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Aus meinen Notizb�chern: Heft XII
Heft XII
Vorbemerkung:
Den folgenden Text aus meinen Notizb�chern habe ich eigentlich nicht für die Ver�ffentlichung sondern für mich selber geschrieben, um meine
eigenen Gedanken festzuhalten und zu klären. Sie haben deshalb einen vorl�ufigen
Charakter, insbesondere was die benutzte Terminologie betrifft. Trotz z. T.
grundlegender überarbeitung sind diese Notizen auch in der Formulierung holpriger als
andere Texte der Ethik-Werkstatt. Es sind m. E. darin jedoch Gedanken enthalten, die
für die Entwicklung einer normativen Theorie der kollektiven Entscheidung und
für die Ethik allgemein von Interesse sein können. Wo ich heute anderer Ansicht
bin als damals, habe ich dies manchmal in eckigen Klammern hinzugef�gt und
begr�ndet.
XII-1*
Aus meinen Notizb�chern Heft I
II
III
IV
V
VI VII
VIII
IX
X XI
XII
Man m�sste durch geeignete Interviewverfahren einmal
herausbekommen, ob W�hler die radikalen Parteien deshalb nicht w�hlen, weil
sie die negativen Reaktionen m�chtiger Gruppen befürchten (wie z. B.
Kapitalflucht), obwohl die radikalen Positionen ihnen "an sich" zusagen.
*XII-2*
Auf Zust�nde, die man zwar für gut aber für unerreichbar h�lt,
verschwendet man keinen Gedanken, um nicht immer mit der Unzufriedenheit
konfrontiert zu sein. Man verbietet es sich, W�nschen nachzuh�ngen, die nicht
realisierbar sind. Allerdings kann die Unzufriedenheit pl�tzlich aufbrechen,
wenn Realisierungsm�glichkeiten auftauchen.
*XII-3*
Ein Gro�teil der
Kritik am Utilitarismus beruhen darauf, dass der Utilitarismus ein
"consequentialism" ist (Bernhard Williams). Dazu ein Standardbeispiel: Es kann
utilitaristisch gerechtfertigt sein, einen Unschuldigen zu bestrafen, um der zum
Aufruhr bereiten Menge irgendeinen Schuldigen zu pr�sentieren und sie dadurch zu
beruhigen.
Vielleicht lassen sich diese Probleme l�sen, wenn man ber�cksichtigt,
dass die Konsequenzen einer Entscheidung zum Teil Produkte menschlichen Handelns
sind. Wenn Menschen die Konsequenzen � positive oder negative � erzeugen können,
können sie auch die zur Entscheidung anstehenden Alternativen mit negativen oder
positiven Konsequenzen belasten. Dies Handeln kann unmoralisch sein, der
Utilitarismus fragt aber auf dieser Ebene gar nicht mehr nach der moralischen
Qualit�t der Handlungen, die die Konsequenzen erzeugen, sondern nimmt die zu
erwartenden Handlungen als gegeben hin, so als wären es naturnotwendige Folgen
der Entscheidung.
*XII-4*
Noch ein Beispiel:
Angenommen, jemand hat chemische Kampfstoffe in seine Gewalt gebracht und droht
der Regierung glaubhaft, diese anzuwenden, wenn nicht ein pers�nlicher Feind von
ihm des Landes verwiesen wird. Utilitaristisch gesehen ist die Entscheidung der
Regierung klar: Der Unschuldige wird des Landes verwiesen, um Tausenden Leben
und Gesundheit zu retten. Aber "eigentlich" bleibt es Unrecht, einen
Unschuldigen zu verbannen. Der Utilitarist rechtfertigt dies mit der
Verhinderung einer Ermordung von Unschuldigen. Die moralisch zu verurteilende
Erpressung wird vom Utilitaristen als zu erwartende Konsequenz ber�cksichtigt.
Die menschenm�gliche Alternative, dass der Unschuldige im Lande bleibt und das
Kampfmittel nicht eingesetzt wird, tritt gar nicht mehr ins Blickfeld, obwohl
dies eine Maximierung des Gesamtnutzens bedeuten w�rde. Das normwidrige Handeln
des Erpressers wird als gegeben hingenommen und es muss nach einer "second
best"-L�sung gesucht werden.
*XII-5*
In diesem Zusammenhang wäre die
rechtsphilosophische Literatur zu "Verantwortlichkeit", "Willensfreiheit",
"Zurechnungsf�higkeit" durchzusehen. Welche Handlungen sind "menschenm�glich"?
Wie bestimmt man, was für einen bestimmten Menschen unter bestimmten Umst�nden
m�gliche Handlungen sind? Dieser M�glichkeitsbegriff ("Was ist der Person A
m�glich?") h�ngt mit dem Begriff der "F�higkeit" zusammen, mit "Willensst�rke"
etc. Davon zu unterscheiden ist der stochastische M�glichkeitsbegriff ("Es ist
m�glich mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 %, dass ich einen Hauptgewinn aus der
Lostrommel ziehe."
*XII-6*
Vielleicht ist die moderne
Gro�organisation ein entscheidender Einschnitt in der Menschheitsgeschichte: das
Wachstum der St�dte � und mit ihr die Anonymit�t.
*XII-7*
Was geh�rt
in eine Verfassung und was nicht? Den Bereich der Normsetzung, der dem einfachen
Mehrheitsprinzip entzogen ist, einmal genauer im Grundgesetz untersuchen. Zu
kritisieren wären inhaltliche Festlegungen (z.B. Ehe, Familie, Umwelt etc.) in
der Verfassung, die
über die Festlegung der Entscheidungsverfahren hinausgehen.
*XII-8*
Defnition von "menschenm�glich" :
"einen Zustand x zu realisieren ist menschenm�glich" = "wenn alle ihr Bestes zur
Verwirklichung geben, kann x realisiert werden."
*XII-9*
Es ist unrealistisch
anzunehmen, dass jeder Arbeitende jeden Tag "sein Bestes" gibt.
*XII-10*
Ein zentrales Problem der Planwirtschaft ist die Mobilisierung verdeckter
Reserven. Die menschlichen (und sachlichen) Ressourcen sind schwer zu
bemessen. ("Hat er noch Leistungsreserven oder 'mauert' er, um sich zu
schonen?") Mit einer pauschalen Erh�hung der Leistungsnormen ist da kaum etwas
auszurichten, wenn der Betreffende sagt: "Ich kann nicht mehr leisten" und sich
entsprechend verh�lt.
Hinzu kommt, dass h�ufig der Betreffende selber am
besten den Weg kennt, um die Leistung zu steigern. d.h., dass kaum jemand ihm
"von au�en"
konkrete Verhaltensvorschriften machen kann.
*XII-11*
Wenn ich feststelle, dass der Diskurs den Streit der Meinungen nicht beendet, so
nehme ich damit nicht die Position Max Webers ein vom unüberbr�ckbaren Gegensatz
der letzten weltanschaulichen Positionen, denn ein "idealer" Diskurs
k�nnte den
Konsens ergeben. Der ideale Diskurs hat ideale Teilnehmer, die sich an die
Diskursregeln halten. Und er ist ohne Beschr�nkungen: Zeitmangel, fehlende
Kommunikationswege, Kosten der Information etc. Den idealen Diskursteilnehmer
noch einmal genauer bestimmen: Er argumentiert und ist für Argumente
empf�nglich, das ist der Kern, aber das lässt sich noch ausarbeiten. Hierzu
RAWLS (in HOERSTER) und eventuell LORENZEN/KAMLAH über den "Normalsinnigen".
*XII-12*
Terminologisches:
In der rechtsphilosophischen Diskussion
wird oft zwischen "materialer" und "formaler" Gerechtigkeit unterschieden. Soll
ich dementsprechend zwischen "diskursiver G�ltigkeit" und "formaler G�ltigkeit"
unterscheiden?
Man muss unterscheiden zwischen den Fragen: "Ist diese
bestimmte Norm g�ltig, weil sie durch ein bestimmtes Verfahren hervorgebracht
wurde?" und der Frage: "Ist das benutzte Verfahren selber g�ltig?"
*XII-13*
Gegenstand des Diskurses sind Behauptungen
jeder Art. Das können also auch Behauptungen über Entscheidungsverfahren sein.
Man kann auch über Diskurse einen Diskurs f�hren. Es gibt ja nicht nur
"inhaltliche" Behauptungen. (Der Begriff "inhaltlich" ist hier wenig geeignet:
Es ist ja selber nur eine Metapher. Vielleicht sollte man besser von
"ergebnisbezogener" und "verfahrensbezogener G�ltigkeit" sprechen. In der
Demokratietheorie wird auch von "Input- und Output bezogener Legitimation"
gesprochen. Bei SCHARPF?)
*XII-14*
Was soll eigentlich "G�ltigkeit
eines Entscheidungsverfahrens" bedeuten? "G�ltig" können nur Behauptungen sein.
Welches wäre dann die Behauptung in dem Satz: "Verfahren V soll unter den
Bedingungen x,y,z zur Normsetzung angewandt werden." Mit einer solchen
Formulierung w�rde deutlich, dass "G�ltigkeit" kein Attribut ist, das dem
Verfahren als solchem zukommt, sondern dass bestimmte Anwendungsbedingungen
hinzukommen m�ssen. Dies bedeutet, dass das Verfahren unter bestimmten
Anwendungsbedingungen nicht zu g�ltigen Ergebnissen f�hrt.
*XII-15*
Welches Verfahren ist anzuwenden? Zur Beantwortung dieser Frage muss man die Resultate
verschiedener Verfahren miteinander vergleichen und fragen,
welche Entscheidung einem solidarisch bestimmten Gesamtinteresse am Besten
entsprechen w�rde.
*XII-16*
C. F. GERBER: über �ffentliche Rechte, T�bingen 1852, S. 22 f. (Nach
DUBISCHAR, S. 22) "Wo politisches und staatsphilosophisches Raisonnement die
Stelle juristischer Konstruktionen vertreten muss, geb�hrt die letzte
Entscheidung immer der Gewalt, der Zufall mag sie von dieser oder jener Seite
kommen lassen. Ein Staat, der nicht auf Rechte, sondern auf Meinungen gegr�ndet
ist, kann nur eine unsichere und schwankende Existenz haben."
*XII-17*
Eine normative Regelung ist nicht immer notwendig, um zuk�nftiges Verhalten
berechenbar zu machen: Eine naturw�chsige Hackordnung ist auch eine Ordnung, die
berechenbar ist.
*XII-18*
Sofern das Recht Erlaubnisnormen aufstellt, f�hrt rechtliche
Regelung nicht notwendig zur Ausschaltung von Gewalt. Beispiele hierfür:"Eltern
d�rfen ihre Kinder schlagen", ebenso die v�lkerrechtlichen Regelungen des
Krieges. Gewalt kann sogar rechtlich vorgeschrieben sein, zum Beispiel in
Strafgesetzen und Wehrgesetzen.
*XII-19*
Inwiefern ist das Recht eine Friedenssicherung? Wie ist der
Zweck des Rechts definiert? Friede wird dort hergestellt, wo Wille gegen
Wille steht und wo eine Norm gesetzt wird, die den Ausbruch des Konfliktes
verhindert. Wenn die Norm nur besagt, dass die Entscheidung darüber, wessen
Wille sich durchsetzt, dem freien Spiel der Kr�fte überlassen bleiben soll, so
ergibt sich daraus noch kein Friede. Auch ein t�dliches Duell kann rechtm��ig
sein.
*XII-20*
Man kann rechtliche Normen so gestalten, dass immer
nur dem Willen der einen Konfliktpartei entsprochen wird. Dann ist
nichts mehr strittig und der Rechtsfrieden ist hergestellt. Bei HOBBES hei�t
es: "Autorit�t und nicht Recht machen das Gesetz" (in Leviathan Kapitel 26.) Zur
Diskussion des Dezisionismus s. C. SCHMITT: Drei Arten des
rechtswissenschaftlichen Denkens, in KOCH: Juristische Methode im Staatsrecht.
L. NELSON: System der philosophischen Rechtslehre und Politik: Geltung und
G�ltigkeit. (Es gibt also einen Rechtsfrieden ohne Gerechtigkeit.)
*XII-21*
Der Diskurs, der argumentative Konsens, ist das Kriterium, an dem
Behauptungen auf ihre Wahrheit überpr�ft werden können. (Mal sehen, ob ich
arbeiten kann, w�hrend H�nschen - unser Wellensittich - auf dem Papier
herumklettert.) Allerdings ist der Diskurs deshalb nicht das Verfahren, mit dem
alle Fragen beantwortet werden können. Dies geht schon deshalb nicht, weil der
Diskurs nicht definitiv abgeschlossen werden kann. Selbst wenn ein faktischer
Konsens hergestellt wurde, kann jemand den Diskurs wieder er�ffnen.
*XII-22*
für Antworten, die reales Handeln anleiten sollen,
gibt es Zeitbegrenzungen. (Auf diese Kluft zwischen Wissenschaft und Praxis hat
WALDENFELS (?) In RIEDEL Bd.1 hingewiesen.) Der Diskurs kann auch nach dem
Handeln im Prinzip weitergef�hrt werden. Hinzu kommt, dass die Frage: "Soll zur
Beantwortung (Entscheidung) dieser Frage ein Diskurs gef�hrt werden?" wiederum
eine normative Frage ist. Wahrheit ist kein absoluter Wert in dem Sinne, dass
alle anderen Werte der Wahrheitssuche zu opfern wären. Allerdings: Wenn es um
die Wahrheit von Behauptungen geht, ist der Diskurs die ma�gebende Instanz.
*XII-23*
Wenn ein konkreter Diskurs nicht im Konsens endet, muss man die
Frage offen lassen. Die Teilnehmer des Diskurses behalten ihre unterschiedlichen
überzeugungen hinsichtlich der wahren Antwort. Wenn man jedoch kollektiv handeln
will, muss eine Entscheidung darüber getroffen werden, welche Antwort dem
kollektiven Handeln zu Grunde gelegt werden soll. (Beim individuellen Handeln
stellt sich das Problem nicht in der gleichen Weise, sofern es um empirische
Behauptungen geht und das Handeln innerhalb des individuellen Verf�gungsbereichs
liegt.)
*XII-24*
Auch im empirischen Bereich ist die wissenschaftliche
Diskussion eine andere Ebene als die Hervorbringung handlungsanleitender
Antworten. Insbesondere Zeitbedarf und Kosten des Beantwortung spielen auf der
letzteren Ebene eine entscheidende Rolle. Man verwendet Stichprobenverfahren und
grobe Sch�tzverfahren, um die Kosten und den Zeitbedarf senken.
*XII-25*
An Stelle von Wahrheit wird vom Recht etwas anderes beansprucht: Verbindlichkeit.
*XII-26*
A. NAESS: Kommunikation und Argumentation. Kronberg 1975
A. R.
WHITE: Truth. London: 1970
J. HABERMAS: Wahrheitstheorien, Wirklichkeit und
Reflexion. Festschrift F. W. SCHULZ,
hg. v. H. Fahrenbach. Pfullingen 1973
P. EDWARDS: die Logik des moralischen Diskurses. New York 1955 (in Englisch)
M. KRIELE: Theorie der Rechtsgewinnung. 2. Auflage Berlin 1976
K.-O. APEL
(Herausgeber): Sprachpragmatik und Philosophie. Frankfurt 1976
*XII-27*
Ergibt sich die Notwendigkeit von Entscheidungsverfahren in Bezug auf
Behauptungen nur bei kollektiven Handlungen? Wie ist das bei Handlungen eines
Einzelnen? Gibt es hier einen Zwang, von gemeinsamen, kollektiv verbindlichen
Behauptungen auszugehen? Warum kann dann nicht jeder von seinen eigenen
überzeugungen ausgehen, wenn es nur um ihn selbst geht? Selbst wenn die Handlung
scheinbar individuell ist, kann sie doch Interessen anderer tangieren. Dann
kann es berechtigten Streit um die dem individuellen Handeln zugrunde zu
legenden Annahmen geben.
*XII-28*
Etwas anderes ist es, wenn ein
individueller Verf�gungsbereich gew�hrt wird wie beim Eigentum. Handeln
innerhalb dieses Verf�gungsbereichs wäre dann dem Individuum freigestellt, d.h.
es besteht kein Zwang zur Wahrheit, zur Konsensf�higkeit. Hier besteht h�chstens
ein Eigeninteresse des Individuums an der intertemporalen Stabilit�t der
zugrunde gelegten Behauptungen, an der Ausschaltung des Irrtums.
*XII-29*
Da intertemporale
übereinstimmung auch durch einen internen Argumentationsprozess nicht definitiv
erreicht werden kann (es können ja neue Argumente auftauchen), bedarf es
auch beim rein subjektiven Handeln eines Beschlusses, um die überlegungen nicht
endlos zu machen und um zeitliche Fixpunkte zu setzen, von denen aus weiter überlegt
werden kann.
*XII-30*
Auch beim subjektiven Handeln kommt es
nicht nur auf Wahrheit an: Andere Aspekte des Entscheidungsverfahrens wie
zeitliche Dauer, Informationskosten etc. � sind auch zu ber�cksichtigen, so dass
auch hier Entscheidungsverfahren eine Rolle spielen, deren Resultate so
behandelt werden sollen, als ob sie wahr wären.
*XII-31*
Kann man
generell sagen, dass "Verbindlichkeit" von Behauptungen u.a. bedeutet, dass
diese so
behandelt werden sollen, als ob sie wahr wären? Wohl nicht, denn man darf
die Wahrheit einer verbindliche Behauptung in Bezug auf ihre Wahrheit
bezweifeln. Das d�rfte man nicht, wenn man sich verhalten m�sste, als ob die
Behauptung wahr wäre.)
*XII-32*
Ich habe von einer "Behauptung"
dann gesprochen, wenn damit ein Wahrheitsanspruch verbunden ist. Aber ist es
dann sinnvoll, von Behauptungen zu reden, für die nur Verbindlichkeit aber
nicht Wahrheit beansprucht wird? Denn dann wären es ja keine Behauptungen mehr.
Man k�nnte stattdessen von "Setzungen" sprechen. Ich habe die
Unterscheidung zwischen Wahrheit und Verbindlichkeit für alle Arten von
Urteilen, nicht nur für normative Urteile gemacht, ebenso wie ich den
Diskurs auf alle Arten von Behauptungen beziehe. Es gibt demnach auch
verbindliche empirische Aussagen, verbindliche hermeneutische Interpretationen,
die nicht unbedingt wahr sein m�ssen. Beispiele wären Gerichtsverfahren, die
empirische Tatbestandsfeststellungen, hermeneutische
Gesetzesinterpretationen und normative Urteile bzw. Festsetzungen
des Strafma�es enthalten.
*XII-33*
Aber beansprucht nicht nur das Urteil, also der
unmittelbar handlungsrelevante Satz, Verbindlichkeit? Wird auch für die
positiven Aussagen und die hermeneutischen Gesetzesinterpretationen
Verbindlichkeit beansprucht, die dem Urteil logisch zugrundeliegen? Ist es nicht
sinnvoll, wenn Verbindlichkeit nur in Bezug auf bestimmtes Handeln gefordert
wird, und nur der entsprechenden Handlungsnorm Verbindlichkeit zuzusprechen, und
nicht den empirischen oder anderen Voraussetzungen, aus denen diese
Handlungsnormen logisch abgeleitet werden? Ist es überhaupt irgendwie notwendig,
empirische oder hermeneutische Urteile als solche für verbindlich zu
erklären? Gen�gt nicht die Verbindlichkeit der entsprechenden Handlungsnorm?
*XII-34*
Die Beantwortung der Frage: "Nach welchem Verfahren soll diese
Frage entschieden werden?" h�ngt nicht nur von der Art der Frage ab, sondern von
der gesamten Situation, in der diese Frage gestellt wird. Man kann deshalb
nicht bestimmten Arten von Fragen bestimmte Beantwortungsverfahren zuordnen.
*XII-35*
Entscheidungsverfahren m�ssen für Klassen von Situationen
festgelegt werden. Sonst erhebt sich in der Handlungssituation die Diskussion um
das
Verfahren.
*XII-36*
Normative Regelungen sind oft mehrfach
begr�ndet. Sie erf�llen mehrfache Funktionen, die auf den ersten Blick gar nicht
klar zu erkennen sind. "Du sollst Handlung X tun!" hat einen
Doppelsinn, da es eine Verbindlichkeit und eine Wahrheit ausdr�cken kann.
"Handlung X ist für dich verbindlich". Dies kann ein Grund sein, warum ich X
tun soll. "Handlung X ist (unter dem Gesichtspunkt des Gesamtinteresses) das
Beste" kann ebenfalls ein Grund sein, X zu tun.
(Genau genommen hat
"sollen" keinen Doppelsinn, es hat nur eine doppelte M�glichkeit der Begr�ndung.
Man kann zum einen an die Verbindlichkeit appellieren und zum anderen an die
Wahrheit. PRICHARD in: Moral Obligation, S. 91, meint dagegen, dass "sollen"
zwei Bedeutungen hat, allerdings bezogen auf hypothetische und kategorische
Imperative.
*XII-37*
Angesichts der relativ gro�en inhaltlichen
Unbestimmtheit der Resultate verbindlichkeitserzeugender Verfahren kann
Verbindlichkeit nicht das letzte Wort darüber sein , wie man handeln soll.
*XII-38*
Wenn A zu B sagt: "Ich verpflichte mich, die geliehenen 100
DM dir bis zum Jahresende zur�ckzuzahlen", so ist durch dieses Versprechen eine
Verbindlichkeit erzeugt worden. Aber damit ist noch nicht endg�ltig die
Frage beantwortet, ob A die 100 DM tats�chlich zur�ckzahlen soll. Die
Verbindlichkeit dient ja selber bestimmten Zwecken (zum Beispiel der
Schaffung wechselseitigen Vertrauens und des
'Sich-aufeinander-verlassen-könnens' als Bedingung der Zusammenarbeit), und
sofern andere Zwecke wichtiger werden, findet die Verbindlichkeit hier ihre
Grenze.
*XII-39*
Wenn ich mich zu einem bestimmten Handeln
verpflichte, so stimme ich h�ufig zugleich zu, dass ich bei Nichterf�llung
bestraft werde (Vertragsstrafe). Ich gestehe dem andern schon jetzt das
Recht zu, bei Vertragsbruch bestimmte Sanktionen gegen mich zu bewirken.
XII-40*
Das Problem des utilitaristischen Kalk�ls ist die Isolierung von
Entscheidungen und Handlungen gegenüber dem Gesamtzusammenhang. Es muss nicht
jede einzelne Handlung das Gesamtinteresse maximieren. Nicht jeder einzelne
Kauf einer Ware muss mutzenmaximierend sein, wenn die gesamte Institution von
Vertrag und Markt dem Gesamtinteresse dient, trotz egoistischer Handlungen
der Einzelnen. Wie kann aus lauter egoistischen Handlungen eine Maximierung
des Gesamtnutzens entstehen? Hier kommen Annahmen über die Motivation von
Menschen ins Spiel mit Folgen für die Durchsetzbarkeit bestimmter Normen,
die unmittellbar auf das Gesamtinteresse gerichtet sind. Es wird nicht gesehen,
dass hier moralische Kriterien (Gesamtnutzenmaximierung) an Handlungen
angelegt werden, die aus normativen Gr�nden davon ausgenommen wurden (Profitmaximierung).
*XII-41*
Kann man gest�tzt auf die Anerkennung
einer bestimmten Norm durch die beteiligten Individuen die Geltung dieser Norm für die
Beteiligten individuell erzeugen? Kann man auf diesem Wege ein
gesamtgesellschaftliches System von verbindlichen Normen schaffen, ohne die
Frage ihrer Wahrheit bzw. G�ltigkeit zu thematisieren zu m�ssen? Einen solchen
Vorschlag macht ILTING (Probleme der Ethik). Die Zustimmung der Adressaten einer
Norm zu dieser Norm macht demnach eine weitere Rechtfertigung der Norm
überfl�ssig. Die Rechtfertigung ist hier allerdings "ad hominem": "Du hast die
Norm ja selber anerkannt. Damit hast du dich selber zur Befolgung dieser
Normen verpflichtet."
*XII-42*
Ich habe "Verbindlichkeit" analog zu
"Wahrheit" konstruiert. Verbindlichkeit einer Norm für ein bestimmtes Individuum
hei�t: "Dies Individuum soll diese Norm seinem Handeln zu Grunde legen." Man
kann dann fragen, ob der Satz "Norm N ist für A verbindlich" "wahr" ist.
Verwirrend. "Norm N ist für A verbindlich" hei�t auch: "Norm N soll
von A unabh�ngig von dessen sonstigen Motiven und überzeugungen befolgt
werden!"
*XII-43*
Rationales Handeln erfordert bestimmte Annahmen
über die Wirklichkeit. Wenn die
Annahmen, die dem Handeln der Individuen zugrunde gelegt werden, übereinstimmen
sollen, muss über diese Annahmen eine verbindliche Entscheidung
getroffen werden. Bestimmte Annahmen m�ssen als verbindlich gelten, um den
Kampf der überzeugungen zu vermeiden.
Ein weiterer Grund, verbindliche
Normen zu setzen, besteht in der Verbesserung der Koordination, also der
M�glichkeit, Pl�ne für die Zukunft zu machen. Au�erdem können die
M�glichkeiten zur Kooperation ausgesch�pft
werden. Dazu ben�tigt man aufeinander abgestimmte Pl�ne für die Zukunft.
*XII-44*
Verschiedene Normsetzungsverfahren f�hren zu verschiedenen Ergebnissen. Sie
sind mit unterschiedlichem Zeitaufwand und unterschiedlichen Kosten verbunden. Deshalb muss
auch über die Verfahren selber diskutiert werden. Aber dieser Diskurs garantiert
wiederum kein Resultat.
*XII-45*
Man k�nnte sich ein
Verbindlichkeit erzeugendes Verfahren in Bezug auf die Entscheidung über die
Verbindlichkeit erzeugender Verfahren vorstellen, aber hier w�rde wieder der
Diskurs über die Verfahren zweiter Stufe einsetzen, so dass auch hier kein
definitives Resultat garantiert ist. Damit h�ngt alles in der Luft bzw. am
Diskurs.
*XII-46*
Ein Verfahren bildet einen stabilen
Endpunkt, obwohl es sicherlich kein archimedischer
Punkt ist. Das ist die Anerkennung der Norm bzw. des
Normsetzungsverfahrena durch die Adressaten dieser Norm. Eine Norm "als für sich
selbst verbindlich anerkennen" hei�t dann, dass man die betreffende Norm befolgen wird
- ungeachtet
aller Gr�nde, die man gegen diese Norm vorbringen kann. Das
hei�t, man verzichtet auf die weitere Diskussion und Infragestellung der Norm
und betrachtet sie als definitiv verbindlich.
Dazu Rawls in Foot
S.162-163:
" ... a practice necessarily involves the abdication of full
liberty to act on utilitarian and prudential grounds. ... It is essential to the
notion of a publicly practice that they are publicly known and understood
as definitive."
*XII-47*
Eine andere Formulierung für "eine Norm als für
sich verbindlich anerkennen" wäre: "sich selbst zur Einhaltung einer Norm
verpflichten." Das Subjekt bindet sich in seinem Handeln also selbst. Die
Vorteile eines solchen Verfahrens zur Beendigung der Diskussion (und zwar nicht
nur der Diskussion zwischen den Individuen sondern auch der Diskussion, die
jeder mit sich selber f�hrt, um sich eine Meinung zu bilden) gegenüber allen
anderen Verfahren liegen auf der Hand.
Gegenüber einem Individuum, das
diese Verpflichtung nicht befolgt oder nicht befolgen will, hat man das
Argument: "Aber Du hast es doch selber so gewollt". Vor allem bedarf es zum
Handeln erstmal keines weiteren Zwanges, denn es handelt sich ja um eine
freiwillige Anerkennung.
Ein Problem k�nnte sein, dass durch diese
Freiwilligkeit nicht garantiert ist, dass alle die Norm anerkennen, d.h.
Verbindlichkeit besteht dann nur für einige. Wahrscheinlich ist dies jedoch kein
gro�es Problem, denn diejenigen, die diesen Mechanismus der Selbstverpflichtung
benutzen, kommen damit für sich in den Genuss der Vorteile der Koordination und
Kooperation im Unterschied zu denen, für die es keine Verbindlichkeit gibt, weil
sie keine anerkennen. Dann liegt es im Eigeninteresse jedes Individuums, gemeinsam mit anderen
verbindliche Normen und Normsetzungssysteme aufzubauen.
*XII-48*
Ein darwinistisches Argument: Individuen, die sich in verbindlichen
Normensystemen organisieren, sind denen in der Konkurrenz überlegen, die nicht oder nur mangelhaft
organisiert sind, weil sie keine Verbindlichkeit anerkennen. Verbindliche
Normensysteme haben deshalb die Tendenz zur Ausbreitung. Diejenigen, die nicht
mitmachen, können als "outlaws" an den Rand gedr�ckt werden. Sie stellen
kein unüberwindbares Problem dar. für sie ist die Norm nicht verbindlich, aber
jetzt kann die Norm ihnen aufgezwungen werden. Die Norm gilt auch für sie. (Vielleicht
k�nnte man die Ebene der gemeinsam als verbindlich anerkannten Normen als
"Ebene des Rechts" bezeichnen. Oder soll man den weniger belasteten Begriff
"Konvention" nehmen?)
*XII-49*
Ich muss weitermachen mit den
Problemen dieses Verfahrens: M�glichkeiten der widersprüchlichkeit / M�glichkeit
von Inkompatibilit�ten zwischen
verschiedenen als verbindlich anerkannten
Normen / Unter welchen Bedingungen werden m�glichst g�ltige Normen (bzw.
Verfahren mit g�ltigen
Resultaten) als verbindlich anerkannt? / Probleme der
Bindung für eine ungewisse Zukunft/ M�glichkeiten der Aufk�ndigung./ Was ist mit
Normen, die nur dann sinnvoll sind, wenn sich fast alle daran halten?
/Gibt es Grenzen dieser Art von Verbindlichkeit wegen der fast unbeschr�nkten
M�glichkeit zur Diskrepanz mit g�ltigen Normen, insbesondere bei
mehrstufigen Normsetzungsverfahren? / Nachwachsen von Kindern in Normensysteme,
die sie niemals als für sich als verbindlich anerkannt haben. / Rivalisierende
Gruppen/. (Gesellschaftsvertrag oder Verfassung gebende Versammlung in grauer
Vorzeit).
Wenn die, die sich keine Verpflichtung auferlegen, auch kein
unüberwindbares praktisches Problem darstellen, so stellen sie doch ein
legitimatorisches Problem dar. Denn für sie sind bestimmte Normen geltend
aber nicht verbindlich. Oder kann man das nicht sagen? Sie sind ja keine
Normadressaten � oder? "Gelten" w�rde für sie fremder Wille wie im Naturzustand,
allerdings jetzt organisiert. In die Quere kommen können sich Outlaws und
Organisierte sicherlich. Aber die Outlaws k�nnten keine Vorw�rfe machen.
*XII-50*
Wenn eines der Ziele bei der Erzeugung von
Verbindlichkeiten darin besteht, dass man sich auf die vereinbarten Handlungen anderer (trotz
ver�nderlicher Interessen und überzeugungen) verlassen kann, so muss für
alle Beteiligten m�glichst klar und eindeutig sein, ob eine Verbindlichkeit
besteht oder nicht. Es muss ein leicht festzustellendes, gut
unterscheidbares Merkmal oder Zeichen geben, an dem man feststellen kann, ob ein
bestimmtes Individuum für sich eine bestimmte Norm als verbindlich
anerkennt. "Besiegelung" der Verpflichtung durch Handschlag oder Unterschrift
etc. Damit hat das Individuum seine Freiheit an diesem Punkt aufgegeben, es
kann aus eigenem Gutd�nken diese Verpflichtung nicht wieder l�sen.
*XII-51*
Um die Erzeugung von Verbindlichkeiten zu institutionalisieren, muss
es also Normen geben (Searle w�rde sagen: "konstitutive Regeln") wie: "Wer in
Bezug auf eine bestimmte Norm N das Zeichen x macht, erkennt damit diese Norm
als für sich verbindlich an" (einschlie�lich der normativen Konsequenzen, die
sich aus dieser Verbindlichkeit ergeben, wie den Ausschluss der einseitigen
L�sung des Vertrages etc.) in dieser Formel wird der Normcharakter noch nicht
deutlich, da die normativen Konsequenzen (die "Rechtsfolgen") nicht
ausdr�cklich genannt werden. Deutlicher wird dies in einer Formulierung wie:
"Wer in Bezug auf eine Norm N das Zeichen x macht, der soll N
befolgen!" Nur unter der Voraussetzung dieser Norm "folgt" aus der Tatsache,
dass jemand das Zeichen x macht, "logisch" die Norm, dass er die Norm N befolgen
soll.
Das "Zeichen x machen" bedeutet dann, dass jemand "sich
verpflichtet". Und "sich verpflichten" bedeutet dann, dass man die entsprechende
Norm einhalten soll. Anscheinend bedeutet dann das Machen des Zeichens x
in Bezug auf eine Norm N, dass der Betreffende diese Norm einhalten soll.
Ist damit die Norm "Wer in Bezug auf eine Norm N das Zeichen x macht, der soll
diese Norm befolgen" tautologisch, wie Searle und Ilting meinen? Was hei�t
in diesem Zusammenhang "tautologisch"? Es soll wohl hei�en, dass die Norm
logisch wahr ist, d.h. sie kann nicht falsch sein, sie kann nicht bestritten
werden. Tautologische S�tze sind per Definition wahr, d.h. sie enthalten nichts
weiter als Definitionen oder Ketten von Definitionen. Was sind Definitionen?
Definitionen sind Festlegungen der Bedeutung von W�rtern durch andere W�rter. Es
sind Konventionen ides Sprechens.
*XII-52*
Treffen
diese Kennzeichnungen auf die Institution der "Selbstverpflichtung" zu?
Irgendwie besteht hier doch ein Unterschied zu blo�en Definitionen. Hier
wird nicht nur der Sprachgebrauch geregelt, hier werden Institutionen
geschaffen. Es sind ja "performative �u�erungen", die nichts beschreiben und
auch nichts vorschreiben. Der Satz oder genauer: Das Aussprechen des Satzes: "Hiermit verpflichte ich mich
(verspreche ich), die Norm N zu befolgen!" ist eine Handlung spezieller Art.
Diese Handlung
kann gar nicht als Behauptung positiver oder normativer Art auftreten.
Nun ist als Rechtsfolge durch die Institution gesetzt, dass jemand der sich in
dieser Weise selbst verpflichtet hat, die Norm befolgen soll. Die Norm hat zwar die
Form einer Behauptung: "A soll die Norm N befolgen". Aber dieser Satz hat den
Charakter einer Setzung, in diesem Fall durch das Individuum selbst, mit Hilfe
einer Institution, die solche Setzungen erm�glicht.
*XII-53*
Solch eine Setzung als verbindlich ist durch und durch eine menschliche
Erfindung. Es kann Gesellschaften geben, die diese Institution der
Selbstverpflichtung nicht kennen. Dies ist anders als bei Behauptungen. Es sind
keine Gesellschaften denkbar die nicht den Begriff der "Wahrheit" oder etwas
Entsprechendes haben. (oder?)
*XII-54*
Wenn jemand sagt: "Hiermit
erkl�re ich folgende Norm als für mich verbindlich: "Ich soll dir bis zum
Monatsende 100 DM geben", so hat er gerade den Behauptungscharakter des
letzten Satzes aufgehoben. Er hat den Satz von der Diskussion um Wahrheit
abgetrennt und hat ihn für sich als geltend gesetzt. Es ist aber gerade der
Charakter der Verbindlichkeit, dass die Infragestellung durch das anerkennende
Subjekt ausgeschlossen wird bzw. für das Handeln unerheblich sein soll. Es
besteht kein Denkverbot über die Richtigkeit der Norm N. Aber das Denken und die
sich �ndernde Meinung ist für das Handeln unerheblich: die Pflicht, die Norm
zu befolgen, lässt sich durch keine sachbezogenen Gr�nde gegen die Norm N mehr aufheben.
*XII-55*
Aus der Tatsache, dass Individuum A den Akt der
Selbstverpflichtung in Bezug auf N vollzogen hat, folgt nicht die Wahrheit der
Norm N. Es folgt nur nach den Regeln der Institution der Selbstverpflichtung,
dass A die Norm N befolgen soll. D.h., dass N für A eine verbindliche Setzung
ist. Unabh�ngig von allen sonstigen Gr�nden für oder wider N. Dass A die Norm N
befolgen soll, ist pure Setzung. Durch
eine Institution erzeugte Verpflichtung. Die Frage, ob A wirklich die Norm N
befolgen soll, wird durch diese Setzung gerade eliminiert. Allerdings ist
die Setzung insofern nicht willk�rlich, als es eine eigene und keine fremde
Setzung ist.
*XII-56*
Wenn jemand einen Befehl erteilt, dann stellt er
damit keine Behauptung auf. Man beansprucht damit Verbindlichkeit. Ein Befehl
besitzt aber nur dann Verbindlichkeit, wenn der Befehlende und seine Befehle
von den Adressaten anerkannt werden. Ein blo�er Befehl ohne Anerkennung scheitert
in seinem Anspruch auf Verbindlichkeit, ihm kommt h�chstens Existenz zu.Das System der Verbindlichkeit ist von gro�er Bedeutung für den gesamten
normativen Bereich. Es ist nicht ein Verfahren der Diskursbegrenzung unter
anderen.
*XII-57*
Die Verwirrung entsteht damit, dass derselbe Normsatz
einmal als Setzung mit dem Anspruch auf Verbindlichkeit und das andere Mal als
Behauptung mit dem Anspruch auf Wahrheit auftreten kann. Deshalb haben
vielleicht die Kontrahenten "positives Recht versus Naturrecht", "Pflichtethik
versus Konsenstheorie der Ethik" ,"kognitive versus dezisionistische
Theorie" aneinander vorbeigeredet. Beide hatten zum Teil Recht. Die Aufgabe ist
es jetzt, beide Ebenen sorgf�ltig miteinander zu verbinden. Grundlegend muss
dabei wohl die Behauptungsebene sein, was nicht hei�t, dass sie praktisch
dominiert.
*XII-58*
Man muss wohl zwei Arten von "sollen" bzw.
"Pflicht" unterscheiden:
einmal die Verpflichtung, die durch die Institution
der Selbstverpflichtung entsteht. Sie gilt gewisserma�en innerhalb der
Institution, nach den Regeln der Institution.
Zum anderen gibt es die
moralische Pflicht, die letztlich nicht an Konventionen gebunden ist, sondern am
Gesamtinteresse orientiert ist.
Das erste Sollen hei�t: 'Die Setzung "Du
sollst Norm N erf�llen" ist verbindlich.' Das zweite Sollen hei�t: 'Die Behauptung
"Du sollst Norm N erf�llen" ist wahr.'
*XII-59*
Mit den Festlegungen
von Pflichten für bestimmte Individuen in Systemen der Selbstverpflichtung
entstehen auch bestimmte Zust�ndigkeiten und Verantwortlichkeiten.
*XII-60*
Der Satz "Vertrags�nderungen sind verbindliche Setzungen" ist
tautologisch, w�hrend die Behauptung "A soll die vereinbarten Vertragsnormen einhalten"
keineswegs tautologisch ist, sondern eine Norm ist, über die sich im k�nkreten Fall sehr wohl streiten lässt.
*XII-61*
Wenn man auf der
Behauptungsebene argumentiert, dann relativiert man die Institution, dann ist
das Faktum der verbindlichen Setzung ein wichtiger Gesichtspunkt aber kein
"exclusionary reason", um mit RAZ zu reden.
*XII-62*
Das Problem ist
in unserm Fall, dass sich Geltungsmodus der Verbindlichkeit und Geltungsmodus
der Wahrheit auf den gleichen Satz beziehen: "A soll die Norm N erf�llen!"
Es handelt sich um den gleichen Satz, der das eine Mal als Behauptung und das
andere Mal als Setzung funktioniert. Behauptet wird hier nicht eine
bestimmte inhaltliche Norm, behauptet wird hier nur die
Verbindlichkeit dieser Norm. Wenn A zu B sagt:"Du sollst mir 50 DM geben!"
und B stellt das in Frage, so kann sich A auf den institutionell geregelten Akt
der Verbindlichkeitserzeugung durch Selbstverpflichtung berufen, zum
Beispiel eines Versprechens und sagen: "Du sollst mir 50 DM geben, weil Du es
mir versprochen hast". Er f�hrt keine Diskussion darüber, was inhaltlich für
oder gegen die Norm spricht, d.h. die Wahrheit der Norm wird gar nicht
diskutiert (das ist bei RAZ die Ebene der first-order reasons.)
*XII-63*
Gibt es eigentlich auch noch andere Formen der Verbindlichkeitserzeugung als die
Selbstverpflichtung? Bei ILTING ("Anerkennung ... findet sich als Motto ein
Satz von Kant, der etwa lautet: "Niemand ist obligiert, es sei denn er habe
zuvor consentieret" oder so ähnlich.
*XII-64*
Wie ist es, wenn ein
Monarch sich in Bezug auf seine Kompetenz zur Erlassung verbindlicher Gesetze
auf Gott beruft (K�nig von Gottes Gnaden. Dann nimmt er wohl an, dass
der Normadressat die Autorit�t Gottes zur Gesetzgebung anerkennt und damit auch
die an den K�nig delegierte Autorit�t.
*XII-65*
Aber wie ist es mit
einem Ungl�ubigen? (M�glich wäre auch eine andere religi�se Interpretation, die
den g�ttlichen Auftrag bestreitet.) Es kann insofern ein Streit entstehen,
als derjenige, der die Erf�llung der Norm verlangt, die normsetzende Instanz
als auch für den Adressaten verbindlich betrachtet, w�hrend der Adressat es
vielleicht nicht tut.
*XII-66*
Ein Beispiel: Ein Gericht wendet eine
staatlich gesetzte Norm an und beruft sich in seiner Kompetenz zum Urteil auf
die staatliche Ordnung. Der Beschuldigte mag die "Kompetenz" bzw.
"Legitimit�t" des Gerichts bestreiten. Er kann das jedoch nur, indem er die
Legitimit�t der staatlichen Ordnung bestreitet. Kann das Gericht nun die
Verbindlichkeit der staatlichen Gesetze für den Beschuldigten begr�nden? In
der Praxis stellt sich das Problem nicht, denn das Gericht urteilt in Bezug auf
staatliche Gesetze unabh�ngig davon, ob sie für den Beschuldigten
verbindlich sind oder nicht: Sie "existieren". Die Verbindlichkeit der
staatlichen Ordnung und damit die Legitimit�t des Gerichts wird vor Gericht
gewähnlich nicht in Frage gestellt.
*XII-67*
Die Eigenschaft der
Verbindlichkeit für eine bestimmte Norm ist keine empirische Tatsache. Man kann
sie auch nicht aus empirischen Tatsachen folgern, z.B. dass die Einhaltung
der Normen durch den Adressaten mit Handschlag versprochen wurde. Dies sind zwar
empirische Tatsachen, aber Die Rechtsfolge der Verbindlichkeit ergibt sich
nur unter der Bedingung der Anerkennung der Institution.
*XII-68*
Verbindlichkeit wird durch bestimmte institutionell festgelegte Regeln erzeugt.
Ob eine Norm Verbindlichkeit besitzt, ist damit v�llig unabh�ngig vom Inhalt,
und h�ngt nur von der Genese ab. Dadurch ergibt sich auch die M�glichkeit,
dass widersprüchliche bzw. unvereinbare Normen verbindlich sind, w�hrend es
nicht m�glich ist, dass widersprüchliche Normen wahr sind.
*XII-69*
Ich kann zum Beispiel meinem Freund A versprechen, morgen Abend zu ihm zu
kommen, und ich kann meinem Freund B versprechen, morgen Abend zu ihm zu
kommen. Beide Versprechen einzuhalten, ist empirisch unm�glich. Denkbar wären
auch logisch widersprüchliche Normen: "Ich verspreche meiner Frau, die Spenden
für den Verein zu senken und ich verspreche den Vereinsfreunden von X,
die Spende zu erh�hen." Dann sind erstmal beide Normen verbindlich obwohl
widersprüchlich. Kelsen war wohl ebenfalls der Meinung, dass
widersprüchliche Normen "G�ltigkeit" ("validity" in seiner Terminologie) besitzen
können (wo?). Das zeigt auch, dass seine Analysen des Rechts sich allein auf
der Ebene der Verbindlichkeit bewegen (so wie auch manche deontische Logik).
Deshalb wohl auch sein Beharren darauf, dass Normen keine Behauptungen sind
und deshalb auch nicht wahr oder falsch sein können.
*XII-70*
Verbindlichkeit wird durch Konvention erzeugt und "gesetzt" im Unterschied zur
Wahrheit, die erkannt wird.
*XII-71*
Verbindlichkeit beschr�nkt sich
nicht auf die Ebene des Rechts, sie existiert auch in der Moral, wie das
Versprechen zeigt. Das Recht ist nur eine speziell organisierte Form der
Erzeugung und Durchsetzung von Verbindlichkeit.
*XII-72*
Die
verschiedenen Arten der Erzeugung von Verbindlichkeit durch Selbstverpflichtung
bzw. Anerkennung sammeln.
*XII-73*
H�ufig ist es bei normstiven
Fragestellungen so, dass bereits
Normensysteme existieren und das Problem der Verbindlichkeit nur für neu
hinzukommende Individuen besteht. So unterschreiben neue Mitglieder von
Organisationen und Vereinen h�ufig, dass sie mit ihrem Eintritt oder Beitritt
die bestehenden Normen anerkennen. Beim Eintritt in Staaten bzw. deren
Hoheitsbereich gibt es dies nicht. Hier wei� man, dass die Gesetze der
betreffenden Staaten gelten. Die Grundstruktur der Erzeugung von
Verbindlichkeit ist wohl der Vertrag, die Konvention: "Hiermit erklären wir
folgende Normen als für uns verbindlich. ... ", also die einvernehmliche
Setzung, das "Statut". Gegenüber Adressaten, die nicht an der Setzung
beteiligt waren, gibt es dann allerdings nur die "Existenz" und nicht die
Verbindlichkeit der Statuten � es sei denn durch irgendeine Form des
nachtr�glichen EinVerständnisses.
*XII-74*
Wie ist das mit der
Familie, mit den Pflichten des Vaters gegenüber dem Kind. Sind diese durch
Anerkennung erzeugt? Man k�nnte sagen, dass jedermann, der ein Kind zeugt,
wei�, dass er damit bestimmte Pflichten übernimmt, wie sie zum Beispiel im
Unterhaltsrecht festgelegt sind. Dann m�sste allerdings dies staatliche
Unterhaltsrecht von ihm als verbindlich anerkannt sein. Dies kann jedoch nur als
Fiktion angenommen werden. Gerade bei staatlichen Gesetzen ist die
Anerkennung durch die Individuen problematisch. M�glich wäre dies bei Bestehen
des Mehrheitsprinzips in der Gesetzgebung und Anerkennung des
Mehrheitsprinzips durch das betreffende Individuum.
Wenn Verbindlichkeit
in der Praxis dominierend ist, wo ist Raum für die Wahrheitsfrage? Einmal
natürlich bei der Kritik der Setzungen, die jedoch nicht direkt ins Handeln einflie�t.
Dann beim Ermessensspielraum der Normsetzungsinstanzen. Schlie�lich beim Handeln
des Einzelnen, wenn dieser sich aus inhaltlichen Gr�nden über die
verbindliche Norm hinwegsetzen soll.
*XII-75*
Zum Sprachgebrauch: Bei
unbedingten Normen sagt man manchmal: "Du musst das tun", w�hrend "Du sollst das
tun" etwas schw�cher ist. Ist die
Bedeutung dieselbe?
*XII-76*
Daran, dass es unsittliche bzw. sittenwidrige Vertr�ge geben kann, sieht man,
dass die Verbindlichkeit doch inhaltlich begrenzt ist.
*XII-77*
Angenommen eine hervorragende demokratische Verfassung wird einer Bev�lkerung
autorit�r aufgezwungen. Dann kann diese Verfassung keine Verbindlichkeit
beanspruchen. Aber man kann sie trotzdem bejahen und aus inhaltlichen Gr�nden
für g�ltig halten.
*XII-78*
Ist es auch sinnvoll, eine
Verbindlichkeit einzuf�hren, die nicht durch Selbstverpflichtung entstanden ist?
Oder soll man den Terminus "Verbindlichkeit" nur für anerkannte Normen
vorbehalten? Wenn jeder Befehl Verbindlichkeit erzeugen k�nnte, so w�rde man
nicht mehr zwischen "Existenz" und "Verbindlichkeit" unterscheiden m�ssen.
*XII-79*
Es ist natürlich m�glich, dass autorit�re
Normsetzungsverfahren als verbindlich anerkannt werden. Ein Beispiel: Eine
Gruppe w�hlt einen Anf�hrer, der von nun an die Befehlsgewalt hat, es sei
denn er wird durch die Gruppe wieder abgesetzt. Diese Form der Autorit�t muss
von der puren Gewalt bzw. der angema�ten Autorit�t begrifflich unterschieden
werden.
*XII-80*
Das Problem besteht jetzt in den zwei Ebenen der
Verbindlichkeit und der Wahrheit. Einerseits gibt Verbindlichkeit noch keine
letzten Antworten auf die Frage, wie man handeln soll. Andererseits kann
nicht unvermittelt die Wahrheitsfrage gestellt werden. Hier besteht die Gefahr
der Unklarheit. Man kann das Problem auch nicht so l�sen wie RAWLS (in "Two
concepts of rules" in FOOT ed.), der innerhalb der Institution Verbindlichkeit
v�llig gelten lässt und für die Institution selber die Wahrheitsfrage
stellen will (er dr�ckt sich dabei zwar anders aus, aber dies meint er offenbar).
Denn man kann in Extremf�llen auch innerhalb der Institution
berechtigterweise entgegen verbindlichen Normen handeln. Andererseits können
Institutionen selber verbindlich gemacht sein durch" h�here" Institutionen.
lässt sich hier eine klare L�sung finden? Die Dinge liegen wohl kompliziert.
Hier kommt man zu den Fragen des "Widerstandsrechts", des "Rechts auf zivilen
Ungehorsam" usw.
*XII-81*
RAZ hat speziell zum Versprechen noch einen
Aufsatz geschrieben:"Voluntary obligation and normative powers" in Proc.of the
Aristotelian Soc.1972 S. 96-100.
*XII-82*
Geltungsmodus von
Normen. Entwicklungsstufen:
Wille � mehr oder weniger sanktioniert
effektiver Wille � in der Regel befolgt
verbindliche Norm � erzeugt durch
Selbstverpflichtung
g�ltige Norm � im Gesamtinteresse.
*XII-83*
Jemand, der seine Versprechen nicht einh�lt, ist "unzuverl�ssig", auf dessen
Wort kann man sich nicht verlassen. Jemand, der "l�gt", auf dessen Wort kann
man sich ebenfalls nicht verlassen, er ist "unwahrhaftig". WARNOCK meint, die
Pflicht zur Einhaltung von Versprechen lasse sich aus der Pflicht zur Wahrheit
ableiten.
*XII-84*
Die Frage ist, ob man die Ziele der
Diskursbeendigung nicht auch dadurch erreicht, dass man Kompetenzen zur
verbindlichen Normsetzung schafft, ohne dass diese Kompetenz von den
Normadressaten anerkannt sein muss: also eine Verpflichtung ohne
Selbstverpflichtung. Das wäre im gewissen Sinne die Rechtfertigung der
formalen Diktatur. Ist diese Rechtfertigung prinzipiell m�glich?
*XII-85*
Zur Terminologie: Vielleicht sollte ich den Begriff "verbindlich" nicht normativ
aufladen, sondern nur so bestimmen, dass diese Eigenschaften Normen zukommt,
für die beansprucht wird, dass sie zu befolgen sind unabh�ngig von jedem
inhaltlichen für-und Wider. Denn dann kann ich verschiedene Verfahren zur
Setzung von Normen diskutieren, ohne immer voraussetzen zu m�ssen, dass diese
Verfahren normativ "richtig" sind. Aber vielleicht gibt es ein weniger
wertgeladenes Wort, um diesen Sachverhalt auszudr�cken? Welche Ausdr�cke stehen
zur Verf�gung: bindend, endg�ltig, gesetzt, definitiv, geltend� Aber dann
braucht man noch einen Begriff, um willk�rlich gesetzte Normen von normativ
gerechtfertigten Setzungen zu unterscheiden.
*XII-86*
In der
Praxis der Demokratie wird der Diskurs nicht eliminiert, aber in einen Rahmen
verbindlicher Normsetzung eingebunden, d.h. der Diskurs verl�uft innerhalb
bestimmter Gremien, die nach bestimmten Gesch�ftsordnungen miteinander
argumentieren und entscheiden, Gerichte, 2. Kammern, Parlamente, Kabinette, Aussch�sse etc.
Von besonderer Bedeutung ist wohl die �ffentlichkeit, die W�hlerschaft.
*XII-87*
lässt sich die "willk�rliche Setzung von verbindlichen Normen"
sinnvoll als Institution formulieren? Wohl nicht, denn damit wäre jeder befugt,
verbindliche Normen zu setzen, was sicherlich in einem Chaos widersprüchlicher
Normen enden w�rde. Man k�nnte versuchen, dies dadurch zu verhindern, dass man nur
dem St�rksten und M�chtigsten, also demjenigen, der die von ihm gesetzten Normen
auch effektiv gegenüber konkurrierenden Normen durchsetzen kann, das Recht zur
Setzung verbindlicher Normen zuspricht. Das w�rde dem paulinischen Grundsatz
entsprechen:"Jedermann sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat!"
- oder wohl dem Standpunkt einiger Rechtspositivisten. Aber ob jemand der
St�rkste ist, ist nicht direkt feststellbar, h�chstens im Nachhinein. Ob jemand
sich mit den von ihm gesetzten Normen durchsetzt, h�ngt seinerseits davon ab, wie
sich die einzelnen Individuen in dieser Hinsicht entscheiden. Deshalb ist das
Kriterium der effektiven Durchsetzung kein brauchbares Kriterium für die
fürsprecher eines Rechts auf die Setzung verbindlicher Normen. Dies wird
deutlich in Situationen, wo die bisher vorherrschende normsetzende Instanz von
einer anderen Instanz infrage gestellt wird und Situationen der
Doppelherrschaft, des B�rgerkrieges etc. sich entwickeln.
Wenn die
Kompetenz zur Setzung verbindlicher Normen an die
Anerkennung durch die Addressierten gekn�pft wird, schwindet Gewalt.
*XII-88*
Man
sagt: "Du sollst dich an das halten, was Du versprochen hast!" und man kann
gleichzeitig sagen, dass man das Versprochene nicht für richtig h�lt, etwa in
dem Sinne wie: "Du h�ttest es nicht versprechen sollen, aber wenn Du es nun
einmal getan hast, musst Du dich auch daran halten." D.h.: der Anspruch auf
Befolgung impliziert nicht den Anspruch auf das für-richtig-halten.
*XII-89*
Bei empirischen Behauptungen taucht das Problem kaum auf, ob man
entsprechend den wahren Behauptungen handeln soll. Gewähnlich liegt es im
Interesse jedes Einzelnen, bei seinen Entscheidungen von wahren und nicht von falschen empirischen Annahmen auszugehen. (Es mag Ausnahmef�lle geben, wo für jemanden
die T�uschung besser ist. Oft gilt di0es jedoch nur auf kurze Sicht.) Bei normativen
Behauptungen ist das anders. Hier kann man kein Interesse jedes Einzelnen voraussetzen, entsprechend den als g�ltig angesehenen normativen
Behauptungen zu handeln. Die Erkenntnis der Wahrheit in moralischen Fragen
garantiert noch kein entsprechendes moralisches Handeln.
*XII-90*
Die
Argumente gegen SEARLE sind alle etwas kompliziert (HARE, MACKIE) und mir ist
die Sache selber immer noch nicht klar. Ist es sinnvoll, solche
institutionell erzeugten gesetzten Verbindlichkeiten nicht als normative Behauptungen zu
nehmen? Was sind es dann? Der Kern dieses Problems liegt immer noch in der
Aussagenkette:
1. Versprechen erzeugen Verbindlichkeiten.
2.
Verbindlichkeiten soll man einhalten. Daraus folgt:
3. Versprechen soll man
einhalten.
Wie wäre die analoge Kette?:
1. Rotes Ampellicht bedeutet das
Gebot:" Halt!".
2. Gebote soll man befolgen. Daraus folgt
3. Bei rotem
Ampellicht soll man anhalten.
Beim zweiten Beispiel wird deutlich, dass man
das Ganze "von einem Standpunkt au�erhalb der Institution" betrachten kann, etwa
indem man einf�gt: "nach geltendem Verkehrsrecht".
Dies ist im ersten
Beispiel schwieriger: Die Verbindung zwischen "Rot" und "Halt" ist v�llig
willk�rlich.
W�hrend die Beziehung zwischen den Sätzen "Hiermit verpflichte
ich mich ..." und "Jemand, der das sagt, ist verpflichtet" enger ist.
Kann
man das auch "von au�en" sehen? Im Prinzip wohl. Auf jeden Fall ist das allein
keine logische Beziehung.
Nehmen wir ein drittes Beispiel:
Folgt aus dem
Satz: "Hiermit erkenne ich, Hans, die Norm N als für mich verbindlich an" der
Satz: "Die Norm N ist für Hans verbindlich?" Logisch folgt sie wohl
nicht. Ebenso wenig,
wie aus dem Satz: "Hiermit erkenne ich, Hans, die Aussage A für mich als wahr
an" der Satz folgt: "Aussage A ist für Hans wahr".
Das Zwischenst�ck, das
fehlt, lautet: "Wenn jemand eine Norm explizit als für sich verbindlich
anerkennt, so soll sie für ihn auch verbindlich sein." Dieser Satz schafft
erst die Institution des Versprechens. Diesen Satz muss man für sich anerkennen,
wenn man den 2. Satz für sich anerkennen soll: "Die Norm N ist für Hans
verbindlich" und nicht nur "gem�� den in dieser Gesellschaft geltenden
Regeln
�".
*XII-91*
Kann man sich auch weigern, diese Institution
anzuerkennen? Sicherlich, wenn es auch viele Gr�nde gibt, eine solche
Institution zu haben. (Die Gr�nde für die Institution wären wohl
utilitaristisch im weiteren Sinne). Diese Argumentation beruht auf der
Unterscheidung zwischen einem Standpunkt innerhalb der Institution und einem
Standpunkt au�erhalb dieser Institution. Dies entspricht dem Unterschied
zwischen dem Berichten von Regeln und dem Bejahen von Regeln. Man kann etwas
berichten, ohne es zu bejahen.
*XII-92*
Der Satz "Versprechen
sollen eingehalten werden" setzt die Institution des Versprechens voraus, in
denen das Wort "Versprechen" benutzt wird. Es ist insofern tautologisch, als
natürlich gem�� den Regeln der Institution des Versprechens das Versprochene
eingehalten werden soll. Genauso wie man sagen kann: "Beim Fu�ballspielen
d�rfen die Spieler mit Ausnahme des Torwarts den Ball nicht mit der Hand
ber�hren". Nach den Regeln des Spiels gilt das, aber d.h. natürlich nicht,
dass es nicht Situationen geben kann, in denen man ein Fu�ballspiel abbrechen
sollte; z. B. indem man den Ball mit der Hand ber�hrt und damit eine
Regelverletzung begeht: zum Beispiel, wenn man erf�hrt, dass das Spielfeld
vermint ist. In ähnlicher Weise sind die Regeln des Versprechens nicht absolut gegeben.
*XII-93*
Das Versprechen ist dort besonders notwendig, wo Bereiche in
individueller Verf�gung existieren, über die dann die Individuen souver�n
verf�gen können. Kooperation erfordert hier Vertrauen und relativ stabile
Erwartungen bez�glich des Verhaltens der anderen. Dies gilt vor allem in F�llen, wo
die individuellen Interessen nicht unmittelbar zusammenfallen, sondern nur unter der
Bedingung eines bestimmten Verhaltens.
*XII-94*
Warum ist es nicht sinnvoll, das Handeln der
Individuen unmittelbar nach dem Kriterium des Gesamtinteresses auszurichten?
Hier kommen verschiedenste Aspekte zusammen:
Fehlende Endg�ltigkeit des
Diskursergebnisses, Komplexit�t und Ungewissheit der Situation, zu hohe
Entscheidungskosten, mangelnde Motivation der Individuen hinsichtlich einer
Orientierung am Gesamtinteresse, Existenz mehrerer Optima, keine
M�glichkeit der Feststellung von Regelverst��en und Verantwortlichkeiten und zu entsprechenden
Sanktionierung, etc.
*XII-95*
Das Gefangenendilemma ist kein Dilemma bei Individuen, die am Gesamtinteresse
orientiert sind und sich in dieser Hinsicht wechselseitig v�llig vertrauen
können. Zu problematischen Ergebnissen kommt es erst dann, wenn nur einer der Beiden sein
Handeln am Gesamtinteresse orientiert, der andere jedoch seine individuellen Interessen verfolgt. Dann wäre der moralisch
Handelnde der Dumme, d.h. es g�be eine unsolidarische Verteilung und und
zus�tzlich wäre wohl das Gesamtinteresse nicht erreicht. Au�erdem w�rde der
Egoist belohnt.
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(Ende Heft XII)
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Ethik-Werkstatt: Ende der Seite "Aus meinen Notizb�chern Heft XII " / Letzte Bearbeitung
15.10.2014 / Eberhard Wesche
Letzte Bearbeitung 19.12.2014
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