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Klassische Theoretiker des Gesellschaftsvertrages

Hobbes - Locke - Rousseau
 

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Inhalt:
Die Beendigung des Naturzustandes durch einen Gesellschaftsvertrag
Der Gesellschaftsvertrag bei Thomas Hobbes
Der Gesellschaftsvertrag bei John Locke

Der Gesellschaftsvertrag bei Jean Jacques Rousseau
Demokratische Kritik an der Theorie des Gesellschaftsvertrages: Thomas Paine u. a.
Konservative Kritik an der Vertragstheorie des Staates: Friedrich Stahl




Textanfang

Die Beendigung des Naturzustandes durch einen Gesellschaftsvertrag

Die Theorie des Gesellschaftsvertrages versucht eine Antwort auf die Frage zu geben, unter welchen Bedingungen und aus welchen Gründen die Individuen zum Gehorsam gegenüber den politischen Institutionen verpflichtet sind. Im Lauf der Jahrhunderte hat es innerhalb der Vertragstheorie eine Entwicklung gegeben, die von der Rechtfertigung der absoluten Monarchie bei Hobbes (1588 - 1679) über den Verfassungsstaat bei Locke (1632 - 1704) bis hin zur egalitären, direkten Demokratie bei Rousseau (1712 - 78) gingen.

Ausgangspunkt der Vertragstheoretiker ist der so genannte "Naturzustand", in dem keinerlei politische Autorität existiert, die allgemein geltende Normen setzen und für deren Einhaltung sorgen könnte. Zusätzlich werden bestimmte Annahmen über die menschliche Natur gemacht, insbesondere über die Ziele des Menschen und über seine Fähigkeit zu zielgerichtetem Handeln.

Die Annahmen über die Natur des Menschen fallen bei den einzelnen Theoretikern zwar unterschiedlich aus, doch ist allen gemeinsam, dass es keine natürliche Harmonie zwischen den Individuen gibt, sondern dass es im Naturzustand zu Konflikten kommt, die gewaltsam ausgetragen werden. Dadurch wird der Naturzustand für alle Beteiligten unerträglich und es liegt im Interesse jedes Einzelnen, den Naturzustand zu beenden und durch vertragliche Übereinkunft eine bestimmte politische Ordnung zu errichten, die für alle verbindlich ist.

Vor dem Hintergrund der Probleme, die der Zustand natürlicher Freiheit mit sich bringt, erscheint die Errichtung einer politischen Autorität, der sich die ursprünglich freien Individuen unterordnen, als eine vernünftige Entscheidung. Allerdings lässt sich je nach den angenommenen Zielen, die die Individuen mit der Staatsgründung verfolgen, nicht jede Form politischer Herrschaft als mögliches Resultat eines Vertrages zwischen freien und zielgerichtet handelnden Individuen rechtfertigen.
 

Der Gesellschaftsvertrag bei Thomas Hobbes

Hobbes, dessen "Leviathan" 1651 veröffentlicht wurde, geht von einem in jedem Menschen angelegten Streben nach immer mehr Macht und Reichtum aus.

Daraus folgert er einen Naturzustand, der als "Krieg aller gegen alle" charakterisiert werden kann.

Der oberste Grundsatz des natürlichen Rechts lautet für
Hobbes deshalb: "Jedermann hat sich um Frieden zu bemühen, solange dazu Hoffnung besteht. Kann er ihn nicht herstellen, so darf er sich alle Hilfsmittel und Vorteile des Krieges verschaffen und sie benützen." (Hobbes 1968, S. 190.)

Um Frieden zu erreichen, müssen sich die Individuen durch Vertrag einer Macht unterwerfen, der sie alle Rechte abtreten. Dieser Vertrag jedes Individuums mit jedem anderen lautet: "Ich übergebe mein Recht, mich selbst zu beherrschen, diesem Menschen oder dieser Gesellschaft unter der Bedingung, dass du ebenfalls dein Recht über dich ihm oder ihr abtretest. Auf diese Weise werden alle Einzelnen eine Person und heißen Staat oder Gemeinwesen" (zitiert nach: Bergsträsser, A. / Oberndörfer, D. (Hg.): Klassiker des Staatsrechts, Stuttgart: Koehler 1962, S. 173).

Gegen diese höchste Gewalt, den Staat, gibt es nach Hobbes keine Rechte der Staatsbürger, denn die höchste Gewalt ist selber nicht vertragsschließende Partei und hat deshalb auch keine vertraglichen Verpflichtungen einzuhalten. Es "schließt ja derjenige, welchem die höchste Gewalt übertragen wird, mit denen, die sie ihm übertrugen, eigentlich keinen Vertrag, und folglich kann er kein Unrecht tun, weswegen ihm die höchste Gewalt genommen werden dürfte". (Klassiker S. 170.) Es gibt deshalb bei Hobbes gegen die einmal errichtete höchste Gewalt kein Widerstandsrecht.

Der Gesellschaftsvertrag bei John Locke

Locke geht von einem Glücksstreben der Menschen aus: "Die Natur hat den Menschen den Wunsch nach Glück und den Widerwillen gegen das Elend mitgegeben. Es sind dies angeborene, grundsätzliche Einstellungen zum Leben, die unser Leben, die unsere Handlungen immer wieder und unaufhörlich beeinflussen." (Locke, Essays, Band 1, S. 67. Genaue Fundstelle leider verloren gegangen.)

Locke spricht den Individuen bereits im Naturzustand die Fähigkeit zu moralischem Verhalten zu. "Um die politische Autorität ('power') richtig zu verstehen und sie aus ihrem Ursprung abzuleiten, müssen wir berücksichtigen, in welchem Zustand sich alle Menschen von Natur aus befinden, und das ist ein Zustand völliger Freiheit, ihre Handlungen zu steuern und über ihre Besitztümer und Personen zu verfügen, wie sie es für richtig halten, innerhalb der Grenzen des Naturrechts ('law of nature') ..." (P. Laslett ed.: John Locke, Two Treatises of Government, Mentor Book 1965, S. 309.)

Jedoch ist für Locke nicht ausgeschlossen, dass einige Individuen aus Eigeninteresse die moralischen Normen verletzen und dass dann die Geschädigten als Richter in eigener Sache bei der Verfolgung der Täter über das Ziel hinausschießen.

"Die Unzuträglichkeiten, denen sie (im Naturzustand) ausgesetzt sind durch die unregelmäßige und unbestimmte Ausübung der Macht, die jeder Mensch hat, die Übertretung anderer zu bestrafen, veranlassen sie, zu den festen Gesetzen der Regierung ihre Zuflucht zu nehmen, um dort Schutz und Erhaltung ihres Eigentums (also Leben, Freiheit und Besitz) zu suchen."

Auch für Locke liegt es deshalb im Interesse aller Beteiligten, den Naturzustand zu überwinden und in eine "civil society", eine "zivilisierte Gesellschaft" einzutreten. Dies ist nur möglich durch einen Gesellschaftsvertrag. Denn wenn die Menschen von Natur aus frei und gleich sind, so kann es nur dadurch zu einer rechtmäßigen politischen Autorität über diese Menschen kommen, dass sie selber der Errichtung dieser Autorität zustimmen: "Insofern die Menschen ... von Natur aus alle frei, gleich und unabhängig sind, kann niemand aus diesem Zustand entfernt und der politischen Autorität ('power') eines andern unterworfen werden ohne seine eigene Zustimmung, was dadurch geschieht, dass er mit andern Menschen übereinkommt, sich in einer Gemeinschaft zusammenzuschließen und zu vereinigen." (Two Treatises, S. 374.)

Allerdings ist für Locke im Unterschied zu Hobbes nicht jede politische Autorität legitim, sofern sie nur wirksam gewaltsame Konflikte zwischen den Gesellschaftsmitgliedern verhindern kann. Für Locke ist ein Individuum nur dann zum Gehorsam gegenüber der politischen Autorität verpflichtet, wenn diese für den Schutz seines Lebens, seiner Gesundheit, seiner Freiheit und seines Eigentums sorgt, denn das Individuum ist den Gesellschaftsvertrag ja eingegangen, um diese natürlichen Rechte zu schützen.

Für Locke ist deshalb im Gegensatz zu Hobbes eine absolute Monarchie mit unbeschränkter Gewalt des Monarchen unvereinbar mit einer staatsbürgerlichen Gesellschaft: "Denn es ist das Ziel der staatsbürgerlichen Gesellschaft, die Missstände des Naturzustandes zu vermeiden, die sich notwendig daraus ergeben, dass jedermann Richter in eigener Sache ist, indem eine anerkannte Autorität errichtet wird, an die sich jeder richten kann, wenn ihm ein Schaden zugefügt wurde oder wenn ein Streit entsteht, und der jedes Mitglied der Gesellschaft gehorchen sollte. Wo immer es jedoch irgendwelche Personen gibt, für die keine derartige Autorität existiert, an die sie sich wenden können, um irgendwelche Differenzen zwischen sich zu entscheiden, dort sind diese Personen noch im Naturzustand. Und dies gilt für jeden absoluten Fürst in Bezug auf jene, die seiner Herrschaft unterliegen." (Two Treatises, S. 370.)

Auch der Fürst darf deshalb nicht absolut herrschen, sondern ist an eine Verfassung gebunden. Die Idee einer Verfassung, an die auch die staatlichen Institutionen gebunden sind, fand später Eingang in die Proklamationen der amerikanischen und der französischen Revolution.

Nach Hobbes verfolgen die Individuen bei der Errichtung der politischen Körperschaft allein die Herstellung des Friedens zwischen deren Mitgliedern. Ansonsten sind die Inhalte der Herrschaft nicht weiter bestimmt. Dagegen verfolgen die Individuen nach Locke mit der Errichtung einer politischen Körperschaft das Ziel einer besseren Sicherung ihrer naturrechtlich gegebenen Rechte auf Leben, Freiheit und Eigentum. Folglich ist auch die gesetzgebende Gewalt an die Beachtung dieser Rechte gebunden: "Obwohl die Legislative die höchste Gewalt in jedem Staat ist, so ist sie doch erstens nicht eine absolute, willkürliche Gewalt über Leben und Vermögen des Volkes, noch kann sie es sein. ... Ihre Gewalt, in ihren äußersten Grenzen, ist beschränkt auf das öffentliche Wohl der Gesellschaft ... Die Verpflichtungen des Naturrechts hören nicht in der Gesellschaft auf, sondern werden in vielen Fällen nur enger gezogen und haben durch menschliche Gesetze anerkannte Strafen hinzugefügt, um ihre Erfüllung zu erzwingen." (Klassiker S. 195)

Locke hält deshalb eine absolute Monarchie mit dem staatsbürgerlichen Zustand für unvereinbar und er bestätigt deshalb ein Recht auf Widerstand: "Jeder, der in seiner Autorität über die ihm gesetzlich eingeräumte Macht hinausgeht ... hört in dieser Beziehung auf, Obrigkeit zu sein; und da er ohne Autorität handelt, darf ihm Widerstand geleistet werden." (Klassiker S. 209)

Trotzdem kann auch Locke noch nicht eigentlich als ein demokratischer Theoretiker angesehen werden. Zwar vertritt er das Prinzip der verfassungsgebenden Gewalt des Volkes und er verpflichtet den Gesetzgeber auf die Beachtung des allgemeinen Wohls, aber eine Mitwirkung der Bürger an der Gesetzgebung ist für ihn nicht notwendig. Wenn die Mitglieder der Gesellschaft einmal als gesetzgebende Gewalt eine Versammlung eingesetzt haben, so besitzen sie kein Recht mehr, daran etwas zu ändern: "Wenn die Gesellschaft die Gesetzgebung irgendeiner Versammlung von Männern zugesprochen hat, damit sie bei diesen und ihren Nachfolger verbleibe, dann kann die Gesetzgebung niemals zum Volk zurückkehren, solange diese Regierung besteht, denn dadurch, dass es die gesetzgebenden Gewalt mit der Macht ausgestattet hat, für immer zu dauern, hat es seine politische Macht an die Legislative abgegeben und kann sie nicht wieder erlangen." (Two Treatises, S. 477.)

Im Prinzip kann also nach Locke auch eine erbliche Monarchie als gesetzgebende Gewalt Gehorsam verlangen, sofern sie nur Leben, Freiheit und Eigentum der Bürger schützt.

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Der Gesellschaftsvertrag bei Jean Jacques Roussseau

Der entscheidende Durchbruch zur Mitwirkung der Bürger an der Gesetzgebung geschieht - zumindest auf dem Boden der Vertragstheorie des Staates - bei Rousseau. Die Rechtfertigung des Anspruchs auf Befolgung der Gesetze des Staates beruht auch für ihn auf einer vertraglichen Übereinkunft: "Da kein Mensch eine natürliche Gewalt über seinesgleichen hat, und da die Stärke kein Recht gewährt, so bleiben folglich die Verträge als die einzige Grundlage jeder rechtmäßigen Gewalt unter den Menschen übrig." (Gesellschaftsvertrag S. 35)

Die ursprünglich freien und gleichen Individuen schließen sich in einem Gesellschaftsvertrag zu einer politischen Einheit zusammen. Dieser Vertrag lässt sich in die Worte fassen: "Jeder von uns stellt gemeinschaftlich seine Person und seine ganze Kraft unter die oberste Leitung des allgemeinen Willens ("volonté générale"), und wir nehmen jedes Mitglied als untrennbaren Teil des Ganzen auf." (Gesellschaftsvertrag S. 44) Daraus entsteht das Gemeinwesen, der Staat: "An die Stelle der einzelnen Person jedes Vertragsschließenden setzt solcher Gesellschaftsvertrag sofort einen geistigen Gesamtkörper, dessen Mitglieder aus sämtlichen Stimmabgebenden bestehen und der durch eben diesen Akt seine Einheit, sein gemeinsames Ich, sein Leben und seinen Willen erhält." (Gesellschaftsvertrag S. 44)

Im Unterschied zu Hobbes wird der Friede zwischen den Individuen also nicht dadurch erreicht, dass sich alle einem Dritten unterwerfen sondern dadurch, dass alle sich dem Willen der Allgemeinheit, der volonté générale, unterordnen. Die Lenkung des Gemeinwesens durch den "allgemeinen Willen" ist für Rousseau eine notwendige Konsequenz aus dem Zweck, den die Individuen mit der Staatsgründung verfolgen, nämlich die Förderung des gemeinsamen Interesses, des Gemeinwohls.

So stellt er fest, "dass allein der allgemeine Wille die Kräfte des Staates dem Zwecke seiner Einrichtung gemäß leiten kann, der im Gemeinwohl besteht. ... Erst die Übereinstimmung der gleichen Interessen (hat die Errichtung der Gesellschaften) ermöglicht. … Gäbe es nicht irgendeinen Punkt, in dem alle Interessen übereinstimmen, so könnte keine Gesellschaft bestehen. Einzig und allein nach diesem gemeinsamen Interesse muss die Gesellschaft regiert werden". (Gesellschaftsvertrag S.54) ... Nur dadurch aber, dass die Gesamtheit der Bürger das Gemeinwesen leitet, ist sichergestellt, dass sich das gemeinsame Interesse auch durchsetzt. Wenn dagegen die gesetzgebenden Macht an Teile der Gesellschaft abgetreten wird, so wird sich deren besonderer Wille und nicht der allgemeine Wille durchsetzen", denn es kann "jeder einzelne Mensch als Mensch einen besonderen Willen haben, der dem allgemeinen Willen, den er als Staatsbürger hat, zuwider läuft." (Gesellschaftsvertrag S.47)

Weiter heißt es: "Ist es auch nicht unmöglich, dass der Wille eines Einzelnen in irgendeinem Punkte mit dem allgemeinen Willen übereinstimme, so ist es wenigstens unmöglich, dass diese Übereinstimmung von dauerndem Bestand sein könnte, denn seiner Natur nach strebt der Wille des Einzelnen nach Vorteilen, der allgemeine Wille dagegen nach Gleichheit." (Gesellschaftsvertrag S. 55)

Im Unterschied zu Locke besteht Rousseau deshalb darauf, "dass die Staatshoheit, die nichts anderes als die Ausübung des Allgemeinen Willens ist, nie veräußert werden kann und dass sich das Staatsoberhaupt als ein kollektives Wesen nur durch sich selber darstellen lässt.  (Das Staatsoberhaupt) kann nicht sagen: 'Ich werde auch morgen wollen, was dieser Mensch will', da es sinnlos ist, dass sich der Wille schon für die Zukunft fesselt, und es nicht in der Gewalt irgendeines Willens steht, in etwas einzustimmen, was dem Wohl des wollenden Wesens widerspricht." (Gesellschaftsvertrag S. 54 ff.)

Die gesetzgebenden Gewalt muss nach Rousseau also beim ganzen Volke liegen, gleichgültig ob die Regierung als die rechtmäßige Ausübung der vollziehenden Gewalt nun von einem, von wenigen oder von den meisten Bürgern durchgeführt wird. Damit geht  Rousseau über die Position Lockes hinaus und begründet das Recht aller Bürger zur Gesetzgebung.

Nach Rousseau ist das Individuum nur dann zum Gehorsam gegenüber den durch die politischen Autoritäten gesetzten Normen verpflichtet, wenn diese den "allgemeinen Willen" (volonté générale) ausdrücken. Dies setzt voraus, dass es sich bei der jeweiligen Norm um ein allgemeines Gesetz handelt, das für alle in gleicher Weise gilt. Außerdem müssen alle Bürger an der Beschlussfassung über dieses Gesetz mitgewirkt haben, denn ein rationales Individuum wird niemals freiwillig seine natürliche Freiheit aufgeben, um sich irgendeinem partikularen Willen zu unterwerfen.

Für Rousseau ist der Mensch also ein Wesen, das rational seine Interessen verfolgt, und das niemals einen nachteiligen Vertrag schließen würde.

So schreibt er zur Sklaverei: "Die Behauptung, ein Mensch verschenke sich unentgeltlich, ist eine unbegreifliche Albernheit; eine solche Handlung ist schon deswegen ungesetzlich und nichtig, weil derjenige, der sich dazu hergibt, nicht bei gesunder Vernunft ist. Wer dies einem ganzen Volk nachsagt, muss es für ein Volk von Verrückten halten. Verrücktheit verleiht kein Recht ... Kurz, es ist ein nichtiger und mit sich selbst in Widerspruch stehender Vertrag, auf der einen Seite eine unumschränkte Macht und auf der andern Seite einen schrankenlosen Gehorsam festzusetzen." (Gesellschaftsvertrag S. 36)

Die Position Rousseaus fand - zumindest teilweise - Ausdruck in Artikel 6 der französischen "Erklärung der Rechte des Menschen und des Bürgers" von 1789: "Das Gesetz ist Ausdruck des allgemeinen Willens. Alle Staatsbürger haben das Recht, an seiner Bildung persönlich oder durch ihre Stellvertreter mitzuwirken."

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Demokratische Kritik an der Theorie des Gesellschaftsvertrages

Gegen diese Theorien eines Gesellschaftsvertrages als Grundlage "politischer Verpflichtung" sind verschiedene Einwände gemacht worden.

Sofern der Gesellschaftsvertrag als ein Ereignis verstanden wurde, das in der Vergangenheit tatsächlich stattgefunden hatte, gab es den Einwand, dass dies nicht den Tatsachen entspreche.

Außerdem könne ein in historischer Vorzeit stattgefundener Vertrag nicht die späteren Generationen binden, die an diesem Vertragsschluss gar nicht beteiligt waren.

In diesem Sinne schrieb Thomas Paine in seinem 1791 erschienenen Buch "The Rights of Man": "Jedes Zeitalter und jede Generation muss ebenso frei sein, um für sich selbst in allen Angelegenheiten zu handeln, wie die Zeitalter und Generationen, die ihr vorausgingen ... Der Mensch hat kein Eigentum am Menschen, noch hat irgendeine Generation ein Eigentum an den Generationen, die folgen werden. ... Wenn ein Mensch aufhört zu existieren, verschwinden seine Kräfte und Bedürfnisse mit ihm, und da er nicht länger Anteil an den Belangen dieser Welt hat, besitzt er auch keine Autorität mehr, um zu bestimmen, wer sie regieren soll oder wie ihre Regierung organisiert und verwaltet werden solle." (S. 17)

Um diesen Einwand zu begegnen, hatte bereits Locke gemeint, dass die Zustimmung zum ursprünglichen Gesellschaftsvertrag fortlaufend dadurch unausgesprochen erneuert werde, dass jemand in einem Land und unter dem Schutz seiner Gesetze lebe, was als stillschweigende Zustimmung interpretiert werden könne.

Dagegen wendet jedoch bereits William Godwin in seinem 1793 erschienenen Buch "Enquiry Concerning Political Justice" ein: "Nach dieser Annahme ist jede Regierung rechtmäßig, die ruhige Unterordnung findet -  ob das die Usurpation Cromwells oder die Diktatur Caligulas ist. ... Sich zu fügen bedeutet (jedoch) von Seiten des Individuums meist nicht mehr als die Wahl des kleineren Übels." (S. 100)

Die Vorstellung, dass der Übergang vom "Naturzustand" in den "staatsbürgerlichen Zustand" tatsächlich in Form eines Urvertrages zustande gekommen sei, wurde deshalb von späteren Vertragstheoretikern fallen gelassen. Stattdessen wurde die Idee des Gesellschaftsvertrages als eine Art gedanklicher Test betrachtet: die Rechtmäßigkeit einer politischen Ordnung wird anhand der Frage überprüft: Ist es denkbar, dass diese politische Ordnung aus einem Vertrag freier, gleichberechtigter und rationaler Individuen hervorgegangen ist?

Im Sinne eines solchen hypothetischen Kriteriums wurde die Theorie des Gesellschaftsvertrag auch von Immanuel Kant verstanden.

Auch eine hypothetische Vertragstheorie ist jedoch nicht ohne Probleme. Selbst wenn eine bestimmte politische Ordnung als Resultat eines Vertrages freier, gleichberechtigter und rationaler Individuen denkbar ist, so ist diese Ordnung damit nicht notwendig gerechtfertigt. Denn welchen Inhalt eine vertragliche Übereinkunft hat, hängt von der jeweiligen "Verhandlungsmacht" der vertragsschließenden Parteien ab.
 
Wenn zum Beispiel der angenommene Naturzustand für ein bestimmtes Individuum auf Grund seiner körperlichen Schwäche und Bedürftigkeit besonders unerträglich ist, so wird es in Bezug auf den Gesellschaftsvertrag eher bereit sein, Konzessionen an die anderen Vertragspartner zu machen. Dies würde das schwächere Individuum völlig "freiwillig" und in völliger Klarheit über seine eigenen Interessen, also rational tun.

Sobald man ungleiche Fähigkeiten und Bedürftigkeiten der Individuen annimmt - was man wohl fast immer tun muss - ist der Naturzustand für die Individuen in unterschiedlichem Maße erträglich, und dadurch bekommen die Parteien beim Aushandeln des Gesellschaftsvertrages eine ungleiche Verhandlungsmacht.

Kritik richtete sich auch gegen die Idee von natürlichen Rechten, die jedem Mensch zukommen. Die Vorstellung, dass Gott die Menschen mit gewissen "unveräußerlichen Rechten" ausgestattet habe, wie es in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung heißt, verlor im Zuge der Säkularisierung an Bedeutung und nicht-religiöse Begründungen waren nicht in Sicht.

Dass z. B. jedem Menschen ein unveräußerliches ursprüngliches Recht auf Eigentum oder Selbstregierung zukomme, wurde von den einen behauptet und von den andern bestritten, ohne dass eine argumentativ nachvollziehbare Begründung dafür gegeben werden konnte.

Aufgrund dieser Probleme wurde die Theorie des Gesellschaftsvertrages im 19. Jahrhundert zunehmend verdrängt, im englischen Sprachraum vor allem vom Utilitarismus. Dieser wollte eine politische Ordnung allein daran messen, ob diese Ordnung zu einer maximalen Bedürfnisbefriedigung der Individuen führt oder nicht.

Allerdings führte der Utilitarismus und sein "Prinzip des größten Glücks" ("maximum happiness principle") seinerseits zu Begründungsproblemen, weshalb im englischen Sprachraum seit einigen Jahrzehnten eine Wiederbelebung naturrechtlicher und vertragstheoretischer Ansätze (John Rawls u. a.) erfolgte.

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Konservative Kritik an der Vertragstheorie des Staates

Natürlich haben auch konservative Monarchisten die Vertragstheorie angegriffen, meist mit theologischen Begründungen. Als Beispiel sei hier einer der führenden konservativen Staatstheoretiker im Deutschland des 19. Jahrhunderts, Friedrich Stahl, zitiert, der in seiner "Staatslehre" schreibt: "Niemals ist der Staat das Werk der Wahl und Absicht, nie entsteht er durch Übereinkunft der Menschen, dass sie, vorher außer dem Staate, nunmehr zusammenkommen, um ihn zu errichten. Sie finden sich in ihm, bevor sie darüber nachdenken. ... (Der Staat) ist ein noch höherer Faktor als menschlicher Wille: die geschichtliche Fügung, welche die unzähligen Taten der unzähligen Menschenwillen zu einem Erfolge bringen, dass der Staat und dass er in einer bestimmten Weise entsteht. ... So entsteht der Staat tatsächlich, so bindet er auch rechtlich. Sein Ansehen beruht auf seiner bloßen Existenz als solcher. Es ist ein ihm selbst innewohnendes ursprüngliches Ansehen, und die Untertanen haben deshalb die Pflicht des Gehorsams unmittelbar, nicht erst infolge ihrer Einwilligung eines unterzulegenden Vereinigungs- und Unterwerfungsvertrages. Dieser Gehorsam ist kein freiwilliger, von Zustimmung abhängiger, sondern ein notwendiger, ähnlich wie die Verpflichtung gegen die Eltern. Ja, er ist die ursprünglichste Rechtspflicht, nicht minder ursprünglich als die Rechtspflicht, Verträge zu halten; denn der Staat ist selbst die Realisierung der Rechtsordnung." (S. 46 ff.) 

Und Stahl fügt hinzu: "Wenn der Staat zunächst als ein sittliches Reich der menschlichen Gemeinschaft sich darstellt, so ist er doch, tiefer betrachtet, zugleich eine göttliche Institution. Es ruht vor allem das Ansehen des Staates auf der Verordnung Gottes. Das ist der letzte Grund des ihm selbst innewohnenden ursprünglichen Ansehens. Seine ganze legitime Ordnung - Gesetz, Verfassung, Obrigkeit - hat daraus ihre bindende Macht. Insbesondere hat die Obrigkeit Ansehen und Gewalt von Gott. Sie ist von Gottes Gnaden. 'Wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet' (Paulus im Römerbrief 13)"   (S. 47 f.)

In ihren theologischen Elementen ist diese Kritik im wahrsten Sinne indiskutabel, insofern sie sich auf die Autorität von Bibelzitaten stützt. Ansonsten ist dies ein Beispiel für die Staatsverherrlichung der damals in Deutschland politisch Herrschenden. Die Idee eines demokratischen Gemeinwesens konnte auf dem Boden solcher Theorien nicht entstehen.

***


Literatur:
Thomas
Hobbes, Leviathan, Harmondsworth 1968
John Locke, Two Treatises of Government. Ed. by P. Laslett, Mentor Book 1965
John Locke, Essays, Band 1
Jean Jacques Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag, Stuttgart: Reclam 1968
Bergsträsser, A. / Oberndörfer, D. (Hg.): Klassiker des Staatsrechts, Stuttgart: Koehler 1962
Thomas Paine, The Rights of Man, London: Dent Everyman's Library 1969
William Godwin, Enquiry Concerning Political Justice, 1793
Friedrich Stahl, Staatslehre.

Fremdsprachige Zitate wurden vom Verfasser übersetzt.

 

Siehe auch die folgenden thematisch verwandten Texte in der Ethik-Werkstatt:
   
Die Demokratie bei Rousseau ** (15 K)
   
Demokratie - Ideengeschichte * (28 K)

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Letzte Bearbeitung: 05.05.2009 / Eberhard Wesche

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