Ethik-Werkstatt - Volltexte im HTML-Format - kostenlos

-->Übersicht       -->Alphabetische Liste aller Texte       -->Info zu dieser Website       -->Lexikon       -->Startseite


Hat der Mensch einen freien Willen?

Ist der Wille des Menschen in einer Weise unfrei, dass er für seine Taten nicht verantwortlich ist?

***

Inhalt:
Was ist mit dem Wort "Wille" gemeint?
Was ist mit der "Freiheit" des menschlichen Willens gemeint?
Wollen können, was man will
Unbeeinflusst wollen
Selbstbestimmt wollen

 

 

 

Kann eine Willensentscheidung frei sein, wenn sie kausalen Gesetzen unterliegt?
Die besondere Struktur des menschlichen Willens

Ein Streitgespräch: Kann der Mensch zwischen verschiedenen Handlungen wählen?
Das Problem der Willensfreiheit bei Erasmus von Rotterdam
Die Konzeption von Naturgesetzen, die allem Geschehen zugrunde liegen


Textbeginn


Was ist mit dem Wort "Wille" gemeint?

Die Ausgangsfrage lautet: Hat der Mensch einen freien Willen? Wie man diese Frage beantwortet, hängt vor allem davon ab, wie man die in der Frage vorkommenden Begriffe "Wille" und "frei" versteht.

Im

Was ist mit der "Freiheit" des menschlichen Willens gemeint?

Schwieriger ist die Beantwortung der Frage, was das Wort "frei" in diesem Zusammenhang bedeutet, denn das Wort "frei" wird in den verschiedensten  Zusammenhängen mit unterschiedlichen Bedeutungen verwendet. Es bieten sich verschiedene Interpretationsmöglichkeiten für ein freies Wollen an:

Wollen können, was man will

Eine mögliche Deutung des Wortes "frei" schließt an die Definition des freien Handelns an, wonach ich in meinem Handeln dann frei bin, wenn ich so handeln kann, wie ich will. Entsprechend bin ich in meinem Wollen dann frei, wenn ich das wollen kann, was ich will.

Wenn jemand sagt: "Ich kann wollen, was ich will, also ist mein Wille frei", so kann man jedoch weiter fragen, ob denn nun dies auf das einfache Wollen bezogene übergeordnete Wollen seinerseits frei ist. Dies kann man von Stufe zu Stufe fortsetzen, ohne an ein Ende zu kommen. Wie man sieht, führt der Bezug des Willens auf sich selbst zu einem unendlichen Regress hinsichtlich der Freiheit des Willens. Damit wäre das Problem nicht gelöst sondern nur verschoben.


Unbeeinflusst wollen

Man könnte unter einem "freien Willen" auch einen "von anderen Menschen unbeeinflussten Willen" verstehen. Dies erscheint jedoch nicht als sinnvoll. Ein Beispiel: A hat Durst und will aus einem Brunnen trinken. B warnt ihn: "Das Wasser ist mit Typhus verseucht." Nun will A nicht mehr aus dem Brunnen trinken.
Es erscheint widersinnig, den veränderten Willen von A als unfrei abzuwerten, weil er durch B beeinflusst wurde.


Selbstbestimmt wollen

Es bleibt noch die Bedeutung von "frei wollen", so wie sie umgangssprachlich verwendet wird, wenn man eine Entscheidung als "freiwillig" bezeichnet. Man sagt dann z. B.: "Ich habe mich freiwillig (d. h. aus freiem Willen) für x entschieden", wenn man von niemandem zu dieser Entscheidung genötigt oder gezwungen wurde - auch nicht durch verinnerlichte Zwänge.

Hier bedeutet "frei wollen" soviel wie "selbstbestimmt wollen". Selbstbestimmtes Wollen schließt nicht aus, dass das eigene Wollen durch Ratschläge oder Argumente anderer beeinflusst wurde. Der Einfluss anderer auf mein Wollen ist jedoch solange keine Fremdbestimmung, wie ich diesen Einfluss durch rationale Überlegungen und Kritik kontrollieren und gegebenenfalls ausschalten kann.

Wenn man unter einem "freien Willen" einen selbstbestimmten Willen versteht, der nicht durch Drohungen oder Zwang zustande gekommen ist, so wird es häufig der Fall sein, dasss ein freier Wille besteht. (Allerdings sollten darüber nicht Probleme der Willensbildung vergessen werden wie das Problem des unaufgeklärten Willens, der "stumme Zwang der Verhältnisse" oder der Fall von innnerem Zwang durch Sucht und dergleichen".

Ob der Wille eines Menschen in einer gegebenen Situation "frei" im Sinne von "selbstbestimmt" gewesen ist, ist eine psychologische Frage, die von Fall zu Fall entschieden werden muss.

Wenn jedoch jemand die Frage stellt: Hat der Mensch einen freien Willen?, so bezieht er sich auf eine bestimmte philosophische Frage, die im Folgenden diskutiert werden soll.

Die philosophische Frage: Ist der menschliche Wille frei?

Mit dieser Frage fragt man nicht nach der Freiheit des Willens bestimmter Individuen in bestimmten Situationen, sondern man stellt die Mögichkeit eines freien menschlichen Willens überhaupt in Frage.

Dabei wird von einem bestimmten Verständnis von "Freiheit" des Willens ausgegangen. Demnach ist ein Wille dann unfrei, wenn dieser Wille und das entsprechende Handeln kausalen Gesetzmäßigkeiten unterliegt. Kausale Gesetzmäßigkeiten habe die die allgemeine Form: "Wenn die Randbedingungen x, y, z ... gegeben sind, dann folgt auf die Ursache U immer die Wirkung W". Diese Position wird als "Determinismus" bezeichnet (von lateinisch: "determinare" = "bestimmen".)

Das deterministische Verständnis von "Freiheit" entfernt sich erheblich von der üblichen Bedeutung des Wortes.

Dazu ein Beispiel. Zu meiner großen Freude stand auf dem Speiseplan für heute Mittag auch mein Lieblingsgericht: Kotlett mit Salzkartoffeln und gemischtem Gemüse. Es war ales so wie ich es wollte und es hat mir wieder wunderbar geschmeckt. Trotzdem sagt der Determinist, dass ich in meinem Essverhalten unfrei sei, weil es durch eine Verkettung von Ursachen und Wirkungen gesteuert sei.

Darüber hinaus zeigt die Analyse, dass der Determinist genau genommen nicht nur die Freiheit des menschlichen Willens bestreitet sondern die Existenz eines menschlichen Willens überhaupt. Von einem "Willen" sprechen wir dann, wenn jemand ein Ziel anstrebt und dies sein Handeln bestimmt. Das schließt ein, dass der Mensch angesichts verschiedener Möglichkeiten des Handelns diejenige heraussucht, die ihn der Verwirklichung des von ihm Gewollten näher bringt. Der Determinist bestreitet jedoch grundsätzlich, dass den Menschen verschiedene Handlungsalternativen offenstehen, zwischen denen er wählen kann.

Kann man das Vorhandensein von Handlungsalternativen nachweisen?

Dazu wieder ein Beispiel.
Ich behaupte gegenüber dem Deterministen: "Ich habe jetzt mindestens zwei Handlungsalternativen: Ich kann meinen Kopf nach links drehen. Ich kann ihn aber auch nach rechts drehen. Damit hab ich zwei Handlungsalternativen, deren Ausführung mir zum Einen möglich ist und die zum Anderen einander ausschließen".

Der Determinist bezweifelt dies: "Du kannst nur das tun, was den Naturgesetzen entspricht."

Ich fordere den Deterministen auf: "Dann sag mir, welche der beiden Handlungen mir denn nicht möglich ist."

Der Determinist antwortet: "Das weiß ich nicht, aber ich weiß, dass du keine andere Wahl hast als das zu tun, was du entsprechend den Gesetzmäßigkeiten getan haben wirst. Ich rate mal, dass Du nicht den Kopf nach links drehen kannst."

"Falsch", sage ich zum Deterministen und drehe dabei meinen Kopf nach links. "Wenn Du gesagt hättest, dass ich den Kopf nicht nach rechts drehen kann, dann hätte ich meinen Kopf nach rechts gedreht. Damit ist nachgewiesen, dass mir zwei Handlungsalternativen offenstehen."

"Du irrst," sagt der Determinist. "Du hast im ersten Teil Deiner Demonstration gezeigt, dass Du den Kopf nach links drehen konntest. Und im zweiten Teil hast Du gezeigt, dass Du deinen Kopf nach rechts drehen konntest. Wir haben hier zwei Entscheidungssituationen. In jeder gab es einen einzigen Handlungsverlauf. Dass Dir zugleich auch eine andere Handlungsalternative offenstand, ist durch nichts bewiesen."

Ich muss zugeben, dass die Position des Deterministen hier logisch fehlerfrei ist. Unter normalen Bedingungen sieht das allerdings anders aus. Ich kann seit Jahrzehnten meinen Kopf entweder nach rechts drehen oder nach links, und ich werde diese Fähigkeit aller Wahrscheinlichkeit nach auch in den nächsten Jahren nicht verlernen. Und nun kommt ein Determinist daher und bezweifelt, dass ich meinen Kopf auch noch im zweiten Teil der Demonstration nach links drehen kann, so wie ich es im ersten Teil gerade getan habe. Solche Fähigkeiten gehen nicht in Sekunden verloren. Insofern handelt es sich doch um nur eine Entscheidungssituation mit den alternativen Handlungsmöglichkeiten 1: "Kopf nach links drehen" und 2: "Kopf nach rechts drehen".

Für einen Deterministen gibt es niemals mehrere Handlungsalternativen. Möglich ist für ihn immer nur eine einzige Handlungsvariante und das ist diejenige, die realisiert wird. Damit entfernt sich der Determinist jedoch erheblich vom üblichen Gebrauch der Wörter "möglich" und "Möglichkeit". Nach dem üblichen Wortgebrauch gilt ein Handeln dann als "möglich", wenn der Ausführung dieser Handlung nichts entgegensteht.

Insofern als der oben definierte Begriff des Willens ein Versuchen und Streben beinhaltet, das notwendig mit einem Auswählen der am besten geeigneten Handlungsweisen verbunden ist, spricht der Determinismus dem menschlichen Willen nicht nur dessen Freiheit ab, sondern er spricht dem Menschen überhaupt einen Willen ab. Wo es nichts zu wählen gibt, da ist es auch sinnlos etwas zu wollen, denn alles kommt so wie es kommen musste. Wenn nichts ohne eine Ursache geschieht und wenn dies auch auf das menschliche Geschehen zutrifft, dann muss alles so kommen, wie die Naturgesetze es besagen.

Die Vorstellung, die Menschen könnten wählen, wie sie entscheiden und handeln, ist deshalb für den Deterministen eine Illusion. Der Determinismus bekommt dadurch eine größere Bedeutung, dass aus dieser Theorie schwerwiegende Konsequenzen gezogen werden. Da die Menschen nicht anders handeln können, als so zu handeln, wie sie es tatsächlich tun, können sie für das, was sie tun, auch nicht verantwortlich gemacht werden.

Eigenschaften des Determinismus

Bemerkenswert ist, dass der Determinus sich nicht durch empirische Argumente widerlegen lässt. Wenn man kiritisiert, dsss der Determinist nicht die Gesetzmäßígkeiten nennen könne, die zu einem bestimmten Ereignis, z. B dem spontanen Entschluss eines Individuums zu einem Spaziergang geführt haben, so verweist der Determinist darauf, dass man noch nicht genug wisse, um alle Eregnisse kausal zu erklären und vorherzusehen. Dies sei nur eine Frage der Zeit.

Wenn man darauf hinweist, dass noch so viele Bestätigungen für eine angenommene Gesetzmäßigkeit keinen zwingenden logischen Schluß auf die ausnahmslose Geltung eines Naturgesetzes zulassen, so wird der Determinist auf die bisherige lückenlsose Bestätigung des Gesetzes verweisen.



***


(wird fortgesetzt)

Siehe auch die folgenden thematisch verwandten Texte in der Ethik-Werkstatt:
    Determinismus ** (25 K)
    Die 7 Welträtsel ** (40 K)

***
zum Anfang
Alphabetische Liste aller Texte
Übersicht
Ethik-Werkstatt: Ende der Seite "Hat der Mensch einen freien Willen?" / Letzte Bearbeitung 17.11.2010 / Eberhard Wesche

Wer diese Website interessant findet, den bitte ich, auch Freunde, Kollegen und Bekannte auf die "Ethik-Werkstatt" hinzuweisen.