Ethik-Werkstatt - Volltexte - kostenlos
übersicht
Alphabetische Liste aller Texte
Info zu dieser Website
Lexikon
Startseite
______________________________________________________________________________________________
Aus meinen Notizb�chern: Heft XIV
Heft XIV
Vorbemerkung:
Aus meinen Notizb�chern Heft I
II
III
IV
V
VI VII
VIII
IX
X XI
XII XIII XIV
XV XVI
Den folgenden Text aus meinen Notizb�chern habe ich eigentlich nicht für die Ver�ffentlichung sondern für mich selber geschrieben, um meine
eigenen Gedanken festzuhalten und zu klären. Sie haben deshalb einen vorl�ufigen
Charakter, insbesondere was die benutzte Terminologie betrifft. Trotz z. T.
grundlegender überarbeitung sind diese Notizen auch in der Formulierung holpriger als
andere Texte der Ethik-Werkstatt. Es sind m. E. darin jedoch Gedanken enthalten, die
für die Entwicklung einer normativen Theorie der kollektiven Entscheidung und
für die Ethik allgemein von Interesse sein können. Wo ich heute anderer Ansicht
bin als damals, habe ich dies manchmal in eckigen Klammern hinzugef�gt und
begr�ndet.
************************************************************************************************************
Zur Position von KRIELE
*XIV-1*
Gibt es in der Theorie des argumentativen Konsens ebenfalls so etwas, wie einen
"Naturzustand", n�mlich dann, wenn ein Individuum es ablehnt, nach einem
argumentativen Konsens zu suchen? Dann ist mit diesem Individuum jede
vern�nftige Argumentation unm�glich � (man kann h�chstens noch an sein
Eigeninteresse appellieren.)
Man kann jedoch weiterhin stellvertretend für
das nicht konsensorientierte Individuum argumentieren unter der Annahme, es sei
"vern�nftig". Da das Solidarit�tsprinzip nicht von Besonderheiten der Individuen
abh�ngt, kommt es nicht darauf an, ob bestimmte Individuen die Beschr�nkung auf
intersubjektiv nachvollziehbare Argumente akzeptieren oder nicht.
*XIV-2*
Ist das
Solidarit�tsprinzip konsensf�hig? Der übergang vom Intersubjektivit�tsprinzip
zum Solidarit�tsprinzip � zumindest so wie ich ihn in meiner Dissertation (TMG)
vollzogen habe � ist ja keine l�ckenlose logische Deduktion. Wie kommt man von
einer sanktionsfreien Diskussion zur allgemeinen Anerkennung des
Solidarit�tsprinzips? Gibt es implizite psychologische Annahmen? Wird bei meiner
Begr�ndung
über die Anerkennung des Intersubjektivit�tsprinzips hinaus "Vern�nftigkeit",
"Normalsinnigkeit" (Lorenzen?) oder "Zweckrationalit�t" (Rawls)
der Individuen vorausgesetzt?
Die Frage lautet: "Welchem Prinzip k�nnten alle gemeinsam am ehesten gewaltfrei zustimmen?" Gibt
es nur ein konsensf�higes Prinzip oder sind mehrere Prinzipien konsensf�hig? Im
letzteren Falle
m�sste man dann zus�tzlich ein Verfahren zur Ermittlung des besten Prinzips
einf�hren.
*XIV-3*
Offensichtlich kann die Diskurssituation nicht als faktisch
gegeben eingef�hrt werden, denn bei realen Diskussionsprozessen unter
Einigungszwang gibt es immer die Drohung mit dem Status quo bei Nicht-Einigung.
Wie definiert RAWLS die "original position"?
*XIV-4*
Durch das
Solidarit�tsprinzip werden die Individuen verpflichtet, sich mit den Interessen
der anderen zu identifizieren. Wird damit die Ber�cksichtigung von Interessen
ausgeschlossen, die sich auf die fürderung oder Behinderung fremder Interessen
beziehen?
*XIV-5*
In der 'original position' sollen die Prinzipien der
Gerechtigkeit nach ihren Konsequenzen bei allgemeiner Befolgung beurteilt
werden. Aber was ist, wenn moralische überforderung bzw. Grenzen der sozialen
Kontrolle auftreten, wenn also Normverletzungen vorkommen?
*XIV-6*
Die
Vorstellung vom Menschen: ein Wesen mit bestimmten Bed�rfnissen, wobei gilt: je
mehr Befriedigung, umso besser. Aber die blo�e Quantit�t von Befriedigungen �
zum Beispiel im sexuellen Bereich (Orgasmen) � ist für die psychische Gesundheit
nicht entscheidend. Das Verhältnis von Triebquelle und Befriedigungshandlung ist
ein vielfach abgestuftes System, bei dem es darauf ankommt, auf welcher Stufe
und durch welche Gegenkr�fte der Trieb an seiner Befriedigung gehindert wird.
Nicht jede Verhinderung von Triebbefriedigung macht neurotisch. Bereits Freud
hat die Verdr�ngung des Triebes von dessen bewusster Verurteilung unterschieden.
Die Frustrations-Aggressions-Hypothese macht den Grad
der Frustration von der zuvor gehegten Erwartung auf Triebbefriedigung abh�ngig.
*XIV-7*
Zur Wahl der erzieherischen Ma�nahmen, mit der man ein Kind von einer
Handlung abh�lt:
ob man das Kind wegen der missbilligten Handlung tadelt,
ob man es mit k�rperlichem Zwang an der Handlung hindert,
ob man es
durch Androhung von Strafen von der Handluing abh�lt,
ob man es durch andere
Reize ablenkt usw. und sofort.
Die Festigkeit der Erzieher im Konflikt
mit dem Kind ist wichtig. Wenn die Begr�ndung der Versagung dem Kind
verst�ndlich gemacht wurde, d�rfen die Erzieher nicht wieder "weich" werden.
Denn dann bleibt für das Kind immer noch die Hoffnung wach, es k�nnte doch noch
zum Ziel kommen. Vom Kind wird die Versagung schlie�lich umso schwerer
empfunden, je inkonsequenter die Erzieher entscheiden.
*XIV-8*
Der Neurotiker
ist jemand, der bestimmte W�nsche nie aufgegeben hat sondern sie verdr�ngt hat.
Ein Kind, das selber sieht: Es ist objektiv unm�glich, dass ich jetzt ein Eis
bekomme (z.B. weil der Vater kein Geld dabei hat) findet sich einfacher damit
ab, als wenn der Vater nur ablehnt ein Eis zu kaufen, obwohl er es k�nnte.
*XIV-9*
Ich muss mich mit dem Anspruch APELs und KUHLMANNs auseinandersetzen, dass
nicht nur die Argumentation, sondern bereits jedes ge�u�erte Wort und jede verst�ndliche
Handlung das Postulat einer universalen Kommunikationsgemeinschaft voraussetzt.
(Transformation Bd. 2, Seite 225, ähnlich Kuhlmann: Ethik der Kommunikation.)
*XIV-10*
Diese Ableitung der Argumentationsregeln ist nicht haltbar. Warum nicht?
Es
gibt sprachliche Mitteilungen, bei denen keine Behauptungen (im Sinne von
Sätzen mit Geltungsanspruch) aufgestellt werden, z. B. wenn jemand einen Witz erz�hlt. Die einzige Regel, die man dabei
befolgen muss, ist wohl die Regel, dass ich mich um die Verst�ndlichkeit meiner
W�rter und S�tze bem�hen muss. Wenn ich mich weigere, die Regeln einzuhalten, die die
Verst�ndlichkeit der W�rter erm�glichen, (z. B. die Verpflichtung, die benutzten W�rter in ihrer
Bedeutung zu erl�utern, sofern n�tig), kann der
andere den Witz nicht verstehen.
Aber sind das notwendige Regeln des
Sprechens, die jeder anerkennen muss, der überhaupt spricht? Man k�nnte
h�chstens sagen: "Wenn es dir um Verst�ndigung geht, wenn Du also willst, dass
die anderen deine �u�erung so verstehen, wie Du sie meinst, so musst Du
bestimmte Regeln des Sprechens beachten � eben die Regeln, die MissVerständnisse
weniger h�ufig auftreten lassen. Darauf muss sich jeder festlegen lassen, wenn eine
Mitteilung von Sinn erfolgreich stattfinden soll. Erkennt jemand diese
Regeln nicht an, etwa die Regel unverst�ndliche W�rter zu erl�utern, so ist der
Diskussion die Grundlage entzogen.
Lassen sich die Regeln des
verst�ndlichen Sprechens bestreiten? Meiner Ansicht nach ja, denn man kann
unterschiedlicher Meinung darüber sein, durch welche Regeln des Sprechens
intersubjektive Verst�ndlichkeit von �u�erungen erm�glicht bzw. durch welche
Sprechweisen Verst�ndigung behindert wird.
Die Norm: "Strebe nach Verst�ndlichkeit
deiner �u�erungen!" ist eine Norm, die man nicht sprechend bestreiten kann. Doch
k�nnte jemand sagen: "Warum? Ich will unverst�ndliches Zeug quatschen, Nonsens
erz�hlen. Es ist mir egal, ob Du das verstehst." Hier geht es aber gar nicht um
die Mitteilung eines gemeinten Sinns an andere, dann kann man den andern auch
nicht auf ein Streben nach Verst�ndlichkeit festlegen. Offensichtlich sind das
alles keine unbedingten Normen, sondern nur Normen, die innerhalb eines
bestimmten "Sprachspiels" gelten.
Das Besondere an den Regeln der
Argumentation ist, dass man sie nicht erfolgreich bestreiten kann, denn
"Bestreiten" ist eine Handlung, die nur im Sprachspiel "Argumentation" bzw.
"Diskurs" sinnvoll ist. Allerdings kann es kann strittig sein, ob eine
bestimmte Argumentationsregel geeignet ist, einen gewaltfreien Konsens
herzustellen.
Es kann nicht strittig sein, dass der Streit um
Wahrheit rein argumentativ d.h. gewaltfrei ausgetragen werden muss. Nun k�nnte
jemand auch das bestreiten und für einen andern Wahrheitsbegriff argumentieren.
Aber wenn er das t�te, dann w�rde er sich bereits faktisch entsprechend dem
Wahrheitsbegriff verhalten, den er verbal ablehnt. Ist das ein Widerspruch? Kein
logischer Widerspruch aber ein Widerspruch zwischen den methodologischen Regeln,
zu denen jemand sich verbal bekennt, und denjenigen Regeln, die er tats�chlich
praktiziert: eine Inkonsistenz zwischen Reden und Handeln.
*XIV-11*
Was hei�t es 'eine Regel zu praktizieren'?
So handeln, dass sie nicht verletzt wird?
Diese Nicht-Verletzung k�nnte
jedoch rein zuf�llig sein. Wenn jemand kein Schweinefleisch isst, weil es ihm
gesundheitlich nicht bekommt, so befolgt er nicht die Regel, dass er kein
Schweinefleisch essen soll. Um herauszufinden, ob das regelkonforme Verhalten
nur zuf�llig ist, m�sste man sehen, wie er auf Regelverletzungen reagiert, z. B.
wenn jemand selber seine Zustimmung nicht-argumentativ herbeizuf�hren sucht nach
dem Motto: "Wer den argumentativen Wahrheitsbegriff nicht anerkennt, zeigt damit
seine irrationale Befangenheit in blo�en Dogmen und seine Unf�higkeit, die
eigenen Denkvoraussetzungen zu reflektieren" und ähnliche pers�nliche
Herabsetzungen, die als negative Sanktionen gegen Andersdenkende einsetzbar
sind. Wenn er sich dagegen verwahren will, so kann er sich auf Argumentationsregeln
berufen.
*XIV-12*
ALBERTs Kritik an APEL:
- in Pl�doyer für kritischen Rationalismus, M�nchen
1971 Seite 113-124
- transzendentale Tr�umereien Hamburg 1975
*XIV-13*
Ich beanspruche für die normative Methodologie nicht mehr als was
die "Positivisten" für die positive Methodologie
beanspruchen. Die Unm�glichkeit
einer Letztbegr�ndung trifft die normative Erkenntnis nicht st�rker als die
positive Erkenntnis.
*XIV-14*
Nach ALBERTs Verständnis ist die Methodologie als
normative Disziplin durch bestimmte Zwecksetzungen bestimmt. (Zitat:) "Wir
können n�mlich die Methodologie ... weder einfach als eine
normative Disziplin �blicher Art auffassen noch als eine deskriptive Disziplin,
die das Verhalten bestimmter Experten - der Wissenschaftler - beschreibt,
sondern eher als eine Technologie, die sich auf bestimmte Ziele der kognitiven
Probleml�sungst�tigkeit beziehen lässt. ... Sie ist demnach von
bestimmten Hintergrundannahmen über die Beschaffenheit der Realit�t z. B. über
die Struktur der Sprache, über M�glichkeiten der Wahrnehmung - abh�ngig, wie sie
in einer am Erkl�rungsproblem orientierten realistischen Erkenntnislehre
auftreten. Auch in diesem Bereich muss also die Technologie eine theoretische
Basis haben in einer Erkenntnislehre, die die Erkenntnis und damit auch das
kognitive Unternehmen der Wissenschaft zu erklären sucht." (ALBERT, Rat.Praxis,
S.20f.)
Die Methodologie ist nach ALBERT demnach ein zweckrationales Unternehmen, ma�gebend nur
für denjenigen, der deren Zweck akzeptiert.
*XIV-15*
Einmal klären, inwiefern die
Methodologie, die die Regeln der Argumentation enth�lt, selber fehlerhaft sein kann. ALBERT hat wohl
recht, wenn er sagt, dass es keine unfehlbar richtige Methodologie gibt.
(S. 21)
*XIV-16*
Die Frage: "Wie soll die Wirklichkeit beschaffen
sein?" ist gegenüber der Frage: "Wie sollen die Menschen handeln?"
grundlegender, denn sie enth�lt logisch die zweite. Bei einer notwendigen Beschr�nkung
auf "m�gliche" Gestaltungen der Wirklichkeit st��t man auf die Menschen als
Ausgangspunkt gezielter Weltgestaltung und damit als in Frage kommende
Adressaten (neben den h�heren Tieren).
*XIV-17*
Die verschiedenen Arten von
Interdependenzen zwischen Handlungen analysieren: kausale, nutzenm��ige (z. B.
S�ttigungsph�nomene)
*XIV-18*
Mich mit der mehrstufigen
Konkretisierung bzw. Beschlussfassung von Normen befassen, einer viel ge�bten
Praxis.
*XIV-19*
Das Wort "Norm" hat im allt�glichen Sprachgebrauch immer die
Bedeutung einer Vereinheitlichung. So "Industrienorm",
"normal" etc. Ich gebrauche den Begriff "Norm" allerdings auch für singul�re
Vorschriften.
*XIV-20*
Ein Willenskonflikt ist etwas anderes als ein
argumentativer Streit um Normen. Beim Willenskonflikt bewegt man sich auf der
Ebene der Interessen, beim Streit um Normen bewegt man sich auf der Ebene der
moralischen überzeugungen.
*XIV-21*
Der argumentative Streit um Wahrheit
macht nur dann Sinn, wenn jeder bereit ist, die Ergebnisse der Argumentation zur
eigenen überzeugung zu machen (sich von Argumenten überzeugen zu lassen) und
entsprechend dieser überzeugung auch zu handeln. Wenn ein bestimmtes Handeln als
im Gesamtinteresse liegend erkannt ist, muss jeder zustimmen, dass dies auch in
die Tat umgesetzt wird.
*XIV-22*
Zwei Ebenen:
1.)
"Wie sollen die Individuen handeln?" Und
2.) "Welche Normen sollen sozial
gelten und durchgesetzt werden?"
Wie unterscheiden sich beide, wie h�ngen
beide zusammen?
*XIV-23*
(ab hier ADOMEIT) Zur normativen überforderung: Solon soll auf die Frage, ob er seinen Athenern
die besten Gesetze gegeben habe, geantwortet haben: "Die besten freilich nicht,
aber die besten, die sie vertragen konnten." (Zitat nach ADOMEIT, Seite 59)
*XIV-24*
Er spricht vom "Stufenbau der Rechtsordnung" (Seite 48 f.) Die
unterste Stufe bilden "Verhaltensnormen". Sie gewinnen rechtliche Geltung durch
"Erm�chtigungsnormen", die den Normsetzenden zur Setzung von Verhaltensnormen
erm�chtigen ("befugen").
*XIV-25*
Die Befugnis bzw. Erm�chtigung zur Normsetzung
ist aus übergeordneten Erm�chtigungsnormen abgeleitet. Die normsetzende Instanz
muss durch entsprechende "Personal� bzw. Organisationsnormen" konstituiert
werden (Seite 52). Erm�chtigungsregeln schreiben entweder nur das Verfahren oder
auch den inhaltlichen Spielraum der Normsetzung vor. (Seite 76)
*XIV-26*
Da es
auch rechtsfreie R�ume gibt, beziehen sich Rechtsfragen nur auf die
Orientierung rechtlich relevanter Handlungen.
*XIV-27*
Zu den
"Verhaltensnormen" und den "Erm�chtigungsnormen" kommen als Sonderelemente noch
die sogenannten "methodologischen" Normen hinzu, die methodisch die Entscheidung
der normsetzenden Instanzen orientieren, zum Beispiel indem sie diese auf
Gemeinwohl, Gerechtigkeit, Billigkeit, Zweckm��igkeit, Gleichbehandlung,
Menschenw�rde, Wahrheit oder ähnliches festlegen. Dies sind keine
Verfahrensnormen wie etwa Abstimmungsregeln oder Prozessordnungen,
die bestimmte Operationen vorschreiben. Sie begrenzen zwar den inhaltlichen
Spielraum der Normsetzung, aber sie tun dies nicht auf der Ebene des Verhaltens
wie zum Beispiel die Vorschriften über das zul�ssige Strafma� in Strafgesetzen,
die den Spielraum für das Urteil des Richters angeben.
*XIV-28*
Der
Ausdruck: " Streitgespr�ch" für Diskussionen ist nicht schlecht: Es werden Behauptungen
aufgestellt, die bestritten werden � und zwar bestritten hinsichtlich ihrer
Wahrheit (Allgemeing�ltigkeit).
*XIV-29*
Man kann sich auch als
Einzelner auf einen
universalen Standpunkt stellen und das für-und-Wider bestimmter Normen er�rtern.
*XIV-30*
Die Wahrheit von Behauptungen f�hrt als solche nicht dazu, dass diese
Behauptungen den Handlungen zugrundegelegt werden. Es muss hinzu kommen, dass sie
als wahr akzeptiert werden. Aber Irrtum ist m�glich, widersprüchliche
Behauptungen von verschiedenen Individuen s. Deshalb
bedarf es immer eines zus�tzlichen Verfahrens der Auszeichnung bestimmter
Behauptungen als "geltend".
*XIV-31*
Selbst wenn man sich über die S�tze einig wäre,
die als wahr gelten sollen, ("heilige Schriften" etc.) besteht weiterhin
das Problem der Interpretation dieser S�tze (vor allem, wenn diese heiligen
Schriften auf alle Fragen eine Antwort geben wollen.) Deshalb muss es dann
autorisierte, orthodoxe Auslegungsinstanzen geben.
*XIV-32*
Insofern Normsetzung
eine Art des Verhaltens ist, kann man auch die Normen, die das Verhalten der an
der Normsetzung beteiligten Personen normieren, als "Verhaltensnormen"
auffassen, allerdings einer anderen Kategorie.
*XIV-33*
Ich muss einmal
auflisten, warum es Schwierigkeiten bei der Auslegung von Normen gibt. Welche
Arten von Deutungsproblemen gibt es: unscharfe Begriffe, mehrdeutige Begriffe,
Gesetzesl�cken, Leerformeln, methodologische Begriffe, widersprüchliche Normen,
Besonderheiten des Einzelfalls, Feder des Gesetzgebers, gewandelte Umst�nde ...
*XIV-34*
Der Richter hat nicht nur festzustellen, ob ein Angeklagter bestimmte Normen
verletzt hat, sondern auch, ob er schuldig ist, und welches Strafma� im
Einzelfall angemessen ist (im Rahmen des meist vorgeschriebenen Spielraums).
*XIV-35*
MachtVerhältnisse lassen sich in keinem Normsetzungsverfahren vollst�ndig
eliminieren, denn jeder Mensch - auch der normsetzende - ist in seinem
Wohlergehen von anderen abh�ngig. Das macht ihn sanktionierbar. Allerdings gibt
es Methoden zur Verringerung der Abh�ngigkeit vom M�chtigen: zum Beispiel Geheimhaltung,
Immunit�t, Ablehnung bei Befangenheit, Strafandrohung für Sanktionsversuche etc.
*XIV-36*
(Zitat aus Hans ALBERT): "Wenn jemand berichtet,
was er beobachtet hat, und Behauptungen aufstellt, wie sich ein Vorgang - etwa
das Brutverhalten eines Vogels - zugetragen hat, so ist die Begr�ndung für seine
Behauptung nicht nur logischer Natur, der Grund liegt im Vertrauen auf die
eigene Wahrnehmung (und für andere erfordert die übernahme der Behauptung
zus�tzlich die Annahme der Glaubw�rdigkeit des Zeugen, also vor allem seine
Wahrhaftigkeit)."
Diese empirische Grundlage einer Behauptung muss jedoch
keineswegs hei�en, dass die Wiedergabe der Beobachtung zu unbezweifelbaren
Behauptungen f�hrt: überinterpretationen, Ph�nomendeutungen,
Sinnest�uschungen, Ged�chtnisl�cken und -fehler, selektive Wahrnehmung, Defekte
der Sinnesorgane, perspektivische Verzerrungen etc. sind vor Gericht bei
Zeugenaussagen immer als M�glichkeiten zu ber�cksichtigen. Deshalb bildet
die individuelle Wahrnehmung keine absolute Wahrheitsquelle. (Hinzu kommen
Probleme bei der Benutzung spezieller Beobachtungsinstrumente wie Fernrohr,
Mikroskop oder ähnliches, deren Resultate nur durch bestimmte optische Theorien
interpretierbar sind).
*XIV-37*
Aber muss man deshalb die "Idee der Begr�ndung"
aufgeben? Das Bild, das POPPER in Bezug auf das Problem der empirischen Basis
gegeben hat, n�mlich dass wir "Pf�hle in den Sumpf treiben", bedeutet, dass es um Begr�ndung, Fundierung, Grundlegung oder ähnliches geht, und
ALBERT verwendet für seine Position ähnliche Ausdr�cke.
Was bleibt dann
von "einer der für das moderne Denken folgenreichsten Entdeckungen"
wie ALBERT schreibt (siehe oben) ; dass man alle Behauptungen für m�gliche Kritik
und Gegenargumente offen h�lt? Wer wollte das ablehnen? Auf jeden Fall schlie�t
eine Wahrheitskonzeption, die auf dem Prinzip der argumentativen Konsensf�higkeit
beruht, diese Offenheit für Kritik nicht aus � im Gegenteil: der Diskurs über
eine bestimmte Behauptung ist nicht definitiv abschlie�bar, selbst nicht bei
Erzielung eines faktischen Konsens, denn es können jederzeit neue
Gegenargumente auftauchen, sei es dass neue Antwortm�glichkeiten, neue
Beobachtungen, neue logische Verbindungen, neue Begriffe etc. entstehen.
*XIV-38*
Durch die Bindung der Wahrheit von Behauptungen an die
universale Konsensf�higkeit ist ausgeschlossen, dass zu einem bestimmten
Zeitpunkt die Wahrheit einer Behauptung definitiv festgestellt werden kann, also
"unumst��lich", "unbezweifelbar", ein für alle Mal, endg�ltig und wie die
Formulierung bei Albert auch immer lauten. Universal hei�t: auch für Individuen
geltend, die gegenw�rtig am Diskurs gar nicht teilgenommen haben bzw. für
ver�nderte Individuen, die eine Entwicklung vollzogen haben. Es kann nicht
prinzipiell ausgeschlossen werden, dass ein heute faktisch erzielter Konsens
zwischen bestimmten Individuen morgen durch neue Argumente infrage gestellt
wird.
*XIV-39*
W�hrend Gewissheit von
Behauptungen auf das Individuum bezogen ist, ist der Wahrheitsbegriff der
Diskurstheorie auf Intersubjektivit�t bezogen. (Allerdings ist der Wunsch, sich
m�glichst nicht zu irren, mit dem Wunsch, zu einem argumentativen Konsens zu
kommen, unter der Voraussetzung identisch, dass das, was für den Einen einen Irrtum
darstellt, dieses zugleich auch für den Andern tut, dass also eine gemeinsame
Wirklichkeit für alle Individuen existiert.)
*XIV-40*
Eine Frage ist
es, ob das Intersubjektivit�tsprinzip fordert, selber unbezweifelbar zu sein.
*XIV-41*
Die
Rhetorik ist eine technische Disziplin, insofern als sie einen bestimmten Erfolg
anstrebt, n�mlich die Annahme der Position des Redners durch die Zuh�rer. Die
Regeln der Rhetorik sind insofern Klugheitsregeln, Regeln zur Erreichung eines
subjektiv gesetzten Zweckes, jedoch keine methodologischen Regeln, also Regeln
der Erkenntnisgewinnung bzw. der Argumentation.
*XIV-42*
In ähnlicher Weise ist
die Dialektik eine technische Disziplin n�mlich die Kunst, ein Streitgespr�ch so
zu f�hren, dass man die eigene Position verteidigt und den Gegner in
Widerspr�che verwickelt. Allerdings ist hier der Bezug zur Methodologie enger,
denn diese legt ja fest, was haltbare Argumente sind und was nicht. Einmal die
klassischen Texte zur Rhetorik, Dialektik, Topik etc. darauf durchsehen, ob
sie auch methodologische(und nicht nur strategische) Elemente enthalten.
*XIV-43*
Das Gebot der Verst�ndlichkeit kann mit anderen Zielen in Konflikt kommen,
z. B. der begrenzten verf�gbaren Zeit. Da m�ssen
dann Kompromisse zwischen Verst�ndlichkeit und K�rze der Darstellung gemacht
werden. Wie ist es mit Beschr�nkungen, die sich aus beschr�nkten F�higkeiten des
Denkens und des Ged�chtnisses der Zuh�rer für die Argumentation ergeben: Ziele
der einfachen und einpr�gsamen Darstellung?
*XIV-44*
Terminologisches: Der Begriff
Diskurs wird leider zu einem viel gebrauchten Modewort, etwa im Sinne von
'Fach, 'Disziplin'. Vielleicht ist es besser statt von 'Diskurs' von 'Disput' oder
'Streitgespr�ch' zu sprechen.
*XIV-45*
Man kann das Intersubjektivit�tsprinzip �
die Forderung nach argumentative Konsensf�higkeit � nicht "bestreiten", denn das
impliziert bereits den Anspruch argumentativer Konsensf�higkeit. Oder
anders ausgedr�ckt: Man kann nicht gegen das Argumentationsprinzip
argumentieren". Allerdings kann man diesem Prinzip entgegen handeln und mit
blo�en Glaubensforderungen operieren.
*****************************
[ab hier zu KRIELE]
*XIV-46*
Martin
KRIELE: Theorie der
Rechtsgewinnung. Berlin 1977, besch�ftigt sich mit den Methoden der
Verfassungsinterpretation. Er will die Vernunft aufdecken, die bereits in der
richterlichen Praxis steckt.
K. betont die Unm�glichkeit bzw.
Nicht-Praktizierbarkeit einer Gesetzgebung, die für jeden Einzelfall einen
geeigneten Obersatz bereitstellt, unter den der Richter nur noch zu subsummieren
h�tte. (Kriele 1977, Seite 51 / Im Folgenden = K.51) Er f�hrt allerdings nicht aus, warum eine solche
Kodifikation utopisch ist. Er nennt jedoch zahlreiche Fragen, die im Grundgesetz
nicht explizit geregelt sind.
K.s Fazit: "Wie immer der juristische
Denkprozess methodisiert werden kann, eines ist offensichtlich: die M�glichkeit
widersprechender Ergebnisse wird sich in der Regel nicht ausschlie�en lassen (K.53)."
"Die positive Rechtsordnung setzt
deshalb überall voraus, dass nicht nur eine, sondern mehrere juristische
Entscheidungsm�glichkeiten bestehen. � Die Frage ist, wie es trotzdem eine
rationale juristische Methode geben kann." (K.54)
K. schreibt
in der Kritik des Subsumtionspositivismus, der jenseits der logischen Subsumtion
nur Willk�r am Werke sieht (K.54, Fu�note 14):
"Es dr�ngt sich auf, dass
man es hier mit der speziellen Variante einer die ganze abendl�ndische
Geistesgeschichte durchziehenden Grundsatzkontroverse zu tun hat. Sie ist
gekennzeichnet durch Schlagw�rter und Namen wie Dezisionismus und Rationalismus,
Hobbes und Locke, autorit�re Entscheidung und parlamentarische Diskussion,
Verstand und Vernunft, Wissenschaft und Weisheit, Sophisten und Aristoteles,
Voluntarismus und Intellektualismus.
Die gro�e theologisch-philosophische
Kontroverse um die Frage, ob etwas nur deshalb gut ist, weil Gott es will, oder
ob Gott es will, weil es gut ist, hat letztlich zum Gegenstand die vern�nftige
Einsetzbarkeit des Guten, und dem entspricht auf s�kular-juristischer Ebene die
Frage, ob es eine der rationalen Argumentation zug�ngliche Rechtsvernunft gibt."
K. beansprucht für die Resultate juristischer Interpretation nur
"Plausibilit�t bzw. die Feststellung unterschiedlicher Grade von Plausibilit�t,
mehr sei nicht erreichbar in einem "Gebiet, in dem die Zweckm��igkeit
menschlichen Tuns er�rtert wird. (K.55, Fn.15)
Viele soziale Institutionen sind multifunktional. Deshalb ist Vorsicht bei ihrer
Ersetzung durch andere Institutionen geboten, wenn man diese �nderung nur unter
einem Gesichtspunkt bedenkt.
K. betont, dass es in der Rechtsprechung
gewähnlich nicht nur d i e richtige Entscheidung gibt, sondern eine Mehrzahl
von "juristisch vertretbaren" Entscheidungen bzw. Argumenten. Auch die
Eingrenzung eines solchen Bereichs sei bereits ein Gewinn der juristischen
Methodenlehre.
K. unterscheidet Rechtsetzungspr�rogative und
Rechtsetzungsmonopol des Gesetzgebers. "In der Geschichte des Rechts galt �
immer die Rechtsetzungspr�rogative des Gesetzgebers. Wenn der
Gesetzgeber eine Rechtsmaterie autoritativ entschied, so war der Richter daran
gebunden.
Soweit jedoch der Gesetzgeber von seiner Pr�rogative keinen Gebrauch
machte, fand oder schuf der Richter das traditionell, gewohnheitsrechtlich,
naturrechtlich oder wie sonst immer verstandene Recht."
"Das Rechtsmonopol setzt, um überhaupt diskutabel zu sein, eine Kodifikation
voraus die ...
1. l�ckenlos ist,
2. dauerhaft ist, auch über sich wandelnde
Verhältnisse hinweg, und
3. in allen Teilen klar und eindeutig ist.
H�chstens einzelne gelegentlich auftauchende L�cken und
Interpretationsbed�rftigkeiten kann man in Kauf nehmen, n�mlich gerade so viele,
dass der Gesetzgeber zu ihrer Beseitigung � die er sich vorbehalten hat � in der
Lage bleibt."
K. kritisiert den Begriff der Gesetzesl�cke. "In
Wirklichkeit ist die L�cke die Regel" (K.63).
Zu Savignys Lehre von
der 'Gesetzesauslegung'. Danach ist Auslegung die Rekonstruktion des dem Gesetz
innewohnenden Gedankens, die sich in vier zusammenwirkenden Elementen � den
grammatischen, logischen, historischen und systematischen �� vollzieht." (K.67)
"Die Interpretationsbed�rftigkeit eines Textes ist � nicht
schlechthin eine Folge seiner fehlenden Eindeutigkeit. Vielmehr liegt es
umgekehrt: die Eindeutigkeit oder Mehrdeutigkeit eines Textes h�ngt oft nur von
seiner Interpretationsbed�rftigkeit ab. Ob ein Text aber
interpretationsbed�rftig ist oder nicht, zeigt sich erst angesichts konkreter
Probleme und h�ngt davon ab, ob die Interpretation eine rechtfertigungsf�hige
Entscheidung erlaubt." (K.220)
Zur Begr�ndung für die
Orientierung an Pr�judizien: "Die Gr�nde sind n�mlich mit den in
diesem Zusammenhang �blicherweise angegebenen Stichworten wie
'Rechtssicherheit','Vorhersehbarkeit' keineswegs ersch�pfend gekennzeichnet, ja
diese Gesichtspunkte sind noch nicht einmal die wesentlichen. Vielmehr lässt
sich die pr�sumtive Verbindlichkeit der Pr�judizien nur in dem Kontext einer
vernunftsrechtlichen Theorie begreifen, die gekennzeichnet ist durch die
Stichworte: beeintr�chtigte Rationalit�t der vernunftsrechtlichen Argumentation
einerseits, Vorl�ufigkeit der selben Argumentation andererseits, Kontroverse und
Abschneiden der Kontroverse, Reflexion und Dezision, Fortschritt und Bewahrung,
und die "Entlastungsfunktion des Institutionellen." (K.258f.)
K.
betont, dass ein
Gesetzestext sich nicht interpretieren lässt, "wenn man ihn nicht zu konkreten
Rechtsproblemen in Beziehung setzt, ihn gewisserma�en als ein Mittel behandelt,
das konkrete Rechtsproblem zu l�sen."
K. wendet sich gegen die
Vorstellung der zweistufigen Gesetzesanwendung: "Erst wird der Textsinn gekl�rt,
als dann wird das interpretierte Gesetz durch Subsumtion angewendet" (K.160)
Ebenso
wendet er sich gegen die Freirechtler, die meinten, "Probleml�sung und
Legitimierung am Text auseinanderrei�en zu können." Die eigent�mliche
Wechselbeziehung zwischen Problem und Vorentscheidungen, das für das juristische
Denken kennzeichnende "Hin�und-her�Wandern des Blickes" zwischen Gesetz und
Lebenssachverhalt (Engisch) ist von beiden (Schulen) gleicherma�en verkannt
worden.
Stadien der Rechtsgewinnung (nach K.162 f.)
1. der juristische Denkprozess beginnt damit, dass in der Erz�hlung eines
Lebenssachverhaltes gewisse Tatsachen als rechtlich m�glicherweise erheblich in
Betracht gezogen werden.
2. die erste Aufgabe des konsultierten Juristen
besteht darin, die m�glicherweise rechtserheblichen Tatsachen in verschiedene
denkbare abstrakte Formulierungen zu übersetzen. So genannte 'Normhypothesen'.
K. unterscheidet 3 Normhypothesen:
a.) Verschiedene Tatsachen und Tatsachenkombinationen des
Lebenssachverhaltes werden als relevant in Betracht gezogen und durch den
hypothetischen Tatbestand bezeichnet.
b.) Dieselben Tatsachen werden mit
Begriffen verschiedenen Abstraktionsgrades bezeichnet (z. B. Fischh�ndler,
Einzelh�ndler, H�ndler, Kaufmann, Verk�ufer, Vertragspartner usw.).
c.) Demselben Tatbestand werden verschiedene Rechtsfolgen
(zum Beispiel Anspruch auf Herausgabe, Unterlassung, Schadensersatz, kein
Anspruch) zugeordnet.
3. (der Jurist) geht an die Suche des positiven
Rechtssatzes mit der Frage, ob der Rechtssatz die Tatsachen, deren Relevanz er
erw�gt, als relevant behandelt.
Die zweite Stufe des Denkprozesses ist
von dieser dritten und den folgenden zeitlich nicht scharf getrennt: vielmehr wird der Jurist
zun�chst mit ihm nahe liegend erscheinenden Rechtsnormhypothesen an das Gesetz
herangehen und diese erst dann, wenn sie sich nicht bew�hren, variieren.
4. findet der Jurist den Rechtssatz (K.192), der einem von ihm formulierten
Tatbestand entspricht ... Ist die Anwendbarkeit dieses Rechtssatzes nicht
durch eine ihn einschr�nkende st�ndige Rechtsprechung fragw�rdig, so kann er
ohne weiteres subsumieren. Das ist der Idealfall des Kodifikationssystems und
der einzige Fall, mit dem der Subsumtionspositivismus und das Verfassungsmodell
der rechtsetzenden und rechtsanwendenden Gewalt strikt trennenden
Gesetzesstaates rechnen. In der Praxis ist es allerdings nur ein Grenzfall, der
zwar keineswegs selten auftritt, aber doch nicht die Regel bildet. � Dort, wo
diese (Rechts-, Gesetzes-)Begriffe einen hohen Abstraktionsgrad besitzen, ...
ist auch besonders viel Raum für judizielle Rechtsentwicklung.
5. findet
der Jurist keinen Rechtssatz, der der von ihm formulierten Normhypothese genau
entspr�che, wohl aber entweder ähnliche Rechtss�tze oder aber allgemein
gehaltene Klauseln, die sich unter Umst�nden so zurechtinterpretieren lassen,
dass sie die Normhypothese umgreifen, so geht die Frage dahin, ob die positive
Rechtsordnung die Normhypothese einschlie�t oder ausschlie�t. Um die Frage zu
klären, orientiert sich der Jurist zun�chst ... über die einschl�gigen vor allem
h�chstrichterliche Pr�judizien." (K.164)
Die rechtspolitische Argumentation ist nach K. nicht unabh�ngig vom
vorgegebenen Recht: "Da unm�glich alles Recht auf einmal zur Debatte stehen
kann, bezieht sie sich nur auf einzelne Verfassungsartikel, Gesetze,
Institutionen, allenfalls auf Kodifikationen eines ganzen Rechtsgebietes: immer aber jedenfalls geht sie von einer vorgegebenen Gesamtordnung aus, in
die sich auch das neu zu setzende Recht einf�gen soll" (K.177)
"Sobald
ein rechtspolitischer Vorschlag einerseits bestritten oder infrage gestellt
und andererseits verteidigt wird, wird die Frage relevant, wohin die Setzung der
strittigen Norm f�hren w�rde. � Fragt man: 'Wird die Norm die und die
Konsequenzen haben?', so wagt man Voraussagen über zuk�nftige Entwicklungen.
Soweit es sich dabei um Aussagen über voraussichtliche wirtschaftliche,
politische, soziale Konsequenzen der Norm handelt, bewegt sich die Argumentation
in einem Bereich, der wenigstens im Prinzip der Empirie zug�nglich ist. Fragt
man: 'Kommt es darauf an, ob die Norm die behaupteten Konsequenzen haben wird ...?'
so entsteht das Problem, die normative Relevanz zu rechtfertigen. Das
kann man wiederum nur tun, indem man zeigt, wohin es f�hren w�rde, wenn man die
strittige Frage nicht als relevant behandelte: man kommt also wiederum zu
Voraussetzungen über k�nftige Entwicklungen, mit denselben Chancen der
Rationalit�t. ...
Theoretisch lässt sich denken, dass diese Kette von Fragen und
Antworten unendlich fortgesetzt werden k�nnte. Praktisch aber endet sie da, wo
man sich über die W�nschbarkeit oder Verwerflichkeit einig wird und deshalb
nicht mehr weiter fragt. Einigkeit über die Relevanz der Interessen stellt sich
einmal dann her, wenn es sich um gemeinsame Interessen handelt und wo man sich
dessen bewusst geworden ist. Unter diesen Umst�nden ist es sinnlos, noch weiter
zu fragen.
Zum andern lässt sich auch da, wo es sich um Gruppen- oder
Einzelinteressen handelt, Einigkeit erzielen. Praktisch werden
solche Interessen n�mlich dann als relevant anerkannt, wenn sie eindeutig
fundamentaler sind als alle anderen auf dem Spiele stehenden Interessen" (über
dieses Prinzip und seine relative Rationalit�t (K., Kriterien der
Gerechtigkeit, 72 f.)
"Sehr oft ist die Abw�gung unter den
Gesichtspunkt des fundamentaleren Interesses nicht richtig. Meist handelt es sich
bei der Befriedigung von Gruppeninteressen insofern um gemeinsame Interesse, als sich bei
Betrachtung auf weite Sicht ein gemeinsames Interesse an der artikulierten
Rechtsnorm aufweisen lässt. Die Anwendung der Maxime, die jetzt dem einen zugute
kommt, kann bei anderer Gelegenheit auch einmal dem anderen zukommen. Dieser
Gesichtspunkt wird noch gravierender, wenn es sich nicht um individuelle sondern
um Gruppen- oder Institutionsinteressen handelt, weil n�mlich die Solidarit�t mit
der Gruppe oder Institution die langfristige Betrachtungsweise in Zeitr�umen,
die die
Lebensdauer des Menschen überdauern, erstreckt. ...
Unter gewissen
Voraussetzungen gen�gt schon der Umstand, Familienvater, Parteig�nger, Patriot
oder 'klassenbewusst' zu sein, um sich in dieser Weise mit den k�nftigen Generationen
zu solidarisieren und so an einer Rechtsmaxime Interesse zu gewinnen. Allerdings
wirken derartige langfristige Interessenerw�gungen in der Regel nur, wenn die
M�glichkeit, dass man selbst oder die eigene Gruppe betroffen wird, nicht nur
abstrakt denkbar ist, sondern wenn sie angesichts konkreter Umst�nde ernstlich
in Betracht gezogen werden muss .� Immerhin aber gibt es gro�e Gruppen
von Menschen, die sich mit den Leidenden und Verfolgten ohne jede R�cksicht auf
das Eigeninteresse solidarisieren und die sich deshalb für Gerechtigkeit, d. h.
für unparteiliche Bevorzugung des jeweils fundamentaleren Interesses einsetzen."
(K.281)
K.s "Prinzip der unparteilichen Abw�gung unter dem
Gesichtspunkt des fundamentaleren Interesses" �hnelt dem Solidarit�tsprinzip.
"Faktoren, die die Rationalit�t
beeintr�chtigen und die man realistischerweise in Rechnung stellen muss. Es ist die Unvollst�ndigkeit und Ungewissheit der rechts- und
verfassungspolitischen Argumente, die gesetzgeberische und gerichtliche
Entscheidungen n�tig machen. Das juristische Denken ist also gerade durch diese
Spannung von Rationalit�t einerseits und Entscheidungsbed�rftigkeit andererseits
gekennzeichnet." (K.187)
Nur diese doppelte Einsicht also einerseits
in die Rationalit�t der Argumente, andererseits die Vorl�ufigkeit derselben
Argumente erschlie�t das Verständnis für den geschichtlichen Prozess der
Rechtsfortschritte und damit für die Methode juristischer Interpretation. ... Es ist ein Prozess des immer fortdauernden Wechsels von kontroverser
Reflexion und Dezision." (K.192)
(Es folgen weitere Ausf�hrungen K.s
zur Notwendigkeit von Dezisionen sowie ihrer inhaltlichen
Korrekturbed�rftigkeit. Hier bezieht sich K. auf L�bbe: Zur Theorie der Entscheidung.)
Nach K. schneidet die Entscheidung eine Kontroverse ab, die innerhalb der
Entscheidungsfrist deshalb nicht ausgetragen werden kann, weil ihren Argumenten
nur (K.194) Plausibilit�t aber keine Gewissheit zukommt.
Juristische und
politische Argumentation unterscheiden sich durch diese Verbindlichkeit (der
Entscheidung der rechtsetzenden Gewalt) und nicht durch irgendetwas anderes
(K.195)
Terminologisches: K. will für Normen nicht das Attribut
"wahr" sondern "vern�nftig" gebrauchen und "wahr - falsch" für Sachverhalte
reservieren.
(Ende Heft XIV)
********************************************************************************
übersicht
Alphabetische Liste aller Texte
Info zu dieser Website
Lexikon
Startseite
zum Anfang
Ethik-Werkstatt: Ende der Seite "Aus meinen Notizb�chern Heft XIV " / Letzte Bearbeitung
01/2015 / Eberhard Wesche
*** Bei Gefallen bitte weiter empfehlen ***