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Versprechen
als Verfahren zur Setzung verbindlicher Normen
I.)
Kann das Versprechen aus sich heraus Verbindlichkeit für bestimmte Normen
erzeugen? Wenn dies möglich wäre, so könnte man verbindliche Normensysteme
entwerfen, ohne jemals inhaltlich das Für-und-Wider dieser Normen erörtern zu
müssen. Insofern, als auch Verträge aus Versprechen bestehen, wäre dies für jede
Theorie der Normenbegründung von erstrangiger Bedeutung.
In diese Richtung geht etwa der Ansatz, den Ilting entwickelt. (Ilting: "Anerkennung" in
G.G.Grau (Hg.): Probleme der Ethik. Freiburg 1972. S. dazu
auch die Kritik bei J. Habermas: Legitimationsprobleme des Spätkapitalismus.
Frankfurt a. M. 1973. S. 141ff.)
Kern dieses Ansatzes ist dabei die These, dass es
unmittelbar evident oder aber analytisch wahr sei, dass man Versprechen bzw.
Verträge einhalten solle. Ilting schreibt: "Dass eine vertragliche
Übereinkunft einzuhalten ist, das kann überhaupt nicht strittig sein, weil dies
ein analytischer Satz ist." (S.101f.)
Ähnlich schreibt der intuitionistische englische Ethiker David Ross: "Ich
glaube, es ist offensichtlich, dass wir bei normalem Denken die Tatsache, dass
wir ein Versprechen gegeben haben, in sich für hinreichend erachten, um eine
Pflicht zu erzeugen, es einzuhalten. … In der Tat erscheint es bei einiger
Überlegung selbstverständlich (self-evident), dass ein Versprechen einfach als
solches etwas ist, das prima facie eingehalten werden sollte ..." (D. Ross, The
Right and the Good. Oxford 1930 , S.37 u. 40, eigene Übersetzung hier und bei allen
folgenden fremdsprachlichen Zitaten).
Im Detail ausgeführt wurde diese Argumentation von George R. Searle in dem Text "How to derive 'ought' from 'is'" ("Wie man aus einem 'Sein' ein 'Sollen'
ableiten kann" ) (Wiederabgedruckt in Ph. Foot (ed.), Theories of Ethics, Oxford
1967), der eine umfangreiche Diskussion auslöste.
Darin leitet Searle aus dem beschreibenden Satz: "Jones äußerte die Worte:
'Hiermit verspreche ich Dir, Smith, fünf Dollar' " über mehrere Zwischenschritte
den normativen Satz ab: "Jones soll Smith fünf Dollar bezahlen!" (S.102)
Auf den möglichen Einwand, dass seine Ableitung auf dem moralischen und insofern
werthaltigen Prinzip beruhe, dass man seine Versprechen einhalten solle,
entgegnet Searle: "Ich weiß nicht, ob 'Man soll seine Versprechen einhalten' ein
'moralisches' Prinzip ist, aber ob es das ist oder nicht, es ist zugleich
tautologisch, denn es ist nichts weiter als eine Ableitung aus den beiden
Tautologien: 'Alle Versprechen sind (erzeugen, sind Übernahmen von, sind
Anerkennungen von) Verpflichtungen' und 'Man soll seine Verpflichtungen
einhalten (erfüllen)'".
Searle betont: "Als eine Frage in Bezug auf Versprechen und nicht in Bezug auf
die Institution des Versprechens ist die Frage: 'Soll man Versprechen halten?'
ebenso leer wie die Frage: 'Sind Dreiecke dreiseitig?'. Etwas als Versprechen
anerkennen bedeutet zuzugestehen, dass es eingehalten werden soll, sofern die
andern Umstände gleich bleiben." (S.108)
Die Frage ist nun, ob der Satz "Versprechen soll man einhalten!" tatsächlich
tautologisch-analytisch wahr ist und ob sich damit ein Fundament für ein System
verbindlicher Normen finden lässt, das von der Ebene der inhaltlichen
Argumentation völlig unabhängig gilt.
II.)
Als erstes ist festzuhalten, dass der Satz "Versprechen soll man einhalten" die Existenz der Institution
'Versprechen' voraussetzt, indem das Wort 'Versprechen' benutzt wird.
Wenn unter der Institution 'Versprechen' nun ein Verfahren zur Erzeugung
verbindlicher Normen mittels Selbstverpflichtung verstanden wird, so gehört es
zu den zentralen Regeln dieser Institution, dass jemand das, was er verspricht,
auch tatsächlich einhalten soll. Als ein Bericht über die Regeln einer derartig
konstruierten Institution wäre der Satz "Versprechen soll man einhalten!" also
in der Tat tautologisch.
Daraus folgt jedoch noch nicht logisch, dass in einer konkreten
Handlungssituation die durch die Institution des Versprechens erzeugten Normen
unbedingt anerkannt werden müssen. Um logisch eine Handlungsnorm für eine
konkrete Situation abzuleiten, muss zusätzlich vorausgesetzt werden,
dass man die Anwendung des Versprechens in
diesem besonderen Fall auch bejaht.
Man kann ohne weiteres zugestehen, dass jemand nach den Regeln der Institution ein
korrektes Versprechen abgegeben hat - wie immer diese Regeln auch im Einzelnen
konkretisiert sein mögen - und dass nach den Regeln der Institution das
Versprochene verbindlich sein soll; trotzdem kann man ohne logischen Widerspruch
der Ansicht sein, dass in diesem Fall das Versprochene nicht gesollt ist,
weil das Versprechen in diesem Fall nicht hätte angewandt werden
dürfen.
Damit hat man jedoch bereits einen normativen Diskurs darüber eröffnet, unter
welchen Bedingungen das Versprechen ein geeignetes Verfahren zur Erzeugung
verbindlicher Normen ist und unter welchen nicht. Wer zur Erwiderung des
Einwandes nur auf die Regeln der Institution pocht etwa mit den Worten "Versprochen ist versprochen!", der verkennt, dass es keinen logischen
Zwang gibt, der Anwendung des Versprechens zuzustimmen, was immer man auch an
sonstigen Gründen zugunsten einer Einhaltung des Versprochenen vorbringen mag.
Damit ist die oben gestellte Frage dahingehend beantwortet, dass auch dann, wenn
die Verbindlichkeit von Normen durch Verfahren der Selbstverpflichtung erzeugt
wurde, wie beim Versprechen, diese Verbindlichkeit nicht unabhängig vom Diskurs
über die Gültigkeit normativer Behauptungen begründet werden kann.
Ähnlich
argumentiert auch Mackie gegen Searle: "Nur durch Berufung auf die Regeln der
Institution (und nicht durch ihr bloßes Berichten) kann man schließen, dass er
(Jones, E.W.) sich eine Verpflichtung auferlegte, so dass er nun unter dieser
Verpflichtung steht. Das Argument ist nicht gültig aufgrund allgemeiner Logik
sondern aufgrund einer speziellen Logik, mit der man innerhalb der Institution
'Versprechen' argumentiert." (J. L. Mackie: Ethics. Inventing Right and Wrong.
Harmondsworth 1977, S.68.)
Für einen unbeteiligten Dritten ist demnach der
Schluss von der Tatsache, dass ein Versprechen abgegeben wurde, auf die
Forderung nach Einhaltung des Versprochenen logisch nicht zwingend. Dieser Schluss setzt
sowohl eine Bejahung der Institution 'Versprechen' voraus als auch die Bejahung
der Anwendung
dieser Institution in diesem Fall.
Gilt dies aber auch für den Versprechenden selbst? Der Versprechende hat ja durch
die Abgabe des Versprechens der Anwendung der Institution in diesem Fall
zumindest implizit zugestimmt und hat die Vertrauen schaffende Wirkung der
Institution in Anspruch genommen.
In seiner Diskussion des Beispiels von Searle schreibt Mackie hierzu: "Es mag
argumentiert werden, dass (sich Jones, E.W.) dadurch, dass er das Versprechen
einmal abgegeben hat, derart in Bezug auf die Institution Versprechen gebunden (committed)
hat, dass es nicht bloß ein Sinneswandel sondern falsch für ihn sei, die
Bejahung der Institution zu verweigern, wenn der Zeitpunkt der Zahlung gekommen
ist. ... Die behauptete Bindung ist genau genommen ein Versprechen: die
Behauptung ist, dass Jones - so wie die Dinge liegen - versprochen hat,
weiterhin die Institution Versprechen zu bejahen. Aber dann ist dieser Versuch,
die Verbindlichkeit eines Versprechens zu begründen, zirkelhaft: Wir müssen
voraussetzen, dass Jones seine Verpflichtung in Bezug auf die Institution
Versprechen erfüllen soll, bevor wir derart seine Verpflichtung behaupten
können, sein Versprechen gegenüber Smith zu halten" (S.70).
Man muss also nicht eine logische Widersprüchlichkeit auf Seiten des Versprechenden
annehmen, wenn er nachträglich die Meinung vertritt, dass er sein Versprechen
nicht einhalten sollte. Er kann ja inzwischen seine Meinung über die Anwendung
der Institution Versprechen in diesem Fall geändert haben und ist nun nicht mehr
der Meinung, dass das Versprechen hier ein sinnvolles Verfahren war.
Mackie schreibt hierzu bezogen auf das Beispiel von Searle: "Es stimmt, dass
Jones nicht ohne 'Inkonsistenz' ablehnen kann, den Satz (5) (= 'Jones soll Smith
fünf Dollar bezahlen', E.W.) als innerhalb der Institution gesprochen zu
akzeptieren; dies gilt aber nur insofern, als er seine Meinung geändert hat: es
gibt hier keine logische Inkonsistenz" (S.71).
Damit ist auch für den Versprechenden selbst nachgewiesen, dass die
institutionelle Regel "Versprechen soll man einhalten" als solche nicht
ausreicht, um in einer konkreten Handlungssituation eine Verbindlichkeit zu
erzeugen.
Letztlich muss auch in Bezug auf den Versprechenden die Bejahung der Institution
einschließlich ihrer Anwendung im konkreten Fall hinzukommen. Auch das Verfahren
des Versprechens, das auf der faktischen Anerkennung von Normen durch die
Normadressaten beruht, bedarf einer argumentativen Rechtfertigung. Es muss als
richtiges Verfahren vorausgesetzt werden, wenn die damit erzeugten Normen
verbindlich sein sollen.
Siehe auch
die folgenden thematisch verwandten Texte in der Ethik-Werkstatt:
Nida-Rümelin zur Begründung ethischer Normen **
(10 K)
Normativer Diskurs und verbindliche Normen ***
(93 K)
***
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Letzte Bearbeitung 28.11.2007 / Eberhard Wesche
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