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Demokratie als Parteienkonkurrenz:
J. Schumpeter und A. Downs
Politische Parteien und Interessengruppen gewannen im Laufe des 19. und 20.
Jahrhunderts für den politischen Willensbildungsprozess in parlamentarischen
Demokratien eine zunehmende Bedeutung, was nach dem vorherrschenden Verständnis
von Demokratie eigentlich nachteilig war, weil es die
Orientierung der Politik am Gemeinwohl behindere.
Hinzu kamen Ergebnisse der empirischen Wahl- und Meinungsforschung, die bei den
Wählern ein erstaunliches Maß an politischem Desinteresse und Uninformiertheit
feststellten, was mit der Auffassung der älteren Demokratietheoretiker von der
aktiven Rolle der Bürger kaum noch zu vereinbaren war.
Der Ansatz Schumpeters
Nach dem Zweiten Weltkrieg gewann deshalb die "Konkurrenztheorie der
Demokratie" an Bedeutung, die in der Konkurrenz der Parteien um Wählerstimmen
das zentrale Element einer parlamentarischen Demokratie sah.
Josef P. Schumpeter, ein Ökonom, hat in den 40er Jahren des letzten
Jahrhunderts in seinem sehr
einflussreichen Buch "Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie" eine neue
Formulierung der Theorie der parlamentarischen Demokratie vorgenommen. Schumpeter definierte die demokratische Methode als "diejenige institutionelle
Art zur Gewinnung politischer Entscheidungen, in dem Individuen die Befugnis zur
Entscheidung durch einen Wettkampf um die Stimmen des Volkes erlangen." (zitiert
nach der englischen Ausgabe bei Harper & Row New York 1962, S. 269. Eigene
Übersetzung)
Damit entfiel nach Schumpeter die unrealistische Annahme, dass die Wähler über
jede einzelne Frage eine bestimmte und rationale Meinung haben müssten.
Bei dem Wettbewerb um die Mehrheit der Wählerstimmen kommt den Parteien eine
besondere Bedeutung zu: "Eine Partei ist eine Gruppe, deren Mitglieder
übereinkommen, im Wettkampf um die politische Macht koordiniert zu handeln."
(S. 283). Dabei geht es den Parteien nicht so sehr um die Verwirklichung bestimmter
politischer Inhalte als um die Mehrheit und damit um die Möglichkeit,
politische Ämter zu besetzen. Die Entscheidung politischer Streitfragen ist bei
dieser Interpretation gewissermaßen nur ein Nebenprodukt des Kampfes um
Mehrheiten.
Die Theorie von Downs
Der modelltheoretische Ansatz
Ende der 50er Jahre gab Anthony Downs, von Haus aus ebenfalls Ökonom, der
Theorie von der Parteienkonkurrenz eine präzisere Fassung in seiner Arbeit: "Ökonomische Theorie der Demokratie " (Zitiert nach der deutschen Ausgabe bei
Mohr (Siebeck) Tübingen 1968).
Er entwickelte zu diesem Zweck ein Modell der parlamentarischen Demokratie, in
dem er die Geltung bestimmter institutioneller Normen und ein bestimmtes
Verhalten der verschiedenen Akteure annimmt. Downs analysiert dann die
Arbeitsweise und die zu erwartenden Resultate des von ihm entworfenen Modells.
Er fragt, inwiefern seine Ergebnisse mit der politischen Realität
parlamentarischer Systeme übereinstimmen.
Sein Modell soll also in erster Linie bestimmte reale Phänomene in
parlamentarischen Systemen erklären und versteht sich als eine positive Theorie
der Demokratie.
Allerdings kann das Modell
auch eine normative Anwendung finden, z. B. wenn sich herausstellt, dass die
Resultate, die sich aus dem Modell logisch ableiten lassen, entweder unakzeptabel sind, so dass die Realisierung
des Modells nicht geraten erscheint, oder aber wünschenswert sind, so dass das Modell
realisiert werden sollte.
Die Annahmen des Modells
Im Modell von Downs gibt es als Hauptakteure die Wähler und die Parteien. die
unter den Bedingungen einer demokratischen Verfassung rational ihre eigenen Interessen
verfolgen.
Von den Wählern wird angenommen, dass sie ihre Stimmen derjenigen Partei geben,
die ihnen die größten Vorteile zu bringen scheint. (S. 13).
Von den Parteien wird angenommen, dass es ihr ausschließliches Ziel ist, den
Regierungsapparat durch den Gewinn von Wahlen in die Hand zu bekommen (S. 33). Um
Wahlen zu gewinnen, entwickeln die Parteien Konzepte bzw. Parteiprogramme, die
einer Mehrheit von Wählern möglichst vorteilhaft erscheinen sollen. Da diejenige
Partei, die die Mehrheit der Stimmen erhält, bis zur nächsten Wahl die Regierung
stellt, entscheiden die Bürger bei den Wahlen nicht über Einzelfragen sondern
über ganze Bündel von Fragen, die in der nächsten Legislaturperiode entschieden
werden sollen.
Die Frage ist nun, welche Politik von der Partei, die die Regierung stellt, zu
erwarten ist, und welche Strategie die anderen Parteien anwenden werden, um die
Mehrheit der Wählerstimmen für sich zu gewinnen.
Aus der Vielzahl der Schlussfolgerung aus seinem Modell, sollen nur einige
herausgegriffen werden.
Die strategische Stellung des medianen Wählers und die Besetzung der
politischen Mitte
Wenn sich die Wähler auf einer politischen Links Rechts-Links-Skala anordnen
lassen, werden in einem Zwei-Parteien-Systemen beide Parteien relativ ähnliche
Programme in der Mitte des politischen Spektrums anbieten. Der Grund hierfür ist
der, dass die Position des medianen Wählers (das ist derjenige Wähler "in der
Mitte" der politischen Skala, der genau so viele Wähler links von sich hat wie
rechts von sich) zugleich diejenige Position ist, die von einer Mehrheit der
Wähler gegenüber jeder andere Position vorgezogen wird, so dass eine Partei, die
die Wahl gewinnen will, diese mediane Position, die politische Mitte besetzen muss.
(Die Position des medianen Wählers entspricht der Mehrheitsalternative, auch
Condorcet-Sieger genannt.)
Ein weiteres interessantes Ergebnis besteht in der Erkenntnis, dass die Mehrheit
für eine Partei und deren Programm nicht bedeuten muss, dass auch eine Mehrheit
für jeden einzelnen Punkt des Programms besteht. Der Wähler werden eine Partei
auch dann wählen, wenn sie mit einigen Punkten des Programms nicht einverstanden
sind, sofern die Partei nur an den ihnen wichtigeren Punkten ihrer
Zielvorstellungen folgt. Es kann bei der Wahl also auch eine Koalition aus
mehreren "engagierten Minderheiten" die Mehrheit der Stimmen bekommen, die sich
wechselseitig Konzessionen bei den ihnen jeweils weniger wichtigen Punkten
machen.
Bemerkenswert und für das traditionelle Demokratieverständnis schockierend sind
vor allem die Schlussfolgerungen, die Downs aus der Existenz von Ungewissheit
und den Problemen der Informationsbeschaffung zieht.
Downs schreibt: "Information ist in diesem Modell ein entscheidender Faktor. Um
eine Politik auszuarbeiten, muss jede Partei wissen, was die Bevölkerung
wünscht; und um rational zu wählen, muss jeder Wähler wissen, welche Politik die
Regierung und ihre Gegner vertreten. Aber in der Realität ist Information
kostspielig - wenn nicht in Geld, so doch zumindest in Zeit. Es kostet Zeit,
sich über die Regierungspolitik zu informieren. Außerdem ist die Anzahl
politischer Entscheidungen, die heutige Regierung treffen müssen, ungeheuer groß
und jede Entscheidung davon erstaunlich komplex. Selbst der intelligenteste
Mensch wäre bei ständigem Lesen von Zeitungen und Zeitschriften nicht in der
Lage, sich über alle Aspekte dieser politischen Vorgänge auf dem Laufenden zu
halten. " (Frey / Meisner: S.109)
Downs fährt fort: "Zusätzlich zu diesem Problem weiß der Wähler außerdem, dass
es so viele andere Wähler gibt, dass seine Entscheidung - egal wie er wählt -,
das Ergebnis kaum beeinflussen wird. Das hält ihn nicht in jedem Fall von der
Wahl ab, weil er erkennt, dass die Wahl ein wesentliches Moment der Demokratie
ist, und weil es ihn wenig kostet zu wählen. Aber es hält ihn davon ab, sich gut
zu informieren. Somit bringt ihn eine rational kalkulierte Einstellung bezüglich
der Ausnutzung seiner Zeit in den Zustand politischer Unkenntnis." (Frey /
Meisner, S.109)
Politische Uninformiertheit ist also nach Downs das unvermeidliche Resultat
eines rational seine Interessen verfolgenden Wählers. Die Ungewissheit der
Parteien über das, was die Wähler wünschen, und die Ungewissheit der Wähler
darüber, welche Konsequenzen die Politik der Parteien für sie haben wird,
schafft den Raum für vielfältige Einflussnahme von Informanten und
Stimmenvermittlern auf den politischen Prozess. "Fast die gesamte Datenbeschaffung und ein beträchtlicher Teil der
Tatsachenanalyse wird nicht von Entscheidungsträgern selber, sondern von
spezialisierten Agenturen besorgt" (S. 231), worunter Massenmedien, sowie die
Informationstätigkeit von Verbänden, Parteien und besonderen Interessengruppen
zu verstehen ist. Dadurch wird der Wähler in gewissem Maße von denjenigen
abhängig, die diese Informationen auswählen und verbreiten.
Dies hat auch Auswirkungen auf das Ausmaß des politischen Einflusses der
einzelnen Individuen, denn die Fähigkeiten zur Informationsbeschaffung und
-verarbeitung sind bei den Individuen verschieden. Individuen mit geringem
Einkommen können zum Beispiel die Kosten der Informationsbeschaffung schwerer
tragen (S.231) und Individuen mit geringer Schulbildung sind weniger in der Lage,
die ihnen zufließenden Informationen sinnvoll zu verarbeiten und zu nutzen. Downs kommt deshalb zu dem Schluss: "Jede Auffassung von der Demokratie, die
eine Wählerschaft von gleich gut informierten Bürgern zugrunde legt ... setzt
voraus, dass sich die Bürger irrational verhalten." (S.231)
So weit die Darstellung des Downsschen Modells einer parlamentarischen
Demokratie. Diese "Konkurrenztheorie der Demokratie" ist dadurch gekennzeichnet,
dass eine Unterscheidung zwischen der Masse der Wähler und den politischen
Eliten der Parteipolitiker vorgenommen wird, die um die Wählerstimmen
konkurrieren. Die politische Initiative geht dabei von den Parteien aus, die
Programme entwerfen und dafür Zustimmung bei den Wählern suchen, ähnlich wie die
Unternehmer Produkte entwickeln und anbieten in Erwartung einer Nachfrage auf
Seiten der Konsumenten.
Da es sich um eine Pluralität konkurrierender Eliten handelt, spricht man auch
von einer "pluralistischen Theorie der Demokratie" bzw. von der "Theorie
demokratischer Elitenherrschaft".
***
Siehe auch
die folgenden thematisch verwandten Texte in der Ethik-Werkstatt:
Ökonomische Theorie der Politik: Theoretische Modelle
Das Mehrheitsprinzip * (15 K)
Das Mehrheitsprinzip ***
(349 K) (1976)
Die Demokratie bei
Rousseau ** (15 K)
zum Anfang
Alphabetische Liste aller Texte
Übersicht
Ethik-Werkstatt: Ende der Seite "Demokratie als
Parteienkonkurrenz: J. Schumpeter und A. Downs"
Letzte Bearbeitung 09.03.2008 / Eberhard Wesche
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