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Wissenschaftliche Erkenntnis
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Inhalt:
1.) Was kennzeichnet die
wissenschaftliche Erkenntnis?
2.) An einen "Positivisten"
3.) Philosophie als Wissenschaft
4.) "Wildes Denken"
5.) Ist
Esoterik Wissenschaft?
6.) Zur
Vergleichbarkeit von Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft
7.) Zur Bedeutung singulärer Sätze
8.) Worin
liegt der Unterschied zwischen "erleben" und "erkennen"?
9.) Ist das kopernikanische Weltbild besser
als das ptolemäische?
Textanfang:
Was kennzeichnet die wissenschaftliche Erkenntnis?
1.) Wissenschaftliche Tätigkeit unterscheidet sich von anderen geistigen
Tätigkeiten wie z. B. dem Schreiben von Belletristik dadurch, dass sie
Behauptungen mit dem Anspruch auf allgemeine Geltung aufstellt.
2.) Wissenschaft unterscheidet sich von Glaubenssystemen, die für sich ebenfalls
allgemeine Geltung beanspruchen, dadurch, dass sie für die Überprüfung ihrer
Behauptungen eine allgemein zugängliche Methode (intersubjektive
Nachvollziehbarkeit aller Argumente)
angibt.
3.) Die Behauptungen, die im Rahmen der Wissenschaft erhoben werden, sind
unterschiedlicher Art. Aufgabe der Wissenschaftsmethodologie ist es, diese
verschiedenen Arten von Behauptungen zu analysieren und die jeweilige Methode
zur Überprüfung ihres Wahrheitsanspruchs zu bestimmen. Die Methodologie
untersucht, welche Art von Argumenten für die Begründung bzw. Widerlegung einer
bestimmten Art von Behauptungen geeignet ist.
Für alle Behauptungen gilt, dass von zwei Behauptungen, die sich logisch
widersprechen, mindestens eine Behauptung aufgegeben werden muss.
Widersprüchliche Behauptungen sind
für die Erkenntnis unbrauchbar, weil man mit ihnen keine Fragen beantworten
kann.
4.) Eine wichtige Art von Behauptungen sind die faktischen oder positiven
Behauptungen, die sich auf die Beschaffenheit der Wirklichkeit beziehen. Die
positiven Behauptungen unterteilen sich wiederum in verschiedene Unterarten,
z. B.:
a.) Behauptungen über einzelne räumlich und zeitlich bestimmte Tatbestände in Vergangenheit, Gegenwart oder
Zukunft (Singuläre Aussagen);
b.) Behauptungen über regelmäßige Zusammenhänge zwischen Tatbeständen bestimmter
Art unabhängig von Ort und Zeitpunkt (All-Sätze).
Für die Überprüfung positiver Behauptungen spielt die Sinneswahrnehmung (Sehen,
Hören etc.) eine
zentrale Rolle. Behauptungen über die Beschaffenheit der Realität
werden in dem Maße in
Frage gestellt, wie sich aus ihnen Erwartungen ableiten lassen, die zu (intersubjektiv
übereinstimmenden) Wahrnehmungen in Widerspruch stehen.
5.) Eine andere - vor allem für Sozialwissenschaften wichtige - Art von
Behauptungen sind normative Behauptungen, die sich direkt oder indirekt auf die
Normen menschlichen Handelns beziehen. Die normativen Behauptungen
unterteilen sich ebenfalls in verschiedene Unterarten. Die wichtigsten sind:
a.) Behauptungen über den Wert oder Unwert bestimmter Phänomene (Werturteile);
b.) Behauptungen darüber, wie bestimmte Menschen handeln sollen (Normsätze).
Die Methode der Überprüfung ist bei normativen Behauptungen sehr viel
umstrittener als bei positiven Behauptungen, und von
positivistisch orientierten
Erkenntnistheoretikern wird die Möglichkeit einer rationalen und
allgemeingültigen
Beantwortung normativer Fragen prinzipiell bestritten. Gegen eine solche
Ausklammerung normativer Fragen aus der Wissenschaft lässt sich jedoch
einwenden, dass man durch den Bezug auf die Interessen der Menschen - zumindest
über weite Bereiche - logisch und intersubjektiv nachvollziehbar für und wider normative
Behauptungen argumentieren kann.
6.) Eine besondere Stellung nehmen Behauptungen über theoretisch konstruierte Modelle ein,
die ausgehend von bestimmten Annahmen und Prämissen rein logisch entwickelt werden. So ist z. B. die
ökonomische Theorie der vollkommenen Konkurrenz eine derartige Modelltheorie,
aber auch die Marxsche Theorie des Kapitalismus hat Modellcharakter.
Die
Funktion derartiger idealer Modelle ist nicht immer eindeutig. So kann die Theorie
der vollkommenen Konkurrenz einmal in positiver Absicht verwendet werden, z. B.
als Erklärung für die Höhe von Preisen. Man kann sie jedoch auch normativ
verwenden, wenn man das Konkurrenzgleichgewicht positiv bewertet und daraus die
Forderung nach der Realisierung vollkommener Konkurrenz ableitet.
7.) Eine weitere wichtige Art von Behauptungen kann man als
sinndeutende oder hermeneutische Behauptungen bezeichnen. Sie beziehen sich auf die Interpretation
von Zeichen und Texten. Übersetzungen oder Sinndeutungen symbolischer Handlungen stellen
hermeneutische Behauptungen dar. Aber auch bei jeder Interpretation eines
Autors stellen sich hermeneutische Probleme. Für hermeneutische
Behauptungen sind vor allem in den Sprachwissenschaften Methoden entwickelt worden, die am Prinzip der
intersubjektiv nachvollziehbaren Überprüfbarkeit ausgerichtet sind.
8.) Der Wert einer wissenschaftlichen Arbeit wird vor allem von zwei
Gesichtspunkten bestimmt:
a.)
Inwiefern sind die Resultate und die Behauptungen, aus denen sie bestehen, Antworten
auf relevante Fragen und Probleme?
b.) Inwiefern sind die aufgestellten Behauptungen im Prinzip
allgemein nachvollziehbar
begründet?
Das letztere setzt voraus, dass man sich über die eigene Fragestellung und über
die Art der aufgestellten Behauptungen im Klaren ist, um auch die jeweils
angemessenen Methoden der Begründung anwenden zu können.
9.) Die Wissenschaft ist insofern ein arbeitsteiliger Prozess, als
praktisch bei jeder wissenschaftlichen
Arbeit auf die Resultate anderer Wissenschaftler zurückgegriffen werden muss.
Die Kooperation der Wissenschaftler wird durch die Orientierung am Prinzip der
intersubjektiven Nachvollziehbarkeit aller Argumente ermöglicht.
Daraus folgt für den Wahrheitsanspruch der eigenen Ergebnisse, dass alle
Behauptungen, die als Voraussetzungen in die eigene Arbeit eingegangen sind und
die man von anderen Wissenschaftlern übernommen hat, in ihrer Herkunft kenntlich
gemacht werden sollten (Quellenangabe mit Verfasser, Titel, Ort und Jahr des Erscheinens, Seite).
Allerdings rechtfertigt der Verweis auf die Ergebnisse eines anderen
Wissenschaftlers nicht die kritiklose Übernahme seiner Behauptungen.
(Ein weiterer Grund für die genaue Quellenangabe übernommener Behauptungen ist
die deutliche Unterscheidung eigener und fremder wissenschaftlicher Leistungen.)
10.) Wenn sich bereits andere Wissenschaftler mit einer Fragestellung beschäftigt haben,
ist es angebracht, deren Resultate zur Kenntnis zu nehmen. Dann
ist die Gefahr am geringsten, dass man relevante Argumente übersieht oder dass
man überflüssige Doppelarbeit leistet. Aus diesem Grunde erfordert wissenschaftliches
Arbeiten gewöhnlich die kritische Auseinandersetzung mit der einschlägigen
Fachliteratur.
11.) Wenn wissenschaftliche Erkenntnis die intersubjektive Überprüfbarkeit der
aufgestellten Behauptungen verlangt, so setzt dies eine möglichst verständliche,
klare und präzise Ausdrucksweise voraus. Jeder Wissenschaftler sollte deshalb
die von ihm verwendeten Begriffe auf ihre Bedeutung und Verständlichkeit prüfen.
***
2.) An einen "Positivisten"
Offensichtlich verwendest Du die Worte "Wissen" und "Wissenschaft" in einem engeren Sinne als ich. Die Philosophie verschafft nach
Deinem Sprachgebrauch zwar Einsichten aber kein Wissen im eigentlichen Sinne.
Offenbar bezeichnest Du nur das als "Wissen", was anhand von empirischer
Beobachtung und Logik überprüfbar ist, und nur empirische oder logische Sätze
können für Dich "wahr" sein.
Für mich zeigt jede unbeantwortete Frage ein "Nicht-Wissen"
an und jede richtige Antwort auf eine Frage bezeichne ich als "Erkenntnis" oder
auch "Wissen". Man sagt ja auch: "Wer weiß die Antwort auf diese Frage?"
Nun gibt es viele Fragen - und es sind nicht die
unwichtigsten - , die sich allein mit Hilfe von Logik und Empirie nicht
beantworten lassen. Dazu gehören u. a. ethische, politische, wirtschaftliche und
pädagogische Fragen nach dem richtigen Entscheiden und Handeln. Wenn man diese
Fragen beantworten kann, stellen die richtigen Antworten ein "Wissen" dar.
Von "Wissenschaft" würde ich dann sprechen, wenn es ein
Kriterium für die Richtigkeit derartiger Antworten gibt und wenn sich die
Methoden zur Beantwortung dieser Fragen an diesem Kriterium ausrichten. Beide
Terminologien, Deine und meine, sind m. E. vertretbar.
"Richtige" Antworten stellen allgemeingültige Behauptungen
dar. Das entscheidende Kriterium für die Allgemeingültigkeit einer Behauptung
oder These ist ihre allgemeine (intersubjektive) und dauerhafte (intertemporale)
Akzeptierbarkeit oder Anerkennbarkeit. Die allgemeine Anerkennbarkeit einer Behauptung wird durch
Argumente nachgewiesen. Deshalb müssen gute Argumente ihrerseits intersubjektiv
nachvollziehbar und akzeptabel sein.
***
3.) Philosophie als Wissenschaft
Ich denke, dass es auch in der Philosophie einen Erkenntnisfortschritt geben
kann, dass es Ergebnisse geben kann, auf denen man weiter aufbauen kann.
Für eine erkenntnisorientierte Diskussion scheinen mir folgende Punkte wichtig zu sein:
Die Fragen, um deren Beantwortung es geht, sollten so gut wie möglich geklärt
sein. Dazu ist die Klärung der benutzten Begriffe nötig. Niemand sollte "drauflos philosophieren", ohne etwas darüber gesagt zu haben, wie
die von ihm
benutzten Begriffe gemeint sind.
Es muss die Art der Frage bzw. die Art der strittigen Behauptung geklärt
werden, um die es geht: Handelt es sich um eine faktische Frage nach der
Beschaffenheit der Wirklichkeit? Handelt es sich um eine Frage der
handlungsorientierenden Bewertung von
Dingen? Handelt es sich um eine normative
Frage nach dem richtigen Handeln? Handelt es sich um eine Frage nach dem Sinn
von Zeichen, kulturellen Werken oder ähnlichem?
Dabei lassen sich diese groben Kategorien noch weiter untergliedern und sicher
auch noch ergänzen (Fragen nach singulären Ereignissen, Fragen nach
Regelmäßigkeiten, logische Fragen, mathematische Fragen u. a. m.)
Eine der zentralen Aufgaben der Philosophie
ist m.E. die Beantwortung der übergeordneten Frage: "Wie kann man
Fragen dieser oder jener bestimmten Art richtig beantworten?" Man kann dies als
methodologische Fragestellung
bezeichnen. Die wissenschaftliche Methodologie sucht nach geeigneten Wegen
zur
Entdeckung und Überprüfung von Antworten auf gestellte Fragen.
Dabei ist der zentrale Punkt die Frage nach dem jeweiligen
Kriterium für die "Wahrheit", "Richtigkeit" oder "Allgemeingültigkeit" der verschiedenen Arten von
Behauptungen (oder abgeschwächt: der "Vertretbarkeit" dieser
Behauptungen).
Wenn man diese Gesichtspunkte im Auge behält, wird sich ein gesicherter
Fortschritt bei der Beantwortung der Fragen ergeben – und sei es nur, dass
man weiß, welche Fragen grundsätzlich nicht beantwortet werden können und
welche Fragen wir gegenwärtig nicht beantworten können.
***
Es gibt Spielarten der Philosophie, die nicht argumentieren wollen, sondern die
die
Sprache zu anderen Zwecken benutzen: zum Mitteilen und zum Festhalten von
außergewöhnlichen Gefühlen und Stimmungen, zur Erzeugung von Exklusivität
gegenüber Nicht-Eingeweihten durch Sprachbarrieren, zum Verblüffen und Verwirren
durch die Aneinanderreihung von Paradoxien, Gedankensprüngen und "Sprachsalat".
Diese Formen des "magisch beschwörenden Sprechens" und des "wilden Denkens"
überzeugen nicht durch intersubjektiv nachvollziehbare Argumente. Sie haben ihre
eigene Form der "Intersubjektivität" : Sie wirken "ansteckend" auf jemanden, der
daraus bestimmte Hoffnungen, Tröstungen, Gemeinschaftserlebnisse,
Überlegenheitsgefühle oder anderes ziehen kann.
Ich will dieser Art zu philosophieren nicht die
Existenzberechtigung absprechen. Ein Gedicht, das "einem aus der Seele
spricht", kann einem manchmal mehr geben als ein dickes philosophisches
Buch.) Aber man sollte dichterisches und künstlerisches
Philosophieren nicht mit wissenschaftlichem Philosophieren unkontrolliert
vermengen.
***
5.) Zur Vergleichbarkeit von
Naturwissenschaft und
Geisteswissenschaft
Eine Konfrontation von
Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften unter dem Gesichtspunkt: "Welche Wissenschaft ist besser oder erfolgreicher?"
erscheint mir als problematisch.
Es gibt verschiedene Arten von Fragen und nicht alle
lassen sich nach der gleichen Methode beantworten. Dementsprechend gibt
es auch verschiedene Wissenschaften, die sich speziellen Fragekomplexen zuwenden
und nach geeigneten Methoden zur Beantwortung dieser Fragen suchen.
Die empirische Frage: "Gibt es Yetis?" muss nach anderen Methoden beantwortet
werden als die normative Frage: "Darf man eine Schwangerschaft abbrechen?"
Die 'hermeneutische' Frage: "Was meint Marx mit dem 'Fetischcharakter der
Ware'?" muss wiederum nach anderen Methoden beantwortet werden als die
mathematische Frage: "Ergibt die Division von 3574 durch 18 eine ganze Zahl?"
Jede Art von Fragen erfordert eine eigene Methode der Beantwortung. Und die
Frage: "Welche Methode ist dazu geeignet, eine bestimmte Art von Fragen richtig
zu beantworten?" stellt ihrerseits eine besondere Art von Frage dar, die man als
methodologische Frage bezeichnen kann.
Ein Leistungsvergleich der verschiedenen wissenschaftlichen Methoden macht nur
dann Sinn, wenn verschiedene Wissenschaften dieselben
Fragen beantworten wollen (wie z. B. die empirische und die
geisteswissenschaftliche Psychologie). Hier muss man fragen, welcher der Ansätze
fruchtbare ist und
eher zu richtigen Antworten auf die relevanten Fragen führt.
***
6.) Ist
Esoterik
Wissenschaft?
Grundsätzlich kann man niemandem vorschreiben, welchen Sinn er bestimmten Worten
geben will. Es steht also Klaus Meier erstmal frei, ein Wort wie "Wissenschaft" in einer bestimmten Weise zu definieren. Es handelt sich dann
eben um "Wissenschaft im Meierschen Sinne".
Wenn das Wort "Wissenschaft" jedoch im allgemeinen Sprachgebrauch bereits eine
andere Bedeutung hat, so kann das zu Missverständnissen führen und Meier muss
sich fragen lassen, warum er dies Risiko erzeugt. Er könnte ja auch ein anderes
Wort als Bezeichnung des von ihm Gemeinten nehmen, z. B. "Weisheitslehre".
Die Absicht, die hinter der gern geübten Vereinnahmung
solcher Worte wie "Wissenschaft", "Demokratie" oder "Reform" steht, ist
leicht zu erkennen: man will von dem guten Klang dieser Worte etwas auf die
eigenen Theorien übergehen lassen. "Wissenschaft" hat weithin einen guten Klang. Durch die moderne Wissenschaft
wurde es möglich, gegen Kinderlähmung zu impfen, die Hieroglyphen zu verstehen,
Fernzusehen, in einer Stunde von Hamburg nach München zu gelangen oder weltweit
Gedanken im Internet auszutauschen.
Diese Leistungen gehen jedoch gerade nicht auf das Konto derjenigen
Denkrichtungen, die in den Buchläden gewöhnlich unter "Esoterik" zu finden sind.
Insofern schmücken sich diese Denkrichtungen mit fremden Federn, wenn sie unter
dem Begriff "Wissenschaft" firmieren.
Astrologie, Handliniendeutung, Wahrsagerei aus Karten oder Pendeln usw. ist
etwas völlig anderes als eine moderne Wissenschaften, und es dient nur der
Klarheit des Denkens, wenn man für unterschiedliche Dinge auch unterschiedliche
Begriffe verwendet.
Worin liegt der Unterschied zwischen den modernen Wissenschaften und den
esoterischen Lehren? Der entscheidende Unterschied ist meines Erachtens der,
dass die modernen Wissenschaften das Ziel haben, auf die Fragen ihres Gebietes Antworten zu geben, die allgemein anerkennbar und
nachprüfbar sind.
Die wissenschaftlichen Methoden sind dementsprechend ausgerichtet. So werden
nicht nur die Ergebnisse der Forschungen mitgeteilt, sondern auch die
Versuchsbedingungen. Dadurch kann im Prinzip jeder, der es will, den Versuch
wiederholen und so die Ergebnisse überprüfen.
Durch die selbstkritische Einstellung des Wissenschaftlers und durch die
offene
Kritik unter den Fachwissenschaftlern gibt es auch einen Motor, um beständig
neue Erkenntnisse zu erlangen und Fehler oder Mängel in der bisherigen
Auffassung auszumerzen.
Den esoterischen Lehren ist die selbstkritische Einstellung des Wissenschaftlers
fremd, der die eigenen Annahmen über die Wirklichkeit strengen Tests - wie z.
B. falsifizierbaren Voraussagen - unterwirft und bereit ist, aufgrund von neuen
Wahrnehmungen und Erfahrungen seine bisherigen Annahmen fallen zu lassen oder
umzuformulieren.
Wenn Vertreter esoterischer Lehren überhaupt zu eindeutigen Voraussagen
bereit sind, so haben sie gewöhnlich schon eine Erklärung parat, falls die
Voraussage nicht eintrifft (".. der Geist der Toten scheute die Videokamera ... " oder ähnliches). So behält der Esoteriker immer Recht und kann unbeirrbar
weiter an seiner Lehre festhalten. Oft soll es sogar an den Kritikern selber
liegen, an ihren Einstellungen oder Verhaltensweisen, dass sie das Vorausgesagte
nicht wahrnehmen konnten. Für jedes Versagen seiner Theorie findet der
Esoteriker eine Erklärung und kann deshalb an ihr festhalten.
***
7.) Zur Bedeutung singulärer Sätze
Die Wissenschaften bemühen
sich vor allem um die Aufstellung von zusammenhängenden Theorien, aber man
sollte nicht vergessen, dass sich viele wissenschaftliche Fragen nur auf
singuläre Sachverhalte richten.
In vorwiegend beschreibenden Wissenschaften
wie Geschichte, Geographie, Archäologie oder Astronomie nehmen singuläre
Aussagen einen zentralen Platz ein.
Singuläre Aussagen spielen auch in denjenigen Wissenschaften eine Rolle, in
denen allgemeine Theorien entworfen werden. Denn sowohl die
Anwendungsbedingungen als auch die Falsifikatoren einer Theorie werden als
singuläre Aussagen formuliert ( z. B.: "Die Erhöhung der Temperatur auf 300 Grad
Celsius ist nicht eingetreten." )
***
8.) Worin liegt der
Unterschied zwischen "erleben" und "erkennen"
?
Eine Sache "erleben" (z. B. eine Reise, ein Symphoniekonzert, eine Begegnung mit
einem andern Menschen) bezeichnet die Gesamtheit der Sinneseindrücke, die ich
dabei habe, sowie die Gefühle, Stimmungen und sonstigen inneren Reaktionen, die
dabei in mir ausgelöst werden.
Eine Sache zu "erkennen" beinhaltet die richtige Beantwortung der Fragen,
die man in Bezug auf diese Sache hat.
Dieselbe Sache kann von verschiedenen Individuen sehr unterschiedlich erlebt
werden. Sogar dasselbe Individuum erlebt z. B. die Wiederholung einer Reise
nicht notwendigerweise genauso wie beim ersten Mal.
Dagegen darf es bei der "Erkenntnis" einer Sache keine Unterschiede zwischen den
Antworten der Individuen geben, wenn diese "richtig" sein sollen, weil "Richtigkeit" immer "Richtigkeit für alle" und "Richtigkeit unabhängig von Zeit
und Ort" bedeutet.
Um diese allgemeine Gültigkeit oder "Intersubjektivität" der Antworten zu
erreichen, bedarf es einer besonderen Methodik des Erkennens. Bezogen auf die
jeweiligen Fragebereiche ist die systematische Sammlung der Erkenntnisse sowie
die Entwicklung geeigneter Methoden des Erkennens eine Aufgabe der
Einzelwissenschaften.
***
9.) Ist das
kopernikanische Weltbild
besser als das
ptolemäische?
Man könnte die Frage verneinen mit dem Argument: "Das
kopernikanische System sagt uns, die Erde kreise um die Sonne, obwohl wir doch
das genaue Gegenteil beobachten, wenn wir zum Himmel schauen."
Dass wir den Eindruck haben, die Sonne bewege sich um die Erde, ist unserer
besonderen Perspektive auf einer sich drehenden Kugel, der Erde, geschuldet. Wer
im Karussell sitzt, für den dreht sich auch die Welt um ihn. Die Astronauten in
der Weltraumstation hatten da schon eine andere Perspektive, die mit dem
ptolemäischen Weltbild nicht mehr zu vereinbaren ist.
Die physikalische Erkenntnis beruht letztlich auf Beobachtungen, aber damit sind
nicht Beobachtungen aus nur einer speziellen Perspektive gemeint. Das Modell der
Wirklichkeit, das die Physik uns liefert, muss mit den Beobachtungen aus jeder
möglichen Perspektive vereinbar sein.
Ein Beispiel: Wenn ich eine ferne Kugel immer nur aus einer Richtung sehe (wie
z. B. die Erdbewohner den Mond), dann kann es sich dabei auch um eine flache,
runde Scheibe handeln. Wenn ich mich jedoch um den fraglichen Gegenstand herumbewege
und er erscheint mir aus jeder Perspektive als kreisförmig und rund, so kann es sich nicht
um eine Scheibe handeln. Nur die Annahme einer Kugelform ist mit diesen
Beobachtungen vereinbar.
Im übrigen konnte das kopernikanische Weltbild schon vor der Raumfahrt mit
einfachen Erklärungen für Sonnen- und Mondfinsternisse gegenüber dem
ptolemäischen Weltbild glänzen.
Siehe auch
die folgenden thematisch verwandten Texte in der Ethik-Werkstatt:
Erkenntnis - Wahrheit - Wissenschaft ** (49 K)
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Letzte Bearbeitung 26.06.2008 / 23.11.2014 Eberhard Wesche
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