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Aus meinen Notizb�chern: Heft X

 

Vorbemerkung: Die folgendenTexte aus meinen Notizb�chern habe ich urspr�nglich nicht für die Ver�ffentlichung sondern für mich selber geschrieben, um meine eigenen Gedanken festzuhalten und zu klären. Sie haben deshalb einen vorl�ufigen Charakter, insbesondere was die benutzte Terminologie betrifft. Trotz z. T. grundlegender überarbeitung sind diese Notizen auch in der Formulierung holpriger als andere Texte der Ethik-Werkstatt. Es sind m. E. darin jedoch Gedanken enthalten, die für die Entwicklung einer normativen Theorie der kollektiven Entscheidung und für die Ethik allgemein von Interesse sein können. Wo ich heute anderer Ansicht bin als damals, habe ich dies manchmal in eckigen Klammern hinzugef�gt und begr�ndet.


Heft X


*X - 1*
Den Begriff der "Ausbeutung" hinsichtlich seiner normativen Implikationen analysieren. Ihn in Beziehung zu meinen normativen Kategorien setzen (siehe A. Heller und Ossowski).

*X - 2*
Inwiefern hat das Individuum nicht-egozentrische Interessen? Es ist zum Beispiel das "Eigene" gegenüber dem "Fremden" zu bewahren, die eigene Sprache, Gruppe, Kultur et cetera. Hier mag sich ein Individuum "opfern", um die Weiterexistenz der eigenen Gruppe zu sichern. Es ist das "Eigene", das Individuen gemeinsam haben, es sind die gemeinsamen "Eigen"schaften. Extrem gesprochen: Wenn die menschliche Gesellschaft ein "Ameisenstaat" wäre, so w�rden sich die einzelnen "Funktionstr�ger" vielleicht sagen: "Wir sind jederzeit ersetzbar, aber wenn unsere K�nigin umkommt, sind auch wir nicht mehr ersetzbar."

*X - 3*
In der Entfaltung des Intersubjektivit�tsprinzips entwickele ich die Bedingungen eines argumentativen Konsens. Hier einmal genauer klären, welcher Art diese "Bedingungen" sind. Handelt es sich um empirische Voraussetzungen, um logische Implikationen, um logische Konsequenzen, die sich zusammen mit anderen Annahmen ergeben?

*X - 4*
Die Herstellung eines argumentativen Konsens erfordert (empirisch oder logisch? Siehe dazu den Aufsatz von Quine) die Kommunikation zwischen den Individuen. Eine erfolgreiche Kommunikation impliziert, dass sich die Beteiligten verstehen. Je nach dem Medium der Kommunikation ist Verständnis an verschiedene empirische Bedingungen gekn�pft. Beim Sprechen zum Beispiel an eine Mindestlautst�rke. (Das Problem der akustischen Verst�ndlichkeit.) Aber sind solche Bedingungen Gegenstand einer Methodologie der Erkenntnis? Wohl nicht. Hier einmal abklären, welche Bedingungen sinnvollerweise Gegenstand der Methodologie sind.

*X - 5*
Der Diskurs über die G�ltigkeit bestimmter Behauptungen ist im Prinzip niemals abgeschlossen und kann zu jeder Zeit wieder er�ffnet werden. In diesem Sinne gibt es keine abschlie�ende G�ltigkeit. Andererseits gibt es den Zwang, zwischen mehreren nicht miteinander zu vereinbarenden Behauptungen diejenige auszuw�hlen, die man dem Handeln zu Grunde legt.
Dazu ein Beispiel: Mehrere �rzte unterscheiden sich in ihrer Diagnose eines Krankheitsbildes. Insofern als die verschiedenen Krankheiten unterschiedliche, einander ausschlie�ende Therapien erfordern, muss eine Entscheidung gef�llt werden, welche Diagnose zur Grundlage der Behandlung genommen werden soll.
Dies Entscheidungsproblem ist ein anderes als das Problem, darüber zu entscheiden, ob eine Ausssage wahr ist oder nicht. Denn nachdem die Entscheidung der ersten Art gef�llt ist (Welche Behauptung legen wir unserem Handeln zu Grunde?), kann die Diskussion um die Entscheidung der zweiten Art (Ist die Diagnose wahr oder falsch?) immer noch weitergehen. Die Methodologie hat es wohl nur mit der zweiten Art von Entscheidung zu tun, sie ist im Prinzip von Handlungszw�ngen freigestellt. (Hiier haben die Statistiker bereits vieles beizusteuern.)

*X - 6*
Vi
elleicht kann man die Besonderheiten des Rechts gegenüber der Ethik darin sehen, dass es sich beim Recht um normative Entscheidungen unter konkretem Handlungsdruck handelt. Wenn man sich aber erst einmal für eine bestimmte Norm als Handlungsgrundlage entschieden hat, so ergeben sich daraus Folgerungen und Verbindlichkeiten, gleichg�ltig ob die Norm im grunds�tzlichen Sinne g�ltig ist.
In der empirischen Methodologie ist der statistische Hypothesentest eine Methode zur Entscheidung, welche Behauptung man seinem praktischen Handeln zu Grunde legen soll. Damit ist über "Wahrheit" nicht definitiv entschieden. Als deterministische Alls�tze sind beide Hypothesen "falsch".

*X - 7*
Lassen sich aus den allgemeinen normativen überlegungen noch weitere Einschr�nkungen hinsichtlich der Alternativen ableiten, die zur Mehrheitsabstimmung gestellt werden d�rfen? Offenbar ist das der Fall. Aus dem Prinzip der "Personunabh�ngigkeit" kann man z.B. ableiten:"Es d�rfen keine Entscheidungen 'ad personam' getroffen werden, denn die Alternativen m�ssen definierbar sein ohne den Gebrauch von Eigennamen. Generell gesprochen m�ssen Unterschiede in der Behandlung von Personen oder Personengruppen auf "sachliche" Unterschiede bezogen sein. Ob diese sachlichen Unterschiede im konkreten Fall die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen, ist damit natürlich noch nicht entschieden.

*X - 8*

Der Begriff "Interesse" wird auch ohne Bezug zu konkreten Entscheidungsproblemen gebraucht, etwa im Sinne von Zielen, die unter allen Umst�nden angestrebt werden. Etwa: "Jeder hat das Interesse, in seinem Beruf voranzukommen".
Aus solchen Interessenbestimmungen folgt weder empirisch, wie Individuen handeln, wenn sie ihre Interessen verfolgen, noch normativ, wie sie handeln sollten, wenn sie ihre Interessen befriedigen wollen, denn es kann noch andere Interessen (Ziele, Werte) geben, deren gleichzeitige Befriedigung nicht bzw. nur teilweise m�glich ist.
Zum Beispiel: "Jeder hat das Interesse, ein bequemes Leben zu f�hren".
Im Falle einer Entscheidung muss das Individuum seine Interessen abw�gen, um zu entscheiden, welche Handlung in seinem vorrangigen Interesse ist.

*X - 9*

Die sanktionsfreie Interessen�u�erung ist wahrscheinlich eine Ausnahme bei gesellschaftlichen Konflikten. Selbst die geheime Wahl moderner Form unterliegt indirekt Sanktionsmechanismen: Die Diskriminierung findet meist im Vorfeld der Wahl statt � man handelt sich für seine politischen Einstellungen st�ndig positive oder negative Sanktionen ein. In kleinen Gremien lässt sich auch bei geheimer Abstimmung h�ufig rekonstruieren, wie der Einzelne gestimmt hat.

*X - 10*
Offenbar best�tigen wahlsoziologische Studien, dass die W�hler bei der Abgabe des Stimmzettels eher ihre eigenen Interessen verfolgen als dass sie damit ihre Ansicht vom Gesamtinteresse ausdr�cken, denn es gibt eine starke Korrelation zwischen den sozio�konomischen Eigenschaften und den Wahlentscheidungen. Aber man k�nnte diese Korrelation zumindest teilweise auch als das Ergebnis des vereinheitlichenden Einflusses auf die Meinungen innerhalb dieser Gruppen ansehen.
Experimentum crucis wäre die Untersuchung von F�llen mit Individuen gleicher sozialer Lage aber ohne ein spezifisches gruppeninternes Einflusssystem. Wenn beide Gruppen ähnlich abstimmen, dann schlagen die gleichartigen individuellen Interessen durch. Man k�nnte die Gleichartigkeit auch noch als Resultat ähnlicher Sozialisations- und Bildungsbedingungen interpretieren, die zur Angleichung der Ansichten über das Gesamtinteresse in den Gruppen f�hren.

*X - 11*
Mich noch einmal eingehender mit R.P. Wolffs Theorie der "Kollektivwerte" befassen.

*X - 12*
Welche Interessenkonstellation impliziert einen Interessenkonflikt? Wenn die Rangfolge der Alternativen bei zwei Individuen genau entgegengesetzt ist (zum Beispiel beim Nullsummen- oder Konstantsummenspiel von zwei Personen), ist der Konflikt unvermeidlich. Wie ist es bei unterschiedlichen Pr�ferenzrangfolgen? Hier k�nnten Individuen mit unterschiedlichen Rangfolgen in der gleichen Koalition auftauchen.

*X - 13*
Von Marxisten wird gegen einen Ansatz bei den individuellen Interessen die soziale Bestimmung der Privatinteressen ins Feld gef�hrt. Dies ist insofern richtig, als die Interessen eines Individuums immer nur relativ zu bestimmten Entscheidungssituationen definiert werden können. Diese Situationen ergeben sich auch aus den gegebenen sozialen, insbesondere aus den �konomischen Verhältnissen. Deshalb gehen in die individuellen Interessen immer schon gesellschaftliche Verhältnisse ein. Zum Beispiel ist das individuelle Interesse des Arbeiters am Abschluss eines Arbeitsvertrages bestimmt durch die bestehenden EigentumsVerhältnisse.
Trotzdem ist die generelle Kritik am indivdualistischen Ansatz falsch, denn es kommt darauf an, welche Entscheidung in der jeweiligen Situation ansteht. Wenn man z. B. das Interesse eines Arbeiters an der Einf�hrung einer nicht-kapitalistischen Eigentumsordnung bestimmen will, gehen die bestehenden EigentumsVerhältnisse nicht mehr als Beschr�nkung des Alternativenberreichs in die individuellen Interesse ein.

*X - 14*
Einzel- und Kollektivinteresse:
Der Alternativenbereich, innerhalb dessen das Interesse zu bestimmen ist, �ndert sich je nach den verf�gbaren Ressourcen des Akteurs. Ein Einzelner mit seinen geringen Ressourcen hat nur einen kleinen Bereich von Handlungsalternativen. Gro�e Kollektive, die ihre Ressourcen zusammentun, haben einen viel gr��eren Alternativenbereich. Das sind die Vorteile von Koordination und Kooperation.

*X - 15*
Man kann Interessen auf den verschiedensten Entscheidungsebenen formulieren, zum Beispiel als hypothetische Wahl zwischen hypothetischen Zust�nden (meist mit impliziten Ceteris-paribus-Klauseln). In der gr��ten Konkretion als Wahl zwischen Handlungsalternativen.

*X - 16*
Zur Interdependenz von Nutzenver�nderungen:
Der Wert, den ich einer zus�tzlichen G�termenge beimesse, h�ngt auch davon ab, wie viele G�ter (Lebensmittel, Waffen, Maschinen etc.) andere dabei zus�tzlich bekommen. Das hei�t, nicht meine absolute sondern meine relative G�terversorgung entscheidet über die Gr��e der individuellen Nutzenver�nderungen. Diese Interdependenz ist nicht imagin�r ("Neid"), sondern ergibt sich aus den Folgen hinsichtlich anderer G�ter: zum Beispiel bei sexueller Konkurrenz, bei knappen G�tern et cetera, wo relativer Reichtum und nicht absoluter Reichtum den Ausschlag gibt. Ob die Vergr��erung meines Grundeigentums in einem konkreten Fall meine Chancen bei der Partnerkonkurrenz vergr��ert, h�ngt auch davon ab, wie in diesem Fall das Grundeigentum meines Konkurrenten vergr��ert wird.

*X - 17*
David MILLERs Einwand gegen den "interpersonalen Nutzenvergleich": "� can certainly try to imagine how much utility I would enjoy, if I were in your (objective) social position, but I cannot imagine how much utility I would enjoy with your inherited characteristics and background, since I would then no longer be myself." (Miller 1978: Rational Choice. S.6)
Das Argument ist nicht schl�ssig: Warum soll man sich nicht auch in die pers�nlichen Eigenschaften und Pr�ferenzen eines anderen vorstellungsm��ig hineinversetzen können? Der Einwand: "Dann ist man ja nicht mehr man selbst" geht ins Leere, denn es wird ja gerade verlangt, in der Vorstellung so wie der andere zu werden! Alles andere wäre ein rein intrasubjektiver Nutzenvergleich (siehe ALCHIAN in "Meaning of utility measurement"): Wie würdech mich unter verschiedenen �u�eren Bedingungen f�hlen?
Bei ethisch-normativen Fragen geht es gerade darum, wie der andere sich f�hlt. Ich kann mir ohne weiteres vorstellen, wie es wäre, wenn ich andere Pr�ferenzen h�tte als ich sie tats�chlich habe. Man hat z. B. die Erinnerung an vergangene, inzwischen ge�nderte Pr�ferenzen und man kann ohne Probleme sagen: "Fr�her mochte ich überhaupt keine Pilzgerichte, heute schmecken sie mir ausgezeichnet." Somit wei� ich, wie es für jemanden ist, der keine Pilze mag, oder verallgemeinert: der etwas essen soll, gegen das er einen Widerwillen hat. Zumindest auf dem Wege solcher Verallgemeinerungen existieren Br�cken des Verständnisses zwischen dem Wollen der Menschen. Diese Verallgemeinerungen dr�cken sich aus im Gebrauch von W�rtern, die diese subjektiven Erfahrungen intersubjektiv verst�ndlich bezeichnen, zum Beispiel als "Widerwille", "Schmerz", "Ekel", "Phobie", "Gleichg�ltigkeit", "Lust", et cetera.

*X - 18*

In jeder kollektiven Entscheidungsregel, die individuelle Pr�ferenzordnungen aggregiert, wird - oft ohne ausdr�ckliche Erw�hnung - auf dem Wege einer "Normalisierung" der individuellen Pr�ferenzen ein intersubjektiver Nutzenvergleich vorgenommen. Zum Beispiel wird im Mehrheitsprinzip jede individuelle Pr�ferenzordnung gleich gewichtet. Beim Paretoprinzip werden nur gleichgerichtete Interessen ("gleich gut oder besser" � ("gleich gut") �"gleich gut oder schlechter") ber�cksichtigt. Wenn die Interessen der verschiedenen Individuen in Bezug auf eine m�gliche Ver�nderung kontr�r ausgerichtet sind, also besser für A aber schlechter für B sind, ist das Pareto-Prinzip nicht anwendbar.

*X - 19*

Begriffe sind Erkenntnisinstrumente: Sie dienen zur allgemeing�ltigen Beantwortung von Fragen. Aber zur Formulierung der Fragen sind bereits Begriffe n�tig. Ist das ein unzul�ssiger Zirkel? Wohl nicht, denn Fragen in Bezug auf Fragen sind Fragen. Man kann sie ohne Zirkelschluss stellen und beantworten.

*X - 20*
Zum Problem der r�umlichen Abgrenzung von Entscheidungseinheiten.
Zum Beispiel bei einer Grenzziehung zwischen zwei Nationen im Falle von Mischbesiedelung des Gebietes und einer Aufteilung auf nicht mehr als zwei neue Gebiete:
Wenn man den Wunsch jedes Individuums nach Zugeh�rigkeit zu einem Gemeinwesen, in dem die je eigene Nationalit�t, Sprache, Kultur et cetera vorherrscht, gleich gewichtet, so entspricht diejenige Grenzziehung dem Mehrheitsprinzip, bei der die Zahl derjenigen, die nicht in einem Gemeinwesen ihrer Wahl wohnen, minimiert wird.
Allerdings werden auch andere Gesichtspunkte eine Rolle bei der Aufteilung spielen: Verf�gung über vorhandene Anlagen und andere Ressourcen, milit�rstrategische Gesichtspunkte, L�nge der Grenze, Umfang des G�ter- und Personenverkehrs und seine Kontrollierbarkeit et cetera. D.h. dass ethnische Gesichtspunkte nicht allein die Interessenstruktur bestimmen. Es kommt auch auf die politische Stabilit�t der neuen Grenzen an.

*X - 21*
Zu untersuchen wäre, welchen Einfluss sympathische bzw. antipathische Gef�hle auf die Bestimmung des Gesamtinteresses haben. Es k�nnte sein, dass Sympathie, sofern sie wechselseitig ist, zu ähnlichen Ergebnissen f�hrt wie eine Koalition.

*X - 22*
Genauer die Struktur der Hierarchie untersuchen. In einer Hierarchie ist das Monopol der Normsetzung bei der Spitze der Hierarchie. Die Spitze delegiert Entscheidungskompetenz nach unten, allerdings immer vorbehaltlich einer überpr�fung durch die Spitze. Die unteren Instanzen bleiben damit an einer mehr oder weniger langen Leine. Davon zu unterscheiden ist die übertragung relativ autonomer Entscheidungsrechte auf Einzelne oder Teilkollektive.

*X - 23*
Der F�deralismus als Innovationsinstrument. Einzelne Bereiche können für sich experimentieren, andere können aufgrund dieser Erfahrungen leichter nachziehen. Die Erfahrungsbasis ist bei verschiedenartigem Vorgehen breiter.

*X - 24*
In meiner Arbeit habe ich die Bedeutung von Normen und Werturteilen im Unterschied zu positiven Aussagen n�her analysiert. Au�erdem habe ich die enge Beziehung zwischen "Sollen" und "Wollen" deutlich gemacht. N�her auszuarbeiten ist jetzt, dass sich "Sollen" immer auf einen Bereich des M�glichen bezieht und hier eine Entscheidung trifft. "Sollen" (ebenso wie "Wollen") impliziert eine Auswahl aus mehreren M�glichkeiten. Eine Auswahl kann nur zwischen einander ausschlie�enden M�glichkeiten, den Alternativen, getroffen werden.

*X - 25*
Nehmen wir eine Norm im politischen Bereich, zum Beispiel den Beschluss einer Regierung, den X-Kanal zu bauen. (Dies ist eine sehr pauschale und unspezifizierte Normen, die nicht besagt, wer wann welche Handlungen ausf�hren muss. Gewähnlich wird bei fehlender Pr�zisierung die Vollst�ndigkeit dadurch hergestellt, dass einer Instanz die Kompetenz übertragen wird, die noch fehlenden Detailentscheidungen vor Ort zu treffen.)
Was sind in diesem Fall die Alternativen? Wie lässt sich der Bereich des M�glichen bestimmen? Eine M�glichkeit wäre es, den Kanal nicht zu bauen. Wenn diese M�glichkeit nicht best�nde, dann wäre die Norm überfl�ssig bzw. sie w�rde sich in die Prognose umwandeln, dass der Kanal gebaut werden wird (auch ohne das Zutun der Regierung, dem jetzigen Entscheidungstr�ger). Die M�glichkeit, nicht zu bauen, ist eine Alternative, denn Bau und Nicht-Bau schlie�en sich bereits logisch aus. Schwieriger und bereits unübersehbar komplex sind die �brigen M�glichkeiten, wie zum Beispiel: Bau einer Autobahn bzw. einer Eisenbahn, oder irgend eine andere Verwendung der für den Kanal ben�tigten Ressourcen. (Hier m�sste man ein einfacheres Beispiel finden, das nicht an die extrem disponible Ressource "Geld" gekn�pft ist.)

Auszuscheiden wären solche M�glichkeiten, die sich zugleich mit dem Bau des Kanals verwirklichen lassen. natürlich lassen sich so gut wie alle Projekte als einzelne zugleich mit dem Kanalprojekt verwirklichen, ausgenommen vielleicht das Projekt eines Naturschutzgebietes in dieser Gegend oder die Beibehaltung der bisherigen Nutzung der ben�tigten Fl�che. Deshalb wäre es bei diesem Beispiel sinnvoller, die Gesamthaushalte der Regierung als Alternativen zu nehmen, denn die Beschr�nkung der M�glichkeiten ergibt sich erst aus den Kosten aller Projekte. Damit ist zum Beispiel der Umfang der Steuereinnahmen und der Kreditaufnaufnahme als Beschr�nkung der Handlungsm�glichkeiten der Regierung gesetzt.
Diese Steuereinnahmen sind jedoch selber unter anderm durch Normen der Steuergesetzgebung fixiert worden. Insofern die Regierung diese ab�ndern und die Steuern erh�hen kann, ist diese Beschr�nkung keine prinzipielle.

*X - 26*
Prinzipielle Beschr�nkungen von Handlungsm�glichkeiten ergeben sich nur aus naturwissenschaftlich gewonnenen Gesetzm��igkeiten, so wie sich aus dem Satz von der Erhaltung der Energie die Unm�glichkeit eines Perpetuum mobile ergibt. Dies wäre eine prinzipielle Unm�glichkeit für die Existenz eines Perpetuum Mobile. '
Au�erdem gibt es Unm�glichkeit unter bestimmten Bedingungen. So ist es unm�glich, Eisen zu schmelzen, sofern es nicht auf eine bestimmte sehr hohe Temperatur erhitzt wird. Um diese Temperatur zu erzielen, bedarf es wiederum bestimmter Hilfsmittel, wie z. B. einer starken Sauerstoffzufuhr, so dass sich Ketten von Bedingungen zur Erm�glichung eines Ereignisses ergeben.

*X - 27*
Man muss wohl zwischen verschiedenen Arten von M�glichkeiten unterscheiden:
a) die M�glichkeiten, dass überhaupt ein Ereignis x eintritt;
b) die M�glichkeit, dass x unter bestimmten Bedingungen eintritt;
c) die M�glichkeit für einen bestimmten Akteur, ein Ereignis x zu erzeugen;
d) die M�glichkeit, dass in unbestimmter Zukunft ein Ereignis x eintreten wird etc.

*X - 28*
Kompliziert wird das Ganze weiterhin dadurch, dass genau genommen nicht eine Auswahl zwischen den spezifizierten Alternativen zu treffen ist, sondern dass diese Alternativen einschlie�lich ihrer Konsequenzen zu bewerten sind. Da gibt es nun wiederum notwendige, wahrscheinliche, m�gliche Konsequenzen. Problematisch wird das ganze aber weniger durch unsere ungen�gende Kenntnis von gesetzm��igen Zusammenh�ngen und Konsequenzen, die generell unsere Prognosem�glichkeiten beschr�nken, als vielmehr durch die Tatsache, dass soziale Konsequenzen der Entscheidung Ausfluss menschlicher Handlungen sind. Wenn diese Handlungen nun zu positiven oder negativen Konsequenzen f�hren, ist die Sanktionsfreiheit nicht mehr gegeben. Damit taucht die Frage auf, ob sich Sanktionsfreiheit überhaupt gestellt werden kann. (Dies ist ein Argument gegen Habermas' Entwurf eines herrschaftsfreien Diskurses.)

*X - 29*
H�ufig besteht der Dissens bereits in Bezug auf die Beschaffenheit der Entscheidungssituation selber: Die einen m�chten das zur Disposition stellen, was die andern als gegebene Bedingungen der Entscheidung ansehen. Konkrete Entscheidungen finden immer mit der meist unausgesprochenen Klausel statt: "Vorausgesetzt, die folgenden Ausgangsbedingungen sind gegeben �"

*X - 30*
Das Problem "Sanktionsfreiheit der Entscheidung" stellt sich dann, wenn die Realisierung einer M�glichkeit vom Willen und Handeln anderer Individuen abh�ngt.
Sanktionen schlie�en bestimmte M�glichkeiten aus: Die Drohung "Geld her oder ich schie�e!" schlie�t die M�glichkeit aus, dass der überfallene sein Geld erh�lt und unbeschadet weitergeht - es sei denn, die Drohung war nur ein Bluff. Gewalt oder die Androhung von Gewalt f�hrt immer zur Eliminierung von Alternativen (siehe Biersted in Tumin). Die Forderung: "Keine gezielte Einschr�nkung des Alternativenbereichs durch fremdes Handeln" ist der normative Kern der Sanktionsfreiheit.

*X - 31*
Man muss unterscheiden zwischen der Sanktionsfreiheit des Diskurses (keine Sanktionen gegen individuelle Meinungs�u�erungen o. �.) und der Sanktionsfreiheit gegenüber den m�glichen kollektiven Beschl�ssen (keine Sanktionen auf die Entscheidung des Kollektivs für bestimmte Alternativen).
Das letztere Problem spielt wohl auf der Diskursebene keine Rolle, wo gesagt wird: "Diese Alternative ist die beste." Aber dann m�ssten die angenommenen Konsequenzen spezifiziert werden, sodass man feststellen kann, ob es dabei zu unzul�ssigen Sanktionen kommt. Das Ganze ist somit keine einmalige Entscheidung, die dem Selbstlauf überlassen bleibt, sondern ein zu realisierender m�glicher Ablauf, der m�gliche Sanktionen (und damit die Realisierung einer anderen Alternative) zu verhindern h�tte.
Bei der individuellen Entscheidung sind die tats�chlich zu erwartenden und nicht die bestm�glichen Reaktionen aller Beteiligten zu ber�cksichtigen.
Auch positive Sanktionen (Belohnungen) können das Problem der zul�ssigen Reaktionen anderer aufwerfen, wenn sie gezielt als Reaktion auf bestimmte Entscheidungen eingesetzt werden.
Insofern hier von allen m�glichen Verhaltensweisen der Individuen ausgegangen wird und daraus die (kollektiv oder indivduell) beste Alternative ausgew�hlt wird, wird das Problem der Durchsetzbarkeit der Alternativen ausgeklammert. Es geht hier um die "ideale" Alternative. Vor diesem Hintergrund stellt sich dann das Problem, wie die ideale Alternative zur Realit�t wird.

*X - 32*

Angenommen, ein Individuum bzw. eine Gruppe, deren besondere Interessen bei der gew�hlten normativen Alternative weniger gut ber�cksichtigt wurden, verweigert die Mitarbeit oder reagiert sogar negativ. Dann k�nnte man ein solches Verhalten von der idealen Alternative her normativ kritisieren und Ma�nahmen ergreifen, um die nicht kooperierenden Individuen zu einem Verhalten gem�� der idealen Alternative zu bewegen. Hier ergeben sich nun verschiedene M�glichkeiten:
1. es gelingt, das Verhalten der betreffenden Individuen gem�� der idealen Alternative zu gestalten;
2. es gelingt nur teilweise, das Verhalten gem�� der idealen Alternative zu gestalten;
3. es gelingt nicht, das Verhalten gem�� der idealen Alternative zu gestalten.
In allen F�llen zeigt sich eine Modifizierung des urspr�nglichen Bereichs der Alternativen. Im Fall 1 wird die ideale Alternative durch die Durchsetzungsma�nahmen modifiziert. Diese Ma�nahmen können derart mit Kosten und unerw�nschten Nebenfolgen verbunden sein, dass damit die W�nschbarkeit der idealen Alternative in frage gestellt ist. Man m�sste auf jeden Fall einen erneuten Vergleich zwischen den Alternativen anstellen.

Hierfür ein Beispiel: Es wäre für alle besser, wenn keiner das Auto eines andern ohne dessen Zustimmung benutzen w�rde. Wenn man eine entsprechende Norm durchsetzen k�nnte, dann k�nnte man sich T�r- und Lenkradschl�sser und das st�ndige Auf- und Zuschlie�en ersparen. Aber die Realisierung dieser idealen Norm w�rde unter den gegebenen Bedingungen einen riesigen überwachungsapparat erfordern.

Hier wird deutlich, dass es sich um verschiedene Bedeutungen des Wortes "m�glich" handelt: Einerseits wäre es im Prinzip für jeden m�glich, diese Norm zu befolgen - auch ohne Schl�sser. Andererseits erfordert eine Durchsetzung der Norm das Abschlie�en, weil eben auch normwidriges Verhalten zu erwarten ist. Eine Durchsetzung der idealen Norm "Benutze das Auto eines anderen nicht ohne desssen Erlaubnis!" ist insofern nur mit Schl�ssern m�glich.
Zum einen wird angenommen, dass es jedem Individuum m�glich ist, nicht zu stehlen. Zum anderen wird festgestellt, dass es nicht m�glich ist, ohne den Einsatz von Schl�ssern und dergleichen den Autodiebstahl zu verhindern. Ist das widersprüchlich? Offensichtlich stehen bei der ersteren M�glichkeitsbehauptung unausgesprochen allgemeinere Annahmen im Hintergrund wie: "Jeder gesunde Mensch kann seinen K�rper bewegen wie er es will".
Aber zeigt nicht die Tatsache, dass jemand das Auto stiehlt, dass es ihm offensichtlich nicht m�glich war, anders zu handeln?
Ist das eingetretene Faktum (etwa die gew�rfelte "5") nicht die Widerlegung der Behauptung anderer M�glichkeiten? (Diese Retrospektive auch einmal bei Zufallsprozessen klären. War es m�glich, dass statt der "5" eine "6" gew�rfelt wurde? Nach den gegebenen Umst�nden offenbar nicht - oder?)

*X - 33*
Was meint man, wenn man sagt:
"Die Handlung x ist für Individuum A m�glich"?
Umgangssprachlich bezieht man sich h�ufig auf die Beschaffenheit des Wollens:
"Es war mir beim besten Willen nicht m�glich zu kommen" oder
"Bei einigerma�en guten Willen ist es dir m�glich zu kommen" oder
"Er k�nnte kommen, wenn er nur wollte".

Die M�glichkeit für ein Individuum A, die Handlung x auszuf�hren, wird dabei unter der Voraussetzung eines entsprechenden Willens gemacht. Wenn ein solcher Wille nicht vorhanden ist, f�hrt A unter Umst�nden nicht die Handlung x aus.
Trotzdem bleibt es sinnvoll zu sagen:" Es wäre (bei etwas gutem Willen) für A m�glich gewesen, x zu tun."

*X - 34*
Zu klären wäre jetzt, wie man solche Behauptungen begr�nden kann. Au�erdem wäre das Konzept des "Willens" zu klären. Offensichtlich liegen solchen Behauptungen Annahmen über die F�higkeiten eines Menschen zu Grunde, vor allem in Beziehung zur willensm��igen Beherrschbarkeit der K�rperbewegungen. (Hier gibt es physiologische überg�nge zu nicht mehr willensm��igen, unwillk�rlichen Verhaltensweisen.)
Au�erdem gibt es Abstufungen, die einem Menschen die Befolgung einer Norm leicht, anstrengend, schwierig oder nahezu unm�glich machen. Dies dr�ckt aus, welches Ma� an Willensanstrengung für das Individuum erforderlich ist, um die Norm zu erf�llen (bzw. die Handlung x zu tun).

Die Willensanstrengung bezieht sich auf die St�rke der entgegenstehenden Motivation, die zur Erf�llung der Norm überwunden werden muss. So kostet es einem Hungernden eine gr��ere Willensanstrengung, ein fremdes St�ck Brot nicht zu nehmen, als einem Satten. Man spricht vor Gericht von "mildernden Umst�nden", wenn es dem T�ter gro�e überwindung gekostet h�tte, die Norm einzuhalten. Oder es dient zur Abstufung der Schwere von Straftaten: Unterschlagung einer Fundsache, leichter und schwerer Diebstahl, Einbruch, Raub et cetera. Am schwersten wird der anhaltend "b�se Wille" bestraft, die bewusste Normverletzung trotz Absicherung der Norm.

*X - 35*
Zur Macht in der Demokratie.
Man k�nnte sagen: Durch Mehrheitsbeschluss kann die Anwendung der Machtmittel verboten werden. Aber vielleicht ist dieser Beschluss nicht m�glich, weil die M�chtigen das Machtmittel y bei der Antscheidung anwenden können. Das wäre ein circulus vitiosus. Ein kaum angreifbares System, das nur in einem umfassenden Konflikt, das hei�t in einer Revolution zu beseitigen wäre. Solche Konstellationen analysieren.
(ähnliche Absicherungen gibt es auch im Manipulationsbereich.)

*X - 36*
Wolff betont, dass zur Definition von Macht das Urteil über die Wichtigkeit von Entscheidungen geh�rt. Insofern gibt es also ein wertendes Element in der Definition ("key decisions").

*X - 37*
Das utilitaristische Prinzip (und auch das Solidarit�tsprinzip) werden problematisch, wenn sie in Situationen angewendet werden, in der bereits Normen gelten (Bestrafung eines Normverletzers, Ausf�hrung eines Testaments, Einhaltung eines Versprechens et cetera). Zur Behebung dieses Problems wurde der Regelutilitarismus formuliert (das nachlesen Brandt, Lyons etc.) Aber es scheint, dass hier vor allem das Problem der Rechtssicherheit thematisiert wird. Diese wird untergraben, wenn aus utilitaristischen Gr�nden Normen verletzt werden, deren Geltung von allen Beteiligten vorausgesetzt wurde.

*X - 38*
Zur Begr�ndung des Intersubjektivit�tsgebotes:
"Das Intersubjektivit�tsgebot kann nicht ohne inneren Widerspruch bestritten werden". Dies ausf�hren.

*X - 39*
Ein Problem in meiner Dissertation: ich habe die Qualifizierung der individuellen Interessen nicht bereits beim Solidarit�tsprinzip diskutiert. wo es eigentlich hingeh�rt, sondern erst bei den individualistischen Entscheidungsystemen.

*X - 40*
Probleme bei der Bestimmung des aufgekl�rten Interesses: Was ist ma�gebend: Qualifikationskriterien der Interessenwahrnehmung oder intersubjektive Nachvollziehbarkeit? Bestimmt letztlich jedes Individuum selbst seine Interessen, oder muss jeder Andere diese Interessen nachvollziehen können? Bestimmt also letztlich jeder die Interessen jedes anderen? Hier ist ein Bruch in meiner Argumentation. Ma�geblich ist wohl die letztere Konzeption � ähnlich wie in der positiven Methodologie.

*X - 41*
In vielen F�llen ist die Leistungsf�higkeit (das Potential) von Individuen nicht einfach zu bestimmen, das h�ngt von der Motivation und der Bereitschaft zur Anstrengung bei den Individuen ab. Hier haben Anreizsysteme eine Funktion, da sie bisher verborgene M�glichkeiten erschlie�en, die ex ante nicht feststellbar waren.

*X - 42*
Zum Unterschied von ethischen Wahrheitsfragen und Rechtsfragen.
Die Ebenen "Was ist wahr?" und "Was soll in einer gegebenen Situation verbindlich sein?" m�ssen unterschieden werden. Dies gilt nicht nur für normative sondern auch für empirische Behauptungen. Selbst wenn man sich in einer bestimmten Situation - zum Beispiel Br�ckenbau - dazu entschlossen hat, eine bestimmte Materialfestigkeit anzunehmen und diese Annahme für alle Beteiligten verbindlich macht, (ohne übereinstimmende Annahmen über die faktischen Gegebenheiten ist koordiniertes Handeln unm�glich) kann die Wahrheit dieser Annahme im Diskurs jederzeit wieder problematisiert werden, denn der Diskurs ist handlungsentlastet.

Andererseits muss man handeln und diesem Handeln bestimmte Annahmen zugrunde legen. Die Entscheidung darüber ist aber nicht handlungsentlastet, sie muss innerhalb eines bestimmten Zeitraums definitiv getroffen werden.

ähnlich im normativen Bereich. Man muss definitive Entscheidungen treffen und es muss ein Verfahren existieren, um die geeignetsten Normen hierfür zu bestimmen, aber das hei�t nicht, dass man diese Entscheidungen nicht im Diskurs problematisieren darf. Es bedarf zum politischen Handeln von Kollektiven einer verbindlichen normativen Einigung auch dann, wenn kein Konsens erzielt wurde. Dies ist vor allem die Funktion des Rechts: Eine für alle verbindliche Norm zu setzen, auch dann, wenn der Diskurs über diese Norm nicht abgeschlossen ist.

*X - 43*
Man sagt: "Es h�tte den Angeklagten eine schier übermenschliche Willensanstrengung gekostet. (der Versuchung zu widerstehen)."

*X - 44*
Hares Argumente �hneln dem Intersubjektivit�tsgebot: "Wer 'sollen' nicht universalistisch gebraucht, stellt gar keine moralischen Behauptungen auf und ist aus der Diskussion". (So etwa in Birnbacher/Hoerster). Rawls (in B/H) enth�lt zahlreiche Parallelen zu meinem Intersubjektivit�tsgebot- und zum Solidarit�tsprinzip.

*X - 45*
Zur Kritik des Handlungsutilitarismus. F�hrt die Regel "Maximiere den Gesamtnutzen!", wenn sie von jedem Individuum isoliert angewendet wird, zu unentschiedenen Situationen? Ein Beispiel wäre eine Gesellschaft ohne Vorfahrtsregel an Kreuzungen. Ob der von rechts kommende oder der von links kommende Verkehr Vorfahrt hat, macht nutzenm��ig keinen Unterschied. Ohne Koordination wei� man jedoch nicht, welches Fahrverhalten nutzenmaximierend ist.

Hier gibt es zwei Ebenen der Normierung: die Entscheidung für die Koordinierung und die Koordinierung selber.

[Seiten 97-103 weggelassen wegen Tabellen-Darstellung)]

*X - 46*
Zu Kant: Kant betont, dass nur der gute Wille unbedingt gut genannt werden kann, nicht jedoch eine Tugend wie Tapferkeit. Dies liegt daran, dass alle F�higkeiten und guten Eigenschaften Mittel zu einem schlechten Zweck werden können. Der gute Wille jedoch, der darin besteht, die g�ltigen Normen zu erf�llen, ist gerade dadurch bestimmt, dass er auf den guten Zweck zielt. Ein guter Wille kann nicht auf einen schlechten Zweck zielen. Aber kann er nicht durch einen andern Menschen missbraucht werden? So kann man einen Menschen guten Willens durch Vorspiegelung falscher Tatsachen zu moralisch problematischen Handlungen bringen, etwa für jemanden zu spenden, der sich als blind verstellt, obwohl er sehen kann. Guter Wille gepaart mit Unwissenheit und Dummheit kann deshalb ebenfalls problematisch sein.

[Bis Seite 111 weggelassen.]

*X - 47*
Wenn man fordert, dass dasjenige sein soll, was den Gesamtnutzen maximiert, so entstehen "Pflichten gegen sich selbst". Das ist z.B. der Fall, wenn es Handlungsalternativen gibt, die nur mich betreffen. Ich habe dann die überfl�ssige "Pflicht", meinen individuellen Nutzen zu maximieren.
Die Situation sähe anders aus, wenn durch die Handlung ein anderer besser gestellt werden k�nnte, oder wenn ich oder jemand anders schlechter gestellt w�rden. Das erg�be schon eher eine Pflicht. Offenbar fungiert der Begriff "Pflicht" vor allem als Gegengewicht zu "Eigeninteresse", so dass es paradox klingt, wenn jemand die Pflicht hat, sein Eigeninteresse zu verfolgen.

Wenn die Verfolgung meines Eigeninteresses das ist, was ich wirklich will, und die Pflicht das ist, was ich soll, so erscheint es als setsam zu sagen dass ich etwas soll, was ich sowieso will. Dies h�ngt damit zusammen, dass ich Normen als Konfliktl�sung verstanden habe. Im obigen Fall existiert jedoch kein Interesssenkonflikt. In diesem Fall hat das Maximum des Gesamtnutzens nichts Zwingendes. (In ähnlicher Weise hat das Gesamtnutzenmaximum nichts zwingendes, wenn ein gemeinsames Interesse existiert und alle dieselbe Alternative bevorzugen. Allerdings geht es dann auch um den Nutzen der anderen, so dass hier eher eine moralische Situation existiert.)

Die Verfolgung des Eigeninteresses wird gewähnlich nicht als moralisch betrachtet, der Begriff "Pflicht" erscheint deshalb unangemessen. Das h�ngt sicherlich damit zusammen, dass die Individuen eine urspr�nglich vorwiegend eigenn�tzige Motivation haben und dass Moral vor allem die Aufgabe hat, andere Motivationen zu schaffen, die � wenn n�tig � die eigenn�tzige oder die nicht normgem��e Motivation zur�ckdr�ngen können
überhaupt erscheint die ganze normative Problematik unverst�ndlich, wenn man nicht die Tatsache eigenn�tziger Motivation der Individuen als Ausgangspunkt nimmt.

Das Problem kommt am sch�rfsten heraus bei der Analyse von Entscheidungssystemen, die den Individuen bewusst erlauben, nur ihre eigenen Interessen (innerhalb bestimmter normativer Schranken) zu verfolgen.

*X - 48*
Man muss scharf unterscheiden zwischen der Bewertung einer Handlung und der Bewertung des Handelnden. Eine Handlung kann falsch sein, aber trotzdem bleibt der Handelnde frei von Vorw�rfen. Die Unterscheidung von Brandt (in: "Credible Utilitarianism") zwischen subjektiv und objektiv richtigen Handlungen ist da sehr brauchbar.

*X - 49*
Oben war gesagt worden, dass die Regel "Maximiere den Gesamtnutzen!" zu keiner Indeterminiertheit f�hrt, da es immer ein Maximum gibt (bzw. mehrere, aus denen eines ausgew�hlt werden muss). Aber selbst wenn es nur ein Maximum gibt, f�hrt die voneinander unabh�ngige Anwendung der Regel durch die Individuen dann zu Problemen, wenn diese von unterschiedlichen Sachverhalten ausgehen. Auch wenn die Maximierungsabsicht vorausgesetzt wird, bedarf es also der Koordination bzw. Abstimmung zwischen den Individuen über die tats�chliche Lage, die Alternativen, die Konsequenzen, die Bewertung et cetera.

*X - 50*
Ein Problem bei der Maxime "Versprechen brauchen nicht eingehalten zu werden, sofern die Nichteinhaltung eine Steigerung des gesamten Nutzens mit sich bringt" besteht darin, dass es unter Umst�nden mehrere Formen der Nichteinhaltung gibt, die das Maximierungs-Kriterium erf�llen. Das bevorzugt unter diesen Umst�nden denjenigen, der in der Aufdeckung solcher Alternativen am findigsten ist. Au�erdem gilt, dass solche Versprechen gar nicht erst gegeben werden sollten.

*X - 51*
Bei der Koordinierung zur Erzielung eines Nutzenmaximums kann Eigeninteresse immer st�rend auftreten, z. B. wenn sich zwei Individuen A und B zum gemeinsamen Spaziergang verabreden, der für sie ein Nutzenmaximum ist �  z. B. für beide besser ist als getrenntes Spazierengehen.

Wenn man zuk�nftiges Verhalten zeitlich koordiniert, so mag man gegenüber dem Zeitpunkt aktuell indifferent sein: ob wir uns um 4:00 oder um 5:00 Uhr verabreden, ist mir aus meiner jetzigen Sicht egal. Insofern wirft das Eigeninteresse bei der Festlegung des Zeitpunktes noch keine Probleme auf. Allerdings ist es immer ein gewisses Problem, sich in Bezug auf sein k�nftiges Verhalten festzulegen, da Ungewissheit oder Risiko hinsichtlich dessen besteht, was in der Zwischenzeit passiert. Es kann etwas "dazwischen kommen", das ich nicht erwartet habe, und pl�tzlich passt mir die verabredete Zeit gar nicht mehr. Eventuell ist der gemeinsame Spaziergang zu diesem Zeitpunkt nun nicht mehr mein individuelles Nutzenmaximum und wom�glich auch nicht mehr das Gesamtnutzenmaximum.

Insofern, als sich die Lage - richtiger: meine Kenntnisse von der Lage und ihrer Entwicklung - in der Zwischenzeit ver�ndern kann, ist jede Festlegung des eigenen Verhaltens für die Zukunft problematisch. Man zieht es vor, sich nicht festzulegen. Das Problem der Festlegung eigenen Verhaltens versch�rft sich, wenn unabsehbare Entwicklungen eintreten.

*X - 52*
Im Alltag gibt es deshalb auch die eingeschr�nkten Verabredungen: Etwa jemand erwartet einen wichtigen Besuch, dessen genaue Ankunft aber unbestimmt ist, so dass dies zeitlich mit dem Spaziergang kollidieren k�nnte. Man sagt dann: "Ich komme, sofern der Besuch nicht inzwischen eingetroffen ist. Wenn ich 5 Minuten sp�ter noch nicht da bin, warte nicht l�nger auf mich!"

*X - 53*
Auch im Nachhinein gibt es begr�ndete Entschuldigungen für die Nichteinhaltung von Versprechen. Nicht nur, wenn man durch �u�ere Umst�nde, die man nicht zu verantworten hat, verhindert ist, sondern auch, wenn eine unerwartete Situation eingetreten ist und ein anderes Handeln erforderlich macht. (zum Beispiel Hilfeleistung bei einem Unfall).
Dies wird auch von den Kritikern des Handlungsutilitarismus gesehen. Andererseits wird wohl zu Recht eingewandt, dass nicht irgendein minimaler Zuwachs des Gesamtnutzens den Bruch der Verabredung rechtfertigen kann (Brandt) Durch ein Versprechen hat man die Situation ver�ndert. Man kann das Versprechen nicht einfach ignorieren und den Gesamtnutzen v�llig neu kalkulieren.
Inwiefern hat sich die Situation ver�ndert? Zum einen ist durch die Verabredung dem anderen eventuell ein Schaden entstanden bzw. ein Nutzen entgangen, denn er hat sich daran gehalten und das hat ihn daran gehindert, andere Dinge zu tun, die ihm selber (oder auch Dritten) gr��eren Nutzen gebracht h�tten. Unter diesen Bedingungen muss der Utilitarist sagen: "Es ist zwar gerechtfertigt, dass ich die Verabredung nicht einhalte, aber es war falsch, überhaupt diese Verabredung zu treffen." Insofern kann der Utilitarist nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, sondern er muss mit einer Kritik und einer eventuellen Sanktionierung einverstanden sein. Eine derartige Sanktionierung nicht des Bruchs sondern des leichtfertigen Eingehens eines Versprechens gibt es auch in der Rechtspraxis, wenn jemand zum Beispiel eine Reise gebucht hat, aber - bevor er die Reise angetreten hat - merkt, dass es viel besser ist, diese Reise nicht zu machen. Er muss dann u. U- eine Konventionalstrafe zahlen.

Hier bricht man kein Versprechen, sondern sucht das Versprechen einverst�ndlich r�ckg�ngig zu machen. Dies ist gewähnlich mit gewissen Kosten verbunden, die damit als Sanktionierung für das Eingehen des ungeeigneten Versprechens wirken: "Gehe nicht leichtfertig Versprechen ein!" (Allerdings ist es wohl nicht immer so, dass wenn es utilitaristisch gerechtfertigt ist, das Versprechen nicht zu halten, es auch nicht gerechtfertigt war, das Versprechen zu geben. Man denke an die Situation, wo jemand in der Hand von Verbrechern ist, die ihn foltern, und dieser, um Zeit zu gewinnen ein falsches Versprechen abgibt - etwa am n�chsten Tag die Verbrecher zu einem Geldversteck zu f�hren. Aber unter Drohung gegebene Versprechen verpflichten schon aus anderen Gr�nden meist nicht.

*X - 54*
Ein entscheidendes Problem des utilitaristischen Kalk�ls in solchen Situationen besteht darin, dass das Gesamtnutzenkalk�l nicht operational und damit nicht justiziabel ist. Man wird bei der solidarischen Abw�gung der Vor- und Nachteile von Einhaltung bzw. Bruch des Versprechens h�ufig nicht einer Meinung sein, so dass dann unterschiedliche Meinungen darüber bestehen, wie der Betreffende h�tte handeln sollen. Selbst wenn man aber Einigkeit herstellen k�nnte über das Ergebnis der Nutzenkalkulation, so wäre das sicherlich mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, der Verpflichtung zur Einhaltung des Versprechens als solcher ein gr��eres Gewicht zu geben. Die Einhaltung ist prinzipiell feststellbar, da sie unmittelbar in Handlungskategorien empirisch beschrieben ist und nicht erst die Anwendung eines Nutzenkalk�ls voraussetzt.

*X - 55*
überlie�e man die Entscheidung über Einhaltung bzw. Nichteinhaltung des Versprechens einen Nutzenkalk�l, so best�nde die Gefahr, dass jemand � etwa zu seinen Gunsten � sich "verrechnet", dass jemand bewusst zu seinen Gunsten übertreibt, t�uscht usw. Wo dies nicht zu erwarten ist, zum Beispiel unter Freunden, ist es auch viel unproblematischer, ein Versprechen nicht einzuhalten, da Unwahrhaftigkeit und unsolidarischer Egoismus in der Beziehung praktisch ausgeschlossen werden können. Hier nimmt man dem andern seine Begr�ndung ab, sebst wenn man die Behauptungen im einzelnen nicht nachpr�fen kann.
Ein solches Vorgehen ist allerdings im gr��eren gesellschaftlichen Rahmen nicht m�glich: Hier kann jeder behaupten, er habe pl�tzlich seine kranke Oma pflegen m�ssen oder ähnliches. Deshalb "ziehen" hier solche Argumente nicht, da sie nicht � oder zumindest nur mit gro�em Aufwand � nachpr�fbar sind. Deshalb wird man aus utilitaristischen Gr�nden für die Einhaltung von Normen sein, die operational formuliert sind. (Hier sind die Normen also nur Faustregeln, so dass es in dem Fall, wo die Nutzenkalkulation bereits gegeben und von allen akzeptiert ist, moralisch gerechtfertigt ist, die Norm zu brechen.)

Die Schwierigkeiten bei der Anwendung des Nutzenkalk�ls k�nnten es auch erklären, weshalb man nur in eindeutigen und schwerwiegenden F�llen die Nichteinhaltung eines Versprechens für gerechtfertigt h�lt (Wie ist es im Recht? Welche Gr�nde für die Nichteinhaltung rechtskr�ftiger Vertr�ge gibt es? Gibt es überhaupt welche?)

*X - 56*
Man muss das Problem der Selbstverpflichtung durch Versprechen wohl noch grunds�tzlicher analysieren. Versprechen setzen bereits einen normativen Rahmen voraus, n�mlich dass das versprechende Individuen das Recht und die M�glichkeit hat, über das versprochene Handeln autonom zu bestimmen. So wären von vornherein Versprechen ung�ltig, für die dies nicht gilt und das Versprechen: "Ich verspreche dir, X zu t�ten" ist ung�ltig, wenn gleichzeitig das T�ten verboten ist. Das hei�t, es m�ssen bei einem Versprechen bereits private Verf�gungsrechte entsprechender Art vorausgesetzt werden.
Bevor man nun die Frage stellt, ob man ein einzelnes Versprechen halten soll oder nicht, wäre deshalb zu fragen nach den Gr�nden für diese individuellen Verf�gungsrechte und für die Freistellung dieses Handlungsbereichs für Versprechen und Vertr�ge.

*X - 57*
Im Bereich der Eigentums- und Vertragsrechte ist die Verfolgung des Eigeninteresses ausdr�cklich erlaubt - wenn nicht gar geboten, damit die "unsichtbare Hand" für das Erreichen des Optimums wirksam werden kann. Vor diesem Hintergrund moralisch zu argumentieren in dem Sinne, dass man für sich selbst in Anspruch nimmt, jemand anders bestehlen zu d�rfen bzw. die eingegangenen Verpflichtungen nicht einhalten zu m�ssen, da sonst das Gesamtnutzenmaximum nicht erreicht wird, ist wohl "fehl am Platz." Man w�rde pl�tzlich mit einem v�llig fremden Prinzip (Maximierung des Gesamtnutzens) in einen Bereich hineinregieren, der nach dem Prinzip funktioniert: "Jeder darf (soll) seinen Eigennutzen maximieren!" Man darf auf jeden Fall nicht gleichzeitig beide Prinzipien vertreten, da sie sich widersprechen können.
Oder k�nnte man auch hier sagen: "Dies ist eine Faustregel, aber die andere Regel wende ich an, wann immer es m�glich ist"? Dies geht wohl nicht, denn die Faustregel muss verbindlich gemacht werden, damit sie funktionieren kann. Z.B.kann das Anreizsystem nicht funktionieren, wenn man den Individuen hinterher ihre Belohnungen wieder wegnimmt. Die Faustregel wurde ja gerade eingef�hrt,weil das Maximierungsprinzip selber nicht unmittelbar anwendbar war. Man kann jetzt nicht fiktiv die Anwendbarkeit des Mximierungsprinzips annehmen, ohne zugleich die Faustregel au�er Kraft zu setzen.

*X - 58*
Wenn die Ungewissheit steigt, ob Abmachungen zuk�nftig eingehalten werden, so werden mehr Individuen "auf Nummer Sicher" gehen wollen und eigentlich m�gliche normative Alternativen können nicht realisiert werden.

*X - 59*
Die utilitaristischen Beispiele (Testamentsvollstrecker ohne weitere Zeugen o.�.) arbeiten oft mit der Annahme, dass niemand es bemerkt, wenn man den Willen des Sterbenden nicht erf�llt. Wenn man aber ein solches Handeln für richtig h�lt und die entsprechende Norm für allgemeing�ltig, so hei�t das doch, dass jeder so handeln soll. Dann w�rde jedoch die Institution "Testament" nicht mehr benutzt werden.
Es scheint, dass Utilitaristen wie Smart die Frage "Ist diese Norm g�ltig?" vermischen mit der Frage: "Ist es n�tzlich, diese Norm zu propagieren?" Dass ein g�ltiges normatives Prinzip u.U. falsch verstanden werden k�nne, sodass eine Propagierung abzulehnen ist, macht das Prinzip dadurch noch nicht falsch. (Es ist wohl eher umgekehrt: Smart versucht gerade, beide Fragen scharf zu trennen.)

*X - 60*
Konkretionsstufen von Normen:
Normen dr�cken ein WillensVerhältnis (conatives) Verhältnis zur Welt aus.
Sie lassen sich sprachlich durch ein "Sollen" ausdr�cken, in der einfachsten Form: "x soll (nicht) sein!"
Gegenst�nde des Sollens können sein:
a) Zust�nde b) Handlungen
Das "Sollen" kann sich auf einzelne Zust�nde bzw. Handlungen beziehen ("Es soll eine Autobahn zwischen Berlin und Hamburg gebaut werden!")
Das "Sollen" kann sich auch auf ganze Klassen von Zust�nden oder Handlungen beziehen ("Kein Mensch soll hungern m�ssen!")
(Die Unterscheidung zwischen Zust�nden und Handlungen scheint hier überfl�ssig zu sein.)

Wright ("Norm and Action") hat die verschiedenen Bestandteile und Arten von Normen breits recht gut analysiert. Meine Frage nach der Realisierbarkeit von Normen ist jedoch spezifischer. Bei G�fgen (S.111) findet sich die Unterscheidung von "objective" und "goal" in Bezug auf Handlungsziele:
"Goal" ist ein Zustand, der voll realisiert werden muss, um ein Erfolg zu sein (alles oder nichts). ("Die Partei hat das Ziel - im Sinne von 'goal' -, den n�chsten Regierungschef zu stellen."
"Objective" ist ein Ziel, an das man sich m�glichst weit ann�hern soll ("je n�her desto besser") "Unser Ziel ist die Veringerung von Arbeitslosigkeit")

*X - 61*
Es gibt unterschiedliche Beziehungen zwischen einer Norm und ihrer Realisierung:
Zum einen gibt es Normen, deren Realisierung prinzipiell ausgeschlossen ist, zum Beispiel wenn Normen in Bezug auf bereits Vergangenes formuliert werden. Ein Beispiel dafür: "Du h�ttest ihn nicht beleidigen sollen!" Die Irrealit�t der Normerf�llung wird hier sprachlich bereits durch den Konjunktiv angegeben. Man kann diese Form als Anwendung einer generelleren Norm ansehen: "Du sollst ihn nicht beleidigen!"
Wenn dazu die Tatsachenfeststellung kommt: "Du hast ihn beleidigt", so ergibt sich als logische Schlussfolgerung: "Du h�ttest ihn nicht beleidigen sollen!"
Dieser Satz setzt bereits voraus, dass die generelle Norm nicht erf�llt wurde. Insofern ist er eigentlich keine reine Norm.

Man kann jedoch auch Normen für Vergangenes formulieren (oder nur zitieren?), ohne dass ihre Nichterf�llung bereits vorausgesetzt wird. Man kann zum Beispiel sagen: "Du solltest gestern um 22:00 Uhr zuhause sein!" und dann die Frage anschlie�en: "Und wann bist Du tats�chlich zuhause gewesen?" Allerdings ist die fragliche Handlung bereits geschehen. An ihr lässt sich nichts mehr �ndern.

*X - 62*
Bei vielen Dingen wei� man im Voraus nicht, ob sie sich realisieren lassen. Hier sind strikte Gebote, die Norm zu realisieren, fehl am Platz.

*X - 63*
Es gibt verschiedene Ursachen für die Nichterf�llung einer Norm wie: "A soll x tun (das Geschirr abwaschen)!"
1.) A wusste nicht, dass er x tun sollte.
Er war über das Gebot bzw. dessen Existenz nicht informiert (falsch informiert, hat es missverstanden�) (Und konnte sich nicht informieren).
2. )A kann x nicht tun.
Ihm fehlt die F�higkeit dazu.
Er wei� nicht, wie das geht. Ihm fehlt das n�tige Geschick oder Er hat nur einen Arm.
3. )A fehlen die notwendigen Hilfsmittel.
Er hat kein Wasser und kann keines beschaffen
Das Wasser geh�rt jemand anders, der es nicht bereitstellen will.
4. ) A will x nicht tun.
Er wollte x nicht tun, weil er lieber spazieren gehen wollte,
5. ) A's Wille, x zu tun, war zu schwach gegenüber anderen Motiven.
A hat einen unüberwindlicher Ekel, seine H�nde in schmutziges Wasser zu tun.
6.) A wurde von den Umst�nden daran gehindert, x zu tun.
A war in der K�che eingeschlossen.
7. ) A wurde gewaltsam daran gehindert, x zu tun.
Er wurde von jemandem eingeschlossen.
8. ) A wurde durch Drohungen davon abgehalten, x zu tun.
Es wurden A Pr�gel angedroht, für den Fall dass er nicht abw�scht.
9. ) A verga�, x zu tun.
A wusste, dass er x tun sollte, aber er hat es aus seinem Bewusstsein verdr�ngt.

*X - 64*
Sofern der Grund für die Nichterf�llung im Willen von A liegt, kann man die Art dieses normwidrigen Willens, die Art des Tatmotivs noch weiter unterscheiden: "A hat x nicht getan, weil ..."
� weil er es für ein ungerechtfertigtes Gebot gehalten hat;
� weil er in Bezug auf eine andere Norm unterlag, die damit unvereinbar war, und die er für rechtm��ig hielt;
� weil er keine Lust dazu hatte.
- weil er lieber etwas anderes tun wollte;
� weil es für ihn gro�e Nachteile gehabt h�tte�

*X - 65*
Aus den Gr�nden für die Nichterf�llung der Norm ergeben sich dann die Ma�nahmen, die getroffen werden m�ssen, um die Normerf�llung zu erreichen. Diese Ma�nahmen m�ssen allerdings mitbewertet werden.

*X - 66*
Nun mag es bestimmte Normen geben, die unter den gegebenen Bedingungen nicht oder nicht hinreichend durchgesetzt werden können, obwohl ihre Einhaltung w�nschenswert wäre. Ihre Einf�hrung als sanktionsgest�tzte Norm wird damit jedoch nicht w�nschenswert (Beispiele?)
Unter diesen Verhältnissen muss jetzt die zweitbeste Norm gefunden werden, die den Realisierungsschwierigkeiten (Motivationsstrukturen, MachtVerhältnissen etc.) Rechnung tr�gt. Die urspr�ngliche Norm mag als moralisches Ideal (für Helden und Heilige) fortbestehen, aber die konkretere Ebene der Pflichten und Sanktionen (Rechtssystem) wird davon nicht beherrscht (Ist das die scheinheilige "Sonntagsmoral"?)

*X - 67*
Ein gutes Klassifikationsschema entwickeln für Gr�nde der Nicht-Realisierung, um übersichtlichkeit zu schaffen.

*X - 68* Einmal die Gr�nde für nicht sanktionierte Normenverst��e auflisten. Zum Beispiel ist jemand, der hinreichend Macht besitzt, nicht sanktionierbar � er sanktioniert umgekehrt diejenigen, die seinem Willen zuwiderhandeln. Ebenso die Nicht-Justiziabilit�t bestimmter Fakten � und darauf bezogener Be- oder Entschuldigungen.

Man kann Normtypen nach der Art und der Schwere der Sanktionierung unterscheiden. Zum Beispiel sind positive Sanktionen dort zu finden, wo es nicht sinnvoll ist, nur die Unterschreitung eines Minimalstandards zu bestrafen, sondern jedes überschreiten ist entsprechend zu belohnen.

*X - 69*
Ob ein Tatbestand x realisierbar ist, h�ngt von der Existenz bestimmter Bedingungen ab. Jede Bedingung h�ngt in ihrer Realisierbarkeit wiederum von der Existenz weiterer Bedingungen ab. So ergeben sich Ketten von Bedingungen. Damit x realisiert wird, muss zumindest eine hinreichende Bedingung (und m�ssen alle notwendigen Bedingungen) erf�llt sein.

*X - 70*
Teleologische versus deontologische Theorien. Die Ersteren behaupten, dass die Bewertungen prim�r sind und dass die Normen aus ihnen abgeleitet sind. Begr�nden, warum das sinnvoll ist. Warum können Normen nicht prim�r sein?

*X - 71*
Unterscheiden zwischen verschiedenen Arten von Fragestellung, die auf dieselbe Norm bezogen sein können. In allgemeiner Form: "Alle A's sollen in der Situation s die Handlung x tun (unterlassen)".

1.) Soll jeder unbedingt die Norm befolgen?
2.) Soll die Norm eingef�hrt werden und sollen Verst��e sanktioniert werden?
3.) Werden in einer bestimmten Gesellschaft (bzw. Teilgesellschaft) Verst��e tats�chlich sanktioniert?'
4.) Soll jeder der Norm zustimmen? (Wann und wo?)
5.) Soll jeder den Willen haben, die Norm zu befolgen?

*X - 72*
für die verschiedenen Ebenen normativer Geltung ist die Unterscheidung zwischen formaler (prozeduraler) und materialer(inhaltlicher) Richtigkeit von Entscheidungen von Interesse: Eine Norm mag aus einer anerkannten Prozedur hervorgegangen sein, aber sie kann trotzdem falsch sein (zum Beispiel bei Mehrheitsentscheidungen).

*X - 73*
Im rechtlichen Bereich ist Legitimit�t immer prozedural erzeugt, denn über diese Inhalte lässt sich kaum streiten. Recht: ein System mandatorischer Normen, ein Gef�ge rechtskr�ftiger Entscheidungen durch erm�chtigte (kompetente) Instanzen.

*X - 74*
Aus dem Satz "Alle sollen x tun" folgt nicht: "Ich soll x tun", wenn "alle" nicht hei�t "jeder einzelne" sondern "alle gemeinsam".
Wenn 6 Leute erforderlich sind, um das Auto anzuschieben, und 6 sind zugegen, so ergibt sich die Aufforderung "Alle sollen schieben!" Aber das bedeutet nicht, dass ich schieben soll, wenn die andern nicht mitschieben: das wäre Kr�ftevergeudung. Gefordert wird nur die Bereitschaft, zu schieben, sofern gen�gend andere die gleiche Bereitschaft zeigen.

*X - 74a*
Dahl/Lindblom analysieren das Durchsetzungsverm�gen in Bezug auf Normen systematisch unter dem Stichwort: "Kontrolle". Hier ist der übergang zu realen Problemen der �konomischen und politischen Ordnung. Ich darf mich nicht in die blo�en Begriffsprobleme verlieren. Allerdings kommen dann empirische psychologische und soziologische Annahmen ins Spiel. Hier muss Klarheit erhalten bleiben. Methodologische und faktische Behauptungen d�rfen nicht unkontrolliert vermengt werden.

*X - 75*
Das Problem der normativen Methodologie ist nicht nur das Problem der Rechtfertigung expliziter Normen. Gro�e Bereiche menschlichen Handelns sind frei von (moralischen) Normen und lassen den Individuen Spielraum für die Verfolgung ihrer eigenen Interessen. Auch diese Normfreiheit ist eine normative Ordnung.

*X - 76*
Unterscheiden:
1. unmittelbar auf einzelne Handlungen bezogene Fragen: Wie sollen die Individuen handeln?
2. auf generelle Normen für Handlungen bezogene Fragen: Welche Normen sollen gelten?
Beispiel:
1. Soll Individuum A diesen Vertrag abschlie�en und halten?
2. Soll dieser Bereich überhaupt durch Vertr�ge geregelt werden?

*X - 77*
Die Auseinandersetzung um Handlungs- oder Regelutilitarismus leidet unter einer Vermengung der Ebenen. Wenn verbindlich entschieden wurde, dass ein Bereich vertraglich geregelt wird, so bleiben die geschlossenen Vertr�ge verbindlich, selbst wenn die darin enthaltenen Normen inhaltlich "ung�ltig" sind. Der Handlungsutilitarist f�hrt die Annahme ein, dass die Nutzenkalkulation unproblematisch sei. Aber gerade weil dies nicht so ist, wurden weitere normative Prinzipien bzw. Verfahren (wie z. B. Versprechen) eingef�hrt.
Ein anderes Problem ist der Motivationsaspekt: Wenn ich das Prinzip "Entlohnung entspechend der Leistung" als Leistungsanreiz einf�hre, dann darf ich es nicht unterlaufen, indem ich nach vollbrachter Leistung frage: "Ist die vereinbarte Entlohnung denn auch im Gesamtinteresse?" und im Falle von "nein" dann direkt nach den Bed�rfnissen verteilen.
Der Handlungsutilitarist nimmt dann an, dass "Heimlichkeit" existiere, dass niemand von der Verletzung des Leistungsprinzips, des Eigentumsrechts o.�. erf�hrt, so dass "demoralisierende" Konsequenzen ausgeschlossen werden. Aber ist nicht seine eigene Position demoralisierend? Wer eine normative Ordnung �ffentlich propagiert, der richtet implizit die Aufforderung an alle, diese Position zu übernehmen. Die "heimliche" Position untergr�bt die Glaubw�rdigkeit der Ordnung. Ebenso die Norm: "Handele dem geltenden Leistungsprinzip zuwider, wenn es keiner bemerken kann!"

*X - 78*
Normen sind abh�ngig vom tats�chlichen Verhalten der anderen: Wenn ich im Stra�enverkehr von rechts komme und Vorfahrt habe, darf ich trotzdem nicht weiter fahren, wenn ich merke, dass ein anderer Autofahre meine Vorfahrt nicht beachtet. Aber das kann man selber als weitere Norm formulieren, die das Recht auf Vorfahrt einschr�nkt insofern als sie nicht erzwungen werden darf.
Zum "consequentialism". Man verurteilt Verhalten, selbst wenn es tats�chlich keinen Schaden zur Folge hatte. Dies geschieht dann, wenn es h�tte sein können, dass ein Schaden entsteht bzw. dass es wahrscheinlich gewesen wäre und der Handelnde nicht wusste wie es ausgehen w�rde.

*X - 79*
Paradox: ich habe richtig gehandelt, und zugleich darf man mich bestrafen, weil meine Entschuldigungs- bzw. Rechtfertigungsgr�nde nicht "justiziabel" sind.

*X - 80*
Unterscheiden zwischen:
1.) mandatorischen Normen (s. Raz), die besagen, wer nach welchen prozeduralen Regeln welche Normen setzen darf. Diese Normen machen wohl das Verbindliche des Rechts aus, selbst wenn die Normen, die gesetzt werden, inhaltlich (material) falsch sind. In diesem Fall ist wiederum prozedural normiert, wie eine Revision angestrebt werden darf.
natürlich besteht auch die M�glichkeit, dass das Revisionsgericht in seinem Urteil ebenfalls eine inhaltlich falsche Norm setzt. Aber wenn alle Versuche zur �nderung ersch�pft sind (�nderung der Einzelentscheidung, �nderung der Vorschrift, nach der sie getroffen wurde; �nderung des Gesetzes, auf dem die Vorschrift beruht, �nderung der Verfassung, nach der das Gesetz zu Stande kam �) � dann gibt es im Rahmen des Rechts keine M�glichkeit mehr zur Korrektur. Insofern kann es im Recht kein absolutes Widerstandsrecht geben: Ein solches Recht w�rde das Recht sprengen, denn seine Rechtm��igkeit setzt voraus, dass es eine Instanz gibt, die die Berechtigung des Widerstands verbindlich feststellt. Aber diese Instanz kann ebenfalls irren � und was dann? Dann ben�tigt man wiederum ein au�errechtliches Widerstandsrecht.

*X - 81*
Ich muss die Diskussion über das Widerstandsrecht bei den Rechtstheoretikern einmal ansehen. Hier wird zum Verhältnis von Verbindlichkeit und G�ltigkeit bereits einiges gesagt sein. Hierzu auch die Interpretation von Kelsen (in Topitsch bei Luchterhand), der als Funktion des Rechts die Friedensstiftung sieht: Es sollen verbindliche Entscheidungen getroffen werden, die den Streit bzw. Konflikt definitiv beenden. Dies muss auch dann m�glich sein, wenn die Entscheidung eigentlich ungerecht ist.
Die Alternative dazu ist die Herstellung eines Konsens über das Gerechte, aber da der Konsens oft nicht erreichbar ist, ist die Alternative zum Recht als verbindlicher Prozedur eine Art Naturzustand, wo jeder das, was er für das Recht h�lt, auf eigene Faust und nach eigenen Kriterien durchsetzt. (Hierzu noch einmal Kant ansehen).
Andererseits soll das Verfahren der Normsetzung nicht irgendeine Entscheidung treffen, sondern eine m�glichst gerechte Entscheidung. Nicht nur der Hobbessche absolute Souver�n kann definitive Entscheidungen treffen. Man sollte die Prozeduren so gestalten, dass m�glichst das Gesamtinteresse erreicht wird: etwa durch einen Gesetzgeber in Form einer repr�sentativen Versammlung, durch Revisionsm�glichkeiten verschiedenster Art, durch pr�zise Verfahrensregelungen, durch Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaats (hier die Position von Radbruch zu ungerechtem Recht heranziehen. Sie wird diskutiert in Hart: Begriff des Rechts; Exzerpt in Hoerster).

*X - 82*
Die Verbindlichkeit des Rechts muss einspringen, wo der praktische Diskurs zu keinem Konsens f�hrt. überall dort, wo etwas zu entscheiden ist, und wo ein Dissens darüber m�glich ist, muss es eine Instanz geben, die autorisiert ist, die Entscheidung für alle verbindlich zu treffen: Gerichte, Parlamente, Eigent�mer, Amtsinhaber. Allerdings sind diese Entscheidungen in verschiedener Weise revisionsf�hig: Berufung, Beschwerde, Abwahl, Novellierung: allerdings wiederum nur auf prozedural festgelegten Wegen.
Daneben kann der praktische Diskurs weitergehen, um den Dissens aufzul�sen und um der normsetzenden Instanz genauere Entscheidungskriterien an die Hand zu geben.

*X - 83*
Aus der Tatsache, dass irgendeine Instanz die für alle verbindlichen Entscheidungen treffen muss, folgt nicht, dass es gerade diese Instanz sein muss.

*X - 84*
Jemand mag die gesamte Rechtsordnung einschlie�lich der Grundnorm ablehnen. Das ist zu unterscheiden davon, dass jemand nur eine einzelne Entscheidung ablehnt, aber die Autorisierung der Entscheidungsinstanzen nicht infrage stellt.

*X - 85*
Warum sind Gesetze, die niemand einh�lt, problematisch? Sie machen aus der Gesellschaft eine Gesellschaft von notorischen Normverletzern. Wenn die Gesellschaft trotzdem nicht zusammenbricht, so zeigt dies, dass das Gesetz zumindest nicht elementar wichtig ist. Wenn die Normverletzungen sanktioniert werden, so ergibt sich daraus ein Aufwand an Beweisf�hrung und Bestrafung, den man vielleicht scheut. (dies ist allerdings eher ein technisches Problem).
Weiterhin scheinen die Individuen selber nicht von der Berechtigung des Gesetzes überzeugt zu sein, sonst wäre ihre eigene moralische Motivation st�rker und das w�rde zu einer gewissen Einhaltung des Gesetzes f�hren. Die überwachung, Sanktionierung und moralische überzeugung ("ihm in's Gewissen reden") wäre dann auch nicht Sache spezifischer Funktionstr�ger, sondern w�rde von jedem mit übernommen. Wechselseitige Kontrolle wäre vorhanden.

Wenn ein Gesetz trotz Sanktionierung von kaum jemandem eingehalten wird, so hei�t das, dass das Gesetz Bed�rfnisse der Individuen einschr�nkt, die st�rker sind als das Interesse an der Vermeidung der angedrohten Sanktion. Gewähnlich geht die allgemeine Nichtbefolgung eines Gesetzes einher mit dessen Nicht-Sanktionierung.

*X - 86*
Warum ist ein Gesetz schlecht, das nicht sanktioniert wird? Es mag Gesetze geben, gegen die nicht versto�en wird, so dass es keiner Sanktionen bedarf.

*X - 87*
Ein Gesetz, das übertreten wird und trotzdem nicht sanktioniert wird, ist problematisch, weil es ungerecht ist: Einige Individuen halten sich an das Gesetz und erlegen sich insofern bei der Verfolgung ihrer eigenen Interessen Beschr�nkungen auf. Die anderen Individuen tun das nicht und haben insofern einen Vorteil, ohne dass sie den Nachteil einer Bestrafung fürchten m�ssen. Dies ist Ungleichbehandlung und Benachteiligung der Gesetzestreuen. Die Letzteren können diese Ungerechtigkeit dadurch abstellen, dass sie ebenfalls das Gesetz übertreten. Solch ein Zustand ist gewähnlich instabil, er untergr�bt die Moral der Gesetzestreuen (es sei denn, diese haben entsprechend starke moralische überzeugungen und imagin�re Belohnungen der Gesetzestreuen: ein ruhiges Gewissen, Belohnung im jenseits et cetera)

Wenn das Gesetz zus�tzlich noch als im Gesamtinteresse liegend betrachtet wird � und das muss zumindest dem Schein nach für jedes Gesetz behauptet werden, wenn es nicht nur Ausdruck purer Gewaltherrschaft sein soll �, so bedeutet die fehlende Sanktionierung au�erdem, dass es der Sanktionsinstanz nicht um das Gesamtinteresse zu tun ist: Damit verliert sie allgemein Autorit�t bzw. Legitimation, was sich auch auf andere Bereiche übertragen kann.

*X - 88*
Nicht jede Norm, die sich nicht für eine Verrechtlichung eignet, ist deshalb auch als Norm ung�ltig, sie kann unter Umst�nden moralische Norm bleiben.
1. Variante:
Das mit der Norm angestrebte Gut wird durch die Handlung eines einzigen Individuums hervorgebracht bzw. der zu vermeidende Schaden wird durch die Handlung eines einzigen Individuums hervorgebracht. Eine solche isoliert wirksame Handlung eines Individuums wäre: "Ich schlage einen anderen Menschen" oder "Ich behandele meine Wunde". Im einen Fall sind Handelnder und Betroffener verschieden, im andern Fall identisch. Im einen Fall ist das unmittelbare Resultat ein Schaden, im andern Fall ein Gut. (Allerdings wird es immer auf den Zusammenhang ankommen. Wenn der Get�tete gerade im Begriff war, mithilfe eines Maschinengewehrs zahlreiche andere Menschen umzubringen, so hat seine T�tung diesen das Leben gerettet und die indirekte Folge der T�tung war ein gro�es Gut.)
Wenn Handelnder und Betroffener identisch sind, dann bedarf es normalerweise keiner Normierung, denn in der Regel kann man davon ausgehen, dass jeder eigenen Schaden vermeiden und eigenes Gutes anstreben wird. (Ausnahmen bei unaufgekl�rtem, kurzsichtigem oder neurotischem Wollen).
Hier kann es h�chstens Klugheitsregeln geben. Man stelle sich etwa einen Robinson vor, für den es ausgeschlossen ist, dass er jemals wieder mit anderen Menschen in Ber�hrung kommt. Er hat h�chstens das Problem, seine eigenen Ziele miteinander in Einklang zu bringen und sich dementsprechende Regeln der eigenen Lebensf�hrung aufzuerlegen. Auch das mag manchmal schwer fallen, wenn er etwa zur Vorsorge für den Winter m�hsam Vorr�te anlegen muss oder wenn er zur Erhaltung der eigenen Gesundheit regelm��ig gymnastische �bungen machen muss.
Normativ interessanter werden Situationen, in denen Handelnder und Betroffener nicht identisch sind. (Aber Ausgangspunkt sollen die Interdependenzen zwischen Handlungen sein.)

2. Variante:
Handlungen, bei denen das Gut nur geschaffen wird, wenn mehrere Individuen handeln bzw. bei denen der Schaden nur dann vermieden wird, wenn mehrere Individuen handeln. Ein Beispiel hierfür wäre: Ein Individuum hilft einem anderen, das alleine nicht über eine Mauer klettern kann. Oder: Die elektrische Sicherung eines Hauses brennt durch, wenn mehrere Individuen gleichzeitig ihre Heizger�te eingeschaltet haben. Hier n�tzt es nichts, wenn einer etwas tut bzw. bereit ist etwas zu tun, weil das Resultat die in bestimmter Weise koordinierten Handlungen mehrerer Individuen voraussetzt. Hier tauchen also Koordinationsprobleme auf.
Man k�nnte wiederum sagen, dass die Sache unproblematisch ist und sich von selbst regelt, wo Handelnde und Betroffene identisch sind und wo das Resultat homogen ist (für alle gut oder für alle schlecht). Das Beispiel wären zwei Individuen, die sich gegenseitig helfen eine Mauer zu überklettern, die sie alleine nicht oder nur mit sehr viel gr��eren M�hen überstiegen h�tten. Hier haben beide den Vorteil davon, dass beide helfen. Aber hier können Komplikationen eintreten, denn Handlungen und Resultate fallen für die verschiedenen Individuen nicht gleichzeitig an.

Der Ablauf ist etwa so, dass zuerst B die Mauer erklettert, wobei A ihn von unten st�tzt. Dann zieht B von oben A nach, bis beide auf der Mauer sitzen. Aber B kann den Vorteil der Hilfe von A für sich in Anspruch nehmen und anschlie�end sich weigern, seinerseits A auf die Mauer zu helfen. Das überklettern der Mauer ist also kein kollektives Gut, denn es kann einem Individuum des Kollektivs vorenthalten werden. Genau genommen handelt es sich hier um zwei Komplexe von Handlungen, die jeweils nur einem Individuum zugute kommen:
1. A und B helfen B auf die Mauer
2. A und B helfen A auf die Mauer.
Beide Handlungskomplexe können getrennt ausgef�hrt werden. Das muss das Kriterium sein für die Handlungseinheiten, die zu analysieren sind.

Handelt es sich um zwei oder mehr Handlungseinheiten, die als einzelne nicht für alle Handelnden positive Resultate erbringen sondern nur, wenn alle Handlungseinheiten ausgef�hrt werden, so haben die Individuen, die nach dem geplanten Ablauf "abgeh�ngt" werden können, ein Interesse daran, dies auszuschlie�en: etwa indem eine Verabredung getroffen wird (ein Versprechen gegeben, ein Vertrag geschlossen etc.) alle Handlungseinheiten tats�chlich auszuf�hren. Man k�nnte sich Verfahren denken, um die Einhaltung der Verabredung durch alle sicherzustellen: etwa, dass eine allgemeine Sanktionsinstanz verpflichtet wird, den Vertragsbr�chigen zu bestrafen, oder dass derjenige, der auf Vertrauen angewiesen ist, ein Pfand erh�lt, dessen Verlust für den andern empfindlich wäre.

Im Alltag gibt es h�ufig F�lle, wo man Rechte deshalb nicht wahrnehmen kann, weil man die eigene Berechtigung nicht nachweisen kann: "Da k�nnte ja jeder kommen und behaupten, er sei der Eigent�mer (der Ehemann, der Vater, im Besitz einer Monatskarte etc.)".

*X - 89*
Entscheidend ist h�ufig nicht, ob etwas der Wahrheit entspricht, sondern ob dies in der Situation intersubjektiv nachweisbar ist. Wegen dieser Problematik gibt es auch in verschiedenen Bereichen Nachweispflicht (Man muss Ausweise, Fahrscheine, Eintrittskarten, Kassenbons besitzen, um sein Recht durchsetzen zu können.)

*X - 90*
Zur Interdependenz von Handlungen.
Handlungen mehrerer Individuen sind meist dann erforderlich, wenn sich die Resultate erst nach Erreichen bestimmter Schwellenwerte ergeben oder wenn sich die Resultate nur aufgrund von arbeitsteiliger Kooperation ergeben. Schwelleneffekte gibt es etwa bei dem bekannten Rasen, der zwar gelegentliches Betreten vertr�gt, der aber bei h�ufigerem Betreten zerst�rt wird. Oder der Fahrstuhl, der bis zu sechs Personen befürdert, aber bei mehr Leuten wegen überlastung stecken bleibt. Das wären negative Resultate, die jeweils für alle Handelnden eintreten: Der Rasen ist für alle kaputt, der Fahrstuhl ist für alle defekt.

Hier gibt es allerdings noch weiteres zu ber�cksichtigen: Die einen betrifft der Anblick des Rasens mehr als andere, die vielleicht nie wieder hier vorbeikommen werden. Au�erdem ist der Rasen auch für diejenigen zertreten, die ihn gar nicht betreten haben. ähnlich beim Fahrstuhl. D.h. dass die Interessenlage der Beteiligtenunterschiedlich sein kann. Die Beispiele bezogen sich auf negative Resultate. Es gibt jedoch auch positive Schwellen-Effekte: zum Beispiel, wenn der Dritte Mann zum Skat ben�tigt wird oder die 100.000ste Mark für die Anschaffung eines Notarztwagens gespendet wird.

Weiterhin muss der Schwellenwert natürlich nicht in einem einzigen Sprung verlaufen, die Nutzenfunktion k�nnte so aussehen: (hier eine seitliche Treppenstufe gemalt).Es kommen auch andere Interdependenzen infrage, zum Beispiel überproportionale Ver�nderungen von Schaden oder Nutzen (siehe dazu Robbins, besprochen in Lyons.) Also nicht-lineare Verl�ufe, zum Beispiel so: (hier ist eine Art S-Kurve gemalt.) Lyons spricht davon, dass der Nutzen nicht additiv ist, d.h. dass der Effekt von n isolierten Handlungen nicht genauso gro� ist wie der Effekt von n kombinierten Handlungen. Dies ist etwa bei Vorteilen der Kooperation der Fall oder auch bei Nachteilen durch überf�llung: etwa wenn sich die 5. Person auf eine Bank zw�ngt in der U-Bahn, die nur für vier Personen geplant ist. Gibt es noch andere Interdependenzen? Es m�ssen nicht notwendig homogene Handlungen sein, wie Lyons betont, so wie beim Rasenbeispiel oder bei der U-Bahn-Bank. Vor allem �konomische Kooperation beruht h�ufig auf Arbeitsteilung mit unterschiedlichen Funktionen, etwa Treiber und J�ger bei der Hasenjagd, Starter und Pilot beim Segelfliegen. Ebenso gibt es negative Interdependenzen verschiedenartiger Handlungen: zum Beispiel einen Fu�boden lackieren und einen Fu�boden betreten, oder auf demselben Boden Rasen s�en und Kartoffeln anpflanzen. Dies sind gewisserma�en "Kontraindikationen", um für diese Problematik die Medizinersprache zu verwenden.

�brigens gibt es Interdependenzen dieser Art nicht nur zwischen den Handlungen verschiedener Leute sondern auch zwischen den Handlungen desselben Individuums: so ist Alkoholtrinken als solches vielleicht unproblematisch und Autofahren als solches auch. (Was wohl beides nicht ganz stimmt!) Aber in der Kombination "Alkohol am Steuer" sind die Resultate sehr negativ.

Sind damit die normativ relevanten InterdependenzVerhältnisse ersch�pft? Wohl kaum. Hier muss man die Theorien der externen Effekte, der Kuppelprodukte und der kollektiven G�ter heranziehen, und die Klassifizierung von "goods" und "bads" in der �konomie ansehen. Die bestehenden Gesetze dahingehend durchgehen, ob die bestehenden Normen in die Klassifikation passen. Welche Folgerungen ergeben sich in Bezug auf Motivation und Durchsetzung nutzenmaximierender Verhaltensnormen aus diesen Interdependenzen?

*X - 91*
Problematisch sind alle F�lle, in denen das Eigeninteresse eines "notwendigen" Individuums zur Erzielung eines positiven Resultats bzw. zur Vermeidung des negativen Resultats nicht ausreichend ist. Zu beachten: H�ufig ist es nicht naturgegeben, bei wem Vorteile und Nachteile anfallen, sondern das beruht auf normativer Regelung (zum Beispiel durch Eigentumsrechte, Zurechnungsregel etc. , oder durch bestimmte technische Arrangements wie Sicht- oder Schallisolierung.)
Wo das Eigeninteresse nicht ausreichend ist, bedarf es einer anderen Motivation zum Beispiel moralischer Art, oder es m�ssen Mechanismen geschaffen werden, die das Eigeninteresse am nutzenmaximierenden Verhalten k�nstlich erzeugen. (Dadurch wird natürlich die Nutzenkalkulation ver�ndert.)

*X - 92*
Wenn das Resultat klar ist und die zu seiner Erzielung bzw. Vermeidung erforderlichen Handlungen feststehen, so kann ein Problem dadurch entstehen, dass die handelnden Individuen ja wissen m�ssen, ob die �brigen interdependenten Handlungen realisiert sind oder noch werden, denn auf isolierte individuelle Handlungen treffen ja die Normen nicht zu. Wo das klar feststellbar ist, wie zum Beispiel, ob im Fahrstuhl bereits die h�chstzul�ssige Personenzahl erreicht ist, kann die schwellen-überschreitende Handlung als einzelne identifiziert und normiert werden. Beim Rasenbeispiel ist jedoch keine eindeutige Schwelle auszumachen und die bisherige überlastung durch Betreten ist kaum feststellbar. Ebenfalls im Mietshaus, wo kaum feststellbar ist, ob die anderen Bewohner gerade ebenfalls Heizger�te eingeschaltet haben, was zum Zusammenbruch der Stromversorgung f�hren kann-. Hier kann aufgrund von Informationsproblemen eine generelle Normierung aller relevanten Handlungen sinnvoll sein: "Betreten des Rasens verboten!", "Anschluss von elektrischen Heizger�ten verboten!"

*X - 93*
"W
enn zwei dasselbe tun, ist es nicht dasselbe!" Wie Lyons feststellt, lässt sich das Kriterium: "Was wäre, wenn jeder so handeln w�rde?" nicht negativ gegen Handeln mit Schwelleneffekten wenden. Denn die Verallgemeinerung bezieht sich negativ nur auf die Klasse von Handlungen, die schwellenüberschreitend ist.
Beim Fahrstuhl-Beispiel gibt es allerdings keine zeitliche Reihenfolge, wie beim Rasen: Es ist schwierig bzw. unm�glich, einem bestimmten Individuum bzw. seinem Handeln die Schwellenüberschreitung anzulasten. (ähnlich diskutierte Lyons das Beispiel der Wahlbeteiligung, wo man vorher nicht wei�, ob sich gen�gend andere beteiligen werden.) Hier gibt es die zus�tzliche Regel der Reihenfolge des Eintreffens: "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst!" Die überschreitung der Belastungsgrenze wird deshalb immer nur dem hinzukommenden Individuum vorgeworfen.
Wo auch solche Regeln nicht anwendbar sind, wie beim W�hlen, wird es deshalb sinnvoll sein, generell das W�hlen zur Pflicht zu machen. Aber unter der Voraussetzung, dass jemand wei�, dass gen�gend Leute w�hlen werden und dass klare Mehrheiten existieren, mag die Wahlpflicht für das einzelne Individuum hinf�llig sein. Allerdings kann es hier paradoxe Effekte geben: Wenn eine Partei bei der letzten Wahl eine klare Mehrheit bekommen hat, so m�gen jetzt viele Leute denken: "Auf meine Stimme kommt es doch nicht an." Jeder denkt, dass die andern w�hlen werden, und so w�hlt keiner.

*X - 94*
Neben der fehlenden Information über die Handlungen der anderen gibt es ein Problem der Fairness bzw. der Gleichbehandlung. Angenommen einige Individuen k�nnten ohne Schaden für irgendjemanden den Rasen betreten, aber nicht alle, dann stellt sich das Problem, wer zu den Bevorzugten geh�ren soll. Hier bedarf es also einer zus�tzlichen Auswahlregel, die dem Kriterium solidarischer Interessenber�cksichtigung gen�gen muss. Wenn einige sich das Recht herausnehmen und die anderen in den Schwellenbereich geraten, so wäre ein solches Ellbogenverfahren sicherlich nicht fair. Man kann natürlich Gleichbehandlung dadurch herstellen, dass man generell das Betreten des Rasens verbietet. Dann gibt es kein "b�ses Blut", keinen Streit darum, wer bevorzugt werden soll. Allerdings wird dann wom�glich ein Nutzenmaximum verfehlt. (B�ses Blut wäre allerdings auch eine Beeintr�chtigung des Gesamtnutzens!) Man k�nnte deshalb von den Benachteiligten verlangen, dass sie auch eine ungleiche Bed�rfnisbefriedigung akzeptieren, sofern diese Ungleichheit durch ein faires Verfahren zu Stande gekommen ist und niemanden bevorzugt hat. Allerdings findet man im Alltag h�ufig den Entschluss: "Bevor wir uns streiten, wer diese unangenehme Aufgabe übernehmen soll, machen wir es doch alle zusammen."

*X - 95*
Ein Beispiel für interdependente Handlungen, die meist mit Vorteilen für jeden Beteiligten verbunden sind, ist der Geschlechtsverkehr. Deshalb braucht man ihn auch nicht anzuordnen.

*X - 96*
Es gibt Handlungen, die schlecht befohlen werden können, und Normen, deren Einhaltung praktisch nicht kontrolliert werden kann. Dazu geh�ren zum Beispiel Erfindungen und die Erbringung von H�chstleistungen. Man wei� ja nicht, was n�tig ist, um eine Erfindung zu machen, sonst k�nnte man ein bestimmtes Versuchsprogramm angeben, dessen Durchf�hrung ohne weiteres befohlen werden k�nnte. Wo es im wesentlichen um gr��tm�gliches Bem�hen und �u�erste Anstrengung geht, die ihrerseits schwer messbar sind, versagt die Sanktionierung. natürlich findet man in Horrorgeschichten manchmal doch den untauglichen Versuch: Einem Wissenschaftler wird befohlen, eine Erfindung zu machen (Gold herzustellen) oder er wird hingerichtet. Dabei m�gen manch wertvolle K�pfe rollen, ohne einen Erfolg zu erbringen, denn solche Erfolge lassen sich nicht erzwingen. Es ist unbekannt, ob und wie der Erfolg m�glich ist. Selbst die gr��ten Anstrengungen der gr��ten Talente können vergeblich bleiben. Hier sind positive Sanktionen angebracht.

*X - 97*
Manche Handlungen lassen sich nicht befehlen oder durch Sanktionen erzwingen, weil gerade in ihrer Freiwilligkeit eine Bedingung ihres Wertes liegt: zum Beispiel Liebe, Sympathie, Freundschaft usw.
Au�erdem gibt es Leistungen, die nur bei freiwilliger, intrinsischer Motivation, bei Identifizierung mit der Aufgabe gelingen. Dies gilt für hoch qualifizierte T�tigkeiten k�nstlerischer, wissenschaftlicher oder sportlicher Art. Wenn man etwas nur gezwungen tut, wird es h�ufig schlecht sein. Jeder Zwang kann l�hmend wirken. (Dies sind Fragen der Motivationspsychologie.)

*X - 98*
Eine Verabredung besteht aus einer gemeinsamen Willenserkl�rung, wobei jeder seinen Teil zu erf�llen verspricht. Wer eine Verabredung bzw. ein Versprechen nicht einh�lt, der verst��t gegen seine eigene Willenserkl�rung. Wer jedoch mit seinen eigenen Willenserkl�rungen nicht mehr ernst genommen wird, ist in einer schlimmen Situation. Man denke an die Situation der unm�ndigen Geisteskranken.

*X - 99*
Die Besserstellung des einen hat h�ufig indirekte Nachteile für den anderen, es ist keine pure Missgunst. So benachteiligt mich die Besserstellung des andern immer dann, wenn wir als Konkurrenten um den gr��eren Erfolg angesehen werden und das ist in unserer Gesellschaft fast immer der Fall, da die soziale Rangfolge und der Abstand im Wohlergehen zu anderen selber zu Werten werden, auf die man stolz ist.
Da kann es keine isolierte Besserstellung Einzelner geben. (Besonders in Kampfsituationen, wo die St�rkung des Gegners immer die eigene Schw�chung bedeutet.)

*X - 100*
Wie ist es im Krieg, vielleicht sogar im totalen Krieg? Gilt da weiterhin für jede Handlung die Gesamtnutzenmaximierung, oder muss der Handlungsutilitarist hier Abstriche machen? Wie ist das vereinbar mit dem Ziel, den Gegner zu besiegen? Etwa wenn ein Soldat vor der Entscheidung steht, ob er einen Feind erschie�en soll oder nicht. Irgendwie scheint es intuitiv so zu sein, dass der Handlungsutilitarist den normativen Zusammenhang au�er acht lässt, in dem eine Handlung steht. Der Handlungsutilitarist ber�cksichtigt nur faktische Zusammenh�nge und individuelle Bewertungen. Aber kann man eine einzelne Handlung isoliert normativ beurteilen, wenn doch die Handlung bereits in einem bestimmten normativen Gef�ge stattfindet?
Es bestehen vielleicht Konsistenzstrukturen: wenn es falsch ist, das Versprechen zu halten, dann war es wahrscheinlich auch schon falsch, das Versprechen zu geben. Wenn es falsch ist, den Feind zu erschie�en, dann war es wohl auch schon falsch, den Krieg zu beginnen. Wenn es falsch ist, den T�ter zu verurteilen, dann war es wohl auch schon falsch, das betreffende Gesetz zu machen.

*X - 101*

Normative Entscheidungen, die sich gewähnlich auf einen Konflikt von Eigeninteressen beziehen, sind in Bezug auf die Erzielung eines Konsens immer schwierig und problematisch. Deshalb sind generelle Normen so wichtig. Sie lassen den Streit der Interessen nicht st�ndig aufs Neue entstehen.

*X - 102*
Ein übergang von der individuellen Norm zur generellen Norm ergibt sich bereits aus der solidarischen Interessenber�cksichtigung, die eine Beurteilung "ohne Ansehen der Person" verlangt: was für den einen gilt, muss ceteris paribus auch für alle anderen gelten.

*X - 103*
Das Gebot: "Die Kinder sollen sich auf dem Schulhof nicht pr�geln!" mag sich nicht nur an die Kinder richten sondern mehr noch an die Aufsicht f�hrenden Lehrer. Wer ist der Adressat der Norm? Den Lehrern wird damit ja kein Handeln direkt vorgeschrieben. Gemeint ist jedoch, dass die Lehrer für die Einhaltung dieser Norm durch die Kinder sorgen sollen. Insofern sind sie der Adressat. Sie können dies Ziel jedoch unter anderem dadurch erreichen, dass sie ihrerseits gegenüber den Kindern das Gebot aussprechen.

*X - 104*
Der direkte Imperativ ist mehr als der Wille, dass etwas Bestimmtes geschehen soll. So kann ich zwar sagen: "Die B�cher sollen so stehen bleiben!" Aber ich kann nicht sagen:" B�cher, bleibt so stehen!" Der Imperativ setzt einen Adressaten voraus, der die Sprache versteht. Befehlen kann man nur einem Wesen, das verstehen und handeln kann, das den Befehl realisieren kann. Handeln kann nur ein Wesen, das wollen kann. Oder ist das Knipsen des Lichtschalters für die Lampe der Befehl, an und aus zu gehen, so wie die Handbewegung des Polizisten für mich der Befehl ist, anzuhalten oder weiterzufahren? (Hierzu auch Waismann über Regeln.) Ist der Imperativ dann die Aufforderung, nicht nur das Gesollte zu tun, sondern es auch zu wollen? Kann ich denn überhaupt etwas tun, was ich nicht will?

*X - 105*
Zu H�ffe: "Begriff des Strebens" und anderes habe ich gelesen. Er ist zwar mit den modernen Diskussionen bestens vertraut, aber seine Kritik hat als Konsequenz nur die R�ckkehr zu Kantischen und Vorkantischen Gedankeng�ngen. Typisch, dass für ihn Kategorien wie "Verantwortlichkeit" im Mittelpunkt stehen und nicht Kriterien für die G�ltigkeit von Normen. Er expliziert Begriffe und der übergang zu normativen Behauptungen geschieht eher unmerklich, wird durch die entwickelte Begrifflichkeit eher suggeriert als ausgef�hrt: Es entsteht ein Ideal der Selbstbeherrschung, dass erstmal die vorhandenen individuellen Interessen zur�cksetzt, ohne klarzumachen, wie der Inhalt des sittlichen Willens, der von Interessen frei ist, bestimmt werden kann. Hier flie�t unter Umst�nden Beliebiges oder genauer gesprochen Tradiertes und sowieso schon Herrschendes ein. Eine Mixtur von semantischen Analysen, Definitionen und normativen Behauptungen.

*X - 106*
für Austin sind mit Strafandrohungen verbundene Normen "Befehle" (commands) Im Unterschied etwa zu "W�nschen", den Normen ohne Strafandrohung.

*X - 107*
Die Auseinandersetzungen zwischen den Rechtspositivisten und den Naturrechtlern beruhen zum Teil auf Unklarheiten im Begriff der "Geltung": die Positivisten interpretieren "Geltung" im Sinne von "Existenz" bzw. "in Kraft sein", w�hrend die Naturrechtler "Geltung" im Sinne von "Verbindlichkeit" bzw. "G�ltigkeit" interpretieren. Kelsen betont den Zwangscharakter des Rechts, Radbruch betont, dass Zwang ein "M�ssen" aber kein "Sollen" oder "Gelten" begr�nden kann.

*X - 108*
Harts empirische Version der Naturrechtslehre (in H�rster) geht von bestimmten anthropologischen Annahmen aus, die auch für meine Zwecke brauchbar sind:
1. der Mensch ist verwundbar.
2. die Menschen sind ann�hernd gleich
3. der Altruismus des Menschen ist begrenzt
4. die Menge der G�ter ist begrenzt
5. Einsichtsf�higkeit und Willensst�rke des Menschen sind begrenzt

Vor allem die Punkte 3 und 5 sind für das Problem der Realisierung (Erf�llung) von Normen von Bedeutung.

*X - 109*
Es ist nicht unbedingt notwendig, allgemeine anthropologische Konstanten zu postulieren in Bezug auf eigenn�tziges, sympathisches oder moralisches Verhalten. Es gen�gt, bestimmte Annahmen über Motivation und Verhalten zu machen und dann zu zeigen, dass diese Annahmen auf die Menschen, mit denen man es gegenw�rtig und auf absehbare Zeit zu tun hat, zutreffen. Sollten die Menschen zu Engeln werden, treffen diese Schlussfolgerungen nicht mehr zu. Man k�nnte auch schon jetzt im Gedankenexperiment ein Normensystem für Engel (aber mit menschlichen Bed�rfnissen) entwerfen.
Die Plausibilit�t der Verhaltensannahmen k�nnte man empirisch-theoretisch aufzeigen. Wichtig ist, dass diese Annahmen sehr allgemeiner Natur sein können.

*X - 110*
Wie kann willensm��ig nicht direkt steuerbares menschliches Verhalten trotzdem normativ geregelt werden? Gibt es dafür praktizierte Beispiele? Wohl nur durch indirekte Normierung, die zum Beispiel die Sch�dlichkeit der Folgen mindert: zum Beispiel Anschnallpflicht in Autos, der Tote-Mann-Knopf in Z�gen, Versicherungspflicht, Alkoholverbot, Pflichten für Dritte (Aufsichtspflicht).

*X - 111*
Die Maximierungsregel lautet: "Handele so, dass ein Gesamtnutzenmaximum entsteht!" Wenn alle Individuen danach handeln wollen, setzt die Erzielung eines eindeutigen Resultats voraus, dass alle Beteiligten von den gleichen Situationsbedingungen ausgehen, das gleiche Repertoire an Handlungsalternativen für die Beteiligten ber�cksichtigen, die gleichen Annahmen über Konsequenzen machen und die gleichen Bewertungen vornehmen. Nur dann ergibt sich ein einheitliches Maximum, denn dieses ist immer relativ zu einer Entscheidungssituation. (Abgrenzung typischer, isolierter Situationen.)

*X - 112*
Wenn man Situationsbeschreibung und Bewertung vereinheitlichen will, m�sste man darüber vorweg einen Konsens herstellen - mit erheblichem Kommunikationsaufwand und bleibender M�glichkeit des Dissens. Dies ist mit einem riesigen Aufwand verbunden und bei schnell sich �ndernden Situationen aus Zeitmangel gar nicht durchf�hrbar. (für vollkommen informierte Wesen g�be es diese Problematik nicht, sie wären sich über Situation und Bewertung immer einig und w�rden sich nie irren).

*X - 113*
In dieser Situation m�ssen Normen für ganze Klassen von Situationen geschaffen werden, die vorweg definiert und normiert werden können. Allerdings geschieht diese Normierung immer unter Vernachl�ssigung der "Umgebung" der Situation. Daraus ergibt sich die M�glichkeit, dass zwei normierte Situationsmodelle gleichzeitig auf dieselbe Situation zutreffen und zu widersprüchlichen Handlungsvorschriften f�hren.( Beispiel?)

*X - 114*
Normierung ist nur eine M�glichkeit der Verhaltenslenkung: Sie bezieht sich auf Handlungsspielr�ume, wendet sich an den Willen, innerhalb des Spielraums bestimmte Varianten zu realisieren. Man kann Menschen natürlich auch durch Appell an ihren Willen in ihrem Verhalten lenken, zum Beispiel durch Gestaltung der Handlungsbedingungen. Wenn ich jemandem sage: "Verlass das Zimmer nicht, bis ich zur�ckkomme!" appelliere ich an seinen Willen. Er hat einen Handlungsspielraum, der unter anderem die Alternativen enth�lt:
1. im Zimmer bleiben; 2. das Zimmer verlassen. Ich appelliere an ihn, die Variante 1 zu w�hlen.

Wenn ich ihn einschlie�e, so dass er das Zimmer nicht verlassen kann, so erreiche ich dasselbe Verhalten, aber ohne die Aufstellung von Normen".
Wenn ich ihn sanktioniere und ihm erw�nschte bzw. unerw�nschte Folgen für ein bestimmtes Handeln androhe, so ver�ndere ich die Handlungsbedingungen und damit die Interessenlage der Adressaten. Ich lenke dadurch sein Verhalten in die von mir erw�nschte Richtung. (Insofern ist alles Normierung: Appell, Zwang und Sanktionierung. Es sind Mittel, um das geforderte Verhalten zu erreichen, auch wenn dies "sollen" nicht als verbaler Appell an das betreffende Individuum adressiert ist.)

*X - 115*
Bei den Parkregelungen für PKWs geht man angesichts der mangelnden Effektivit�t von Sanktionen immer mehr zu Verfahren der Verhinderung über: Um das Parken auf Gehwegen und Mittelstreifen zu verhindern, werden Pf�hle eingeschlagen und Steinmauern gezogen. Verbote und Geldstrafen reichen nicht aus.

*X - 116*
Wenn es falsch war, ein Versprechen zu geben, so hat der Versprechende selber diesen Fehler gemacht. Er kann die Nichteinhaltung des Versprechens schlecht mit dem Hinweis auf sein Eigeninteresse rechtfertigen. "Ich habe mein eigenes Interesse damals nicht richtig gesehen �" Das ist nur das allbekannte Risiko der M�ndigkeit. Die Sanktionierung von Fehlern wirkt erzieherisch.

*X - 117*
Der Handlungsutilitarismus atomisiert die normativen Entscheidungen. So werden die Fragen: "Soll ein bestimmtes Versprechen gegeben werden?" und "Soll ein bestimmtes Versprechen eingehalten werden?" v�llig unabh�ngig voneinander behandelt (abgesehen von empirischen Interdependenzen).

*X - 118*
Warum sind die normativen Faustregeln verbindlich selbst in Einzelf�llen, wo eine genaue Kalkulation m�glich wäre? Unter anderm aus Gr�nden der Rechtssicherheit: Es kann nicht in Bezug auf einen Einzelfall pl�tzlich das Verfahren ge�ndert werden, wenn dies nicht von vornherein vorgesehen war. Das ist eventuell auch eine Frage der Fairness, denn bei andern F�llen h�tte die genaue Kalkulation vielleicht ebenfalls zu anderen Entscheidungen (im Interesse anderer Indiviuen) gef�hrt.

*X - 119*
Aus der Norm: "Alle Individuen sollen x tun!" folgt nicht umstandslos die Norm:" Individuum A soll x tun!". Ein Beispiel: Abr�stung. Aus der Richtigkeit der Norm: "Alle Staaten sollen abr�sten!" folgt noch nicht die Norm: "Staat A soll abr�sten!" Das Wort "alle" hat hier die Bedeutung "alle und nur alle". Wenn nur ein Staat abr�stet, kann das sogar schlecht sein im Sinne schlechter Folgen. Dies ist ein weiteres Beispiel für Schwelleneffekte.

*X - 120*
Zur Sprache: "Kampfmoral", "Demoralisierung" beziehen sich auf Motive und Einstellungen, die gepflegt werden m�ssen, auf Motive, die verloren gehen können.

*X - 121*
Gerade weil der Streit um das Gesamtnutzenmaximum nicht definitiv beendet werden kann, � ähnlich wie der Streit um positive Wahrheit � bedarf es einer anderweitigen verbindlichen Entscheidung, wenn man zu einem einheitlichen Willen kommen will.
Im Bereich des Diskurses, der Argumentation, geht es um G�ltigkeit von Normen bzw. Aussagen. Insofern der Streit um G�ltigkeit im Diskurs nicht definitiv entschieden werden kann, bedarf es einer definitiven Entscheidung, d.h. es muss verbindliche Normen geben � wobei der argumentative Streit über G�ltigkeit daneben weitergehen kann.
In dieser Situation kann man sich nicht der Verbindlichkeit der gesetzten Norm entziehen, indem man argumentiert, diese Norm sei nicht nutzenmaximal. Diese Argumentation kann sich erstmal nur auf das Kriterium der G�ltigkeit, nicht aber das der Verbindlichkeit beziehen. Verbindlich ist ja das, was durch das autorisierte Organ festgelegt wurde. (Es bedarf wohl eines besonderen Organs, um Eindeutigkeit herzustellen.)

*X - 122*
Die Ebenen der G�ltigkeit und der Verbindlichkeit stehen dabei nicht v�llig beziehungslos nebeneinander. Ziel muss es sein, diejenigen Normen verbindlich zu machen, die G�ltigkeit beanspruchen können. D.h. es gen�gt nicht, dass irgendeine Norm für verbindlich erkl�rt wird, sondern es soll m�glichst die g�ltige Norm verbindlich gemacht werden.
Damit wird deutlich, dass die Fragen: "Welche Norm ist g�ltig?" und "Nach welcher Norm soll ich handeln?" auf verschiedenen Ebenen liegen. Die G�ltigkeitsfrage liegt auf der Diskursebene, die Verbindlichkeitsfrage auf der Handlungsebene (über die allerdings ebenfalls ein Diskurs gef�hrt werden kann.)

*X - 123*
Die Setzung von verbindlichen Normen verlangt von mir, dass ich zwar nicht meine Vorstellungen von den g�ltigen Normen aufgebe, aber dass ich diese überzeugungen zur�ckstelle, was mein eigenes Handeln betrifft. "Verbindlichkeit" von Normen für alle bedeutet Herstellung des sozialen Friedens.Damit vermeidet man den ungeregelten Kampf um die Durchsetzung verschiedener normativer überzeugungen. (Dagegen bedeutet "G�ltigkeit" Herstellung des sozialen Friedens, insofern der Kampf zur Durchsetzung unterschiedlicher Interessen ausgeschlossen wird. Beides sind verschiedene Ebenen.)

*X - 124*

Ein einheitlicher sozialer Wille besitzt keinen unendlich gro�er Wert. Wenn der Gesamtnutzen der verbindlichen Norm sehr weit unterhalb des erzielbaren Gesamtnutzens für die g�ltigen Norm liegt, so kann diese Nutzeneinbu�e es rechtfertigen, die Vorteile einer einheitlichen Normierung zu opfern und die verbindliche Norm nicht zu befolgen. Eine Entscheidung darüber verlangt also nicht nur eine Argumentation im Bezug auf G�ltigkeit, sondern auch ein Abw�gen der Nachteile, die durch die Befolgung einer "schlechten" aber verbindlichen Normen entstehen, mit den Nachteilen, die durch die Aufk�ndigung der Verbindlichkeit dieser Norm entstehen.

*X - 125*
Bei der Aufk�ndigung der Verbindlichkeit einer Norm wäre abzugrenzen, wie weit die Aufk�ndigung geht: erstreckt sie sich nur auf diese bestimmte Norm oder auch auf die Instanz bzw. die Prozedur, die diese Verbindlichkeit gesetzt hat, oder erstreckt sie sich auf das ganze System der Setzung von Verbindlichkeiten (die Verfassung)?

*X - 126*
Wenn G�ltigkeit nicht nur Konsensf�higkeit sondern einen faktischen Konsens erfordern w�rde, w�rden G�ltigkeit und Verbindlichhkeit zusammenfallen.

*X - 127*
 
Oft ist der Konsens allein schon aus Zeitmangel nicht herstellbar: Man erkennt die Entscheidung eines F�hrers als verbindlich an (Hierarchie), weil die Zeit zum Ausdiskutieren im Kollektiv nicht vorhanden ist und schnelle Entschl�sse erforderlich sind. D.h. noch nicht, dass man die Entscheidungen des Vorgesetzten auch für richtig h�lt. Man kann ohne weiteres sagen: "Ich halte diese Entscheidung zwar für falsch, aber ich erkenne sie trotzdem als verbindlich für mich an".

*X - 128*
Die Notwendigkeit verbindlicher Normen ergibt sich als Schlussfolgerung aus der Konsensproblematik. Das bedeutet jedoch nicht, dass jede existierende Norm (faktisch durchgesetzte Norm) Verbindlichkeit beanspruchen kann. Der übergang von der G�ltigkeitsebene zur Verbindlichkeitsebene muss selber argumentativ konsensf�hig sein. Dass irgendeine Norm verbindlich sein soll, hei�t nicht, dass jede beliebige Norm verbindlich gemacht werden kann. Ziel bleibt es, Normen durchzusetzen, die m�glichst auch G�ltigkeit beanspruchen können.

*X - 129*
Es muss durch die Prozedur für alle Individuen intersubjektiv m�glichst eindeutig eine bestimmte Norm als verbindlich ausgezeichnet werden. Es muss eine Instanz geben, die definitiv die verbindliche Norm festlegt. Diese Instanz kann ein einzelnes Individuum sein, oder ein Gremium von Individuen, im Prinzip k�nnte es auch irgend ein anderer Selektionsmechanismus sein, zum Beispiel ein Zufallsmechanismus, der unter den verschiedenen für g�ltig gehaltenen Normen ausw�hlt. Auf jeden Fall muss eine m�glichst eindeutige Selektion zustandekommen.

*X - 130*
Aber abgesehen von der Forderung nach intersubjektiver Eindeutigkeit kommt alles natürlich auf die Inhalte der so ausgew�hlten Norm an. Die Prozedur zur Bestimmung verbindlicher Normen muss nicht nur zu eindeutigen Ergebnissen f�hren, es m�ssen auch m�glichst g�ltige Ergebnisse zustandekommen. D.h. Prozeduren, die zu besseren normativen Ergebnissen f�hren, sind vorzuziehen. Wie lassen sich normsetzenden Prozeduren diskutieren? Welche Kriterien sind anzulegen?

Normsetzende Prozeduren wären vor allem zu messen an den Ergebnissen, die sie hervorbringen. Die Frage lautet: F�hrt die Prozedur zu Normen, die in der Regel G�ltigkeit beanspruchen können, die also in einem Diskurs konsensf�hig sind? (Zu ber�cksichtigen sind auch Entscheidungskosten, Zeitbedarf etc.)
Eine solche Prozedur ist nicht nur eine gedankliche Operation, sondern auch eine soziale Realit�t. T�glich spielen bei ihrem T�tigwerden verschiedenste empirische Faktoren mit. Das erschwert die Beurteilung.

*X - 131*
Man kann einmal ein theoretisches Modell der Prozedur entwerfen, bei dem man bestimmte Annahmen über ihr Funktionieren macht. (Siehe mein Modell der Abstimmung). Man kann dann dies theoretische Modell anhand der logisch zu erwartenden Resultate messen bzw. beurteilen. Allerdings kann es sein, dass � wenn man dies theoretische Modell realisieren will � die Annahmen nicht zutreffen und dass sich die Beteiligten anders verhalten als im Modell angenommen. Dann muss man die tats�chlich entstandenen Resultate auf ihre argumentative Konsensf�higkeit überpr�fen.

*X - 132*
Es gibt also zwei Ebenen der Kritik an normsetzenden Prozeduren: einmal die Kritik an Konstruktionsfehlern, die theoretisch keine g�ltigen Ergebnisse erwarten lassen, und zum andern die inhaltliche Kritik an den tats�chlichen Ergebnissen.

*X - 133*
Ich habe M�rkte und Wahlen in der Methodologie vor allem unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensvereinfachung diskutiert. Aber sie unterscheiden sich auch dadurch vom Diskurs, dass Sie ein definitives Resultat haben und insofern geeignet sind zur Setzung verbindlicher Normen. Ein weiterer Gesichtspunkt für die Bewertung normsetzenden Prozeduren sind die Kosten der Prozeduren, also der Aufwand, den sie erfordern.

*X - 134*
Die Prozeduren der Normsetzung können sich sehr stark in dem Ausma� unterscheiden, indem sie selber verfahrensm��ig normiert sind: Vom W�rfeln bis zur politisch argumentierenden �ffentlichkeit.

*X - 135*
Wenn Entscheidungsprozeduren eingef�hrt werden, um bei normativen Fragen zu einem eindeutigen Resultat zu kommen (bei prinzipiell offenem Streit um G�ltigkeit), so kann man nicht einerseits die Entscheidungsprozedur akzeptieren und andererseits das Ergebnis mit G�ltigkeitsargumenten als nicht verbindlich anerkennen. Man muss auf dieser Ebene dann auch prozedural argumentieren. Vielleicht lässt sich so das Problem aufl�sen, das Handlungsutilitaristen haben, wenn sie begr�nden sollen, dass man gegebene Versprechen einhalten soll.

Versprechen (und Vertr�ge als wechselseitige Versprechen) kann man als Normsetzungsprozeduren betrachten, als Diskursersatz. Wenn man ein Versprechen gibt, so erkennt man die Prozedur zumindest implizit als verbindlich an. Man kann dann nicht mit G�ltigkeitsargumenten gegen das Ergebnis - die gesetze Norm - angehen.

*X - 136*
Versprechen oder andere Verpflichtungen in Bezug auf konkretes zuk�nftiges Handeln erm�glichen begr�ndete Erwartungen über zuk�nftige Abl�ufe und damit erfolgreicheres Handeln für die Beteiligten. Maximen der Nutzenmaximierung können im Prinzip ähnlich strukturierend wirken � allerdings immer durch den m�glichen Dissens darüber gest�rt, welche Handlung denn nun die maximierende ist.

*X - 137*'
 
Man kann nicht einerseits an Mehrheitsabstimmungen teilnehmen und diese als verbindliche Normsetzungsprozedur anerkennen (also auch als Diskursersatz) und andererseits das Abstimmungsergebnis mit G�ltigkeitsargumenten als für sich nicht verbindlich ablehnen.

*X - 138*
Man kann nicht alle Handlungsvorschriften unter der Maxime "Nutzenmaximierung" betrachten. Ein Beispiel sind die methodologischen Diskursregeln selber. Man verlangt zum Beispiel nicht deshalb Verst�ndlichkeit der Argumentation, weil dies nutzenmaximierend ist, sondern weil sonst kein Konsens m�glich ist. Hier m�ssen verschiedene Ebenen von Regeln und Kriterien unterschieden werden. klären, wie diese verschiedenen Ebenen zusammenh�ngen, zum Beispiel Wahrheitssuche und Nutzenmaximierung. Beides f�llt nicht zusammen (dazu die Kritik am Pragmatismus).

*X - 139*
Ganz deutlich wird die Differenz zwischen G�ltigkeit und Verbindlichkeit bei der Prozedur der freiwilligen Gerichtsbarkeit: man überlässt einem unparteiischen Dritten die Entscheidung und akzeptiert dessen Entscheidung als verbindlich, gleichg�ltig wie diese ausf�llt. Das braucht einen nicht daran zu hindern, diese Entscheidung inhaltlich zu kritisieren.

*X - 140*
Da die Differenz zwischen G�ltigkeit und Verbindlichkeit existiert, sind gewähnlich in die Prozeduren selber Sicherungen eingebaut: zum Beispiel Revisions-, Einspruchs-, Beschwerde-, Klagem�glichkeiten. Man kann den "Rechtsweg" einschlagen".
"Rechtssicherheit" muss man wahrscheinlich in verschiedene Elemente zerlegen:
1.) die Eindeutigkeit einer definitiven Entscheidung � jenseits des Streits der normativen überzeugungen. Sie wird durch Setzung von Normen durch autorisierte Instanzen gem�� festgelegten Prozeduren erreicht. Dies k�nnte jedoch im Prinzip auch durch willk�rliche, singul�re, wechselnde Setzungen eines Diktators, eines Orakels oder eines Zufallsmechanismus erreicht werden: im Prinzip k�nnte jeder Streit entschieden werden.
2.) Aber das wäre noch nicht "Rechtssicherheit". Damit ist gewähnlich auch gemeint, dass man sicher ist vor ungewollten Normübertretungen und Sanktionen. D.h. dass es einem also m�glich sein muss, im Voraus zu wissen, ob eine bestimmte Handlung eine Norm verletzt oder nicht. Dazu muss diese Norm im Voraus bekannt sein und hinreichend eindeutig formuliert sein. Hieraus ergibt sich das Verbot r�ckwirkender Gesetze. Genau genommen handelt es sich hier um Fragen der Strafnormen: Wann soll wer bestraft werden?
3.) Ein weiterer Aspekt der Rechtssicherheit ist eventuell die Absicherung von Erwartungen hinsichtlich des Verhaltens anderer. Wenn Normen dauerhaft und stetig gelten und weitgehend durchgesetzt werden, kann ich in meinen eigenen Planungen mit bestimmten Verhaltensweisen anderer rechnen. Dies ist die Ordnungs- und Koordinierungsfunktion des Rechts. Durch h�ufigen und unvorhersehbaren Normwechsel werden meine Pl�ne durchkreuzt, ihnen wird der Boden entzogen. Deshalb sind übergangsregelungen und Vertrauensschutz notwendig, wenn l�ngerfristige Planungen m�glich sein sollen. (Bei Radbruch findet sich, dass der Inhalt vom "Wollen" ein "Sollen" ist. Zum Beispiel Rechtsphilosophie S. 216. Dort finden sich Parallelen zu meiner Ansicht).

*X - 140*
I
ch habe "G�ltigkeit" als "allgemeine argumentative Konsensf�higkeit" bestimmt. Kurz gesprochen ist G�ltigkeit im Diskurs zu erweisen. Insofern der Diskurs jedoch prinzipiell nicht abgeschlossen ist, ergibt er keine definitiven Resultate. Selbst wenn sich ein faktischer Konsens bei den an der Diskussion Beteiligten herstellt, ist dieser Konsens doch prinzipiell gef�hrdet, denn er kann jederzeit � durch neu hinzukommende Individuen und Argumente � wieder aufgebrochen werden. Der Diskurs kann also kein definitives Resultat garantieren, er kann den Streit der überzeugungen nicht definitiv beenden.

*X - 141*
Man kann nun auf einer h�heren Ebene nach den M�glichkeiten und Grenzen des Diskurses bzw. der Wissenschaft fragen und feststellen, dass der auf G�ltigkeit bezogene Diskurs den Streit unterschiedlicher überzeugungen nicht ausschlie�en kann und den neuen Diskurs darüber �ffnen, welche normativen Regelungen für den Streit der überzeugungen gelten sollen. Das bedeutet nicht, dass damit das G�ltigkeitsproblem agnostisch oder relativistisch ad acta gelegt werden muss: Der Diskurs kann ohne weiteres weitergef�hrt werden und soll sogar weitergef�hrt werden, sofern man die G�ltigkeit von Behauptungen anstrebt. Und man wird weiterhin daran festhalten, dass m�glichst g�ltige Normen realisiert werden. Doch angesichts des faktischen Streits um G�ltigkeit reicht dies nicht aus, um ein koordiniertes kollektives Handeln anzuleiten.

*X - 142*
Im Diskurs können verschiedene überzeugungen problemlos nebeneinander bestehen - eben als Gedanken, die h�chstens logisch im Konflikt liegen. "Doch hart im Raume sto�en sich die Dinge" (Schiller?). Zum Beispiel, wenn diese verschiedenen überzeugungen in Handeln umgesetzt werden sollen. Der Diskurs kann also den Streit, den Kampf und letztlich auch den Krieg nicht ausschlie�en.

*X - 143*
In dieser Situation kann man nun verschieden reagieren. Man kann es zum Beispiel beim Streit der überzeugungen um die Realisierung belassen, was im Endeffekt wohl hei�en w�rde, dass die st�rkeren Bataillonen siegen werden. Man kann jedoch auch trotz des fortdauernden Streits um G�ltigkeit zu gemeinsamen Regelungen kommen und damit die gewaltsame Auseinandersetzung ausschlie�en. Dazu muss man bestimmte Normen � unbeschadet ihrer G�ltigkeit oder Ung�ltigkeit � als verbindlich setzen und sich zu ihrer Befolgung verpflichten. d.h. jedoch nicht, dass eine beliebige Regelung gew�hlt werden sollte, denn es kann der normative Diskurs darüber gef�hrt werden, welche Norm als verbindlich gesetzt werden sollte. Dies wäre eine Neuauflage des Diskurses darüber, welche Norm G�ltigkeit beanspruchen kann, wenn man bei der inhaltlichen Diskussion der betreffenden Normen verbleibt. Der Streit der überzeugungen kann jedoch nur beendet werden, wenn ein Verfahren gew�hlt wird, das zu einem definitiven Resultat f�hrt, dem dann Verbindlichkeit zugesprochen werden kann. Damit verlagert sich der Gegenstand des Diskurses von der jeweiligen Norm und ihrer inhaltlichen "materialen" Beschaffenheit auf die Beschaffenheit der Verfahren, die zu den verbindlichen Normen f�hren, also auf formale, prozedurale Fragen.

*X - 144*
Man hat also verschiedene normsetzende Verfahren danach zu beurteilen, inwiefern sie zu inhaltlichen Normen f�hren, die m�glichst G�ltigkeit für sich beanspruchen können. Auch dies ist wieder ein Diskurs, der kein definitives Ergebnis garantieren kann, so dass es normsetzender Prozeduren der zweiten Stufe (mit Verbindlichkeit der Resultate) bedarf. über diese kann wieder der Diskurs gef�hrt werden usw. und so fort bis hin zur Verfassung bzw. Grundnorm, die selber die Prozeduren und Grenzen ihrer eigenen Ab�nderung enth�lt, ohne dass die Wahl dieser Prozeduren noch einmal prozedural verbindlich gemacht werden k�nnte: Hier kann es nur noch Diskurs geben, ohne dass ein definitives Resultat gegenüber der bestehenden Verfassungsnorm prozedural gewonnen werden k�nnte. Es entsteht hier also ein System von stufenweise sich auseinander ableitenden Verbindlichkeiten. Allerdings beruhen diese Verbindlichkeiten auf der gesicherten G�ltigkeit der obersten Verfassungsnormen. Und diese kann nur diskursiv ermittelt werden.

*X - 145*
Damit scheint die G�ltigkeitsfrage durch ein System von Verbindlichkeiten eliminiert zu sein, jedoch tritt sie unabh�ngig von der Begr�ndung der obersten verbindlichen Prozeduren der Verfassungserzeugung und -ab�nderung � immer wieder auf allen Ebenen in Aktion als die G�ltigkeitsüberzeugungen der an den Normsetzungsprozeduren beteiligten Individuen. Das wird natürlich Auswirkungen auf die Resultate der Prozeduren haben und h�ufig � allerdings nicht immer (s. invisible hand etc.) � werden die beteiligten Individuen eine moralische Verpflichtung haben, g�ltigen Normen zur Verbindlichkeit zu verhelfen.

*X - 146*
Die Kontroverse: Handlungsutilitarismus versus Regelutilitarismus erscheint falsch gestellt: Eher geht es um Verbindlichkeit (normsetzende Prozeduren) versus G�ltigkeit (inhaltliche Normen).

*X - 147*
Raz hebt hervor, dass es Normen mit bewusster Ausschaltung weiterer Argumente gibt: Zeit und Arbeit sparende Regeln, autoritative Regeln. Er hebt die Analogie zu "Entscheidungen" hervor, die ebenfalls Schlusspunkte der Argumentation darstellen. Irgendwann muss der Prozess der überlegung einmal zu einem definitiven Ende gebracht werden � obwohl man auch individuellen Entscheidungen endlos problematisieren kann.

*X - 148
*
"Geltungsmodalit�ten" von Normen unterscheiden: Existenz, G�ltigkeit, Verbindlichkeit et cetera.

*X - 149*
Nicht nur die prinzipielle Offenheit des Diskurses, auch hohe Informations- und Entscheidungskosten können Normsetzungsverfahren rechtfertigen, die die Anerkennung der Verbindlichkeit ihrer Entscheidungen verlangen auch ohne ihre Anerkennung als g�ltig.

*X - 150*
Normsetzungsverfahren werden gewähnlich nicht für einzelne Entscheidungen geschaffen und benutzt, sondern für ganze Klassen von Entscheidungen. Wodurch ist das gerechtfertigt? Im Prinzip wären ja auch st�ndig neue Verfahren m�glich. Gr�nde hierfür sind Kostengr�nde (man spart die immer neue Diskussion), Motivationsgr�nde (man l�st die Entscheidung über das Verfahren vom Einzelfall mit seiner meist eindeutigen Interessenlage), Koordinationsgr�nde (man stabilisiert die Zukunftserwartungen aller Beteiligten).

*X - 151*
Grundsatz beim Milit�r: "über Befehle wird nicht diskutiert!" Dort ist das begr�ndbar mit der gro�en Bedeutung, die einem koordinierten Handeln (der verschiedenen Truppenteile) im Krieg zukommt. Auf die Ausf�hrung der Befehle muss unbedingt Verlass sein. Dies darf nicht dem Urteil verschiedener Individuen überlassen bleiben. Au�erdem fehlt es im Kampf an Zeit zum Ausdiskutieren von Argumenten.

*X - 152*
Der Schiedsrichter beim Fu�ballspiel ist ein gutes Beispiel für die Notwendigkeit verbindlicher Normen unbeschadet ihrer G�ltigkeit. Ohne eine Instanz, die befugt ist, verbindliche Normen zu setzen, w�rde unter Umst�nden mehr diskutiert als gespielt. (Die wahrscheinlichen Verlierer k�nnten auch in die Diskussion fl�chten.) Allerdings kann im Fu�ball ein Verein nachtr�glich Beschwerde gegen Entscheidungen des Schiedsrichters f�hren.

*X - 153*
Raz unterscheidet nicht zwischen G�ltigkeit und Verbindlichkeit, sondern zwischen verschiedenen Begr�ndungsebenen:

"A norm is valid, if, and only if, it ought to be followed (S.73). A norm is valid if, and only if, the norm subjects are justified in guiding their behaviour by it whenever it applies (80). By talking of the validity of norms we isolate one problem of justification: should the norm subjects guide their behaviour by the norm? (81). The rule (to drive on the left side E.W.) is valid, namely ? people ought to be guided by it, only if it is practised (81). These cases bring out the importance of clearly distiguishing between the question of validity and other problems of justification. In particular it shows the difference between there being reasons for having a rule and there being a valid rule." (82)

Hier wird deutlich, dass Raz die Fragestellungen deutlich unterscheidet:
"Soll Norm x eingef�hrt werden?" und
"Soll entsprechend Norm x gehandelt werden?"

*X - 154*
für die letztere Frage ("Soll entsprechend der Norm x gehandelt werden?" E.W.) reserviert Raz den Begriff der "validity". Wenn eine Norm g�ltig (valid) ist, soll sie befolgt werden. Die Frage ist, ob diese Terminologie sinnvoll ist, denn Raz sagt selber, dass es manchmal hinreichende Gr�nde gibt, um Normen zu befolgen, die auf Irrt�mern beruhen (zum Beispiel Gerichtsentscheidungen).

*X - 155*
Im Deutschen kann man sprachlich noch zwischen "Geltung" und "G�ltigkeit" unterscheiden. Die "validity" von Raz wäre eher "Geltung" als "G�ltigkeit". Raz unterscheidet weiter: "A norm is valid if its norm subjects ought ro endorse and follw it. A normative system is valid, if its norms are valid ... A norm has systemic validity, if it is valid on grounds which depend on its belonging to a certain system. A normative system is systemically valid if, and only if, all its norms are systemically valid relative to that system, i.e. if they are valid because, among other things, they belong to that system. I am using 'valid' in a different sense from that of 'legally' valid: A norm is legally valid if and only if, it belongs to some legal system. A norm may be legally valid without being systemically valid. It may belong to a legal system but its norm subjects may not be justified in following it." (127-28) Hier wird die Sache noch komplizierter. "Validity" wird jetzt bezogen auf verschiedene Gesichtspunkte, z.B. "legally valid", also "(g�ltig) geltend nach bestehendem (praktiziertem) Recht", zu unterscheiden etwa von "morally valid".

*X - 156*
Bevor ich mich terminologisch festlege, muss ich nochmal genauer den deutschen Sprachgebrauch untersuchen. "Geltung" und "G�ltigkeit" werden h�ufig synonym gebraucht.(etwas ist g�ltig= etwas gilt / ein geltender Fahrschein = ein g�ltiger Fahrschein ) Sie haben ja auch die gleiche Wurzel. Geltung  wird vielleicht eher durch konkrete menschliche Setzung erzeugt als G�ltigkeit.

*X - 157*
Geltung kann durch Setzung erzeugt und vernichtet werden:
"Ab 1. Januar gelten die neuen Fahrscheine." "Gelten" ist hier soviel wie "in Kraft gesetzt sein". Gelten wird ganz unabh�ngig von Wahrheit, Berechtigung oder Rechtfertigung gebraucht. Ich kann zum Beispiel einen Erpresser, der mir per Brief eine Frist zur Bezahlung bis Freitag gesetzt hat und der mir per Telefon eine Frist bis Sonnabend gesetzt hat, fragen: "Welche Frist soll nun gelten? "soll gelten" hier in dem Sinne von "soll als dein Wille gelten".

*X - 158*
Die Frage der Geltung kann wichtig sein, wenn ich mich darauf berufen will, etwa: "Ich habe ihnen doch die verlangte Summe fristgerecht bezahlt." Au�erdem muss ich wissen, welche Forderung gilt, wenn ich davon ausgehe, dass der Erpresser seine Drohung wahr macht. "Geltung" bezieht sich immer auf einen Willen, ist also relativ. Deshalb können bei unterschiedlichen Willenstr�gern auch widersprüchliche Normen gelten. In einem besetzten Land kann das Gebot der Besatzungsmacht gelten, die gesamte Getreideernte an sie abzuliefern, und gleichzeitig das Gebot der Untergrundarmee, kein Getreide an die Besatzungstruppen abzuliefern. Geltung von Normen gibt es nur relativ zu einem Willenstr�ger bzw. einer normsetzenden Instanz. Ich kann fragen: Was gilt als Wille dieser oder jener Instanz?, ohne deshalb schon die Frage stellen zu m�ssen, ob ich diesem Willen Folge leisten will oder soll.

*X - 159*
Die Frage, ob eine geltende Norm für mich verbindlich ist, h�ngt davon ab, ob die betreffende Instanz berechtigt ist, diese Norm zu setzen. Nun kann eine Instanz ihre Berechtigung zur Setzung dieser Norm unter Umst�nden dadurch nachweisen, dass es diese Berechtigung von einer anderen Instanz herleitet: Diese übergeordnete Instanz hat ihr das Recht zugesprochen, diese Norm zu setzen. Die Frage ist dann, ob diese dazu berechtigt war. Irgendwo muss diese Kette einmal zu Ende sein, muss sich die Frage stellen, ob man die oberste Instanz, von der die Berechtigung hergeleitet wird, als berechtigt anerkennt. Wie kann eine solche Berechtigung begr�ndet werden?

*X - 160*
Jeder Befehl ist kategorisch insofern er Verbindlichkeit beansprucht: "Geh über die Stra�e!" In der Sprache von Raz: Normen sind "exclusionary reasons" zum Handeln. Sie sind ein Grund, andere Gr�nde nicht zu ber�cksichtigen. Man kann nicht sagen: "Geh über die Stra�e, es sei denn, Du willst lieber hier bleiben." Das wäre kein Befehl sondern h�chstens ein "Rat" oder ein "Wunsch". Etwas anderes ist es, ob dieser Anspruch auf Verbindlichkeit auch begr�ndet werden kann gegenüber jemandem, der sagt: "Du hast mir gar nichts zu befehlen!" oder: "Deine Befehle sind für mich nicht verbindlich!"

Oder ist der Anspruch eines Befehls nur Befolgung (Gehorsam) und sollte man Verbindlichkeit nur solche Normen zusprechen, die einen berechtigten Anspruch auf Gehorsam besitzen? Ein Anspruch auf Verbindlichkeit wird dann nicht nur ein Anspruch auf Befolgung sondern die Behauptung eines berechtigten Anspruchs auf Gehorsam. Rechtssysteme kommen im Prinzip ohne den Anspruch auf Verbindlichkeit aus. Man denke etwa an die Anordnungen, die von Kommandeuren der Besatzungstruppen in besetzten Gebieten erlassen werden oder an Besatzungsrecht allgemein. Hier ist klar, dass es sich um GewaltVerhältnisse handelt (Oder gibt es v�lkerrechtlich ein Recht der Siegerstaaten, nach der Kapitulation eines Staates an dessen Stelle Recht zu setzen?)

*X - 161*
Wenn man die Einhaltung von Normen davon abh�ngig macht, ob sie g�ltig sind (dem Gesamtinteresse entsprechen), so k�nnte ja jeder kommen und behaupten: "In diesem oder jenem Fall ist ein Bruch der Norm im Gesamtinteresse". Deshalb kann es auch in den F�llen, wo dies vielleicht einleuchtend (konsens) wäre, nicht zugegeben werden. Sonst w�rde die Norm auch in weniger einleuchtenden F�llen problematisiert.

*X - 162*
Man k�nnte auch generelle Normen flexibel machen, ohne das Ziel eindeutiger Verbindlichkeit aufzugeben, wenn man eine Instanz schafft, die über Ausnahmen verbindlich entscheidet. Diese Konstruktion ist wohl im Verwaltungsrecht �blich. Aber man k�nnte natürlich die Norm auch gleich so formulieren, dass die F�lle, die durch die Instanz ausgenommen werden, von vornherein nicht unter die Norm fallen. Man m�sste dazu die Entscheidungsgrunds�tze der Instanz in die Norm hinein nehmen.

*X - 163*
Mit der Ebene der Verbindlichkeit kommt unter Umst�nden ein stark konservatives Element in die Theorie und eine Aufwertung beliebigen positiven Rechts. Deshalb muss die Beziehung zwischen G�ltigkeit und Verbindlichkeit besonders sorgf�ltig herausgearbeitet werden.

*X - 164*
In der Rechtstheorie wird der Frage nach der Existenz eines Rechtssystems gro�e Bedeutung beigemessen. Aber letztlich ist es keine Existenzfrage, ob eine bestimmte Rechtsnorm verbindlich ist, sondern es bedarf der normativen Anerkennung des Systems bzw. seines Tr�gers. In der Doppelherrschaft einer revolution�ren Situation zum Beispiel wird ganz deutlich, dass es sich nur um eine normative Frage handelt, ob eine bestimmte Rechtsnorm angewandt werden soll oder nicht. Insofern eine solche Doppelherrschaft jedoch empirisch eine instabile Situation ist, existiert in der Regel eine dominierende Rechtsordnung, und es ist klar, dass man - wenn überhaupt eine - nur diese anwenden kann.

*X - 165*
Ein Normensystem (System inhaltlicher Normen) kann keinesfalls vollst�ndige Verbindlichkeit erzeugen, denn es gibt ja die M�glichkeit des Streits um die Auslegung und Anwendung. Deshalb m�ssen Instanzen existieren, die alle auftretenden Streitfragen verbindlich entscheiden können. Solche Verbindlichkeit impliziert allerdings nicht notwendig die Sanktionierung der Normübertretungen.

*X - 166*
Eine Norm N kann die beanspruchte Verbindlichkeit aus verschiedenen Gr�nden verlieren:
� die unmittelbar normsetzenden Instanz war zur Setzung der Norm N nicht berechtigt (befugt, normativ kompetent, erm�chtigt), so dass die Setzung von N nichtig ist. (Unter Umst�nden bestehen prozedurale Vorschriften, die den Weg zu einer verbindlichen Erkl�rung als nichtig regeln). - Kompetenzüberschreitung, überschreitung des Ermessensspielraums, des Zust�ndigkeitsbereichs,
� die unmittelbar normsetzenden Instanz hat bei der Setzung von N selber prozedurale Vorschriften verletzt, die sie Setzung der Norm N nichtig machen. (Unter Umst�nden muss diese Verletzung wiederum durch dazu befugte Instanzen verbindlich festgestellt werden.)
(� Die unmittelbar normsetzenden Instanz verletzt mit der gesetzten Norm andere Normen, die für ihre eigene Berechtigung als logisch notwendig vorausgesetzt werden m�ssen. Ein solcher Fall ist wohl schwer konstruierbar, da gewähnlich Verfassungsvorschriften bzw. Zust�ndigkeitsregeln so etwas ausschlie�en. Denkbar wären Verfassungsl�cken, zum Beispiel der Missbrauch von Notstandsparagraphen.
� Die unmittelbar normsetzende Instanz leitet ihre Berechtigung zur Setzung von N von Instanzen ab, die ihrerseits keine letzte Berechtigung besitzen.
Auf all diesen Ebenen kann es auch Kritik vom Gesichtspunkt der G�ltigkeit her geben:
� an der Norm,
� an der Kompetenz und den prozedurale Vorschriften der direkt normsetzenden Instanz wie aller anderen Instanzen bis hin zur Verfassung und dem Organ seiner verbindlichen Auslegung (Verfassungsgericht).

*X - 167*
Inwiefern kann von G�ltigkeitsgesichtspunkten her eine Norm ihrer Verbindlichkeit verlieren? Man muss dazu den R�ckfall in den Streit der überzeugungen rechtfertigen können. Dieser R�ckfall braucht allerdings nicht total zu sein, er kann sich auf bestimmte Normen beschr�nken.

*X - 168*
Jellinek: Allgemeines Staatsrecht. über das Recht:
"Kein Streit herrscht darüber, dass das Recht aus einer Summe von Regeln für menschliches Handeln besteht. (S. 324)� Unwidersprochen bestehen die Zwecke des Rechtes in dem Schutz und der Erhaltung (in engen Grenzen auch fürderung) menschlicher G�ter oder Interessen durch menschliches Tun und Unterlassen.� (325)
Die Rechtsnormen weisen nun folgende wesentliche Merkmale auf:
1. es sind Normen für das �u�ere Verhalten der Menschen zueinander.
2. es sind Normen, die von einer anerkannten �u�eren Autorit�t ausgehen.
3. es sind Normen, deren Verbindlichkeit durch �u�ere M�chte garantiert ist.
Durch diese Merkmale unterscheiden sich die Rechtsnormen von den Normen der Religion, der Sittlichkeit und der Sitte, bei denen eines oder das andere mangelt. Alles Recht hat als notwendiges Merkmal das der G�ltigkeit. Ein Rechtssatz ist nur dann Bestandteil der Rechtsordnung, wenn er gilt; ein nicht mehr geltendes Recht oder ein Recht, das erst gelten soll, ist nicht Recht im wahren Verstande des Wortes.
Eine Norm gilt dann, wenn sie die F�higkeit hat, motivierend zu wirken, den Willen zu bestimmen. Diese F�higkeit entspringt aber aus der nicht weiter ableitbaren überzeugung, dass wir verpflichtet sind, sie zu befolgen." (325)

*X - 169*
Radbruch: Rechtsphilosophie: "Der Begriff des Rechts ist ein Kulturbegriff, d.h. ein Begriff von einer wertbezogenen Wirklichkeit, einer Wirklichkeit, die den Sinn hat, einem Werte zu dienen. Recht ist die Wirklichkeit, die den Sinn hat, dem Rechtswerte, der Rechtsidee zu dienen." (119) Die Idee des Rechts kann nun keine andere sein als die Gerechtigkeit.� Wir sind aber auch berechtigt, bei der Gerechtigkeit als einem letzten Ausgangspunkt halt zu machen, denn das Gerechte ist wie das Gute, das Wahre, das Sch�ne ein absoluter d.h. ein aus keinem andern Werte ableitbarer Wert." (119 � 120)

*X - 170*
Die Notwendigkeit verbindlicher Normen ergibt sich aus dem Fehlen eines definitiven Resultats des Diskurses. Der Diskurs muss durch Normsetzungsverfahren erg�nzt werden, durch ein Entscheidungsverfahren. Woran sind nun Normsetzungsverfahren zu messen? Wohl daran, inwiefern sie g�ltige Normen hervorbringen. Dies wäre nun ein Zirkel, denn um zu entscheiden wie gut das Normsetzungsverfahren ist, das man gew�hlt hat, m�sste man zuvor wissen, ob die gesetze Norm g�ltig ist bzw. der g�ltigen Norm nahe kommt. Aber man hat das Verfahren ja gerade eingef�hrt, weil man die G�ltigkeit nicht definitiv entscheiden konnte. Die Probleme l�sen sich jedoch, wenn nicht für eine Norm jeweils ein spezielles Verfahren gew�hlt wird, sondern wenn Verfahren danach untersucht werden, inwiefern sie für ganze Klassen von normativen Entscheidungen zur Setzung g�ltiger Normen f�hren. (Ich habe dies zum Beispiel bei meiner Analyse von Modellen des Eigentum-Vertrags-Systems und des Mehrheitssystems getan).

*X - 171*
Die Notwendigkeit eines Sanktionssystems ergibt sich aus dem Mangel an Motivation zur Befolgung der gesetzten Normen. Es besteht die M�glichkeit, dass diese Normen nicht immer befolgt werden. (Insofern Befolgung von Normen nicht nur von Motivation abh�ngt, sondern zum Beispiel auch von M�glichkeiten, gibt es neben der Sanktionierung noch weitere Mittel, Normbefolgung zu fürdern: Erziehung, Verhinderung, �)

*X - 172*
Im Deutschen besteht das Problem, dass der Begriff "Recht" mehrdeutig ist, wie an den folgenden Gegensatzpaaren zu sehen ist:
Recht � Unrecht
Recht � Pflicht
rechtlich � au�errechtlich
rechtlich � widerrechtlich.

Recht als das Rechte oder Gerechte ist nicht immer ein Merkmal der sozialen Institution "Recht", ähnlich wie die Justiz nicht immer ein Vertreter der Gerechtigkeit (Justitia) ist. Man sollte deshalb besser von "(staatlicher) Gesetzlichkeit" sprechen, ähnlich wie die Engl�nder, die von 'law' oder 'statutes' sprechen.

*X - 173*
Nun entziehen sich u.U. bestimmte Normen bzw. ihnen entsprechende Verhaltensweisen der Sanktionierung, da die Normbefolgung bzw.-übertretung nicht oder nur unter unvertretbaren Aufwand festgestellt werden kann, weil eine Sanktionierung nicht motivationsfürdernd im Sinne der Normbefolgung wirkt, weil andere unerw�nschten Nebenfolgen der Sanktion auftauchen.
für das Letztere ein Beispiel: Es mag für eine Gesellschaft mit niedriger und weiter sinkender Geburtenzahl n�tzlich sein, dass wieder mehr Kinder geboren werden. Aber eine Norm, die Erwachsene ohne Kinder bestraft (sofern sie biologisch fruchtbar sind), wäre nicht w�nschenswert, da damit eventuell Kinder zur Welt gebracht werden, die von ihren Eltern gar nicht gew�nscht wurden, was jedoch für das Aufwachsen der Kinder sehr sch�dlich wäre. Handlungen, deren Gelingen und Wert daran h�ngt, dass sie freiwillig getan werden, entziehen sich deshalb der sinnvollen Sanktionierung, aber natürlich kann man das Ziel "Es sollen mehr Kinder geboren werden!" auch anders erreichen als durch eine Norm für die potentiellen Eltern: zum Beispiel durch �ffentliche Propagierung, durch Kindergeld, durch Urlaub für Eltern, durch kostenlosen Gesundheitsdienst, durch medizinische Ma�nahmen gegen S�uglingssterblichkeit et cetera. Normierung ist nur ein Mittel zur Verbesserung der Verhältnisse unter anderen.

*X - 174*
Wenn sich aber bestimmte Normen der überwachung und/oder Sanktionierung entziehen, so dass ihre Befolgung ungewiss oder tats�chlich gering ist, ergeben sich Probleme. Angenommen es handelte sich um g�ltige Normen, die eine solidarische Interessenber�cksichtigung beinhalten, so verletzen die Normverletzer diese Solidarit�t: Sie befriedigen mit den Verst��en gegen die Norm ihre Interessen auf Kosten anderer. Da sie dies ungestraft tun können, werden sie gewisserma�en für Ihre Normverst��e noch belohnt. Damit besteht die Tendenz, das normwidrige Verhalten noch zu verst�rken und die bisher normtreuen Individuen werden demoralisiert, da sie zwar ihre Pflichten erf�llen aber aufgrund der mangelhaften Pflichterf�llung der anderen ihre Rechte nicht wahrnehmen können. Die Situation ist damit h�chst instabil und tendiert zum v�lligen Zusammenbruch der normativen Ordnung. In dieser Situation m�ssen Normen, die bei Befolgung dem Gesamtinteresse entsprochen h�tten, fallen gelassen werden.

*X - 175*
Die Juristen bestehen eher auf Rechtskontinuit�t, weil für sie (und für Philosophen wie Kant) das Fehlen verbindlicher, sanktionierter Normen ein horror vacui ist. Aber auch im rechtsfreien Raum gibt es ja den Diskurs. Allerdings ist Gewalt nicht ausgeschlossen im Streit der überzeugungen. Andererseits kann das Bestehen einer Rechtsordnung auch bedeuten, dass eine soziale Gruppe die Gewalt des Staates an sich gerissen hat und nun allen anderen ihren Willen per Recht und Sanktionierung aufzwingt. Hier ist der Bruch mit dem geltenden Recht, die revolution�re Gewalt, unter Umst�nden ein Segen.

*X - 176*
Inwieweit sich das Normsetzungsverfahren dem Diskurs ann�hern kann und soll, h�ngt von der Art der zu dominierenden Sachverhalte ab: Zeitdruck, Risiken, Informationslage, �u�ere Bedrohung des Kollektivs bzw. Kampfsituation, Vernunftsf�higkeit der Individuen, moralisches Bewusstsein der Individuen et cetera.

*X - 177*
Zu sagen: "Irgendeine verbindliche Entscheidung ist besser als gar keine" stimmt nicht: denn keine Entscheidung ist auch eine. Es bedeutet die (schwache) Erlaubnis für alle, in dieser Hinsicht nach Belieben zu verfahren. Das ist nicht notwendigerweise der schlimmste Zustand.

*X - 178*
Man k�nnte allerdings sagen, dass eine Gebots- oder Verbotsnorm die m�glichen Verhaltensweisen st�rker einschr�nkt und die Zukunft insofern berechenbarer macht. Dies allerdings nur, wenn die Norm auch effektiv sanktioniert bzw. realisiert wird.

*X - 179*
Normen, die nicht befolgt werden, können den Zweck nicht erf�llen, zu dem sie geschaffen wurden, n�mlich einen im Gesamtinteresse liegenden Zustand herbeizuf�hren. Allerdings mag auch eine nur geringe Befolgung besser sein als gar keine (abgesehen vom Problem der Ungerechtigkeit, das oben angesprochen wurde).

*X - 180*
Im Deutschen wird "verbindlich" h�ufig im Sinne von "einklagbar" gebraucht. Wenn eine verbindliche Zusage oder Auskunft, die jemand gegeben hat, nicht den Tatsachen entspricht, kann er dafür zur Verantwortung gezogen werden (Strafe, Schadenersatz). ähnlich ist es mit Gew�hrleistung und Garantie. Niemand kann garantieren, dass ein Automotor mindestens ein Jahr funktioniert, aber wenn darauf ein Jahr Garantie gegeben wird, so verpflichtet sich der Betreffende zu kostenlosem Ersatz oder Reparatur, d.h. ihm muss es ernst sein mit der Behauptung.

*X - 181*
Wenn jemand sagt, dass durch verbindliche Normen die Handlungen der Individuen berechenbarer werden, so k�nnte man dem entgegen halten, dass man die Handlungen von Individuen auch ohne die Existenz von Verbindlichkeiten berechnen kann, etwa in Form sozialwissenschaftlicher Prognosen. Aber die Berechenbarkeit als solche ist es ja nicht, die durch Verbindlichkeit geschaffen wird. Das Ziel ist ja, bestimmte Handlungsweisen verl�sslich zu garantieren und nicht irgendwelche Handlungsweisen verl�sslich zu prognostizieren.

*X - 182*
"Man muss sich darauf verlassen können". Demonstrieren, dass Verl�sslichkeit für das Erreichen vieler Ziele unerl�sslich ist. (Dies gilt auch für die Zuverl�ssigkeit von Dingen. "Wenn die Br�cke nicht als zuverl�ssig angesehen wird, wird sie nicht freigegeben."

"Ich kann dir nicht versprechen, dass ich die Reparatur bis 16:00 Uhr fertig habe, aber ich werde mein m�glichstes tun." Hier wird das Versprechen auf den Bereich eingeschr�nkt, der in der eigenen Macht liegt (die eigenen Handlungen).

*X - 183*
"Man soll nur das Versprechen, was man auch halten kann." Das Versprechengeben selber ist normiert, um der Stabilit�t der Erwartungen willen.

*X - 184*
Den Gehorsam gegenüber einem bestimmten staatlichen Gesetz kann man nicht damit begr�nden, dass dies ein Gebot der Fairness sei: Der Staat sei ein kooperatives Unternehmen für das Wohl aller und man k�nne nicht die Rechte (Vorteile) in Anspruch nehmen, ohne auch die Pflichten (Nachteile) zu erf�llen. So ähnlich Hoerster. Dagegen: "Ich mag ja in Bezug auf alle �brigen Gesetze meine Pflicht tun, aber dieses eine Gesetz halte ich für falsch und m�chte es durch ein anderes ersetzt wissen, an das ich mich dann auch halten w�rde."
natürlich kann das Eigeninteresse niemals einen hinreichenden Grund für die Nichtbefolgung eines staatlichen Gesetzes abgeben, da Kritik an Normen nur vom Gesamtinteresse her begr�ndet werden kann. Hoersters Beispiel trifft vielleicht aufs Steuerzahlen und ähnliches zu: Beteiligung an den Lasten, wenn man die Vorteile (staatliche Leistung) in Anspruch nimmt.

*X - 185*
Ich kann allerdings nicht vom andern die Einhaltung eines Gesetzes fordern, wenn ich selber eine Befolgung desselben Gesetzes ablehne: Hier ist Unfairness deutlich: Ich lege allen Andern Einschr�nkungen auf, aber mir unter vergleichbaren Umst�nden nicht. Das ist unsolidarisch.

*X - 186*
Gr�nde für die Befolgung jeder beliebigen staatlichen Ordnung (ein Lieblingsthema der �lteren deutschen Rechtsphilosophie und ihrer obrigkeitsstaatlichen Mentalit�t, vor allem bei Kant.)
Man k�nnte sagen, dass jede Rechtsordnung - und sei sie noch so schlecht - zumindest eine Koordination der individuellen Handlungen gew�hrleistet, insofern jeder wei�, mit welchen Handlungen der Anderen man zu rechnen hat, mit welchen staatlichen Sanktionen man zu rechnen hat und dass Gewaltaus�bung nur durch den Staat und seine Organe erfolgt.
Aber dies t�uscht: Unter Umst�nden wei� ich nur, dass ich mit allem zu rechnen habe, wenn gesetzlich andere Erlaubnisse und Rechte formuliert werden, die für mich zu gr��ten Nachteilen f�hren können. Vielleicht wei� ich für den Augenblick, mit welchen Sanktionen ich bei bestimmten Handlungen zu rechnen habe, aber Gesetze können ge�ndert werden auf rechtlich einwandfreien Weg. Das n�chste Gesetz kann mich schon v�llig entrechten (s. Judengesetze). Auch Gewaltanwendung muss kein staatliches Monopol bleiben: der Staat kann gesetzliche Selbstjustiz gegen bestimmte Gruppen erlauben.

*X - 187*
Ein Grund für die Befolgung der jeweils existierenden Rechtsordnung wird darin gesehen, dass diese sanktioniert wird. Aber warum soll man nicht Normen propagieren, hinter denen noch keine bzw. nur eine schwache Sanktionsgewalt steht, und das bestehende Normensystem bek�mpfen? "Ordnung" im Sinne irgendeines Machtmonopols ist kein allesüberwiegender Wert, hier ist noch mehr zu ber�cksichtigen. (Kant konnte sich die gerechtfertigte Ver�nderung nur als Reform von oben vorstellen, als rechtliche Kontinuit�t.)

*X - 188*
Man k�nnte sagen, dass die jeweils existierende Rechtsordnung befolgt werden sollte, weil dies das einzig Verbindliche sei. Aber hier von Verbindlichkeit zu sprechen ist wohl fehl am Platze, aus der puren Existenz von Normen folgt keineswegs deren Verbindlichkeit.

*X - 189*
Den Unterschied und den Zusammenhang zwischen den zwei Geltungsebenen herausarbeiten: G�ltigkeit und Verbindlichkeit. G�ltigkeit bezieht sich auf den Diskurs, also die Argumentation vom Gesamtinteresse her; Verbindlichkeit bezieht sich auf ein endg�ltiges Normsetzungsverfahren.

*X - 190*
Wenn zum Beispiel ein Vertrag geschlossen wurde, in dem festgelegt ist, dass Person A an Person B (bis zum Zeitpunkt T) das Gut x übergeben soll, und wenn A dieses nicht tut mit der Begr�ndung, dass die übergabe von x für ihn selbst oder für die Gesamtheit der Individuen nur sch�dlich sei, so kann B auf der übergabe von x bestehen mit den Worten: "Ich lasse mich auf keine Diskussion ein. Vertrag ist Vertrag."

B k�nnte bei Existenz eines kollektiven Rechtssystems mit gesetzlichem Vertragsschutz auch sagen :"Dies ist ein rechtskr�ftiger Vertrag und ich werde notfalls die Einhaltung des Vertrags vor Gericht einklagen." Auch das Gericht h�tte da nicht die M�glichkeit, den Vertragsinhalt zu pr�fen. (Es sei denn, aus dem Inhalt selber erg�ben sich Bedingungen, die den Vertrag rechtsunwirksam bzw. nichtig machen w�rden.) Dass Gericht k�nnte nur feststellen, ob der Vertrag rechtskr�ftig ist.
Die Argumentation ist also von der inhaltlichen Ebene (der Rechtfertigung und Kritik dessen, was durch den Vertrag als Norm gesetzt wird) auf die formale oder prozedurale Ebene verschoben, auf die Pr�fung des Normsetzungsverfahren selber.

B beruft sich also gegenüber A auf die Verbindlichkeit von Vertr�gen:
1. durch Vertrag gesetzten Normen sind verbindlich.
2. "A soll x an B übergeben" ist eine durch Vertrag gesetzten Norm.
3. "Die Norm A soll x an B übergeben" ist verbindlich.

Dagegen kann A nur argumentieren, wenn er sich selber ebenfalls auf die prozedurale Argumentationsebene begibt. So k�nnte A zum Beispiel die G�ltigkeit der ersten Pr�misse infrage stellen und sagen:"Nicht alle durch Vertr�ge gesetzten Normen sind verbindlich." Zum Beispiel k�nnte er sagen, dass er bei Abschluss des Vertrages betrunken war und dass solche Vertr�ge nichtig seien.

Damit wäre der Streit um die Pr�misse zu f�hren "Durch Vertr�ge gesetzte Normen sind nicht verbindlich, wenn bei Vertragsabschluss eine der beteiligten Personen betrunken war."

Neben der Problematik der normativen Pr�missen kann natürlich auch immer das Zutreffen auf den konkreten Fall problematisiert werden. Einmal von der Faktenseite her: "Wurde überhaupt ein Vertrag unter Beteiligung von A geschlossen?", "War A tats�chlich betrunken?" , sowie von der Interpretation der gesetzten Norm her: "Enth�lt der Vertrag tats�chlich die Norm, dass A x an B übergeben soll?" Diese Punkte auseinanderhalten.

Die Gegenargumentation von A lautet also :
1. "Durch Vertr�ge gesetzten Normen sind nicht verbindlich, wenn bei Vertragsabschluss eine der beteiligten Personen betrunken war."
2."Bei Abschluss des Vertrages zwischen A und B, in dem die Norm gesetzt wurde, dass A x an B übergeben soll, war A betrunken."
3. A ist eine der am Vertragsabschluss beteiligten Personen.
4. Die Norm; "A soll x an B übergeben" ist nicht verbindlich.

Wenn B mit der normativen Pr�misse nicht einverstanden ist, geht der Streit um die Bedingungen, unter denen durch Vertrag verbindliche Normen gesetzt werden, weiter . Damit befindet man sich wieder auf der Ebene des Diskurses. Die Kriterien dieses Diskurses über Normsetzungsverfahren. ("Welche Verfahren sollen zur Setzung verbindlicher Normen angewandt werden?") sollen jetzt nicht diskutiert werden. Wie bei jedem Diskurs ist ein definitives endg�ltiges Ergebnis auch hier nicht garantiert. Ein Kampf der überzeugungen kann nur vermieden werden, wenn es dafür auf der Ebene der Prozeduren verbindliche Normen gibt.

Dies k�nnte zum Beispiel im Vertrag selber geschehen, wenn in ihm ein Abschnitt etwa folgender Art enthalten ist:
Unter den folgenden Bedingungen ist der vorliegende Vertrag nicht verbindlich:
1. Trunkenheit eines der Beteiligten bei Vertragsabschluss.
2. Anwendung von Gewalt oder Drohung.
3. ... ... usw.

Wenn A jetzt mit seinem Betrunkensein argumentiert, so k�nnte sich A auf diese Pr�ambel und die in ihr enthaltene Klausel berufen. Aber B k�nnte die Verbindlichkeit der Klausel bestreiten und sagen: "Zwar ist diese Nichtigkeitsklausel in der Pr�ambel enthalten, aber sie sollte darin nicht enthalten sein, denn bei Trunkenheit können auch gute Vertr�ge zu Stande kommen."
B k�nnte argumentieren, dass die Trunkenheitsbedingung zwar drin stehen aber nicht verbindlich sein kann, denn die jeweils beteiligten Vertragspartner seien denkbar ungeeignet, um selber die Bedingungen der Nichtigkeit zu formulieren: d.h., die Vertragspartner werden nicht als befugt angesehen, Bedingungen für Vertr�ge bzw. deren Verbindlichkeit zu formulieren. Das wäre wieder ein verfahrensm��iger Einwand, der von dem inhaltlichen Einwand zu unterscheiden wäre, dass Trunkenheit kein Grund für die Nichtigkeit von Vertr�gen sein soll.

Damit wäre man im Streit über das geignete Verfahren zur Setzung solcher Vertragsklauseln. Dies wäre wiederum ein Diskurs ohne definitives Resultat, und man k�nnte dem Streit der überzeugungen nur entgehen, wenn es wiederum ein Verfahren zur verbindlichen Entscheidung dieses Streites gibt. Auch hier k�nnte man sich verschiedenste Verfahren denken, über deren für und Wider sich ebenfalls argumentieren lässt.

Es gibt also unter Umst�nden eine Stufenfolge von Befugnissen zur Setzung verbindlicher Normen, mit der argumentiert werden kann, ohne dass auf inhaltliche Fragen der G�ltigkeit überhaupt eingegangen werden muss. Aber natürlich muss diese Stufenfolge irgendwo an ihr Ende kommen. Das hei�t, dass irgendwann die Berufung auf eine Befugnis zur Setzung verbindlicher Normen vorgenommen wird, ohne dass diese Befugnis ihrerseits sich als verbindlich ausweisen kann durch Berufung auf vorgeordnete Verfahren, die diese Befugnis verbindlich gesetzt haben. Dies wäre dann gewisserma�en die "Verfassung" bzw. ein Element der Verfassung.

*X - 191*
Die real vorhandenen Verfassungen enthalten allerdings selber in sich diese Stufenfolge, und sind insofern nicht homogen. Zur Kennzeichnung der wirklich letzten Normen, deren Verbindlichkeit ihrerseits nicht mehr prozedurale gesichert ist, k�nnte man auch die Bezeichnung "Verfassungsgrundlagen" oder "Grundnormen" (Kelsen) verwenden. Es muss hier �brigens nicht nur eine Grundnorm geben, sondern es kann mehrere voneinander unabh�ngige Grundnormen geben. Hier h�ngt das System der Verbindlichkeit also in der Luft, denn ohne eine Anerkennung dieser Grundnormen als verbindlich kann es keine Verbindlichkeit der abgeleiteten Normsetzungsbefugnisse ergeben und damit keine Verbindlichkeit der prim�ren Normen, die unmittelbar das nicht normsetzende Verhalten betreffen. Damit bleibt die Ebene des Diskurses die letzte Grundlage aller Verbindlichkeit.

*X - 192*
Probleme der G�ltigkeit werden immer dann aufgeworfen, wenn es um die Frage geht, welche Norm innerhalb des vorgeschriebenen Rahmens gesetzt werden soll (vorausgesetzt, dass das Gesamtinteresse nicht über die 'unsichtbare Hand' oder analog sondern direkt zum Zuge kommen soll.)

*X - 193*
Die Aspekte der Verbindlichkeit genau analysieren: Man k�nnte das Attribut "verbindlich" in Bezug auf Normen folgenderma�en definieren:
Der Satz "Eine Norm N ist verbindlich" ist definitionsgleich mit dem Satz "Norm N soll befolgt werden".
Aber wie ist das Verhältnis zur G�ltigkeit?
"Die Norm N ist g�ltig" ist definitionsgleich mit "Die Norm N ist argumentativ konsensf�hig".

Das Problem ist, dass in der Realit�t gewähnlich nur ein "für-g�ltig-Halten" festzumachen ist, dass der Konsens faktisch nicht da ist (und selbst dann immer nur vorl�ufig bleibt), sondern dass verschiedene überzeugungen hinsichtlich der G�ltigkeit existieren. Diese überzeugungen lassen sich in bestimmten konkreten Situationen nicht mehr argumentativ weiter vereinheitlichen (was nicht hei�t, dass sie prinzipiell - also in einem idealen Diskurs - nicht weiter diskutabel sind). Wenn man die unterschiedlichen überzeugungen nicht im Kampf aufeinanderprallen lassen will, und so die gr��ere Macht darüber entscheiden lässt, wessen überzeugung sich durchsetzt, so muss der Diskurs durch ein Entscheidungsverfahren erg�nzt werden, das zu definitiven Ergebnissen f�hrt.

*X - 194*
Hier m�ssen nochmal der "ideale" Diskurs und seine Probleme analysiert werden. Die G�ltigkeit einer Norm muss sich im idealen Diskurs erweisen: Sie muss hier zum Konsens gelangen. Der ideale Diskurs abstrahiert von den Kosten der Argumentation, von Zeitbeschr�nkungen, von der mangelnden Argumentation und Vernunftsf�higkeit der Teilnehmer et cetera.

*X - 195*
Ein Problem jeder Argumentation ist die wechselseitige Abh�ngigkeit der verschiedenen Behauptungen. Um eine Behauptung argumentativ zu st�tzen, werden zahlreiche andere Behauptungen herangezogen, deren G�ltigkeit aber meist ebenfalls problematisch ist, so dass sich der gesamte Bereich, der infrage steht, schnell erweitert: Man kommt leicht vom 100. ins 1000., wie die Redewendung besagt.

*X - 196*
Daraus ergibt sich, dass der Diskurs irgendwo unterbrochen werden muss, um ein definitives Resultat festzuhalten, denn die Erkenntnis der Wahrheit bzw. Wahrheitssuche ist meist kein Selbstzweck dient wiederum anderen Zwecken. natürlich sollen wir unser Handeln m�glichst auf wahre Behauptungen gr�nden, aber die Wahrheitssuche nicht unser einziges Ziel. Handeln steht oft unter Zeitdruck, Fragen veralten, Entscheidung können vers�umt werden etc.

*X - 197*
Da für verschiedene Teilnehmer die Bedingungen unterschiedlich sein können (Zeitdruck, Risiken bei Fehlentscheidungen, Qualifikation der Argumentationsteilnehmer, Schwierigkeitsgrad und prinzipielle Beantwortbarkeit der Frage, Vorurteil und Ideologie et cetera.) m�ssen auch die Entscheidungsverfahren jeweils andere sein. Man kann nur generelle Typen von Entscheidungsverfahren und deren Vor- und Nachteile diskutieren. Dies sollte ich vielleicht einmal machen.
für das Mehrheitsprinzip und das Eigentum-Vertragssystem habe ich es ja schon gemacht, wenn auch mehr unter dem Gesichtspunkt der G�ltigkeit

*X - 198*
Die ganze Begrifflichkeit in Bezug auf die Arten der Geltung ist verworren und muss neu entworfen werden. Auch das Attribut "verbindlich" für die Resultate von Entscheidungsverfahren ist nicht recht geeignet.

*X - 199*
In Bezug auf Normen gibt es einmal die Frage ihrer G�ltigkeit. Dieser Frage entspricht die Frage, ob die Norm dem solidarisch bestimmten Gesamtinteresse entspricht. Dann gibt es die andere Frage, ob die Norm durch ein Entscheidungsverfahren erzeugt wurde, das seinerseits auf g�ltigen Normen beruht oder das sich l�ckenlos aus einem solchen herleiten lässt. Man k�nnte dies auch als die Frage nach der Legitimit�t der Norm bezeichnen. "L�ckenlos herleiten" soll hei�en, dass das Entscheidungsverfahren, selbst wenn seinen Normen die G�ltigkeit bestritten wird, diese doch legitim sein können, insofern sie ihrerseits durch g�ltige (oder nur legitime) Entscheidungsverfahren hervorgebracht wurden. Also: Eine Norm ist g�ltig, wenn sie dem Gesamtinteresse entspricht. Eine Norm ist legitim, wenn sie entweder durch ein legitimes oder ein g�ltiges Entscheidungsverfahren (Normsetzungsverfahren) hervorgebracht wurde. Eine Norm kann also zugleich g�ltig und legitim sein, muss es aber nicht. Sie kann auch nur legitim und nicht g�ltig sein, oder nur g�ltig und nicht legitim.

*X - 200*
Es ist problematisch, Verfahren als g�ltig zu bezeichnen, denn G�ltigkeit ist ja erstmal nur eine Eigenschaft, die Behauptungen zukommen kann. Die Verfahren sind g�ltig, wenn sie gem�� g�ltigen Normen stattfinden. Vielleicht sollte man dafür doch einen anderen Ausdruck w�hlen. Andererseits kompliziert das die ganze Angelegenheit noch mehr, da die Terminologie noch umfangreicher wird.
Vielleicht sollte man immer von Verfahren gem�� g�ltigen bzw. legitimen Normen sprechen.

*X - 201*
Wichtig ist, dass es sich hier um HerleitungsVerhältnisse von Normen handelt, die nicht den Charakter logischer Deduktion haben. Aus g�ltigen Normen lassen sich logisch nur wiederum g�ltige Normen herleiten bzw. deduzieren. Aber aus Verfahren können Normen hervorgehen, die nicht g�ltig sind.

Im Unterschied zur logischen Ableitung ist bei der verfahrensm��igen "Ableitung" die übertragung des Attributs der G�ltigkeit nicht garantiert. G�ltigkeit ist demnach verfahrensm��ig nicht erblich. Erblich ist nur das Attribut der Legitimit�t. Jede Norm, die durch ein Verfahren nach legitimen Normen hervorgebracht wird, erbt die Eigenschaft der Legitimit�t.

Demgegenüber ist die G�ltigkeit einer Norm v�llig unabh�ngig von ihrer Genese, unabh�ngig auch von ihrer verfahrensm��igen Erzeugung G�ltigkeit wird auch nicht durch den Diskurs hervorgebracht, eben weil dieser kein definitives Resultat hervorbringt, sondern eher eine st�ndige Bew�hrungsprobe darstellt. Wenn man den Diskurs als ein Verfahren bezeichnet, dann ist es wichtig festzuhalten, dass er kein Normsetzungsverfahren ist.

*X - 202*
Der Terminus "Legitimit�t" ist wohl geeigneter als Verbindlichkeit, weil er noch nicht pr�judiziert, ob die betreffende Norm in jedem Fall befolgt werden muss. (Das muss ich noch diskutieren).

*X - 203*
Ein Problem ist, ob man bei Entscheidungsverfahren bzw. den Normen, die diese regulieren, überhaupt von G�ltigkeit sprechen kann. Ich habe dies getan, weil es sich bei den Ergebnissen dieser Verfahren um Normen handelt, die auch als Behauptungen auftreten und die argumentativ angegriffen und verteidigt werden können. Aber woran bemisst ich die G�ltigkeit dieser Normen? Wenn man eine singul�re Norm betrachtet, so kann man nicht sagen, dass die Normen für das Entscheidungsverfahren g�ltig sind, wenn die resultierende Norm g�ltig ist. Denn dann w�rden zum Beispiel die Entscheidungskosten, der Zeitbedarf etc. des Verfahrens gar nicht ber�cksichtigt.

*X - 204*
Kann man bei generellen Normen nur dann von G�ltigkeit sprechen, wenn sie in jedem Einzelfall g�ltige Normen beinhalten? Was ist mit generellen Normen, die den Charakter von vereinfachenden Faustregeln haben, die also im Einzelfall falsch sein können? (in Analogie zu All-Sätzen in den empirischen Wissenschaften?)

*X - 205*
Ich habe gesagt: "Normen sind g�ltig, wenn sie dem Gesamtinteresse entsprechen." Aber ist das sinnvoller Sprachgebrauch? Muss man nicht genauer sagen: "Normen sind g�ltig, wenn deren Realisierung dem Gesamtinteresse entspricht"? Dies wäre genauer, das impliziert jedoch nicht, dass damit auch der Versuch ihrer Realisierung gerechtfertigt ist, denn der Versuch und damit die Realisierung kann scheitern, sodass nichts gewonnen und viel verloren wäre.

Das hie�e, dass die Frage nach der G�ltigkeit der Norm noch nicht die Frage beantwortet, ob man jetzt die Einf�hrung der Bombe versuchen sollte: Dazu wären noch Realisierbarkeit und Kosten zu pr�fen und die Vorteile abzuw�gen. G�ltigkeit wäre dann nur hypothetisch und noch nicht direkt auf den politisch Handelnden bezogen. Dies ist vielleicht auch sinnvoll, denn je nach dem Handelnden k�nnten ja unterschiedliche Grade der Realisierung und unterschiedliche Kosten in Bezug auf dieselbe Norm anfallen.

Andererseits: Wenn G�ltigkeit v�llig von der Frage der Realisierbarkeit abgekoppelt wird, dann wären vor allem Forderungen nach Schlaraffenl�ndern g�ltig. Hier muss noch das Kriterium der Realisierbarkeit hnzugezogen werden.

Aber warum? Man kann sich darüber einig sein, dass Schlaraffenl�nder im Gesamtinteresse liegen: solche abstrakten Ziele sind unsch�dlich. Aus ihnen folgt ja nicht, dass deshalb eine bestimmte Handlung hier jetzt sein sollen, weil sie ein Mittel dazu sind. Aus Zielen folgen Mittel nicht logisch.


Man kommt wahrscheinlich um solche abstrakten Zielformulierungen gar nicht herum, wenn man den Bereich der zu pr�fenden Handlungsalternativen irgendwie einengen will.

*X - 206*
Meine Definition von Legitimit�t bzw. Verbindlichkeit wirft Probleme auf. Wenn ich als "legitim" alle Normen bezeichnen, die entweder aus einem legitimen Verfahren hervorgegangen sind oder die aus einem g�ltigen Verfahren hervorgegangen sind, so kann das dazu f�hren, dass zwei verschiedene miteinander unvereinbare Normen verbindlich sind: einmal die Norm, die durch das legitime aber ung�ltige Verfahren hervorgebracht wurde, und zum andern die Norm, die durch das g�ltige aber nicht legitime Verfahren hervorgebracht wurde.

*X - 207*
Damit wird aber der Zweck verfehlt, der überhaupt erst zur Einf�hrung von definitiven Normsetzungsverfahren gef�hrt hat: Die Entscheidung für eine bestimmte Norm, die allgemein verbindlich ist.
Um dies Problem zu vermeiden, d�rfen legitime Normen nur durch legitime Verfahren erzeugt werden. Hier ergibt sich allerdings sofort das Problem, dass dieser Erzeugungsprozess kein unendlicher Regress sein darf. Wenn er nicht zirkul�r ist, dann muss er irgendwo anfangen: dieser anfangs aktive Normsetzungsprozess, der sich seinerseits aus keinem anderen legitimen Verfahren herleiten kann, kann aber selber nicht legitim sein: also können auch die daraus abgeleiteten Normen nicht legitim sein.
Insofern erf�llt auch diese Definition nicht ihren Zweck, legitime Normen nicht als erzeugt durch einen beliebigen Willen, sondern als in bestimmter Weise anzuerkennen zu qualifizieren. (Vielleicht sollte ich erstmal ohne diese positive Auszeichnung das Problem eindeutiger Normierung durch normsetzende Verfahren analysieren.)

*X - 208*
Gefordert ist, dass jede normative Frage, die auftaucht, eindeutig beantwortet wird. Der Diskurs kann das aus verschiedenen Gr�nden nicht leisten. Auch ein inhaltliches Normensystem kann dies nicht leisten, weil es niemals vollst�ndig sein kann. Au�erdem braucht es zu seiner Anwendung immer die Interpretation. (Weiterhin ist ein solches Normensystem statisch, das hei�t es kann ver�nderten Verhältnissen nicht angepasst werden, so dass es unter dem Gesichtspunkt m�glichst g�ltige Normen zu realsieren, inakzeptabel ist.)

*X - 209*
Ein inhaltliches Normensystem kann zwar eindeutig sein � im Sinne von widerspruchsfrei und pr�zise in gewissen Grenzen � aber es kann nicht vollst�ndig sein. Oder doch? Zum Beispiel durch die Einf�gung einer Restnorm: "Alle Handlungen, über die in diesem Normensystem nichts bestimmt ist, sind erlaubt."

*X - 210*
Die Vollst�ndigkeit ist wohl doch nicht entscheidend. Im Prinzip k�nnte ein  inhaltliches Normensystem das Kriterium der Eindeutigkeit erf�llen. Aber problematisch ist die wohl eine Verbindung von Eindeutigkeit und G�ltigkeit um die es letztlich geht. (Ein anderer Aspekt ist die Durchsetzung, die ebenfalls nicht durch ein Normensystem als Gebilde von Sätzen bzw. Bedeutungen geleistet werden kann). Wie kann sichergestellt werden, dass jede normative Frage eindeutig beantwortet wird?

*X - 211*
Eine M�glichkeit wäre ein Verfahren, das zu jeder Frage eine bestimmte Norm als Antwort erzeugt. Ein Verfahren ist dabei keine inhaltliche Normen, aus der die Antwort deduziert wird. Die Antwort wird "erzeugt". Damit ergibt sich im Unterschied zur Deduktion die M�glichkeit zu widersprüchlichen Antworten (bei der Deduktion wären Widerspr�che nur m�glich, wenn die Pr�missen untereinander widersprüchlich sind.) Selbst wenn das Verfahren darin best�nde, dass immer nur eine bestimmte Person die Norm setzt, so garantiert das noch nicht Widerspruchsfreiheit. So k�nnte dieselbe Frage derselben Person zweimal vorgelegt werden und es k�nnten 2 unterschiedliche Antworten gegeben werden an (was auf eine Unzuverl�ssigkeit des Verfahrens hinweisen w�rde).

*X - 212* Es bedarf also einer Regelung, die widersprüchliche Normen ausschlie�t. Da wären verschiedene Wege denkbar, zum Beispiel dass jede Frage nur einmal zur Entscheidung vorgelegt werden darf, oder dass immer die zuerst (zuletzt) gegebene Antwort gilt usw. Insofern als Eindeutigkeit der Normen gefordert wird, kann man auch von einem "einheitlichen Willen" sprechen, der zu bilden ist. Das Verfahren darf gewisserma�en nur mit einer Stimme sprechen.

*X - 213*
Dies wird besonders schwierig, wenn es sich um mehrstufige Verfahren handelt, (die aus verschiedensten Gr�nden gew�hlt werden können zum Beispiel aus Gr�nden der Informationslage, die zu Spezialisierung und einer Entscheidung an Ort und Stelle zwingt.) Hier muss gekl�rt werden, welche Instanz für welchen normativen Fragenbereich zust�ndig ist. Wenn mehrere Instanzen unabh�ngig voneinander die gleiche Frage entscheiden, ist die Gefahr widersprüchlicher Antworten sehr gro�.
Eindeutigkeit des Willens (der Antworten) setzt �brigens keineswegs die Konstanz des Willens voraus. Auch wenn gestern eine bestimmte Frage anders beantwortet wurde als heute, so muss es zu keinen Unklarheiten f�hren wenn festgelegt wird, ab wann die neue Antwort gilt. (Hier geht es um Geltung eines Willens. Welche Norm gilt als Willens einer bestimmten Instanz bzw. welche Norm geht als Teil eines bestimmten Systems?)
Diese Geltung ist damit v�llig verschieden von der zeitlos gedachten G�ltigkeit. Heute gilt die eine Norm, morgen die andere. Darin liegt kein Problem oder ist das ein Irrtum? �ndern sich nicht auch die g�ltigen Normen mit den Umst�nden und bleibt nicht auch die Geltung der überholten Norm für den Fall von gestern bestehen?

*X - 214*
Aber hier liegen doch Unterschiede: ein rechtskr�ftiges Gerichtsurteil gilt, auch wenn es sp�ter aufgehoben wurde, als Justizirrtum, so hat es doch gegolten bis zur rechtskr�ftigen Aufhebung. Das kann man wohl bei Fragen der G�ltigkeit nicht so sagen: Wenn eine Norm heute als ung�ltig erkannt wird, so war sie es gestern auch schon, selbst wenn man sie für g�ltig gehalten hat. Oder ist das bei der Aufhebung der Geltung ebenso? Wird die Geltung des ergangenen Urteils nichtig durch die Aufhebung?

*X - 215*
Es geht um die Analyse von normativen Systemen, die insofern eine Einheit bilden, als sie zu eindeutigen � also nicht widersprüchlichen oder offenen � normativen Entscheidungen f�hren.

*X - 216*
Zu jedem System kann man sich ein fiktives Subjekt denken. Was gilt als Wille dieses Normsubjekts? (Wobei dies fiktive Subjekt auch ein Verfahren sein kann.) Zum einen gibt es die Normen, die dies Subjekt direkt gesetzt hat. Zum andern die Normen, die Instanzen gesetzt haben, die dazu von dem Normsubjekt autorisiert (erm�chtigt, befugt etc.) worden sind. Dabei können mehrere solcher Instanzen zwischen das Normsubjekt und den Normadressaten treten. Die normsetzende Instanz ist in ihrer Entscheidung durch eine Kette von Instanzen letztlich vom Normsubjekt dazu autorisiert worden.
Aber oberste Quelle ist keine Instanz: selbst ein Diktator hat die geschriebene oder ungeschriebene Verfassung, die im Kern besagt: "Diktator X ist oberster Gesetzgeber". Machtm��ig mag er die Quelle der Normen sein, aber formell erm�chtigt dazu wird er durch eine Verfassung, selbst wenn er diese Verfassung selber formuliert und verk�ndet hat. Insofern hat Kelsen gegenüber Austin recht, wenn er als Normursprung die Grundnorm njmmt und nicht den Souver�n.

*X - 217*
Normen die direkt oder indirekt aus dieser Grundnorm abstammen, können als autorisierte Normen in Bezug auf diese Grundnorm bezeichnet werden. Das Attribut "autorisiert" ist also immer relativ zu einer Grundnorm bzw. einer normsetzenden Autorit�t. In Bezug auf die eine Grundnorm kann die Norm autorisiert sein, in Bezug eine andere Grundnorm nicht. Eine Norm ist autorisiert in Bezug auf eine Grundnorm, wenn sie entweder direkt durch die Grundnorm erzeugt wird oder durch ein Verfahren erzeugt wird, das seinerseits durch die Grundnorm autorisiert ist.

(Ich muss mich einmal genauer mit realen normativen Systemen und ihrem Aufbau besch�ftigen: vielleicht wird da manches klarer).

*X - 218*
Bei dem Begriff "autorisiert" fallen hoffentlich auch alle positiven Assoziation weg (oder?) Jedenfalls ist der Begriff neutral gemeint, gewisserma�en deskriptiv. Dabei kann man ein Normensystem analysieren und fragen, ob ein bestimmtes Verhalten in diesem System normiert ist, auch wenn dies System nicht wirksam durchgesetzt und sanktioniert ist. Es kann sich zum Beispiel um eine Grundnorm in Form einer religi�sen Schrift handeln, die bestimmte Personen autorisiert, die darin enthaltenen Normen zu interpretieren und weiterzuentwickeln (wie das Papsttum, das sich auf Petrus zur�ckf�hrt, der seinerseits von Jesus selber autorisiert wurde.) Auch für solche normativen Systeme und deren Auslegung und Anwendung bedarf es der Rechtswissenschaft (das ist jedoch nicht "Anwendung" im Sinne autorisierter Gerichtsentscheidungen.)

*X - 219*
Aber die Existenz solcher normativen Systeme beantwortet ja noch nicht die Frage, ob man solch ein normatives System durchsetzen bzw. befolgen soll oder, falls mehrere solcher Systeme zur Auswahl stehen, welches dieser Systeme man durchsetzen bzw. befolgen soll. Man denke etwa an B�rgerkriegssituationen mit konkurrierenden Verfassungen und Regierungen, wo das Problem für jedermann offen zu Tage tritt.
Die positive Rechtswissenschaft kann hier keine Antwort geben. Auch die effektivere Durchsetzung aufgrund gr��erer Macht und Sanktionsgewalt oder breitere Anerkennung durch die Adressaten ist kein ausreichendes Kriterium dafür, dass man dies Normensystem befolgen und durchsetzen soll.
Es mag allerdings einer Beendigung des gewaltsam Kampfes dienen, wenn man den offensichtlich St�rkeren zur anzuerkennenden normsetzenden Autorit�t erkl�rt und nicht den Schw�cheren. Dies kann im Eigeninteresse der Unterlegenen liegen: Kapitulation, um Waffenstillstand zu erreichen.

*X - 220*
Kann es überhaupt ungeschriebene Verfassungen geben? Wie unterscheidet man diese von puren MachtVerhältnissen? Oder schlie�t sich beides nicht aus? Sind Verfassungen unter Umst�nden nur die in Worte gefassten Ziele der Machthaber?

*X - 221*
Der Begriff "geltende Norm" enth�lt immer beides: dass die Norm autorisiert war und dass das betreffende Normensystem relativ effektiv war. Aber das h�ngt immer mit dem attribut "rechtlich" zusammen. "Rechtsnorm" sollten nur eine Ordnung hei�en, die zumindestens einigerma�en effektiv war. (Ich muss diesen Streit um das Wesen des Rechts als unergiebig meiden.)

*X - 222*
Zwischen Argumentieren (Diskurs) und Handeln (Praxis) ist eine gro�e Distanz. Meinungen und überzeugungen zu haben muss lange nicht so konsequenzenreich sein wie das Handeln gem�� diesen überzeugungen. Deshalb kann es sinnvoll sein, hier gewisse Sicherungen einzubauen und das Handeln nicht nur an die individuellen überzeugungen zu binden. Der Verzicht auf die umstandslose Praktizierung der eigenen überzeugungen, den das Individuum sich auferlegt, wird dadurch gerechtfertigt, dass es damit zugleich gesch�tzt ist vor der Praxis der anderen, die gleichfalls ihre überzeugungen nicht umstandslos in Handeln umsetzen.

*X - 223*
Die Verbindung zwischen G�ltigkeit und Verbindlichkeit muss bildlich gesprochen als "elastisch" angesehen werden. Beide Ebenen bewegen sich im Prinzip selbstst�ndig, aber je weiter sie auseinanderklaffen, umso st�rker wird der Druck, der von der G�ltigkeitsebene auf die Ebene der verbindlichen Normen ausge�bt wird.

*X - 224*
Z
ur Frage, ob man eine Norm befolgen soll oder nicht: Selbst wenn man eine Norm für nicht verbindlich erh�lt h�lt, kann es trotzdem gerechtfertigt sein, sie zu befolgen, aber nur wegen der Sanktionsmacht, die dahinter steht. Die Verletzung der Norm w�rde zu (menschlich erzeugten) katastrophalen Folgen f�hren, was nicht zu rechtfertigen wäre. Aber deshalb ist noch nicht die Norm gerechtfertigt.

*X - 225*
Auf einer anderen Ebene liegen Gr�nde für die Befolgung einer Norm aus Eigeninteresse. Diese sind erstmal au�er Betracht. Aber sie spielen eine Rolle bei der Bewertung eines Verhaltens bzw. eines Akteurs und bei der Frage, ob er bestraft werden soll et cetera. Wenn jemand etwas Verbotenes getan hat, um zum Beispiel sein eigenes Leben zu retten, so kann man ihm eventuell daraus keinen Vorwurf machen, bzw. Vorwurf und Strafe sind sinnlos weil unwirksam. Sie w�rden nicht dazu f�hren, dass er sich in einer ähnlichen Situation anders verhalten w�rde.

*X - 226*
G�ltigkeit nicht als definitiv erreichbares Ziel sondern als regulative Idee? Ich suche nach einer geeigneten Terminologie um die Ebene zu kennzeichnen, die den Streit der überzeugungen beendet: Rechtsebene? Gesetzesebene? Friedensebene? Legitimit�tsebene? Verbindlichkeitsebene?

*X - 227*
Man k�nnte natürlich den Streit der überzeugungen durch die simple Norm l�sen:"Alles ist erlaubt." Dann k�nnte es keinen Streit der überzeugungen ergeben. Aber damit wäre jeder G�ltigkeitsbezug der Verbindlichkeiten eliminiert und damit wäre der Kampf der Interessen wieder voll etabliert. Eine v�llige Abl�sung des Verbindlichkeitsproblems vom G�ltigkeitsproblem ist also nicht sinnvoll.

ähnlich wäre es bei der Eliminierung des überzeugungskampfes durch die Norm:"Jeder hat dem Diktator X zu gehorchen.Sein Wille ist Gesetz." Bei Befolgung dieses Normensystems g�be es zwar nicht mehr den Streit der überzeugungen, aber m�glich wäre die unbeschr�nkte Durchsetzung eines Interesses, etwa durch die Norm: "Alle Individuen der Rasse (Religion) X sollen sich umbringen." Sie k�nnten friedlich und ohne Widerstreben gehorchen - aber das wäre wohl nicht die ausgearbeitete Gewaltfreiheit.

(Ende von Heft X)

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