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Existiert die Welt nur in meinem Bewusstsein?
oder: Gibt es eine reale Außenwelt?
I.) Dies ist eine seltsame Frage, mit der sich jedoch viele Philosophen
beschäftigt haben. Die Auffassung, dass es nur das eigene Bewusstsein gibt, wird
"Solipsismus" genannt, von lateinisch solus = allein und ipse = ich selbst.
Wenn der Ausdruck "x existiert" so viel bedeutet wie "x ist da" oder
"es gibt x", und wenn man unter "Welt"
die Gesamtheit alles Wirklichen versteht, dann behauptet der Solipsist,
dass es die Welt nur in seinem Bewusstsein gibt. Auch eine Uhr, die an der Wand
hängt, gibt es nur in seinem Bewusstsein.
Wenn ich entgegne: "Ich sehe aber dieselbe Uhr an der Wand hängen wie Du. Also
existiert die Uhr nicht nur in Deinem Bewusstsein sondern auch in meinem
Bewusstsein", so wird mir der Solipsist wahrscheinlich antworten: "Es gibt außerhalb meines Bewusstseins nichts anderes,
also gibt es auch kein anderes
Bewusstsein. Du existierst auch nur in meinem Bewusstsein, so wie die Uhr. "
Hier ist bereits der Punkt erreicht, an dem man die Diskussion mit dem Solipsisten
abbrechen sollte und ihm sagen sollte: "Du behauptest etwas, dem ich zustimmen
soll und das ich für richtig halten soll. Dies macht jedoch keinen Sinn, wenn
ich von Dir und Deinem Bewusstsein abhängig bin und meine Argumente nicht
autonom vortragen
kann. Wenn es mich nur als Inhalt Deines Bewusstseins gibt aber nicht als
unabhängiges Subjekt, dann ist der Argumentation zwischen uns die
Grundlage entzogen."
Der Solipsist hält den Solipsismus für richtig und verlangt damit für seine These "Die Welt
existiert nur in meinem Bewusstsein" intersubjektive Geltung, d. h. dass
auch ich dem zustimmen soll.
Gleichzeitig behauptet er, dass es nur ein Subjekt
gibt. Er verlangt also intersubjektive Anerkennung, wo es nur ein Subjekt gibt.
Das ist widersinnig.
II.)
Die Situation stellt sich etwas anders dar, wenn ich mir selber die Frage
stelle, ob die Welt nur in meinem Bewusstsein existiert. Wie kann ich für mich
selber begründen, dass
die Uhr, die dort an der Wand hängt, unabhängig von mir und meinem Bewusstsein dort hängt?
Warum ist es sinnvoll, einfach zu sagen, dass die Uhr dort hängt? Warum bin ich kein Solipsist?
Eine Widerlegung der solipsistischen Sichtweise hat eine besondere
Schwierigkeit zu überwinden:
Was immer ich an empirischen, also auf Wahrnehmung beruhenden Argumenten für eine von meinem Bewusstsein unabhängige Uhr- vorbringe,
es nützt nichts, denn auch beobachtete Tatsachen sind mir nach solipsistischem
Verständnis nur als Inhalte meines
Bewusstseins gegeben.
Wenn ich z. B. gegen den Solipsismus einwende: "Die Uhr ist wirklich da und nicht nur in meiner
Vorstellung, denn wenn sie mir auf den Kopf
fällt, habe ich dort eine blutende Platzwunde", so ist dies kein
schlüssiges Argument für
eine von meinem Bewusstsein unabhängige Existenz der Uhr, denn meine Verletzung
durch die Uhr
geschieht ja nach solipsistischem Verständnis ebenfalls nur in meinem
Bewusstsein.
Es lässt sich deshalb prinzipiell kein erfahrungswissenschaftliches Experiment
ausdenken, das die solipsistische Position widerlegen oder beweisen könnte. Die
Lösung des Problems muss deshalb woanders gesucht werden.
III.)
Warum bin ich der Meinung, dass es nicht nur mich selbst und mein Bewusstsein
gibt, sondern auch eine von mir und meinem Bewusstsein unabhängig existierende Welt?
Warum treffe ich im alltäglichen Leben eine Unterscheidung zwischen dem, was nur in meinem Bewusstsein abläuft und
dem, was in der realen Welt geschieht?
Zur Beantwortung dieser Frage ist es notwendig, verschiedene Arten von
Bewusstseinsinhalten zu unterscheiden.
Ich kann z. B. die bewusste Vorstellung haben, dass ich wieder ein Kind bin oder dass Tiere meine Sprache sprechen, dass an
allen Uhren die Zeiger fehlen oder dass mir der Geist einer Verstorbenen
erscheint. Wenn derartige Inhalte
im eigenen Bewusstsein auftauchen, nennen man dies gewöhnlich Träume,
Halluzinationen oder Wahnvorstellungen.
Die Inhalte von Träumen, Halluzinationen oder Wahnvorstellungen lassen sich
zwar beschreiben und sind auch mit Gefühlserlebnissen verbunden, aber diese
Bewussteinsinhalte lassen sich in vielen Punkten nicht in Einklang mit anderen
Bewusstseinsinhalten bringen. In unseren Träumen ist vieles möglich, aber es
zählt nicht in der von uns wahrgenommenen Welt. (Das heißt jedoch nicht, dass
Träume nicht auf symbolische Weise Hinweise auf die Person des Träumenden und
dessen ungelöste unbewusste Konflikte geben können.)
Ganz anders ist das bei Bewusstseinsinhalten, die auf aktuellen Sinneseindrücken
beruhen. Wenn ich meine Augen aufmache, dann sehe ich etwas. Diese empirischen
Bewusstseinsinhalte sind nicht durch meine Person gesteuert, sie haben ihre
eigene Ordnung und enthalten Regelmäßigkeiten, die ich zwar erkennen und verwenden,
aber nicht beseitigen kann.
Ein Beispiel: Ich öffne die Augen und sehe vor mir etwas Großes und Hohes. Ich schließe und öffne
meine Augen mehrmals hintereinander. Ich sehe jedes Mal denselben Gegenstand vor mir. Ich kann
meine Sinneseindrücke dadurch erklären, dass das Große und Hohe vor mir etwas
Ortsfestes und Dauerhaftes ist, z. B. ein Haus.
Wenn ich z. B. sehe, dass einem Kind ein Glas aus der Hand
rutscht, muss ich damit rechnen, dass das Glas zu Boden fällt und auf dem Fliesenboden zerspringt. Im Traum
oder in der Märchengeschichte wäre
das nicht festgelegt. Das Glas könnte auch davonfliegen oder heil bleiben.
Ein anderes Beispiel:
An der Wand sehe ich eine Uhr. Wenn ich meine Augen für eine kurze Zeit schließe
und wieder öffne, dann sehe ich, dass der Sekundenzeiger jedes Mal etwas vorgerückt ist.
Im Traum oder im Science-Fiction-Film könnten die Zeiger auch
rückwärts laufen oder auch ganz fehlen.
Meine Sinneseindrücke weisen demnach eigengesetzliche regelmäßige Abfolgen auf,
die sich nur durch die Existenz einer auf meine Sinne einwirkenden Welt erklären
lassen.
Ich kann diese Regelmäßigkeiten durch praktisches Eingreifen auch verwenden, um
bestimmte Ereignisse und die ihnen entsprechenden Sinneseindrücke gezielt zu erzeugen. So
kann ich ein Glas absichtlich fallen lassen, um es kaputt zu machen.
Sinneseindrücke ("Jetzt dort etwas Großes und Hohes") und ihr sprachlicher Ausdruck in Form von interpretierten
Wahrnehmungen ("Ich sehe vor mir ein Haus") lassen sich zu Regelmäßigkeiten und schließlich zu einem
geordneten Modell der Welt mit dauerhaften und regelmäßigen
Eigenschaften zusammenfügen. (Damit ist nicht gesagt, dass dies innere Modell
der Welt perfekt ist.)
In diesem Modell bin auch ich selber enthalten - einschließlich des physiologischen Vorgangs
des Sehens, der Wahrnehmung mit den Augen.
Dabei treffen
Lichtstrahlen unterschiedlicher Stärke und Frequenz auf meine Augen,
werden durch die Linse auf die Netzhaut gelenkt, wo sie sensorische Nervenzellen
reizen. Diese senden daraufhin über den Sehnerv entsprechende
elektrische Signale zum Gehirn, das daraus schließlich eine Ansicht erzeugt.
Da meine Sinneseindrücke durch die mich umgebende Welt erzeugt werden, enthalten
sie auch Informationen über die mich umgebende Welt, von der ich ein Teil bin.
Die Welt in ihrer Beschaffenheit kann meine Sinneswahrnehmungen erklären. Die
Erkenntnis der Welt ermöglicht mir außerdem ein zielgerichtetes Handeln. Mein
Modell der Welt ist zwar korrekturbedürftig, falls zukünftige Sinneseindrücke nicht
so sind, wie aufgrund des Modells zu erwarten war, aber das Modell ist insgesamt doch so
bewährt, dass mein alltägliches Handeln
in den allermeisten Fällen gelingt.
Dies ist einer der Hauptgründe für die Annahme einer realen Welt, die unabhängig von
meinem Bewusstsein existiert. Wer Geträumtes und Wahrgenommenes nicht
realistisch unterscheiden kann oder will, der kann nicht erfolgreich handeln.
***
Siehe auch die folgenden thematisch verwandten Texte in der Ethik-Werkstatt:
Kritik der Alles-ist-Geist-Lehre (Non-Dualismus)
Eigene Diskussionsbeiträge zu
"Alles ist Bewusstsein" ** (238 K)
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Bewusstsein?"
Letzte Bearbeitung 15.06.2008 / Eberhard Wesche
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