glichkeit zu widersprüchlichen Antworten (bei
der Deduktion wären Widerspr�che nur m�glich, wenn die Pr�missen untereinander
widersprüchlich sind.) Selbst wenn das Verfahren darin best�nde, dass immer nur
eine bestimmte Person die Norm setzt, so garantiert das
noch nicht Widerspruchsfreiheit. So k�nnte dieselbe Frage derselben Person zweimal vorgelegt
werden und es k�nnten 2 unterschiedliche Antworten gegeben werden an (was auf
eine Unzuverl�ssigkeit des Verfahrens hinweisen w�rde).
*X - 212*
Es bedarf also
einer Regelung, die widersprüchliche Normen ausschlie�t. Da wären verschiedene
Wege denkbar, zum Beispiel dass jede Frage nur einmal zur Entscheidung vorgelegt
werden darf, oder dass immer die zuerst (zuletzt) gegebene Antwort gilt usw.
Insofern als Eindeutigkeit der Normen gefordert wird, kann man auch von einem
"einheitlichen Willen" sprechen, der zu bilden ist. Das Verfahren darf
gewisserma�en nur mit einer Stimme sprechen.
*X - 213*
Dies wird besonders
schwierig, wenn es sich um mehrstufige Verfahren handelt, (die aus
verschiedensten Gr�nden gew�hlt werden können zum Beispiel aus Gr�nden der
Informationslage, die zu Spezialisierung und einer Entscheidung an Ort und
Stelle zwingt.) Hier muss gekl�rt werden, welche Instanz für welchen
normativen Fragenbereich zust�ndig ist. Wenn mehrere Instanzen unabh�ngig
voneinander die gleiche Frage entscheiden, ist die Gefahr widersprüchlicher
Antworten sehr gro�.
Eindeutigkeit des Willens (der Antworten) setzt �brigens
keineswegs die Konstanz des Willens voraus. Auch wenn gestern eine bestimmte
Frage anders beantwortet wurde als heute, so muss es zu keinen Unklarheiten
f�hren wenn festgelegt wird, ab wann die neue Antwort gilt. (Hier geht es um
Geltung eines Willens. Welche Norm gilt als Willens einer bestimmten Instanz bzw.
welche Norm geht als Teil eines bestimmten Systems?)
Diese Geltung ist damit
v�llig verschieden von der zeitlos gedachten G�ltigkeit. Heute gilt die eine
Norm, morgen die andere. Darin liegt kein Problem oder ist das ein Irrtum?
�ndern sich nicht auch die g�ltigen Normen mit den Umst�nden und bleibt
nicht auch die Geltung der überholten Norm für den Fall von gestern bestehen?
*X - 214*
Aber hier liegen doch Unterschiede: ein rechtskr�ftiges Gerichtsurteil gilt, auch wenn es sp�ter aufgehoben wurde, als Justizirrtum, so hat es
doch gegolten bis zur rechtskr�ftigen Aufhebung. Das kann man wohl bei Fragen
der G�ltigkeit nicht so sagen: Wenn eine Norm heute als ung�ltig erkannt wird,
so war sie es gestern auch schon, selbst wenn man sie für g�ltig gehalten hat. Oder ist das
bei der Aufhebung der Geltung ebenso? Wird die Geltung des ergangenen
Urteils nichtig durch die Aufhebung?
*X - 215*
Es geht um die Analyse von
normativen Systemen, die insofern eine Einheit bilden, als sie zu eindeutigen �
also nicht widersprüchlichen oder offenen � normativen Entscheidungen f�hren.
*X - 216*
Zu jedem System kann man sich ein fiktives Subjekt denken. Was
gilt als Wille dieses Normsubjekts? (Wobei dies fiktive Subjekt auch ein
Verfahren sein kann.) Zum einen gibt es die Normen, die dies Subjekt direkt
gesetzt hat. Zum andern die Normen, die Instanzen gesetzt haben, die dazu von
dem Normsubjekt autorisiert (erm�chtigt, befugt etc.) worden sind. Dabei
können mehrere solcher Instanzen zwischen das Normsubjekt und den Normadressaten
treten. Die normsetzende Instanz ist in ihrer Entscheidung durch eine Kette von
Instanzen letztlich vom Normsubjekt dazu autorisiert worden.
Aber oberste
Quelle ist keine Instanz: selbst ein Diktator hat die geschriebene oder
ungeschriebene Verfassung, die im Kern besagt: "Diktator X ist oberster
Gesetzgeber". Machtm��ig mag er die Quelle der Normen sein, aber formell
erm�chtigt dazu wird er durch eine Verfassung, selbst wenn er diese
Verfassung selber formuliert und verk�ndet hat. Insofern hat Kelsen gegenüber
Austin recht, wenn er als Normursprung die Grundnorm njmmt und nicht
den Souver�n.
*X - 217*
Normen die direkt oder indirekt aus dieser Grundnorm
abstammen, können als autorisierte Normen in Bezug auf diese Grundnorm
bezeichnet werden. Das Attribut "autorisiert" ist also immer relativ zu einer
Grundnorm bzw. einer normsetzenden Autorit�t. In Bezug auf die eine Grundnorm
kann die Norm autorisiert sein, in Bezug eine andere Grundnorm nicht. Eine Norm
ist autorisiert in Bezug auf eine Grundnorm, wenn sie entweder direkt durch die
Grundnorm erzeugt wird oder durch ein Verfahren erzeugt wird, das seinerseits
durch die Grundnorm autorisiert ist.
(Ich muss mich einmal genauer mit
realen normativen Systemen und ihrem Aufbau besch�ftigen: vielleicht wird da
manches klarer).
*X - 218*
Bei dem Begriff "autorisiert" fallen hoffentlich
auch alle positiven Assoziation weg (oder?) Jedenfalls ist der Begriff neutral
gemeint, gewisserma�en deskriptiv. Dabei kann man ein Normensystem analysieren
und fragen, ob ein bestimmtes Verhalten in diesem System normiert ist, auch wenn
dies System nicht wirksam durchgesetzt und sanktioniert ist. Es kann sich zum
Beispiel um eine Grundnorm in Form einer religi�sen Schrift handeln, die
bestimmte Personen autorisiert, die darin enthaltenen Normen zu interpretieren
und weiterzuentwickeln (wie das Papsttum, das sich auf Petrus
zur�ckf�hrt, der seinerseits von Jesus selber autorisiert wurde.) Auch für
solche normativen Systeme und deren Auslegung und Anwendung bedarf es der
Rechtswissenschaft (das ist jedoch nicht "Anwendung" im Sinne
autorisierter Gerichtsentscheidungen.)
*X - 219*
Aber die Existenz solcher
normativen Systeme beantwortet ja noch nicht die Frage, ob man solch ein
normatives System durchsetzen bzw. befolgen soll oder, falls mehrere solcher
Systeme zur Auswahl stehen, welches dieser Systeme man durchsetzen bzw. befolgen
soll. Man denke etwa an B�rgerkriegssituationen mit konkurrierenden Verfassungen
und Regierungen, wo das Problem für jedermann offen zu Tage tritt.
Die
positive Rechtswissenschaft kann hier keine Antwort geben. Auch die effektivere
Durchsetzung aufgrund gr��erer Macht und Sanktionsgewalt oder breitere
Anerkennung durch die Adressaten ist kein ausreichendes Kriterium dafür, dass
man dies Normensystem befolgen und durchsetzen soll.
Es mag allerdings einer
Beendigung des gewaltsam Kampfes dienen, wenn man den offensichtlich St�rkeren
zur anzuerkennenden normsetzenden Autorit�t erkl�rt und nicht den Schw�cheren.
Dies kann im Eigeninteresse der Unterlegenen liegen: Kapitulation, um
Waffenstillstand zu erreichen.
*X - 220*
Kann es überhaupt ungeschriebene
Verfassungen geben? Wie unterscheidet man diese von puren MachtVerhältnissen?
Oder schlie�t sich beides nicht aus? Sind Verfassungen unter Umst�nden nur die
in Worte gefassten Ziele der Machthaber?
*X - 221*
Der Begriff "geltende Norm" enth�lt
immer beides: dass die Norm autorisiert war und dass das betreffende Normensystem
relativ effektiv war. Aber das h�ngt immer mit dem attribut "rechtlich" zusammen.
"Rechtsnorm" sollten nur eine Ordnung hei�en, die zumindestens einigerma�en effektiv
war. (Ich muss diesen Streit um das Wesen des Rechts als unergiebig meiden.)
*X - 222*
Zwischen Argumentieren (Diskurs) und Handeln (Praxis) ist eine gro�e Distanz.
Meinungen und überzeugungen zu haben muss lange nicht so konsequenzenreich sein
wie das Handeln gem�� diesen überzeugungen. Deshalb kann es sinnvoll sein,
hier gewisse Sicherungen einzubauen und das Handeln nicht nur an die
individuellen überzeugungen zu binden. Der Verzicht auf die umstandslose
Praktizierung der eigenen überzeugungen, den das Individuum sich auferlegt,
wird dadurch gerechtfertigt, dass es damit zugleich gesch�tzt ist vor der Praxis
der anderen, die gleichfalls ihre überzeugungen nicht umstandslos in Handeln
umsetzen.
*X - 223*
Die Verbindung zwischen G�ltigkeit und Verbindlichkeit muss
bildlich gesprochen als "elastisch" angesehen werden. Beide Ebenen bewegen sich im
Prinzip selbstst�ndig, aber je weiter sie auseinanderklaffen, umso st�rker wird
der Druck, der von der G�ltigkeitsebene auf die Ebene der verbindlichen Normen
ausge�bt wird.
*X - 224*
Zur Frage, ob man eine Norm befolgen soll oder
nicht: Selbst wenn man eine Norm für nicht verbindlich erh�lt h�lt, kann es
trotzdem gerechtfertigt sein, sie zu befolgen, aber nur wegen der Sanktionsmacht, die dahinter steht. Die Verletzung der Norm w�rde zu (menschlich
erzeugten) katastrophalen Folgen f�hren, was nicht zu rechtfertigen wäre. Aber
deshalb ist noch nicht die Norm gerechtfertigt.
*X - 225*
Auf einer anderen Ebene
liegen Gr�nde für die Befolgung einer Norm aus Eigeninteresse. Diese sind erstmal
au�er Betracht. Aber sie spielen eine Rolle bei der Bewertung eines Verhaltens
bzw. eines Akteurs und bei der Frage, ob er bestraft werden soll et cetera. Wenn
jemand etwas Verbotenes getan hat, um zum Beispiel sein eigenes Leben zu retten, so kann
man ihm eventuell daraus keinen Vorwurf machen, bzw. Vorwurf und Strafe sind
sinnlos weil unwirksam. Sie w�rden nicht dazu f�hren, dass er sich in einer ähnlichen
Situation anders verhalten w�rde.
*X - 226*
G�ltigkeit nicht als definitiv
erreichbares Ziel sondern als regulative Idee? Ich suche nach einer geeigneten
Terminologie um die Ebene zu kennzeichnen, die den Streit der überzeugungen
beendet: Rechtsebene? Gesetzesebene? Friedensebene? Legitimit�tsebene?
Verbindlichkeitsebene?
*X - 227*
Man k�nnte natürlich den Streit der überzeugungen
durch die simple Norm l�sen:"Alles ist erlaubt." Dann k�nnte es keinen Streit
der überzeugungen ergeben. Aber damit wäre jeder G�ltigkeitsbezug der
Verbindlichkeiten eliminiert und damit wäre der Kampf der Interessen wieder voll
etabliert. Eine v�llige Abl�sung des Verbindlichkeitsproblems vom
G�ltigkeitsproblem ist also nicht sinnvoll.
ähnlich wäre es bei der
Eliminierung des überzeugungskampfes durch die Norm:"Jeder hat dem Diktator X
zu gehorchen.Sein Wille ist Gesetz." Bei Befolgung dieses Normensystems g�be es zwar
nicht mehr den Streit der überzeugungen, aber m�glich wäre die unbeschr�nkte
Durchsetzung eines Interesses, etwa durch die Norm: "Alle Individuen der Rasse
(Religion) X sollen sich umbringen." Sie k�nnten friedlich und ohne
Widerstreben gehorchen - aber das wäre wohl nicht die ausgearbeitete
Gewaltfreiheit.
(Ende von Heft X)
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