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Mehrheitsprinzip - eigene Diskussionsbeiträge

(aus der Diskussion bei PhilTalk)

***

Was ist der der Wille der Mehrheit?

Nehmen wir ein Beispiel, bei dem sich ein Kollektiv, bestehend aus den 5 Individuen A, B, C, D und E zwischen den 4 Alternativen w, x, y und z entscheiden muss. [Es muss also feststehen, wer wahl- oder abstimmungsberechtigt ist.]

Die Bewertung der Alternativen durchy die einzelnen Individuen wird durch eine entsprechende Rangfolge der Alternativen wiedergeben.[Dabei ist zu beachten, dass hier jeder Teinehmer seine Präferenzordnung selber bestimmt. Wenn die "wirklichen" Präferenzordnungen der Individuen herangezogen werden, kann es zu anderen Ergebnissen kommen. Um Missverständnisse möglichst zu vermeiden, sollte man zwischen einem "Mehrheitssystem" und einer "Mehrheitsregel" unterscheiden. Das Mehrheitssystem ist eine soziale Institution, die Mehrheitsregel ein mathematischer Algorhythmus.]
 
In der folgenden Tabelle sind die angenommenen Präferenzen der Mitglieder A, B, C, D und E in Bezug auf die Vorschläge w, x, y und z eingetragen:

 

  A B C D E
1.Rang y y x z w
2.Rang z x z x x
3.Rang w z y y y
4.Rang x x w w z

 

Die Frage ist: Welche der Alternativen entspricht dem Willen der Mehrheit?

Um das herauszufinden, wird abgestimmt.

Angenommen, die Individuen stimmen "aufrichtig" ab, d. h. jeder gibt seine Stimme der von ihm favorisierten Alternative, seiner "Spitzenalternative". Dann stimmen A und B für y, C stimmt für x, D für z und E für w.

In diesem Fall erhält keine der Alternativen eine (absolute) Mehrheit (englisch 'majority') der Stimmen.

Die Alternative y erhält jedoch eine relative Mehrheit (englisch 'plurality') der Stimmen gegenüber den andern Alternativen. Y bekommt mit 2 Stimmen mehr Stimmen als irgendeine andere Alternative, da diese jeweils nur 1 Stimme erhalten.

Das Abstimmungsverfahren, bei dem derjenige Vorschlag siegt, der die meisten Stimmen erhält, wird als "Verfahren der relativen (einfachen) Mehrheit" bezeichnet.

Ist y nun das, was die Mehrheit will?

Aus den Präferenzordnungen der Tabelle ist zu ersehen, dass für eine Mehrheit (C, D und E) die Alternative x besser ist als y. Insofern will die Mehrheit also eher x als y.

Angenommen, anschließend wird nach der "Regel der absoluten Mehrheit ("Als kollektiv gewählt gilt diejenige Alternative, die mehr als die Hälfte der Stimmen erhält") und mit den Stimmen von A, C und D wird die Alternative z gewählt.

Ist z nun das, was die Mehrheit will?

Aus den Präferenzordnungen der Tabelle ist zu ersehen, dass für eine Mehrheit (B, C und E) die Alternative x besser ist als z. Insofern will die Mehrheit also eher x als z. Die Alternative x wird auch gegenüber den Alternativen w und y von einer Mehrheit vorgezogen.

Eine solche Alternative, die bei paarweisen Abstimmungen mit jeder der anderen Alternative eine Stimmenmehrheit erhält, wird als "Mehrheitsalternative" oder nach ihrem "Entdecker" auch als Condorcet-Sieger (englisch: Condorcet winner) bezeichnet. In unserem Beispiel ist x die Mehrheitsalternative. Die Mehrheitsalternative ist also das, was die Mehrheit will.

Wie man sieht, sind die Ergebnisse der verschiedenen Wahlverfahren (Regel der relativen Mehrheit, Regel der absoluten Mehrheit etc.) von der jeweiligen Abstimmungsstrategie der Individuen abhängig und sind deshalb wenig aussagekräftig. Man kann jedoch zeigen,
dass sich eine vorhandene Mehrheitsalternative in allen gleichgewichtigen Wahlverfahren durchsetzt, wenn jedes Individuum so abstimmt, dass das bestmögliche Ergebnis für es selbst erzielt wird.

Alle gleichgewichtigen Wahlverfahren, bei denen sich eine vorhandene Mehrheitsalternative durchsetzen kann, stehen insofern im Einklang mit dem Mehrheitsprinzip.

Dazu noch eine Anmerkung: Wenn die Gruppenentscheidung nicht nur aus den Präferenzrangfolgen der Individuen abgeleitet wird, sondern Zufallsverfahren wie z.B. Losentscheid dabei mitwirken, so handelt es sich nicht mehr um ein gleichgewichtiges Wahlverfahren im obigen Sinne, weil die Präferenzrangfolgen gar nicht berücksichtigt werden. Dies gilt auch für Verfahren mit Chancengleichheit der Individuen. Eine ungerechte Verteilung der Nutzen und Kosten auf die Individuen wird nicht dadurch akzeptabler, dass die Verteilung ausgelost wurde. Dass die Auslosung "fair" im Sinne von Chancengleichheit war, macht sie nicht gerechter. 

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Die Äquivalenz aller Abstimmungsverfahren, die den Präferenzen der Einzelnen ein gleiches Gewicht geben

Das Mehrheitsprinzip als Regel einer kollektiven Entscheidung besagt, dass derjenige Vorschlag kollektiv gewählt ist, der bei einer paarweisen Abstimmung mit jedem anderen Vorschlag siegt. (Wenn kein Vorschlag diese Bedingung erfüllt und somit keine Mehrheitsalternative existiert, bleibt es beim Status quo.)

Nun muss man ein derart aufwendiges Verfahren, bei dem jeder Vorschlag einzeln mit jedem andern Vorschlag verglichen wird, zum Glück nicht tatsächlich durchführen, denn es lässt sich zeigen,
dass sich eine vorhandene Mehrheitsalternative in jedem Abstimmungsverfahren durchsetzt, sofern die folgenden Bedingungen gegeben sind:

1. Die Präferenzen der Teilnehmer an der Abstimmung in Bezug auf die zur Entscheidung stehenden Alternativen (Kandidaten) bilden die alleinigen Daten für die Aggregation. Die Individuen haben gleiches Gewicht.
 2. Jeder Teilnehmer kennt die Präferenzordnungen der anderen Teilnehmer bezüglich der zur Abstimmung stehenden Vorschläge (Alternativen).
3. Die Teilnehmer können verbindliche Absprachen darüber treffen, wie sie stimmen werden.
4. Jeder Teilnehmer trifft diejenigen Absprachen, die zu dem für ihn selbst bestmöglichen Ergebnis führen.

(Achtung: Zufallsverfahren sind keine Abstimmungs- bzw. Wahlverfahren im obigen Sinne, weil dabei die Präferenzen der Teilnehmer überhaupt nicht berücksichtigt werden!.)

Unter diesen Bedingungen setzt sich eine vorhandene Mehrheitsalternative z. B. auch bei einer Abstimmung durch, die nach der Regel der relativen (einfachen) Mehrheit abläuft. ("Der Vorschlag, der die meisten Stimmen bekommt, gilt als kollektiv gewählt.")

Die Begründung für das skizzierte Äquivalenz-Theorem ist einfach:
Wenn eine vorhandene Mehrheitsalternative m nicht gewählt wird sondern stattdessen irgendeine andere Alternative y, dann hätten diejenigen, für die m besser ist als y, sich zusammentun können und mit ihrer Mehrheit und ihrem größeren Stimmgewicht die für sie bessere Mehrheitsalternative m durchsetzen können.

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Die "unsichtbare Hand in der Demokratie

Die hier vertretene Interpretation des Mehrheitsprinzips fordert jeden Wähler auf, so zu wählen, dass das für ihn selber beste Ergebnis herauskommt. Dabei kommt es automatisch zu Wahlabsprachen und Wahlbündnissen.

Diese Freisetzung des "(Gruppen-)Egoismus" erscheint auf den ersten Blick unverständlich und falsch.

Das Überraschende bei Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip ist aber nun, dass das eigeninteressierte Verhalten der Beteiligten zur Durchsetzung der Mehrheitsalternative führt, also derjenigen Alternative, die im Paarvergleich "jeder gegen jeden" immer die Mehrheit der Stimmen gewinnt.

Es wirkt hier eine Art "invisible hand" wie in einer Marktwirtschaft unter Konkurrenz. Weil die Kapitaleigentümer möglichst hohe Profite machen wollen, fließt Kapital in Branchen mit hohen Gewinnspannen und starker Nachfrage. Dadurch erhöht sich jedoch das Angebot. Die Preise sinken und die Gewinnspannen gleichen sich dem Durchschnitt an. Gerade das eigeninteressierte Verhalten der Einzelnen in der Marktwirtschaft führt also unter Konkurrenzbedingungen zu einer Lenkung der Investitionen in Bereiche mit relativ starker Nachfrage und damit zu einem allgemein erwünschten Ergebnis.

In analoger Weise führt im politischen Bereich gerade die Orientierung an den eigenen Interessen bei der Bildung von Wahlbündnissen zur Durchsetzung einer vorhandenen Mehrheitsalternative und damit zu einem Resultat, das in der Regel auch unter dem Gesichtspunkt des Gemeinwohls akzeptabel ist.

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Die Nicht-Berücksichtigung der Präferenzintensitäten bei Einzelentscheidungen

Wenn man annehmen kann, dass die Abstimmenden von der anstehenden Entscheidung in ihren Interessen annähernd gleich stark betroffen sind, so gibt es gute Gründe dafür, dass die Befriedigung der Interessen der Mehrheit Vorrang erhält gegenüber der Befriedigung der Interessen der Minderheit.

Das Mehrheitsprinzip kann jedoch auch dazu führen,
dass eine schwach betroffene Mehrheit eine elementar betroffene Minderheit überstimmt. Dies ist umso problematischer, je knapper die Mehrheit dabei ist. In solchen Fällen sollte das Mehrheitsprinzip nicht angewendet werden.

Bei isolierten Abstimmungen über einzelne Probleme besteht die erhöhte Gefahr, dass Minderheiten in ihren elementaren Interessen überstimmt werden. (Dies gilt nicht bei Abstimmungen über Punkte, die alle gleichermaßen  angehen wie z. B. Verfassungsänderungen.)

Wenn dagegen über umfangreiche Programme abgestimmt wird, die ein Bündel zahlreicher Vorschläge beinhalten, ist diese Gefahr weitaus geringer, denn die Abstimmenden wählen die Programme danach aus, ob diese in Bezug auf die für sie entscheidenden Punkte in ihrem Sinne gestaltet sind und weil von der Politik einer ganzen Legislaturperiode alle Bürger annähernd gleich stark betroffen sind.

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Das Mehrheitsprinzip erfüllt verschiedene wünschenswerte Bedingungen:

Es erfüllt zum einen die Bedingung der
Anonymität in Bezug auf die Abstimmenden. Es spielt keine Rolle, um wessen Präferenzen es sich handelt. Die Stimmzettel können deshalb geheim ausgefüllt werden, ohne die Identität des betreffenden Individuums zu erfassen.

Weiterhin erfüllt das Mehrheitsprinzip die Bedingung der
Neutralität gegenüber den zur Entscheidung stehenden Alternativen. Das heißt, dass kein Vorschlag gegenüber den anderen Vorschlägen irgendwie bevorzugt oder benachteiligt wird. Das ist z.B. der Fall bei Veto-Regeln und Sperrminoritäten.

Selbstverständlich erfüllt das Mehrheitsprinzip auch die Bedingung der
Nicht-Diktatur. Das heißt dass kein Individuum mit seinen Präferenzen allein entscheidend ist.

Schließlich erfüllt das Mehrheitsprinzip auch noch die Bedingung der
positiven Berücksichtigung der individuellen Präferenzen. Es aggregiert die individuellen Interessen gewissermaßen "wohlwollend".

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Das Mehrheitsprinzip führt bei Anwendung auf mehrere Entscheidungen zu unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem, ob und wie man die einzelnen Entscheidungen zu einem Bündel zusammenfasst. Man kann über jeden Tagesordnungspunkt einzeln abstimmen - also gar keine Bündelung vornehmen - , man kann alle Punkte zu einem umfangreichen "Paket" bündeln. Denkbar sind jedoch auch mehrere Teilbündel. Ich schlage vor, diese Eigenschaft von kollektiven Entscheidungsregelnals "Bündelungsempfindlichkeit" zu bezeichnen.

Diese Bündelungsemfindlichkeit hängt damit zusammen, dass die Mehrheitsregel als Entscheidungsgrundlage nur die Präferenzordnungen der Abstimmenden berücksichtigt. Das bedeutet, dass nur erfasst wird, ob eine Alternative x für ein Individuum besser ist als die Alternative y oder nicht. Es wird jedoch nicht erfasst, um wieviel die Alternative x für das Individuum besser ist als y. Der wertmäßige Abstand zwischen den Alternativen bleibt also unberücksichtigt.

Es spielt deshalb für das Ergebnis einer Abstimmung keine Rolle, ob eine Alternative x für den Abstimmenden nur unwesentlich besser ist als eine Alternative y oder ob x ideal und y katastrophal für das Individuum ist: In beiden Fällen ergibt sich x > y.

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Wenn man Serien von Einzelentscheidungen zu einer Gesamtentscheidung bündelt, dann wirken sich die subjektiven Wertabstände zwischen den Alternativen aus.

Weil bei einer Bündelung der Einzelentscheidungen zu umfassenden Programmen berücksichtigt wird, wie wichtig einem Individuum die einzelnen Punkte des Programms sind, ist eine Entscheidung über solche Programme aussagekräftiger als isolierte Abstimmungen über die einzelnen Punkten, bei denen dies nicht möglich ist.

Eine Parteiendemokratie ist deshalb einer direkten Demokratie mit voneinander isolierten Abstimmungen zu den einzelnen Punkten überlegen.

Dazu ein konkretes Beispiel.

Rentner A steht vor der Entscheidung zwischen dem Wahlprogramm der Orange-Partei und dem Wahlprogramm der Blau-Partei.

Am Programm der Orange-Partei gefallen Rentner A mehrere Punkte nicht: 1. dass die Benzinsteuer erhöht werden soll, 2. dass Schulgebühren eingeführt werden sollen und 3. dass im öffentlichen Dienst Personal abgebaut werden soll.

Am Programm der Blau-Partei gefällt Rentner A nur ein Punkt nicht, der besagt, dass die Rentenversicherung nicht mehr aus Steuermitteln bezuschusst werden soll.

Da die Höhe der Rente für A von elementarem Interesse ist während die andern 3 Punkte für A keine so große Rolle spielen, wählt Rentner A trotzdem die Orange-Partei.

Dadurch bekommen die Punkte Benzinsteuererhöhung, Schulgebührenerhöhung und Personalabbau im öffentlichen Dienst die Stimme von Rentner A, die sie bei Einzelabstimmungen niemals erhalten hätten.

Auf parlamentarischer Ebene folgt daraus, dass die Abgeordneten der regierenden Koalitionsparteien auf das gesamte Regierungsprogramm eingeschworen werden müssen und sich bei den Abstimmungen zu den einzelnen Gesetzen an die
Fraktions- und Koalitionsdisziplin halten müssen.

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Im Mehrheitsprinzip haben alle Beteiligten das gleiche Stimmrecht. D.h., dass ihre Interessen gleichgewichtig in die kollektive Entscheidung eingehen. Man könnte annehmen, dass dadurch die Vormachtstellung von Gruppen unmöglich gemacht wird. Dies ist jedoch ein Irrtum. Demokratie kann ohne weiteres einhergehen mit der Vorherrschaft einzelner Gruppen.

Wenn in einer gegebenen Wahlsituation eine bestimmte Gruppe Machtpositionen innehat, so kann sie diese Machtposition zur Beeinflussung des Wahlergebnisses einsetzen.

Sie kann dies auf zweierlei Wegen tun.

Erstens kann sie mit ihren Machtmitteln auf die Meinungsbildung Einfluss nehmen.

Zum andern kann sie ihre Machtposition auch dazu gebrauchen, dass es bei einem für sie ungünstigen Wahlergebnis, zu Folgewirkungen kommt, die für eine Mehrheit der Wähler sehr negativ sind. Da die Wähler dies wissen, verzichten sie von vornherein auf ein Votum, das die mächtige Gruppe beeinträchtigen würde.

Ein Beispiel für diesen Mechanismus ist das Problem der Kapital- und Steuerflucht. Wenn mehrheitlich eine Politik beschlossen würde, die die Interessen der Vermögenden angreift, so wären Kapitalflucht und Steuerflucht die Folge. Dies würde zu erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten führen.

Es ist also im Interesse der Wähler, dass ein solcher Fall nicht eintritt.

Wie ist so etwas möglich, wo doch die Wahlentscheidung aller Beteiligten geheim bleibt und frei von Sanktionen und Sanktionsdrohungen ist?

Durch ihre Machtpositionen können die Mächtigen die zur Verfügung stehenden Alternativen einschränken. Dies kann völlig legal sein und stellt insofern keine unzulässige Erpressung dar.

Dass es bei der Einführung einer drastischen Vermögenssteuer zu einer Kapital- und Steuerflucht ins Ausland kommt, ist allerdings kein Naturgesetz sondern beruht auf menschlichen Entscheidungen und Handlungen.

Das heißt: Eine eigentlich vorhandene Alternative (Die Vermögenssteuer wird erhöht, die Vermögen bleiben im Lande und die erhöhten Abgaben werden gezahlt) ist nicht verfügbar, weil die Vermögenden in einer bestimmten Weise auf einen für sie nachteiligen Mehrheitsbeschluss reagieren würden.

Entsprechendes gilt für andere Machtpositionen. Etwa wenn zum Zeitpunkt der Wahl das Militär eine Machtposition einnimmt und im Falle eines Wahlerfolges einer radikalen Partei, deren Ziele sie nicht billigen, per Staatsstreich die Macht übernimmt.

Um dies zu vermeiden, verzichten viele Wähler dann von vornherein auf die Wahl der radikalen Partei.

Durch die Machtposition wird die äußerlich freie Wahlentscheidung insofern verändert, als der Bereich der verfügbaren Alternativen eingeschränkt wird. Die eigentlich mögliche Alternative: "Die radikale Partei erhält die Mehrheit und das Militär hält still" ist damit nicht mehr verfügbar.

Damit werden die Wähler in ihrer Wahlfreiheit jedoch auf eine schwer zu fassende Weise eingeschränkt. Auch in dieser Hinsicht ist die Anwendung des Mehrheitsprinzips also kein Allheilmittel.

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Die Wahl des Landesparlaments in Bremen 2007 ist ein Anlass, einige von uns diskutierte Punkte des Mehrheitsprinzips daran festzumachen, und auf Aspekte zu verweisen, die bisher nicht zur Sprache kamen.

Zuerst noch mal das Ergebnis anhand der Sitze in der Bremer Bürgerschaft.

SPD: 33 / CDU: 23 / Grüne: 14 / Linke: 7 / FDP: 5 / DVU: 1

Es gibt also insgesamt 83 Sitze im Parlament. Für die Wahl der Landesregierung wird somit eine absolute Mehrheit von 42 Sitzen benötigt.

Rein rechnerisch erreichen folgende 5 Koalitionen mindestens 42 Sitze und könnten damit theoretisch regieren:

(SPD + CDU)                =  33+23  =      56
(SPD + Grüne)              =  33+14 =      47
(SPD + Linke + FDP)     =  33+7+5 =   45
(CDU + Grüne + FDP)   = 23+14+5 =  42
(CDU + Grüne + Linke) = 23+14+7=   44

Dies ist eine gewisse Bestätigung für die These, dass die eigentliche Wahl der Bürger keine direkte Entscheidung über die Politik der nächsten Jahre darstellt. Die Regierungskoalition und das Regierungsprogramm ergeben sich erst aus den Verhandlungen der Parteien, die hinter verschlossenen Türen geführt werden.

Aufgrund der unterschiedlich großen Differenzen zwischen den politischen Positionen der Parteien scheiden davon einige rechnerisch mögliche Koalitionen als unwahrscheinlich aus.

Wenn man versucht, die Parteien auf einer politischen Links-Rechts-Dimension anzuordnen, ergibt sich folgendes Bild:

---Linke (7)---- Grüne (14)------------------ SPD (33)--------- FDP (5)------- CDU (23)---- DVU (1)---
--|||||||-------||||||||||||||---|||||||||||||||||||||||||||||||||---|||||---||||||||||||||||||||||---|----

Bei dieser Anordnung besetzt die SPD die Mitte. Der "mediane" Abgeordnete ist der 42. Abgeordnete: 41 Abgeordnete sind "rechter" als er und 41 Abgeordnete sind "linker" als er. Jede Koalition gegen die SPD wäre instabil, sodass als realistische Koalitionen nur die Kombinationen SPD + CDU und SPD + Grüne in Frage kommen.

Wenn man jedoch die SPD links von den Grünen einordnet und die FDP rechts von der CDU, so ergibt sich folgendes Bild:

---Linke (7)--------------- SPD (33)-------------- Grüne (14)---------- CDU (23)----- FDP (5)- DVU (1)
---|||||||---|||||||||||||||||||||||||||||||||------||||||||||||||---|||||||||||||||||||||||--|||||------|----

In diesem Fall besetzen die Grünen die Mitte und hätten die Wahl zwischen einer Koalition mit der SPD und einer Koalition mit CDU und FDP.

Gegenwärtig erscheint eine Koalition aus Grünen, CDU und FDP aber als ausgeschlossen. Außerdem wäre die Mehrheit in der Bürgerschaft mit 42 Sitzen denkbar knapp, wenn man die zu erwartende Zerreißprobe bei den Grünen im Falle einer Koalition mit der CDU und der FDP berücksichtigt. Wenn nur ein Grüner aus Protest zur SPD wechseln würde, so wäre die Mehrheit bereits dahin.

Die Wahl hat weiterhin gezeigt, dass das parlamentarische System das Aufkommen neuer Parteien nicht prinzipiell verhindert.

Das große Problem bei dieser Wahl sind allerdings die 43 % der Wahlberechtigten, die gar nicht zur Wahl gegangen sind,

***

Durch die Zweistufigkeit wird das Mehrheitsprinzip in seinem Funktionieren schwer überschaubar.

Stufe 1: Die Wähler wählen das Parlament, das entsprechend den Stimmenverhältnissen für die Parteien zusammengesetzt wird (Verhältniswahlrecht).

Stufe 2: Das Parlament wählt mit der Mehrheit der Abgeordneten eine Regierung.

Wenn keine Partei eine absolute Mehrheit (d.h. mehr als die Hälfte der Abgeordneten) erhält, müssen Koalitionen gebildet werden. Über die Koalitionen entscheiden die Abgeordneten. Die Wahl eines Regierungschefs, die gewöhnlich in geheimer Abstimmung erfolgt, kann u. U. durch einen einzigen, anonym bleibenden Abgeordneten verhindert werden, wie bei der letzten Regierungsbildung in Schleswig-Holstein geschehen.

Eine derartige Verselbständigung von Vertretern gegenüber denen, die sie vertreten sollen, ist in anderen gesellschaftlichen Bereichen nicht üblich. Nach § 168 des Bürgerlichen Gesetzbuches kann derjenige, der eine Vertretungsvollmacht erteilt hat, diese auch jederzeit widerrufen.

Durch das Verhältniswahlrecht kommen jedoch viele Abgeordnete nicht durch Direktwahl in einem Wahlkreis in das Parlament sondern über Listenplätze, d.h. über Parteibeschlüsse. Die Abgeordneten repräsentieren nach dem Verständnis des Grundgesetzes nicht eine bestimmte Gruppe von Wählern, sondern nach § 38 des Grundgesetzes sind sie Vertreter des ganzen Volkes. Sie sind nicht an Weisungen oder Aufträge gebunden sondern nur ihrem Gewissen verantwortlich.

In dieser Formulierung bleibt unklar, ob der Passus: "Sie sind Vertreter des ganzen Volkes" bedeutet, dass alle Abgeordneten zusammen das ganze Volk vertreten sollen, oder ob jeder einzelne Abgeordnete das ganze Volk vertreten soll.

In dieser Konstruktion haben die Bürger ihre Entscheidungsgewalt tatsächlich unwiderruflich für die Dauer der Legislaturperiode an die Abgeordneten abgetreten.

Wenn man die Formulierung "Sie sind Vertreter des ganzen Volkes" so versteht, dass das Parlament als Ganzes das ganze Volk vertreten soll, dann wäre das Parlament eine Art verkleinertes Modell der Wählerschaft, das nun an Stelle der Gesamtheit der Wähler die politischen Entscheidungen erzeugt.

Die Frage ist, ob sich das Parlament als Modell analog zur Gesamtheit der Wähler verhält.

Um nur ein Problem einer solchen Repräsentationstheorie zu nennen:

Wo sind im Parlament diejenigen repräsentiert, die ihr Wahlrecht nicht ausgeübt haben? Wie die Wahl in Bremen zeigt, können die
Nichtwähler ja einen großen Prozentsatz der Bevölkerung ausmachen. Müsste es deshalb nicht konsequenter Weise eine Wahlpflicht geben, wie in Belgien, um die Repräsentativität des Parlamentes in dieser Hinsicht zu sichern?

Um verbindliche Entscheidungen für ein Kollektiv zu treffen, ist das Mehrheitsprinzip m. E. am besten geeignet, weil alle anderen Verfahren entweder das Vetorecht kleiner Gruppen beinhalten (wie die Einstimmigkeitsregel mit Beibehaltung des Status quo, wenn keine Einstimmigkeit erzielt wird) oder aber sich von den Interessen der Einzelnen abkoppeln können (wie z. B. die Einparteienherrschaft einer selbsternannten Avantgarde mit der entsprechenden Rechtfertigungs-Ideologie).

Allerdings halte ich das Mehrheitsprinzip nur deshalb für notwendig, weil die rationale Argumentation (der herrschaftsfreie Diskurs, der Streit der Gelehrten) nicht zu einem definitiven Resultat in Form eines allgemeinen Konsenses führen muss.

Je größer in einer Gesellschaft jedoch der Bereich des allgemein einsichtigen Konsenses ist, desto besser für diese Gesellschaft.

***

Das Mehrheitsprinzip ist ein praktikables Normsetzungsverfahren, das sich allerdings daran messen lassen muss, wie nahe seine Resultate einem argumentativ bestimmten Gemeinwohl oder Gesamtinteresse kommen. Dass dies unter bestimmten Bedingungen nicht der Fall ist, lässt sich leicht zeigen.

Bei Einzelabstimmungen nach dem
Mehrheitsprinzip spielen nur die Rangfolgen der Alternativen eine Rolle. Wie stark die Einzelnen von einer Entscheidung betroffen sind, wird nicht erfasst. Dadurch bildet im Mehrheitssystem der "mittlere" bzw. mediane Wähler den Gleichgewichtspunkt, zu dem alle Wahlabsprachen und Koalitionen hin tendieren.

Nehmen wir ein fiktives Beispiel. Es geht um die Höhe der Mineralölsteuer pro Liter. Wir haben 5 Individuen (A,B,C,D,E), die jeweils pro Liter den folgenden Steuerbetrag in Cent (c) befürworten:

 

                        A - 10 c ------- B - 20 c ------- C - 70 c ------- D - 80 c ------- E - 100 c

In diesem Fall ist C der mediane Wähler und die Alternative 70 Cent Mineralölsteuer pro Liter setzt sich bei einer Abstimmung durch. Angenommen, A und B würden ihre Meinung ändern und nur für eine weit höhere Steuer plädieren:

                        A - 60 c ------- B - 60 c ------- C - 70 c ------- D - 80 c ------- E - 100 c

 

Trotz dieser Veränderung der Meinungen – immerhin treten jetzt mehr als 1 Drittel der Beteiligten für eine sehr viel höhere Mineralölsteuer ein als zuvor – ändert sich am Resultat einer Abstimmung nach dem Mehrheitsprinzip nichts, denn C bleibt weiterhin der mediane Wähler.

Hier sieht man, wie grob im Mehrheitssystem die Interessen der Beteiligten erfasst werden. Das Mehrheitsprinzip ist insofern nicht sakrosankt, sondern es muss nach sozialethischen normativen Kriterien geprüft werden, wo seine Anwendung sinnvoll ist und wo nicht.

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Auseinandersetzung mit einem Demokratiekritiker

Du behauptest: "Es kann kein Recht geben, dem Pöbel die Verantwortung für ein ganzes Land zu geben."
Was meinst Du mit dem Wort "Pöbel" ? Wenn ich in meinem alten Sprach-Brockhaus nachsehe, so finde ich unter "Pöbel" die Erläuterung: "gemeines, rohes Volk, niedere Masse" und unter "pöbelhaft" die Erläuterung: "gemein, gewöhnlich, frech".

Da Du schreibst, dass das allgemeine Wahlrecht nichts anderes ist als dem Pöbel das Recht zu bestimmten Handlungen zu geben, ergibt sich, dass Du mit dem Wort "Pöbel" die Gesamtheit der Wahlberechtigten eines Landes bezeichnest. Deine Behauptung lässt sich demnach folgendermaßen formulieren: "Es kann kein Recht geben, den Wahlberechtigten die Verantwortung über ein ganzes Land anzuvertrauen." Damit ist mir allerdings schleierhaft, aus welcher Moral und welchem Naturrecht Du diese Behauptung ableitest.

Du könntest einwenden: "Ich habe nicht umsonst vom Pöbel gesprochen und nicht von den Wahlberechtigten. Indem ich die Wahlberechtigten als "Pöbel" bezeichne, sage ich ja etwas über diese Wahlberechtigten aus. Sie sind eine niedere Masse, ein gemeines und rohes Volk."

Dann würde ich an Dich die Frage stellen, was Du mit den Wörtern "gemein", "roh" oder "niedrig" wohl meinst. Im Sprach-Brockhaus finde ich unter "gemein" die Erläuterung "1.) gewöhnlich, verbreitet, und 2.) niedrig gesinnt, grob, boshaft" und unter "niedrig" steht "1.) nicht hoch, flach, 2.) geringen Standes, 3.) gemein". Für unseren Kontext kommt wohl nur die Bedeutung unter 3.) in Frage, womit sich die Erläuterungen im Kreise drehen:

Wie jeder leicht merken kann, haben diese Wörter einen minimalen empirischen Gehalt aber einen eindeutig negativ wertenden Gehalt.

Dass Du die Wahlberechtigten als "gemein" bewertest und deren Gesinnung als "niedrig", stellt ein Werturteil dar, das völlig unbegründet im Raum steht. Offenbar setzt Du voraus, dass dies Werturteil von den Diskussionsteilnehmern geteilt wird. Auch hier muss ich sagen: Zumindest für meine Person kannst Du diese Voraussetzung nicht machen, weshalb auch Deine Wertprämissen völlig in der Luft hängen.

Du behauptest weiterhin, mit dem allgemeinen Wahlrecht werde den Wahlberechtigten die Verantwortung für ein Land anvertraut, damit es freie, friedfertige und fleißige Menschen nach Belieben beherrschen, ausplündern und ausbeuten kann.

Die Frage ist, wen Du mit den "freien, friedfertigen und fleißigen Menschen" meinst.

Da das allgemeine Wahlrecht die Grundlage bildet und die daraus resultierende Gesetzgebung gemeint ist, kann es sich bei den "freien Menschen" nur um die Bevölkerung desselben Landes handeln, denn nur für diese sind die von der Mehrheit gemachten Gesetze bindend.

Damit sind wir bei dem skurrilen Ergebnis angelangt, dass die Wahlberechtigten gemein und von niederer Gesinnung sind, während die Bevölkerung freie, friedfertige und fleißige Menschen sind. Da sich beide Gruppen weithin decken und aus den gleichen Individuen bestehen, sind Deine Behauptungen zumindest überraschend, wenn nicht sogar widersprüchlich.

Du behauptest nun, durch das allgemeine Wahlrecht werde den Wahlberechtigten die Macht gegeben, damit sie die Bevölkerung beherrschen und ausplündern können.

Dem kann ich nicht folgen. Das Wort "damit" kennzeichnet den Zweck. Wenn man sagt: "Person A tut das, damit …", dann folgt hinter dem Wort "damit" der Zweck, den Person A mit diesem Tun verfolgt.

Es stellt sich bei Deiner Behauptung sofort die Frage, wer denn diesen Zweck mit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts verbindet. Und weiterhin stellt sich die Frage, wie eine derartige Motivunterstellung nachprüfbar begründet werden kann. Auf beide Fragen findet sich bei Dir keine Antwort. So stehen auch diese Behauptungen völlig unbegründet im Raum.

Unabhängig von dieser Motivunterstellung behauptest Du, dass die Wahlberechtigten tatsächlich in Deutschland die Bevölkerung ausplündern, denn hier gibt es ja das allgemeine Wahlrecht.

Es stellt sich die Frage, was Du mit "ausplündern" meinst. Der Brockhaus erläutert "plündern" mit "ausrauben". Wenn Du z. B. das Erheben von Steuern damit meinst, so handelt es sich dabei nicht um "Raub" im rechtlichen Sinne. Ich vermute deshalb, dass es sich auch hier um Ausflüsse einer von Dir nicht näher begründeten Moralkonzeption handelt.

Was bleibt von den starken Worten übrig? Heiße Luft.

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Das Mehrheitsprinzip schafft keine Gewalt, sondern vermeidet Gewalt, dort wo Einmütigkeit nicht, nicht rechtzeitig oder nur unter nicht vertretbaren Kosten erzielt werden kann und wo die konservative Lösung "Wenn man sich nicht einigen kann, bleibt alles so wie es ist" keine akzeptable Lösung ist, sondern nur Ausfluss der Ideologie von der Souveränität der Eigentümer und der Freiheit ihrer Verträge.

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Du erhebst einen grundlegenden Einwand gegen eine Interpretation des Mehrheitsprinzips als eine Methode zur Zusammenfassung von Interessen. Du weist darauf hin, dass das, was Menschen wollen, nicht nur von ihren Interessen bestimmt wird, sondern auch von ihren Werten bzw. Idealen.

Ich stimme Dir hierin zu und muss zugleich sagen, dass auch für mich das Verhältnis zwischen Interessen und Werten keineswegs geklärt ist. Die Tatsache, dass ein Individuum die Alternative x der Alternative y vorzieht, sagt noch nichts darüber aus, ob diese Präferenz seine Interessenlage oder seine Werthaltungen ausdrückt.

Richtig ist, dass die Werte, die ein Mensch vertritt, nicht völlig durch seine Interessenlage bestimmt sind. Zwar bestimmt das gesellschaftliche Sein in starkem Maße auch das Bewusstsein in Form von Werthaltungen und Einstellungen. Die meisten Sozialhilfe-Empfänger werden gegen die Kürzung von Sozialleistungen sein und dies auch mit moralisch/politischen Werten vertreten, und die meisten Millionäre werden gegen eine höhere Vermögenssteuer sein und dies ebenfalls mit moralisch/politischen Werten verteidigen.

Aber wir können auch versuchen, einen unparteiischen Standpunkt einzunehmen und für andere nachvollziehbar zu argumentieren. Wir können versuchen, intersubjektiv nachvollziehbare und allgemeingültige Antworten auf unsere Fragen zu finden.

Werte und Ideale sind nach meinem Verständnis im Bereich des Allgemeingültigen angesiedelt. Sie beanspruchen allgemeine Zustimmung, sie wollen dauerhaft geteilt werden. Über Werte und Ideale stimmt man nicht ab, sondern sie werden argumentativ begründet oder kritisch hinterfragt. Oder auch: Man hat sie eben und steht zu ihnen, gleichgültig, ob andere diese Werte teilen oder nicht. Deshalb werden Wertentscheidungen auch durch Bündnisse nicht "richtiger".

Interessen dagegen ändern sich je nach Lebenslage und sozialer Position.

Wertfragen wie: "Sind der Schwangerschaftsabbruch oder das Experimentieren mit Stammzellen moralisch verwerflich?" können nicht durch Abstimmungen entschieden werden, sondern nur durch Argumentation.

Diese (vorläufige) Antwort befriedigt mich auch selber nicht. Hier bleibt noch viel zu klären.

Soviel zur Rolle der Werte und Ideale.

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Die Bildung einer Gesellschaftsordnung: eine kleine Robinsonade

Mehrere Schiffbrüchige werden auf eine verlassene Insel fernab jeder Zivilisation verschlagen, abgeschnitten von der übrigen Menschheit. Sie versuchen zu überleben, bis jemand sie findet. Wann das sein wird, kann niemand sagen.

Auf der Insel gibt es u. a. gefährliche Raubtiere, einige Kokospalmen, eine Stelle mit Beerensträuchern, eine Bucht mit Fischen, zwei Höhlen im Gestein, eine Süßwasserquelle u.a.m.

Die Schiffbrüchigen beginnen nach dem ersten Schock, jeder für sich nach Wasser und nach Essbarem zu suchen. Als es dunkel wird, suchen sie nach geschützten Schlafplätzen.

In den nächsten Tagen kommt es zu ersten Konflikten.

Jemand hat viel mehr Beeren abgepflückt, als er essen kann, andere gingen leer aus.

Diejenigen, die sich als erste die Höhlen als sichere Schlafplätze ausgesucht haben, wollen nicht, dass noch weitere dort schlafen.

Einige haben versucht, in der Bucht Fische zu fangen, aber dabei wurden sie von anderen gestört, die dort Baden wollten.

Einer hat in der Nähe der Bäume ein Feuer gemacht, das sehr leicht zu einem für alle verheerenden Waldbrand führen kann. Deshalb haben andere das Feuer ausgetreten.

Die Frage ist, wie die Schiffbrüchigen – ich nenne sie ab jetzt mal "Insulaner" – mit diesen Konflikten umgehen.

Eine Möglichkeit ist: Die Insulaner lassen den Dingen ihren Lauf. Wo Konflikte sind, setzt sich der Stärkere durch und entscheidet die Konflikte in seinem Sinne. Dies geht nicht immer ohne Kampf ab.

Dabei wird die Sache dadurch kompliziert, dass sich Insulaner mit anderen zusammentun, um sich gegen einzelne Starke durchzusetzen. Dabei bildet sich nach einiger Zeit eine "Hackordnung" entsprechend der Stärke der gebildeten Einzelnen oder Gruppen heraus, die nur noch gelegentlich in Frage gestellt wird. Dabei kann es dann zu veränderten Rangfolgen kommen.

Diese Ordnung beruht allein auf den Machtverhältnissen. Das Individuum, das an der Spitze der Machtpyramide steht, kann seine Interessen gegen die der andern durchsetzen, aber es kann sich nicht auf irgendeine Berechtigung dazu berufen. Es kann mit seiner überlegenen Macht drohen und Gehorsam erzwingen, aber es kann die Forderung nach Befolgung seiner Befehle gegenüber den Adressaten dieser Befehle nicht einsichtig begründen.

Nun könnte ein Insulaner, der die Hackordnung nicht gerade berauschend findet, den Vorschlag machen: "Lasst uns unsere Konflikte nicht nach dem Pseudorecht des Stärkeren entscheiden, sondern einvernehmlich. Die Lösung, die alle einstimmig befürworten, soll zukünftig für uns maßgeblich sein. Die Einstimmigkeit garantiert, dass niemand zu etwas gezwungen wird, was er nicht will. Nur so bleiben wir alle frei."

Nach anfänglicher Begeisterung für diese ideale Methode der Konfliktlösung gab es jedoch schon bald lange Gesichter, denn fast immer stimmte irgendjemand gegen eine vorgeschlagene Lösung, sodass die Regel der Einstimmigkeit ohne praktischen Nutzen war. Für die Egoismen der einzelnen Insulaner gab es offenbar keinen gemeinsamen Nenner.

Da ergriff einer der älteren Insulaner das Wort und sagte: "Die Einmütigkeit für die Lösung von Konflikten ist nicht einfach vorhanden und muss nur durch Handaufheben festgestellt werden. Wir müssen uns um Einigkeit bemühen. Wir müssen solche Argumente und Positionen ausschließen, die eine Übereinstimmung systematisch verhindern.

Wer nur von seinem eigenen Interesse ausgeht, der macht eine Einigung unmöglich. Einigung ist dann möglich, wenn jeder auch die Interessen der andern unparteiisch berücksichtigt. Wir müssen nach solchen Lösungen suchen, die für alle gemeinsam am ehesten akzeptabel sind. So sollte das Feuermachen am Wald generell verboten werden, denn eher kann allen zugemutet werden, einen anderen Feuerplatz zu suchen, als allen zuzumuten, sich dem Risiko eines Waldbrandes auszusetzen."

Über das vorgeschlagene Verbot wurde noch bis tief in die Nacht diskutiert, weil zwei Insulaner das Risiko eines Waldbrandes bei ihrem Grillfeuer ausschlossen. Der Konsens aufgrund von Argumenten blieb unsicher.

Am nächsten Morgen – noch etwas unausgeschlafen – machte jemand einen anderen Vorschlag: "Wenn sich hier immer alle mit allem befassen müssen, kriegen wir überhaupt keinen Schlaf mehr. Ich schlage vor, wie teilen die Insel in soviel möglichst gleichwertige Grundstücke auf, wie wir an Köpfen zählen, und verlosen dann die Grundstücke. Jeder kann dann über sein Grundstück nach Belieben verfügen. Wenn andere etwas von ihm bzw. von seinem Grundstück wollen, dann müssen sie sich mit ihm einigen, also einen Vertrag schließen mit den wechselseitigen Verpflichtungen. Damit sparen wir uns diese ständigen Sitzungen mit allen andern."

Das erschien einigen als das Ei des Kolumbus: Kein Zwang, keine Dauersitzungen mit endlosen Debatten.

Aber dann kamen doch einige Fragen auf:

- "Aber wenn auf seinem Grundstück der Wald brennt, dann greift das Feuer doch auf die Nachbargrundstücke über."
- "Wer kümmert sich um unsere Flaschenpost? Ich sehe da schon einige Trittbrettfahrer, die einerseits die Mühe, eine Flaschenpost herzustellen, scheuen, die sich aber andererseits gerne retten lassen, wenn die Flaschenpost Erfolg haben sollte."
- "Wie soll ich mich denn auf der Insel bewegen können, wenn alles Privatgrundstücke sind? Soll ich mir jedes Mal eine Genehmigung zum Betreten holen oder gar kaufen?"
- "Die einzige Trinkwasserquelle liegt auf dem Grundstück eines bestimmten Insulaners. Soll er mit diesem Monopol über ein lebenswichtiges Gut alle andern arm machen dürfen?"

Zahlreiche Fragen und Einwände kamen zu der vorgeschlagenen privaten Eigentumsordnung. Offenbar wurden einige Konflikte durch dies System nicht vernünftig gelöst und ganz neue Konflikte tauchten auf: der Gegensatz zwischen armen und reichen Insulanern, der Gegensatz zwischen Gläubigern und Schuldnern unter den Insulanern.

Wie sollten nun die Konflikte entschieden werden, die eine Ordnung aus den Institutionen des Privateigentums und der Vertragsfreiheit nicht zufriedenstellend lösen kann?

Hier gab es wieder verschieden Vorschläge: "Wir stimmen selber über diese Fragen mehrheitlich ab." "Wir bestimmen einen König auf Lebenszeit, der die Entscheidungen fällt", "Wir bestimmen ein Gremium aus 3 klugen Köpfen, um zu entscheiden."

(Aber wie sollte der König bzw. wie sollte das Gremium in seiner personellen Zusammensetzung bestimmt werden? Nach dem Mehrheitsprinzip?)

Wenn man nicht wollte, dass kleine Gruppen oder gar einzelne die Entscheidungen blockierten, dann durfte man keine Einstimmigkeit fordern. Die Stimmen der Beteiligten waren nur dann gleichgewichtig, wenn nicht zur Durchsetzung der einen Alternative x mehr Stimmen erforderlich waren als zur Durchsetzung einer konkurrierenden Alternative y. Jede Forderung nach einer Stimmenzahl über der absoluten Mehrheit der Stimmen führt jedoch zu einer Verletzung der Gleichgewichtigkeit.

Wenn z. B. eine Zwei-Drittel-Mehrheit gefordert wurde, um eine Alternative durchzusetzen, so genügten zur Beibehaltung des Status-quo bereits 1 Stimme mehr als ein Drittel der Stimmen. Man kann das zu recht als "konservative Schlagseite" bezeichnen.

Ein letzter Vorschlag kam dann noch. Ein Insulaner sagte: "Was hier gesagt wurde, kann schnell wieder vergessen werden. Lasst uns aufschreiben, nach welchen Regeln wir die verschiedenen Konfliktarten lösen wollen." Und so kam es zur Verfassung der Insulaner, die schließlich von allen unterschrieben wurde.

***

Das Mehrheitsprinzip ist vielleicht das Herzstück der Demokratie, aber es macht keineswegs die ganze Demokratie aus. Dazu gehören noch: Verfassungsstaat, Verfassungsgericht, Rechtsstaat, Gewaltenteilung, legale Opposition, Föderalismus, kommunale Selbstverwaltung, Menschen- und Bürgerrechte, um nur das Wichtigste zu nennen. 

Schwachstellen des Mehrheitsprinzips sind:

- die verdeckte Beeinflussung der Wähler durch diejenigen, die über die Medien verfügen (Manipulation),

- der immense Informations- und Entscheidungsaufwand, wenn alle über alles abstimmen (Entscheidungsaufwand),

- die Benachteiligung von Minderheiten (Minderheitenschutz)

- der unterschiedliche Grad an Informiertheit bei den Wählern (Informationsgefälle).

Als mögliche Gegenmaßnahmen wurden genannt:

Zum Problem "Manipulation" :
- Veränderung der Medienlandschaft durch ein Pressegesetz, das die Konzentration des Eigentums an Medien in den Händen weniger verhindert,
- Verpflichtung der Medien zur Information.

Zum Problem
"Entscheidungsaufwand" :
- Vertretung der Staatsbürger durch auf Zeit gewählte Abgeordnete,
- Dezentralisierung der Entscheidungsebenen durch Selbstverwaltung von Gemeinden, Regionen etc. in Bezug auf bestimmte Entscheidungsbereiche,
- Beschränkung der Abstimmungen auf allgemeine Gesetze,
- Delegation der Geschäftsführung an eine Regierung.

Zum Problem
"Minderheitenschutz" :
- Wahlabsprachen und Wahlbündnisse zwischen den verschiedenen Minderheitsgruppen,
- Bildung von Parteien mit Programmen für Minderheiten (wenn Abgeordnete gewählt werden),
- in der Verfassung verankerte Grundrechte, die der Mehrheitsentscheidung entzogen sind,
- regionale Dezentralisierung (zum Schutz regionaler Minderheiten).

Zum Problem
"Informationsgefälle" :
- Ausstattung der Individuen mit Stimmrecht entsprechend dem Grad ihrer Informiertheit,
- Vertretung durch gewählte Berufspolitiker als Abgeordnete,
- Bildung von Parteien mit Spezialisten für die verschiedenen Politikbereiche.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen werfen jedoch ihrerseits wieder eigene Probleme auf:
- Die Repräsentation der Wähler durch Abgeordnete enthält die Möglichkeit, dass die Abgeordneten nicht die Interessen der Wähler vertreten.
- Außerdem erscheint es nicht sinnvoll, alle Entscheidungen von den Abgeordneten bzw. der Regierung treffen zu lassen, sodass die Zuständigkeit geregelt werden muss. Zumindest alle Veränderungen der Verfassung sollten von den Staatsbürgern selber beschlossen werden.

 Ungeeignet für Volksabstimmungen sind insbesondere Entscheidungen, von denen die Staatsbürger in sehr unterschiedlichem Maße betroffen sind.
- Die Dezentralisierung erfordert Entscheidungen über die Zuständigkeit der verschiedenen Ebenen und über deren Ausstattung mit Steuergeldern. Die Frage ist auch hier, nach welchen Kriterien die jeweilige Zuständigkeit festgelegt werden soll.
- Die Festschreibung von Bürgerrechten in der Verfassung erfordert ein Verfassungsgericht, das diese Rechte auslegt. Da notwendigerweise nur relativ unpräzise Formulierungen möglich sind ("Die Würde des Menschen ist unantastbar" oder "Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit" ) besteht die Gefahr, dass durch eine extensive Auslegung der Bürgerechte der politische Wille der Mehrheit zu stark eingeengt wird und notwendige Veränderungen behindert werden.
-
Die Einführung nach Informationsgrad abgestufter Stimmgewichte erfordert ein Instrument zur Messung des Grades an Informiertheit. Welche Probleme sich dabei ergeben zeigt die Diskussion der Intelligenztests. Außerdem erfordert ein solches Verfahren einen erheblichen Aufwand.

***

Wege zur Entschärfung des Problems Minderheitenschutz:

1. Die Dezentralisierung, wodurch Entscheidungen, die vorwiegend eine bestimmte Gruppe der Bevölkerung betreffen, auch nur von dieser Gruppe entschieden werden. Sinnvoll ist eine räumliche Aufteilung der Entscheidungsbefugnisse, weil die meisten physikalischen Wirkungen mit der räumlichen Entfernung abnehmen. Allerdings stellen sich erhebliche Probleme beim räumlichen Zuschnitt solcher Selbstverwaltungseinheiten auf kommunaler oder regionaler Ebene.

2. Den Schutz vor bestimmten Eingriffen in das Leben der Staatsbürger durch die Formulierung von
Menschen- und Bürgerrechten, über die nicht nach dem Mehrheitsprinzip abgestimmt werden darf.

3.Die Bildung von
Bündnissen zwischen den einzelnen Minderheitsgruppen. Die Hundehalter könnten sich z. B. mit den Studenten zusammentun, denen eine Verdoppelung ihrer Studiengebühren droht (zugegeben kein sehr realistisches Beispiel). Die Hundehalter sind bereit, gegen die Erhöhung der Studiengebühren zu stimmen, wenn die Studenten dafür gegen die Erhöhung der Hundesteuer stimmen. Die Abstimmungsbündnisse sollten letztlich natürlich so groß sein, dass eine Mehrheit zustande kommt.

Dieser Prozess der Koalitionsbildung, bei dem in Bezug auf verschiedene anstehende Entscheidungen Wahlabsprachen getroffen werden, führt zur Bildung von Parteien, die bestimmte Abstimmungspakete in Form eines Parteiprogramms zur Abstimmung stellen. Die Bewältigung dieser Aufgabe ist außerordentlich wichtig, um den Schutz der Minderheiten auch bei Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip zu erreichen. Die Bündnisbildung setzt voraus, dass die Beteiligten sich auch an die Wahlabsprachen halten. Dies ist übrigens einer der Gründe für die viel geschmähte "Fraktionsdisziplin".

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Wenn in einer Gesellschaft eine freie Koalitionsbildung nicht gegeben ist, ist die Anwendung des Mehrheitsprinzips problematisch. Man stelle sich z.B. einen Staat vor, der zu 70% aus katholischen, bäuerlichen, Suaheli sprechenden Schwarzen besteht und zu 30 % aus hinduistischen, Handel treibenden, englisch sprechenden Indern besteht.

Hier würde es sicherlich eine Partei der Schwarzen und eine Partei der Inder geben, und die Partei der Schwarzen würde in allen Entscheidungen die Mehrheit bekommen. Die Resultate des Mehrheitsprinzips bei einer derartigen Konstellation werden sicherlich nicht einem solidarisch bestimmten Gesamtinteresse entsprechen. Der Bürgerkrieg und eine Spaltung des Landes sind hier vorprogrammiert.

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Im Bundestag werden pro Jahr hunderte von Gesetzen und Gesetzesänderungen beschlossen. Dazu kommen Tausende von staatlichen Verordnungen auf den verschiedenen politischen Ebenen. Außerdem müsste noch über die Einzelentscheidungen abgestimmt werden, die jetzt die Regierung und die Ministerien treffen. Niemand könnte sich auch nur einen Bruchteil der Informationen beschaffen und sie entscheidungsreif verarbeiten, um über diese Normen und Einzelentscheidungen mit dem nötigen Sachverstand abstimmen zu können.

Insofern ist die "Basisdemokratie", in der alle kollektiven Entscheidungen von den einzelnen Staatsbürgern beschlossen werden, undurchführbar.

Die Wahl von politischen Vertretern, die zur Entscheidung bevollmächtigt sind, ist deshalb sinnvoll.
Allerdings haben diese Vertreter ein Eigeninteresse, das sich mit den Interessen derer, die sie vertreten sollen, nicht decken muss. Eine zeitliche Befristung der Vertretung ist eine wichtige Vorkehrung, damit die Abgeordneten im Sinne ihrer Wählerschaft handeln. Hier wirkt das Interesse der Politiker, wiedergewählt zu werden. Aber dies Motiv reicht keineswegs aus, vor allem wenn dagegen finanziell lukrative "Beraterverträge" und Anschlussjobs stehen.

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Die Versammlung der Abgeordneten, das Parlament, ist zwar die Stätte, wo die Probleme des Gemeinwesens besprochen werden und wo allgemeine Gesetze verabschiedet werden. Die laufenden Entscheidungen werden jedoch von der Regierung getroffen - was in Deutschland ausgedrückt wird durch den Satz der Verfassung: "Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik". Der Bundeskanzler wird von den Abgeordneten des Bundestags für eine begrenzte Zeit nach dem Mehrheitsprinzip gewählt und kann auch mehrheitlich wieder abgewählt werden. Die laufende Kontrolle der Regierung ist eine der Hauptaufgaben des Parlamentes.

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Wenn man das Mehrheitsprinzip als eine Methode betrachtet, um die Interessen der Einzelnen zu einem kollektiven Interesse zusammenzufassen, dann geht durch das Prinzip "One man (and one woman), one vote!" das Interesse jedes Wahlberechtigten mit gleichem Gewicht in die Bildung des kollektiven Interesses ein. (Das war im preußischen 3-Klassen-Wahlrecht noch anders.)

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Da die Wahl geheim ist und nicht bekannt wird, wer wie gewählt hat, kann auch niemand deswegen bedroht oder sanktioniert werden. Jeder kann also so wählen, wie er es für richtig hält und wie es seiner Interessenlage entspricht.

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Als generelle Rechtfertigung des Mehrheitsprinzips hatte ich zu Anfang angeführt, dass es dringlicher ist, die Interessen einer Mehrheit zu befriedigen als die einer Minderheit. Bei diesem Argument bleibt jedoch unberücksichtigt, dass die Einzelnen von einer Entscheidung unterschiedlich stark betroffen sein können.

Den Bewohnern von A-Dorf mag es ziemlich egal sein, wo die Kläranlage von B-Dorf gebaut wird, während für die Bewohner von B-Dorf einiges auf dem Spiel steht. Macht das Mehrheitsprinzip hier überhaupt Sinn?

Der Platz für die Kläranlage von B-Dorf war nur ein Beispiel für Entscheidungen, die eine Minderheit stark betrifft und die Übrigen nur am Rande interessiert. Diese Konstellation ist in komplexen Gesellschaften nun nicht selten, sondern eher häufig gegeben. (Das war zu Rousseaus Zeiten noch anders.)

Ob Studenten, Rentner, Behinderte, Hundehalter, Beamte, Industriearbeiter, Unternehmer, Angler, Hessen oder Leipziger: immer handelt es sich um Minderheiten.
Wenn es um etwas geht, was vorwiegend eine solche Minderheit betrifft, dann halte ich es für problematisch, wenn darüber nach dem Mehrheitsprinzip abgestimmt wird gehe ich modelltheoretisch vor. Modellannahme ist, dass die Abstimmungsberechtigten so abstimmen, dass das Ergebnis ihren eigenen Interessen am ehesten entspricht. In Bezug auf das Beispiel "Erhöhung der Hundesteuer" hieße das: Es gibt eine Volksabstimmung (also keinen Parlamentsbeschluss!) nach dem Mehrheitsprinzip.

Nach den Modellannahmen würden die Hundehalter gegen die Verdoppelung der Hundesteuer stimmen (weil sie nicht gerne mehr Steuern zahlen) und die Andern würden für die Erhöhung stimmen (weil es ihnen nicht wehtut und die öffentlichen Einnahmen verbessert werden). Die Hundehalter bleiben also in der Minderheit und die Steuer wird erhöht. Dies ist offenbar kein Resultat, das einer solidarischen Berücksichtigung aller Interessen entspricht.

Allgemeines Fazit:
Wenn die Individuen von einer Entscheidung unterschiedlich stark betroffen sind, führt das Mehrheitsprinzip bei eigeninteressiertem Abstimmungsverhalten nicht zu akzeptablen Ergebnissen. Dies ist ein gewichtiges Argument gegen die direkte Demokratie.

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Als Lösung des Minderheitenproblems wurde vorgeschlagen, dass die Wähler nicht nur eigeninteressiert abstimmen, sondern dabei zugleich Regeln der Fairness beachten.  Damit ist das Problem jedoch eher größer als kleiner geworden, denn: Was ist "Fairness" ? Wie erreicht man faires Abstimmungsverhalten?

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Das Mehrheitsprinzip bei Jury-Aufgaben

Obwohl hier das Mehrheitsprinzip als eine Methode zur Zusammenfassung der individuellen Interessen zu einem kollektiven Interesse diskutiert wird, kann das Mehrheitsprinzip auch in anderen Zusammenhängen angewandt werden.

Auf manche empirische Fragen gibt es z. B. keine eindeutige Antwort der Wissenschaft, so dass mehrere Positionen wissenschaftlich vertretbar bleiben. Das bekannteste Beispiel hierfür findet sich in Gerichtsprozessen, wo die Beweislage darüber, ob der Angeklagte die ihm vorgeworfene Tat begangen hat oder nicht, strittig bleibt. Auch bei Prognosen über zukünftige Entwicklung findet sich häufig der Streit der Gelehrten.

In solchen Fällen, kann es angebracht sein, zwar nicht über die Wahrheit der Positionen abzustimmen aber doch darüber, von welcher Position das Kollektiv in seinem Handeln ausgehen soll.

Die Begründung hierfür hat der französische Aufklärer und Enzyklopädist Condorcet bereits 1785 geliefert. Wenn man annimmt, dass die Wahrscheinlichkeit eines Irrtums bei den einzelnen Mitgliedern einer 10-köpfigen Jury z.B. 40 % beträgt, so beträgt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich eine Mehrheit von 6 Jurymitgliedern irrt, nur 0,4 x 0,4 x 0,4 x 0,4 x 0,4 x 0,4 = 0,004096, also weniger als ein Prozent (Nach der Regel für die Wahrscheinlichkeit mehrerer voneinander unabhängiger Ereignisse).

Eine Frage der Politischen Philosophie ist es, ob man die politische Abstimmung nach dem Mehrheitsprinzip als eine Art Juryentscheidung über die beste Politik ansehen sollte oder ob man sie als einen Ausdruck der individuellen Interessen und deren Zusammenfassung zu einem "allgemeinen Interesse" auffassen soll.

Ich neige zum Letzteren, weil die Orientierung am eigenen Interesse auch für die Wahlentscheidung das entscheidende Motiv zu bilden scheint. Dafür sprechen schon die Namen mancher Parteien: "Bauernpartei", "Arbeiterpartei", "Mittelstandspartei" oder ähnliches.

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Das Mehrheitsprinzip führt zu akzeptablen Ergebnissen, wenn alle Beteiligten ihre Interessen mit gleichem Gewicht einbringen können (Jeder hat gleich viele Stimmen zu vergeben) und wenn die Einzelnen von der anstehenden Entscheidung ungefähr gleichstark betroffen sind. Außerdem müssen die Abstimmenden über das zur Entscheidung anstehende Problem (verfügbare Alternativen, langfristige Folgen etc.) einigermaßen informiert sein und ihre Stimme frei von Sanktionen (Bestechungen, Drohungen) abgeben können.

Wenn jedoch der Grad der Betroffenheit von einer Entscheidung für die Abstimmenden sehr unterschiedlich ist, so besteht die Gefahr, dass z.B. eine schwach interessierte Mehrheit eine elementar betroffene Minderheit überstimmt.

Je stärker der Grad der Betroffenheit zwischen Mehrheit und Minderheit auseinandergeht und je knapper die Mehrheit ausfällt, umso problematischer ist das Resultat unter dem Gesichtspunkt einer solidarischen Berücksichtigung aller Interessen.

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Tendenz zur Mitte

Was manche nur als Problem der SPD sehen ("Sie verabschiedet Richtlinien, die zwar einer Parteimehrheit, nicht aber der Mehrheit im Volke entspricht" und "Der Kanzler ist im Volk beliebter als in der eigenen Partei") ist nicht so sehr ein SPD-Problem, sondern ein Problem, das sich aus den Eigenschaften des Mehrheitsprinzips ergibt. Was ich meine, ist in dem Satz enthalten: "Wer die Wahl gewinnen will, muss die Mitte besetzen."

Man kann sich das folgendermaßen veranschaulichen.

Angenommen, die politischen Positionen lassen sich auf einer Links-Rechts-Skala wiedergeben und wir haben 5 Wähler. Das könnte z. B. so aussehen:

--- A ----B -----------------C---------------------D-----------------------E-----

In diesem Fall ist C der "mittlere" Wähler, genauer: der Medianwähler. Bei rationalem Abstimmungsverhalten kann nur ein Programm die Mehrheit erhalten, das der Position von C entspricht.

Angenommen, A und B versuchen eine Mehrheit mit C zusammen zu bekommen auf der Position x:

--- A ----B -------x---------C---------------------D-----------------------E-----

 Dann könnte C seine Position dadurch verbessern, dass er eine Koalition mit D und E auf seiner Position zusammenbringt. Ein Programm, das der Position von C entspricht, wäre für D und E besser als ein Programm, das der Position von x entspricht.

Dies trifft nun in jedem Fall zu. Angenommen D und E versuchen mit C eine Mehrheit auf der Position y zustande zu bringen:

--- A ----B -----------------C---------------y------D-----------------------E-----

 

Dann könnte C an A und B ein Koalitionsangebot auf der Position C machen, das für A und B eine Verbesserung gegenüber y darstellt.

Am "mittleren" Wähler geht also kein Weg zur Mehrheit vorbei. Der Grund hierfür ist der, dass die Position C hier die
Mehrheitsalternative bildet, die bei rationalem Verhalten aller Beteiligten das Ergebnis bildet.

Dies ist die Logik des Mehrheitsprinzips, die bei Wahlen beachtet werden muss, wenn man Wahlen gewinnen will.

Da aber Parteien nicht nur auf das Ziel ausgerichtet sind, Wahlen zu gewinnen, sondern auch aus Mitgliedern bestehen, die bestimmte politische Überzeugungen haben und diese propagiert und  verwirklicht sehen möchten, ergibt sich das Phänomen, dass die erfolgreichen Spitzenkandidaten meist mehr zur Mitte tendieren als ihre Partei.

Dafür ist Angela Merkel ein gutes Beispiel.

Dies erklärt auch, warum die FDP als "Zünglein an der Waage" trotz ihrer Kleinheit der "Königsmacher" war, als sie noch nicht rechts von der CDU/CSU angesiedelt war.

Es wäre sicher etwas gewaltsam, wollte man die politischen Alternativen auf eine Links-Rechts-Dimension reduzieren. Wie sich die Mehrheitsalternative in mehrdimensionalen Politikräumen darstellt, entzieht sich meiner Kenntnis. Dann besteht auch die Möglichkeit des sogenannten "Wahlparadoxes", dass es gar keine Mehrheitsalternative gibt sondern zirkuläre Mehrheiten bestehen.

Man kennt so etwas vom Fußball: Mannschaft A schlägt Mannschaft B. Mannschaft B schlägt Mannschaft C. Und Mannschaft C schlägt Mannschaft A. Welches ist nun die "stärkste" Mannschaft?

Ähnliches kann passieren bei Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip, wenn z. B. die Präferenzen der 3 Abstimmungsberechtigten A, B und C hinsichtlich der zur Abstimmung stehenden 3 Alternativen x, y und z folgendermaßen aussehen:

A

B

C

1.Rang

x

y

z

2.Rang

y

z

x

3.Rang

z

x

y

Für Individuum B ist demnach y die beste und x die schlechteste Alterantive.
 

Bei paarweiser Abstimmung ergibt sich:

        x gegen y -> 2:1, y gegen z -> 2:1 und z gegen x -> 2:1, also x > y > z > x.

Das bedeutet, dass wegen zirkulärer Mehrheiten keine Mehrheitsalternative existiert.

In der Praxis spielt dies gewöhnlich keine Rolle, weil das Mehrheitsprinzip meist mit einer Status-quo-Klausel verbunden ist, die besagt, dass alles beim Alten bleibt, wenn keine Alternative gewählt wird.

Allerdings ist Stimmengleichheit von Alternativen, die sogenannte "Pattsituation" in der Politik, eine mögliche Schwierigkeit bei Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip.

***

Wir haben in Deutschland gegenwärtig (2010) die Situation, dass keine Partei alleine regiere kann und dass deshalb Regierungskoalitionen gebildet werden müssen. Auf der Ebene der Koalitionsvereinbarungen werden dann erst die entscheidenden Pakete geschnürt, die nur noch von den Fraktionen mit Mehrheit abgesegnet werden müssen.

Das führt dazu, dass die Wahlprogramme der einzelnen Parteien, die dem Wähler vorgelegt werden, meist Schnee von gestern sind. Dies bedeutet, dass die Wähler nur sehr indirekt über das Regierungsprogramm abgestimmt haben und dass die Wähler von der Politik der Koalitionsregierung eher überrascht werden.

In dieser Hinsicht ist das britische Wahlrecht besser, das meist zu klaren Mehrheiten führt, und wo die siegreiche Partei für die Regierungspolitik voll verantwortlich ist,

Ich denke, es ist sinnvoll, von der bestehenden politischen Verfassung dieses Landes auszugehen und zu fragen, was konkret verbessert werden könnte.

In Bezug auf die Einführung beziehungsweise die Erweiterung plebiszitäre Elemente im Grundgesetz wäre es sinnvoll, solche Entscheidungsbereiche zu benennen, in denen das Volk direkt befragt werden muss und wo es mehrheitlich entscheiden sollte.

Mir fallen da z. B. die folgenden Bereiche ein, die für alle von elementarer Bedeutung sind:

1. Änderungen der Verfassung (mit mindestens 2/3 der Stimmen),
2. Änderungen des sonstigen Wahlrechts,
3. Änderungen des Staatsgebietes oder der Ländergrenzen
4. Zugehörigkeit zu Militärbündnissen.

"Normale" politische Entscheidungen sollten nicht durch Volksentscheide getroffen werden wegen des Problems, dass eine schwach interessierte Mehrheit eine elementar betroffene Minderheit überstimmt.

Wie man den Wählern einen direkten Einfluss auf die Regierungsprogramme geben kann, weiß ich nicht. Die Parteien vermeiden es, sich vor der Wahl auf eine Koalition fest zu legen. Sie versuchen sich zu profilieren und möglichst viele Stimmen zu bekommen, um dadurch gestärkt in die Koalitionsverhandlungen zu gehen. Dies hat eine gewisse Berechtigung, weil ja nicht feststeht, ob eine beabsichtigte Koalition die Mehrheit im Bundestag bekommen wird. Die Parteien wollen sich die Möglichkeit offen halten, in diesem Fall die Koalitionsfrage neu zu stellen.

Vielleicht wäre es Aufgabe einer unabhängigen Presse, die Programmatik bzw. Nicht-Programmatik der Parteien kritischer zu durchleuchten und genauer darüber zu informieren, in welchen Punkten Regierungsparteien von ihrer Programmatik abgewichen sind, um eine Koalition zu bilden.

Bei allen Verfassungsänderungen sollte man sehr gründlich überlegen und eher zögerlich vorgehen. Diese grundlegenden Prinzipien sollte man nicht alle paar Jahre umstoßen.

***

Weshalb ich Vorbehalte gegen Volksentscheide als normales Mittel der Entscheidungsfindung habe:
 
Entscheidend ist die These, dass das Mehrheitsprinzip zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, je nachdem ob die Abstimmungen zusammengefasst werden oder nicht.

Man lässt z. B. über 10 Punkte zuerst einzeln abstimmen. Dann fasst man die 10 Punkte zusammen und lässt über die entstehenden Alternativenbündel abstimmen.

Nun ergibt sich u. U. ein ganz anderes Resultat. Jetzt kann ein Bündel die Mehrheit erhalten, das nicht aus den Resultaten der 10 Einzelabstimmungen besteht!

Der Grund hierfür liegt daran, dass die einzelnen Entscheidungen für die Abstimmenden von unterschiedlichem Gewicht sind.

Wenn das richtig ist, so bedeutet das einen schwerwiegenden Einwand gegen punktuelle Abstimmungen.

***

Mir scheint, dass bei uns der meiste Unmut am politischen System nicht auf das Mehrheitsprinzip als solches bezogen ist, sondern auf die Mehrstufigkeit des Verfahrens, auf die Probleme der Vertretung der Bürger durch Berufspolitiker.

Die Politiker sind ja Menschen, die ihre eigenen Interessen haben und verfolgen und es bedarf erheblicher Anstrengungen, um deren Interessen mit den Interessen derjenigen, die sie vertreten sollen, einigermaßen zur Deckung zu bringen. Die Frage ist: Wird in dieser Hinsicht genug getan? Welche zusätzlichen Anreize und Kontrollen können zu einer Verbesserung der Repräsentation der Bürger in der repräsentativen Demokratie führen?

Meiner Ansicht nach haben die Medien hier eine besondere Aufgabe, die sich auch im Berufsethos des Journalisten ausdrücken müsste.

Die Journalisten haben nicht die Aufgabe, selber Politik zu machen zugunsten dieser oder jener Partei und Richtung, sondern sie haben die Aufgabe, die gewöhnlich internen politischen Vorgänge in den Parteien, Parlamenten und Ministerien öffentlich zu machen, die Tätigkeiten der Politiker zu beobachten, ihre Beziehungen zu Repräsentanten der Wirtschaft oder der großen Verbände offenzulegen.

Dies kann durch eigene Recherchen oder durch Zusammenarbeit mit forschenden Wissenschaftlern und sachkundigen Insidern geschehen. Medien, die sich im Eigentum einzelner Personen oder Gruppen befinden, können dies nur bedingt leisten.

Nicht der Tendenzjournalismus linker oder rechter politischer Überzeugungen ist gefragt, sondern die generelle Aufdeckung von verschwiegenen Fakten, von verdrängten Problemen und von unangenehmen Wahrheiten.

Hier könnte der deutsche Journalismus von der BBC noch manches lernen.

***

Es wird angeführt, dass die Wahlberechtigten ihre wahren Interessen gar nicht kennen sondern in ihren politischen Ansichten und Meinungen durch die Medien manipuliert werden.

Diese Kritik am bestehenden politischen System ist weit verbreitet und muss ernst genommen werden. Was meint man also, wenn man sagt: "Die Wähler sind in ihrer politischen Meinung manipuliert worden?"

Zum einen ist damit offenbar gemeint, dass die Wähler nicht entsprechend ihrem wirklichen Interesse wählen.

Diese Aussage setzt jedoch voraus, dass derjenige, der dies behauptet, selber die wirklichen Interessen der Wähler kennt, denn sonst könnte er ja keine Abweichung davon feststellen.

Damit stellt sich die erkenntnistheoretische Frage, wie man die wirklichen Interessen eines Menschen erkennen kann. Ich, der ich ja auch Wähler bin, würde z. B. bestreiten, dass ich meine wirklichen Interessen nicht erkennen kann und in meiner Wahlentscheidung durch die Medien manipuliert bin.

Nun könnte jemand sagen: "Dass du glaubst nicht manipuliert zu werden, das zeigt ja gerade, dass die Manipulation gelungen ist. Natürlich merkt der Manipulierte selber nicht, dass er manipuliert wurde."

Gegen ein solches "Argument" ist man natürlich machtlos, weil es den andern entmündigt. Damit hat der andere mich jedes Argumentes beraubt, denn was ich immer ich sage, ist bereits manipulierte Meinung.

Damit hat er der Diskussion jedoch die Grundlage entzogen und ich kann nur noch das Gespräch mit ihm beenden.

So einfach geht es also nicht.

Nun könnte jemand sagen: "Du kannst doch nicht bestreiten, dass Deine Meinung durch die Medien beeinflusst wird, das heißt doch, dass Du in Deiner Meinungsbildung nicht frei bist."

Dem würde ich entgegenhalten: "Es stimmt zwar, dass ich in meiner politischen Meinungsbildung beeinflusst werde, aber nicht jede Beeinflussung bedeutet Manipulation. Beeinflusst werde ich auch durch Argumente, die andere mir vermitteln und die mir einsichtig sind." So geht es also auch nicht.

Nach Wikipedia bedeutet "Manipulation" im Lateinischen soviel wie "Handhabung". Heute hat das Wort einen abwertenden Beiklang und man versteht darunter eine gezielte, aber verdeckte Einflussnahme auf das Denken und Meinen anderer Menschen.

Wenn es stimmt, dass die Mehrheit der Wähler dieses Landes bei politischen Wahlen in ihrer Entscheidung fremdgesteuert sind, dann wären die Wahlen reines "Theater",  so wie es in der DDR mit den "99-Komma-und-Resultaten" war oder so, wie es in Syrien gegenwärtig abläuft, wo nur ein Viertel der Abgeordneten überhaupt gewählt wird.

Trotz berechtigter Kritik an Stimmungsmache und Nicht-Information in Fernsehen, Rundfunk und Presse kann die Manipulation der Öffentlichkeit durch das große Geld so erfolgreich doch nicht sein, wenn die Chefs in Wirtschaft und Politik vor Gerichte und Untersuchungsausschüsse zitiert werden und manche daraufhin ihren Hut nehmen müssen.

Die Methoden der irrationalen Meinungsmache anzuprangern und zu analysieren, halte ich für eine der wichtigsten politischen Aufgaben in einer Demokratie. Das fängt bei der Sprache an, wo jeder hellhörig werden sollte, wenn statt Information und Fakten nur stark wertende Worte geliefert werden wie z. B. "Terrorist" oder "Befreiungskämpfer".Fazit: Das Mehrheitsprinzip erfordert Menschen, die zumindest ihre wichtigsten Interessen erkennen können.

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Das Resultat einer Abstimmung nach dem Mehrheitsprinzip kann nicht besser sein, als die individuellen Meinungen, die dem Abstimmungsverhalten der Einzelnen zugrunde liegen.

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Das Einbringen der eigenen Interessen durch die Individuen selber – wie es bei Wahlen geschieht - macht nur Sinn, wenn diese Individuen auch in der Lage sind, ihre eigenen Interessen selber hinreichend zu erkennen.

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Das Mehrheitsprinzip ist ein reines Entscheidungsverfahren. Es erzeugt aus sich heraus noch keinerlei Motivation zur Realisierung der mehrheitlichen Beschlüsse. Deshalb kommt nach manch glorreichem Mehrheitsbeschluss für Verbesserungen aller Art im örtlichen Verein oft die peinliche Frage auf: "Und wer macht es nun? Wer führt den Beschluss aus?" Im politischen Bereich entspricht das der Frage: "Und wie soll das finanziert werden?"

Hier unterscheiden sich Abstimmungsverfahren stark von Märkten. Bei letzteren ist durch den Inhalt des Vertrages klar, wer was zu leisten hat, und es gibt bei den Vertragspartnern die Motivation zur Erfüllung des Vertrages, weil sonst der Vertragspartner seine Verpflichtung auch nicht erfüllt.

Zum Mehrheitsprinzip als Entscheidungsregel gehört deshalb immer eine Exekutive, die mit den nötigen Mitteln zur Durchsetzung bzw. Durchführung der Beschlüsse ausgestattet ist. Dies ist in Großkollektiven wie den Staaten gewöhnlich ein "öffentlicher Dienst", also eine Bürokratie, die durch Abgaben der Staatsbürger finanziert wird, und deren Mitglieder zu diesem "Dienst" im Sinne der mehrheitlichen Beschlüsse motiviert werden müssen.

Dies ist einer der Gründe, warum Versuche zur "Demokratisierung der Wirtschaft" mit großen Problemen belastet sind. Man kann ehrgeizige Wirtschaftspläne aufstellen, aber
wie werden die Menschen motiviert, diese Pläne zu erfüllen. Lenin hatte als Vorbild die deutsche Reichspost. Entsprechend erfolglos war auch die sowjetische Planbürokratie, wo es darum ging, neue Produkte, neue Vertriebsformen und neue Produktionsverfahren zu entwickeln, die das A und O einer modernen dynamischen  Wirtschaft sind.

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Im Großen und Ganzen entspricht die Politik, die von den Parteien propagiert und von der Regierung gemacht wird, der Verteilung der politischen Ansichten in der deutschen Bevölkerung.

Der Einfluss der Bevölkerung auf die Politik erschöpft sich nicht im Ausfüllen des Wahlzettels. Über die Meinungsumfragen werden die Politiker mit den vorhandenen Ansichten konfrontiert und sie werden sich hüten, diese vorherrschenden Meinungen zu politischen Fragen zu ignorieren. Im Gegenteil: manche werfen den Politikern auch "Populismus" und mangelnde "Meinungsführerschaft" vor.

Außerdem gibt es zahlreiche
Möglichkeiten, sich politisch zu engagieren: Man kann Parteien beitreten oder auch selber Wählervereinigungen gründen, um seine Vorstellungen als Wahlalternative einzubringen, man kann Organisationen mit politisch relevanten Zielsetzungen wie Umweltschutzverbänden, beruflichen Interessenverbänden, oder lokalen Bürgerinitiativen beitreten, man kann an politischen Demonstrationen teilnehmen, Leserbriefe schreiben, den Abgeordneten des eigenen Wahlkreises ansprechen oder im Internet politische Aufklärung betreiben.

Das klingt alles klingt nicht so großartig, aber die Summe all dieser Aktivitäten macht eine demokratische politische Kultur aus.

Ich glaube nicht, dass diese Möglichkeiten in Deutschland mit der nötigen Selbstverständlichkeit wahrgenommen werden. Bei der Politik hört offenbar für viele das nüchterne Denken auf und stattdessen finden sich dort unpolitisches "Ohne-mich" -Denken oder aber unbelehrbarer Fanatismus gepaart mit Verschwörungstheorien.

Es fällt oft nicht leicht, von unterschiedlichen politischen Ansichten aus sachlich miteinander zu diskutieren. Allzu schnell wird dem Andersdenkenden aus seiner Position ein Vorwurf gemacht. Nicht selten gibt es auch einen Gruppendruck, wo es einen gewissen Mut erfordert, der Gruppenmeinung zu widersprechen und selbstkritische Fragen zu stellen.

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Ein geradezu erschreckendes Beispiel für die Abhängigkeit unseres Denkens von der sozialen Umgebung und für das Einknicken der Einzelnen und ihrer rationalen Argumente vor der Gruppenmeinung war die Art, wie auf die Rinderseuche BSE reagiert wurde.

Obwohl sich die Gefahrenlage seit der hysterischen Reaktion vor ein-zwei Jahren mit völligem Verzicht auf den Verzehr von Rindfleisch nicht wesentlich verändert hat, wird heute reichlich Rindfleisch konsumiert, ein völlig irrationales Verhalten.

Das zeigt, wie schwach der Einzelne gegenüber Massenhysterie und Panikmache in seinem Denken und Handeln auch jetzt noch ist - und dass dies nicht nur ein Problem der Weimarer Republik war.

Wenn hier etwas mehr Zivilcourage der Einzelnen vorhanden wäre, stünde es um die politische Kultur in unserm Lande besser.

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Du schreibst etwas sarkastisch: "Ein satter Deutscher opponiert nicht." Ganz so unpolitisch sind die Deutschen wiederum auch nicht. Ein Gegenbeispiel ist die Studentenbewegung der 60er Jahre, die auch ein Abschnitt meiner politischen Entwicklung war. Ich war damals nicht unterernährt, was die Kalorien betrifft, aber ich war unzufrieden. Ich wollte das, für das die Generation unserer Eltern nicht die Verantwortung übernommen hatte, offen legen, um es produktiv verarbeiten zu können, und ich wollte alle überkommenen Autoritäten auf ihre Berechtigung hinterfragen, um Platz für neue Entwicklungen zu schaffen.

Es kommt meines Erachtens im politischen Leben einer Gesellschaft nicht darauf an, dass alle gewissermaßen in einer politischen Dauermobilisierung verharren, sondern es kommt darauf an, dass jeder dann, wenn Gefahren für das Gemeinwesen heraufziehen, rechtzeitig dagegen aktiv wird. In politischen Krisenzeiten müssen die Bürger die Bereitschaft zum demokratischen Engagement haben, während bei "normalem" Ablauf der Dinge es genügt, sich zu informieren und die Dinge aufmerksam zu beobachten.

Zur Kritik an der Kaste der Politiker, die sich "dem Volk" entfremdet haben.

Ich habe als einen Grund hierfür genannt, dass - wegen des geltenden Wahlverfahrens - für die Regierungsbildung in der Regel Koalitionen erforderlich sind. Dies bedeutet, dass das Regierungsprogramm erst nach der Wahl ausgehandelt wird, ohne dass die Wähler darüber noch einmal befinden können.

Wenn dagegen das Wahlverfahren direkt zur Mehrheit einer Partei führt, wird der Wille der Wähler direkter in Politik umgesetzt. Dann hat eine Mehrheit diese Politik gewählt.

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Wer ohne eine zusammenhängende Argumentation die auch von mir frei gewählten Abgeordneten pauschal als "Verbrecher" und "Mafia" beschimpft und mit Dreck bewirft, der ist für mich kein radikaler Kritiker unserer Gesellschaftsordnung sondern er ist jemand, der politischen Schaden anrichtet, indem er kostbare Rechte wie z. B. das allgemeine, gleiche, freie Wahlrecht zu beschädigen versucht.

Hier hat für mich die Toleranz ein Ende, ich schaue nicht einfach zu, wenn - auch meine - politische Freiheit verbal demontiert wird.

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Du siehst den Fehler beim Mehrheitsprinzip darin, dass der Kluge und der Dumme in gleicher Weise eine Stimme haben, und fragst: Wohin soll das führen?

Wenn man die politische Abstimmung nicht als Urteil über die für alle beste Politik versteht sondern als Ausdruck des eigenen Interesses (jeder wählt die Partei, deren politische Absichten mit dem, was er selber will, am ehesten übereinstimmen), dann spielt die Klugheit keine entscheidende Rolle.

Zu erkennen, ob eine Politik im Interesse eines Wählers ist, das kann auch ein weniger kluger Wähler selber in der Regel am besten. Oder weißt Du jemanden, der die Interessen des Wählers besser kennt als er selbst und deshalb die Stimme für ihn abgeben sollte?

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An einen Kritiker der parlamentarischen Demokratie:

Du bezweifelst die Möglichkeit der Selbstkorrektur einer Mehrheitsmeinung durch die kritische öffentliche Diskussion.

Eine solche Änderung der Mehrheitsmeinung hat aber z. B. bei einer so wichtigen Frage wie der Nutzung von Atomkraftwerken stattgefunden. In den USA gab es nach der Ära McCarthy und seinem berüchtigten "Komitee für anti-amerikanische Umtriebe" eine Korrektur in der öffentlichen Meinung und eine Rehabilitation von Angeschuldigten.

Du behauptest, die Abschaffung von Rechten in einem demokratischen Staat sei leicht.

Ein Gegenbeispiel ist das Verfahren gegen die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht, wo der Wunsch von Bundesregierung und Länderregierungen nach einem Verbot dieser Partei wegen Verfassungsfeindlichkeit keineswegs problemlos erfüllt wird.

Du sagst, dass sich die Parteien gleichen wie ein Ei dem andern.

Ich möchte mal wissen, was Anhänger der "Linken" und der NPD zu der Behauptung sagen würden, dass sich beide Parteien gleichen wie ein Ei dem anderen.

Du bezeichnest jede Art von Eingriff des Staates in das individuelle Leben als "Repression".

Soll der Begriff dann weiterhin eine Kritik beinhalten? Wenn ja, dann wäre ein Polizeieinsatz zur Festnahme eines Mörders für Dich folglich auch Repression und somit zu kritisieren. Eine Hausdurchsuchung der Polizei ohne richterliche Anordnung fällt für Dich in die gleiche Kategorie "Repression" wie eine Hausdurchsuchung aufgrund richterlicher Anordnung. Kannst Du einen Unterschied sehen zwischen den Nacht-und-Nebel-Aktionen der Gestapo und einer Drogenrazzia?

Du bewertest die Demokratie extrem negativ, wenn Du sie den "schlimmsten Diktaturen" gleichstellst.

Als Begründung führst Du "die zusätzlichen Repressionen nach dem 11. September" an sowie die "Kriege, die von der Demokratie geführt" werden.

Wenn ich Deinen damit angedeutete Gedanken einmal ausformulieren darf, so meinst Du offenbar: "Die Demokratie ist als Staatsform nicht besser als die schlimmsten Diktaturen, weil ein demokratischer Staat wie die USA nach dem Anschlag auf das World Trade Center zusätzliche Unterdrückungsmaßnahmen ergriffen hat und die Kriege gegen Afghanistan und den Irak geführt hat." 

Dem würde ich entgegen halten, dass die globale Politik gerade nicht demokratisch organisiert ist, sondern immer noch ein Vielzahl von mehr oder weniger selbständig handelnden Staaten die Akteure der globalen Politik sind und dass Konflikte zwischen den Staaten weiterhin in erster Linie durch Anwendung von Macht entschieden werden, was letztlich heißt, dass die Konflikte militärisch entschieden werden. Dass ein Staat, der intern demokratisch verfasst ist, gegenüber anderen Staaten eine am "nationalen Interesse" orientiert Machtpolitik betreibt, schließt sich nicht aus, im Gegenteil: es ist eigentlich auch nichts anderes zu erwarten. Denn bei der demokratischen Wahl der Regierung eines Landes werden ja die Interessen anderer Staaten und Völker kaum berücksichtigt und der amerikanische Präsident stellt sich ja nicht der Weltbevölkerung zur Wiederwahl sondern den wahlberechtigten US-Amerikanern. 

Was Du als Beleg für das schlimmste Versagen der Demokratie ansiehst, ist für mich umgekehrt ein zusätzlicher Beleg für die Notwendigkeit demokratischer Entscheidungsprozesse auch im globalen Maßstab. Leider besteht gegenwärtig die große Gefahr, dass das zarte und noch schwache Pflänzchen "Vereinte Nationen", in dessen Rahmen eine vorsichtige Demokratisierung der internationalen Politik begonnen wurde, durch die gegenwärtige amerikanische Regierung selbstherrlich geknickt wird.

Wir sind uns darin einig, dass auch demokratisch verfasste Staaten nicht zu rechtfertigende Kriege führen. So haben die USA in der Verfolgung ihres "nationalen Interesses" wiederholt in Mittel- und Südamerika in einer Weise militärisch interveniert, dass man über deren völkerrechtliche und moralische Berechtigung geteilter Meinung sein kann. Krass gesprochen könnte sogar die interne Willensbildung einer Räuberbande nach dem Mehrheitsprinzip organisiert sein. 

Allerdings hat ein demokratischer Staat, in dem Meinungsfreiheit herrscht, gegenüber einer Diktatur den Vorteil, dass die Kriegsgegner ihre Kritik an der Politik der eigenen Regierung öffentlich bekunden dürfen und dass auch ausländische Kritik veröffentlicht werden darf. Dadurch bleibt eine Selbstkorrektur der Mehrheitsmeinung möglich im Unterschied zur Diktatur, in der Kriegsgegner wegen "Wehrkraftzersetzung" hingerichtet werden und in der das Abhören ausländischer Sender als "Verbreitung von Feindpropaganda" unter Strafe steht. 

Du stellst fest, dass Demokratien in der L
age sind, "die Rechte einzuschränken".

Demgegenüber würde ich betonen, dass es nirgends so schwer ist, Rechte - wie z. B. das Recht auf freie  Meinungsäußerung einzuschränken - wie in einer konstitutionellen, parlamentarische Demokratie. In der Bundesrepublik müsste es dazu eine verfassungsändernde Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat geben, der Bundespräsident müsste unterschreiben und das Verfassungsgericht müsste eine Klage dagegen abweisen. Das sind nicht gerade leicht zu überwindende Hindernisse.

Du hältst die Rechte in einer Demokratie nur für "Zuckerbrot".

Dies Bild stammt au
s der Tierdressur, wo mit "Zuckerbrot und Peitsche" ein Tier gefügig gemacht wird, und wo die Peitsche immer drohend im Hintergrund steht, falls das Zuckerbrot nicht wirkt. 

Die Argumentation mit Bildern und Metaphern ist zwar rhetorisch wirkungsvoll und sprachlich ein belebendes Element, ist jedoch der Wahrheitsfindung in einer Diskussion nicht unbedingt förderlich. Die von Dir benutzte Metapher beinhaltet einerseits eine starke negative Wertung der Grundrechte ohne aber andererseits konkret anzugeben, an welchen Sachverhalten sich diese Wertung festmacht. Wenn ich gegen diesen Vergleich sagen würde: "Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist doch kein 'Zuckerbrot!' ", dann könntest Du immer sagen: "So ist es ja nicht gemeint: es ist ja ein bildhafter Vergleich." Und da nicht klar ist, wieweit der Vergleich geht und ab wann der Vergleich "überstrapaziert" wird, bleibt die genaue Begründung der in dem Bild enthaltenen Abwertung aus.

Ich könnte nur sagen: Dein bildhafter Vergleich des politischen Willensbildungsprozesses in einer Demokratie mit einer Tierdressur "hinkt auf allen vier Beinen" (aber halt: ich wollte ja auf Metaphern verzichten) also neu formuliert: Dein bildhafter Vergleich wird den wirklichen Verhältnissen nicht gerecht. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist keine Belohnung, die irgendwer den Bürgern gewähren oder vorenthalten kann, um sie sich gefügig zu machen. Dies Grundrecht ist eben nicht in dieser Weise für irgendjemanden verfügbar.

Du schreibst weiter, dass Demokratien in der Lage sind, "die Repressionen zu erhöhen".

Meine Frage ist:
Was meinst Du mit
"Repression"? Das zugehörige Verb heißt im Lateinischen soviel wie "zurückdrücken" und "repressor" heißt "Unterdrücker". Wenn jemand von "staatlichen Repressionen" spricht, so enthält dies einen stark negativen Unterton. Leider geht diese implizite negative Bewertung mit einer relativ unbestimmten deskriptiven Bedeutung des Begriffes einher. Ist jede polizeiliche Anwendung von Zwang eine "Repression"? Ist die unter Einsatz von Schusswaffen erfolgte  Festnahme eines Mörders ebenso eine "staatliche Repression" wie die ohne richterlichen Durchsuchungsbefehl vollzogene nächtliche Stürmung der Wohnungen von Oppositionspolitikern?

Wenn die politischen Verhältnisse mit dem Begriff "Repression" beschrieben werden, so ist die Unterscheidung zwischen der gerechtfertigten Anwendung staatlichen Zwanges zur Durchsetzung legitimierter Normen und der außergesetzlichen Anwendung staatlicher Gewalt gegen bestimmte  Bürger nicht möglich. Auf diese Unterscheidung kommt es jedoch gerade an.

Zu Deiner Frage, "ob die Verletzung von Grundrechten und der Abbau von Demokratie nicht ein Wesen der Demokratie selbst ist."

Dies kann so generell wohl nicht zutreffen, weil Staaten wie die USA, Großbritannien, Frankreich oder Schweden bereits seit Jahrzehnten demokratisch verfasst sind und immer noch den Kernbestand dessen besitzen, der für mich eine Demokratie ausmacht: eine legale Opposition zur Regierung, die das Recht hat, sich eigenständig zu organisieren, ihre Positionen zu veröffentlichen und nach dem nächsten Wahltermin selber die Regierung zu bilden, falls eine Mehrheit der Wähler dafür stimmt. 

Andererseits neigen Mächtige eher dazu, ihre Macht auszuweiten als sie freiwillig wieder abzugeben - auch in demokratischen Systemen. Gegen diese Tendenz gibt es vor allem ein Mittel: eine wachsame Öffentlichkeit, die jeden Versuch der regierenden Kräfte, demokratische Rechte und Kontrollen im eigenen Interesse abzubauen, bereits in den Anfängen entgegentritt.
Wenn das "Ermächtigungsgesetz" erst einmal verabschiedet ist, ist es zu spät, um einen Hitler auf dessen Worte festzulegen: "Nun, deutsches Volk, gib uns vier Jahre Zeit, und dann richte selbst!". Da war bereits das Tausendjährige Reich angebrochen.

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Voraussetzungen der Demokratie

Politische Systeme sind keine Exportgüter. Man kann sie auch nicht in beliebige andere Länder verpflanzen. Sie müssen in der Kultur des Landes verankert sein.

Eine parlamentarische  Demokratie setzt bestimmte Elemente einer politischen Kultur voraus:

Wenn es Sinn haben soll, nach der Zahl der Individuen zu  entscheiden (Mehrheitsprinzip), dann müssen die Individuen auch als Personen so unabhängig sein, dass sie selber entscheiden wollen und können. Wo dagegen das Individuum völlig im ethnischen Verband der Familie, der Verwandtschaft oder des Stammes aufgeht, kann keine Demokratie bestehen.

Wenn bei den einzelnen Bürgern kein selbständiger Wille existiert, dann lässt sich daraus auch kein kollektiver Wille ableiten. Wo die sozialen Verbände das Individuum völlig einbinden, ist für eine öffentliche Debatte kein Platz.

Wo die Medien nur Sprachrohr der jeweiligen Verbände (Sippen, Religionen, Stämme, Ethnien) sind und keine unabhängige, gruppenübergreifende Kritik üben, da kann auch keine Demokratie gedeihen.

Wo die familiären und stammesbezogenen Loyalitäten der Individuen stärker sind als deren Identifizierung mit der staatlichen Verfassung, kann es keine Verwaltung (Justiz, Armee, Polizei, Behörden) geben, die der gewählten Regierung gegenüber loyal und gesetzestreu handelt.

Wo der Einzelne ohne die Unterstützung durch die familiären und ethnischen Verbände nicht selbständig überleben kann, da kann er auch in seinem Denken und Wollen nur unter Schwierigkeiten selbständig sein.

Wo allein Autorität Quelle der Wahrheit ist und unabhängige Argumente nicht zählen, da fehlt die ergebnisoffene Diskussion und die Lernfähigkeit, die Demokratien auszeichnet.

Wo der andere nicht in erster Linie Mitbürger ist, sondern entweder "einer von uns" oder "einer von den andern", da geht der Rechtsstaat unter.

Wo keine Gemeinsamkeit der Interessen besteht, wo kein Minimum an Vertrauen unterden politischen Akteuren besteht, da kann auch die Abhaltung von Wahlen nicht viel bewirken. helfen. Wahlen können immer als "gefälscht" beiseite geschoben werden.

Wer die Regeln einer demokratischen Verfassung nicht bejaht sondern sie nur parteiisch benutzt, der gibt die einmal durch Wahl gewonnene Macht am Ende seiner Amtszeit nicht wieder an die Bürger zurück. 

Der entscheidende Test für das Bestehen einer demokratischen politischen Kultur ist der freiwillige Rücktritt einer Regierung von der Macht, wenn sie keine Mehrheit mehr hinter sich hat. Solange in einem Staat noch nie eine Regierung  abgewählt wurde, hat eine Demokratie ihre Feuerprobe noch nicht bestanden.

Siehe auch die folgenden thematisch verwandten Texte in der Ethik-Werkstatt:

    Mehrheitsprinzip *** (349 K) (1976)
   
Demokratie verstehen ** (94 K)

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Letzte Bearbeitung 25.04.2010 / Eberhard Wesche

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