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Warum soll man moralisch sein? II

(Diskussion bei PhilTalk)


PhilTalk Philosophieforen  Praktische Philosophie >> Ethik >> warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I (Thema begonnen von: Aqvilleia am 23. Aug. 2006, 09:22 Uhr)



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Titel: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Aqvilleia am 23. Aug. 2006, 09:22 Uhr
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Hallo Eberhard -

ich versuche den Thread neu zu eröffnen und hoffe, dass es in deinem Sinn ist.

Dabei ersuche ich vor allem jene die nicht an einer ernsthaften, d.h. sachlich philosophischen Diskussion interessiert sind ihre Kämpfe im vorausgegangenen Thread auszutragen. Da mir Ethik ein Anliegen ist, wünsche ich mir in diesem Sinn keine persönlichen Angriffe, und den Begriff 'Liebe', 'Ich bin Du', sparsam bis gar nicht einzusetzen, denn darüber wurde nun meiner Meinung nach genug diskutiert. Dieser Apell geht an alle die hier posten! [smiley=danke.gif]


George E.Moore beginnt damit, zu hinterfragen was wir damit meinen wenn wir sagen, dass eine Handlung richtig ist, oder dass wir sie tun sollten, und ob es eine Eigenschaft gibt, sie sie alle auszeichnet.

Eine große Schwierigkeit in ethischen Diskussionen ist immer, die Frage zu finden, die man beantwortet haben möchte. In einer einfachen Darstellung versucht Moore eine Theorie zu bilden die ihren Ausgang davon nimmt, dass wir oft die Wahl haben zwischen mehreren verschiedenen Handlungen zu wählen.

Er nimmt an, dass unsere Handlungen unserem Willen unterstehen, und wir daher entscheiden können, sie zu tun oder zu unterlassen.

Diese Handlungen nennt er freiwillige Handlungen.

Damit ist aber nicht gesagt, dass alle oder fast alle freiwilligen Handlungen auch gewählt oder gewollt sind.

Weiter sind viele unserer Handlungen deshalb freiwillig, weil wir sie unterlassen könnten, aber das sagt nichts darüber, ob wir uns auf diese Weise hätten entscheiden können.

Es geht vielmehr darum Regeln oder Bedingungen aufzustellen unter denen Handlungen
a) richtig oder falsch sind
b) getan werden sollen
c) oder ob es unsere Pflicht ist sie zu tun

LG Aqvileia


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Aqvilleia am 23. Aug. 2006, 09:24 Uhr
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[sun] Eh ich's vergesse -

Eberhard - ich wünsche mir von dir, dass du die Moderation übernimmst, in deiner gewohnt sachlichen und ausgeglichenen Art!

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Joy am 23. Aug. 2006, 09:40 Uhr
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Hallo Aqvilleia,

die gesamte Art der Fragestellung unterstellt bereits eine Realität, die es als solche gar nicht gibt. Du unterstellst nämlich, dass es einen vom Handeln getrennt existierenden Handelnden gibt, der nun entscheidet ob er Handlung A oder Handlung B ausführt.

Ich kann nirgendwo eine solche real vom Handeln getrennte Entität finden. Das relativistische "Ich" (= Ego), die vermeintliche handelnde Person also, sie ist mit der Handlung selbst ident.

Die eigentliche Frage müsste daher ganz anders gestellt und präzisiert werden. Daran besteht aber offenbar hier im Forum gar kein wirkliches Interesse und es wird halt weiter phantasiert...

Da ich an solchen Phantastereien nicht interessiert bin, wird dies mein erster und letzter Beitrag in diesem Thread sein.



Joy




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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Aqvilleia am 23. Aug. 2006, 09:57 Uhr
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Hallo Joy -

diese Phantasterei wie du sie nennst ist Philosophie, und es ist eben nicht jeder deiner Meinung an der du nicht rütteln magst.
Ich habe nicht unterstellt, dass eine vom Handelnden unabhängige Person existiert, sondern, dass es möglicherweise verschiedene Formen von Determinismus geben kann, und dass es trotz aller Verschiedenheit eine Entscheidungsfreiheit gibt, etwas zu tun oder zu unterlassen.

Es steht dir frei, deine vermeintlich eigentliche Frage zu stellen und dazu Stellung zu nehmen - vielleicht in einem eigenen Thread?

LG

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von mondial am 23. Aug. 2006, 10:05 Uhr
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Mal so offen in den Raum "gesprochen".

Hast du dich schon mal gefragt, warum sich von Herzen liebenden Menschen die Frage nach "moralisch sein sollen..." gar nicht erst stellt?

[smiley=ura.gif]

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Aqvilleia am 23. Aug. 2006, 10:13 Uhr
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ganz offen zurückgesprochen - sind alle Menschen so? [embarrass]

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von mondial am 23. Aug. 2006, 10:17 Uhr
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on 08/23/06 um 10:13:11, Aqvilleia wrote:ganz offen zurückgesprochen - sind alle Menschen so? [embarrass]



Ist es nicht unfair von mir eine Frage zu stellen, die nur jener Teil der Menschheit beantworten könnte, der die Frage auch versteht?




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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 23. Aug. 2006, 10:56 Uhr
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Hi, Aqvilleia,

Du: Es geht vielmehr darum Regeln oder Bedingungen aufzustellen unter denen Handlungen
a) richtig oder falsch sind
b) getan werden sollen
c) oder ob es unsere Pflicht ist sie zu tun

Sollen diese Regeln global allgemeingültige Regeln sein, gültig in der Sekte XY oder nur gültig in einer 1-Personen-Sekte?

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von RandolphCarter am 23. Aug. 2006, 11:12 Uhr
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a)eine handlung ist reichtig oder felsch, wenn ich mir selbst durch sie etwas gutes/schlechtes tue (schlißet ein schlechtes gewissen ein)
b)man sollte eine handlung ausführen, wenn die folgen des nicht handelns schlecht wären
c)pflicht ist ein gesellschaftliches konstrukt, was aus den werten der mächtigen (meist der masse) resultiert...
ob man dieser pflicht nun nachgeht entscheidet sich über a) und b)


grüße

Carter

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Aqvileia am 23. Aug. 2006, 11:27 Uhr
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mondial -

Quote:"Die Fähigkeit zur Mitgefühl und Sensibilität ist für mich wichtigstes Fundament für das friedliche Zusammenleben"
..und auch für das philosophieren!



aus einem anderen Thread - vielleicht beantwortet das deine Frage - ich meine eine Frage zu stellen in der Motivation darauf eine ehrliche Antwort zu erhalten kann nie unfair sein, es sei denn, die Frage wird provozierender Weise in dem Wissen gestellt, dass der andere sie nicht beantworten kann.

Wolfgang Horn -

es geht um allgemeingültige Fragen die Menschen betreffen.

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von mondial am 23. Aug. 2006, 11:54 Uhr
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on 08/23/06 um 11:27:47, Aqvileia wrote:mondial -

aus einem anderen Thread - vielleicht beantwortet das deine Frage - ich meine eine Frage zu stellen in der Motivation darauf eine ehrliche Antwort zu erhalten kann nie unfair sein, es sei denn, die Frage wird provozierender Weise in dem Wissen gestellt, dass der andere sie nicht beantworten kann.



Nein ich denke das Zitat beantwortet die Frage nicht, es umgeht sie vielmehr. Möglicherweise in Ermangelung der Erfahrung. Ich weiss es nicht. Wichtiger als die Frage zu erschlagen, ist doch die Frage genau verstanden zu haben. Das heisst nicht sich vorzustellen was sie meint, sondern sie so zu lesen wie sie da steht. Kann das Provokation sein?




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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Aqvileia am 23. Aug. 2006, 12:50 Uhr
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mondial -

ich denke es ist keine Provokation!

Quote:Hast du dich schon mal gefragt, warum sich von Herzen liebenden Menschen die Frage nach "moralisch sein sollen..." gar nicht erst stellt


Wenn du diese Frage mir stellst, dann kann ich sie dir aus meiner Sicht beantworten, ja, ich habe mich das schon gefragt, und bin zu der Feststellung gekommen, dass alles Erkennen subjektiver Natur ist und 'von Herzen liebende Menschen' das aus ihrer Sichtweise heraus tun, was nicht heißt, dass dem einen das lieb ist, was auch dem anderen lieb ist, obwohl sie herzlich miteinander verbunden sind.

Wie würdest du diese Frage beantworten?

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 23. Aug. 2006, 13:05 Uhr
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Hi, Aqvileia,

Du: es geht um allgemeingültige Fragen die Menschen betreffen.

O.k.
Möchtest Du
a) einen Konsens über Antworten
oder
b) wärst Du zufrieden, wenn sich Dein Thread genauso entwickelt wie seine Vorgänger - viel Aneinandervorbeireden, Vorwürfe, Frustration?

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Aqvilleia am 23. Aug. 2006, 13:31 Uhr
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Hallo Wolfgang -

Ich gebe meine Stimme deiner Antwort A.

Mit der Einschränkung, dass es mir wichtig ist die Schwierigkeiten die damit verbunden philosophisch herauszuarbeiten. Da ich Lehrling bin, würde ich mich freuen dabei auch von jenen Philosophen unterstützt zu werden, die sich auf diese Weise schon länger mit Ethik auseinandergesetzt haben. Allen voran Eberhard, dessen Beiträge ich schon jahrelang verfolge ( ;-) im positiven Sinn).
Natürlich bin ich auch der Meinung, dass Ethik und die darin inkludierten Meinungen alle Menschen umfassen, aber nicht jedem ist es ein Anliegen ethisch zu handeln oder sich überhaupt mit der Thematik ernsthaft auseinander zu setzen, was sich ja leider bewiesen hat.
Eine Diskussion in der jeder nur auf seinem Standpunkt beharrt, kann keinen Konsens bringen oder Früchte tragen.

Es kann aber durchaus sein, dass ich eine Traumfrau bin, die sich eine derartige Diskussion wünscht oder vorstellt.

LG

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Templer am 23. Aug. 2006, 14:15 Uhr
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Nun, ich bin neu hier und deshalb korigiert mich bitte wenn ich total daneben liege!
Um die Frage zu beantworten warum man moralisch sein sollte muss man meiner Meinung nach erst mal zu dem Kern des Menschen gelangen, um zu sehen was denn überhaupt moralisch ist. Ist Moral eine angeborene Fähigkeit? Oder doch eher angelernt durch Erfahrungen und Einflüsse unserer Umwelt?
Um dann die Frage zu beantworten, wozu uns Moral eigentlich dient.
Ist es ein Instinkt, dient sie vieleicht dazu unsere Art zu erhalten, oder unser Urgemüt zu zähmen. (Aus dem mystischen Aspekt gesehen ist sie der Grundstock der Nächstenliebe)

Ist sie angelernt gibt es sie nur in unserer Vorstellung. (Jede Epoche der Geschichte hat ihren ganz persönlichen Wert und jedes Volk seine ganz spezielle Eigenart. Die Frage ist nur, ob und wie wir uns in andere Zeiten und Kulturen rein versetzen können. (Herder)).

Interessant zum Thema ist auch noch Kant:

Die Fähigkeit über Recht und Unrecht zu unterscheiden tragen wir seit Geburt in uns. Alle Menschen fassen die Ereignisse in der Welt als ursächlich bestimmt auf – Und alle haben auch Zugang zum selben universellen Moralgesetz. Dieses Moralgesetz hat dieselbe absolute Gültigkeit, wie die physikalischen Naturgesetze.
Da es vor jeder Erfahrung liegt, ist es Formal, was bedeutet, dass es nicht mit bestimmten moralischen Wahlmöglichkeiten zusammen hängt.
Kant formuliert sein Moralgesetz als kategorisch Imperativ. Kategorisch, weil es in allen Situationen gilt. Imperativ, weil es völlig unumgänglich ist.
Wir sollten immer so handeln, dass wir uns wünschen, Die Regel nach der wir handeln, wird allgemeines Gesetz. Wir sollen andere Menschen, immer als Zweck an sich selbst und nicht nur als Mittel zu etwas anderen behandeln. Denn jeder Mensch ist ein Zweck an sich. (Was du nicht willst was man dir tut, das tue auch keinem anderen an)
Dies ist eine formale Richtlinie, die im Grunde alle ethischen Wahlmöglichkeiten umfasst.
Kant sah sein Moralgesetz kausal. (Er beschreibt mit seinem Gesetz, das Gewissen. Wir können das was das Gewissen sagt nicht beschreiben, aber wir wissen es trotzdem. Kants Moralethik wird oft als Pflichtethik gesehen. Nur wenn man etwas tut, weil man es für seine Pflicht hält, dem Moralgesetz zu folgen, kann man von einer moralischen Handlung sprechen)
Nur wenn wir selber wissen, dass wir im Einklang mit dem Moralgesetz handeln, handeln wir in Freiheit. Es ist gerade diese Freiheit die uns zu Menschen macht.

Ich kann mich dieser Denkweise nur anschliessen, doch bleibt immer noch die Frage offen, aus welcher Sichtweise wir moralisch handeln.
Wann sind wir eigentlich moralisch?

So das nun erst mal von mir [spin]

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 23. Aug. 2006, 14:47 Uhr
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Hi, Aqvilleia

Du: Ich gebe meine Stimme ... A, also "einen Konsens über Antworten".

A ist natürlich die bessere Alternative für eine Gemeinschaft - wie die der Teilnehmer Deines Threads - die nicht nur auf der Stelle strampeln will, sondern produktiv voran kommen.

Blättere mal durch die älteren Threads zu diesem Thema.
Ich beobachte immer wieder dasselbe Schema:
a) Meinungsverschiedenheiten,
b) kollektive Unfähigkeit, über den Dissens zum Konsens zu kommen,
c) Vorwürfe, Gegenvorwürfe, für den Totschlag fehlt wohl die Konsequenz....:-)
d) Frustration des machtlosen Moderators.

Dies ist ein Stand der Diskussionstechnik, der schon im Zeitalter der Scholastik verbessert wurde durch die Pflicht an jeden, vor seiner Antwort erst zu erklären, wie er den vorigen Beitrag verstanden hatte.

Die Ursachen dieses Übels sehe ich in:
a) Machtlosigkeit des Moderators
b) Verwechslung von Glauben mit Wissen - die einen führen als Argumente nur das an, dessen Wahrheitsgehalt sie auch begründen können. Die anderen stellen unbelegte Behauptungen auf und fühlen sich dazu berechtigt, weil sie sich selber Zweifel daran verboten haben.
c) Eigensucht vieler Teilnehmer, die ihre persönlichen Ziele für wichtiger nehmen als erklärte Ziel des Threads.
Vergleiche diesen Prozeß der Wahrheitsfindung mit Prozessen, die da deutlich besser voran kommen - ich kenne keinen besseren als den der Naturwissenschaften.
d) Mängel in der Formulierung der Ziele. Da kommen Ziele mit logischen Widersprüchen drin vor.

Und dann schätze noch mal Deine Chancen, Dein Ziel unter den Randbedingungen dieses Forums zu erreichen.

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Templer am 23. Aug. 2006, 16:04 Uhr
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Ok, so langsamm verstehe ich wie das gemeint ist.
Gehen wir also von einer gemein gültigen Moral aus. Bleibt dann die Frage warum das Individuum sich daran halten sollte.

Moral macht ein gemeinsammes Leben erst möglich. Da wir Rudelwesen sind, brauchen wir Regeln die unser Miteienander möglich machen.
Die Moral wurzelt aus unserem Instinkten heraus und formt die einfachsten (oder auch schwersten (Auch heute sieht man noch wie mächtige Staaten, aus allen Fugen ächzen, wenn sie vor einfache Forderungen wie: Friede, Liebe, Essen für die Armen oder Vergebung für die Staatsfeinde gestellt werden.)) Regeln die Gesellschaft erst möglich macht.
Wenn man also ein Interesse daran hat in einer Gemeinschaft zu leben, sollte man moralisch sein.

Um aber weiter auf das Thema eingehen zu können, brauche ich mehr Informationen was du unter moralisch verstehst. ;) greets


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Hanspeter am 23. Aug. 2006, 16:17 Uhr
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Hallo Aqvilleia,

also, du versuchst das schier Unmögliche, nämlich über Moral eine sachliche Diskussion zu entwickeln. Wenn ich die bisherigen Beiträge sehe... naja.

Ich setze daher bei deinem ersten Beitrag an, in dem du Gedanken von G.E. Moore zu diesem Thema zitierst.

1. Als Definition von Moral setzt du Moores Postulat, wonach es darum geht, Regeln oder Bedingungen aufzustellen unter denen Handlungen
a) richtig oder falsch sind
b) getan werden sollen
c) oder ob es unsere Pflicht ist sie zu tun.
Dem stimme ich zu und ich denke, wir sollten uns darauf einigen, dass all diejenigen, die dieser Definition nicht folgen können, einen eigenen Thread eröffnen und hier nicht weiter stören sollten.

2. Du schreibst, Moore sagt über die Freiwilligkeit von Handlungen: "Damit ist aber nicht gesagt, dass alle oder fast alle freiwilligen Handlungen auch gewählt oder gewollt sind."

Das verstehe ich nicht. Wenn eine Handlung freiwillig ist, heißt das für mich: Der Handelnde hat insofern frei entschieden, als er von mindestens 2 Optionen eine gewählt hat. Ob der dabei äußeren Zwängen ausgesetzt war, spielt keine Rolle. Die bei Straftaten gelegentlich aufgestellte Behauptung: "Ich habe das nicht gewollt" mag von juristischem Vorteil sein, in einer Diskussion über Moral hat sie aber keinen Platz. Denn über Moral kann man nur diskutieren, wenn man einen Freien Willen ohne Wenn und Aber akzeptiert.
Ich denke, auch darüber müsste hier Konsens herrschen.

Bist du mit diesen beiden Voraussetzungen einverstanden?

Fragt HP





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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 23. Aug. 2006, 17:12 Uhr
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Hallo allerseits,

ich stimme denen zu, die fragen, was mit dem Wort "moralisch" gemeint ist. Was meinen wir, wenn wir von "moralischer Empörung", einem "moralischen Appell" oder einer "Beurteilung unter moralischem Aspekt" sprechen?

Was unterscheiden moralische Regeln und Aspekte von Rechtsnormen ("Wer Banknoten nachmacht …, wird mit mindestens x Jahren Freiheitsentzug bestraft"), Klugheitsregeln ("Man soll sich 3 mal täglich die Zähne putzen"), Regeln der Etikette ("Man soll Kartoffeln nicht mit dem Messer schneiden") oder Gebrauchsanweisungen ("Nehmen Sie dazu ein Viertel Liter Sahne")?

Wenn wir hier etwas Klarheit gewonnen haben, reden wir weniger aneinander vorbei.

Ich vermute, ein Charakteristikum moralischer Regeln ist, dass sie in gewisser Weise "unbedingt" gelten, während z. B. eine Spielregel nur dann gilt, wenn ich ein bestimmtes Spiel spielen will.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von laertes am 23. Aug. 2006, 19:00 Uhr
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hallo zusammen:


die frage:

'warum soll man moralisch sein'

ist zirkulär, denn die beiden mögichen antwortformen:


'darum soll man moralisch sein'

oder

'darum soll man nicht moralisch sein'.


sind beide moralisch, da ein 'sollen' angesprochen wird.


(ich glaube, sogar wolfgang horn wäre hier mit mir einverstanden, er würde sagen, dass in der frage ein 'denkfehler' steckt. ich würde allerdings sagen, eine solche frage kann nur von einem moralisten gestellt werden, der implizit eine gegenposition gar nicht in 'seinem' thread besprochen haben will. das hat sich genau bestätigt - siehe eberhards ausfall.)


damit die frage sinn macht, muss sie anders gestellt werden, sonst wird es logischerweise ein thread in dem sich moralisten gegenseitig bestätigen, wie es jetzt der fall ist.


die präzise frage ist:


kannst du moral gutheissen?

(habe einen thread dazu aufgemacht)

viele grüsse

laertes



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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Aqvileia am 23. Aug. 2006, 19:19 Uhr
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Einen schönen guten Abend - ich freue mich wirklich über eure Antworten und hoffe, dass wir uns wenigstens in der Begrifflichkeit annähern können. [applause]

Randolph Carter - vielleicht ergibt sich die Möglichkeit aus den folgenden Beiträgen deine Sichtweise zu erweitern oder zu ergänzen!

Templer - der kategorische Imperativ von Kant ist mir bekannt, und ich stimme dir inhaltlich zu, was moralisch sein könnte, doch gibt es dieses Beispiel des lügenhaften Versprechens, das nicht ganz unproblematisch ist. Moore stellt auch die Frage 'was ist gut' und landet damit in der Erkenntnistheorie, und hier bedarf es der Einigung wie Eberhard meint. Gut ist alles....

Wolfgang -
deine Analyse ist toll, und es lässt sich aus dem vergangenen Thread einiges herauslesen, aber das ist wieder mit Stellungnahmen verbunden, die u.U. als persönlicher Angriff gewertet werden könnten, und das möchte ich vermeiden. Also ohne diesen vorbelasteten Randbedingungen schätze ich doch eine ethische Diskussion mit lauter intelligenten Menschen als gewinnbringend möglicherweise für alle Beteiligten ein.

Hanspeter - ja, um eine Diskussion in Gang zu bringen wäre es wünschenswert einen Konsens über die verwendeten Begriffe zu erreichen.
Moore meint in seiner Theorie, dass viele Handlungen unserem Willen unterstehen, in dem Sinn, dass wir uns entscheiden können sie zu tun, oder nicht zu tun, daher nennt er diese Art von Handlungen freiwillige Handlungen. Allerdings grenzt er ein, dass es nicht sicher ist, dass alle oder fast alle freiwilligen Handlungen auch tatsächlich gewählt oder gewollt sind. Sie sagt weiter, dass wir diese Handlung hätten unterlassen können, aber nichts darüber ob wir uns auf diese Weise hätten entscheiden können. In Moores Argument ist wesentlich, dass eine freiwillige Handlung eine Gesamtmenge an Lust oder Unlust hervorbringen kann, und dass wir alle ihre Folgen berücksichtigen sollten, die mittelbaren und die unmittelbaren, direkten und indirekten und auch das des Gefühls der Lust und Unlust fähige Wesen. Damit meint Moore Tiere und eventuelle Wesen des Universums.

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von laertes am 23. Aug. 2006, 19:22 Uhr
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ich verabschiede mich hiermit aus dem thread, weil mich ethische diskussionen nicht interessieren.


viele grüsse

laertes

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 23. Aug. 2006, 19:29 Uhr
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Hallo laertes,

ich glaube, Du irrst, wenn Du meinst, dass die Frage: "Warum soll man moralisch sein bzw. handeln" wiederum mit einer moralischen Norm beantwortet werden muss.

Wolfgang Horn hat in der abgebrochenen Runde z.B. eine nicht-moralische Begründung gegeben. Es meint, dass es langfristig im eigenen Interesse liegt, die moralischen Normen zu befolgen. Ich habe diese Begründung kritisiert, weil ich vom Standpunkt des eigenen Vorteils aus die moralische Norm missachten werde, wenn keine Gefahr der Entdeckung droht. Das eigene Interesse reicht als Begründung meines Erachtens nicht.

Dein Irrtum rührt daher, dass Du jedes "Sollen" als ein moralisches Sollen verstehst. Die meisten Vorschriften sind jedoch nicht-moralischer Natur. Ein Beispiel für nicht-moralische Normen sind z. B. die methodologischen Regeln in den Erfahrungswissenschaften (z. B. die Vorschrift, Stichproben zu "randomisieren", also nach einer Zufallsauswahl zu ziehen, Versuchanordnungen nachvollziehbar zu beschreiben etc.)



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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Aqvileia am 23. Aug. 2006, 19:35 Uhr
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Hallo Eberhard - ich freue mich besonders!

Du hast natürlich Recht mit deiner Forderung das 'Moralische' an sich zu definieren.


Quote:ich stimme denen zu, die fragen, was mit dem Wort "moralisch" gemeint ist. Was meinen wir, wenn wir von "moralischer Empörung", einem "moralischen Appell" oder einer "Beurteilung unter moralischem Aspekt" sprechen?




Ich gehe davon aus, dass in Moral zwei Begriffe vereint sind, einerseits das Positive Recht - Ziel ist eine Rechtslehre die deskriptiv und präskriptiv sein kann, und andererseites eine positive Moral, eine Gseamtheit von Einstellungen des tägl.Lebens sie ist neutral, Teil der Gesellschaft und enthält keine Zwangssanktionen.
Moralische Empörung wäre möglicherweise eine Situationsethik oder ein Argument, den eigenen Erfahrungen entsprechend, das sich gegen eine Handlung lehnt, oder eine deskriptive Ethik.
Ein moralischer Apell ist eine deontische (sollen) Meinung, eine Handlungsanweisung, Vorschrift, Gebote, Verbote - eine präskritive Ethik.

Beurteilung unter einem moralischen Aspekt ist Metaethik, Sozialfragen d.Todesstrafe, Moral der Römer oder Azteken, wann u.wie Kinderpsychologie...!

Ich nehme gerne Anteil an eurer Meinung zu diesen Terminis.

laertes - vielleicht kannst du auch über deinen Begriff von 'moralisch' hinausgehen?

LG



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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 23. Aug. 2006, 20:40 Uhr
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Hi, Eberhard

Du: ...hat eine nicht-moralische Begründung gegeben. Er meint, dass es langfristig im eigenen Interesse liegt, die moralischen Normen zu befolgen.
So ist meine These nur teilweise korrekt wiedergegeben.
Korrekt:

Ausgangssituation: Eine Person steht vor der Entscheidung, ob sie lieber bequem-lasterhaft oder mühevoll-tugendhaft handelt.

Grundlagen
Mein simples Modell vom menschlichen Verhalten:
GF 1. Jede Person strebt die Realisierung ihrer persönlichen Wünsche an. Das ist ihr wichtiger als alles. (1. Priorität)
GF 2. Jede Person meidet Mühen, die sie unnötig hält zur Realisierung ihrer persönlichen Wünsche. (2. Priorität)

Entscheidungsprozeß
Die Person simuliert beide Verhaltensweise: "Was wäre, wenn ich diesen Weg gehe?"
Sie schätzt die Chancen, Mühen und Risiken.
Sie denkt auch an Nebenwirkungen. Sicher auch in der vereinfachten Form, in der sie auf ihren "Ruf" achtet und ihre Freunde nicht verwirren will durch chaotische Verhaltensweisen, sondern lieber ihren "Prinzipien" treu bleibt.

Sie vergleicht beide Verhaltensweisen und deren Folgen ab. Und dann entscheidet sie sich.
Vielleicht all das ohne Begriffe, nur gefühlsmäßig in der Zeit eines Wimpernschlages.

Ihre Weitsicht hat einen großen Einfluß auf den Ausgang der Entscheidung.

Laster und Tugenden
"Tugendhaft" nene ich ein Verhalten, wenn es zugleich ein aufrichtiges Opfer zugunsten der Gemeinschaft dieser Person ist. Vielleicht eine Spende, mehr Mühen, die den persönlichen Wünschen nicht unmittelbar nutzen, aber der Gemeinschaft.

"Lasterhaft" nenne ich das Verhalten, wenn die Person konsequent nach GF1 und GF2 handelt, aber ohne ein Opfer für die Gemeinschaft, sondern eher zu Lasten der Gemeinschaft.

Tugendhaft wird sich eine überlegende Person in der angenommenen Situation nur dann verhalten, wenn sie genügend Anlasse hat für die Erwartung, ihre Gemeinschaft belohne sie für das Opfer auf eine faire Art und Weise, und der Lohn rechtfertige die Mühen der Tugend.

Eine Gemeinschaft kann diesen Lohn unter bestimmten Umständen erwirtschaften.
Beispiel: Fußballfeld, zwei Teams. Im Tugendteam rennt einer für den anderen, und wenn er den anderen in der besseren Position vor dem Tor sieht, dann schießt er nicht selbst auf den Kasten, sondern gibt eine Vorlage.
Das Lasterteam brauche ich nicht zu beschreiben.

Welches gewinnt wohl - unter der Voraussetzung, daß die Teams ansonsten gleich stark wären?

Voraussetzungen für tugendhaftes Verhalten

Gemeinwille wie "Sieg!". Dieser muß den persönlichen Zielen der Spieler dienen.

Fairneß. Die Gemeinschaft muß auch tugendhaft gegenüber dem Einzelnen handeln. Denn wer sich unfair behandelt oder gar ausgebeutet fühlt, der stellt sein Engagement für die gemeinsame Sache ein.

Disziplinierung. Gelegentlich reicht der Gruppendruck, hier im Forum aber nicht. Dann hilft ein energischer Moderator oder Chef im Beruf. Dann muß er aber auch Vorbild sein.


Fazit
Diese Zusammhänge sind zu kompliziert für einen Zweisätzer. Oder gar Schlagworte.
Vermutlich einer der Gründe, warum "Zivilisiert" mit "Gebildet" und "klug" assoziiert wird.

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Hanspeter am 23. Aug. 2006, 21:49 Uhr
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@ Eberhard.
Da ich nach wie vor glaube, eine gute Definition ist die halbe Miete, greife ich gerne deinen Vorschlag auf.

Du schriebst: "Was unterscheiden moralische Regeln und Aspekte von Rechtsnormen ("Wer Banknoten nachmacht …, wird mit mindestens x Jahren Freiheitsentzug bestraft"), Klugheitsregeln ("Man soll sich 3 mal täglich die Zähne putzen"), Regeln der Etikette ("Man soll Kartoffeln nicht mit dem Messer schneiden") oder Gebrauchsanweisungen ("Nehmen Sie dazu ein Viertel Liter Sahne")?

Wenn wir die Definition Moores akzeptieren, ergibt sich folgendes:
1. Rechtsnorm. Dies ist eine normierte Moral, also eine moralische Regel, die nicht individuell zur Disposition steht, sondern die unbedingt einzuhalten ist.

2. Klugheitsregel: Ist ein unverbindlicher moralischer Vorschlag. Der Autor empfiehlt Gesundheitsbewusstsein als moralisch wertvoll, doch kann man andere Handlungen als wichtiger oder den Gesundheitseffekt als minimal einschätzen.

3. Etikette. (Wobei mir nicht klar ist, mit was man sonst Kartoffeln schneiden soll. Mit der Kreissäge?) Egal, auch die Etikette ist ein unverbindlicher moralischer Vorschlag. In bestimmten Kreisen ein Muss, aber man muss sich nicht in diesen bestimmten Kreisen bewegen.

4. Gebrauchsanweisung. Hier sehe ich keinen Zusammenhamg mit Moral, da keine Interaktion mit anderen Menschen ersichtlich ist. Ob ich in meinem Zimmer laut oder leise furze, hat ebenfalls nichts mit Moral zu tun.

Damit bleibt als Definition erhalten: Moral wertet menschliches Handeln, legt fest, ob es "gut" oder "böse" ist.

@Wolfgang.

Deine Ausgangssituation ist zu plakativ. "Lasterhaft" muss nicht unbedingt bequem sein (Ärger mit der Polizei), tugendhaft muss nicht unbedingt mühevoll sein (Anerkennung unter den Mitmenschen). Und pauschal in die eine oder andere Ecke kann man ohnehin niemanden stellen.

Dazu kommt die oft ungeklärte Frage, was konkret nun lasterhaft oder tugendvoll sei. Die Werteänderungen in den letzten 60 Jahren ist ja evident.

Gruß HP



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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von mondial am 23. Aug. 2006, 22:02 Uhr
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on 08/23/06 um 12:50:23, Aqvileia wrote:mondial -

ich denke es ist keine Provokation!
Wenn du diese Frage mir stellst, dann kann ich sie dir aus meiner Sicht beantworten, ja, ich habe mich das schon gefragt, und bin zu der Feststellung gekommen, dass alles Erkennen subjektiver Natur ist und 'von Herzen liebende Menschen' das aus ihrer Sichtweise heraus tun, was nicht heißt, dass dem einen das lieb ist, was auch dem anderen lieb ist, obwohl sie herzlich miteinander verbunden sind.

Wie würdest du diese Frage beantworten?



Ich würde antworten das meine Meinung unerheblich ist und den Herrn Kant, der hier ja Ansehen und Gewicht geniesst antworten lassen.

"Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir."

Diese letztlich denkerisch nicht beantwortbaren Fragen sollen ja auf seinem Grabstein stehen. Sinnig. Es gibt Fragen die sollte man nur stellen und sonst nichts weiter.



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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 23. Aug. 2006, 22:44 Uhr
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Halllo Wolfgang,

ich sehe nicht, inwiefern Deine Ausführugen mein Argument berühren. Ich hatte gesagt: Auch mein langfristiges Eigeninteresse kann kein Grund sein, immer moralisch zu handeln, denn mein Eigeninteresse sagt mir: "Du kannst nicht erwischt werden, also steck das fremde Geld unauffällig ein." Was stimmt an dem Argument nicht?

Hallo Aqvileia, hallo Hanspeter,

mir kommt es nur darauf an, herauszuaarbeiten, was Moral von andern normativen Phänomenen unterscheidet.

Rechtsnormen sind etwas anderes als moralische Normen. Es kann z.B. moralisch geboten sein, gegen eine bestehende Rechtsordnung Widerstand zu leisten. Rechtsordnungen fordern vor allem Gehorsam, moralische Normen beanspruchen für sich auch "Richtigkeit".

Auf einen Aspekt moralischer Normen will ich noch hinweisen: moralische Normen sind "universalisierbar". Wenn ich A wegen einer Tat moralisch tadele, dann muss ich auch B tadeln, der unter völlig gleichen faktischen Umständen dasselbe tut.

Rechtsnormen sind nicht in dieser Weise universalisierbar, denn durch ein neues Gesetz wird dieselbe Handlung, die bisher straffrei war, nun rechtswidrig und damit strafbar. Moralisch snd beide Handlungen aber gleichwertig.

Andererseits stimme ich Hanspeter darin zu, dass das Recht, wenn es mehr als ein Zwangssystem sein will, auf der Moral aufbauen muss, und dass in demokratischen Gesellschaften eine enge Verbindung zwischen den moralischen Einstellungen in der Bevölkerung und den geltenden Gesetzen besteht.

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 23. Aug. 2006, 23:26 Uhr
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Hi, Hp,

Du: Deine Ausgangssituation ist zu plakativ.
Zu plakativ in Bezug auf was? Womit vergleichst Du das? Und wie begründet Dein Vergleich eine Antithese zu meinen Ausführungen? Bitte "Butter bei die Fische".1

Du: "Lasterhaft" muss nicht unbedingt bequem sein
Weil ich die Mühen einer Diskussion um Bezeichnungen und deren Bedeutungen gern meide, habe ich definiert: "Tugendhaftes" Handeln ist eines, bei dem sich der Handelnde zusätzliche Mühen macht zum Vorteil seiner Gemeinschaft.
Ist das unklar? Ist da ein logischer Fehler drin?

Du: tugendhaft muss nicht unbedingt mühevoll sein (Anerkennung unter den Mitmenschen
Hier sind wir wieder in der Diskussion um Bezeichnungen und deren Bedeutungen.
So, wie ich "tugendhaftes Verhaltes" definiert habe, schon.

Wir werden wohl beobachten: Je größer die Opfer des Tugendhaften für seine Gemeinschaft, desto weniger sind dazu bereit.

Du: Dazu kommt die oft ungeklärte Frage, was konkret nun lasterhaft oder tugendvoll sei. Die Werteänderungen in den letzten 60 Jahren ist ja evident.

Deshalb halte ich meine Definition besser als das Chaos der Tugenden, das sich ergäbe, würden wir die Werte sortieren der "Machos" und "Emanzen", von "jung" und "senior", von "Stadt" und "Land", von "Preussen" und "Bayern", sogar von "Ober-" und "Unterfranken", und sogar von TSV1860 und FC Bayern.

Wenn Du Lust verspürst, die Chaos zu ordnen, gern, ich befürchte da eine Schlammschlacht. Deshalb definiere ich auf meine Art und Weise.
Wenn Du meinst, was besseres zu haben, dann stelle es vor.
Aber laß mich nicht lange warten.

@Eberhard

Du: ich sehe nicht, inwiefern Deine Ausführugen mein Argument berühren. Ich hatte gesagt: Auch mein langfristiges Eigeninteresse kann kein Grund sein, immer moralisch zu handeln, denn mein Eigeninteresse sagt mir: "Du kannst nicht erwischt werden, also steck das Geld unauffällig ein." Was stimmt an dem Argument nicht?

Ich zuvor: " Du: ...hat eine nicht-moralische Begründung gegeben. Er meint, dass es langfristig im eigenen Interesse liegt, die moralischen Normen zu befolgen.
So ist meine These nur teilweise korrekt wiedergegeben."
Das ist keine Entgegnung, kein Gegenargument, nur eben der Hinweis, so ist meine These nur teilweise wiedergegeben.
Oder beziehst Du Dich auf etwas anderes?

Ciao
Wolfgang

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Hanspeter am 24. Aug. 2006, 06:46 Uhr
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Hallo Eberhard,

du schreibst: "Rechtsnormen sind etwas anderes als moralische Normen."

Widerspruch. Zunächst historisch: Erst war die Moral, dann das daraus abgeleitete Recht.
Dann sachlich. Wenn wir die Moral als die Frage nach Gut oder Böse sehen, dann ist der einzige Unterschied zwischen Moral und Recht die öffentliche Normiertheit. Darin etwas grundsätzlich anderes zu sehen, kann ich nicht nachvollziehen.

Weiter schreibst du: "Es kann z.B. moralisch geboten sein, gegen eine bestehende Rechtsordnung Widerstand zu leisten."

Das ist relativ. Es kann auch umgekehrt geboten sein, gegen eine bestimmte Moral Widerstand zu leisten, zB gegen die moralische Vorstellung, Blutrache ausüben zu müssen.
Deshalb lässt sich auch fordern: "Es kann moralisch geboten sein, gegen eine andere Moral vorzugehen."

Eberhard: "Rechtsordnungen fordern vor allem Gehorsam, moralische Normen beanspruchen für sich auch "Richtigkeit"."

Wenn es eine "richtige Moral" gibt, dann gibt es auch ein "richtiges Recht". Ich gehe davon aus, dass unser Staat seine Rechtsordnung für richtig = gerecht hält.

Eberhard: "moralische Normen sind "universalisierbar"...."

Dasselbe verlangt auch das Recht, siehe Völkerrecht, Menschenrechte usw.
De facto aber gibt es weder ein universales Recht noch eine universale Moral, weil beide eben nicht universalisierbar sind. Sie gelten nur für eine bestimmte Gesellschaft.

Gruß HP

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von laertes am 24. Aug. 2006, 06:58 Uhr
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hi hanspeter,

diesmal volle zustimmung!

recht und moral kommen aus dem selben schosse.

die historische vorform der moral war eine ausgrenzung, verbannung, ausschluss aus dem clan, noch ohne verinnerlichung.

mit dem aufkommen der grossstädte und später des christentums wurde dann die ausgrenzung innerlich. das schlechte gewissen wurde erfunden, die menschen begannen sich zu innerlich in gut und böse zu spalten, die herrschaftsgewalten konnten sie innerlich zu lenken beginnen. das ist natürlich ungemein praktischer als wenn man die äussere bewegung eines jeden einzelnen kontrollieren muss.

viele grüsse

laertes


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Gnoseias am 24. Aug. 2006, 08:52 Uhr
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Guten Morgen, [sun]


on 08/23/06 um 22:44:51, Eberhard wrote:mir kommt es nur darauf an, herauszuaarbeiten, was Moral von andern normativen Phänomenen unterscheidet.



In den vorhergehenden Beiträgen ist die Rede von Regeln, Bedingungen, Wünschen, Bewertungen (Tadel (impliziert Rechtfertigung), Gleichwertigkeit).

Ich möchte diese wegen der Komplexität nicht explizit kommentieren und stattdessen, einige Behauptungen in den Raum stellen, die ich auf Wunsch gerne genauer erklären und belegen werde:

Alle möglichen (für mich vorstellbaren) Handlungen können moralisch relevant sein.

Der Grad dieser moralischen Relevanz ergibt sich (ausschließlich) aus der Reichweite und Unvorhersehbarkeit der Wirkung dieser Handlung.

Bei der moralischen Bewertung von Handlungen handelt es sich um Vorurteile (nicht nur Werturteile).

Bereits durchgeführte Handlungen haben moralisch gesehen (nur) Einfluss auf diese Vorurteile.

Eine Handlung kann moralisch endgültig nur in der Berücksichtigung aller Konsequenzen (der Wirkung) bewertet werden, also niemals im Voraus.

Die Bewertung der Wirkung selbst ist eine Frage der Ethik.

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Mit Hilfe dieser Überlegungen versuche ich folgende grobe Einteilung zur Veranschaulichung zu treffen, (darüber brauchen wir bitte nicht zu diskutieren :-)):

Handlungen mit Reichweite und Unvorhersehbarkeit:

„kurz/gering“: werden im Allgemeinen mit „alltäglichen“ Regeln erklärt.

„mittel“: werden durch derzeit bestehende moralische Institutionen (Regeln, Bedingungen und Gesetze) abgedeckt.

„weit/schwierig“: sind immer strittig und können mit unseren bisherigen „Mitteln“ nicht zufrieden stellend allgemeingültig „vorverurteilt“ werden.

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Gesetze spielen nur insofern eine Rolle, dass sie für allgemein vorausgesetzte Vorurteile eine Strafe aussetzen.
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Meine abschließende Meinung dazu:

Dadurch ergibt sich die Forderung moralisch zu handeln nur, um der (nachfolgenden) „Verurteilung“ zu entgehen. Wenn das Urteil bereits vor der Handlung feststeht, entsteht Handlungssicherheit.
Wer die Reichweite und Unvorhersehbarkeit seiner Handlungen besser einschätzen kann, als die geltende Moral festlegt, kann die Relevanz selbst korrigieren, doch die Bewertung der Wirkung ist trotzdem eine Frage der Ethik.

Deshalb ergibt sich auch die Problematik einer zwar geltenden, jedoch dadurch nicht notwendigerweise gültigen Moral.


Gruß, Gnoseias



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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Hanspeter am 24. Aug. 2006, 09:47 Uhr
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Hallo,

@Wolfgang:
Vermutlich habe ich es überlesen. Wie lautet deine Definition von Moral?

@gnoseias.

zu deinen 6 Thesen.

1. Im Prinzip Zustimmung, wobe es hilfreich wäre, wenn du formulieren würdest, was du unter Moral verstehst oder wenigstens, unter welchen Bedingungen Handlungen moralisch relevant werden.

2. Wenn statt Unvorhersehbarkeit Vorhersehbarkeit stehen würde, würde ich zustimmen. So aber macht für mich der zweite Teil deiner These keinen Sinn. Oder bedarf der Präzisierung.

3. Der Begriff Vorurteil ist normalerweise negativ besetzt. Wenn du Vorurteil wertneutral als Urteil vor einem endgültigen Urteil betrachtest, dann Zustimmung.

4. Für mich unklar, was damit gemeint sein soll.

5. Im Prinzip richtig, aber wenig hilfreich. Der Sinn von Moral ist ja, Handlungen im Voraus zu beurteilen und nicht hinterher ein Gutachten über die Handlung zu formulieren.
Eine wesentliche Eigenschaft des Denkens allgemein ist der Versuch, die Wirkungen von Handlungen vorauszusehen.

6. Das ist Definitionssache. Für mich ist Ethik die Beschreibung von Moralen, nicht die Wertung. Dies ist Sache der Moral.

Könntest du deine Definition von Moral und Ethik hier darlegen? Dann nämlich lässt sich erst über deine Thesen genauer urteilen.

Gruß HP

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 24. Aug. 2006, 10:06 Uhr
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Hi,

mir scheint da ein seltsames Verständnis von Recht vorzuliegen.

Seit wann fordert eine Rechtsordnung Gehorsam - außer in Diktaturen?

Unsere Rechtsordnung verlangt, jedes Gesetz so zu interpretieren, dass es mit dem in Art. 1 GG niedergeschriebenen Grundwert "die Menschenwürde ist unantastbar" im Einklang steht. Das schließt Gehorsam aus.

Seit wann verurteilen Gesetze? Verurteilen tut der Richter, nach genauer Prüfung des Einzelfalles und danach, welches Gesetz auf diesen Fall überhaupt anwendbar ist.

Seit wann wird verurteilt im Einklang mit der geltenden Moral? Diese Zeiten sind Gott sei Dank vorbei. Damals nannte man die geltende Moral "das gesunde Volksempfinden".

Was ist ein Rechtsstreit? Wenn zwei Leute unterschiedlicher Auffassung sind, ob und in welchem Grad das, was sie getan haben, Recht oder Unrecht ist. Im Falle Strafrecht Angeklagter und Staatsanwalt. Entscheiden tut den Streit der Richter. Und der entscheidet nicht nach moralischen Maßstäben, sondern danach, ob und welche Spielregel unserer Gesellschaft verletzt wurde und inwieweit der Rechtsverletzer deswegen Schuld trägt. Dabei kann es schon mal zu gewaltigen Beurteilungsproblemen kommen - siehe Kannibale von Rothenburg. Verteidiger sagt: Tötung auf Verlangen - straffrei. Landgericht sagt: Totschlag. BGH sagt: Denkfehler. Mordmerkmale nicht ausreichend geprüft - macht dat noch mal. Was sagt das 'gesunde Volksempfinden'? Was die allgemeine Moral? Die macht sich solche komplizierten Gedanken nicht.

In unserer Rechtsordnung steht auch nicht die Strafe als Vergeltung an erster Stelle. Die hat nur eine Funktion, nämlich die Gültigkeit und Verlässlichkeit der Spielregeln sicher zu stellen. Was Menschen brauchen. In etlichen afrikanischen Ländern mit willkürlicher Rechtssprechung wandern die Menschen ab zur Scharia.

An erster Stelle steht in unserer Gesellschaft die Resozialisierung. Heißt, wer nicht gerade ein Schwerverbrecher ist oder wissentlich und wiederholt die Spielregeln missachtet hat, kriegt, wenn der Richter meint, er habe kapiert, dass das so nicht geht, erst mal Bewährung.

Ein Denkfehler, der in dieser Diskussion ständig gemacht wird, ist, ein paar typische Fälle menschlichen Verhaltens (und dazu gehören in diesem Kontext auch positives Recht und seine Anwendung) heraus zu greifen und sie absolut als das menschliche Verhalten schlechthin zu setzen. Das ist falsch, denn es gibt da noch weit mehr reguläre ebenso typische Fälle, geschweige denn irreguläre.

Beispiel (weil davon hier und da die Rede war): die Beleidigung. Da kommt einer an und sagt: du hast mich beleidigt. Für ihn ist der Fall klar. Ja, von wegen.

Da gibt's die undefinierte Beleidigung, § 185 StGB.
Da gibt's die Üble Nachrede, § 186, Verbreitung von Tatsachen über einen Menschen, die ihn in der öffentlichen Meinung herabwürdigen. Strafbar, es sei denn, was er sagt ist erweislich wahr.
Ist die Tatsache wahr, gibt's aber noch § 192: die Wahrheit darf nicht zur reinen Beleidigung missbraucht werden. Kommt einer aus dem Knast, ist es strafbar, ihn durch Verbreitung dieser Tatsache sozial zu mobben.
Dann gibt's Verleumdung, Verbreitung wissentlich unwahrer Tatsachen über einen Menschen. § 187. Dat kost' mehr als mal eben zu nem Polizisten "du Clown" zu sagen.
Dann gibt's § 193, Wahrnehmung berechtigter Interessen. "Das ist keine Kunst, das ist Geschmiere". "Was du da von dir gegeben hast, ist dummes Zeug." Sofern begründet, ist das ebenso wenig Beleidigung, als wenn ein Arbeitnehmer sagt: "mein Vorgesetzter will mich doch nur los werden, weil ich bezeugen kann, dass er Mist gebaut hat". Sofern das wahr ist - keine Beleidigung.
Und abschließend auch noch § 199, wechselseitig begangene Beleidigung. Kann für einen oder alle beide straffrei ausgehen.

Danach wird geprüft, wenn einer sagt, der hat mich beleidigt. Wo steckt da die Moral? Und welcher Normalbürger kennt schon diese gesetzlichen Differenzierungen?

Wer sagt, das sei ihm zu kompliziert: bei Tötung und Körperverletzung ist das noch viel, viel komplizierter.

Also: Vorsicht bei Gleichsetzungen. Rechtswissenschaft ist als Wissenschaft genau so alt wie die Philosophie. Da sollte man nicht einfach denken, das sei nix außer willkürlichen Festlegungen, gekoppelt mit allgemeiner Moral.

Interessanter wäre da imho die Frage, warum wir die Rechtssprechung einer anderen Instanz übertragen haben - offenbar betrachtet man nämlich seit sehr langer Zeit das Vertrauen in die allgemeine Moral als ziemlich riskante Angelegenheit.

Gruß

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 24. Aug. 2006, 10:47 Uhr
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Hallo allerseits,

die Fragestellung ist offenbar nicht ohne Tücken. Ich will deshalb auf eine Schwierigkeit bei unserer Diskussion hinweisen, die aus einer unterschiedlichen Verwendungsweise der Worte "moralisch" und "Moral" herrührt, und die das Verständnis der Fragestellung offensichtlich erschwert.

Wenn ein Soziologe oder Ethnologe eine bestimmte Gesellschaft untersucht, dann findet er bestimmte Einstellungen und Ansichten darüber vor, wie man sich in bestimmten Situationen zu verhalten hat. Er findet z. B. Normen darüber, wie sich Kinder gegenüber ihren Eltern verhalten, wie man einen Gast behandelt, der im Hause wohnt, wie man sich verhält, wenn ein Familienmitglied oder ein Fremder in Not geraten oder wie man sich kleidet.

Diese Normen bilden die moralische Ordnung dieser Gesellschaft. Eine andere Gesellschaft kann wieder eine andere Moral haben. Und in komplexen Gesellschaften können sogar verschiedene Subkulturen nebeneinander bestehen, die voneinander abweichende Moralsysteme haben. Was "moralisch" ist, hängt damit von der jeweiligen Gesellschaft und Kultur ab, auf die man sich bezieht.

Hier werden die Worte "Moral" und "moralisch" beschreibend verwendet in dem Sinne von "in den Einstellungen der Gesellschaftsmitglieder verankerte Vorstellungen vom richtigen Handeln".

Wenn der Ethnologe sagt: "In dieser Gesellschaft wäre es ein schwerer Verstoß gegen die Moral und in höchstem Maße unmoralisch, wenn ein Kind dem Vater widerspricht" oder "In dieser Gesellschaft ist es keineswegs unmoralisch, einen Fremden, der nicht zur eigenen Gemeinschaft gehört, auszurauben", so beschreibt er empirisch vorfindbare soziale Sachverhalte, er urteilt selber jedoch nicht moralisch.

Da in jeder Gesellschaft andere Regeln hinsichtlich des Verhaltens gelten, so ergibt die Frage: Warum soll man moralisch handeln? keinen rechten Sinn, denn es gibt mehrere unterschiedliche "Moralen", um einen sprachlich etwas unschönen Plural zu bilden. Welche ist denn gemeint?

Urs hatte wohl ähnliche Schwierigkeiten, denn er schrieb: "Wenn es ein Zusammenleben gibt, gibt es auch Moral; die Moral ist nämlich genau das, was macht, dass man von einem 'Zusammen' sprechen kann. Da ich 'Moral' in dieser Weise verstehe, ist die Frage dieses Threads für mich gleichbedeutend mit der Frage: 'Warum soll man mit Menschen zusammenleben?'" Urs versteht die Frage also etwa in dem Sinne von "Warum braucht man überhaupt (irgend)eine Moral?"l

Man kann die Fragestellung auch so (miss)verstehen, dass gefragt wird: "Warum soll man entsprechend der in der eigenen Gesellschaft vorherrschenden Moral handeln?" Dann verstehe ich den Unmut derer, die meinen, damit sei schon vorweg entschieden, dass man entsprechend der vorherrschenden Moral handeln solle, und es werde nur noch nach einer Begründung dafür gesucht. Wenn die Frage so gestellt wäre, wäre auch meine Entgegnung: "Es steht ja noch gar nicht fest, ob die vorherrschende Moral überhaupt die richtige ist. Möglicherweise sollte sie in bestimmten Punkten geändert werden."

Soweit die beschreibende Verwendung der Worte "Moral" und "moralisch". Man kann diese Worte nicht nur in einem beschreibenden Sinne verwenden, sondern man kann damit auch selber Wertungen vornehmen und Normen aufstellen.

Wenn ein Mullah sagt: "Das halbnackte Baden, nur mit einem Badeanzug bekleidet, ist in höchstem Grade unmoralisch", dann informiert er damit nicht über die moralischen Einstellungen in seiner Kultur, sondern er fordert damit allgemein auf, das halbnackte Baden zu unterlassen bzw. dafür zu sorgen, dass es unterlassen wird.

Wenn "moralisches Handeln" in diesem wertenden Sinne gemeint ist und "richtiges Handeln" bedeutet, dann ist die Einsicht in die Richtigkeit dieser moralischen Normen der entscheidende Grund, moralisch zu handeln.

Dass dieser Vernunftgrund nicht immer als Beweggrund ausreicht und dass deshalb durch Belohnung und Bestrafung zusätzliche Motive für moralisches Verhalten geschaffen werden müssen, ist damit nicht bestritten. Ebenso wenig wird damit bestritten, dass sich moralisches und eigeninteressiertes Handeln über weite Strecken decken können, was die moralische Motivation spürbar entlastet.

Also: Warum soll ich nicht betrügen? Weil ich einsehe, dass es falsch wäre, das zu tun.

Mit dieser Feststellung ist zwar ein Schritt getan, aber es stellt sich natürlich sofort die Frage: Und wie bestimmt man, welches das richtige oder das falsche Handeln ist?

Soweit erstmal von Eberhard.

p.s. Ich gebe zu, dass die subtilen sprachlichen Unterscheidungen etwas Geduld erfordern, aber ohne Genauigkeit der Begriffe gibt es keine haltbaren Resultate. Ob jemand die von ihm verwendeten Begriffe in ihrer Bedeutung analysiert und klärt, sagt bereits viel über die Qualität seiner Gedanken aus.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 24. Aug. 2006, 11:25 Uhr
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Hi, Hp,

Du: Wie lautet deine Definition von Moral?
Ich sehe keinen Weg, das, was Personen mit "Moral" bezeichnen, allgemeingültig zu definieren.
Weil so viele Personen mit "Moral" nur ihre persönliche Moral bezeichnen, und die des anderen nur solange, wie keiner genau nachfragt.

Selbst hier im Forum lautet ein Thread "kannst du moral gutheissen?", der Fragesteller hat in die Zusatzfrage "welche Moral genau" oder "wessen Moral" völlig unterschlagen.

Wenn sich der andere konsequent widersetzt, dann ist der Schurkenpräsident George W. Bush sogar bereit, ihn mit einer Atombombe zu vernichten.

Deshalb nenne ich alle Personen "Schurke", die ihre Moral anderen Personen mit Gewalt aufzwingen wollen - auch, wenn diese Moral nur das Feigenblatt für den Raub von Ölfeldern ist und die Ausrede für Unterdrückung und Folter mit Käfighaltung für Andersdenkende.

Aber ich sehe einen Weg, die Prozesse "moralisches Denken" und "moralisches Verhalten" so zu definieren, daß es für alle Tugenden gilt, die sich eine Gemeinschaft nur ausdenken kann:

"Tugendhaft verhält sich eine Person aus der Sicht ihrer Gemeinschaft, wenn sie ihre persönlichen Ziele nicht mit minimaler Mühe anstrebt, sondern sich zusätzliche Mühen gibt zum Nutzen ihrer Gemeinschaft."

Erläuterung: Die Gemeinschaft, die hier angesprochen ist, urteilt über das Verhalten ihrer Mitglieder.

Kennt Du eine Definition, die a) allgemeingültig sein kann und b) kürzer ist?

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 24. Aug. 2006, 12:44 Uhr
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Hi Eberhard,

ich erhebe Einspruch.

Wenn ein Soziologe oder Ethnologe eine bestimmte Gesellschaft untersucht, dann findet er bestimmte Einstellungen und Ansichten darüber vor, wie man sich in bestimmten Situationen zu verhalten hat.

Was untersucht der Soziologe hier? In der Regel Subkulturen oder Stämme.

Aus der Untersuchung diverser Subkulturen und Stämme (A;B;C) gewinnt er qua Abstraktion das Merkmal M und nennt das Moral. M ist Kitt, der sowohl A als auch B und C zusammen hält.

Wenn er M nun auf die komplexe, mehrere Subkulturen enthaltende Gesellschaft D übertragen will, so macht er einen logischen Fehler, denn D ist ungleich A, ungleich B, ungleich C.
D zeichnet sich in Bezug auf das Merkmal Moral dadurch aus, dass sie ein codifiziertes Recht hat. Dieses Recht steht zu den Moralen in Konkurrenz. Und D ist so verfasst, dass im Konkurrenzfalle keine der Moralen gilt, sondern Recht R.

Für A, B und C gilt also: wenn Handeln beurteilt wird, dann nach M.

Für D gilt, wenn Handeln beurteilt wird, dann nach M und R.
Wenn M ungleich R ist, dann nach R.
Folgt: wenn Handeln letztlich beurteilt wird, dann nach R.
Denn wenn es nach M beurteilt wird, so hat dies keine unabänderlichen Folgen. Wird z.B. ein Knastologe nach M verurteilt und hat dies feststellbare Behinderungen für sein Leben in der Gesellschaft zur Folge, so werden diejenigen, die sich an den Maßstab M halten, vom übergeordneten Maßstab R zurück gepfiffen.

Somit stellt sich in D die Frage: warum soll man überhaupt moralisch handeln - genügt es nicht, sich an das Recht zu halten?

Die Frage hingegen, warum man nicht betrügen soll, ist keine moralische Frage, sondern eine ethische. Sie fragt nämlich nicht, wie es sein soll, sondern wie es ist. Denn die Frage "warum soll man nicht betrügen" lässt sich nicht durch Hinweis auf moralische oder rechtliche Normen beantworten, sondern nur unter der Voraussetzung des Eruierens, welche Entscheidung welche Menschen bei der Alternative Betrügen ja oder nein fällen (natürlich nicht mit statistischen Zielen, sondern, da auch die Philosophie sich mit Tatsachen befasst, mit dem Ziel, solche Tatsachen erst mal festzustellen).

Parallele zum Recht:

Warum soll man andere Leute nicht erpressen?
Antwort: Grundgesetz, Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit wird verletzt.
Die Frage, warum denn dieses Recht nicht verletzt werden soll, verweist auf Art. 1, Unantastbarkeit der Menschenwürde.
Das aber ist kein Recht, sondern ein ethisches Prinzip, auf das die 'warum soll' - Frage nicht mehr anwendbar ist.

Du kannst nicht fragen: warum soll der Mensch eine Würde haben? Sondern nur: warum hat er denn eine Würde?
Und das lässt sich nicht mehr mit empirischen oder rechtswissenschaftlichen Methoden beantworten. Für solche Grundlagen ist die Philosophie zuständig.

Gruß

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 24. Aug. 2006, 13:17 Uhr
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Hi, Abrazo,

Recht betrachte auch ich als eine Sammlung kodizifierter Verhaltensregeln, was man in welcher Situation tun oder lassen soll.

Die 10 Gebote galten dem Volke Israel auch als Recht, so wie der Koran im Islam auch heute noch Strafgesetzbuch ist.

Die Fragen "wie funktioniert ein Gesetz" und "wie funktioniert Moral?" ergeben: Das Gesetz ist eine mächtige und kodizierte Moral.

Unter Strafe kann man nur stellen, was sich auch beweisen läßt. Also keine Einstellungen, keine Gedanken, aber konkretes Verhalten.

„Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem anderen zu!“ - das läßt sich nicht als Gesetz formulieren, aber als moralischer Appell.

Du: Art. 1, Unantastbarkeit der Menschenwürde.
Ich hab, bald nach meinem Abitur, <30 Jahre ists her, mal einen Eid geleistet, diese tapfer zu verteidigen.
Aber auch mein Leutnant kam damals über Platitüden zum Begriff "Menschenwürde" nicht hinaus, stimmte aber meiner Definition mit dem „Was Du nicht willst..." erleichtert zu.

Schwammige Bezeichnungen taugen nur für Stumpfdenker, und, um von einer breiten Masse Publikum Zustimmung zu bekommen.

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Gnoseias am 24. Aug. 2006, 17:53 Uhr
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Hallo Hanspeter,

vielen Dank für die detaillierte Antwort. :-)
Leider zwingst Du mich für die weiteren Aussagen dazu, mich sehr weit aus dem Fenster zu lehnen.
Ohne den entsprechenden Kontext ist es sehr schwer, über dieses Thema zu schreiben.
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Quote:Könntest du deine Definition von Moral und Ethik hier darlegen? Dann nämlich lässt sich erst über deine Thesen genauer urteilen.


Bezüglich einer Definition muss ich leider passen, was jedoch nicht verwunderlich sein dürfte, denn auch bei diesem Begriffs besteht eine Supervenienz gegenüber aller Erklärungen, so dass es bei diesen bleiben muss.


Quote:Die Bewertung der Wirkung selbst ist eine Frage der Ethik.
6. Das ist Definitionssache. Für mich ist Ethik die Beschreibung von Moralen, nicht die Wertung. Dies ist Sache der Moral.


Nun gut, dann versuche ich es doch einmal, obwohl einiges in den bereits angeführten „Behauptungen“ steckt:

Ethik bedeutet für mich „Sittenlehre“ als die Lehre von der Moral als „Sittlichkeit“.

Moral hat jedoch eine Doppelbedeutung wie man an der auch von Wittgenstein übernommenen deutschen Übersetzung der treffenden Definition von George Edward Moore sehen kann:

Ethik ist die „allgemeine Untersuchung dessen, was gut ist“.
Im Original: “Ethics deals with the question what is good or bad in human conduct.” („Principia Ethica“ 1. Kapitel §2, 2)

Insofern ist eine Abgrenzung von Moral und Ethik nur bedingt sinnvoll.

Dennoch möchte ich beides trennen, wenn ich sage, Moral ist die Bewertung und Untersuchung von Handlungen und Ethik ist die Bewertung und Untersuchung der Moral. Sozusagen Ethik als Metamoral. (Wobei sich George Edward Moore mit Metaethik beschäftigte.)
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Quote:Alle möglichen (für mich vorstellbaren) Handlungen können moralisch relevant sein.
1. Im Prinzip Zustimmung, wobe es hilfreich wäre, wenn du formulieren würdest, was du unter Moral verstehst oder wenigstens, unter welchen Bedingungen Handlungen moralisch relevant werden.


Moralisch relevant sehe ich alle Handlungen, die für mindestens einen „nicht (mit) Handelnden“ zu einer unerwünschten Wirkung führen können.

Problematisch dabei ist:


Es gibt Handlungen, die immer zu einem unerwünschten Ergebnis führen.

Es gibt Handlungen, die in der Summe von wirkenden Handlungen keine „Einzelrelevanz“ erreichen.

Die Beurteilung der unerwünschten Wirkung ist abhängig vom betroffenen Subjekt und kann nicht objektiv verglichen werden.

Es gibt Handlungen, deren Ergebnis nicht vorhersehbar ist.


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Quote:Der Grad dieser moralischen Relevanz ergibt sich (ausschließlich) aus der Reichweite und Unvorhersehbarkeit der Wirkung dieser Handlung.
2. Wenn statt Unvorhersehbarkeit Vorhersehbarkeit stehen würde, würde ich zustimmen. So aber macht für mich der zweite Teil deiner These keinen Sinn. Oder bedarf der Präzisierung.


Die Negierung der Vorhersehbarkeit erfolgte nur zu dem Zweck, eine Relation der folgenden Art ausdrücken, dass ein Anstieg von Reichweite, sowie von Unvorhersehbarkeit einen höheren Grad von Relevanz bewirkt.
Je vorhersehbarer die Wirkung einer Handlung ist, desto geringer die Relevanz.
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Quote:Bei der moralischen Bewertung von Handlungen handelt es sich um Vorurteile (nicht nur Werturteile).
3. Der Begriff Vorurteil ist normalerweise negativ besetzt. Wenn du Vorurteil wertneutral als Urteil vor einem endgültigen Urteil betrachtest, dann Zustimmung.


Ja, Vorurteil im Sinne von „vor dem Urteil“, im Gegensatz zu negativ besetzter Vorverurteilung oder vorschnellem Urteil.
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Quote:Bereits durchgeführte Handlungen haben moralisch gesehen (nur) Einfluss auf diese Vorurteile.
4. Für mich unklar, was damit gemeint sein soll.


Handlungsweisen, deren unerwünschte Wirkung nicht vorhersehbar war, können erst nach der erfolgten Handlung in den moralischen Vorurteilen berücksichtigt werden.
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Quote:Eine Handlung kann moralisch endgültig nur in der Berücksichtigung aller Konsequenzen (der Wirkung) bewertet werden, also niemals im Voraus.
5. Im Prinzip richtig, aber wenig hilfreich. Der Sinn von Moral ist ja, Handlungen im Voraus zu beurteilen und nicht hinterher ein Gutachten über die Handlung zu formulieren.


Dies war leider falsch formuliert. Ich wollte damit auf die korrigierende Wirkung der Konsequenzen auf die Beurteilung zukünftiger Handlungen hinweisen.
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Quote:Eine wesentliche Eigenschaft des Denkens allgemein ist der Versuch, die Wirkungen von Handlungen vorauszusehen.


Das ist der menschlichen Vernunft gegeben, doch zunehmend genügen die Fähigkeiten einzelner Menschen oder kleiner Gruppen nicht mehr den Anforderungen.


Gruß,
Gnoseias


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Aqvileia am 24. Aug. 2006, 18:08 Uhr
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Hallo an Alle!

Es gibt hier eine Menge Meinungen in den unterschiedlichsten Begriffen die nicht immer dieselbe Extension aufweisen. Vor allem kommt mir vor, gibt es zwei Interessensrichtungen, das ist einerseits das Positive Recht und andererseits die positive Moral.
Vielleicht könnten wir uns doch ersteinmal auf die positive Moral als vorbereitetes Beet für ein darin gepflanztes positives Recht beschränken.


Quote:mir kommt es nur darauf an, herauszuaarbeiten, was Moral von andern normativen Phänomenen unterscheidet.

Rechtsnormen sind etwas anderes als moralische Normen


Dass Rechtsnormen etwas anderes als moralische Normen sind ist wohl jedem klar, dass Rechtsnormen auch moralische Normen sein könne wohl auch, dass moralische Normen Rechtsnormen sind ist von einer theologische bestimmten Moral abhängig.
Eine philosoph.Ethik, wie unsere hier versuchte, ist unabhängig von Religion oder theolog. GLauben, also ohne göttliche Offenbarung - gehen wir hier konform?

Moore gibt als Antwort auf den Fragenkomplex was eine richtige Handlung ist: Eine allen richtigen, freiwilligen Handlungen, und zwar nur den richtigen unter ihnen zukommende Eigenschaft ist die, dass sie alle zum Mindesten ebensoviel Lust bewirken wie irgendeine Handlung, die der Handelnde an ihrer Stelle hätte tun können.
Was eine Menge Fragen daraus aufwirft: Was bedeutet Willensfreiheit, Handlungsfreiheit, Entscheidungsfreiheit?
Was heißt es 'anders handeln- sich anders entscheiden können'?
Ist der Wertbegriff 'lustvoll' als Synonym für 'gut' haltbar?
Was könnte damit gemeint sein 'ein höheres Maß an Lust'?

Vielleicht gibt es auch bei euch Fragen zu dieser Schlussfolgerung von Moore!


Quote:Es gibt Fragen die sollte man nur stellen und sonst nichts weiter.




Wer eine Frage stellt hat schon eine bestimmte Vorstellung, also ein Wissen, warum sollte man dieses nicht vertiefenŽ?

LG

Ich hoffe es stört euch nicht, wenn ich versuche den Garten der Ethik ein wenig übersichtlich zu gestalten. Kraut und Rüben vertragen auch Unkraut ( sorry Beikräuter) aber ein philosophischer!? [spin]



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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Aqvileia am 24. Aug. 2006, 18:11 Uhr
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Noch eine Frage Eberhard - du hast die Frage nach richtigen Handlungen gestellt - soll ich Moores These dazu anführen, oder kennen sie sowieso alle, oder ist es nicht so wichtig!?

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Hanspeter am 24. Aug. 2006, 19:30 Uhr
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Hallo

@Eberhard.
Vielen Dank, dass du auf die Notwenigkeit einer genauen Begriffsklärung hinweist.

Deiner Beschreibung der Findung von Moral in der Ethnologie stimme ich zu. Nebenbei, Verhaltensforscher ermitteln die Moral höherer Primaten (Schimpansen, Paviane) auf dieselbe Weise.

@gnoseias.
Ich halte mich im Folgenden an die von mir verwendete Nummerierung, die ja deiner ursprünglichen Darstellung entspricht.

6. Ich freue mich, dass du deiner ersten Ablehnung, eine Moral-Definition zu geben, unmittelbar danach eine solche brachtest. Der stimme ich voll zu, vor allem deinen letzten beiden Sätzen.

Ich hoffe nun, alle Diskussionsteilnehmer akzeptieren die folgende Definition: "Moral ist die Bewertung und Untersuchung von Handlungen"

1. Moralische Relevanz.
Du schreibst: "Es gibt Handlungen, die immer zu einem unerwünschten Ergebnis führen."
Richtig. Und sie sind daher zu unterlassen. Oder meinst du damit, dass es Situationen gibt, bei denen jede mögliche Handlung zu einem unerwünschten Ergebnis führt? Also eine tragische Situation? Dann sollte der Handelnde jene bevorzugen, welche das bestmögliche Ergebnis ergibt.

"Es gibt Handlungen, die in der Summe von wirkenden Handlungen keine &#8222;Einzelrelevanz&#8220; erreichen."
Könntest du dazu ein Beispiel nennen?

"Es gibt Handlungen, deren Ergebnis nicht vorhersehbar ist."
Im Prinzip ja. Moralisch relevant ist folglich jenes Ergebnis, das "nach bestem Wissen und Gewissen" zu erwarten wäre.
Und danach sind Handlungen zu beurteilen.


Gruß HP

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 24. Aug. 2006, 23:06 Uhr
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Hallo allerseits,

vorweg zu Deiner Frage, Aqveleia. Ich verstehe mich hier als Diskussionsteilnehmer und möchte Dich bitten, weiter zu moderieren. Zu Moore: Ich finde es für uns am besten, wenn wir selber argumentieren und uns hier nicht um Interpretationsfragen kümmern müssen. Das heißt natürlich nicht, dass man die Argumente maßgeblicher Autoren hier nicht einbringen sollte..

Ich würde gern auf die einzelnen Beiträge näher eingehen, aber gegenwärtig ist nicht mehr drin als:

einige Gedanken zum Verhältnis "unmoralisch" –"rechtswidrig"

Die Frage war: "Warum soll man andere (z.B.) nicht betrügen?"

Meine Antwort darauf war: "… weil dies eine falsche Handlung wäre."

Wenn diese Frage im heutigen Deutschland gestellt wird und mit "Betrügen" ist "Betrügen im juristischen Sinne" gemeint, dann wäre die erste Antwort "… weil es einen gesetzlichen Straftatbestand erfüllt". Diese Antwort reicht in den allermeisten Fällen aus. Wenn jemand allerdings generell die Legitimation des Bundestages zur Gesetzgebung bestreitet, reicht sie nicht aus.

Wenn jemand ein korrekt zu Stande gekommenes Gesetz inhaltlich für dermaßen falsch und katastrophal hält, dass ihm Widerstand dagegen gerechtfertigt erscheint, dann reicht der Hinweis auf die rechtlichen Bestimmungen ebenfalls nicht aus.

Wenn die Frage lautet: "Warum soll man nicht einen jüdischen Partner lieben und mit ihm Kinder zeugen?" und wurde vor 70 Jahren in Deutschland gestellt, dann wäre die erste Antwort vielleicht "… weil es gegen die Rassegesetzgebung verstößt"

Aber ist der Hinweis auf die Rechtswidrigkeit eine ausreichende Antwort auf die gestellte Frage? Unabhängig von der Legitimation des politischen Gesetzgebers?

Man könnte weiter fragen: Und warum soll man nicht rechtswidrig handeln? Eine Antwort darauf ist: Die Auffassungen vom richtigen Handeln gehen unter Umständen auseinander. Um trotzdem soziale Koordination und Kooperation zu ermöglichen, werden Normsetzungsverfahren geschaffen, deren Entscheidungen Verbindlichkeit für jedermann beanspruchen, auch wenn er sie nicht immer für inhaltlich richtig hält. Dies ist die Rechtsordnung. Natürlich sollten diese Entscheidungen selber möglichst inhaltlich richtig sein. Im Falle katastrophaler irreversibler Entscheidungen gibt es deshalb Grenzen der Verbindlichkeit.

Soviel von Eberhard.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 25. Aug. 2006, 00:54 Uhr
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Hi,

zunächst mache ich darauf aufmerksam, dass das StGB ein bisschen älter ist als die Bundesrepublik Deutschland; auch das StGB geht letztlich zurück auf Römisches Recht, auch damals gab es schon Betrug als Straftatbestand. Ich finde es schon wichtig darauf hinzuweisen, dass dies sehr alte Normen sind, die unterschiedliche Gesellschaften, Verfassungen und Staaten überstanden haben.

Was das Recht und die Ethik, auf der das deutsche Recht (im Gegensatz zum angelsächsischen, das ist da eher pragmatisch am fiktiven Gesellschaftsvertrag orientiert) gemeinsam haben gegenüber der Moral, ist das Verlangen nach Objektivität. Genau das ist der Konflikt zwischen Ethikern und Moralisten. Denn die Existenz einer objektiven humanen Ethik in dem Sinne, dass Menschen in bestimmten geistigen Verfassungen einige Fragen gleich beurteilen, streiten Moralisten ab. Das ist übrigens ein ganz bedeutender politischer Konflikt. Denn wenn ich die Moral an die Gesellschaft binde, dann komme ich zu der Auffassung, dass die (angeblich) höher entwickelte Gesellschaft auch die höhere, bessere Moral hat, die nunmehr für alle anderen auch als zumindest erstrebenswert, letztlich aber als das Bessere zu gelten hat. Vulgo: dat wird denen einfach über gedeut. Alte Sache. Ob Adel, Klerus, Eroberer oder Großkapitalist, wird die Existenz einer allgemeinen humanen Ethik negiert und statt dessen gesellschaftliche Moral gepredigt, kommt eben das raus.

Warum soll ich moralisch handeln? Wie wär's mit Patriotismus? Oder Bekenntnis zu einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht? Dürfte häufiger der Fall sein, oder? Wird auch gerne verlangt - man denke an die Diffamierung von Kriegsdienstverweigerern, die bei uns auch erst in den Siebzigern aufhörte.

Aber irgendwie sind wir damit nicht zufrieden, ne?
Wie Du sagtest, Eberhard, es kann auch der gesellschaftlichen Moral entsprechen, sich von seinem jüdischen Partner zu trennen ...

Gruß

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Aqvileia am 25. Aug. 2006, 05:58 Uhr
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Guten Morgen -

also doch Jurisprudenz oder Gesellschaftsnorm? Hier überlasse ich euch gerne das Feld, dazu bin ich zuwenig informiert.

Quote:Die Frage war: "Warum soll man andere (z.B.) nicht betrügen?"

Meine Antwort darauf war: "&#8230; weil dies eine falsche Handlung wäre


Um darauf eine 'richtige' Antwort geben zu können sollte doch erst einmal definiert sein, was unter 'betrügen' verstanden wird.
Ich würde darauf antworten - jeder der andere betrügt betrügt sich letztlich selbst und damit sind seine Erkenntnisse vom falschen Bild der Erfahrung geprägt, was nicht nur psychologische sondern auch intellektuelle Konsequenzen nach sich zieht.

Die Grenzen der Verbindlichkeit in einer Gesellschaftsordung sind sehr dehnfähig und können wie die Geschichte zeigte ebenfalls irreversibel sein.

War denn der Nationalsozialismus kein Bekenntnis zu einer bestimmten Schicht? Das beantwortet die Frage nach Moral nicht sondern nur die Frage nach einer kurzsichtigen Nützlichkeit.

LG

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 25. Aug. 2006, 09:35 Uhr
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Hi,


§ 263 StGB: Betrug

(1) Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.


(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
1.
gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung von Urkundenfälschung oder Betrug verbunden hat,
2.
einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführt oder in der Absicht handelt, durch die fortgesetzte Begehung von Betrug eine große Zahl von Menschen in die Gefahr des Verlustes von Vermögenswerten zu bringen,
3.
eine andere Person in wirtschaftliche Not bringt,
4.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger mißbraucht oder
5.
einen Versicherungsfall vortäuscht, nachdem er oder ein anderer zu diesem Zweck eine Sache von bedeutendem Wert in Brand gesetzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört oder ein Schiff zum Sinken oder Stranden gebracht hat.
...


Klare Definition. Juristen sprechen von 3 Betrugsmerkmalen: Irrtumserregung (was der Täter erzählt oder tut), Täuschung (was das Opfer tut, weil bei ihm der Irrtum erregt wurde), Vermögensvorteil.

Fehlt eins dieser Merkmale, ist es kein Betrug.

Das ist eben der Wunsch der Rechtswissenschaft nach möglichst großer Objektivität.

Deine Definition, Aqvileia, ist gewiss poetischer und romantischer, aber die juristische scheint mir für den Alltag wesentlich zuverlässiger und brauchbarer zu sein.

Gruß

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Aqvilleia am 25. Aug. 2006, 10:00 Uhr
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Hi Abrazo -

Poesie und Romantik hat noch niemand geschadet es sei denn er/sie hat sich darin verloren. Unabhängig davon setzt deine Beantwortung wie auch die Antwort von Eberhard zur Frage

Quote:Die Frage war: "Warum soll man andere (z.B.) nicht betrügen?"

Meine Antwort darauf war: "&#8230; weil dies eine falsche Handlung wäre



bereits eine vorhandene Moral und deren Normen voraus.
In der Frage wurde aber nicht nach einer Normbegründung d.h. ob diese richtig/falsch ist gesucht sondern darum ob es moralisch (unabhängig von Gesetz oder Religion) ist zu betrügen. Meine Antwort darauf gründet sich auf eine Kenntnis der Handlung also das Bewusstsein zu betrügen und die daraus resultierenden Folgen. Romantik ist für mich etwas anderes, aber es könnte durchaus auch Menschen geben für die es romantisch ist zu betrügen, ich wage das nicht zu behaupten.
Meine Def. für Betrug ist: eine Übervorteilung des Ich auf Kosten anderer.
[nosee]

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Hanspeter am 25. Aug. 2006, 10:01 Uhr
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Hallo,

Ob man Ethiker und Moralisten trennen kann, wie Abrazo meint, bezweifle ich und ich sehe zu dieser Trennung in der Literatur auch keinen Anlass. Doch das ist letztlich Nebensache.

Die entscheidende Frage lautet: Gibt es eine objektive, das heißt für alle Mensch gültige Moral? Und die ist nicht theoretisch, sondern praktisch zu beantworten: NEIN. Es ist nicht der Fall.
Es sein denn, wir schaffen eine einheitliche Weltkultur mit einer einheitlichen Ideologie. Doch dazu sehe ich keinen Ansatz.

Eberhard schrieb:
"Warum soll man andere (z.B.) nicht betrügen?" "&#8230; weil dies eine falsche Handlung wäre."

Die Antwort auf diese Frage könnte auch lauten: Weil es "böse" ist, weil es verboten ist, weil es dem Ziel einer friedlichen Gesellschaft zuwider läuft, usw.
Noch einmal: Betrügen ist ein negativ definierter Begriff. Und deshalb ist es definitionsgemäß in allen Moralsystemen verboten. Die moralisch entscheidende Frage ist nicht: Ist Betrug verboten, sondern, handelt es sich bei dieser oder jener Handlung um einen Betrug oder nicht.
Anders gesagt, das moralisch relevante Problem lautet: In welche Kategorie ist eine Handlung einzuordnen. Das ist ja auch die Aufgabe eines Gerichts.

Gruß HP



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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 25. Aug. 2006, 10:03 Uhr
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Hallo allerseits,

Warum soll man moralisch handeln?

Wenn man den sprichwörtlichen "Mann auf der Straße" fragen würde, dann würde der einen vielleicht wegen einer derartigen Frage komisch angucken und schließlich sagen: "Na weil die Moral ja gerade die Regeln enthält, an die man sich halten soll. … Komische Frage .."

Ein junger Mann, der die Frage mitgehört hat, gibt seinen Kommentar: "Moral? Da pfeif ich drauf. Alles verstaubte, repressive Vorschriften von vorgestern, mit denen die Leute brav bei der Stange gehalten und für dumm verkauft werden sollen. Ohne mich …"

Und seine Begleiterin fügt hinzu: "DIE Moral gibt es doch gar nicht. Die Eltern einer Mitschülerin finden es z.B. unmoralisch, wenn ein Mädchen im Badeanzug schwimmen geht, und wollen nicht, dass ihre Tochter am Schwimmunterricht teilnimmt. "

Eine Frau, die interessiert stehen geblieben ist, sagt: "Aber wenn jeder sich an gewisse Regeln halten würde, dann läge hier nicht so viel Müll auf der Straße, man könnte ohne Befürchtungen auch spätabends noch allein nach Hause kommen und ich brauchte nicht viel Geld für neue Schlösser und Riegel ausgeben, um meine Wohnung vor Einbruch zu schützen."

Es entwickelt sich offenbar eine Diskussion. Ein Mann fortgeschrittenen Alters wendet sich an den jungen Mann: "Aber soll denn jeder tun und lassen können, was er will? Wo kämen wir denn da hin? Finden Sie es etwa richtig, wenn ein 13jähriges Mädchen im Park einer alten Frau die Handtasche entreißt und damit wegläuft, wie man es gestern wieder in der Zeitung lesen konnte? Da ist doch in der Erziehung etwas schief gelaufen …. wenn überhaupt was gelaufen ist. Sie wollen doch wohl nicht behaupten, dass Handtaschenraub in Ordnung ist, oder? Irgendwelche Regeln im Umgang miteinander werden Sie doch wohl auch anerkennen, junger Mann."

Der junge Mann wird nachdenklich: "Mag schon sein, dass ich so was nicht in Ordnung finde. Wird ja auch mit Knast bestraft. Ich hab da auch so meine Vorstellungen, wie man die Sachen besser regeln könnte. Aber auf irgendein Moralsystem lass ich mich nicht festnageln und ich würde meine Vorstellungen vom richtigen Verhalten auch niemandem aufzwingen. Da sind Sie bei mir an der falschen Adresse."

Der Mann: "Wer redet denn von 'aufzwingen'? Wie man die Leute dazu bringt, sich richtig zu verhalten, ist ja bereits der zweite Schritt. Erstmal muss man ja festhalten, was richtig ist und was falsch, um das Wort 'moralisch' zu vermeiden, das für Sie offenbar ein rotes Tuch ist." .

Die Frau: "Ja, wenn sich die Leute wenigstens einig darüber wären, was die beste Lösung ist, dann sähe es schon besser aus. Aber wie soll das passieren, wenn jede Gruppe ihre eigene Tradition predigt und wenn viele Kinder gar nichts mitkriegen außer Action-Filmen und Nintendo-Spielen."

Ich klinke mich mal aus der Diskussion aus und stelle als These in den Raum:

"Moralisch" (nicht im beschreibenden sondern im auszeichnenden, empfehlenden, präskriptiven Sinne) können nur Regeln sein, die allgemeingültig in dem Sinne sind, dass alle gemeinsam dieser Regel aus freier Einsicht zustimmen können. Das macht zugleich den Grund aus, warum man moralisch handeln soll.

Es grüßt Euch Eberhard.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von laertes am 25. Aug. 2006, 12:05 Uhr
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hi eberhard,

"Ich klinke mich mal aus der Diskussion aus und stelle als These in den Raum:

"Moralisch" (nicht im beschreibenden sondern im auszeichnenden, empfehlenden, präskriptiven Sinne) können nur Regeln sein, die allgemeingültig in dem Sinne sind, dass alle gemeinsam dieser Regel aus freier Einsicht zustimmen können."


eine regel, der alle zustimmen können macht nur dann sinn, wenn potentiell alle/viele n o c h n i c h t ihre handlungen nach ihr ausrichten.
das ist also etwas absurd.
'ich stimme einer regel zu, die ich bisher nicht ausgefüllt, gelebt habe.'

denn sonst wäre das erstellen der regel ja gar nicht nötig, man wäre gar nicht auf die idee dieser regel gekommen.

das heisst im klartext:
das erstellen einer solchen freiwilligen regel ist ein v e r s p r e c h e n.
wieder einmal mehr macht man eine aussage über zukünftiges, das man g la u b t in den griff zu kriegen.

ich habe mehrfach geschrieben, moral sei die installierung einer drittinstanz; hier ist diese eine differenz von zukünftiger und vergangener handlung. also etwas völlig virtuelles, für das es keinerlei garantie gibt.
ergo: es wird - bei aller freiwilligkeit - nicht klappen, da der mensch keinen zugriff auf die zukunft hat.
das wird man merken und aus der regel ein recht machen müssen mit der nötigen durchsetzungsgewalt.
dann hat sich die allgemeine freiwilligkeit selbst ad absurdum geführt.
ich keine keine moral, die nicht diesem weg gehen musste.



viele grüsse
laertes



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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Aqvileia am 25. Aug. 2006, 13:31 Uhr
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Hallo Eberhard -

zu deiner These - was heißt es eine freie Einsicht zu haben?
Wonach trachten alle Menschen?

LG

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 25. Aug. 2006, 16:47 Uhr
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Hallo allerseits,

ich schrieb: "'Moralisch' im präskriptiven Sinne können nur Regeln sein, denen alle gemeinsam aus freier Einsicht zustimmen können."

Wenn jeder sowieso gemäß dieser Regel handelt, braucht man keine Norm. Das ist unstrittig. Hier geht es um Verhaltensweisen, denen alle gemeinsam zustimmen können, sofern sich alle daran halten, die aber nicht mehr konsensfähig sind, wenn einige sich daran halten und andere nicht.

Ein Beispiel: Es wurden im Park Grünflächen und Beete angelegt. Die Wege führen drum herum. Es mag nun im Interesse aller liegen, diese Anpflanzungen zu schonen und nicht "quer Beet" zu latschen. Gleichzeitig mag es für den Einzelnen vorteilhaft sein, selber darüber zu gehen, denn der dadurch entstehende Schaden ist kaum merklich und es spart ihm Zeit.

In überschaubaren Gruppen, wo jeder jeden kennt, reicht in solchen Fällen der moralische Konsens und die moralische Ächtung des Regelverletzers, um die Einhaltung der Regel zu erreichen.

In anonymen Großgruppen klappt das gewöhnlich nicht und die Einhaltung muss durch weitere Sanktionen bewirkt werden (Verrechtlichung).

Zu Aquileias Frage: "Aus freier Einsicht zustimmen können" heißt soviel wie: "es gibt nachvollziehbare Argumente oder Evidenzen" dafür.

Dies von Eberhard.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Aqvileia am 25. Aug. 2006, 19:43 Uhr
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Hallo Eberhard -

ist es das, was du unter moralischer Empörung verstehst?

Dein Beispiel mutet ein wenig nach Schul- oder Hausordnung an, aber nichts destotrotz könnte auch daraus ein handfester Streit entstehen und plötzlich stimmen nicht mehr alle dieser Regel zu. Wenn z.B. jemand gehbehindert ist und der Weg durch den Rasen der einzige ist, den er kräftemäßig beschreiten kann, und das aber der Rasenliebhaber nicht einsieht, dann?
Zählt eine utilitaristische Einstellung?

LG

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Aqvileia am 26. Aug. 2006, 07:10 Uhr
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Hi an Alle -

@ HP

Quote:Die entscheidende Frage lautet: Gibt es eine objektive, das heißt für alle Mensch gültige Moral? Und die ist nicht theoretisch, sondern praktisch zu beantworten: NEIN


Ist es nicht schwierig etwas praktisch zu beantworten?
Theoretisch wäre ein Nein als Antwort in meinen Augen schon eher möglich. 'Praktisch' hieße erfahrungsgemäß alle Möglichkeiten auszuschließen dass es etwas gibt, das alle Menschen gemeinsam auszeichnet bzw. das sie wollen.
Wollen alle Menschen nicht das 'Gute'?
Hier hätte dann doch die 'Alles ist Liebe' Fraktion Recht wenn sie meint es bräuchte keine Moral, denn wenn alles Liebe wäre, dann wäre alles gut und diese Begrifflichkeit einer moral.Wertung überflüssig.
Oder trachten alle Menschen nach Lust?
Ich ändere Mal die Frage: Gibt es allgemein verbindliche moralische Regeln, nach denen man das Handeln der Menschen beurteilen kann, oder entzieht sich das konkrete Verhalten eines Menschen wegen seiner Einzigartigkeit einer solchen Beurteilung? Kann man in der Ethik allgemeine Regeln und Normen aufstellen, da doch offenbar zwei konkrete, singuläre Situationen niemals völlig gleich sein können?

LG

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Hanspeter am 26. Aug. 2006, 10:52 Uhr
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Hallo Aqvileia,

die Frage, ob es nur eine oder verschiedene Katzenarten gibt, lässt sich nur damit beantworten, dass man die Welt durchsucht und feststellt: Verschiedene Katzenarten gefunden. Wenn du der Meinung bist, es dürfte nur Hauskatzen auf dieser Welt geben, dann musst du alle anderen Katzenarten ausrotten.

Dasselbe gilt für die Moral. Es gibt de facto sehr verschiedene Moralen. Und wenn du nur eine willst, musst du die anderen beseitigen. Versuche dazu gab und gibt es; sie sind aber bisher alle gescheitert. Gottseidank!

Gruß HP

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Sheelina am 26. Aug. 2006, 11:34 Uhr
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on 08/26/06 um 10:52:01, Hanspeter wrote:Es gibt de facto sehr verschiedene Moralen.
Gruß HP


Moral hat kein Plural.

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 26. Aug. 2006, 12:05 Uhr
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Hallo allerseits,

Hanspeter schrieb: Gott sei Dank gibt es nicht nur eine Moral.

Dagegen: Die Alternative zur Entwicklung gemeinsamer Verhaltensregeln, die für alle beteiligten Parteien akzeptabel sind, ist der Konflikt, der in letzter Konsequenz Krieg heißen kann.

Zu dem Argument, es sei nicht sinnvoll, allgemeine Normen aufzustellen, weil jeder Mensch einzigartig sei und keine Situation der andern völlig gleiche.

Wenn ich begründe, warum das Verhalten von Stephan gestern abend gerechtfertigt (oder zu verurteilen) ist, dann beschreibe ich die Umstände dieses singulären Falls, sowohl was die Person von Stephan als auch was die äußeren Umstände angeht.

Ich sage zum Beispiel: "Durch einen Stau ist Stephan aufgehalten worden und kam auf die letzte Sekunde hier an. Wenn er nicht quer Beet gelaufen wäre, wäre er zu spät gekommen, was für ihn mit schweren Nachteilen in Form von x, y, z verbunden wäre. Deshalb ist sein Verhalten gerechtfertigt."

Wenn man moralische Urteile für universalisierbar hält, dann folgt daraus, dass ich alle Fälle, auf die diese Beschreibung ebenfalls zutrifft (außer dass der Handelnde einen anderen Namen hat), genauso als gerechtfertigt ansehen muss. Damit hat man jedoch bereits eine allgemeine Regel.

Soviel erstmal von Eberhard.

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 26. Aug. 2006, 13:59 Uhr
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Hi, Eberhard

Du: Moralisch' im präskriptiven Sinne können nur Regeln sein, denen alle gemeinsam aus freier Einsicht zustimmen können.

Hat da irgendwer einen besseren Vorschlag als:
„Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem anderen zu!“ („Quod tibi fieri non vis, alteri ne feceris!“, römisches Sprichwort)
"Tu keinem etwas an, wovon Du nicht willst, daß es Dir geschehe - in diesem Grundsatz liegt alle Tugend, liegen alle Pflichten des Menschen gegen die Gesellschaft." (Friedrich der II. v. Preußen)
?

Wer kann begründen, warum sich der Aufwand einer weiteren Diskussion zum Thema lohnen sollte?

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 26. Aug. 2006, 15:51 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Wolfgang,

Du zitierst die Goldene Regel "Tu keinem etwas an, wovon Du nicht willst, dass es Dir geschehe!" und damit scheinen Dir alle Fragen der Moral beantwortet.

In der Tat ist die Goldene Regel eine geniale Faustformel für die Beantwortung moralischer Fragen und in der moralischen Erziehung unentbehrlich. Die Goldene Regel gibt in den meisten Fällen die richtige Antwort auf eine moralische Frage.

Es bleibt allerdings eine Faustformel, die in manchen Fällen zu nicht akzeptablen Ergebnissen führt. Wie ich dazu an anderer Stelle geschrieben habe, macht die Goldene Regel nur dann Sinn, wenn Menschen in ihren Bedürfnissen ähnlich sind. Wenn ich selber am Wochenende gerne ausschlafe und nicht vor 9 Uhr angerufen werden will, dann braucht das mich nicht daran zu hindern, den notorischen Frühaufsteher Wolfgang am Sonntag bereits um 8 Uhr anzurufen.

Ein anderer Einwand gegen die allgemeine Anwendbarkeit der Goldenen Regel lautet: "Dann dürfte ja zum Beispiel eine Politesse einem Parksünder auch keinen Strafzettel verpassen. Denn die Politesse selber will ja ebenso wie der Parksünder möglichst keinen Strafzettel bekommen und nach der Goldenen Regel dürfte sie ihm dann keinen Strafzettel verpassen".

Diese Schwierigkeit könnte man aber auflösen. Wenn ich das Gemeinwesen für befugt halte, Parkverbote auszusprechen und durchzusetzen, so muss ich auch wollen, dass Verstöße gegen ein Parkverbot mit der vorgesehenen Strafe geahndet werden. Dies beinhaltet, dass auch ich selber einen Strafzettel bekommen soll, falls ich gegen ein Parkverbot verstoße. Insofern "will" ich als Parksünder zwar keinen Strafzettel bekommen, aber als Bürger des von mir mitgetragenen Gemeinwesens akzeptiere ich, dass ich den ("verdienten") Strafzettel bekomme.

Ein anderer Einwand: Ich will eigentlich nicht, dass mein Gartennachbar Rasen mäht, weil das mit Lärm verbunden ist, und Lärm mag ich nicht. Trotzdem ist das für mich kein geeignetes Argument dagegen, dass ich selber Rasen mähe und dabei meinem Nachbarn einen ihm unerwünschten Lärm beschere.

Offenbar versagt die Goldene Regel in solchen Fällen, wo das Handeln eines anderen zwar für mich Nachteile bringt (vorübergehender Lärm), wo aber die Vorteile für den andern (gepflegter Garten usw.) allgemein als wichtiger angesehen werden. Für uns beide ist es wichtiger, dass unser Garten gepflegt wird, als dass der damit verbundene Lärm vermieden wird. ( www.ethik-werkstatt.de/Goldene_Regel.htm )

Die entscheidende Frage an ein ethisches Kriterium wie die Goldene Regel ist, ob verschiedene Individuen bei Anwendung des jeweiligen Kriteriums zu übereinstimmenden Ergebnissen gelangen. Nur dann kann ein Kriterium die methodische Grundlage für die allgemeingültige Beantwortung moralischer Fragen bilden. Denn einander widersprechende Antworten können keine Frage beantworten. Die Goldene Regel führt nur dann zu übereinstimmenden Ergebnissen, wenn alle Individuen hinsichtlich der Behandlung durch andere die gleichen Abneigungen haben.

Und noch ein letzter Punkt: Die Goldene Regel, zumindest in ihrer negativen Formulierung, kann keine Antwort geben, wo es um moralisch gebotene Handlungen geht, wie z. B. dem Gebot der Hilfeleistung für Menschen in unverschuldeter Not.

Es lohnt sich auch angesichts der von Dir zitierten genialen Forme weiter über Moral nachzudenken,

meint Eberhard.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 26. Aug. 2006, 17:36 Uhr
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Hi, Eberhard,

Du: Goldene Regel...und damit scheinen Dir alle Fragen der Moral beantwortet.
Alle Fragen beantwortet? Nein. Es wird immer Grenzfälle geben.
Deshalb frage ich ja ausdrücklich, ob jemand eine bessere Regel vorstellt.

Wobei ich an "besser" folgende Maßstäbe anlege:
* Facharbeiterverständlichkeit. Die Regel muß so simpel sein, daß der duchschnittliche Facharbeiter sie versteht und sie auch seinem Sohnemann verständlich machen kann. Denn eine Regel, die nur eine Elite verstehen und einhalten könnte, kann niemals gerecht sein.
* Allgemeingültigkeit. Denn eine Regel, die nur für einen Teil der Gemeinschaft gilt, kann auch nicht gerecht sein.
* Dem Gemeinwohle dienend. Denn Gerechtigkeit ist als Kompromiß der streitenden Parteien nie zu erreichen, allenfalls ein Waffenstillstand. Gerechtigkeit ist leichter zu definieren, wenn wir das Gemeinwohl als Maßstab nehmen, in dessen Namen die Gemeinschaft von einem Mitglied auch Verzicht zugunsten der Gemeinschaft fordern kann und Drohung der Verbannung.

Voraussetzung: Das Gemeinwohl wiederum muß letztlich zum Wohle des Individuums mehr beitragen, als seine Opfer ihm kosten.

Meine Arbeitshypothese: Seit den Anfängen der Geschichtsschriebung haben sich meines Wissens nur zwei Regeln durchgesetzt, die diese Kriterien gut erfüllen:
a) die Goldene Regel bis zum Kategorischen Imperativ
b) "Liebe deinen Nächsten, wie auch dich selbst.,

wobei mir beide verwandt zu scheinen, indem a) das Verhalten anspricht und b) mehr die Einstellung, aus der man seine Verhaltensweise wählt.

Ich halte die Wahrscheinlichkeit, daß dieser Tage eine deutlich bessere Regel gefunden wird, für höchst unwahrscheinlich.
Aber ich schließe es nicht aus. Wer in diesem Forum hat eine oder kennt eine?

Wer sieht denn wenigstens eine Chance dafür?

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 26. Aug. 2006, 21:59 Uhr
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Hallo Wolfgang,

Du hattest gefragt: "Wer kann begründen, warum sich der Aufwand einer weiteren Diskussion zum Thema lohnen sollte?" Das muss man doch so verstehen, dass Du keine Gründe mehr kennst, warum man sich weiter mit dem Thema beschäftigen sollte.

Nun habe ich zu zeigen versucht, dass die Goldene Regel nur eine Faustregel ist und weite Bereiche der Moral nicht angemessen behandelt. Offenbar akzeptierst Du die Kritik, denn Du argumentierst nicht dagegen. Anstatt hieraus die Konsequenz zu ziehen, dass die Problematik genauer analysiert werden müsste, stellst Du als Maßstab und Grenze für mögliche Ergebnisse das Verständnis eines Facharbeiters auf. Das halte ich allerdings für eine äußerst problematische Einschränkung der wissenschaftlichen Diskussion. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Physiker, Physiologen, Mathematiker oder Psychologen eine derartige Einschränkung auf das Verständnis eines Facharbeiters akzeptieren würden.

Ich glaube nicht, dass diese methodischen Richtlinien uns weiter bringen werden. Ich befürchte eher, dass man dann immer an der Oberfläche herumrührt mit komplizierten Begriffen wie Gemeinwohl, Allgemeingültigkeit oder Gerechtigkeit, die nach einer näheren Bestimmung förmlich schreien.

Ich schlage stattdessen vor, dass wir diskutieren, was denn mit der "Richtigkeit" einer Handlung oder der zugrunde liegenden moralischen Norm gemeint sein kann.

Ich hatte die Frage: "Warum soll man moralisch sein?" beantwortet mit dem Satz: "Man soll moralisch handeln, weil dies die richtigen Handlungen sind."

Wenn man etwas als "richtig" bezeichnet, dann erhebt man dafür einen Geltungsanspruch.

"Richtig" bedeutet hier "richtig" nicht nur für mich sondern richtig für alle gemeinsam.

Darin steckt also ein Anspruch auf allgemeine Geltung.

Wenn dieser Geltungsanspruch für eine moralische Norm mehr sein soll als die Aufforderung zur Befolgung der Norm, also mehr sein will als Aufforderung zu gehorchen, dann müssen diejenigen, die der Norm Folge leisten sollen, diese Norm ohne Zwang anerkennen können.

Oder anders ausgedrückt: Die moralische Norm muss für jeden der Beteiligten mit nachvollziehbaren und übernehmbaren Argumenten begründet sein.

Kriegen wir so Boden unter die Füße?

fragt Eberhard.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Hanspeter am 26. Aug. 2006, 22:14 Uhr
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Nein, Eberhard, weil das nicht möglich ist.

Du bist bei deinen Beispielen stets in unserem Kulturkreis geblieben und hast deshalb für die hier Anwesenden ziemlich plausibel argumentiert.

Betrachten wir jedoch stark unterschiedliche Kulturkreise, dann ist eine Einigung oft nicht möglich. Wenn Kühe für einen Hindu als heilig gelten und deren Schlachtung ein Sakrileg erster Ordnung ist, sie dagegen im Westen fabrikmäßig getötet werden, dann sind nachvollziehbare und übernehmbare Argumente für keine Seite denkbar.

Aber wir müssen gar nicht in die Ferne blicken. Die katholische Moral ist mit manchen der derzeit gängigen Moralvorstellungen ebenfalls nicht kompatibel. Beispiele gefällig?

Gruß HP

Gruß HP


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 26. Aug. 2006, 22:38 Uhr
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Hi, Eberhard,

Du: Das muss man doch so verstehen, dass Du keine Gründe mehr kennst, warum man sich weiter mit dem Thema beschäftigen sollte.
Muß man das? Keine Alternative?

Du: ..Goldene Regel nur eine Faustregel...
Kein Einwand.
Du: dass die Problematik genauer analysiert werden müsste,
Kann durchaus. Von einem "müßte" würde ich aber erst sprechen, wenn aus der Analyse auch etwas werden könnte, das besser ist als das bisher beste.

Natürlich kann man noch viel diskutieren.

Meine Alternative besteht aus zwei Teilen:
a) Eine neue Regelung muß besser sein als die bisher besten. Andenfalls hat sie keine Chance auf Umsetzung.
b) Eine neue Regelung kann nur dann besser sein als die bisher beste, wenn sie auch machbar ist.

Die Voraussetzungen, die mir dazu eingefallen sind, habe ich genannt.

Du: ...stellst Du als ... Grenze für mögliche Ergebnisse das Verständnis eines Facharbeiters auf. Das halte ich allerdings für eine äußerst problematische Einschränkung der wissenschaftlichen Diskussion....
Exakt. Die Einschränkung auf das Machbare schränkt aber nur diejenigen ein, die das Unmachbare bedenken wollen.

Du: Ich kann mir nicht vorstellen, dass Physiker, Physiologen, Mathematiker oder Psychologen eine derartige Einschränkung auf das Verständnis eines Facharbeiters akzeptieren würden.
Das wirst Du schon recht haben.
Aber die Umstände sind andere - wer eine ungewöhnliche Antenne konstruiert, der muß sich seinen Facharbeitern gegenüber verständlich machen und anderen gegenüber nicht.

Wer aber eine allgemein gültige Moral umsetzen will, der muß sich allen Personen verständlich machen, die diese anwenden sollen.

Du: Ich glaube nicht, dass diese methodischen Richtlinien uns weiter bringen werden. Ich befürchte eher, dass man dann immer an der Oberfläche herumrührt...
Ob "weiter" oder nicht, das hängt von dem Ziel ab, welche Schritte in welcher Richtung als "weiter" gelten sollen.

Wenn Du nur um der Diskussion wegen diskutieren willst ohne jeden Anspruch auf verwertbare Ergebnisse, dann ist ist jede Einschränkung unwillkommen.

Dann verkünde das, und dann werde ich diesen Deinen "Funkkreis" nicht mehr stören.

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 26. Aug. 2006, 23:25 Uhr
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Hi,

1. Von den allgemeinen 'goldenen Regeln' halte ich überhaupt nichts. Sie alle sind im Kern rein subjektiv. Was man entscheidet, hängt also vom persönlichen Geschmack ab.

1a) Nächstenliebe.
Zum einen kann man Liebe nicht befehlen. Wer das versucht, zerstört sie de facto.
Liebe wird immer in den Gegensatz gesetzt zu Hass. Das ist Quatsch. Wenn ich jemanden nicht liebe, heißt das noch lange nicht, dass ich ihn hasse. Vielleicht ist er mir sogar sympathisch, vielleicht aber nur gleichgültig.
Es gibt eine Menge Dinge, die ich weit mehr liebe als die meisten meiner Mitmenschen. Deswegen mag ich Menschen trotzdem. Wer aber befiehlt, sie nun zu lieben, den verdächtige ich immer, dass er überhaupt keine Ahnung hat, was Liebe ist. Sonst käme er wahrscheinlich nicht auf solch merkwürdige Ideen.
Dass wir mit der Nächstenliebe denkbar schlecht gefahren sind, zeigt ein Blick in die Geschichte. Aus reiner Nächstenliebe wurden Hexen gefoltert und verbrannt, weil man meinte, ihnen so doch noch das ewige Leben zu verschaffen, dessen sie sonst verlustig gehen würden. Aus reiner Nächstenliebe wurden Juden zwangsgetauft, gehen uns die fundamentalistischen Evangelikalen mit ihren Missionierungswünschen auf die Nerven, und schließlich sei noch an Mielkes Wort erinnert: "Ich liebe euch doch alle!"
Also, mir kann man mit der Nächstenliebe gestohlen bleiben. Und ich möchte bitte auch nicht, dass alle möglichen Leute mich als ihren Nächsten lieben; etwas mehr Distanz ziehe ich doch vor.

1b) "Was du nicht willst ...". Tja. Da hätten wir zunächst einmal uns' Oma. Der wir mühselig abgewöhnen mussten, uns das nicht anzutun, von dem sie selbst nichts hielt. Vorzugsweise, in Ruhe gelassen zu werden.
Und wie steht es mit dem Amokläufer, der gerne sterben möchte und so freundlich ist, dabei diesen frommen Wunsch auch anderen Leuten zu erfüllen?

Für mich sind das Allgemeinplätze, unbrauchbar im praktischen Leben.

Ethik - Recht - Moral. Das sind Tatsachen, die miteinander ein Spannungsfeld ergeben, damit sollte man sich befassen.

Fragen wir doch mal: warum gibt es überhaupt das Recht, und zwar nicht nur in unserer Gesellschaft und Kultur? Wird es doch wohl einen triftigen Grund für geben, oder?

Schauen wir uns die Moral an. Darüber wurde viel Positives gesagt. Was ist denn mit dem Negativen?

Moral verurteilt Taten. Und zwar ohne sich mit den Hintergründen näher zu befassen, denn Moral hat Absolutheitsansprüche. Moral schließt aus. Der Unmoralische wird von der moralischen Gesellschaft in Acht und Bann gelegt. Kriegt kein Bein mehr an die Erde. Und Moral zwingt zur Gleichmacherei. M.E. genügend Gründe, Moral mit Skepsis zu betrachten.

Und m.E. genügend Gründe, sich lieber auf das Recht zu verlassen, das auf solche Konsequenzen nicht aus ist.

Ich möchte noch darauf hinweisen, dass es angelsächsisches Denken ist, nicht zwischen Moral und Ethik zu unterscheiden. Nach angelsächsischem Denken wird die Moral von der Gesellschaft bestimmt, gemäß fiktivem Gesellschaftsvertrag. Daraus folgen andere Staatsverfassungen und andere Rechtssysteme als das unsere. Daraus folgt aber auch eine konstante Überheblichkeit anderen Gesellschaften mit anderen Moralen gegenüber. Es folgt ein gesellschaftlicher Missionierungsdrang. Man meint, andere Gesellschaften zu ihrem Glück zwingen zu dürfen, weil sie ja unter ihren komischen Moralvorstellungen angeblich leiden müssen. Die anderen Gesellschaften sind da allerdings anderer Auffassung.

Schließlich: was Freiwilligkeit und Konsens betrifft, da sollte man sich keine Illusionen machen. Wann hätte es diesen Konsens jemals gegeben? Gab es eine Zeit, in der es keine Mörder, Räuber, Diebe gab? Keine Aggressoren und keine terroristischen Gruppen? Auch die haben eine Moral. Eine andere.

Was geschah denn immer dann, wenn eine beherrschende Gruppe einer Gesellschaft Recht, Moral (ihre Moral) und Ethik in einen Topf zusammen rührte? Bürgerkrieg.

Sind wir ganz sicher, dass wir die Schwelle zum Weltbürgerkrieg nicht bereits überschritten haben? Welchen Sinn hat es dann, über eine zivilisierte Moral zu diskutieren, die subjektiv an unsere Kultur gebunden ist, gleich machen will und die angeblich Unzivilisierten mit ihren Moralen in Acht und Bann legt?

Grüße

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 27. Aug. 2006, 09:43 Uhr
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Hallo allerseits,

In der Frage "Warum soll man moralisch handeln?" bezieht sich das Wort "moralisch" nicht auf irgendeines der vorfindbaren unterschiedlichen Moralsysteme, sondern auf diejenigen Regeln für den Umgang miteinander, die man selber bejaht. Die Frage richtet sich dabei auf den verpflichtenden Charakter moralischer Regeln und auf die Gründe hierfür.

Zur Erläuterung meines eigenen Sprachgebrauchs:

Wenn man sich in einer tatsächlichen oder möglichen Konfliktsituation mit andern Menschen fragt: "Wie soll ich - unter Einbeziehung aller relevanten Gesichtspunkte – handeln?" dann nenne ich das eine "moralische Frage" oder eine "Frage der normativen Ethik".

Wenn man sich fragt "Welche Regeln des Umgangs mit anderen gelten in dieser Gesellschaft oder Subkultur?", so nenne ich das eine "moralsoziologische Frage".

Wenn man fragt: "Welche moralischen Einstellungen und Überzeugungen hat diese Person?" so nenne ich das ein "moralpsychologische Frage".

Wenn man fragt "Welche moralischen Regeln und Kriterien soll man in welcher Weise Kindern vermitteln?" nenne ich das eine "moralpädagogische Frage".

Wenn man sich in einer Konfliktsituation fragt: "Wie soll ich unter Berücksichtigung der faktisch geltenden Moral handeln?" so ist das eine Frage nach der vorherrschenden moralischen Konvention und ihrer Interpretation. Dies nenne ich eine "Frage der Interpretation einer gegebenen Moral".

Wenn man sich in einer Konfliktsituation fragt: "Wie soll ich unter Berücksichtigung des faktisch geltenden Rechts handeln?" dann ist das eine Frage nach der faktisch geltenden Rechtsordnung und ihrer Interpretation. Dies nenne ich eine "Frage der Interpretation einer gegebenen Rechtsordnung" oder kurz eine "rechtliche Frage".

Wenn man sich angesichts einer moralischen Frage fragt: "Wie kann man moralische Fragen richtig beantworten?" dann nenne ich das eine "moralphilosophische oder (meta-)ethische Frage".

Ich schlage für unsere weitere Diskussion vor, dass wir uns auf diese grundlegende moralphilosophische Fragestellung ("Wie kann man moralische Fragen richtig beantworten?") konzentrieren, weil die Beantwortung dieser Frage Konsequenzen für alle weiteren Fragen hat – einschließlich unserer etwas vertrackten Ausgangsfrage.

Gibt es Einwände gegen diesen Vorschlag? fragt Eberhard.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Hanspeter am 27. Aug. 2006, 10:10 Uhr
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Deine Spracheinteilung macht Sinn.

Du fragst also letztlich: Warum soll man die moralischen Regeln, die man gut heißt, auch selbst einhalten?

Da muss man unterscheiden zwischen moralischen Regeln, die man sich selbst auferlegt und denen, die man von anderen erwartet. Naive Betrachter könnten annnehmen, dass beide identisch sein sollten ("Was du nicht willst..."). Doch das muss nicht sein. Man kann sehr wohl Wasser predigen und Wein trinken.
Man definiert sein Handeln als moralisch korrekt und stellt an andere Menschen Forderungen, die einem selbst nützen. Und moralische Forderungen anderer versucht man, so gut wie möglich zu seinem eigenen Nutzen "umzuinterpretieren".

Die Antwort auf die Frage, was ist gut oder böse lautet dann: Gut ist, was mir nützt. Damit reduziert sich die Frage, warum man moralisch sein soll auf die Frage, warum soll ich das tun, was mir nützt. Diese Frage wiederum halte ich für obsolet.

Gruß HP

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Aqvileia am 27. Aug. 2006, 10:44 Uhr
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Einen schönen Sonntag an alle!

Grundsätzlich stimme ich in Eberhard's Meinung darin überein, dass es besonders wichtig ist sich auf Moral und wie ich dazu noch meine auf ihre Werte zu besinnen, in Zeiten in denen eine stetig voranschreitende Globalisierung vorherrscht, und politische wie menschliche Grenzen zu verschwinden und verschwimmen drohen. Der Faktor für den Grund einer moralischen Handlung entsteht aus der persönlichen Einstellung und der Erwartung, dass der andere diesen Grund akzeptiert. Ich bin nicht dafür Ethik auf jede wie hier bezeichnet einzelne Moral (verschiedene Gesellschaftsschichten, Religionen) zu relativieren, sondern nur dafür, diese miteinzubeziehen.
Das Ziel der Begründung einer Ethik, die aus Verfahren hervorgeht mit denen ein gemeinsamer Standpunkt gefunden werden soll, bleibt dennoch attraktiv. Diskussionen im Rahmen einer vorstellbaren Ethik, mittels rationalistischer Vorgehensweise wären kooperative Versuche gemeinsame Lösungen für gemeinsame Probleme zu finden. (allein ich fürchte, dass dieser Rahmen hier nicht ausreicht) Zustimmung zu Eberhard: Ethisch gerechtfertigte Prinzipien wären dann solche, denen in jedem vernünftigen Verfahren, mit dem eine Übereinstimmung über unsere Handlungen angestrebt würde, zugestimmt werden könnte.
Die Fundamente der moralischen Motivation liegen zwar nicht in den Verfahrensregeln eines solchen Diskurses, sondern sind in den Gefühlen beheimatet (nicht nur Liebe), aber gerade sie sind es, die uns immer wieder daran erinnern Ethik in den Vordergrund rücken zu lassen.

LG

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 27. Aug. 2006, 11:09 Uhr
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Hi,

Wenn man sich angesichts einer moralischen Frage fragt: "Wie kann man moralische Fragen richtig beantworten?" dann nenne ich das eine "moralphilosophische oder (meta-)ethische Frage".

Damit bin ich natürlich einverstanden.

Allerdings plädiere ich dafür, dass man, bevor man sich an die Antwort macht, erst einmal eruiert, was denn der Fall ist. Heißt, wie Menschen denn entscheiden.

Wenn wir das tun, stellen wir fest, das ist verschieden (wäre das nicht der Fall, bräuchte man kein Recht).

"Lasst alle Hoffnung fahren" - stürzen wir uns hinein.

Ich nehme einen aktuellen praktischen Fall. Vor paar Wochen fuhr eine anscheinend gut in ihre Gesellschaft integrierte hochschwangere Frau, die allerdings ihre Schwangerschaft stets abgestritten und verheimlicht hatte, mit ihren Freundinnen nach Köln, um sich dort einen schönen Tag zu machen. Sie bekam Wehen, begab sich in die Toilette eines Cafés und gebar dort ein Kind. Sie nabelte es ab und steckte es kopfüber in einen Abfallbehälter für Hygieneartikel.

Warum nicht?

Denken wir an die Herkunft des Wortes Hebamme. Das war die Frau, die nach der Geburt das Neugeborene aufheben und damit am Leben lassen durfte - auf Geheiß des Vaters.

Meines Wissens gibt es in Ostasien Stämme, bei denen sich Frauen zur Geburt in ein Gebüsch zurück ziehen, das Kind auf dem Boden 'werfen' und dann entscheiden, ob sie es aufheben oder nicht.

In Koran Sure 81 steht über das Jüngste Gericht: "Wenn das Mädchen, das (nach der Geburt) verscharrt worden ist, gefragt wird, wegen was für einer Schuld man es umgebracht hat" (8f) - heißt, es war damals üblich, sich ungewollten weiblichen Nachwuchses zu entledigen, indem man ihn kurz nach der Geburt im Sand eingrub.

Es war also normal, seinen Nachwuchs um die Ecke zu bringen. Das gute Recht der Eltern, und keinen scherte es, wenn sie es ausübten.

Normal ist so etwas auch für das Viehzeug. Mutterinstikt funktioniert nur in Verhältnissen, die danach sind. Sonst nicht.

Folgt: dass wir solche Vorgänge heute (hoffentlich) mit Entsetzen betrachten, ist unnormal.

Diese Unnormalitäten jedoch sind einer ganzen Reihe von Menschen etwas Unantastbares, Heiliges. Wofür andere wiederum kein rechtes Verständnis haben.

Warum? Was ist der Grund?

Grüße

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 27. Aug. 2006, 13:29 Uhr
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Hallo allerseits,
Hallo Hanspeter,

Du schreibst: "Da muss man unterscheiden zwischen moralischen Regeln, die man sich selbst auferlegt und denen, die man von anderen erwartet. Naive Betrachter könnten annnehmen, dass beide identisch sein sollten ("Was du nicht willst..."). Doch das muss nicht sein. Man kann sehr wohl Wasser predigen und Wein trinken."

Wenn jemand für sich andere moralische Regeln gelten lässt als für andere und sich z.B. von der Befolgung bestimmter Regeln ausnimmt mit der Begründung "weil ich es bin", dann verstößt er damit gegen die Eigenschaft der "Universalisierbarkeit" (englisch universalizability), die nach Auffassung der meisten Autoren moralischen Urteilen zukommt. Die abweichende Regel für Dich selber ("Niemand darf einen andern beleidigen ausgenommen ich selber, weil ich es bin") wäre nach Auffassung mancher Autoren dann keine moralische Regel mehr.

Mein Argument gegen eine solche persönliche Spezialnorm ist, dass ich dieser Spezialnorm nicht zustimmen kann und dass sie damit keine allgemeine Richtigkeit (Allgemeingültigkeit) beanspruchen kann.

Die einzelnen Schritte in meiner Argumentation sehen dann so aus:

Wir haben einen Konflikt. A belegt B mit Schimpfwörtern. B findet das gar nicht gut.

Die moralische Frage ist: Darf A so reden?

Hierauf wird eine Antwort gesucht, und zwar nicht irgendeine, sondern die richtige, die richtige für alle gemeinsam ("allgemeingültig").

Wenn ein moralisches Urteil richtig sein soll, ohne dass ich selber einsehen kann, dass es richtig ist, dann ist es für mich ununterscheidbar von einem Dogma, das ich zu akzeptieren habe. Damit ist es buchstäblich "indiskutabel" und kann keine allgemeine Gültigkeit besitzen.

Anders ausgedrückt:

Wir suchen auf moralische Fragen übereinstimmende, gemeinsame Antworten.

Wenn die Antwort nicht dogmatisch sein soll, bedeutet dies, dass die gesuchte Antwort für jeden nachvollziehbar und einsichtig begründet oder unmittelbar evident sein muss, dass sie - kurz gesagt - akzeptabel sein muss.

Die Bevorzugung oder Benachteiligung von Beteiligten mit der einzigen Begründung, weil sie es seien, ist nicht für alle akzeptabel.

Soviel erstmal von Eberhard.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von hel am 27. Aug. 2006, 13:30 Uhr
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Hallo Eberhard

on 08/27/06 um 09:43:05, Eberhard wrote:Wenn man sich angesichts einer moralischen Frage fragt: "Wie kann man moralische Fragen richtig beantworten?" dann nenne ich das eine "moralphilosophische oder (meta-)ethische Frage".

Ich schlage für unsere weitere Diskussion vor, dass wir uns auf diese grundlegende moralphilosophische Fragestellung ("Wie kann man moralische Fragen richtig beantworten?") konzentrieren, weil die Beantwortung dieser Frage Konsequenzen für alle weiteren Fragen hat – einschließlich unserer etwas vertrackten Ausgangsfrage.

Gibt es Einwände gegen diesen Vorschlag? fragt Eberhard.


Das ist wirklich der Kern aller moralischen Fragestellungen, den Du hier herausgeschält hast.
Die Voraussetzung, eine Frage richtig oder falsch beantworten können, ist die Existenz eines objektiv gegebenen Sachverhalts, auf den sie sich bezieht. Die Frage, ob die Erde eine Scheibe ist, kann ich also richtig oder falsch beantworten. Ich kann aber beim besten Willen keinen objektiven Sachverhalt erkennen, anhand dessen ich erkenen kann, ob es moralisch falsch ist, z.B. ein ungeborenes Kind abzutreiben, oder nicht.
Wenn Du schreibst:

Quote:Wenn man etwas als "richtig" bezeichnet, dann erhebt man dafür einen Geltungsanspruch.

"Richtig" bedeutet hier "richtig" nicht nur für mich sondern richtig für alle gemeinsam.

Darin steckt also ein Anspruch auf allgemeine Geltung.


Selbst wenn alle Menschen behaupten, daß z.B. die Erde eine Scheibe sei, wird diese Behauptung deswegen nicht richtig - in der Bedeutung von wahr. Gleichermaßen ist auch die Übereinstimmung aller Menschen darüber, was moralisch richtig ist, kein Maßstab für die Richtigkeit ihrer Moralverstellungen. Bei einer Aussage über objektive Sachverhalte, habe ich allerdings die Möglichkeit, aus einer Aussage überprübare Sachverhalte zu folgern und das Ergebnis dieser Überprüfungen als intersubjektiven Maßstab der Wahrheit meiner Aussage zu akzeptieren.
Wie sollte dies aber bei moralischen Aussagen gelingen? Wenn alle Menschen glauben, etwas sei moralisch gut, anhand welcher logischen Folgerung läßt sich auch nur theoretisch eine Übeprüfung dieser Annahme leisten?
Meine Thesen daher:

a) Die Forderung nach einer moralisch richtigen Handlung oder Aussage beinhaltet einen Kategorienfehler. Denn Kategorien wie richtig / falsch oder wahr / falsch kann ich sinnvoll nur innerhalb eines Bezugssystems geben, anhand dessen ich meine Aussagen oder Handlungen zumindest theoretisch überprüfen kann. Während mir in den Naturwissenschaften die Welt mit ihren Phänomenen ein solches Kriterium zur Hand gibt, vermisse ich ein solches in der moralischen Welt.

b) Deswegen müssen grundlegende moralische Forderungen aufgestellt werden, die weiter nicht hinterfragt werden können. Ähnlich wie Axiome in der Mathematik. Ein Beispiel wäre Kants Kategorischer Imperativ.

c) Es gibt keinen Grund für die Annahme, daß irgendeine grundlegende moralische Forderung aufgestellt werden kann, die von allen verschiedenen Kulturen gemeinsam akzeptiert wird.

Grüße,
hel




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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Aqvileia am 27. Aug. 2006, 14:35 Uhr
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Hallo Hel -

würdest du mir bitte Punkt c näherbringen!

Das würde heißen du tolerierst zwar nicht, dass die Frau in Köln ihr Kind getötet hat, aber wenn z.B. in Indien ein Mädchen auf Grund ihrer Nichtwertigkeit getötet wird dann ist das moralisch gerechtfertigt?

LG

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von hel am 27. Aug. 2006, 15:20 Uhr
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on 08/27/06 um 14:35:20, Aqvileia wrote:Hallo Hel -

würdest du mir bitte Punkt c näherbringen!

Das würde heißen du tolerierst zwar nicht, dass die Frau in Köln ihr Kind hat, aber wenn z.B. in Indien ein Mädchen auf Grund ihrer Nichtwertigkeit getötet wird dann ist das moralisch gerechtfertigt?


Der Fall von Köln deutet aus meiner Sicht auf eine Art Bewußtseinsstörung der armen Frau hin. Aber letztendlich kenne ich den Fall nicht und kann ihn deswegen auch nicht beurteilen.

Aber generell:
Hätte ich die Macht, würde ich mein Wertesystem auch dort durchsetzen, wo es z.Z. nicht geteilt wird. Zum Beispiel würde ich ein Rechtssystem auflösen, das geschlechtsspezifisch unterschiedliche Wertmaßstäbe ansetzt. Es bleibt aber trotzdem MEIN Wertsystem. Ich würde nicht in Versuchung kommen, es philosophisch als absolut gültig zu setzen. Ich richtete die Welt eben nach meinen Vorstellungen ein, in dem Bewußtsein, daß es andere Menschen als Unrecht empfinden könnten und sowohl deren als auch mein Standpunkt nicht weiter begründbar ist.

Grüße,
hel


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 27. Aug. 2006, 15:52 Uhr
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Laaaaaaaaangsam.

Während mir in den Naturwissenschaften die Welt mit ihren Phänomenen ein solches Kriterium zur Hand gibt, vermisse ich ein solches in der moralischen Welt.

b) Deswegen müssen grundlegende moralische Forderungen aufgestellt werden, die weiter nicht hinterfragt werden können. Ähnlich wie Axiome in der Mathematik. Ein Beispiel wäre Kants Kategorischer Imperativ.


Haste denn schon genau hingeguckt, was der Fall ist, so dass Du sagen könntest, in der Ethik lässt sich kein Kriterium anhand der beobachtbaren Phänomene finden? Sonst wäre das ein bisschen voreilig.

In dem Zusammenhang erinnere ich daran, dass Kant selbst seine Moralphilosophie als Provisorium ansah - und zwar, wie sollte es anders sein, im Zusammenhang mit seiner Aussage, wonach es ein Skandal der Philosophie sei, dass die Realität der Außenwelt noch nicht bewiesen ist.

Also: was ist der Fall?

Nachdem ich probeweise davon abgerückt war, kehre ich nun doch zu meiner ursprünglichen These zurück: Ethik (man gestatte mir, dass ich es zwecks Klarheit vorziehe, dieses Wort zu gebrauchen) hat nichts damit zu tun, was man tun soll. Auch von daher postuliere ich einen Unterschied zwischen Ethik und Moral. Statt dessen manifestiert sich die Ethik im rigorosen Nein zu einer ganz normalen, natürlichen Handlung. Ein Nein, das wir mit dem Ausdruck benennen: "ich will nicht". Und zwar auch dann nicht, wenn das Vorhaben sozial gebilligt oder vernünftig ist.

Inzwischen habe ich erfahren, dass das sogar mit Libets neurophysiologischen Erkenntnissen korrespondiert. Der stellte nämlich fest, Handlungen haben sich unbewußt vorbereitet, bevor sie als Willen ins Bewußtsein dringen, allerdings gäbe es eine winzige Zeitspanne, in der die vorbereitete Handlung durch ein Veto abgebrochen werden kann. Das ist zwar kein philosophisches Argument, aber immerhin interessant.

Wer sagt, man müsse eine Moralphilosophie auf dem aufbauen, was wir wollen? Ebensogut möglich ist es imho, eine Moralphilosophie auf dem aufzubauen, was wir nicht wollen.

Ich behaupte, Menschen wollen im Allgemeinen (!) einander nicht umbringen. Im Allgemeinen heißt, im Besonderen ist das dennoch üblich. Nichts desto trotz gibt es offenbar in allen Kulturen (mir ist jedenfalls vom Gegenteil nichts bekannt) ein mehr oder minder eingeschränktes moralisches Tötungsverbot. Ein moralisches Verbot auf der Grundlage des ethischen Nein: und wenn noch so viele gute Gründe dafür sprechen, ich will nicht.

Den Grund möchte ich hier vorläufig auf Eis legen. Mir ist nämlich noch nicht einmal klar, ob es dafür überhaupt einen Grund gibt.

Ich möchte mich nun mit dem Eingraben weiblicher Neugeborener in vorislamischer Zeit befassen. Deswegen, weil durch das Auftreten Mohammeds ein Umdenken statt fand. Also ein Bruch in der Sichtweise.Vorher normal, nachher in hohem Maße verwerflich, Mord. Wie kömmt's?

Wobei ich anmerke, wenn Religionen solche ethischen Grundprinzipien (10 Gebote z.B.) als göttliches Gesetz ansahen, schließe ich daraus, die wussten auch nicht, warum man nicht töten soll. Also schoben sie es dem lieben Gott als Gesetzgeber zu, der, sonst könnte es ja Menschen eventuell nicht scheren, beim Jüngsten Gericht auch den zur Rechenschaft zieht, der das Gebot unbemerkt und also ungestraft gebrochen hat. Entbehrt nicht einer gewissen logischen Notwendigkeit. Denn wozu taugt ein absolutes Gebot, wenn die Einhaltung nicht sanktioniert wird?

Dass wir heute damit ein schwerwiegendes philosophisches Problem haben, weil wir uns nicht mehr mit Hinweis auf den lieben Gott um die Frage herummogeln können, dürfte klar sein.

Zurück zu Mohammed. Ich stelle zur Diskussion, der Perspektivwechsel könnte in der Aussage liegen, "wenn das Mädchen ... gefragt wird". Das Mädchen ist ein Neugeborenes. Das kann man fragen, so viel man will, das antwortet nicht. Nach paar Jahren allerdings sieht die Sache schon anders aus. Dann wäre es allerdings auch in vorislamischen Zeiten Mord gewesen, es umzubringen. Die Entwicklung, dass das Mädchen antworten kann, wird denkend vorweg genommen.

Und damit passiert etwas entscheidendes: aus dem bewußtlos zappelnden Gegenstand, für den man Verwendung haben kann oder auch nicht, wird ein Mensch. Und dieser Mensch löst, wenn es an seine Tötung geht, im Täter das ethische Nein aus. Hingegen: so lange dieses Wesen nicht als Mensch angesehen wird, ist die Tötung vielleicht nicht gerade eine lobenswerte moralische Handlung, aber immerhin nichts hoch Dramatisches.

Von hier aus springe ich in die Jetzt-Zeit.
Kurnaz wurde nach viereinhalb Jahren aus Guantanamo freigelassen. Nach Deutschland transportiert wurde er in einer gewaltigen Militärmaschine, angekettet auf dem Boden liegend und mit zugeklebtem Mund. Hannibal Lecter lässt grüßen. Gibt es irgend einen vernünftigen Grund, so mit einem Menschen umzugehen? Zu verstehen als nüchterne Frage; Empörung ist hier fehl am Platz. Anders gefragt: was hätte er denn anrichten können, wenn man ihn anders transportiert hätte? Das Polster des Sessels mit den Zähnen zerreißen, auf den Sitz pinkeln und aus Protest gegen seine Freilassung unausstehliche revolutionäre Lieder singen? Also warum?

Ich sehe nur eine Antwort: weil er nicht als Mensch angesehen wurde.

Gewisse Dinge macht man mit Menschen nicht. Meint man, man könne es doch tun, steht das ethische Veto dagegen auf.

Wir kennen die Begriffe Untermensch, Gegenmensch, Satansmensch, Barbar, Wilder. Neuerdings auch den islamisch-fundamentalistischen Terroristen. In all diesen Fällen hieß und heißt es, dass die an sich gar nicht in Frage gestellten Menschenrechte auf sie nicht anwendbar sind.

Vielleicht sind wir uns in Sachen moralischer Konsens gar nicht so sehr uneins. Vielleicht steckt die Uneinigkeit eher in der Frage, was ein Mensch ist, oder besser vielleicht, wann und warum ein Mensch nicht als Mensch angesehen wird.

Grüße

P.S.:
Der Fall von Köln deutet aus meiner Sicht auf eine Art Bewußtseinsstörung der armen Frau hin. Aber letztendlich kenne ich den Fall nicht und kann ihn deswegen auch nicht beurteilen.
Nach den bisherigen Ermittlungen geht die Staatsanwaltschaft davon derzeit nicht aus.

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von hel am 27. Aug. 2006, 17:10 Uhr
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Hallo Abrazo

on 08/27/06 um 15:52:17, Abrazo wrote:Haste denn schon genau hingeguckt, was der Fall ist, so dass Du sagen könntest, in der Ethik lässt sich kein Kriterium anhand der beobachtbaren Phänomene finden? Sonst wäre das ein bisschen voreilig.


Finde mir einen objektiven Sachverhalt, anhand dessen ich z.B. Hanspeter widerlegen könnte, wenn er sagt: Moralisch gut ist, was Hanspeter nützt, moralisch verwerflich, was ihm schadet und moralisch neutral, was sein Leben nicht verändert; wobei nur er Auskunft geben darf, was als nützlich und schädlich für Hanspeter gilt.

Das Problem bei einem moralischen oder ethischen Rahmensystem erinnert mich an das von Spielregeln. Zum Beispiel Schach. Man kann das Schachbrett nehmen und die Spielfiguren und andere Regeln für das Ziehen und Schlagen der Figuren aufstellen. Auch ein anderes Spielziel. ( Wie Freßschach z.B.) Aber die Behauptung, das eigentliche Schachspiel wäre falsch und meine neuen Regeln richtig ist irgendwie aus der Luft gegriffen und kann nicht begründet werden.


Quote:In dem Zusammenhang erinnere ich daran, dass Kant selbst seine Moralphilosophie als Provisorium ansah - und zwar, wie sollte es anders sein, im Zusammenhang mit seiner Aussage, wonach es ein Skandal der Philosophie sei, dass die Realität der Außenwelt noch nicht bewiesen ist.

Also: was ist der Fall?


Wenn man die Realität der Welt bestreitet, dann beraubt man auch die faktischen Aussagesätze ihrer Wahrheitswerte. Das endet dann in fruchtlosen nondualistischen Endlosschleifen.
Von mir aus kannst Du das Postulat objektiver Sachverhalte als das Rahmensystem sehen, innerhalb dessen die Wissenschaften ihren Konsens finden. Aber ein solches doch sehr universelles Rahmensystem sehe ich eben im Bereich der Ethik nicht.


Quote:Wer sagt, man müsse eine Moralphilosophie auf dem aufbauen, was wir wollen? Ebensogut möglich ist es imho, eine Moralphilosophie auf dem aufzubauen, was wir nicht wollen.


Natürlich, aber es bleibt ein Konstrukt, das sich weiter nicht rechtfertigen läßt.


Quote:Anders gefragt: was hätte er [ Kurzmaz ]denn anrichten können, wenn man ihn anders transportiert hätte? Das Polster des Sessels mit den Zähnen zerreißen, auf den Sitz pinkeln und aus Protest gegen seine Freilassung unausstehliche revolutionäre Lieder singen? Also warum?

Ich sehe nur eine Antwort: weil er nicht als Mensch angesehen wurde.

Gewisse Dinge macht man mit Menschen nicht. Meint man, man könne es doch tun, steht das ethische Veto dagegen auf.


Du übersiehst eine psychologische Komponente. Feindschaft.
Wenn ein Tier oder gar eine Umweltkatastrophe einen lieben Verwandten tötet, dann gibt es kein Objekt Deines Ärgers. Wird dies aber von einem Menschen absichtlich getan, verwandelt sich dieser (und vielleicht auch seine Freunde) in Deinen Feind. Und gerade, weil es ein Mensch ist, kann man ihn hassen und seinerseits quälen wollen.

Quote:Vielleicht sind wir uns in Sachen moralischer Konsens gar nicht so sehr uneins. Vielleicht steckt die Uneinigkeit eher in der Frage, was ein Mensch ist, oder besser vielleicht, wann und warum ein Mensch nicht als Mensch angesehen wird.



Naja, wie ist es mit Dingen wie:
Unterordnung der Frau unter den Willen des Mannes.
Unterordnung des Individuums unter die Gemeinde.
Vorehelicher Sex. Onanie. Homosexualität. Alkoholgenuß.
Ist Lügen an sich unmoralisch? Ist die Ehe heilig?
Religiöse Gebote generell.
etc...

Grüße
hel


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Aqvileia am 27. Aug. 2006, 17:23 Uhr
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Abrazo - Regeln erstellen und Regeln befolgen sind zwei Paar Schuhe!
Meinungen aus Erfahrungen für eine allgemeingültige Regel sollten nicht aus Glaubensvorstellungen oder usus von Indianerstämmen oder Kannibalen sein, sondern unser derzeitiges Verständnis auf Grund von Wissen und Erfahrung unter Einbeziehung möglicher zukünftiger Konsequenzen.

Auch wenn die Frau wie hel meint ein eingeschränktes Bewusstsein zu diesem Zeitpunkt besaß, was auch ich bezweifle, so ist das höchstens als mildernder Strafgrund zu werten, rüttelt aber nicht an der Tatsache, dass sie ihr Kind tötete. Die Umstände der Geburt sagen zwar möglicherweise etwas über das Sozialempfinden der Frau aus, aber nichts darüber ob sie geistig zurechnungsfähig warund auch nicht darüber ob es geistig Behinderten erlaubt ist Menschen zu töten.
Die Welt nach seinen Vorstellungen einzurichten hieße anderen seinen Willen aufzwängen, das bedarf keiner ethischen Regel


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 27. Aug. 2006, 17:23 Uhr
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Hallo hel,

freut mich, Dich hier wieder zu treffen. Gegenwärtig sind die Zustände hier bei PhilTalk so wie ich sie mir vorstelle: Leben und leben lassen. Jede Art zu philosophieren verfolgt Ihre eigene Fragestellung auf ihre Art und jeder hat die Möglichkeit, die verschiedenen Ansätze zu vergleichen. Es gibt keine ungebetenen Dauergäste, die mit der Fragestellung und der Art, sie anzugehen, nichts im Sinn haben, aber trotzdem – oder gerade deswegen - die Seiten umso mehr mit ihren Traktaten füllen. Also nutzen wir die gute Gelegenheit zur inhaltlichen Diskussion.

Ich glaube, mit Deinem schlüssig formulierten Beitrag hast Du Hanspeter und manch anderem aus der Seele gesprochen. Ich hatte die Frage gestellt: "Wie kann man moralische Fragen richtig beantworten?" Du bist der Ansicht, dass man auf moralische Urteile nicht die Kategorien "richtig" oder "falsch" (bzw. "wahr" oder "falsch") anwenden kann, denn es gibt bei einem moralischen Urteil keinen objektiven Sachverhalt, auf den sich das Urteil bezieht, so wie in den Naturwissenschaften.

Darin hast Du recht. Moralische Urteile besagen nicht, wie die Welt beschaffen ist, so wie beschreibende, deskriptive Aussagen. Beschreibende Sätze sind wahr, wenn es so ist, wie die Sätze besagen. Und wie die Welt beschaffen ist, können wir anhand unserer intersubjektiv übereinstimmenden Wahrnehmungen entscheiden. Wie Menschen handeln sollen, kann man jedoch nicht allein anhand von Wahrnehmungen und Logik entscheiden. Soweit stimme ich Dir zu und soweit bin ich logischer Empirist.

Andererseits beantworten moralische Urteile Fragen und insofern sind sie eine Form von Erkenntnis. Außerdem haben moralische Urteile eben Urteilscharakter und sind keine Poesie: Sie werden – ähnlich wie deskriptive Aussagen – behauptet, bestritten, gefolgert oder als widersprüchlich widerlegt. Man erhebt bei moralischen Behauptungen einen allgemeinen Geltungsanspruch (das Urteil zu bejahen, zu übernehmen und dem eigenen Denken und Handeln zu Grunde zu legen) ähnlich wie bei beschreibenden Behauptungen.

Die Frage ist, wie der Geltungsanspruch moralischer Urteile argumentativ für jeden Verständigen nachvollziehbar eingelöst werden kann. Dass das Kriterium der intersubjektiv übereinstimmenden Wahrnehmungen kein Kriterium für moralische Urteile sein kann, bedeutet ja noch nicht, dass es nicht ein anderes Kriterium geben kann, das eine intersubjektive Übereinstimmung und damit eine Begründung des allgemeinen Geltungsanspruchs moralischer Urteile ermöglicht.

Du könntest Dir eine wissenschaftliche Ethik oder Moralphilosophie höchstens nach Art der Formalwissenschaften Mathematik und Logik vorstellen. Dabei würde man von nicht weiter begründbaren normativen Axiomen ausgehen (Du nennst als Beispiel den Kategorischen Imperativ), aus denen dann logisch-deduktiv weitere Normen gefolgert werden.

Das Problem einer derartigen Ethik ist jedoch, dass es keine intersubjektive Übereinstimmung hinsichtlich dieser Axiome gibt. Dann kann es jedoch auch keine allgemein nachvollziehbare Begründung von Normen geben. Trotzdem bleibt es sinnvoll, die logischen Implikationen bestimmter ethischer Grundsätze, Prinzipien oder Kriterien zu entfalten und zu untersuchen, inwiefern diese mit den real praktizierten Normen oder den Folgerungen aus anderen Prinzipien übereinstimmen.

Was mit der Richtigkeit von moralischen Handlungsnormen gemeint ist, lässt sich durch den Satz bestimmen: Eine moralische Handlungsnorm ist richtig, wenn man so handeln soll, wie die Norm besagt. Die Frage, die sich angesichts dieser Lage für die Ethik stellt lautet: Welches allgemein akzeptable Kriterium der Richtigkeit gibt es in Bezug auf normative Urteile, das eine auf nachvollziehbaren Argumenten beruhende allgemeine Übereinstimmung ermöglicht (ähnlich wie es das Kriterium der Wahrnehmung in Bezug auf empirische Aussagen tut).

Ich mache hier mal einen Einschnitt, sonst wird der Diskussionsbeitrag zu einem Aufsatz.

Es grüßt alle an diesen Fragen Interessierten Eberhard.

p.s. Ich habe die inzwischen zu hel eingegangenen Beiträge noch nicht berücksichtigt.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 27. Aug. 2006, 18:22 Uhr
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Hi,

Hel schrieb:

Finde mir einen objektiven Sachverhalt, anhand dessen ich z.B. Hanspeter widerlegen könnte, wenn er sagt: Moralisch gut ist, was Hanspeter nützt, moralisch verwerflich, was ihm schadet und moralisch neutral, was sein Leben nicht verändert; wobei nur er Auskunft geben darf, was als nützlich und schädlich für Hanspeter gilt.

Mein Einwand: Sprachmissbrauch. Moral setzt soziale Gemeinschaft voraus, in der Menschen miteinander agieren. Robinson steht nicht vor der Frage, warum er einen Menschen nicht umbringen soll; alldieweil kein anderer Mensch da ist außer ihm.
Bezogen einzig auf das Individuum und das, was ihm nützlich oder schädlich ist, wäre es eine Frage der Moral, ob Robinson sich einen Fisch fängt und eine Palisade baut oder nicht. So gebrauchen wir das Wort Moral aber nicht. Das ist nicht damit gemeint.

Man kann das Schachbrett nehmen und die Spielfiguren und andere Regeln für das Ziehen und Schlagen der Figuren aufstellen.

Kann man. Dann kannste aber nur mit denen Schach spielen, die Deine Regeln übernehmen. Die anderen werden es ablehnen, das Spiel nach Deinen Regeln zu spielen.
Außerdem sollte man nicht übersehen, die Regeln des Schachspiels sind unsinnig ohne Schachspiel. Heißt, Regeln, nach denen Du ziehen und schlagen kannst, setzen, sobald Du den Bereich reiner Vorstellung verlassen willst (und das ist der Fall, wenn Du einen Mitspieler hast) die Existenz eines Schachbrettes und von Schachfiguren voraus.
Wobei Du Dir diese Figuren im Falle Schach selber basteln kannst. Im Falle Mensch nicht.

Natürlich, aber es bleibt ein Konstrukt, das sich weiter nicht rechtfertigen läßt.

Das ist eine Behauptung, die ich gern bewiesen hätte.
Wenn ich sage, es gibt Taten, die Menschen aus ethischen Gründen unabhängig von Zeit und Kultur rigoros ablehnen, so ist dies eine Tatsachenbehauptung. Inwiefern ist es ein Konstrukt, solche Tatsachen zur Basis einer zu entwickelnden allgemeinen Moral zu machen? Es sei denn, Du betrachtest z.B. auch die Naturwissenschaften als Konstrukte. Dann wird aber das Wort 'Konstrukt' entweder zum allgemeinen und damit nichtssagenden Begriff - oder wir sind wieder bei dem Außenweltproblem; darauf nochmals einzugehen ist mir aber die Situation hier in Philtalk noch zu labil.

Du übersiehst eine psychologische Komponente. Feindschaft.

Tatsächlich? Ist das nicht ein altbekanntes Phänomen, Ursache zunächst zur Einführung einer neutralen Rechtssprechung und später der Übergabe des Gewaltmonopols an den Staat? Oder meinst Du, Lynchjustiz sei zwar für Individuen nicht angebracht, Staaten hingegen dürften sie ohne weiteres ausüben? Mal abgesehen von der Frage: welche psychologisch bedingte Feindschaft soll denn zwischen Kurnaz und seinen Bewachern geherrscht haben? Wen aus der Verwandtschaft seiner Bewacher hat Kurnaz denn umgebracht?

Unterordnung der Frau unter den Willen des Mannes.
Unterordnung des Individuums unter die Gemeinde.
Vorehelicher Sex. Onanie. Homosexualität. Alkoholgenuß.
Ist Lügen an sich unmoralisch? Ist die Ehe heilig?
Religiöse Gebote generell.

Nehmen wir die Frage nach der Lüge heraus. Haben die zu einer Gesellschaft gehörenden Menschen nicht das Recht, sich nach genau diesen Maßstäben zu organisieren? In ganz Südostasien, China eingeschlossen, ist es selbstverständlich, dass sich das Individuum unter die Gemeinschaft unterzuordnen hat. Mit welchem Recht willst Du ihnen andere Maßstäbe aufzwingen? Du hast das Recht nicht. Genau so wenig, wie sie das Recht haben, uns ihre Maßstäbe aufzuzwingen.

Du kannst mit ihnen diskutieren, inwieweit ihre Maßstäbe der humanen Ethik entsprechen. Wobei Du selbstverständlich damit rechnen musst, dass sie die gleiche Frage an Dich und Deine Maßstäbe richten. Wenn etwas auf den Prüfstand kommt, dann alles, keine individuell bevorzugte Auswahl. Doch ein solcher Prüfstand setzt eine tatsächliche Basis voraus - siehe oben. Die erst einmal geschaffen werden muss. Erst ne Näs, und dann ne Brill, wie mein alter Vater stets sagte.

Aqvileia schrieb:

Meinungen aus Erfahrungen für eine allgemeingültige Regel sollten nicht aus Glaubensvorstellungen oder usus von Indianerstämmen oder Kannibalen sein, sondern unser derzeitiges Verständnis auf Grund von Wissen und Erfahrung unter Einbeziehung möglicher zukünftiger Konsequenzen.


Bin ich gegen, weil damit der Gültigkeitsanspruch aufgehoben wird. Nehmen wir zur Kenntnis, unsere Regeln sind anderen Kulturen ein Greuel. Mindestens so, wie ihre uns. Hierüber ist ein Diskurs nicht möglich.
Ein Diskurs ist nur möglich auf der Basis, was alle gleichermaßen gut heißen oder - das halte ich für wahrscheinlicher - verabscheuen.
Wenn eine Moral zu dem im Widerspruch steht, dann kann man sagen, muss wohl was falsch sein. Vorher nicht.

Grüße

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Hanspeter am 27. Aug. 2006, 21:59 Uhr
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Eberhard schreibt:

"Wenn jemand für sich andere moralische Regeln gelten lässt als für andere und sich z.B. von der Befolgung bestimmter Regeln ausnimmt mit der Begründung "weil ich es bin", dann verstößt er damit gegen die Eigenschaft der "Universalisierbarkeit" (englisch universalizability), die nach Auffassung der meisten Autoren moralischen Urteilen zukommt."

Was heißt hier "Universalisierbarkeit". Wenn damit gemeint ist, dass moralische Regeln universell gelten sollen, dann ist das falsch, weil es keine universell gültige Moral gibt.
Wenn damit gemeint ist, dass die Regel innerhalb einer bestimmten Moral gelten soll, dann erlaube ich mir die Feststellung, dass diese Moral eben für mich nicht gilt.

Kurz, entweder es gibt eine universell gültige Moral oder es gilt die Beliebigkeit der Moralen. Ersteres ist de facto nicht gegeben, also kann ich mir den Luxus erlauben, meine eigene Moral zurechtzuzimmern und danach zu handeln. Wenn ich dann in Konflikt mit anderen Moralen (zB der Staatsmoral)komme, ist mein Scharfsinn gefordert, für mich das Beste herauszuholen.

Gruß HP

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 27. Aug. 2006, 22:18 Uhr
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Öhm ...

Wenn damit gemeint ist, dass moralische Regeln universell gelten sollen, dann ist das falsch, weil es keine universell gültige Moral gibt.

Und Du meinst nicht, Mensch könne eine solche - selbstverständlich nur rudimentäre, denn Kulturen sind verschieden, und das ist auch gut so - Moral schaffen?

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Hanspeter am 27. Aug. 2006, 22:30 Uhr
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Natürlich könnte Mensch es schaffen. Am ehesten die Variante Amerikaner. US-Mensch legt seine Moral als "Alleinseligmachend" fest und rottet alle anderen Moralen aus. Ähnliche Versuche hat es bereits früher gegeben, aber sie scheiterten. Die Päpste hatten eben niemals so tolle Waffen wie G.W.Bush.

Nur wer die Macht hat, kann seine Moral durchsetzen und sie universalisieren.

Gruß HP

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 27. Aug. 2006, 23:15 Uhr
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Erleben wir nicht gerade das Gegenteil?

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Hanspeter am 28. Aug. 2006, 08:11 Uhr
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Auf was spielst du hier an?

Erfreulicherweise haben die USA eben nicht die Macht, ihre Moral durchzusetzen. Atombomben und bunkerbrechende Bomben taugen nur bedingt gegen eine ausgefeilte Guerilla-Taktik. Aber mögen täten sie schon wollen. ;-)

Gruß HP

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 28. Aug. 2006, 08:46 Uhr
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Hallo Hanspeter,

zur Erläuterung des Begriffs "Universalisierbarkeit", demzufolge. moralische Normen unzulässig sind, die unter Nennung bestimmter Personen bzw. Personengruppen formuliert werden.

Bei Sidgwick, einem Utlitaristen des 19. Jahrhunderts, findet sich folgende Formulierung für dieses Prinzip:
"Wenn eine bestimmte Verhaltensweise, die bei mir richtig .. ist, bei jemand anderem nicht richtig .. ist, so darf der Grund hierfür nicht allein darin liegen, dass er und ich zwei verschiedene Personen sind, sondern es muss einen anderen Unterschied zwischen beiden Fällen geben." (in: Methods of Ethics, S.379., eigene Übersetzung.)

Bei zahlreichen Autoren werden Prinzipien formuliert, die diesem Prinzip entsprechen oder es beinhalten. Die Frage ist, ob und wie sich ein derartiges Prinzip, das im Folgenden "Prinzip der Personunabhängigkeit" genannt werden soll, begründen lässt. Sidgwick selbst hält das Prinzip der Personunabhängigkeit für evident. Er zählt es zu den "absoluten praktischen Prinzipien, deren Wahrheit manifest ist, wenn man sie explizit formuliert." (S. 379.) (Näheres unter www.ethik-werkstatt.de/Universalisierbarkeit.htm )

Im Recht entspricht dies Prinzip dem Präjudiz.

Dies von Eberhard.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 28. Aug. 2006, 09:53 Uhr
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Hi, Hanspeter,

Wer weiter blickt, ist im Vorteil.

Begründung:

Du: ...entweder es gibt eine universell gültige Moral oder es gilt die Beliebigkeit der Moralen.
Allgemeingültig sind die Naturgesetze und das, was uns allen angeboren ist. Denn alles, was eine Person gemacht hat, das wird sie schon nach ihren persönlichen Interessen gestaltet haben, zumindest werden andere das befürchten.

Eine von den Genen diktierte Moral wäre aber keine, sondern Selbstverwirklichung. Dazu gehören Ängste und Vorlieben, besipielsweise unser Geschmack und Schönheitssinn und unser Gefühl bei der Simulation verschiedener Verhaltensweisen.

Du: ...also kann ich mir den Luxus erlauben, meine eigene Moral zurechtzuzimmern und danach zu handeln. Wenn ich dann in Konflikt mit anderen Moralen (zB der Staatsmoral)komme, ist mein Scharfsinn gefordert, für mich das Beste herauszuholen.
Das gilt für Dich und andere Mündige, die also selber denken können. Es darf nicht gelten für Unmündige, denen müssen die Eltern sagen, was gut und böse ist, oder eben der Priester.

Betrachten wir aber zwei Personen: "Herr Bauer" und "Frau Königin". Beide bewegen sich eigenständig auf dem Schachbrett des Lebens.
"Herr Bauer" hat einen Denkhorizont, der reicht genau ein Feld weit, und er kennt vor jedem Zug nur vier Alternativen - nichtstun, vor, schräglinks oder schrägrechts schlagen.

Frau Königin kann weiter ziehen - und auch weiter denken und strategisch denken.

Folgerung: Herr Bauer muß die Chancen nehmen, wie sie kommen. Aufgrund seiner Kurzsichtigkeit kann er nicht investieren in seine Zukunft.
Frau Königin dagegen kann eine Gelegenheit, die dem Bauern lohnend erscheinen würde, durchaus vorbeigehen lassen und in Miteinander investieren mit der Absicht, später einen Return einzufahren, der weit größer ist als der des Bauern.

Fazit: Wer weiter blickt, ist im Vorteil.

Oder: Egoismus? Ja gern, aber bitte mit Weitblick!

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 28. Aug. 2006, 10:23 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo hel,

ich will fortfahren, auf die grundlegenden Einwände von hel zu antworten.

Ich denke, der Einwand des "Kategorienfehlers" gegen die Verwendung der Wörter "richtig / falsch" für die Antworten auf moralische Fragen ist ausgeräumt, denn wie bereits gezeigt, sind moralische Urteile mit einem Anspruch auf Geltung verbunden.

Wie lässt sich dieser allgemeine Geltungsanspruch durch intersubjektiv nachvollziehbare und übernehmbare, also einsichtige Argumente begründen?

Gemeinsame Normen sind - einmal abgesehen von Koordinierungsproblemen - dort nötig, wo es Konflikte zwischen Menschen gibt, weil der eine das tut, was der andere nicht will. Insofern es sich um Willenskonflikte handelt, lässt sich das Problem durch die Frage ausdrücken: Wie lässt sich durch Argumente ein allen gemeinsamer Wille, ein Konsens über das, was gewollt wird und damit sein soll, bilden?

Wer das Ziel, durch Argumente einen Konsens zu erzielen, nicht akzeptiert, der kann für die von ihm vertretenen Normen zwar Gehorsam fordern und möglicherweise auch erzwingen, er kann jedoch nicht beanspruchen, in Bezug auf diese Normen in irgendeiner Weise "Recht" zu haben oder die "Wahrheit" zu vertreten. Der Anspruch auf "Richtigkeit" unterscheidet sich vom bloßen Anspruch auf Glauben oder Gehorsam gerade dadurch, dass dieser Anspruch einsichtig begründet werden kann. Auf diese Möglichkeit hat er jedoch mit seiner Haltung verzichtet. Er scheidet damit aus der Diskussion aus.

Wenn jeder auf seinen individuellen Willensinhalten beharrt, so ist offensichtlich kein allgemeiner Wille herstellbar. Beharrt jemand trotzdem auf seinen individuellen Willensinhalten, so gibt er damit das Ziel allgemein akzeptabler Normen auf und scheidet damit ebenfalls aus der Diskussion aus.

In der Diskussion zur Formulierung eines allgemeinen Willens kann von jedem Diskussionsteilnehmer verlangt werden, dass er nur solche Normen vorschlägt, die allgemein akzeptabel sind. Wenn jemand also eine Norm als "richtig" behauptet, so muss er annehmen, dass die andern Beteiligten dieser Norm ebenfalls zustimmen können.

Deshalb muss er sich auch die Frage stellen lassen, ob er selber dieser Norm auch dann noch zustimmen würde, wenn er in der Position eines der anderen Beteiligten wäre.

Dazu ein Beispiel: Wenn jemand die Forschung an menschlichen Stammzellen verurteilt, so muss er zu diesem Verbot auch dann noch stehen, wenn er selber z. B. die Alzheimersche Krankheit bekäme. Ist er damit nicht einverstanden, so gibt er damit implizit das Ziel auf, nach allgemein konsensfähigen Normen zu suchen.

Das bedeutet, dass man sich bei der Beantwortung moralischer Fragen auch in die Lage der anderen Beteiligten versetzen muss und von diesem allgemeinen Standpunkt aus urteilen muss.

Das heißt jedoch nicht, dass man dabei auch die bestehenden moralischen Überzeugungen der andern mit übernehmen soll. Es geht ja gerade darum, diese miteinander unvereinbaren moralischen Überzeugungen zu überprüfen. Folglich können sie nicht unkritisiert in die Überlegungen eingehen.

So weit erstmal eine grobe Skizze, wie man moralische Fragen "richtig" beantworten kann. Wenn man diesen Gedankengang in eine Formel bringen wollte so könnte man sagen:

"Wir sollen das tun, was wir alle gemeinsam dauerhaft wollen."

Oder als methodisches Prinzip formuliert:

"Suche nach Normen, von denen alle gemeinsam am ehesten dauerhaft wollen können, dass sie von allen befolgt werden"

Nun noch zu einem weit verbreiteten Missverständnis. Wenn ich sage, dass die Antwort auf eine moralische Frage dann richtig ist, wenn sich über sie allein durch Argumente ein dauerhafter Konsens herstellen lässt, so heißt das nicht, dass diejenige Antwort richtig ist, die alle gegenwärtig tatsächlich für richtig halten. Die Richtigkeit einer Antwort entscheidet sich nicht durch Abstimmungen. Deshalb lautet die Formulierung auch: "Richtig ist, worüber sich ein allgemeiner (d.h. intersubjektiver und intertemporaler) Konsens herstellen lässt" und nicht "Richtig ist, worüber ein allgemeiner Konsens gegenwärtig besteht."

Zu dem Einwand, dass bei Einbeziehung unterschiedlicher Kulturkreise ein Konsens unmöglich sei (heilige Kühe, Tötung Neugeborener etc.).

Ein Großteil der Uneinigkeit in moralischen Fragen beruht auf unterschiedlichen deskriptiven Weltbildern. Wenn ich annehme, dass in dem Frosch vor mir die wiedergeborene Seele eines Menschen steckt, dann werde ich in Bezug auf seine Behandlung andere Normen aufstellen als wenn ich nicht an diese Art der Wiedergeburt glaube.

Für die Diskussion um die richtige Beantwortung moralischer Fragen heißt dies, dass nur solche deskriptiven Aussagen zählen können, über die ein intersubjektiver Konsens durch nachvollziehbare Argumente und übereinstimmende Beobachtungen herstellbar ist.

Wer diese Versuche, zu vernünftig begründeten moralischen Normen zu gelangen, abtut, der muss sich darüber im Klaren sein, dass die Alternative zur vernünftigen Einigung der Konflikt und damit der Kampf und letztlich der Krieg ist,

meint Eberhard.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von doc_rudi am 28. Aug. 2006, 11:14 Uhr
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Hallo Diskussionsgemeinde,
Eberhard: "Wer diese Versuche, zu vernünftig begründeten moralischen Normen zu gelangen, abtut, der muss sich darüber im Klaren sein, dass die Alternative zur vernünftigen Einigung der Konflikt und damit der Kampf und letztlich der Krieg ist"

Dem könnte ich beipflichten und ergänzen: hier wird auf eine globale Einigung über moralisches Verhalten zur Voraussetzung von Kriegsvermeidung verwiesen, die tatsächlich naturgesetzlich gar nicht zu erzielen ist.
So lange verschiedene Staaten, Glaubensgemeinschaften oder Kulturkreise (also Systeme höherer Ordnung) von ihren Bürgern (Mitgliedern) jeweils eigene Glaubensinhalte verlangen (z.B. Frosch als Wiedergeburt), was eine praktische Intoleranz anderen Glaubensinhalten gegenüber darstellt, wird mit Krieg zu rechnen sein.
Zum Glück werden sich derartige Systeme höherer Ordnung weiter auflösen, weil die Individuen mehr und mehr ihre Eigeninteressen verfolgen. In den wirtschaftlich entwickelten Staaten kann man dies seit langem deutlich beobachten. Leider werden mancherorts moralische Normen jedoch immer noch nicht vernünftig, sondern religiös begründet und in unserem Kulturkreis scheinen leider derzeit wieder religiöse Begründungen überhand zu nehmen.
Global besteht eben noch nicht die Übereinkunft, die Vernunft als Maßstab anzuerkennen und den Einfluss des Glaubens weiter zu minimieren. Die einzige Einigkeit auf Vernunftsebene scheint seit der Cubakrise immer noch die zu sein, einen nuklearen Krieg vermeiden zu wollen.
Ein bisschen wenig an Konsens, meint rudi, aber zu mehr sind Systeme höherer Ordnung nicht fähig. Er beruht auch nicht auf Vernunft, sondern ist Ergebnis des Selbsterhaltungsinteresses.

Gruß
rudi



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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Hanspeter am 28. Aug. 2006, 16:39 Uhr
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@Eberhard,

das "Prinzip der Personenunabhängigkeit", wie es offenbar diverse Moralphilosophen formulieren, ist nichts anderes als ein verkappter Universalitätsanspruch. Dahinter steht der Glaube an die Gleichheit aller Menschen und die Gleichheit aller Kulturen.
Mag sein, dass es Menschen gibt, die das für wünschenswert halten, die Realität ist aber anders.

Ansonsten stimme ich Rudi zu: Die Durchsetzung einer einheitlichen Moral bedeut Krieg und Moral wird in der Tat meist nicht vernünftig, sondern religiös begründet. Und das ist eben der Grund, weshalb es keine einheitliche Moral gibt. Auf eine einheitliche Vernunft können sich die Vernünftigen einigen, eine Einigung auf eine einheitliche Religion ist auch unter den Religiösen nicht möglich.

Das beste, was du mit deinem Unterfangen also erreichen kannst, ist es, eine Moral für Vernünftige zu entwickeln, die aber möglicherweise einen nur sehr kleinen Geltungsbereich haben könnte.

@Wolfgang

Deine strenge Unterteilung in Mündige und Unmündige entspricht nicht der Realität. Ich könnte mir vorstellen, dass auch du einmal unmündig warst und dir Eltern oder "Priester" gesagt haben, wo es ihrer Ansicht nach lang gehen soll. Und wie mündig dann schlussendlich der "mündige Bürger" ist, sei dahingestellt.

Weder die Dame noch der Bauer denken strategisch, genausowenig wie Keule oder Kalaschnikov strategisch denken können.

Gruß HP



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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 28. Aug. 2006, 17:09 Uhr
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Hi, Hanspeter,

eigenartige Einwände. Ich entnehme ihnen, daß Du keine wichtigeren hattest.

Du Deine strenge Unterteilung in Mündige und Unmündige entspricht nicht der Realität.
Natürlich ist "Unmündigkeit" keine Eigenschaft wie die angeborene Haarfarbe. Sondern bezieht sich auf einen bestimmtes Kompetenzgebiet.
Muß das erörtert werden, ist das nicht selbstverständlich?

Du: Weder die Dame noch der Bauer denken strategisch,
Klar, Holz und Holzfiguren denken gar nicht.
Auch das steht wohl außer Frage.
Sie dienten als Beispiel für Personen mit unterschiedlich großem Denkhorizont und unterschiedlichen Denkfähigkeiten.

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von doc_rudi am 28. Aug. 2006, 21:35 Uhr
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ist nicht Mündigkeit ein Begriff, den Kant gern benutzte und der in der sogenannten "Aufklärung" für den verwendet wurde, der seinen Verstand benutzt?
Weit denken nutzt natürlich nichts ohne die entsprechenden Handlungsmöglichkeiten.
Der Einzeller hat übrigens (ohne Hirn und ohne denken) in bestimmten Katastrophenfällen weitaus bessere Überlebenschancen als der weit denkende Mensch. [cry]
(nicht nur) Deshalb unterscheide ich Selbsterhaltung (da ist der Mensch schlecht ausgestattet) und Selbstentfaltung (da macht keiner dem Menschen etwas vor). [cheesy]
Gruß
rudi


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 28. Aug. 2006, 23:08 Uhr
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Hi Eberhard,

hast Du einbezogen, dass die Normfrage verbunden ist mit der Wertfrage?

Wenn in ostasiatischen Gesellschaften die soziale Gemeinschaft einen höheren Wert hat als das Individuum: wie willst Du dann eine das Individuum in unserem Verständnis schützende Norm vernünftig begründen? Was uns als Wert erscheint, kann anderen als Unwert erscheinen.

Die Vernunft kalkuliert mit Daten. Sofern Daten unvernünftig kalkuliert werden, wirst Du Zustimmung finden. Wie aber sieht die Sache aus, wenn mit anderen Daten kalkuliert wird?

Bis jetzt kannst Du mich nicht davon überzeugen, dass es einen anderen Weg gibt als den, das fest zu machen, was Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen gleichermaßen verabscheuen und auf dieser Basis ein allgemeines Normensystem zu entwickeln, das dennoch kulturell unterschiedliche Bewertungen ausklammert, indem es entsprechende Fragen erkennt und das Recht zugesteht, diese Fragen nach eigenem Gusto zu beantworten, auch wenn die Antwort anderen Moralen widerspricht.

Gruß

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 29. Aug. 2006, 09:45 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo Hanspeter,

ich habe den Eindruck, Du missverstehst das Prinzip der Universalisierbarkeit bzw. das Prinzip der Verallgemeinerbarkeit, wie es auch genannt wird.

Es bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass nicht mit zweierlei Maß gemessen werden darf. Dies ist ein elementarer Bestandteil jeder Konzeption von Gerechtigkeit.

Wenn man einen Fall 1 moralisch beurteilt und kommt zu einem bestimmten Ergebnis, und man hat einen Fall 2, der sich empirisch in nichts vom Fall 1 unterscheidet außer in den Namen der Akteure, dann muss ich Fall 2 genauso beurteilen wie Fall 1. Der Grund hierfür liegt meines Erachtens darin, dass für denjenigen, der für die eine Handlung verurteilt wird, die beim andern gebilligt wird, eine derartige Diskriminierung nicht konsensfähig ist. Moralische Positionen, die in dieser Weise parteiisch sind und das Prinzip der Personunabhängigkeit verletzen, können nicht allgemein akzeptabel sein und können deshalb nicht richtig sein.

Für Dich ist dies Prinzip "nichts anderes als ein verkappter Universalitätsanspruch. Dahinter steht der Glaube an die Gleichheit aller Menschen und die Gleichheit aller Kulturen.
Mag sein, dass es Menschen gibt, die das für wünschenswert halten, die Realität ist aber anders."

Wenn ich Dich richtig verstehe, denkst Du dabei an Sprüche wie: "Wenn zwei dasselbe tun, ist es nicht dasselbe" bzw. "Quod licet Iovi non licet bovi" ("Was Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen noch lange nicht erlaubt").

Der erste Spruch ist paradox formuliert: Wenn B dasselbe tut wie A, dann tut B nicht dasselbe wie A. Wie soll dieser Widerspruch aufgelöst werden?

Wenn damit gesagt werden soll, dass zwei Handlungen von zwei verschiedenen Personen niemals vollkommen und in jeder Hinsicht gleich sind, so ist das ohne weiteres zugestanden: Gut, Person A hat eine Plombe mehr in seinen Zähnen als Person B. Aber soll nun aus dieser Ungleichheit der beiden Akteure gefolgert werden, dass eine bestimmte Handlung h in einer bestimmten Situation s zu billigen ist, wenn sie durch A vollzogen wird, aber zu verurteilen ist, wenn sie von B vollzogen wird?

Es muss sich doch um Unterschiede handeln, die für eine moralische Beurteilung relevant sind. Diese moralisch relevanten Aspekte müssen jedoch in der Beschreibung des Falles und in der Begründung dafür, warum das Handeln von A zu billigen ist, genannt werden.

Wenn auf die Handlung von B genau die Beschreibung zutrifft, die für die Handlung von A gegeben wird, dann gleichen sich Fall 1 und Fall 2 in ihren moralisch relevanten Aspekten und müssen deshalb moralisch gleich bewertet werden.

Wenn aber der bloße Identitätsunterschied zwischen A und B ein moralisch relevanter Aspekt sein soll, dann ist diese Position für die diskriminierte Person B nicht akzeptabel. Damit lässt sich der allgemeine Geltungsanspruch für eine derartige moralische Position nicht aufrechterhalten.

Dieser Gedankengang entspringt sicherlich der europäischen Denktradition, er ist m. E. aber auch in anderen Kulturen anwendbar. Die moderne Naturwissenschaft und die moderne Maschinentechnik sind ebenfalls aus der europäischen Denktradition entstanden, sind jedoch auch in anderen Kulturen anwendbar. Diese nicht kulturspezifisch begründete Art von Erkenntnis und Wissen, die am Kriterium der Intersubjektiven Nachvollziehbarkeit orientiert ist, macht gerade deren besondere Leistungsfähigkeit aus,

meint Eberhard.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 29. Aug. 2006, 10:34 Uhr
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Hi,

kleiner Einwurf:
was Du hier ansprichst, Eberhard,

Wenn aber der bloße Identitätsunterschied zwischen A und B ein moralisch relevanter Aspekt sein soll, dann ist diese Position für die diskriminierte Person B nicht akzeptabel. Damit lässt sich der allgemeine Geltungsanspruch für eine derartige moralische Position nicht aufrechterhalten.

Dieser Gedankengang entspringt sicherlich der europäischen Denktradition, er ist m. E. aber auch in anderen Kulturen anwendbar.

ist das Verlangen nach Rechtssicherheit (kein glücklicher Begriff, aber ich hoffe, Du verstehst einigermaßen, was ich damit meine). Das hat imho überhaupt nichts mit unterschiedlichen Kulturen zu tun, auch nichts mit Geltungsansprüchen von moralischen Positionen, vielmehr nehme ich (selbstverständlich nach einigermaßen sorgfältiger Beobachtung mit anschließendem Überdenken) an, dass die Forderung nach Rechtssicherheit dem Bereich der humanen Ethik zuzuordnen ist. Heißt, Un-recht im von Dir genannten neutralen Sinne zieht, trotz aller vernünftigen Argumente, das ethische Nein nach sich.

Noch ein (vorläufiges) Ergebnis meines Nachdenkens über Ethik, das gerade mit der Verletzung der Rechtssicherheit in Verbindung steht: offenbar ist, entgegen christlicher Glaubenstradition, das Humanum keineswegs aggressions- und gewaltlos. Auch nicht in unserem Kulturraum (man denke an Aufstände und Revolutionen). Heißt, werden ethische Prinzipien verletzt, reagieren die Opfer mit Gewalt, bis hin zu blindwütigem Umsichschlagen. Sollte man imho beim Bemühen, moralische Normen irgendwie festzuklopfen, unbedingt berücksichtigen. Man kann die Wirklichkeit nicht straflos vergewaltigen.

Insofern scheint mir der islamische Dschihad - jetzt mal ganz abgesehen von diversen Bemühungen, selbigen auszurufen - durchaus auf einen hier aus Glaubensgründen vernachlässigten Aspekt hinzuweisen.

Gruß



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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Hanspeter am 29. Aug. 2006, 16:25 Uhr
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Hallo Eberhard,

du schreibst über die Universalisierbarkeit: "Es bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass nicht mit zweierlei Maß gemessen werden darf. Dies ist ein elementarer Bestandteil jeder Konzeption von Gerechtigkeit."

Dem stimme ich zu, vorausgesetzt handelt sich um eine Gesellschaft mit eine einheitlichen Moral. Doch wenn verschiedene Kulturen (sprich Moralen) aufeinandertreffen, dann gibt es keine Universalisierbarkeit.

Beispiele: Selbst in unserer Gesellschaft gelten zB für die katholische Kirche Sonderrechte, weil ihre Kultur in einigen Dingen nicht mit der unseres Staates kompatibel ist. Wenn sich ein kirchlicher Angestellter scheiden lässt kann er entlassen werden. Die Kirche hat das Recht, katholische Bewerber für eine Arbeitsstelle zu bevorzugen, sie darf also religiös diskriminieren usw.

Wenn du also nicht mit zweierlei Maß misst, dann heißt das, dass du deine Moralvorstellungen jenen aufoktroyieren musst, die deine Moralvorstellungen nicht akzeptieren.


Gruß HP

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 29. Aug. 2006, 16:55 Uhr
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Hallo Hanspeter,

ich bin mir nicht sicher, ob Dein Beispiel mit den Sonderrechten für die katholische Kirche stimmt. Wenn ich mich nicht irre, gibt es bestimmte Sonderbestimmungen für alle so genannten "Tendenzbetriebe", wozu nicht nur weltanschauliche und religiöse Organisationen zählen, sondern z. B. auch Gewerkschaften und Parteien.

Eine Besonderheit stellen allerdings die Verträge zwischen der katholischen Kirche bzw. dem Vatikan und der Bundesrepublik Deutschland dar, die es in dieser Form mit anderen Organisationen meines Wissens nicht gibt.

Hallo allerseits,

die Kritik, die bisher gegen meine Vorschläge zur Beantwortung moralischer Fragen vorgebracht wurde, hat mich nicht sonderlich beeindruckt, weil sie recht pauschal daherkam. Ich habe meine Konzeption ja als einen logischen Begründungszusammenhang aufgebaut. Eine wirksame Kritik müsste deshalb an meinen Prämissen und Schlussfolgerungen ansetzen, d.h. sie müsste näher am Text bleiben.

Grüße von Eberhard.

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von doc_rudi am 29. Aug. 2006, 17:56 Uhr
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ja da könnten wir doch zur grundsätzlichen Kritik kommen, die ich schon in anderen threads zur Moral/Ethik angeführt habe, nämlich Moral und Ethik in den Mülleimer zu schmeißen und sich nur auf Handlungen zu konzentrieren und Handlungsregeln aufzustellen.

Zum Beispiel: Verzicht auf Anwendung körperlicher Gewalt bei der Durchsetzung persönlicher Interessen.
Das muss doch gar nicht moralisch bewertet werden.

Handlungen, die das Individuum aus Rücksichtnahme auf die Gemeinschaft lassen soll, brauchen doch nur definiert werden und zuwiderhandeln bestraft werden.
Das heißt, die Zuwiderhandlungen werden lediglich als Handlungen definiert, die Motivation der Personen, deren Gründe fürs Zuwiderhandeln usw. wird nicht bewertet. Es werden nur Handlungen sanktioniert, egal welche Persönlichkeit die Handlung begeht.
Keine Personenbewertung, sondern lediglich eine Bewertung der Handlung.
Das reicht doch völlig.
Beispiel: ein Mann bringt seine Frau um. Das wird bestraft, weil das Umbringen eines Menschen verboten ist.
Ob der Täter nun meint, sie hätte nicht des Recht gehabt, Sex mit nem anderen zu treiben oder meint, aus religiösen Gründen, weil sie von einem anderen vergewaltigt wurde, müsse er sie umbringen, oder weil sie ihn geärgert oder genervt hatte usw.
egal. Sein Verhalten wird nicht moralisch bewertet, also braucht er sich auch keine Entschuldigungen für sein Handeln auszudenken. Ihm werden auch keine Vorwürfe gemacht. Er muss einfach 15 Jahre in den Knast (sogenanntes lebenslänglich). Das war ihm vorher bekannt und nun wirds auch so gemacht.
Wozu noch Ethik mit Vorwürfen und Rechtfertigungen?
Allgemein oder universal benötigen wir nur Handlungsregeln ohne ethische Bewertung.
Die Bestrafung könnte sich einfach nach Höhe des Schadens richten. Wer was für 10 Euro klaut wird entsprechend weniger bestraft als der, der einen Betrugsschaden von 2 Millionen Euro anrichtet.

Gruß
rudi








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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von magrabs am 29. Aug. 2006, 20:15 Uhr
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Hi
moral dient der reduzierung der inneren reibung einer gemeinschaft.
befolgen alle mitglieder die gerade angesagte moral, ist diese gemeinschaft leistungsfähig und kann sich gegen die natur durchsetzen oder erfolgreich andere gemeinschaften verdrängen.
die form der moral hängt an den werten, wobei es hier natürlch eine wechselwirkung gibt.
sie hängt davon ab wie hoch wir besitz , tot, schmerz, ruhm usw bewerten.
die germanen kommen an odins tafel wenn sie im kampfe fallen.
Degenhardt:
blut'ge löcher in den köpfen zeigte man den knaben gern, doch von jenem loch der löcher hielt man sie mit hieben fern.
immer wie man's braucht.
moral gilt meistens nur für mitglieder der gemeinschaft untereinander, nach aussen zeigen sich moralische gemeinschaften oft anders.
Beispiel: christentum und kreuzzüge..busch und todesstrafe...

Grüße
Manfred

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Hanspeter am 29. Aug. 2006, 21:59 Uhr
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Hallo Rudi,

du machst es dir schon ein bisschen einfach. Du schaffst die Moral ab und willst an ihrer Stelle Handlungsregeln.
Aber genau das macht auch die Moral, die du als Handlungsregeln deklarierst.
Durch Änderung der Begriffe löst sich das Problem nicht.

Klar, wenn hier in der BRD jemand (s)eine Frau aus religiösen oder rituellen Gründen umbringt, gehört er in den Knast. Weil jemand, der aus einem anderen Kulturkreis hierher kommt, auch das hier übliche Recht akzeptieren muss. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sich der Täter möglicherweise für unschuldig hält, weil er argumentiert, in seinem Land wäre er dafür nicht betraft worden.

Gruß HP



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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von doc_rudi am 29. Aug. 2006, 22:21 Uhr
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richtig Hanspeter,
mein Vorschlag stellt eine Vereinfachung dar.
Warum soll ich durch Verwendung überflüssiger Begriffe etwas verkomplizieren?
Ich würde die Frage hier auch ganz anders stellen:
warum soll man den Begriff Moral verwenden?
Für den Zweck, ein friedliches Zusammenleben der Individuen zu ermöglichen, ist er nutzlos, ja kontraproduktiv. Er schafft Probleme und löst keins.

Aus der Evolution lerne ich folgendes: ich selektiere. Überflüssige Begriffe sondere ich aus. Ich muss mich doch nicht mit dem rumplagen, wofür bisher keine Lösung gefunden wurde.
Auch unser Hirn ist so konstruiert: je höher man kommt, desto einfacher wird es, die unteren Etagen selektieren und lassen nur das ins Großhirn, was wichtig ist. Zum Glück
:-)
Gruß
rudi


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 29. Aug. 2006, 23:28 Uhr
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Hi Eberhard,

was soll ich denn noch sagen?
Du bestehst darauf, die Basis einer vernünftigen Moral entwickeln zu wollen.
Ich sage, das geht so nicht, wenn Du eine vernünftige Moral entwickeln willst, brauchst Du eine andere Basis, Tatsachenl.
Tatsachen sind die ethischen Entscheidungen von Menschen, unabhängig von Kulturen und Religionen.
Mit denen muss man sich zunächst befassen, daraus Prinzipien zu gewinnen trachten, dann erst kann man sich an eine vernünftige Entwicklung machen.
Soll ich das immer wiederholen?

Also beschränke ich mich auf Hinweise, wie den, dass Du damit

Ein Großteil der Uneinigkeit in moralischen Fragen beruht auf unterschiedlichen deskriptiven Weltbildern. Wenn ich annehme, dass in dem Frosch vor mir die wiedergeborene Seele eines Menschen steckt, dann werde ich in Bezug auf seine Behandlung andere Normen aufstellen als wenn ich nicht an diese Art der Wiedergeburt glaube.

Für die Diskussion um die richtige Beantwortung moralischer Fragen heißt dies, dass nur solche deskriptiven Aussagen zählen können, über die ein intersubjektiver Konsens durch nachvollziehbare Argumente und übereinstimmende Beobachtungen herstellbar ist.

scheitern wirst.

Du wirst nämlich, außer denen, die Deiner Ansicht sind, und die wirst Du vorwiegend in Deinem Umkreis finden, keine Diskussionspartner haben, mit denen Du Deine Moral entwickeln kannst. Der Mehrheit der Menschen sind nun mal andere Dinge (auch ihre Glaubensangelegenheiten) wichtiger als eine allgemeine Moral.

Hat keinen Sinn, sich idealistisch von der Wirklichkeit abzuwenden.

Grüße


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Hanspeter am 30. Aug. 2006, 07:57 Uhr
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Hallo Rudi,

du schreibst: "Aus der Evolution lerne ich folgendes: ich selektiere. Überflüssige Begriffe sondere ich aus."

Es ist gut, aus der Evolution zu lernen. So zeigen Beobachtungen von sozial lebenden Tieren, besonders Paviane und Schimpansen, dass es dort ebenfalls eine Bewertung von Handlungen nach Gut und Böse gibt und daraus resultierend einen Verhaltenskodex, der mit unseren Begriff Moral identisch ist. Spielregeln im sozialen Miteinander wie: Ehrfuchtsvolles Verneigen vor dem Chef, pflegen sozialer Kompetenz, Freundlichkeit zu Kindern usw.
Gut, wenn dir der Begriff Moral nicht gefällt, dann darfst du dir selbstverständlich einen anderen suchen. Das Phänomen aber kannst du nicht "aussondern", höchstens neu benennen.

Gruß HP

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 30. Aug. 2006, 10:30 Uhr
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Hallo allerseits,

ich schlage vor, dass wir an diesem Punkt der Diskussion etwas freien Lauf rund um das Phänomen "Moral" lassen und sehen, wohin wir gelangen.

"Moral":

Das sind diejenigen Regeln des Umgangs miteinander, die nicht rein konventionell (Kleiderordnung) oder rein koordinierend sind (Rechtsverkehr), sondern die direkt die Interessen, das Wohl und Wehe der Mitglieder betreffen (Totschlag, Vergewaltigung, Hilfeleistung, Belügen, Betrügen, Rauben, Gotteslästerung etc.).

Eine Moral wird praktiziert und gilt in einer Gesellschaft, wenn die Mitglieder einer Gesellschaft oder Gemeinschaft deren Regeln verinnerlicht haben, wenn sie diese vertreten, ihre allgemeine Befolgung verlangen, Verletzungen missbilligen und den Regelbrecher informell sanktionieren, sei es durch Abbrechen der sozialen Kontakte und soziale Ausgrenzung, sei es durch Ächtung und moralische Verurteilung, sei es durch Steinigen oder Erhängen.

Soll man in dem Sinne moralisch sein, dass man die geltenden Regeln befolgt? Nicht unbedingt, denn bestimmte Regeln können "veraltet" sein (Anti-Baby-Pille) oder können ungerecht sein (Patriarchat), insbesondere unter den sich rasch wandelnden Bedingungen einer technischen Zivilisation. Dann gibt es in der Gesellschaft einen moralischen Dissens, es bilden sich Subkulturen (Hippies) oder die Positionen bekämpfen sich offen (Fundamentalisten zum Schwangerschaftsabbruch).

Wenn man davon ausgeht, dass der rasche soziale Wandel - bedingt durch technische Neuerungen - anhalten wird, dann ist es für den Bestand einer Gesellschaft wichtig, wie sie auf den Wandel der Bedingungen reagiert. Meines Erachtens bedarf es der ständigen Diskussion und Überprüfung der tradierten moralischen Regeln. In einer auf Meinungsfreiheit und freien Abstimmungen beruhenden Demokratie sind die Grundvoraussetzungen dafür gegeben. Woran es jedoch mangelt ist ein Konsens über das, was man eigentlich mit der Richtigkeit oder Gültigkeit eines moralischen Urteils meint. Was ist das Kriterium hierfür und inwieweit kann man hier vernünftig argumentieren und begründen?

Was ich hier für die einzelne Gesellschaft gesagt habe, trifft auch auf die Weltgesellschaft als Ganzer zu: Die Staaten, Kulturen und Religionen rücken sich ständig näher, Teheran ist wenige Flugstunden entfernt, Shanghai 1 Internetsekunde. Dass sich eine einzige Kultur und Religion weltweit als herrschend durchsetzen wird, halte ich für unwahrscheinlich. Also werden die Spannungen und Reibungen weiter zunehmen, vor allem, wenn es sich um Moralsysteme und Weltanschauungen handelt, die gegenüber "Fremden" und "Ungläubigen" keinerlei moralische Verpflichtungen kennen.

Deutschland hat den 30jährigen Krieg durchgemacht, der die Bevölkerung erheblich dezimierte, bis schließlich ein geregeltes Nebeneinander der Konfessionen gefunden wurde.

Um derartiges zu vermeiden, muss eine übergreifende Methode der Verständigung über Moral entwickelt werden. Ich habe meine Gedanken dazu hier skizziert. Kernpunkt meiner Überlegungen ist dabei der Grundsatz, dass nur intersubjektiv nachvollziehbare Argumente in die Entwicklung einer solchen "universalen" Moral eingebracht werden dürfen, wenn es sich um mehr als ein neues Dogma handeln soll.

Hallo Abrazo,

Du versuchst einen anderen Weg. Du schlägst vor, von Tatsachen auszugehen. Die Tatsachen, die Du meinst, sind in allen Kulturen gleichermaßen vorfindbare ethische Entscheidungen in Form einer Ablehnung bzw. Verabscheuung bestimmter Handlungsweisen. Eine derartige allen Menschen gemeinsame Grundlage der Moral würde die Lösung des Problems natürlich erheblich vereinfachen.

Ob es derartige Tatsachen gibt, ist eine empirische Frage. Ich kenne allerdings keine empirische Untersuchung zu dieser Frage. Das einzige, was mir in Bezug auf universal vorkommende moralische Normen bekannt ist, ist die Tatsache, dass es in allen menschlichen Gesellschaften Verbote hinsichtlich inzestuöser Beziehungen gibt.

Hallo rudi,

das Wort "Moral" muss kein rotes Tuch sein, bei dem gleich alle Alarmglocken klingeln. Der Begriff ist für mich gegenwärtig unverzichtbar, wenn ich z. B. die tradierten und verinnerlichten Regeln von den kodifizierten Regeln der Großorganisationen unterscheiden will. Wie willst Du das Verhältnis zwischen beiden Normensystemen diskutieren, wenn Dir die unterscheidenden Begriffe (Moral, Recht) fehlen?

Grüße an alle Interessierten von Eberhard.

p.s.: Ich freue mich über das angenehme Diskussionsklima und hoffe, dass es so bleibt.






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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 30. Aug. 2006, 11:22 Uhr
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Hi, doc_rudi.

Du: Aus der Evolution lerne ich folgendes: ich selektiere. Überflüssige Begriffe sondere ich aus.
Klasse [applause] [applause] [applause]
Ich werde Dich zitieren.
Du hast Ockhams Regel gerade in einen Zusammenhang mit der Evolution gebracht. Fein.

Naturwissenschaft als die Evolution - nicht der Arten, sondern der Modelle über die Wirklichkeit.

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von doc_rudi am 30. Aug. 2006, 13:32 Uhr
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Hallo Diskussionsrunde,
Begriffe haben im Lauf der Evolution des Geistes immer ihre Bedeutung geändert und manche sind fallen gelassen worden. Ich halte aus oben genannten Gründen den Begriff Moral für nicht mehr angebracht.
Die zu beobachtenden Phänomene – z.B. Verhaltensweisen in Primatengruppen, von Hanspeter angeführt -, die ethisches oder moralisches Verhalten zeigen, bezeichne ich als Sozialverhalten. Schon hier scheint mir dieses Verhalten einerseits genetisch angelegt, anderseits erworben, bei Affen in erster Linie durch Imitation.
Der Mensch sucht nach Begründungen für sein Verhalten und hat dazu Theorien erfunden, die sich zu Theoriegebäuden und Ideologien entfalten. Diese Ideologiebildung und ihre Tradierung lag lange in den Händen von Priestern u.a. Religionsführern. Die monotheistischen Religionen betrachte ich als Ideologien, die weitgehend austauschbar sind: ein katholischer Priester und ein gläubiger Katholik wären, wenn sie in Israel aufgewachsen wären, dort in vergleichbarer Funktion, ebenso im Moslemischen Kulturkreis, der Nichtgläubige wäre überall nichtgläubig.
Das Problem ist die Trennung in unterschiedliche Glaubensinhalte und Glaubenseinflussbereiche und die allen gemeinsame jeweilige Aussonderung des Andersgläubigen.
Eberhard hat bereits auf den 30jährigen Krieg hingewiesen. In Europa hatten wir dann noch (den 7jährigen Krieg), Aufklärung, die (französische) Revolution, die industrielle Revolution, den Marxismus und in der Summe die Trennung von religiösen und weltanschaulichen Ideologien. Noch bis vor kurzem gab es auf der Erde 2 durch einen eisernen Vorhang getrennte ideologische Blöcke, derzeit bilden sich neue Blöcke, deren Ideologien auf beiden Seiten mehr religiösen Inhalts sind, was ich sehr bedaure.
Jede Ideologie hat ihre Moral und nutzt diese zur moralischen Bewertung menschlichen Handels und Trennung in Gut und Böse.
Wir sind uns wohl einig darüber, dass wir uns um die Zukunft der Menschheit Sorgen machen müssen, wenn das so bleiben sollte.

Neben dieser Entwicklung auf der Ebene der Systeme höherer Ordnung sehe ich jedoch auch eine Entwicklung auf der Ebene der Individuen:
Der einzelne Mensch ist im Durchschnitt selbstbewusster geworden, hat sich dem Einfluss der Ideologien mehr und mehr entzogen stellt dementsprechend seine persönlichen Interessen denen des Staats entgegen. Die Menschenrechte sind verkündet worden usw..

Wie kommt das?
Meine Erklärung: Ideologien wirken als „Gewissen“ im „Über-Ich“. Das Über-Ich hat psychodynamisch die Funktion, sozial störende triebhafte Verhaltensweisen, die aus dem „Es“ kommen, gegenzuregulieren. Die Moral hat eine triebsteuernde Funktion. Dies hat Freud erkannt und er hat ebenfalls erkannt, dass diese Kräfte des Es und des Über-Ich weitgehend unbewusst wirken. Die allgemeine Bewusstwerdung dieser bislang unbewussten Verhaltenssteuerung ist ein Faktor, der die Wirksamkeit von „Moral“ zum Glück beeinträchtigt und den Moralbegriff überflüssig macht.
Der zweite Faktor ist die zunehmende Bedeutung des Geldes: das Individuum benötigt keine moralischen Vorschriften mehr zur Steuerung seines Verhaltens, weil seine Handlungsmöglichkeiten und insbesondere seine Befriedigungsmöglichkeiten weitgehend von der Geldmenge begrenzt werden, die ihm zur Verfügung steht.
Das „Ich“ (im Freudschen Modell psychischer Instanzen) der Individuen ist im Schnitt stärker geworden und übernimmt zunehmend die Steuerung des Handelns.

Deshalb ist aus meiner Sicht die Verwendung der Begriffs Moral nicht mehr zeitgemäß.

Das Individuum ist kulturkreisübergreifend mehr und mehr ein selbststeuerndes lebendes System, so dass sich die Menschen sehr gut auf vernünftige Verhaltensregeln einigen könnten, die ihr friedliches Zusammenleben und die Entfaltung persönlicher Interessen erleichtern.
Es gilt einfach nur, die Interessen des Individuums mit denen der Menschengemeinschaft in Einklang zu bringen.

Gruß
rudi


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 30. Aug. 2006, 14:59 Uhr
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Hi,

Eberhard, die Crux empirischer Untersuchungen ist Dir gewiss bekannt: die Fragestellung. Du bekommst immer Antworten auf Fragen, also darauf, wie die gestellte Frage verstanden wird. Wie aber willst Du eine präzise Frage stellen, die Du gar nicht präzise kennst? An ethische Fragen kann man imho nicht vermittels Stichprobenerhebung heran gehen, denn die kann immer nur den unüberlegten Status quo festhalten. Das kann bei zeit- und kulturübergreifenden Fragen nicht zu brauchbaren Ergebnissen führen.

Tatsächlich liegen die 'Ergebnisse' bereits vor, nämlich in den mehr oder minder codifizierten unterschiedlichen Normenkomplexen. Die warten nicht auf empirische Erhebung, sondern auf Analyse.

Beispiel Tötungsverbot. Mir ist keine derzeitige oder vergangene Kultur bekannt, in der das Töten eines Menschen generell erlaubt ist. Alle enthalten jedoch eine Menge Ausnahmen, die nach Analyse verlangen. Übrigens gibt es, falls ich nicht falsch informiert bin, auch beim Inzestverbot Ausnahmen. Nicht nur bei den Inkas, sondern auch in der Bibel: Lot.

Eine generelle Ausnahme ist das Notwehrrecht. Relativ unproblematisch, da konkurriert Leben gegen Leben.

Weitere Ausnahme: Krieg. Speziell der Verteidigungskrieg. Heißt, die Tötung von Menschen ist erlaubt oder gar erwünscht, um überlebenswichtige Interessen der eigenen sozialen Gemeinschaft gegen einen Aggressor zu schützen. Also praktisch auch Notwehrrecht, Konkurrenzsituation. Hätte also das Tötungsverbot absolute Gültigkeit, dürfte es keine Angriffskriege geben.

Gibt es auch nicht. Jeder kriegerische Angriff wird nämlich als Verteidigung ausgelegt. Heißt, der Sachverhalt, auf den sich das ethische Nein bezieht, wird anders dargestellt, als er ist. Daraus folgt ein Grundsatz, den man m.E. bei Ethikdiskussionen mit Blick auf die Tatsachen beachten muss:

Die Verschleierung eines Sachverhalts bestätigt das Vorhandensein eines ethischen Prinzips, das bei einem unverschleierten Sachverhalt zu einer anderen Entscheidung zwingen würde.

Betrachte unter diesem Aspekt mal die systematische Ermordung der Juden unter den Nazis. Setzen die das ethische Tötungsverbot außer Kraft? Keineswegs. Denn diese Ermordung war nur möglich, weil ihnen die Juden qua Biologie nicht als Menschen galten, sondern als Parasiten am Menschentum in einigermaßen menschlicher Gestalt getarnt. Für Fliegen, Ratten, Wanzen, Mücken, Schlangen und ähnliches Geziefer gibt es kein ethisches Tötungsverbot (bei Säugetieren und Vögeln hingegen in abgeschwächter Form durchaus). Hitler sprach vom Antimenschen oder Gegenmenschen. Schädel wurden vermessen, um 'objektiv belegbare' Gründe zu erhalten, Menschen von 'Scheinmenschen' zu unterscheiden. In der Propaganda wurden Juden entsprechend dargestellt. Und schließlich wurden zwar nicht die 'legitimen' Angriffe = 'Selbstverteidigungshandlungen' und Deportationen geheim gehalten, wohl aber die Vernichtungslager, denn wären sie öffentlich gewesen, man hätte mit dem ethischen Nein der eigenen Bevölkerung rechnen müssen. Wobei zu bemerken ist, um nicht selbst in Gewissenskonflikte zu kommen, dürften die meisten gar kein Interesse daran gehabt haben, zu erfahren, was denn nun mit den deportierten Juden geschehe. Hätte ja zwingend Probleme geben können. Vermeidungstaktik. Eine Vermeidungstaktik, die aber ohne (intuitives) Wissen um das Vorhandensein der Ethik gar nicht nötig gewesen wäre.

Ich skizziere hier nur, in welche Richtung ich denke. Aber ich halte diesen Weg für fruchtbarer, um zu einem wirklich tragfähigen allgemeinen Konsens zu kommen.

Noch eine übergeordnete Anmerkung: Wesentlich für die ethische Entscheidung ist die Erkenntnis des Sachverhaltes (die Hauptaufgabe der Normenfindung besteht m.E. darin, den allgemeinen Sachverhalt präzise zu definieren, zu beschreiben, für den die ethisch begründete Norm gilt, sonst sind solche Normen das Papier nicht wert, auf das sie niedergeschrieben werden sollen). Darum ist m.E. der Kern aller Philosophie die Ethik. Denn Wahrheit heißt, wie kann ich sicher sein, dass ich den Sachverhalt nicht falsch erkenne - und daraufhin ethisch falsch handle, was ich als Mensch nicht will.
Deswegen ist Wahrheit ein zentraler ethischer Wert.

Gruß

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 30. Aug. 2006, 15:22 Uhr
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Hi Rudi,

Die zu beobachtenden Phänomene – z.B. Verhaltensweisen in Primatengruppen, von Hanspeter angeführt -, die ethisches oder moralisches Verhalten zeigen, bezeichne ich als Sozialverhalten.

Der Mensch unterscheidet sich vom übrigen Viehzeug durch seine Fähigkeit zur Reflexion. Ethik und Ästhetik gehören zu diesem Bereich.

Ethik zeigt sich darin, dass Menschen gegen ihre natürliche, biologisch programmierte Verhaltensweise ein ethisches Veto einlegen, was Reflexion über eben diese biologisch programmierten Verhaltensweisen voraussetzt.

Das Tier ist amoralisch, weil es über seine Verhaltensweisen (Gründe, Folgen) nicht reflektieren kann.

Herr Hund verprügelt junge Rüden nicht aus moralischen Gründen, sondern um sie in die soziale Hierarchie des Rudels einzubinden, in dem diese Tierart überlebt.

Menschen sind zwar vergleichbare Verhaltensweisen biologisch einprogrammiert, sie merken das aber und können sie deswegen ändern.

Der Mensch sucht nach Begründungen für sein Verhalten
Warum sollte er - wenn er keine Alternativen hätte?

Der einzelne Mensch ist im Durchschnitt selbstbewusster geworden, hat sich dem Einfluss der Ideologien mehr und mehr entzogen stellt dementsprechend seine persönlichen Interessen denen des Staats entgegen.

Wird bestritten. Deutschland ist nicht die Welt. In der Welt sieht es genau andersherum aus.

Es gilt einfach nur, die Interessen des Individuums mit denen der Menschengemeinschaft in Einklang zu bringen.


In Südostasien leben erheblich mehr Menschen als in Europa und dort gelten individuelle Interessen allgemein als erheblich weniger schwerwiegend als Gemeinschaftsinteressen - auch bei den Individuen. Europäischen Individualismus dort verbreiten zu wollen dürfte auf massiven Widerstand treffen.

Ich fürchte, Deine Sichtweise ist allzu sehr eurozentrisch.

Gruß

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von doc_rudi am 30. Aug. 2006, 16:09 Uhr
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richtig abrazo,
meine Sichtweise ist eurozentrisch und ich halte diese Sichtweise im übrigen auch für fortschrittlich im Sinne meiner Evolutionstheorie (Evolution des Geistes als Fortsetzung der Entwicklung der genetischen Datenspeicherung) und bin der Überzeugung, dass sie sich naturgesetzlich ausbreiten wird.
Du benutzt den Begriff "ethisches Veto". Der ist ausgezeichnet. Er beschreibt nämlich, dass der Mensch dem Trieb eine bewusste Entscheidung entgegensetzen kann und dass der Beginn seiner Freiheit im Neinsagen besteht.
Gruß
rudi

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 30. Aug. 2006, 17:49 Uhr
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Hi, doc_rudi

Du: meine Sichtweise ist eurozentrisch und ich halte diese Sichtweise im übrigen auch für fortschrittlich im Sinne meiner Evolutionstheorie (Evolution des Geistes als Fortsetzung der Entwicklung der genetischen Datenspeicherung) und bin der Überzeugung, dass sie sich naturgesetzlich ausbreiten wird.

Wieso "ausbreiten wird"?
Egozentrisch fühlen und denken alle Menschen, die ich kenne.
Egozentrisches fühlen und denken halte ich den Menschen angeboren, und zwar schon vor der Zeit, als sie lernten, begrifflich zu sprechen.

Hier besteht die Gefahr der Verwechslung und Verwischung von "egozentrisch fühlen und handeln" mit "kurzfrist-egoistisch denken und handeln auf Kosten des Mitmenschen."

Das einzelne Mitglied im Team will "Zukunft und Wachstum für mein Einkommen", das ist egozentrisch, der Gemeinwille im Beruf ist "Zukunft und Wachstum für unsere Firma!"

Das Engagement für den Gemeinwillen dient auch dem individuellen, egozentrischen Willen.

Allerdings ist dieser egozentrische Wille ein weitdenkender, und wer so weit denkt, der ist auch zu Opfern zugunsten seiner Gemeinschaft bereit. Weil er weiß, diese dienen dem Gemeinwohl und dann auch seinem eigenen.

(Der Sündenfall ist hier, wenn Unternehmer die Belegschaft zu Opfern aufrufen, diese einkassieren und dann die Firma platt machen.)


Also: Egozentrisch fühlen und denken, das tun alle Menschen, die ich kenne. ist also schon längst verbreitet.
Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 30. Aug. 2006, 19:36 Uhr
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Hallo Wolfgang,

kann weitblickende Egozentrik Grundlage des Zusammenlebens der Individuen sein?

Offenbar bejahst Du die Frage.

Ich habe da meine Zweifel. Richtig ist, dass sich eigeninteressiertes Handeln und moralisches Handeln über weite Strecken decken. Wenn der Reiche für die Armen spendet, verhindert er möglicherweise einen gewaltsamen Aufstand der Armen, der für ihn gefährlich sein könnte. Heute weit verbreitet ist auch die Image-Pflege.

Trotzdem dürfte ich dem Egozentriker nicht völlig vertrauen. Denn in günstigen Situationen ("kein Mensch wird je wissen, dass ich das getan habe") wird der Egozentriker meine Interessen missachten und etwas außerhalb der geltenden Regeln seinen Reibach machen,

meint Eberhard.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 30. Aug. 2006, 19:47 Uhr
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Hallo rudi,

Du schreibst: " meine Sichtweise ist eurozentrisch und ich halte diese Sichtweise im übrigen auch für fortschrittlich im Sinne meiner Evolutionstheorie (Evolution des Geistes als Fortsetzung der Entwicklung der genetischen Datenspeicherung) und bin der Überzeugung, dass sie sich naturgesetzlich ausbreiten wird."

Kann Deine Theorie den Gang der Geschichte vorhersagen? Ist dies eine Bewegung zum Besseren?

Bei den Marxisten nannte ich das "Fortschrittsglaube".

Und bei Dir?

fragt sich Eberhard.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 30. Aug. 2006, 19:58 Uhr
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Hi, Eberhard,

Du: kann weitblickende Egozentrik Grundlage des Zusammenlebens der Individuen sein? Offenbar bejahst Du die Frage. Ich habe da meine Zweifel.

Kann: Ja. Muß: Nein. Zweifel sind also angebracht.

Du: Wenn der Reiche für die Armen spendet, verhindert er möglicherweise einen gewaltsamen Aufstand der Armen, der für ihn gefährlich sein könnte.

Mein Musterbeispiel: Werner von Siemens und seine Arbeitnehmerwohnungen. Für nur seine Arbeitnehmer.
Manche halten das für ein Zeichen "sozialer Einstellung" und altruistisch.
Ich halte es für knallhart-wirtschaftlich und langfristig-egoistisch. Je wohler sich seine Arbeiter in Siemens-Wohnungen fühlen, desto engagierter im Betrieb, desto geringer die Fluktuation, dsto gebremster die Streiklust. Desto größer auch Erfahrung und Können in der Belegschaft - all das dient der Zukunft und dem Wachstum des Siemens-Vermögens.

Du: Trotzdem dürfte ich dem Egozentriker nicht völlig vertrauen.
Völlig klar. Wem denn? Außer Du Dir selbst.

Du: Denn in günstigen Situationen ("kein Mensch wird je wissen, dass ich das getan habe") wird der Egozentriker meine Interessen missachten und etwas außerhalb der geltenden Regeln seinen Reibach machen,
Zustimmung, je größer der Schatz, je geringer das Risiko, desto schwächer unsere Schwäche.

Aber in der Frage "Soll man moralisch handeln oder nicht?" bietet das langfristig-egoistische Denken eine dritte Möglichkeit, die ich für die Synthese halte.

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von mondial am 30. Aug. 2006, 20:22 Uhr
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Ich habe in diesem Thread das moralische Gesetz angesprochen. Wie könnte das konkret aussehen?


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 30. Aug. 2006, 23:29 Uhr
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Hi Wolfgang,

an Deinen Überlegungen fehlt was, damit sie rund und vollständig sind: die Heilung des zerrissenen wölfischen Menschen durch den protestantischen Glauben, der ihn Wolf sein lässt, ihm aber durch den Glauben dennoch Erlösung von allem Übel (auch dem seiner eigenen Natur) im Jenseits verspricht.

Warum? Weil Menschen nun mal nicht so sind, wie Du dir das vorstellst. Wenn sie so sein sollen, fühlen sie sich unvollständig; ihnen fehlt was. Gibt etliche Leute, die sofort bereit sind, für Ersatz zu sorgen.

Heißt, bei dem, was Du sagst, drängt sich mir umgehend die Assoziation Max Weber auf.

Doc_Rudi, Adolfen meinte, nach seiner Evolutionstheorie müssten die Deutschen naturgesetzlich den Endsieg davon tragen.
Als er feststellte, dem sei nicht so, korrigierte er seine Theorie und meinte, dann sollten sie eben untergehen, sie hätten es nicht besser verdient.

Nebenbei bemerkt, was Du fortschrittlich im Sinne Deiner Evolutionstheorie nennst, nennen andere Leute morbide und dekadent.

Willste's drauf ankommen lassen, dass die Faust entscheidet, wer Recht hat?

Gruß

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 31. Aug. 2006, 01:18 Uhr
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Hi, Abrazo,,

Du: an Deinen Überlegungen fehlt was, damit sie rund und vollständig sind:
"Rund und vollständig" verglichen mit welchem Maßstab?

Sollte es da einen Maßstab geben? Dann erzähl mal.

Ich suche nur die beste Erklärung für die beobachtbaren Phänomene. Wenn Du eine bessere hast, stell sie vor und verteidige, warum sie besser sei.
Hast Du keine bessere, dann nörgle nicht rum.

Du:..die Heilung des zerrissenen wölfischen Menschen durch den protestantischen Glauben, der ihn Wolf sein lässt, ihm aber durch den Glauben dennoch Erlösung von allem Übel (auch dem seiner eigenen Natur) im Jenseits verspricht.

Klar, das war mal sehr attraktiv für Personen, die die Bibel für wahr hielten, die ihr Leben als Eintrittskarte ins Paradies verstanden und die katholische Lehre ablehnten.

Du: Warum? Weil Menschen nun mal nicht so sind, wie Du dir das vorstellst.

Erstens ist mir das klar, weil meine Sinne und mein Gehirn nun mal nicht perfekt sind. Deshalb suche ich auch gar nicht die perfekte Beschreibung des Menschen, sondern nur die beste.

Zweitens: Ah. Du weißt, "wie die menschen sind". Du kannst es belegen?
Das interessiert mich. Stells vor, begründe, warum Deine Vorstellung als die bessere zu gelten hat - oder nörgle nicht rum.

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 31. Aug. 2006, 06:56 Uhr
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Hallo Wolfgang,

wenn ich Deine im Telegrammstil gehaltenen Sätze richtig verstehe, dann kann man niemandem vertrauen außer sich selbst. Ich kenne allerdings einige Menschen, denen ich meine gefüllte Brieftasche zur Aufbewahrung geben kann ohne vorher nachgezählt zu haben, wie viel drin ist. Das sind die Menschen, "für die man die Hand in's Feuer legen würde." Ich brauche solche Menschen, sonst könnte ich mit Ihnen nicht eng zusammenleben.

Ich sehe auch, dass kein Mensch vollkommen ist und dass jeder schwach werden kann (deshalb beten die Christen: "und führe uns nicht in Versuchung").

Aber wenn Du den weitsichtigen Egoismus als Alternative zum moralischen Handeln propagierst, dann geht es nicht um menschliche Schwächen, sondern dann lebe ich mit Menschen zusammen, für die ich nur solange tauge, wie ich Ihnen nützlich sein kann, die meine Interessen nur so lange berücksichtigen, wie es ihren Interessen entspricht. Das heißt: Das gegenseitige Misstrauen gehört zur Grundlage unserer Gemeinsamkeit,

meint Eberhard.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von mondial am 31. Aug. 2006, 09:44 Uhr
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Das moralische Gesetz scheint hier kein Thema zu sein. Warum spricht Kant von einem Gesetz? Und warum "in mir"? Weil es unausweichlich ist und das ignorieren dieses Gesetzes Konsequenzen haben muss, sonst wär es keins. Also nochmals die Frage. Was könnte damit konkret gemeint sein?

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Urs_meinte_Euch am 31. Aug. 2006, 09:58 Uhr
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Hallo Wolfgang und Eberhard!


Mir scheint, dass der Ausdruck "Egozentrik" etwas überstrapaziert wird, wenn er auch eine Rücksicht auf das Gemeinwohl integrieren soll. Denn die Perspektive des Gemeinwohls ("Was ist gut für alle?") ist der egozentrischen ("Was ist gut für mich, unabhängig davon, was gut für die anderen ist") doch entgegengesetzt.

Wolfgangs "weitsichtiger" Egozentriker hat einen Lernprozess durchgemacht, in dem er seinen ursprünglich desinteressierten, gegen die Interessen anderer abgeblendeten "Standpunkt" verließ. Seine Motivation mag dabei durchaus egozentrisch gewesen sein; sein "Bewusstsein" ist es nach dem Sinneswandel nicht mehr. Denn er kann nun sein eigenes Bestreben und Handeln auch aus der Perspektive der anderen kritisch beurteilen - er hat eine "soziale" Perspektive "internalisiert".
Wenn er sich nach diesem Lernprozess immer noch im vollen Brustton "Egozentriker" nennt, unterliegt er m.E. einem Selbstmissverständnis. Oder er gebraucht einen überstrapzierten, also unklaren Begriff.



Was Eberhards "Vertrauen" in andere angeht: Dieses Vertrauen halte ich auch für grundlegend im Umgang der Menschen miteinander - sowohl im privaten wie im öffentlichen. Aber ich möchte bezweifeln, dass es sich allein rational erklärt. Um es pointiert zu sagen: Ich vertraue jemandem nicht, weil ich erkenne, dass er nur solche Normen befolgt, deren Begründung allgemein konsensfähig wäre.

Und so sind auch Normen, die nach Eberhards Sprachgebrauch "dogmatisch" genannt werden müssten, nicht per se "irrational". Um es allgemein zu sagen: Angesichts der sozialen Wirklichkeit, in der Normen eigentlich gar nicht anders "existieren" als in den Handlungen und Handlungsweisen von Menschen, scheint es mir überzogen, die Geltung von Normen "rein rational" begründen zu wollen.

Wolfgangs "Egozentrik" und Eberhards "Rationalismus" erscheinen mir je auf ihre Weise als theoretische Konstruktionen, die beide nicht geeignet sind, die ethische Wirklichkeit (und die Geltung von Normen) verständlich zu machen.


Grüß Euch,
Urs




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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von doc_rudi am 31. Aug. 2006, 10:10 Uhr
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Hallo,
erst mal muss ich einen interessanten Lesefehler aufklären:
Abrazo befürchtete bei mir eine eurozentrische Sichtweise, nicht eine egozentrische.(#104)
Ich musste seine Befürchtung, weil ich ja bei der Wahrheit bleiben möchte, bestätigen und fügte hinzu, dass sich nach meiner Analyse diese eurozentrische Sichtweise ausbreiten wird.
„... ich halte diese Sichtweise im übrigen auch für fortschrittlich im Sinne meiner Evolutionstheorie (Evolution des Geistes als Fortsetzung der Entwicklung der genetischen Datenspeicherung) und bin der Überzeugung, dass sie sich naturgesetzlich ausbreiten wird.“ (#105)
Wolfgang Horn (#106) fragt nun „wieso ausbreiten wird?“ und Eberhard: „Kann Deine Theorie den Gang der Geschichte vorhersagen? Ist dies eine Bewegung zum Besseren?“

Mit meiner Evolutionstheorie meine ich die Sichtweise, dass sich die biologische Evolution in der Evolution des Geistes fortsetzt, dass also der wissenschaftliche Fortschritt eine Fortsetzung der Evolution (im Sinne der Biologie) nach analogen Regeln ist. Die Überproduktion von Nachkommen setzt sich in der Überproduktion wissenschaftlicher Hypothesen fort und das Experiment, das die eine Theorie falsifiziert und die andere verifiziert, ist das Analogon zur „Selektion“. Dahinter steht meine Idee, dass beides ein Vorgang ist, durch den sich Daten ausbreiten und die Welt immer präziser abbilden (zunächst genetisch gespeicherte Daten, nunmehr geistige Daten).
@Eberhard: ob dies eine Bewegung zum Besseren ist und ich die Geschichte vorhersagen kann, ist ganz allgemein eine Frage an jegliche Evolutionstheorie. Besser und Schlechter macht sich immer an einem Bezugspunkt fest und mit geht es nicht um (Moral) Bewertung, sondern um die Frage, in welcher Weise sich die Daten, die sich dort ausbreiten, verändern.
Da sehe ich beispielsweise die Veränderung, dass es sich anfangs um Handlungsprogramme handelt (z.B. angeborene Auslösemechanismen), dass die Entwicklung jedoch zu zielprogrammiertem Verhalten geht: das Programm legt nur noch das Ziel fest (Sollwerte) und überlässt es dem lebenden System, mittels eines Hirns den besten Weg zur Erreichung dieses Ziels zu finden (das ist unsere Freiheit).
Was mich daran fasziniert ist, dass derartige Programme insgesamt viel einfacher sind, in meinen Augen lassen sie sich auf 2 reduzieren, nämlich auf das Programm Selbsterhaltung und das Programm Selbstentfaltung (im Tierreich sind es hingegen viele unterschiedliche Programme, die bestimmte Handlungen zur Erreichung dieser Ziele genau festlegen).

Da ich nun aber nicht nur wissenschaftlich denke, sondern auch Gefühle habe, muss ich gestehen, dass ich diese Entwicklung für einen Fortschritt halte, für einen Weg hin zum Besseren, weil Einfacheren.
Dieser evolutionäre Fortschritt betrifft nun allerdings keine Art und keine menschliche Rasse (das zu abrazos Hinweis auf die Rassenideologie der Nazis, die ja Rassenreinheit wollten, was der Evolution widerspricht: diese will Durchmischung), sondern
Individuen.

Das menschliche Individuum zeigt jeweils in seinem Verhalten Hinweise auf eine mehr oder weniger fortgeschrittene Evolution und macht sich im Schnitt immer unabhängiger von den Einflüssen der Systeme höherer Ordnung, in denen es lebt (Staat, Religionsgemeinschaft).
Ein Kriterium dafür ist beispielsweise die Kinderzahl: Zeugung biologischer Nachkommen ist ein genetisch gesteuertes Verhalten zur Evolution genetisch gespeicherter Daten. Wissenschaftliche Tätigkeit hingegen fördert die Evolution des Geistes.

Gemessen an dieser für mich sichtbaren Entwicklungstendenz kann ich sagen: der europäische Mensch ist in seiner Evolution im Durchschnitt weiter fortgeschritten als der vorderasiatische Mensch.

Und weil sich das Fortschrittliche stets durchsetzt, meine ich, dass die Evolution der Gene von der Evolution des Geistes weiter abgelöst werden wird, und für Eberhard eine Prognose:
Auf längere Sicht wird die Anzahl der Menschen auf dem System Erde sinken.

Gruß
rudi


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 31. Aug. 2006, 10:19 Uhr
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Hi,

trotz Übereinstimmung im Großen und Ganzen mit Urs' Aussagen, in diesem Punkt möchte ich eine Korrektur anbringen:

Denn er kann nun sein eigenes Bestreben und Handeln auch aus der Perspektive der anderen kritisch beurteilen - er hat eine "soziale" Perspektive "internalisiert".


An 'andere zu denken' heißt noch lange nicht, die Dinge auch aus der Perspektive des anderen zu betrachten bzw. sich um eine solche zu bemühen. Kennzeichnend für den Egozentriker ist doch, dass er eine andere Perspektive als die seine entweder ausschließt oder als minderwertig und deswegen vernachlässigenswert betrachtet.

Ganz schlichtes Beispiel: der Egozentriker beschallt sein Wohnhaus mit Heavy Metal. Er denkt an die anderen - die sollen diese Musik auch genießen, ohne sich CD's und Lautsprecher für teures Geld kaufen zu müssen. Dass darunter Leute sind, die keine laute Fremdmusik, schon gar nicht Heavy Metal ausstehen können, kommt ihm entweder nicht in den Sinn - oder er hält sie für vernachlässigenswerte Unkundige.

Tatsächlich wird unsere Gesellschaft von Egozentrikern erheblich belästigt. Allein schon die Werber z.B., die uns über alle Medienkanäle bombardieren, müssten, wären sie keine Egozentriker, erkennen, wie sehr sie uns belästigen.

Egozentrisch auch G.B. in seiner Erwartung, die Iraker müssten die US-Truppen freudig begrüßen; dass denen andere Dinge wertvoll sind als ihm und seiner Gesellschaft, war offenbar außerhalb seines Vorstellungsvermögens und ist es wohl noch immer - sonst würde man nicht vom Bösen sprechen, wenn Leute etwas einfach nur anders sehen.

Grüße

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von doc_rudi am 31. Aug. 2006, 10:25 Uhr
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Hey Abrazo: wieso Egozentrik??
Was soll die Themenabweichung?
Du hast mich doch selbst der Eurozentrik bezichtigt. Darüber diskutieren wir. Lies doch erst mal meinen Beitrag 116.
Gruß
rudi

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Hanspeter am 31. Aug. 2006, 11:00 Uhr
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Hallo Mondial,

du fragst nach dem moralischen Gesetz, das Kant in sich fühlte?

Für Gesetze gilt.
1. Sie lassen sich nachweisen und gelten unter allen Umständen (Naturgesetze, Gesetze der Logik)
2. Sie werden erlassen und von einer entsprechende Macht durchgesetzt (Rechts-Gesetze).

Kants moralisches Gesetz gehört zu keinem der genannten Fälle, es existierte nur in seiner Vorstellung.

Für alles was mit Moral zu tun hat, gilt ausschließlich Fall Nr. 2. Und da haben sich die Mächte seit Kant grundlegend geändert.

Gruß HP



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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von mondial am 31. Aug. 2006, 11:26 Uhr
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Eine interessante Theorie doc.Ich weiss zwar nicht wo jetzt der direkte Bezug zur Fragestellung des Threads gefunden werden soll, aber ich geb mal trotzdem meine 2 Cents dazu. Ich pflichte dir bezüglich deines Postulates einer geistigen (durch den Menschen initierten) Evolution bei. Die von dir genannten Systeme wie Staat, Religion etc. sind allerdings durchaus als Individuen zu verstehen. Sie treten als Einheit auf. Ich meine dein Verständnis von (evolutionär vorangetriebener) Durchmischung kann man noch von andere Seite betrachten. Die Natur macht keine Versuche, sie präsentiert immer ein fertiges Endprodukt. Als sichtbaren Beweis möchte ich die Einzigartigkeit des menschlichen Fingerprints und andere Merkmale anführen. Man kann das aus menschlicher Sicht als Variation ansehen, tatsächlich so meine Überlegung ist es immer ein fertiges Produkt. Das Individuum ist immer ein vollständig beendetes Projekt der Natur und vergeht als solches. Der Versuch ist immer definitiv und gültig, von dieser Warte her eigentlich gar nicht Versuch zu nennen. Der menschliche Versuch und hier meine ich kann man von Versuch sprechen, besteht darin die Natur zu manipulieren um erwünschte Ergebnisse zu erzielen (Genforschung.) Der Geist will die Natur, wozu selbstredend auch seine eigene gehört vollständig vereinnahmen. Eine Diktatur des Geistes ist zu befürchten. Um zum Thema zurück zu kommen, ist die Genforschung, Forschung überhaupt nun jeglicher moralischer Gesetzmässigkeit enthoben? Kann sie sich ungestraft an sich sich selbst vergehen? Ich bin natürlich vollkommen überzeugt das dies nicht geht.

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von mondial am 31. Aug. 2006, 11:38 Uhr
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on 08/31/06 um 11:00:09, Hanspeter wrote:Hallo Mondial,

du fragst nach dem moralischen Gesetz, das Kant in sich fühlte?

Für Gesetze gilt.
1. Sie lassen sich nachweisen und gelten unter allen Umständen (Naturgesetze, Gesetze der Logik)
2. Sie werden erlassen und von einer entsprechende Macht durchgesetzt (Rechts-Gesetze).

Kants moralisches Gesetz gehört zu keinem der genannten Fälle, es existierte nur in seiner Vorstellung.

Für alles was mit Moral zu tun hat, gilt ausschließlich Fall Nr. 2. Und da haben sich die Mächte seit Kant grundlegend geändert.

Gruß HP



Hallo Hanspeter,

also ich habe als erstes eine frohe Botschaft für dich. Nicht nur das Genie Kant konnte das moralische Gesetzt in sich finden. Jeder kann es.
;-)

Zu deinem Punkt eins. Du hast vollkommen recht. Naturgesetze und logische Gesetze lassen sich nachweisen. Und wie sollte es bei einem moralischen Gesetz anders sein? Ursache, Wirkung.

Zum Punkt zwei. Gut das du und nicht ich das gesagt habe. Sonst wäre ich sicher wieder in die esoterische Ecke gedrängt worden. ;-)

Ich glaube du greifst da in deiner Schlussüberlegung mit deiner Logik etwas zu kurz. Das Gesetz ist in mir und nicht von aussen aufdoktriert. Es garantiert mir mich als freier Mensch meinen Möglichkeiten nach zu entfalten.



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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von doc_rudi am 31. Aug. 2006, 12:45 Uhr
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Hallo mondial,
(mit deiner Frage, warum hier? hast du recht, aber warum fragt mich sowas keiner im thread: Fragen zur Philosophie lebender Systeme)

Ich sehe einiges anders als Du:
Du: „Der menschliche Versuch und hier meine ich kann man von Versuch sprechen, besteht darin die Natur zu manipulieren um erwünschte Ergebnisse zu erzielen (Genforschung.)
Der Geist will die Natur, wozu selbstredend auch seine eigene gehört vollständig vereinnahmen.
Eine Diktatur des Geistes ist zu befürchten.“

Aus meiner Sicht der Evolution stellt sich das anders dar:
Da die Evolution des Geistes die Fortsetzung der Datenausbreitung mit anderen Mitteln darstellt, gehorcht sie den gleichen Regeln: Überproduktion von Ideen (geistigen Kindern) und Selektion, ich sage: Verifizierung der Wahreren.
Die zwei Zielvorgaben sind: Überleben (Selbsterhaltung) und Ausbreitung (Selbstentfaltung).

Was nun die Entwicklung genetisch gespeicherter Handlungsprogramme (beim Menschen bereits überwiegend zielorientiert) betrifft, so ist diese ja durch die wissenschaftliche Entwicklung (=Evolution des Geistes) überflüssig.
Das bedeutet:
Es wäre in Anbetracht dieser Entwicklung falsch (bzw., um mit Eberhard zu sprechen: unmoralisch), durch Manipulation des menschlichen Erbguts an seinen Eigenschaften oder Fähigkeiten herumzumanipulieren. Denn eine Verbesserung der menschlichen Gene wird für die allgemeine Evolution nicht benötigt.

Positiv gesagt: die allgemeine Evolution zielt nicht in Richtung Verbesserung von Körperorganen. Diesbezüglich ist beim Menschen das Optimum erreicht: seine Fähigkeiten erlauben ihm sogar eine hirnexterne Datenspeicherung, damit Wissenschaft und damit den Bau körperexterner Organe.
Es müssen nicht mehr durch genetische Veränderungen irgendwelche Organe verbessert oder hinzuerfunden werden, weil es das Großhirn gestattet, Organe zu bauen, die den Vorteil haben, nicht mehr mit herumgetragen zu werden zu müssen: das Auto als körperexterne Ergänzung der Beine, das nur bei Bedarf benutzt wird, ebenso der Computer als Ergänzung zum Gedächtnisteil des Hirn. Der Mensch hat sich sogar Organe geschaffen, die viele Individuen gemeinsam nutzen, wie beispielweise das Flugzeug als körperexterner Flügel usw. usw.
Für unsere Zwecke benötigt nicht jeder seine eigenen Flügel, vielleicht einige Manager.
Die technische Entwicklung ist also die Fortsetzung der genetischen Anstrengungen, Organe zu optimieren.
Genetische Forschung zur Verbesserung der Regenerationsfähigkeit menschlicher Körperorgane bzw. zu medizinischen Zwecken ist etwas anderes.

Auf der anderen Seite:
die derzeitigen „unmoralischen“ Handlungen der Menschen - nämlich die Kriege und die Vernichtung von Mitmenschen - sind Aktionen, die der Entwicklung der genetisch gespeicherten Handlungsprogramme dienen, sie regen einerseits die Nutzung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse zur Verbesserung der Waffentechnik an und dienen andererseits der Selektion.
Auch diese, nämlich die Staaten, die Soldaten, die Waffen und die Kriege, werden nicht mehr benötigt, weil ja unsere wissenschaftliche und technische Entwicklung die Verbesserung der Gene überflüssig gemacht hat.

Der Geist will die Natur nicht vereinnahmen, sondern er ist von der Natur geschaffen, sein Denken gehorcht den Regeln der Natur und sein Ziel ist lediglich seinen Trägern (nämlich den menschlichen Individuen) das Leben, nämlich das Überleben und das sich Entfalten (z.B. durch Genussoptimierung) zu erleichtern.

Der Missbrauch der wissenschaftlichen Ideen, die „unmoralischen“ Handlungen sind lediglich Folge des Einflusses unserer steinzeitlichen genetisch gespeicherten Handlungsprogramme.

Gruß
rudi


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von hel am 31. Aug. 2006, 13:24 Uhr
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Hallo miteinander,
Hallo Eberhard

Ich möchte meinen Vorwurf des Kategorienfehlers doch noch ein bisschen verteidigen. Eberhard schreibt:

Quote:Ich denke, der Einwand des "Kategorienfehlers" gegen die Verwendung der Wörter "richtig / falsch" für die Antworten auf moralische Fragen ist ausgeräumt, denn wie bereits gezeigt, sind moralische Urteile mit einem Anspruch auf Geltung verbunden.


Der Anspruch auf Geltung bedeutet noch nicht, dass ein solcher berechtigt ist. Wenn z.B. zwei Gourmets darüber streiten, ob ein bestimmtes Gericht gut gelungen ist, oder nicht, ist deren Diskussion nur dann sinnvoll, wenn sie sich auf gemeinsame Kriterien geeinigt haben, nach denen qualifiziert wird. Und selbst wenn sie untereinander Konsens gefunden haben ist natürlich ein universeller Geltungsanspruch ihres Geschmacksurteils nicht gefunden.

Bei der Frage Eberhards:

Quote:Wie lässt sich dieser allgemeine Geltungsanspruch durch intersubjektiv nachvollziehbare und übernehmbare, also einsichtige Argumente begründen?


möchte ich also noch offen lassen, ob ein solcher Geltungsanspruch durch Argumente überhaupt möglich ist.

Ich gehe mal auf Eberhards Beispiel ein:


Quote:In der Diskussion zur Formulierung eines allgemeinen Willens kann von jedem Diskussionsteilnehmer verlangt werden, dass er nur solche Normen vorschlägt, die allgemein akzeptabel sind. Wenn jemand also eine Norm als "richtig" behauptet, so muss er annehmen, dass die andern Beteiligten dieser Norm ebenfalls zustimmen können.

Deshalb muss er sich auch die Frage stellen lassen, ob er selber dieser Norm auch dann noch zustimmen würde, wenn er in der Position eines der anderen Beteiligten wäre.

Dazu ein Beispiel: Wenn jemand die Forschung an menschlichen Stammzellen verurteilt, so muss er zu diesem Verbot auch dann noch stehen, wenn er selber z. B. die Alzheimersche Krankheit bekäme. Ist er damit nicht einverstanden, so gibt er damit implizit das Ziel auf, nach allgemein konsensfähigen Normen zu suchen.


Mein Kritikpunkt (ich glaube Hanspeter ist auch schon darauf eingegangen) ist, dass die Forderung ihrerseits Wertmaßstäbe beinhaltet:
1.) Jedes Individuum ist gleich wertvoll, wie das andere.
2.) Ein Wertmaßstab kann nur dann richtig sein, wenn darüber theoretisch Konsens erzielt
kann.
Ein Alzheimer-Kranker kann aber argumentieren, dass er zu einer Gruppe Menschen gehört, die aus seiner Sicht wertvoller ist, als andere. Während im allgemeinen das Recht ungeborener Menschen als höher zu bewerten sei, als die Heilung gewöhnlicher Sterblicher, müsse für eine Gruppe X eine Ausnahme gemacht werden, und er gehöre dazu. Diese Gruppe zeichnet sich z.B. durch besonders hohe geisteswissenschaftliche Bildung aus – er könne Latein, Griechisch und Althebräisch. Dieses Wissen trägt seinen Wert in sich und es ist für ihn vollkommen evident, dass jemand mit dieser Bildung wertvoller sei, als andere. Ein Nutzen für die Allgemeinheit sei irrelevant. Angenommen, er kann diesen Bildungsgrad nachweisen, dann hört die Diskussion an diesem Punkt auf, sie ist bei einer Letztbegründung angelangt, die entweder akzeptiert werden kann, oder nicht.

Aus meiner Sicht ist dies das Kernproblem bei moralischen Fragestellungen. Wenn ich jemandem sage, er solle soundso handeln, kann er mich zurecht nach dem Warum fragen. Und jede meiner Antworten – denn sie entbehrt ja zwangsläufig des Rückgriffes auf irgendeine eine objektiv entscheidbare Tatsache – kann wiederum nach dem Warum hinterfragt werden, bis ich bei einer Letztbegründung angelangt bin. Diese kann aber ihrerseits entweder akzeptiert werden, oder nicht.

Beispiel:
A: Du sollst nicht stehlen!
B: Warum?
A: Es schädigt das Opfer!
B: Warum ist sein Schaden höher zu bewerten als mein Nutzen?
A: Es geht nicht darum, sondern du müsstest dann auch akzeptieren, dass man dich bestiehlt.
B: Warum?
....etc. ad infinitum oder bis zu einer Letztbegründung die sowohl A als auch B akzeptieren.

Ich halte deswegen jede Diskussion, in der man gewisse Handlungen als richtig oder falsch beurteilt nur dann für sinnvoll, wenn man sich über gewisse Grundwerte (Die ich als Axiome bezeichnet hatte) geeinigt hat und man die Spielregeln einhält, dass Handlungen, welche diese Grundwerte verletzen als falsch und diejenigen, die es nicht tun als richtig oder moralisch neutral bezeichnet. Die von Eberhard gesetzten Grundwerte können als Ausgangsbasis dienen. Man sollte sich nur darüber im klaren sein, dass sie zwar einen sehr weiten Rahmen bilden, aber keinen Anspruch auf Universalität haben.

Der Vorschlag von Eberhard:


Quote:Wir sollen das tun, was wir alle gemeinsam dauerhaft wollen."

Oder als methodisches Prinzip formuliert:

"Suche nach Normen, von denen alle gemeinsam am ehesten dauerhaft wollen können, dass sie von allen befolgt werden"



verabschiedet sich aus meiner Sicht ohnehin von einem Moralsystem, das universelle Gültigkeit beansprucht und sucht nach einem, das von allen Menschen akzeptiert werden kann.

Ich habe nur die Befürchtung, dass die Menge der von allen akzeptierbaren Regeln eine leere Menge sein wird. Der Hauptgrund dafür basiert auf der von Eberhard genannten Tatsache, dass die unterschiedlichen Moralregeln großteils auf unterschiedlichsten inkompatiblen Weltbildern beruhen, die als Glaubenssysteme gegen jede Kritik immunisiert sind.
Denn:

Quote:Für die Diskussion um die richtige Beantwortung moralischer Fragen heißt dies, dass nur solche deskriptiven Aussagen zählen können, über die ein intersubjektiver Konsens durch nachvollziehbare Argumente und übereinstimmende Beobachtungen herstellbar ist.


Diese Forderung ist sehr vernünftig, schließt aber die Unzahl Gläubiger – ich befürchte sogar, die Mehrheit aller Menschen – aus der Diskussion aus.

Jetzt aber ein positiver Beitrag für das Programm zur Suche nach einem konsensfähigen moralischen Regelsystem. Jeder Mensch will glücklich sein. Basisaxiome für moralisches Handeln könnten also sein:
A) „Der Mensch soll danach streben mit seinen Handlungen das größtmögliche Glück für eine größtmögliche Menge von Menschen zu fördern. Diejenige Handlung ist moralisch neutral, die das Glück der Menschen nicht tangiert. Handlungen, die das Glück der Menschen verringern, sind moralisch schlecht.“
B) (Eberhard implizit) „Jeder Mensch ist gleich wertvoll, sein Glück wiegt nicht mehr oder weniger
als das anderer“
C) (Eberhard explizit) „Intersubjektiv nicht überprüfbare Weltbilder können nicht berücksichtigt werden“. Beispiel: Das Verbrennen einer Hexe, um ihre Seele zu läutern und ihr die ewige Glückseligkeit zu verschaffen ist moralisch schlecht, solange die Existenz einer unsterblichen Seele, die dadurch im Himmel glücklich wird, nicht intersubjektiv nachweisbar ist.


Grüße,
hel


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von laertes am 31. Aug. 2006, 13:28 Uhr
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hallo zusammen,


"Jetzt aber ein positiver Beitrag für das Programm zur Suche nach einem konsensfähigen moralischen Regelsystem. Jeder Mensch will glücklich sein."



ist glück nicht das gegenteil von pech, also etwas kontingentes?


wenn nicht, was ist es dann?


viele grüsse

laertes


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von mondial am 31. Aug. 2006, 13:50 Uhr
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Hallo doc,

Zitat:
"Denn eine Verbesserung der menschlichen Gene wird für die allgemeine Evolution nicht benötigt."

Und:
"Der Geist will die Natur nicht vereinnahmen, sondern er ist von der Natur geschaffen, sein Denken gehorcht den Regeln der Natur ..."

Was, wenn nun das Programm Genmanipulation zur Verbesserung der Physis um den damit verquickten Geist in deinem Sinne effizienter zu gestalten von der Natur dem Geist zur Selbstverbesserung aufgegeben ist, zBsp. um "steinzeitliche Programme" auf Hardware-Ebene zu tilgen? (Das wäre ja in deinem Sinne konsequent gedacht.) Gerät deine Theorie dadurch nicht in Konflikt mit seinem 'moralischen' Anspruch.

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 31. Aug. 2006, 14:09 Uhr
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Hi, Eberhard,

Du: Deine im Telegrammstil gehaltenen Sätze

Ich bekenne mich halt zur Denk- und Schreibfaulheit - wie kann ich das, was ich dem Leser mitteilen will, mit einem Minimum an Worten und Mühen für ihn und mich rüberbringen?

Das ist die Gegenbewegung seit meiner Vorliebe zu meiner Abiturzeit, alles möglichst geschachtelt auszudrücken.

Macht Dir dieser knappe Stil Schwierigkeiten?

Zur Sache.
Du: ..richtig verstehe, dann kann man niemandem vertrauen außer sich selbst.

Manche Personen halten "Vertrauen" für eine Primärtugend. Da wird sogar gefordert "vertrauen sie mir".

Gleichzeitig erleben wir heute in der Wirtschaft tiefste Klüfte zwischen Mitarbeitern und ihrem Vorgesetzten. Also alles andere als Vertrauen, sondern Mißtrauen, Gegeneinander, Minderproduktivität, Verluste von Kapital und Arbeitsplätzen.

Die Phänoene rund um das, was wir Vertrauen nennen, lassen sich mit Prozessen leichter erklären, mit weniger Unbekannten, und nach Ockham ist diese Erklärung daher als eher wahr einzuschätzen.

[Betriebsart Scharfdenken on]

Die Bezeichnung "Vertrauen" ist eine nützliche, letztlich aber überflüssige Bezeichnung. Sie läßt sich als Nominalisierung verstehen von "ich fühle Vertrauen in meine Mutter".
Im Leben wird mit weniger Blessuren vorankommen, wer "Vertrauen" als "Berechenbarkeit" versteht.
Vorausgesetzt, er ist in sich eins, er ist innerlich weitgehend frei von Konflikten, insbesondere von Konflikten zwischen seiner Intuition (=nichtbegriffliches, sinnesnahes Denken) und seinem Intellekt (begriffliches, logisches Denken).

Als die Menschen in der Entwicklung der Menschheit noch nicht begrifflich reden und denken konnten, da mußten sie dennoch treffend entscheiden, vor wem sie sich besser verstecken und wem sie besser folgen.

Solche vorbegrifflichen Entscheidungen muß das Gehirn sich ja irgendwie selbst mitteilen, und das Gefühl "Vertrauen" scheint mir dazu geeignet.

Das Gefühl "Vertrauen" entsteht nicht zufällig. Auch nicht aufgrund begrifflicher, logischer Überlegungen. Sondern da muß ein Entscheitungsprozeß angeboren sein.
Dieser angeborene Entscheidungsprozeß muß simpel sein. Die Sinneserfahrungen, auf denen er beruht, müssen ebenfalls simpel sein, nämlich so simpel, wie die Gehirne unserer ältesten Urahnen winzig waren.

Zu diesen Merkmalen zähle ich:
* Körperbau und Gesichtsform. Knuddelteddys sind uns sympathischer als Wolfsfiguren mit gefletschten Zähnen oder lauerndem Blick. Anwendung: Bitte einen Notar, das Sinnbild für Vertrauen, sich leicht nach Mephistopheles schminken zu lassen. Miß dann, wieviele Erstkunden nach dem Erstgespräch seine Dienste in Anspruch nehmen und wievele lieber zum Kollegen gehen.
*der Nichtangriff. Wenn das Baby bemerkt, daß den starken Armen mit dem spezifischen Geruch keine Reißzähne folgen, dann wäre das schon erster Grund für Entspannung.
* Zeichen der Liebe und Fürsorge: Wenn es statt Reißzähnen Streicheln und Herzen erfährt, dannn ist das ein weiterer Grund, sich wohl zu fühlen.
* Harmonie der Personen. Wir erleben sie, wenn wir ein Kind in den Armen wiegen und es sich wiegen läßt. Später, wenn wir singen, und es singt mit. Wir erleben die Harmonie nicht, wenn wir es wiegen wollen und es zu strampeln beginnt. Wir können einem Duo im Biergarten auf Sichtweite ansehen, ob die sich eher verstehen oder eher nicht. An der Harmonie ihrer Bewegungen.
* Nahrungsopfer. Wer uns Nahrung wegnimmt, den empfinden wir sofort als Feind. Wer uns aber nährt, der tut uns wohl.
* Stimmigkeit, Widerspruchsfreiheit. Das, was die Person sagt, erscheint frei von Widersprüchen. Sie tut auch das, was sie gesagt hat.
* Verständnis der Absichten. Beim Notar wissen wir: Er will die Zukunft seines Einkommens und nicht in den Knast. Er ist vereidigt, Vertöße gegen seine Pflichten als Notar bringen ihn in den Knast. So teuer diese Verstöße gegen den Vorteil, den er gewinnen könnte, wenn er die Hypothek auf das falsche Grundstück ausstellt, so sorgfältig wird er sein.

Diese Zeichen empfinden wir durch angeborene Prozesse der Wahrnehmung und des Urteils, und das, was uns angeboren ist, hat unsere Menschheit sehr erfolgreich gemacht.

Gelegentlich müssen wir uns gegen besonders erfolgreiche Verkäufer und Demagogen wehren, die diese Zeichen des Vertrauens sehr geschickt vortäuschen.
Dann ist unser Intellekt gefragt, der das Auto der Drückerkolonne in der Nebenstraße in Verbindung bringt mit dem unschuldig aussehenden Aboverkäufer in der Tür.

Du: Ich kenne allerdings einige Menschen, denen ich meine gefüllte Brieftasche zur Aufbewahrung geben kann ohne vorher nachgezählt zu haben, wie viel drin ist. Das sind die Menschen, "für die man die Hand in's Feuer legen würde." Ich brauche solche Menschen, sonst könnte ich mit Ihnen nicht eng zusammenleben.

Das macht die Brisanz der Millionendollar-Frage aus. Der Milliardär auf dem Polterabend zur Braut eines anderen: "Wenn ihnen 1 Million biete, würden sie mir das Recht der ersten Nacht gewähren?"
Ziemlicher Schlag für den Bräutigam, nicht wahr?

Du: Aber wenn Du den weitsichtigen Egoismus als Alternative zum moralischen Handeln propagierst, dann geht es nicht um menschliche Schwächen, sondern dann lebe ich mit Menschen zusammen, für die ich nur solange tauge, wie ich Ihnen nützlich sein kann, die meine Interessen nur so lange berücksichtigen, wie es ihren Interessen entspricht.

Und das wäre klar noch zu wenig, dann würde der Staat Kosten sparen und Greisen ohne Verwandte einen seligen Tod spendieren und sie in der Abdeckerei entsorgen.

Meinen "weitsichtigen Egoismus" zeitlich nur auf das Ende der Transaktionen von Person A mit Person B zu beschränken ist zu noch kurz gedacht.

Die Weitsicht, die ich meine, die endet erst am eigenen Grabstein.
Ob mein zukünftiger Weg eine Autobahn ist oder ein Labyrinth mit Geröll, Dschungel, Schlingpflanzen, das programmiere ich heute schon mit meinem Verhalten, indem mein Verhalten die Saat ist, deren Ernte mein Ruf ist.
Die Qualität meines Rufes hängt von meinen weitreichenden Absichten ab, meiner Weitsicht und meiner Konsequenz.
Das Verhalten von Person A gegenüber Person B ist dann kein Einzelkalkül mehr, welches Du völlig zu Recht bemängelst, sondern ist Ausdruck meines persönlichen Stils.

Wenn wir in unserer Gemeinschaft bestehen wollen gegen konkurrierende Gemeinschaften, dann arbeiten wir besser produktiver zusammen.
Im Miteinander und bei gegenseitigem Vertrauen sind wir deutlich produktiver als ohne.

Gegenseitiges Vertrauen benötigt Stimmigkeit im Verhalten unserer Gemeinschaft, insbesondere auch dem Einzelnen gegenüber.
Und genau deshalb wird solch eine Gesellschaft ihre Senioren in Ehren halten.

[Betriebsart Normaldenken on]

Nu is doch etwas länger geworden, aber das lag nicht an Gelaber, sondern an der Menge der Aussagen.

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von doc_rudi am 31. Aug. 2006, 14:11 Uhr
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Hi mondial,
leider ist durch ein Missverständnis ein Nebendiskussionszweig über Vertrauen eröffnet worden. Dazu kann ich kurz sagen: Vertrauen haben wir nie in andere, sondern immer nur in unsere eigene Einschätzung dazu, wie ein anderer, in den wir angeblich Vertrauen haben, handeln wird. In das Brutpflegeverhalten können wir natürlich auch deshalb Vertrauen haben, weil das nun genetisch besonders festgelegt ist.

also mondial,
fürwahr, die Versuchung wäre groß, durch Genmanipulation aggressive Methoden der Datenverbreitung "wegzuoperieren", damit diese sich nicht genetisch weiterverbreiten. Das mit dem Ziel, zukünftige Kriege zu verhindern. Diese Absicht fände eine gute moralische Begründung.

Was kommt heraus, wenn man das theoretisch durchdenkt?

Erstens gäbe es technische Schwierigkeiten: diese Operation müsste bei allen Menschen durchgeführt werden, insbesondere natürlich bei denen konkurrierender Staaten. Auch aus Kostengründen käme das nicht in Betracht.
Viel praktischer und billiger wäre eine globale Einigung über die Geburtenrate.
Aber zum Anderen: Aggressivität ist ja nicht nur körperlicher Art, sondern auch geistiger Art: die Wissenschaftler handeln im Grunde sehr aggressiv, besonders die Quantenphysiker: sie zerstören möglichst gründlich das Atom und seine immer kleineren Bausteine. (den Schrott, den sie damit produzieren, erklären sie zu den kleinsten Bausteinen der Natur. So ein Schwachsinn)
Aber abgesehen von diesem Negativbeospiel:
Aggressivität als solche wird benötigt, z.B. als Konkurenz in Wissenschaft und Technik. Dieses Konkurrenzprinzip ist ja auch der Motor unseres geistigen Fortschritts.
Deshalb die sich ergebende ("ethische") Forderung: keine Genmanipulation zur "Verbesserung" des menschlichen Genoms.
Gruß
rudi


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 31. Aug. 2006, 17:00 Uhr
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Hallo Wolfgang,

ich gebe zu ich habe Probleme mit dem Telegrammstil a la;
"Kann: Ja. Muß: Nein. Zweifel sind also angebracht."

Was die Inhalte betrifft, bleibe ich auch nach Deinen längeren Ausführungen dabei, dass ich gegenüber einem "weitsichtigen Egoisten" auf der Hut sein sollte, auch wenn er seinen guten Ruf und seinen Stil bis zum Grabstein erhalten will.

Denn für bestimmte "günstige" Situationen kann ich im Voraus berechnen, dass der weitsichtige Egoist mein Wohl seinem Wohl opfern wird.

(Ich würde hier nicht sagen: "Ich vertraue darauf, dass er mein Wohl dem seinigen opfern wird." 'Vertrauen' beinhaltet im Unterschied zur 'Berechenbarkeit' ein wohlwollendes Verhältnis zu einander)

meint Eberhard.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 31. Aug. 2006, 17:57 Uhr
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Hi, Eberhard,

Du: ich gebe zu ich habe Probleme mit dem Telegrammstil a la;
"Kann: Ja. Muß: Nein. Zweifel sind also angebracht."
Welche Unklarheiten, wenn sich knapp sagen läßt, was sich auch weitschweifiger erzählen ließe.

Mit Schwierigkeiten meinte ich "Verständnisschwierigkeiten", also, ist etwas unklar geblieben?

Du: ...bleibe ich auch nach Deinen längeren Ausführungen dabei, dass ich gegenüber einem "weitsichtigen Egoisten" auf der Hut sein sollte

Natürlich. Nach dem Stande meiner Erkenntnisse ist das vernünftig. Für ein Vertrauen in Person A, das über deren Grabstein hinaus geht, müßte es einen Anlaß geben.

Solchen finden wir z.B. im Hochadel. Wo der Einzelne nicht allein in seinem Namen handelt, sondern im Namen seiner Familie, die noch viele Generationen lang erfolgreich sein will.
Oder wo sich der Einzelne der irrigen Hoffnung hingibt, nach seinem Tode warte ein Platz im Paradies auf ihn.

Du: 'Vertrauen' beinhaltet im Unterschied zur 'Berechenbarkeit' ein wohlwollendes Verhältnis zu einander)
Diese Färbung ist vorhanden, ganz klar.

Und nun: Hast Du einen besseren an junge Leute, wie sie einerseits flott voran kommen im Miteinander, und andererseits sich hüten vor "blindem Vertrauen" in ihren Ausbeuter?



@doc_rudi, jetzt noch zu Deiner Bemerkung Nebendiskussionszweig über Vertrauen eröffnet worden.
Der Begriff "Vertrauen" kam hinzu, ja.
Ich habe diesen Faden aufgenommen, weil die Entscheidung der Person A, moralisch und tugendhaft ein Opfer für ihre Gemeinschaft zu geben, auch von ihrem Vertrauen in die Gemeinschaft abhängt, daß auch sie sich tugendhaft verhalten werde, daß sie Person A fair beteiligt an ihren Vorteilen aus solchen Opfern.

Tugendhafte Opfer ohne Vertrauen sind Torheit.

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von mondial am 31. Aug. 2006, 19:09 Uhr
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Hallo doc,

Dr. Frankenstein hätte seine wahre Freude an solchen Visionen. Natürlich müsste die Veränderung nicht bei allen Menschen sondern nur bei Neugeburten stattfinden. Ansonsten scheint mir deine Argumentation hin zum ethischen Standpunkt schlüssig zu sein. Man könnte das noch ausspinnen aber das geht mir dann doch zu weit. Vielleicht ein Thema für einen Science-Fiction Thriller.





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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von mbl am 31. Aug. 2006, 20:10 Uhr
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Quote:Geberländer versprechen 730 Millionen Euro für Libanon

Erst jetzt wird das Ausmaß der Zerstörung im Libanon bekannt: 1800 Gebäude und Hunderte Straßen sind nach Angaben der EU während des Krieges zerstört worden. Eine Hilfskonferenz in Stockholm sagte großzügige Unterstützung zu. Spiegel



Seltsam. Erst wird alles willkürlich zerstört und dann "hilft" man. Warum die Zerstörung nicht gleich bleiben lassen?
Aber das ist eben Moral. Auf beiden Augen blind. (Falls Ihr immer noch nicht wisst, was Moral ist.) ;-)

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von mondial am 31. Aug. 2006, 20:28 Uhr
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laertes,

das "Regelsystem" ist ja bereits vorhanden. Wie du ganz richtig feststellst, will jeder Mensch glücklich sein. Verhält er sich so wie es das moralische Gesetz, welches als Harmoniegesetz verstanden werden kann von ihm fordert, so bereitet er sich den Weg zum glücklich sein. Es ist innere Pflicht, Selbstverpflichtung. Verhält er sich nicht danach, so bestraft er im Grunde sich selbst mit Disharmonie. Vergleichbar mit einem falsch gestimmten Instrument.

So und jetzt harre ich in aller Harmonie darauf, dass mir gleich der berufene louisquinze seinen Aggro um die Ohren schlägt.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von doc_rudi am 31. Aug. 2006, 21:02 Uhr
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Hi mondial,
schade, dass Du angst hast, in die Zukunft zu extrapolieren.
Wer sollte das sonst tun, als die Philosophen? [applause]
Willst Du das science-fiction Autoren überlassen? [nixweiss]
(die Prognosen von science fiction werden übrigens immer zutreffender, während Philosophie diesbezüglich völlig versagt)
@Wolfgang
wie schon gesagt: Vertrauen gibts nur in das eigene Denken, in die eigenen Überzeugungen, in die eigenen Vorstellungen, in die eigenen Vermutungen von dem, was der andere tun wird.
@mbl
geplant sind die Zerstörungen von Menschen, von Genträgern, von Vätern, die Kinder zeugen könnten, von Überzeugungen und Absichten. Erreicht wird nur das Gegenteil: die Verstärkung der Aggressivität. Das hat nichts mit Moral zu tun, sondern mit Dummheit und Schwäche.
Die Kollateralschäden an Häusern und Infrastruktur schaffen Arbeitsplätze. Hoffentlich bei uns.
Gruß
rudi

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von hel am 31. Aug. 2006, 21:15 Uhr
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Hallo Laertes

on 08/31/06 um 13:28:24, laertes wrote:hallo zusammen,

"Jetzt aber ein positiver Beitrag für das Programm zur Suche nach einem konsensfähigen moralischen Regelsystem. Jeder Mensch will glücklich sein."

ist glück nicht das gegenteil von pech, also etwas kontingentes?

wenn nicht, was ist es dann?


Ich meine nicht "Glück" das im Gegensatzpaar
Glück-Pech zum Ausdruck kommt, sondern
Glück als Gegenteil zum Unglück. Das, was Freude macht im Gegensatz zu Trauer.

Grüße,
hel


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 31. Aug. 2006, 21:23 Uhr
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Hi, doc_rudi,

Du: wie schon gesagt: Vertrauen gibts nur in das eigene Denken, in die eigenen Überzeugungen, in die eigenen Vorstellungen, in die eigenen Vermutungen von dem, was der andere tun wird.
Und nur, solange Du lebendes System mit Dir selbst einig bist.
Ein Dr. Jekyll muß mißtrauisch sein gegenüber seinem Dr. Hyde.

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von doc_rudi am 31. Aug. 2006, 21:28 Uhr
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hel, was soll das nun fürn moralisches Regelwerk sein, das jeden zum Glück führt?
Eine Anleitung zum Umgang mit Drogen?
@Wolfgang: umgekehrt auch. wer aus 2 Systemen besteht, hat natürlich Probleme und sollte die ungeschlechtliche Vermehrung durch Teilung bemühen. Dann können sich 2 Arten entwickeln.
Du bist doch doch das beste Beispiel dafür, dass es nur das Vertrauen in sich selbst gibt - oder vertraust Du irgend jemandem?
Abrazo vertraut natürlich seinem Hund mehr als jedem Menschen.
(übrigens: eigentlich gings um egozentrisch statt eurozentrisch)
Gruß
rudi


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Hanspeter am 31. Aug. 2006, 21:45 Uhr
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Hallo Mondial,

du schreibst: "Zum Punkt zwei. Gut das du und nicht ich das gesagt habe. Sonst wäre ich sicher wieder in die esoterische Ecke gedrängt worden."
Was hat die Durchsetzung des Rechts mit Esoterik zu tun?

Weiter schreibst du über das "Moralische Gesetz": "Das Gesetz ist in mir und nicht von aussen aufdoktriert. Es garantiert mir mich als freier Mensch meinen Möglichkeiten nach zu entfalten."

Wen dem so wäre, müssten alle Menschen das gleich moralische Gesetz in sich haben. Doch das ist offensichtlich nicht der Fall. Denn sie haben nachweislich nicht dieselbe Moral.

Gruß HP





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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von doc_rudi am 31. Aug. 2006, 21:52 Uhr
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haben alle Menschen eine Moral in sich?
woher käme die, Hanspeter?
Gruß
rudi

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von hel am 31. Aug. 2006, 22:25 Uhr
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Hallo doc

on 08/31/06 um 21:28:38, doc_rudi wrote:hel, was soll das nun fürn moralisches Regelwerk sein, das jeden zum Glück führt?
Eine Anleitung zum Umgang mit Drogen?



Ich persönlich glaube nicht, daß Drogen das einzige Mittel zum Glück darstellen. Aber, vorausgesetzt ein Staat sieht ein, daß er den Drogenkonsum nicht repressiv verhindern kann, ohne durch die Verletzung der Bürgerlichen Freiheitsrechte quasi auf der anderen Seite Unglück zu stiften, könnte es moralisch sein, ein staatliches Drogenmonopol zu errichten und Drogen sauber und günstig abzugeben. Dadurch können mafiöse Strukturen zerschlagen werden und die Drogensüchtigen können u.U. sozial angepaßt und glücklich leben.
Ziel: möglichst großes Glück einer größtmöglichen Anzahl von Individuen.
Der Rest ist purer Utilitarismus. Die Regeln ergeben sich aus der Erkenntnis, was zum Ziel führt.

Grüße,
hel


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von doc_rudi am 31. Aug. 2006, 22:35 Uhr
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natürlich sind Drogen nicht der einzige Weg zum Glück.
Aber was macht unser Staat?
Anstatt gleich Heroin zu verteilen und damit der Drogenmafia den Hahn abzudrehen, verteilen sie Mathadon über die Ärzte. Ein Mittel, das gar keine Glücksgefühle macht.
Aber soll Glücksgefühl tatsächlich im Interesse des Individuums sein? Liegt es nicht vielmehr im Interesse des Systems höherer Ordnung - um die Individuen ruhig zu stellen?
Galeerensklaven bekamen Heroin.
Gruß
rudi



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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Urs_meinte_Euch am 31. Aug. 2006, 23:14 Uhr
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Hallo Abrazo!


Quote:An 'andere zu denken' heißt noch lange nicht, die Dinge auch aus der Perspektive des anderen zu betrachten bzw. sich um eine solche zu bemühen. Kennzeichnend für den Egozentriker ist doch, dass er eine andere Perspektive als die seine entweder ausschließt oder als minderwertig und deswegen vernachlässigenswert betrachtet.



Nun, Wolfgang sprach vom "Gemeinwohl", und die Berücksichtigung dessen, was für alle gut ist oder sein könnte, ist doch unbestritten etwas anderes als
eine ich-zentrierte Ausblendung anderer als der eigenen Interessen. Ich sehe bei dem, der den Gesichtspunkt des Gmeinwohls berücksichtigt, jedenfalls einen Lernschritt, eine "Bewusstseinserweiterung". Es handelt sich dann nicht mehr um Egozentrik im strikten, asschließlichen Sinne. Und das ist doch unbedingt zu begrüßen - oder?

Umgekehrt ist doch zu fragen, ob das Interesse am eigenen Wohl nicht sogar eine völlig legitime Motivation ist, wenn sie die Einsicht anbahnt, dass das eigene Wohl mit dem Gemeinwohl verflochten ist. Eine völlige Preisgabe der eigenen Interessen - "Selbstlosigkeit" - kann wohl von niemandem vernünftigerweise verlangt werden.

Ich erinnere mich an eine Diskussion mit Eberhard, in der er das Gemeinwohl durch die Rückbindung an die Interessen der Gemeinschaftsmitglieder legitimierte. Und wenn Normen letztlich dadurch begründet sind, dass sie von allgemein akzeptablen Argumenten gestützt werden, so verweist auch das darauf, dass die subjektive Einsicht jedes Einzelnen nicht übergangen werden darf. Die angemessene Berücksichtigung individueller Interessen und persönlicher Akzeptanz bei allen Betroffenen ist eben das, was eine rational begründete Norm von einer rücksichtslos diktierten unterscheidet.


Nach meinem Verständnis ist in der Tat das Gemeinwohl nicht auf eine Summe von Einzelinteressen zurückzuführen - oder durch eine solche Rückführung zu legitimieren. Ich halte die Vorstellung für irrig, derzufolge Individuen und ihre ("atomistischen") Interessen die Legitimationsbasis für alle Arten von Restriktionen bilden, die das gemeinschaftliche Zusammenleben den Individen auferlegt. Dieser - in sich bereits rechtsförmige - Begründungstyp scheint mir nur für das Recht zu passen, nicht für die Moral.

Grüße,
Urs




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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von laertes am 31. Aug. 2006, 23:16 Uhr
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freude und glück würde ich nicht gleichsetzen.


freude ist innere aktivität, die nach aussen strahlt. kann grundlos sein.
ist stärker als realität.

glück ist von aussen eingelöste erwartungshaltung, also reaktion auf eigene vorstellungen. (drogen, strandferiengewinn, karrieredurchsetzung, erfüllter kinderwunsch, volles bankkonto, sexualleben nach wunsch, etc.)
all diese dinge garantieren aber noch keine freude.

wie will man also aus glück eine moral basteln?
und freude kann nicht vermoralisiert werden - viel zu beweglich.

viele grüsse

laertes

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 01. Sept. 2006, 08:11 Uhr
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Hallo allerseits,
Hallo Wolfgang

Du empfiehlst das Handeln gemäß einem weitsichtigen Eigeninteresse. Ist das die richtige Antwort auf die Frage: Wie sollen wir handeln?

Ich meine: "Nein". Der Egoismus – auch wenn er weitsichtig ist – kann keine richtigen Antworten auf die Frage geben: "Wie sollen wir handeln?"

Ein Beispiel: Ich bin mit einem alleinstehenden älteren Herrn ohne Anhang befreundet, dem ich manchmal behilflich bin und zu dessen Wohnung ich auch einen Schlüssel besitze. Er ist vermögend und hat mich in seinem Testament als Alleinerben eingesetzt. Als ich eines Tages in seine Wohnung komme, stelle ich fest, dass er verstorben ist. Ich ziehe die Schublade von seinem Schreibtisch auf, da fällt mir ein handgeschriebenes Testament neueren Datums in die Hände, in dem nur die eine Hälfte des Vermögens an mich gehen soll und die andere Hälfte an Greenpeace.

Wie soll ich in dieser Situation handeln? Ich erinnere mich an das, was bei PhilTalk empfohlen wurde. Da keinerlei Entdeckung zu befürchten ist, folge ich meinem Eigeninteresse und verbrenne das Testament.

War es richtig, was ich getan habe? Muss ich keinerlei Schuldgefühle haben deswegen?

fragt Dich Eberhard.





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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 01. Sept. 2006, 09:19 Uhr
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Hallo Hel,

vorweg meine Anerkennung für Deinen Beitrag und die darin vorgetragenen Kritik an meiner Position. Ich denke, wenn wir in dieser Art verfahren, sind Erkenntnisfortschritte möglich.

Aber zur Sache:

Kategorienfehler

Macht man einen Kategorienfehler, wenn man nach "richtigen" Antworten auf moralische Fragen sucht?

Ich meine nein, denn moralische Urteile werden mit dem Anspruch auf Geltung verbunden und dieser Anspruch kann argumentativ begründet und bestritten werden (A: "Das hättest Du nicht tun dürfen!" B: "Aber warum denn nicht?" ….) Es macht Sinn zu fragen: Wer hat recht? Wessen Urteil ist richtig?

Der Vergleich mit den Feinschmeckern hinkt. Wenn sich zwei Feinschmecker streiten und A sagt: "Der Heringssalat schmeckt gut" und B sagt: "Nein, falsch! Der Heringssalat schmeckt nicht gut", so ist das so etwas wie ein Kategorienfehler, weil die Geschmäcker verschieden sein können und weil das, was dem einem gut schmeckt, dem andern noch lange nicht gut schmecken muss. Genauer müssten sie deshalb sagen: "Das schmeckt mir gut." Dann kann A sagen: "Das schmeckt mir gut" und B kann sagen: "Das schmeckt mir nicht gut", wobei beide recht haben können.

Dies ist jedoch bei moralischen Fragen nicht so, und darin unterscheiden sie sich von Geschmacksfragen. Es ist immer ein Widerspruch wenn A sagt: "Das hättest du nicht tun dürfen!" und B sagt: "Aber sicherlich durfte ich das tun". Hier kann nur einer recht haben, und das heißt: Hier geht es um so etwas wie 'Richtigkeit'.

Setze ich implizit die Gleichwertigkeit von Menschen als normative Prämisse voraus?

Das tue ich nicht. Allerdings kommt durch das Ziel, zu einem allgemeinen Konsens zu gelangen, insofern eine gewisse Gleichstellung der Individuen ins Spiel, als es egal ist, wer es ist, der nicht zustimmt, wenn der Konsens verfehlt wird. Der Konsens wird genauso verfehlt, wenn A nicht zustimmen kann wie wenn B nicht zustimmen kann. Die Einbeziehung aller Individuen in dieser Weise wird durch den Anspruch der allgemeinen Geltung notwendig ("allgemein" <> "alle gemeinsam").

Es ist durch den Ansatz übrigens keineswegs ausgeschlossen, dass jemand meint, die Erhaltung seines Lebens sei wichtiger als die Erhaltung des Lebens anderer Personen. Er wird allerdings Schwierigkeiten haben, diese Position einsichtig zu begründen und auf argumentative Wege eine Zustimmung aller anderen zu erreichen. Für mich sind Situationen denkbar, in denen das Leben von Menschen einen unterschiedlichen Wert hat. So ist bei einer gefährlichen Expedition durch den Dschungel das Leben des einzigen Ortskundigen besonders wertvoll, weil von seinem Überleben das Überleben aller anderen abhängt.

Benötigt man gemeinsame Grundwerte, die nicht weiter begründet werden können?

Im Alltagsleben werden Meinungsverschiedenheiten über moralische Fragen sicherlich meist in der Weise beigelegt, dass man versucht, gemeinsame Prämissen zu finden, von denen her sich ein gemeinsames Urteil ableiten lässt.

Allerdings ist ein solcher Zustand nicht sehr befriedigend, weil möglicherweise keine gemeinsamen Grundwerte gefunden werden können.

Das Kriterium, das ich vorgeschlagen habe und das ich der Kürze halber als "argumentative Konsensfähigkeit" moralischer Urteile bezeichnen will, ist jedoch kein willkürlich bestimmter Grundwert.

Das Kriterium der "argumentativen Konsensfähigkeit" ist von besonderer Art. Wenn jemand die Frage stellt: "Warum soll ich denn meine Position nachvollziehbar begründen?" dann verlangt er damit eine derartige nachvollziehbare Begründung.

Seine Frage nimmt das bereits in Anspruch, was in der Frage noch offen zu sein scheint.

Er verlangt Gründe für die Widerlegung seiner These, dass man keine Gründe verlangen darf.

(Ich gebe zu, diese "transzendentale", "reflexive" Art zu denken ist gewöhnungsbedürftig und führt leicht zur Verwirrung.)

Hier ist ein Endpunkt der Warum?-Fragen erreicht, ohne dass man die logische Deduktion willkürlich abgebrochen hat. Dies ist insofern eine "Letztbegründung", als es für die Notwendigkeit von Begründungen selber keiner Begründung mehr bedarf. Denn wer das bestreitet, kann dies wiederum nur mit Begründungen tun: Bestreiten als Element einer Diskussion ist immer an Gründe gebunden.

Damit ist allerdings keineswegs ausgeschlossen, dass jemand auf das Ganze pfeift und ohne jede Begründung handelt. Das kann man machen, aber damit hat man sich selber jede Möglichkeit der Argumentation und der Kritik genommen.

Grüße an Dich und an alle, denen es um Klarheit der Gedanken und der Argumente geht von
Eberhard.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 01. Sept. 2006, 09:52 Uhr
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Hallo Urs,

willkommen in den ungeschützten Gefilden von PhilTalk, wo Diskussionen, die auf großes Interesse stoßen, immer in der Gefahr sind, zu andern Zwecken benutzt zu werden. Aber Dein Name "Urs" bürgt für produktive Sebstdisziplin im Umgang mit frei zugänglichen Foren wie diesem.

Du schreibst kritisch zu meiner Position, dass es Dir "überzogen (scheint), die Geltung von Normen 'rein rational' begründen zu wollen".

Wie kann den Geltungsanspruch von Normen anders begründen (im Sinne von 'rechtfertigen') als rational? fragt Dich

Eberhard.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 01. Sept. 2006, 09:57 Uhr
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Hi, Eberhard,

Du: Wie sollen wir handeln?... Testament

In der Sache hast Du Deine Entscheidung ja schon getroffen und GreanPeace hat sich auch gefreut.

Meine Antwort Deine Frage, die Du stellvertretend für so viele in der Menschheitsgeschichte stellst, "Wie sollen wir handeln?": Für mündige Fragesteller ist die Frage an sich eine falsche Frage.

Ich könnt' auch sagen: Ein Denkfehler. Und zwar dieser: Wenn Du Dir bewußt bist, daß Du mündig bist, also selbst verantwortlich für Deine Entscheidungen, dann kommt Dir die Frage "wie soll ich handeln?" an eine andere Person gar nicht erst in den Sinn.

Deshalb stimme ich vorbehaltlos zu mit: "Nein". Der Egoismus – auch wenn er weitsichtig ist – kann keine richtigen Antworten auf die Frage geben: "Wie sollen wir handeln?"

Und ergänze: Nichts und niemand kann das. Kein Buch kann das. Keine Lehre. Keine Ideologie. Kein Mensch.

Auch die Goldene Regel nicht, weil viel zu pauschal. Auch nicht das "Liebe Deinen Nächsten wie auch Dich selbst", denn in Notwehr muß man den Bösen umbringen können, oder das Böse siegt.

Wer sich die Frage "wie soll ich handeln mit dem Testament?" selbst stellt, den kann man allerdings unterstützen mit Modellen (wie z.B. Landkarten für den Routenplaner) und Prozessen (beispielsweise erfordert die Reiseplanung bestimmte Denkprozesse wie "zielorientiertes Denken".

Bisher gab es solche Hilfestellung aus der theologisch geprägten Tradition. Als Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor dem Kreuz gemeinsam das Knie beugten und sich damit zu den kirchlichen Lebensregeln bekannten, da waren die hervorragend geeignet, das Volk zu einigen.

Diese Regeln haben ihre Legitimation verloren, sind deswegen aber nicht falsch geworden, sondern das Gebot "Liebe deinen Nächsten wie auch dich selbst" hat zwar die göttliche Legitimation verloren, wird bei sachlicher Betrachtung aber zum persönlichen Erfolgsfaktor.

Wir brauchen heute etwas, das für die Menschen von heute geeignet ist, für mündige Personen, die auch sehr kritisch sind.

Da arbeite ich an einem naturwissenschaftlichen Modell vom menschlichen Verhalten. Das hat einen kleinen. aber überaus mächtigen Teil, der angeboren ist und allgemeingültig für homo sapiens, und einen großen, aber schwachten Teil der Phantasie und des Individuellen. (Jeder hat seine eigene Vorstellung von seinem Lieblingsessen. Das ist das Individuelle. Aber kein gesunder auf der Welt trinkt konzentrierte Schwefelsäure gern - all unser Geschmack bevorzugt das Nahrhafte, das ist das allgemeingültige.)

Mein Gedanke mit dem weitblickenden Egoismus ist mit diesem Modell entstanden. Wer weiter denkt, denkt deswegen noch nicht absolut richtig, aber besser.

Deswegen halte ich mein Modell und den Appell
Mensch! Strebe allein die Realisierung Deiner persönlichen Wünsche an! Meide alle Mühen, die Du dafür für unnötig hältst! Aber entscheide nicht fahrlässig, sondern mit Weitblick nach vorn, zu den Seiten und nach hinten. Und Du wirst erkennen: Deine Ziele erreichst Du im Miteinander leichter!
für den derzeit besten Appell für mündige Individuen.

Aber ich gern bereit, das mit ähnlichen, konkurrierenden Appellen zu vergleichen, welcher als Leitlinie ein Individuums in seiner Gemeinschaft erfolgreicher werden lasse.

Also, Eberhard, Fazit: Die Fragestellung an sich ist falsch. Nicht kann sie beantworten. Aber meine Antwort ist die beste. Ätsch:-)

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 01. Sept. 2006, 10:36 Uhr
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Hallo Wolgang,

das verblüfft mich nun etwas, wenn Du schreibst, dass die Fragestellung ("Wie sollen wir handeln?") an sich falsch ist und von nichts und niemand beantwortet werden kann. In der Konsequenz müsstest Du damit ja auf Sätze wie "Das hättest Du nicht tun sollen!" verzichten.
Ich weiß nicht, wie ernst Du genommen werden möchtest, wenn Du in einer Zeile schreibst; "Die Fragestellung an sich ist falsch" und "Aber meine Antwort ist die beste."

Aber Du wirst schon wissen, auf welche Frage Deine Antwort antwortet, meint

Eberhard.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von mondial am 01. Sept. 2006, 10:44 Uhr
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on 08/31/06 um 21:45:59, Hanspeter wrote:Hallo Mondial,

du schreibst: "Zum Punkt zwei. Gut das du und nicht ich das gesagt habe. Sonst wäre ich sicher wieder in die esoterische Ecke gedrängt worden."
Was hat die Durchsetzung des Rechts mit Esoterik zu tun?

Weiter schreibst du über das "Moralische Gesetz": "Das Gesetz ist in mir und nicht von aussen aufdoktriert. Es garantiert mir mich als freier Mensch meinen Möglichkeiten nach zu entfalten."

Wen dem so wäre, müssten alle Menschen das gleich moralische Gesetz in sich haben. Doch das ist offensichtlich nicht der Fall. Denn sie haben nachweislich nicht dieselbe Moral.



@Hanspeter

ein bisschen Vorstellungskraft brauchts schon in der Philosophie. ;-)
Denk mal an eine Schöpfungsinstanz ungeachtet dessen als was oder wo du sie verorten willst.

Ja HP, alle Menschen haben das gleiche moralische bzw. harmonische Gesetz in sich, aber weder sind sich dessen alle Menschen bewusst noch befolgen es alle (bewusst/unbewusst). Es enthält nach dem überaus konstruktiven Entwurf von Lüscher (Psychologe mit starkem philosophischen Background) vier Säulen: Selbstachtung, innere Freiheit, Zufriedenheit, Selbstvertrauen. Dieses Harmoniegesetz in dem ich das moralische Gesetz ausgekleidet wieder erkenne ist so zutreffend das ich mir eigene weitere Überlegungen dazu sparen kann. Ich kann gerne einen Buchtipp im "Buchthread" hinterlassen.

Bevor jetzt der Hammer der Anti-Psychologie Vertreter auf mich niedersaust, schicke ich schon mal voraus das es sich nicht um eine von Freud geprägte Psycholgie handelt. Dringende Bitte erst lesen, dann kritisieren.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Urs_meinte_Euch am 01. Sept. 2006, 11:29 Uhr
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Hallo Eberhard!


Quote:Wie kann den Geltungsanspruch von Normen anders begründen (im Sinne von 'rechtfertigen') als rational?



Das weiß ich auch nicht, weil "Begründung" und "Rechtfertigung" die "Rationalität" sozusagen analytisch einschließen. Eine "irrationale Rechtfertigung" wäre ein hölzernes Eisen.

Meine Kritik richtet sich auch nicht gegen eine rationale Begründung von Normen schlechthin, sondern gegen die "Reinheit" (im Sinne von Ausschließlichkeit) Deines Begründungsmodells. Deine Argumentation ist, so weit ich sie verstehe, in sich schlüssig. Aber ihr Ergebnis befriedigt mich intuitiv mit Regelmäßigkeit nicht, und wenn ich nach Gründen für dieses Missbehagen suche, stoße ich immer auf Deine Voraussetzungen und ihr Verhältnis zur sozialen Wirklichkeit, das in meinen Augen ein Miss-Verhältnis ist.

Um es mit einem Bild vorläufig anzudeuten: Wenn wir alle Engel wären, wäre die Begründung von Normen durch ihre "argumentative Konsensfähigkeit" völlig angemessen. Keiner von uns würde auf "Dogmen" verweisen, sondern alle würden nur konsensfähige Argumente vorbringen und jeder würde ihre Konsensfähigkeit unmittelbar einsehen und daher auch faktisch sofort zustimmen können. Nur: Wenn wir Engel wären, hätten wir keine Begründungsdiskurse nötig, weil wir nämlich gar keine Konflikte hätten. Schon gar nicht über Normen - denn brauchen Engel überhaupt Normen? Offenbar nicht, weil ihnen die zweifelnde Frage: "Wie soll ich handeln?" niemals in den Sinn käme. (Ich lasse mal die "gefallenen Engel" außen vor. :-) )

Das Missverhältnis, das ich in Deinem Modell sehe, besteht also zwischen der reinen Rationalität der Begründung und der Faktizität unserer menschlichen Beschränktheit, die die Quelle aller Konflikte sein dürfte. Ich ziele damit auf die Voraussetzungen Deines Modells, also die faktischen "Bedingungen seiner Möglichkeit", die mir in der Schlüssigkeit seiner Argumentationsfolge in Vergessenheit zu geraten scheinen. Was nützt am Ende ein schlüssiges Modell, wenn es nur unvollkommen zu praktizieren ist und wenn seine Anwendung, die den "Dogmatismus der Faktizität" bekämpfen soll, womöglich nur eine andere Art von Dogmatismus hervorbringt (einen, der dann "vernünftig begründet" heißen darf)? Bleibt dann nicht am Ende nur die Hoffnung, dass wir durch konsequent praktizierte Vernunft auf die Dauer vielleicht ein bisschen engelähnlicher werden?
:-)


Das ist jetzt alles sehr "allgemein" gesagt, aber im Moment kann ich nicht ins Detail gehen. Kommt schon noch.

Grüß Dich,
Urs




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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von mondial am 01. Sept. 2006, 11:52 Uhr
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Hallo doc,

Deinem "Vertrauensvotum" kann ich nur beipflichten. Die Enttäuschung bei gegebenem Anlass überkommt schliesslich nicht den anderen sondern uns. Der andere ist seiner Empathie überlassen. Es ist im eigentlichen die Enttäuschung über die Fehlerhaftigkeit unserer Einschätzung. Vertrauen (geben) hat einen funktionellen Charakter. Die darunter liegenden Schichten (Zweck, Absicht) mögen variieren.

Es ist nicht Angst, die mich davon abhält in die Zukunft zu extrapolieren. Ich bin aber der Überzeugung das die Zukunft eine Ein-Bild-ung in die Gegenwart bedeutet, die sich notwendig aus dem Nach-denken über die Vergangenheit speist. Ich bin kein Wahrsager, auch wenn die Versuchung zugegeben manchmal gross ist.

Was liesse sich dazu noch sagen?


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 01. Sept. 2006, 13:25 Uhr
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Hi, Eberhard,

Du: das verblüfft mich nun etwas, wenn Du schreibst, dass die Fragestellung ("Wie sollen wir handeln?") an sich falsch ist...und "Aber meine Antwort ist die beste."

Dann lies noch mal und schärfer die Formulierung: "Denke weit...und du wirst erkennen..."

Ich gebe eben keine Anleitung zum Handeln als direkte Antwort auf die Frage "soll ich das Testament ernst nehmen oder verbrennen?", sondern eine Anleitung zum "richtigeren Denken", damit der Klient sich seine Anleitung zum Handeln selber ausdenken kann.

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 01. Sept. 2006, 14:00 Uhr
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Ich denke, dass Deine Theorie abscheulich ist.
Welche Anleitung hast Du dafür?

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von doc_rudi am 01. Sept. 2006, 14:06 Uhr
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Hi Mondial,
ich bin auch kein Wahrsager, kenne jedoch die Regeln, nach denen Menschen handeln. Deshalb kann ich sagen, dass die Menschheit in Zukunft schrumpfen wird.
Ein Grund dafür ist die Größenzunahme der Individuen, die man bei den Individuen in den wirtschaftlich entwickelten Ländern schon jetzt beobachten kann, und die sich in anderen Ländern fortsetzen wird. Wie man sieht, ist aufgrund dieser Größenzunahme die Geburtenrate beispielsweise in den westeuropäischen Ländern bereits rückläufig.
Gruß
rudi


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von mondial am 01. Sept. 2006, 16:59 Uhr
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Hi doc,

Prognosen sind immer von verschiedenen Parametern abhängig. Sie sind damit beschränkt gültig.

Ich kann z.Bsp. folgende Vorhersage treffen:
WENN es mit Funkdichte und Intensität ungebremst so weitergeht wie es sich bisher abgezeichnet hat,
DANN wird in ca. 20 Jahren die elektronische Abschirmung beim Bau von Häusern eine Normalität sein.
Diese Aussage bezieht sich auf einen aktuellen Trend. Ändert sich dieser, so wird die Aussage hinfällig.
Ob sich dieser ändert, hängt wiederum davon ab, wie abhängig sich die Gesellschaft von den positiven Effekten der rundum-jederzeit-Verfügbarkeit abhängig macht. Oder allenfalls sich die Politik dazu gezwungen sieht der Wirtschaft einen Riegel vorzuschieben, weil die Kosten für die Behandlung von Dauerbestrahlungsschäden, den Nutzen der solche Dauerberieselung beinhaltet überwiegt.

Was nun genau eintreten wird, vermag ich nicht zu sagen. Es ist eine Trendanalyse. (Hier als Beispiel ohne exakte Zahlen, sprich ohne Gewähr.)

(Ja, wir driften vom Thema ab...)


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von doc_rudi am 01. Sept. 2006, 17:14 Uhr
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meine Prognose ist nicht von Parametern abhängig. Die derzeitigen Parameter würden zu einer gegenteiligen Prognose führen, wie Du weißt (mit dem Bevölkerungswachstum der Erde beschäftigen sich - mit gegenteiligem Ergebnis - viele kluge Leute. Die haben keider alle "vergessen", zunächst einmal eine Definition des Menschen zu geben. Deshalb kommen sie zu falschen Ergebnissen.
Eberhard fragte übrigens nach Prognosen, die sich aus meiner Philosophie ergeben.

Vielleicht kann er die Diskussion mal wieder auf einen Nenner bringen

Gruß
rudi

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 01. Sept. 2006, 19:19 Uhr
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Vielleicht könnt Ihr selber die Kurve zum Thema wieder kriegen oder Eure Diskussion in der Runde zu den lebenden Systemen weiterführen.

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 01. Sept. 2006, 19:33 Uhr
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Hi, Abrazo,

Du: ...dass Deine Theorie abscheulich ist...

Wertung entgegen genommen.

Hast Du etwas besseres? Hast Du eine bessere und allgemeinverständliche Anleitung zum besseren Handeln, und wie sieht die aus?

Du: Welche Anleitung hast Du dafür?

Natürlich keine. Dein Geschmack ist Dein Geschmack.
Darüber zu diskutieren bringt nix.

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 01. Sept. 2006, 19:50 Uhr
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Hallo allerseits,

hallo Wolfgang,

wenn aus Deinen Überlegungen nichts zur Beantwortung der Frage folgt, wie man in bestimmten Situationen handeln soll ("Soll man Testamente, die zum eigenen Nachteil sind, unauffällig verschwinden lassen?"), dann nehme ich das zur Kenntnis.

Wenn Du allerdings meinst, dass mündige Menschen sich die Frage, wie man handeln soll, nicht stellen, dann bist Du im Irrtum. Es gibt soziale Regeln. Gerade das ist ein Zeichen der Mündigkeit, dass man wagt, diese Regeln in Frage zu stellen und zu fragen: "Welche Gründe gibt es für oder gegen diese Regeln?" Und es ist ein Zeichen von Mündigkeit, dass jeder Regeln für die es keine ihm einsichtigen Gründe gibt, als Dogmen kennzeichnet und kritisiert. (Das bedeutet übrigens nicht, dass man sich an diese Regeln nicht hält. Es gibt Regeln, die verbindlich sind, obwohl sie inhaltlich falsch sind.)

Wenn man fragt: "Wie soll man in dieser bestimmten Situation handeln?" dann wendet man sich nicht an eine Autorität, die einem sagt, was richtig ist, sondern man fragt nach Argumenten, um ein eigenes Urteil in dieser Sache abzugeben.

So machen das auch die modernen Menschen von heute. Meint

Eberhard.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von hel am 01. Sept. 2006, 20:24 Uhr
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Hallo Eberhard,
es ist schon schrecklich mit Dir. Du zwingst einen richtig zum Nachdenken :-(

Ich konzentriere mich auf den m. E. zentralen Hauptpunkt:

Benötigt man gemeinsame Grundwerte, die nicht weiter begründet werden können?

Denn wenn Du in diesem Punkt schon recht hast, dann kann ich den Anspruch auf Kategorienfehler ohnedies nicht aufrechterhalten. Meine Argumentation geht ja dahin, dass der Anspruch auf „richtig / falsch“ bei moralischen Urteilen solange ein Kategorienfehler ist, als sich die Argumente der Beteiligten nicht auf gemeinsame (aber nicht mehr weiter begründbare) Grundwerte beziehen lassen, die als Maßstab für die Richtigkeit der jeweiligen Argumente dienen.

Du verwirfst aber deutlich diesen Ansatz:


Quote:Im Alltagsleben werden Meinungsverschiedenheiten über moralische Fragen sicherlich meist in der Weise beigelegt, dass man versucht, gemeinsame Prämissen zu finden, von denen her sich ein gemeinsames Urteil ableiten lässt.

Allerdings ist ein solcher Zustand nicht sehr befriedigend, weil möglicherweise keine gemeinsamen Grundwerte gefunden werden können.



und setzt folgendes dagegen:


Quote:Das Kriterium, das ich vorgeschlagen habe und das ich der Kürze halber als "argumentative Konsensfähigkeit" moralischer Urteile bezeichnen will, ist jedoch kein willkürlich bestimmter Grundwert.

Das Kriterium der "argumentativen Konsensfähigkeit" ist von besonderer Art. Wenn jemand die Frage stellt: "Warum soll ich denn meine Position nachvollziehbar begründen?" dann verlangt er damit eine derartige nachvollziehbare Begründung.



Die Forderung „Du sollst Deine Position nachvollziehbar begründen?“ bedeutet, dass, wenn ich Dich recht verstanden habe, jede moralische Wertung einer Handlung (als richtig oder falsch) einem Gesprächspartner rational begründet werden können muß.

Wie kann so ein Begründungsschema aussehen?

Setzen wir voraus, dass sowohl A und B dasselbe intersubjektiv nachvollziehbare Weltbild teilen und die Faktenlage zwischen den beiden geklärt ist. Ihr Wissensstand diesbezüglich ist identisch.

A: Du sollst X tun.
B: Warum?

Wonach fragt dieses Warum? Irgendein objektiver Sachverhalt kann es nicht sein, denn erstens gibt ein solcher keine Antwort auf Werturteile und zweitens haben A und B den gleichen Wissensstand. Die Frage kann nur bedeuten, dass B die moralische Geltung der Handlung an sich nicht akzeptiert und nachfragt, welchen eigentlichen moralischen Zweck diese Handlung erfüllt.

A: Wenn Du X tust, erzielst Du E(rgebnis) X und es ist moralisch richtig EX anzustreben anstatt EY, was das Ergebnis wäre, wenn Du X nicht tust.

Aber auch hier ist es möglich, dass B die Evidenz, dass „ EX besser EY“ nicht nachvollziehen kann und nach dem moralischen Zweck von EX oder der Vermeidung von EY fragt.
B: Warum ist „EX besser EY“?
A: Weil EX zu EX2 führt, was man anstreben soll, während EY EY2 impliziert, was moralisch verwerflich ist.

und so weiter, bis ein moralischer Zweck auf irgendeiner Ebene der Begründungskette des A vom Gesprächspartner B akzeptiert wird. Angenommen A und B stimmen bezüglich EX2 überein. Was ist das aber, worüber sie übereinstimmen? Der Zweck einer moralischen Handlung, der aber, egal auf welcher Ebene der Begründungen, selbst nur eine moralische Forderung sein kann (EX2 ist anzustreben). Und eine solche muß nach Deiner Forderung „argumentativen Konsensfähigkeit“ auch als gemeinsame Position von A und B ihrerseits weiter begründbar sein. Das ergibt also für jede beliebige moralische Position die Forderung einer unendlichen Kette von Begründungen. (Zirkelbegründungen sind natürlich verboten!).

Dein Kriterium der „argumentativen Konsensfähigkeit“ verlangt also, dass nur solche moralischen Forderungen das Prädikat richtig (oder falsch) erhalten können, die eine infinite Kette von Begründungen aufweisen.
Genügen dir aber die Begründungen, die einer bestimmten endlichen Anzahl von Begründungsschritten möglichst großen Konsens erzielen, hast Du nur diesen Konsens, aber nicht die „Richtigkeit“ einer moralischen Begründung bewiesen.

Meine These aber ist, dass alle moralischen Forderungen nach ein paar Begründungsebenen irgendwann nicht weiter begründbar sind sondern demjenigen, der sie vertritt als „vollkommen evident“, oder „universell gültig“ erscheinen. „Jeder Mensch bei klarem Verstand muß sie vertreten“. Oder: „Mein Gewissen sagt es mir so.“

Als Beispiel nehme ich eine Variante deines Testament-Beispiels (interessant, dass wir unabhängig voneinander auf eine sehr ähnliche Problemstellung gestoßen sind (beim Spenden-Empfänger hatte ich allerdings an den WWF gedacht).

Angenommen der alleinstehende ältere Herr ohne Anhang gibt einem Familienvater P vor einer dringenden Operation sein Barvermögen mit dem Auftrag, er möge es, falls er den Eingriff nicht überlebt an den WWF spenden. Der Rest seiner Angelegenheiten sei schon geregelt. Leider überlebt er die Operation nicht.
P erzählt die Geschichte seiner Frau F und will sich aufmachen, die Spende einzuzahlen.
Dabei entspinnt sich aber folgender Dialog.
F: Tu das nicht. Wer weiß schon, was der WWF mit dem Geld anfängt. Aber genau mit dieser Summe könnten wir unserem Kind das heiß ersehnte Auslandsstudium finanzieren. Wir würden unser Kind zum glücklichsten Menschen der Erde machen.
P: Das ist absolut nicht möglich. Mein Freund hat mir bedingungslos vertraut. Es wäre ein Verrat an ihm.
F: Aber er ist tot. Wir beide wissen, dass wir ihn nicht mehr glücklich oder unglücklich machen können. Er hat sein Leben gehabt und kann sich weder über Deinen Verrat kränken noch sich über die Spende freuen. Aber unser Kind kannst Du glücklich machen damit.
P: Und der Schaden, den wir WWF zufügen?
F: Was ist dir wichtiger: der WWF oder unser Kind?
P: Gut – unser Kind. Aber darum geht es nicht. Ich fühle mich meinem Freund noch immer verpflichtet.
F: Aber das ist doch irrational! Du sagst doch selbst, dass dich der Schaden am WWF, den der sowieso nicht einmal merken würde, für dich nicht relevant ist. Aber das Glück Deines Kindes ist dir weniger Wert als die Verpflichtung jemandem gegenüber, dem es jetzt nichts mehr bedeutet.
P: Ich würde unserem Kind die Möglichkeit ja auch gerne bieten, und ich kann dich verstehen. Aber der Verzicht auf das Auslandsstudium ist unserem Kind zuzumuten. Er kann schließlich auch hier studieren. In diesem Fall empfinde ich die Verpflichtung gegenüber meinem Freund stärker.
F: Es ist doch ganz klar, dass hier der vernünftige Wunsch, unserem Kind zu nützen, einem sentimentalen Bedürfnis, das niemandem nützt, gegenüber steht!
P: Ich gebe zu, dass die Verpflichtung meinem Freund gegenüber nicht rational zu rechtfertigen ist.
Ich fühle sie einfach. Es wäre wie ein Verrat an ihm. Aber wie ist es mit Deinem Wunsch, unserem Kind das Auslandsstudium zu ermöglichen. Du willst es glücklich machen! Ist dieses Bedürfnis rational zu rechtfertigen? Ich behaupte, dass auch der Wunsch, unserem Kind zu nützen nicht rational zu rechtfertigen ist. Was ist, wenn wir diesen Wunsch eben nicht so stark empfinden würden sondern uns mit dem Geld lieber selbst etwas Gutes damit tun? Wäre das dann irrational?

Meine Standpunkt: Ich gebe P recht. Beide Dialogpartner sind an einem Punkt angekommen, wo unterschiedliche Verpflichtungen und Werte – die Freundespflicht und die Mutterliebe – einander gegenüber stehen, ohne dass sie durch rationale Begründungen gerechtfertigt werden können. Die beiden fühlen eben so. Eberhard, kannst Du den Dialog rein rational zu einem Ende führen, das den Zwist klärt? Oder, wie es Dein „argumentatives Konsensprinzip“ eigentlich verlangt, ad infinitum weiterspinnen?

Wenn nicht, dann stehen einander zwei Empfindungen gegenüber, die beide berechtigt sind und weder P noch F sagen dürfen, dass die eine Handlung falsch oder richtig sei.

Grüße,
hel


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 01. Sept. 2006, 22:00 Uhr
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Ich gebe zu, dass die Verpflichtung meinem Freund gegenüber nicht rational zu rechtfertigen ist.

Doch. Das Geld wurde ihm treuhänderisch übergeben und ist nicht sein Eigentum.

In diesem Falle greift § 246 StGB:


Unterschlagung

(1) Wer eine fremde bewegliche Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zueignet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.

(2) Ist in den Fällen des Absatzes 1 die Sache dem Täter anvertraut, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.

(3) Der Versuch ist strafbar.


Für die liebreiche Gattin greift § 26 StGB:


Anstiftung

Als Anstifter wird gleich einem Täter bestraft, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat.

Und da es sich um eine größere Geldsumme handeln müsste, würde ich nicht darauf bauen, dass das nicht auffällt, denn nicht zu Unrecht sind die meisten Menschen der Ansicht, dass Geld nicht auf Straßenbäumen wächst.

Die moralische Frage entpuppt sich also als eine schlichte und eindeutige Rechtsfrage, für die letztlich nicht das Gewissen zuständig ist, sondern der Richter im Landgericht.

Ich schlage vor, wir lassen solche Beispiele. Die sind nämlich längst geklärt.

Philosophie ist Grundlagenwissenschaft. In ihren Bereich gehört nicht die Kritik an einzelnen Strafrechtsnormen (oder will man Philosophen ein neues StGB schreiben, also quasi das Rad neu erfinden lassen?), sondern die Frage, warum es überhaupt solche Normen gibt, und zwar schon seit so langer Zeit und in so vielen unterschiedlichen Kulturen, dass man einen gewissen Konsens darüber durchaus annehmen kann.

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von hel am 01. Sept. 2006, 23:30 Uhr
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on 09/01/06 um 22:00:35, Abrazo wrote:Ich gebe zu, dass die Verpflichtung meinem Freund gegenüber nicht rational zu rechtfertigen ist.

Doch. Das Geld wurde ihm treuhänderisch übergeben und ist nicht sein Eigentum.

In diesem Falle greift § 246 StGB:
......
Die moralische Frage entpuppt sich also als eine schlichte und eindeutige Rechtsfrage, für die letztlich nicht das Gewissen zuständig ist, sondern der Richter im Landgericht.

Ich schlage vor, wir lassen solche Beispiele. Die sind nämlich längst geklärt.


Ich sehe überhaupt keine Relevanz, ob solche Fragen rechtlich geregelt sind oder nicht. Geltendes Recht und die Moral der Individuen sind zwei paar Schuhe. Schön, wenn Recht und Moral harmonieren, unangenehm wenn nicht. Dann wäre nämlich das jeweilige Individuum, dessen moralisches Empfinden mit geltendem Recht kollidiert, moralisch verpflichtet, dagegen zu verstoßen. Ein sehr gutes Beispiel sind z.B. einige Gesetze des nicht ganz so 1000jährigen Reiches.

Quote:Philosophie ist Grundlagenwissenschaft. In ihren Bereich gehört nicht die Kritik an einzelnen Strafrechtsnormen (oder will man Philosophen ein neues StGB schreiben, also quasi das Rad neu erfinden lassen?), sondern die Frage, warum es überhaupt solche Normen gibt, und zwar schon seit so langer Zeit und in so vielen unterschiedlichen Kulturen, dass man einen gewissen Konsens darüber durchaus annehmen kann.


Mein Deinerseits vom Strafrechtsparagraphen verfolgtes Beispiel dient lediglich der Verdeutlichung, dass ein moralischer Konsens nicht so ohneweiteres herstellbar ist. Kann sein, daß es ein schlechtes Beispiel ist. Kann aber auch sein, daß Du einfach keine Lust hast, Dich mit meinen Argumenten abzugeben.

Grüße,
hel



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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 02. Sept. 2006, 01:29 Uhr
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Hi, Eberhard,

Du: Wenn Du allerdings meinst, dass mündige Menschen sich die Frage, wie man handeln soll, nicht stellen, dann bist Du im Irrtum. Es gibt soziale Regeln.

"In Fragen des sozial und ethisch korrekten Verhaltens wenden sie sich entweder an ihre Eltern, ihren Klassenlehrer, ihren Priester, ihren Ethikprofessor oder ihren Psychotherapeuten. Aber befragen sie nie mehr als eine Person."
"In Fragen des nach den Gesetzen korrekten Verhaltens befragen sie ihren Rechtsanwalt."
"In Fragen des sozial korrekten Verhaltens fragen sie entweder ihren CDU-Politiker, ihren SPD-Politiker....WASG, aber niemals mehr als einen."

Soziale Regeln gibt es nur dann, wenn sie allgemein anerkannt sind, das heißt, wenn niemand im Brustton der Überzeugung das Gegenteil behauptet.
Das ist selbst bei Gesetzen so schwer, wie sich die Richter in dem Gesetzesdschungel tun.

Natürlich wird sich eine mündige Person anpassen wollen - so weit, wie sie es für vorteilhaft hält.

Du: Gerade das ist ein Zeichen der Mündigkeit, dass man wagt, diese Regeln in Frage zu stellen....als Dogmen kennzeichnet und kritisiert.
Volle Zustimmung.

Du: (Das bedeutet übrigens nicht, dass man sich an diese Regeln nicht hält. Es gibt Regeln, die verbindlich sind, obwohl sie inhaltlich falsch sind.)

Das ist keine Frage der Mündigkeit. Sondern der Loyalität gegenüber der Gemeinschaft.

Du: Wenn man fragt: "Wie soll man in dieser bestimmten Situation handeln?" dann wendet man sich nicht an eine Autorität, die einem sagt, was richtig ist, sondern man fragt nach Argumenten, um ein eigenes Urteil in dieser Sache abzugeben.
Volle Zustimmung, wenn diese Argumente keine getarnten Gängelbänder sind wie Regeln nach dem Motto "man soll...."

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Urs_meinte_Euch am 02. Sept. 2006, 04:09 Uhr
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Hallo hel!


Quote:Meine Argumentation geht ja dahin, dass der Anspruch auf „richtig / falsch“ bei moralischen Urteilen solange ein Kategorienfehler ist, als sich die Argumente der Beteiligten nicht auf gemeinsame (aber nicht mehr weiter begründbare) Grundwerte beziehen lassen, die als Maßstab für die Richtigkeit der jeweiligen Argumente dienen.



Ich stimme Dir im Wesentlichen zu: Eine Diskussion über die Begründung von Normen kann nur erfolgreich sein - und kann überhaupt nur geführt werden -, wenn die Beteiligten sich (faktisch) schon über Werte, Normen, Lebensformen einig sind, die in der Diskussion nicht in Frage stehen.

Aber anders als Du betrachte ich solche "Grundwerte" nicht als "Axiome". Axiome sind theoretische, also bewusste, reflektierte "Setzungen". Das, was die Beteiligten an einem Begründungsdiskurs teilen, ist weit mehr als das. Es sind vor allem gemeinsame "Lebensformen". So müssen sie sich - scheinbar ganz simpel - ja verstehen, also eine gemeinsame Sprache mit gemeinsamen Regeln haben. Und eine Sprache ist immer eingebettet in praktische Zusammenhänge, ohne die sie sich gar nicht verstehen ließe.

Begründungsdiskurse, in denen einzelne Normen diskutiert werden, lassen sich nur führen vor dem Hintergrund vieler "gelebter" Gemeinsamkeiten, die ihrerseits nicht Thema der Diskussion sein können. So kann man ja auch einzelne fragliche Wörter nur erklären, wenn man die Sprache im großen und ganzen beherrscht. Man kann die gemeinsame Sprache nicht von einem Standpunkt der Sprachlosigkeit aus konstruieren. Analog gilt das auch für Handlungsnormen. Man hat immer schon eine (gemeinsame) Moral, bevor man moralische Normen bezweifeln und diskutieren kann.

Aber dieser grundlegende normative Konsens verdankt sich nicht einer reflektierten Begründung, er ist auch nicht in reflexiver Einstellung "gesetzt" und dürfte sich auch kaum vollständig reflexiv durchschauen lassen. Das macht ihn aber nicht per se "irrational" oder "dogmatisch" in dem Sinne, wie Eberhard dieses Wort gebraucht: "Dogmatisch" ist es für ihn, wenn jemand innerhalb einer Diskussion auf ein kontingentes Faktum verweist und dies als Begründung einführt. Der gemeinte grundlegende Konsens kann in diesem Sinne nicht "dogmatisch" sein, weil er präreflexiv besteht und zustande gekommen ist.


Das Hauptproblem von Eberhards Normenbegründung durch "konsensfähige Argumente" liegt m.E. darin, dass dieses Begründngsmodell von (faktischen) Voraussetzungen abhängt, die es selbst nicht einholen kann. Oder anders gesagt: Die vernünftige Argumentation kann nicht ihre eigene Konsensfähigkeit erzeugen. Sie bedarf eines schon bestehenden Konsenses, den sie selbst nicht geschaffen hat.

Eberhard möchte die faktischen Voraussetzungen (und Hindernisse wie z.B. faktische Ungleichheit) für den rationalen Diskurs gerne als "Randbedingungen" behandeln, die nicht zum rationalen "Kern" gehören. So steht auch der faktische Konsens, der aus einer Diskussion hervorgehen mag, bei ihm immer unter einem theoretischen Vorbehalt; nicht der faktische Konsens zählt, sondern die Konsensfähigkeit seiner Begründung und des Begründungsverfahrens. Aber irgendwo muss der Scheck der Konsensfähigkeit durch einen faktischen Konsens gedeckt sein, denn er muss ja im faktischen, gemeinsamen, normenkonfomren Handeln eingelöst werden. Erst da zeigt sich, was eine vernünftige Begründung wert ist.


Das sei für den Augenblick erst mal genug.

Grüß Dich,
Urs




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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 02. Sept. 2006, 11:48 Uhr
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Hi, Urs,

danke erst mal für Dein Fußnotenzitat, ich googele gerade nach weiteren Arbeiten von ihm.

Dein Text ist schwer verständlich. Was die Veständlichkeit erschwert, das sind Ausdrücke wie:
"Es sind vor allem gemeinsame "Lebensformen"" - Was genau bezeichnest Du damit?
"er ist auch nicht in reflexiver Einstellung "gesetzt"" - Was bezeichnest Du damit?
"Kontingentes Faktum" - was heißt das denn? (Wikipedia: Ein Kontingent ist eine im vorhinein zugeteilte Menge, aus der sich Teile einzeln entnehmen lassen.) Wie läßt sich das auf ein Faktum anwenden?
"Der gemeinte grundlegende Konsens kann in diesem Sinne nicht "dogmatisch" sein, weil er präreflexiv besteht und zustande gekommen ist." Wie ist das zu verstehen? Irgendeine Person wird das, was sie für den "grundlegende Konsens" hält, als "Gebot X" oder so formulieren, und wenn sie Gebot X nicht vernünftig legitimieren kann, aber trotzdem durchsetzen will, muß sie "Gebot X" zum Dogma erklären und Scheiterhaufen aufschütten zur Disziplinierung der Ketzer. Nach der Formulierung des "grundlegende Konsens" wird zeigt das Echo, ob er eine Selbsttäuschung war.
"Kern" - Welchen Kern meinst Du, was unterscheidet den Inhalt vom Kern vom Rest?

Kannst Du das ganze auch einfacher ausdrücken?
So kann ich damit nix anfangen, kann Deine Thesen weder bestätigen noch widerlegen.

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 02. Sept. 2006, 12:33 Uhr
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Hallo allerseits,

hallo Wolfgang,

Regeln nach dem Motto "Man soll…" sind dann keine getarnten Gängelbänder, wenn man eingesehen hat, dass es vernünftigen Gründe für diese Regeln gibt.

Hallo hel,

versuchen wir, die Positionen zu klären.

Du bist der Ansicht, dass sich eine moralische Regel wiederum nur durch Ableitung aus einer anderen moralischen Regel begründen lässt. Deshalb kommst du zu dem Schluss, dass ich mit dem Kriterium des "argumentativen Konsens" praktisch eine unendliche Kette von Begründungen verlange.

Das sehe ich anders. Wenn ich eine moralische Norm daraufhin untersuche, ob sie von allen gemeinsam gewollt werden kann, dann wende ich nicht nur moralische Normen an sondern zusätzlich methodologische Normen. (Unter "Methodologie" verstehe ich die Regeln der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung.)

Ein Vergleich mit der Methodologie der Erfahrungswissenschaften kann dies verdeutlichen. Wenn ich einen positiven (= das Gegebene betreffenden), empirischen Satz, wie z. B. "Ein Quader Granit ist schwerer als ein gleich großer Quader Marmor", begründen will, dann tue ich dies nicht allein dadurch, dass ich den zu begründenden Satz aus anderen positiven Sätzen logisch ableite. Die Begründung erfolgt zusätzlich durch meine Wahrnehmungen ("Ich sehe, dass die Waage auf der Seite nach unten geht, wo der Quader aus Granit liegt").

Die methodologische Regel, die hier zur Anwendung kommt lautet: "Leite aus der zu begründenden Aussage eine Prognose ab und prüfe, ob die Prognose mit deiner Wahrnehmung übereinstimmt." Dies ist selber kein positiver Satz sondern eine methodologische Regel. Es kommt deshalb hier auch nicht zu einem unendlichen Regress.

In ähnlicher Weise verhält es sich bei normativen Sätzen. Die methodologische Regel "Prüfe die behauptete Norm daraufhin, ob ihr alle Individuen gemeinsam zustimmen könnten " erfordert keinen unendlichen Regress. Ein konkretes Beispiel hierfür habe ich bereits gegeben, indem ich zu zeigen versucht habe, dass der Egoismus eines Individuums nicht allgemein konsensfähig sein kann.

Hier mache ich erstmal eine Pause, damit die Brocken nicht zu groß werden, die man zu zerbeißen und zu verdauen hat.

Grüße an alle, die sich über ungestörte Diskussionen unter gleich Interessierten freuen von

Eberhard.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 02. Sept. 2006, 14:07 Uhr
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Hi,

super, Urs. Das war überfällig, dass einer unsere Diskussion auf das solide Fundament bestehender philosophischer Erkenntnisse stellt. Spart die Klärung längst geklärten Beiwerks.

Diese Argumentation, Wolfgang, findest Du bei Ludwig Wittgenstein, z.B. in den Philosophischen Untersuchungen. Mit dem würde ich mich an Deiner Stelle nicht anlegen, ohne ihn gelesen zu haben.

dient lediglich der Verdeutlichung, dass ein moralischer Konsens nicht so ohneweiteres herstellbar ist.

Das ist auch nicht nötig, Hel, siehe Urs. Der besteht nämlich längst (siehe auch meine Äußerungen im Thread "Vertrauen"). Denn auf diesen Konsens vertrauen wir, auch wenn einige ihn nicht einhalten.

Woher dieses Vertrauen und auf was vertraut wird, das ist eine Frage der Ethik. Denn es ist eine Frage nach dem, was ist, und nicht danach, wie es sein soll.

Damit werden Eberhards Bemühungen nicht nutzlos, im Gegenteil. Sie bekommen dadurch erst 'Fleisch'. Denn wenn wir das Fundament freigelegt haben, auf dem Moral aufbaut, können wir uns der Forderung widmen, dass die praktischen moralischen 'Vorschriften' sich von diesem Fundament logisch abzuleiten haben. Eine klare, einsichtige Struktur erscheint mir nämlich die Voraussetzung eines Konsenses zu sein.

Dir, Hel, liefere ich ein anderes Beispiel, das mir gerade wieder über den Weg gelaufen ist. Das ist nämlich nicht rechtlich geregelt:

In unserem Haus wohnt eine immer noch attraktive über siebzigjährige Witwe, die seit anderthalb Jahren, also seit ihr Mann gestorben ist, ihr Leben entspannt genießt.
Dazu hat sie auch allen Grund, denn ihr Mann saß über 10 Jahre lang im Rollstuhl, baute geistig immer mehr ab und war die letzten zweieinhalb Jahre seines Lebens gar nicht mehr vernünftig ansprechbar. Sie pflegte ihn.

Der Mann, den sie wohl liebte, war er also schon lange nicht mehr, was ihr klar war. Sie hat nicht übermäßig getrauert, als er verstorben war, war im Grunde erleichtert, und doch hätte sie nie anders gehandelt, als - ihre Pflicht zu tun. Sie sagte, ihn wegzugeben und ein eigenes Leben zu führen (was man natürlich, trotz Hilfe, nicht kann, wenn man einen pflegt, der mangels Verstand unberechenbar ist und dauernder Aufsicht bedarf) sei ihr niemals in den Sinn gekommen. So etwas tue 'man' nicht, jedenfalls nicht in ihren Kreisen. Natürlich konnte sie, bodenständig und gut gebildet, dennoch nicht den Grund präzise angeben. Ich denke, es trifft diesen Grund, wenn ich sage, in ihren Augen wäre es unmoralisch gewesen.

Die Frage, warum soll man moralisch handeln, stellte sich ihr nicht. Sie handelte so, fertig. Was findest Du als Letztbegründung beim Überdenken der Möglichkeit, den Mann in ein Heim zu geben? Vernunft? Weitreichenden Egoismus?
Ich erkenne nur das ethische Nein.

Gruß

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 02. Sept. 2006, 15:54 Uhr
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Hi, Eberhard,

Du: Regeln nach dem Motto "Man soll…" sind dann keine getarnten Gängelbänder, wenn man eingesehen hat, dass es vernünftigen Gründe für diese Regeln gibt.

Wozu dann das Wort "soll"? Dann wäre "du darfst" besser.

Gerade die Wahl des Wortes "soll" ist das kennzeichnende Merkmal für eine Anleitung zum Handeln, welche die Zielgruppe nicht freiwillig ausführen würde. Deswegen ist der Begriff "Gängelband" eher treffend als falsch.

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 02. Sept. 2006, 16:01 Uhr
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Hallo hel,

ich setze die Auseinadersetzung mit Deiner Kritik fort.

Du demonstrierst Deine Position anhand eines Beispiels ("Soll man ein Versprechen gegenüber einem Verstorbenen einhalten?")

Abrazo ist mit dem Beispiel nicht einverstanden, weil hier – so wie in meinem Beispiel ("Darf man ein unvorteilhaftes Testament vernichten?") die moralische Frage sich als Rechtsfrage entpuppe.

Ich gebe Abrazo insofern recht, als sich die moralische Situation ändert, wenn eine einschlägige Rechtsnorm existiert. Dann stellt sich wohl als erstes die (moralische) Frage: "Soll ich die Rechtsnorm befolgen?" und die Situation wird sehr viel komplexer.

Andererseits kann man das Beispiel trotzdem diskutieren und die rechtliche Regelung ausklammern.

Mir ist aufgefallen, dass die Frau eigentlich keine moralische Argumente vorträgt, wenn Sie vorschlägt, das Geld des verstorbenen Freundes für die Ausbildung ihres Sohnes zu verwenden. Sie argumentiert damit, dass das Geld dem Sohne nützt und das müsse dem Vater doch wichtiger sein als die Einhaltung eines Versprechens oder die Unterstützung des World Wildlife Fonds.

Ich sehe nicht, wie diese Argumente eine allgemeine Anerkennung finden könnten. Ich sehe Millionen von Leuten, die eine bessere Verwendung für das fremde Geld hätten, als es dem Sohn von Frau X für dessen Ausbildung zu geben.

Auch der Mann argumentiert eigentlich nur schwach moralisch, wenn sein Hauptargument das vernünftig nicht zu rechtfertigende Gefühl der Verpflichtung gegenüber dem verstorbenen Freund ist. Wenn man Versprechen halten soll, dann ist er doch verpflichtet, das Geld nach dem Willen des Eigentümers zu verwenden und wie versprochen weiter zu geben. Wie will er hier für eine Ausnahme plädieren?

Ich kann also auch in Deinem Beispiel nicht die Problematik des infiniten Regresses erkennen und sehe keine unlösbaren Widersprüche.

Es grüßt Dich Eberhard.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Urs_meinte_Euch am 02. Sept. 2006, 17:56 Uhr
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Hallo Wolfgang!


Quote:ein Text ist schwer verständlich. Was die Veständlichkeit erschwert, das sind Ausdrücke wie:
"Es sind vor allem gemeinsame "Lebensformen"" - Was genau bezeichnest Du damit?



Als Lebensformen bezeichne ich faktische Handlungsschemata von unterschiedlicher Komplexität. Das morgendliche Kaffeekochen ist ebenso eine Lebensform wie eine arbeitsteilig organisierte Institution. Auch ein eingebürgerter Sprachgebrauch kann eine "Lebensform" genannt werden. Handlungsschemata sind nicht ohne weiteres durch empirische Sätze zu beschreiben, sie enthalten wegen ihrer Zweckstruktur auch normative Momente. So kann etwa das Handlungsschema des Kaffeekochens durch eine Gebrauchsanweisung beschrieben werden, die angibt, welche Teilhandlungen in welcher Reihenfolge auszuführen sind, damit das Handlungsziel nicht verfehlt wird. Handlungen, die für einen ahnungslosen Beobachter dem Kaffeekochen zwar sehr ähneln mögen, die aber keinen brauchbaren Kaffee hervorbringen, kann man eben nicht "Kaffeekochen" nennen.



Quote:"er ist auch nicht in reflexiver Einstellung "gesetzt"" - Was bezeichnest Du damit?



Eine Handlung vollziehen ist nicht dasselbe wie über sie sprechen, sie beschreiben oder analysieren. Oben habe ich nicht Kaffee gekocht, sondern in "reflexiver Einstellung" über das Kaffeekochen gesprochen. Es diente dabei nur als Beispiel für ein Handlungsschema.

Wenn es nun um Normen, Zwecke oder "Werte" geht, so nenne ich sie "gesetzt", wenn sie in der Reflexion erkannt und als "gültig" erklärt werden. Solange man über Normen oder Zwecke nur nachdenkt/diskutiert, hat man sie noch nicht "in Geltung gesetzt" oder "beschlossen".

Zweifellos besteht die Möglichkeit, zweckmäßige Handlungen zu vollziehen, über deren Zwecke man sich nicht im klaren ist. So wird einem auch erst in einer ernstlich lebensgefährlichen Situation bewusst, wie sehr man "am Leben hängt"; man hat eben sehr deutlich den "Kampf" in sich erfahren. Für Schüler ist es Alltag, Fertigkeiten lernen zu müssen, ohne eine klare Vorstellung davon zu haben, wofür sie eigentlich gut sein sollen. Und es gibt sehr viele Dinge in unserem Leben, die wir "einfach so" tun, ohne je einen Gedanken an ihren Nutzen verschwendet zu haben. Solche Handlungen müssen keineswegs nutzlos oder irrational sein; nur spielt die explizite Formulierung des Nutzens oder der Zweckmäßigkeit keine Rolle für uns.



Quote:"Kontingentes Faktum" - was heißt das denn? (Wikipedia: Ein Kontingent ist eine im vorhinein zugeteilte Menge, aus der sich Teile einzeln entnehmen lassen.) Wie läßt sich das auf ein Faktum anwenden?



Kontingenz ist ein alter philosophischer Terminus, der das "So-oder-anders-sein-können" einer Aussage oder eines Sachverhalts bezeichnet. "Kontingent" ist eine Aussage, wenn sie entweder wahr oder falsch sein kann. "Notwendig" wird sie genannt, wenn sie entweder nur wahr oder nur falsch sein kann.

Fakten ("bestehende Sachverhalte") sind eigentlich immer kontingent. - Eine Gesetzesaussage, die Variable enthält, ist ihrer "Form" nach "notwendig"; d.h. sie gilt z.B. für alle x oder y. Solange aber die Variablen nicht durch Werte ersetzt werden, handelt es sich nicht um eine empirische Aussage. Die - kontingenten! - Werte, die x oder y nun annehmen kann, machen aus der Formel erst einen Erfahrungssatz.



Quote:"Der gemeinte grundlegende Konsens kann in diesem Sinne nicht "dogmatisch" sein, weil er präreflexiv besteht und zustande gekommen ist." Wie ist das zu verstehen? Irgendeine Person wird das, was sie für den "grundlegende Konsens" hält, als "Gebot X" oder so formulieren, und wenn sie Gebot X nicht vernünftig legitimieren kann, aber trotzdem durchsetzen will, muß sie "Gebot X" zum Dogma erklären und Scheiterhaufen aufschütten zur Disziplinierung der Ketzer. Nach der Formulierung des "grundlegende Konsens" wird zeigt das Echo, ob er eine Selbsttäuschung war.



Nach meiner Erläuterung der "reflexiven Einstellung" und der "Setzung" oben müsstest Du das Gemeinte verstehen können. "Dogmatisch" - so hatte ich Eberhards Wortgebrauch erläutert - sei der Hinweis auf ein Faktum als Argument in einem Begründungsdiskurs. Beispiel: "Sex vor der Ehe ist unmoralisch, weil der Papst ihn verboten hat." Es wäre aber denkbar, dass in einer Gesellschaft seit eh und je Sex vor der Ehe verpönt ist, ohne dass jemand die Frage beantworten könnte, wieso eigentlich. Es wäre dann einfach ein zwanglos "gelebter" Konsens, der nicht in Frage gestellt und explizit begründet wurde und wird. So einen Konsens kann man m.E. nicht "dogmatisch" nennen.


Grüß Dich,
Urs





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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 02. Sept. 2006, 20:05 Uhr
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Hi, Urs

Du: Als Lebensformen bezeichne ich faktische Handlungsschemata von unterschiedlicher Komplexität...arbeitsteilig organisierte Institution....0eingebürgerter Sprachgebrauch kann eine "Lebensform" genannt werden.

Habe ich Dich dann richtig begriffen, wenn ich dies so beschreibe: "Das Paar hat eine morgendliche Routine entwickelt, zu deren Beschreibung sich die Regel formulieren ließe: 'Wer zuerst in die Senkrechte kommt, der schmeißt die Espresso-Maschine für zwei Tassen an.'"

Du: Handlungsschemata sind nicht ohne weiteres durch empirische Sätze zu beschreiben

Wenn ich das Beispiel "Schachspiel" denke, dann kommen sogar Supercokputer ins Schwitzen.

Du: sie enthalten wegen ihrer Zweckstruktur auch normative Momente

Was bezeichnest Du hier wieder mit "normatives Element"?
Normieren muß ich doch nur, was man sinnvoll auch anders machen könnte. Beispielsweise kann man auf den Straßen Linksverkehr oder Rechtsverkehr einführen, beides geht gut, es darf nur keine Geisterfahrer geben. Das muß ich normieren.

Daß ich für den Espresso erst Kaffeebohnen einfüllen muß, bevor ich starte, ergibt sich aus den sachlichen Notwendigkeiten aber so zwingend, daß ich gerade das nicht normieren muß.

Du: Eine Handlung vollziehen ist nicht dasselbe wie über sie sprechen, sie beschreiben oder analysieren.

In welche Diskussionsrunde mußt Du das betonen?

Du: Wenn es nun um Normen, Zwecke oder "Werte" geht, so nenne ich sie "gesetzt", wenn sie in der Reflexion erkannt und als "gültig" erklärt werden.

Ist die Reflektion dazu aus Deiner Sicht notwendig? Wer in eine Firma eintritt, der lernt sehr schnell, sich zu benehmen, manches wird ihm gesagt, Vieles lernt er durch Nachahmung.

Du: Für Schüler ist es Alltag, Fertigkeiten lernen zu müssen, ohne eine klare Vorstellung davon zu haben, wofür sie eigentlich gut sein sollen.

Halte ich für einen Mangel des Pädagogen.

Du: "Kontigent" ist eine Aussage, wenn sie entweder wahr oder falsch sein kann.

Dann reg mal die Aufnahme in phillex an, und wenn Du solche seltenen Begriffe hier einführst, dann definiere sie bitte gleich.

Du: Eine Gesetztesaussage, die Variable enthält, ist ihrer "Form" nach "notwendig"; d.h. sie gilt z.B. für alle x oder y.

Welche Art von x oder y bezeichnest Du hier?

Nee, ich brech ab.

Ich kann das Wertvolle in Deinem Text nicht sehen, daß es die Mühe wett machen würde, ihn verstehen zu wollen.

Wir regen mit Moral über etwas, das sich im Verhalten unserer Urahnen schon gefunden haben muß, als deren Schädel noch zu winzig waren für kluge Gedanken.
Denn auch eine Affenhorde muß zusammen halten, sie muß sich auf gemeinsame Verhaltensweisen einigen, notfalls, indem der Affenhäuptling droht oder das Alphaweibchem ihm die kalte Schulter zeigt.

Die Vorgänge dabei können nicht so kompliziert sein, wie Deine Beschreibung schildert.

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 02. Sept. 2006, 20:39 Uhr
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Hallo allerseits,

hallo Urs,

was Du über grundlegende Voraussetzungen vernünftiger Argumentation sagst, kann ich über weite Strecken akzeptieren, mit dem Vorbehalt, dass du Deine angedeuteten Bezüge konkretisierst. Ohne Zweifel: Wir brauchen eine gemeinsame Sprache einschließlich ihrer grammatischen Regeln, wir brauchen funktionierende Gehirne und Sinnesorgane, wir brauchen Zeit zum Argumentieren und Nachdenken, wir brauchen ein Vorverständnis des Problems, um das es geht, wir brauchen die Fähigkeit zum Verstehen der Argumente, wir brauchen eine gewisse Mündigkeit, damit man sich überhaupt an eine derartige Frage heranwagt usw. usw.

Diese Voraussetzungen werden nicht durch rationale, intersubjektiv nachvollziehbare Argumente geschaffen. Das habe ich jedoch auch gar nicht behauptet: Mir geht es ja um die Geltung moralischer Normen nicht um die Genesis dieser Normen. Dein Motto ist ja die Theorie, die der gelungenen Praxis folgt, sie aber nicht schafft.

Es gab schon eine Marktwirtschaft und Optimierungsprozesse, bevor die Theorie der Marktwirtschaft formuliert wurde. Und es gab schon Echolote in der Natur, bevor die zugrunde liegende Technik erforscht war.

Probleme bekomme ich allerdings, wenn Du die notwendigen Voraussetzungen für vernünftiges Denken und Argumentieren als "grundlegenden normativen Konsens" bezeichnest, "der sich auch kaum vollständig reflexiv durchschauen lassen" dürfte.
Kann man angeben, was der Inhalt dieses Konsens ist? Wenn ja, dann sollte man das tun, wenn nein, sollte man nicht von "Konsens" sprechen. Eine Zustimmung, von der der Zustimmende nicht angeben kann, wem oder was er zustimmt, ist eine Überdehnung des Begriffs.

Ich sehe deshalb nicht, an welchem Punkt meine Ausführungen korrekturbedürftig sind. Dies auch zu Abrazo. Ich habe niemals auch nur den Anschein erweckt, man könne so ohne weiteres einen Konsens in moralischen Fragen erzielen. Ich bin sogar der Meinung, dass eine Gesellschaft nicht mittels eines "argumentativen Konsens" geordnet werden kann. Der Streit der Gelehrten ist niemals definitiv beendet und viele Fragen bleiben angesichts beschränkter Erkenntnis unbeantwortbar.

Deshalb wird unsere Gesellschaft nur teilweise durch Normen geordnet, wie man handeln oder häufiger noch, wie man nicht handeln soll. Von größter Bedeutung sind die so genannten Ermächtigungsnormen, wie: "Die Kinder haben den Eltern zu gehorchen", "Streit über die Einhaltung von Verträgen wird durch Gerichte entschieden", "Der Untergebene hat den Anordnungen des Vorgesetzten Folge zu leisten", "Der Eigentümer einer Sache darf über diese nach seinem Belieben verfügen", "Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik", "Jede mündige Person kann sich durch Versprechen selbst verpflichten", "Jeder hat das Recht, seinen Beruf frei zu wählen" etc.

Diese Normen beziehen sich auf Verfahren, die ihrerseits Normen setzen, die Verbindlichkeit beanspruchen, weil sie formgerecht zustande gekommen sind und nicht, weil sie inhaltlich einwandfrei sind.

Es grüßt Euch Eberhard.



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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 02. Sept. 2006, 20:42 Uhr
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Hallo Wolfgang,

schreibt Eure Mahnabteilung an die säumigen Zahler, dass sie zahlen sollen oder dass sie zahlen dürfen?

Eine Welt ohne Pflichten findest Du nur auf Wolke neun,

vermutet Eberhard.

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von hel am 02. Sept. 2006, 21:12 Uhr
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Hallo urs

on 09/02/06 um 04:09:27, Urs_meinte_Euch wrote:.... anders als Du betrachte ich solche "Grundwerte" nicht als "Axiome". Axiome sind theoretische, also bewusste, reflektierte "Setzungen". Das, was die Beteiligten an einem Begründungsdiskurs teilen, ist weit mehr als das. Es sind vor allem gemeinsame "Lebensformen". So müssen sie sich - scheinbar ganz simpel - ja verstehen, also eine gemeinsame Sprache mit gemeinsamen Regeln haben.


Deine Bemerkung, daß diese Grundwerte keine Axiome sind, ist natürlich richtig. Ich wollte vor allem deutlich machen, daß sie allerdings etwas mit Axiomen gemeinsam haben: sie sind nicht weiter begründbar und sie sind die notwendigen Ankerpunkte, mit deren Hilfe Handlungen als moralisch richtig oder falsch beurteilt werden können. Bei dem Fehlen eines gemeinsamen grundlegenden Konsens, wie du es nennst, wird die Diskussion über den moralischen Wert von Handlungen sinnlos bleiben.

Quote:Aber dieser grundlegende normative Konsens verdankt sich nicht einer reflektierten Begründung, er ist auch nicht in reflexiver Einstellung "gesetzt" und dürfte sich auch kaum vollständig reflexiv durchschauen lassen. Das macht ihn aber nicht per se "irrational" oder "dogmatisch" in dem Sinne, wie Eberhard dieses Wort gebraucht


Nun irrational nicht. Aber unrational, indem die moralische Norm selbst rational nicht begründbar ist. Außer in dem Sinne, als Verhaltensforscher, Psychologen, Anthropologen etc. vielleicht begründen können, wie moralische Maßstäbe entstehen. Aber das ist ja nicht der Gegenstand unserer Erörterungen.

Quote:....Die vernünftige Argumentation kann nicht ihre eigene Konsensfähigkeit erzeugen. Sie bedarf eines schon bestehenden Konsenses, den sie selbst nicht geschaffen hat.


exakt! Um Mißverständnisse zu vermeiden, sage ich es aber noch mit eigenen Worten. Moralische Werte sind an sich weder vernünftig noch unvernünftig. Die Vernunft selbst kommt erst bei der Erkenntnis und Erreichung der sich aus ihnen ergebenden Ziele zu tragen. Die Werte selbst aber können durch vernünftige Argumentation weder widerlegt noch gesetzt werden.

Grüße,
hel


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fort
Beitrag von Urs_meinte_Euch am 02. Sept. 2006, 23:45 Uhr
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Hallo Wolfgang!


on 09/02/06 um 20:05:41, Wolfgang_Horn wrote:Du: Als Lebensformen bezeichne ich faktische Handlungsschemata von unterschiedlicher Komplexität...arbeitsteilig organisierte Institution....0eingebürgerter Sprachgebrauch kann eine "Lebensform" genannt werden.

Habe ich Dich dann richtig begriffen, wenn ich dies so beschreibe: "Das Paar hat eine morgendliche Routine entwickelt, zu deren Beschreibung sich die Regel formulieren ließe: 'Wer zuerst in die Senkrechte kommt, der schmeißt die Espresso-Maschine für zwei Tassen an.'"



Ja, das wäre ein Beispiel.


Quote:Was bezeichnest Du hier wieder mit "normatives Element"?
Normieren muß ich doch nur, was man sinnvoll auch anders machen könnte. Beispielsweise kann man auf den Straßen Linksverkehr oder Rechtsverkehr einführen, beides geht gut, es darf nur keine Geisterfahrer geben. Das muß ich normieren.

Daß ich für den Espresso erst Kaffeebohnen einfüllen muß, bevor ich starte, ergibt sich aus den sachlichen Notwendigkeiten aber so zwingend, daß ich gerade das nicht normieren muß.



Dass sich eine technische Handlungsfolge "zwingend" ergibt, ist aber doch kein Naturereignis. Den Beeren des Kaffeestrauchs ist es nicht an der Wiege gesungen worden, dass sie getrocknet, geröstet, zermahlen und mit kochendem Wasser übergossen zu einem belebenden Getränk werden sollten. Die Grundschritte dieser Zubereitung ergeben sich nur zwingend, wenn man Kaffee kochen will. Die technische Verfeinerung und Normierung des Herstellungsverfahrens ergibt sich aus dieser Zielsetzung und - das Verfahren muss sich vor allem auch daran messen lassen!

Abgesehen davon: Man kann Kaffee selbstverständlich kochen, ohne die Imperative einer Gebrauchsanleitung im Kopf zu haben. Man muss da nichts explizit normieren. Aber da die Handlung des Kaffeekochens durch eine Gebrauchsanleitung angemessen "beschrieben" werden kann - so dass sie intersubjektiv verfüg- und reproduzierbar wird -, muss das Verfahren impliziten Normen folgen. Allerdings ergibt sich aus der Gebrauchsanleitung (oder dem Rezept) kein anschauliches "Bild" des Kaffeekochens; was Kaffeekochen bedeutet, wird vielmehr durch den Nachvollzug der Handlungsschritte verstanden.

In diesem Verhältnis "impliziter" Normen zu "expliziten" liegt die Pointe meiner Argumentation. Diese Pointe scheint Dir aber, wie Deine Antwort zeigt, leider entgangen zu sein. Du denkst bei "Normen" immer nur an die expliziten Imperative. (Das hast Du übrigens mit Eberhard gemein).

Ich empfehle als Verfahren bei der Antwort, nicht Satz für Satz aufzugreifen und gesondert zu kommentieren, sondern zunächst den Gedankengang im Ganzen zur Kenntnis zu nehmen, damit klar werden kann, worauf er abzielt.
:-)



Quote:Dann reg mal die Aufnahme in phillex an, und wenn Du solche seltenen Begriffe hier einführst, dann definiere sie bitte gleich.



Pardon, aber "Kontingenz" und "kontingent" sind in der philosophischen Literatur seit 2000 Jahren "eingeführt". Es handelt sich um einen geläufigen und wichtigen Terminus. Als die Philosophie Deutsch zu sprechen begann - also im 18. Jahrhundert -, wurde "kontingent" ziemlich irreführend mit "zufällig" übersetzt.




Quote:Ich kann das Wertvolle in Deinem Text nicht sehen...



Offenbar nicht, nein. :-)



Quote:Wir reden mit Moral über etwas, das sich im Verhalten unserer Urahnen schon gefunden haben muß, als deren Schädel noch zu winzig waren für kluge Gedanken.
Denn auch eine Affenhorde muß zusammen halten (...)

Die Vorgänge dabei können nicht so kompliziert sein, wie Deine Beschreibung schildert.



Naja, eine Affenhorde muss ja auch keinen Kaffee kochen (um von noch etwas komplizierteren, spezifisch menschlichen "Lebensformen" zu schweigen).


Gruß,
Urs





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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 03. Sept. 2006, 00:22 Uhr
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Hi, Eberhard,

Du: schreibt Eure Mahnabteilung an die säumigen Zahler, dass sie zahlen sollen oder dass sie zahlen dürfen? Eine Welt ohne Pflichten findest Du nur auf Wolke neun,

Nix, ungültiger Einwurf. Denn in dem Moment, in dem ich einen Kauf zugesagt habe, habe ich auch meine Gegenleistung zugesagt. Damit bin ich freiwillig Pflichten eingegangen, die ich dann auch zu erfüllen habe.

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 03. Sept. 2006, 00:56 Uhr
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Kann man angeben, was der Inhalt dieses Konsens ist? Wenn ja, dann sollte man das tun, wenn nein, sollte man nicht von "Konsens" sprechen.

Langsam, Eberhard. So schnell geht dat nich. Da muss man noch was buddeln.

Aber ganz unberechtigt ist Dein Einwand nicht.
Zunächst: rational kann der Grundkonsens deswegen nicht sein, weil er dann abgeleitet wäre und damit eben kein Grundkonsens mehr.

Auch die gemeinsame Zustimmung kann keine Zustimmung in dem Sinne sein, dass man dem zustimmt, was man genau so gut ablehnen könnte. Denn auch dann wäre es kein Grundkonsens mehr. Zustimmung und Ablehnung wären abhängig von etwas anderem. Das ist halt die generelle Schwierigkeit, wenn man im menschlichen Urgrund stochert.

Ich komme zurück zu der Frage: warum soll man moralisch handeln?

Du weißt, ich unterscheide Moral, das, was sein soll, von Ethik, das, was ist. Danach wäre die Frage, warum man moralisch handeln soll, selbst eine moralische Frage. Daraus ergibt sich, dass sie gar nicht moralisch beantwortet werden kann.
Im Bereich der Ethik hingegen stellt sie sich vergleichbar gar nicht. Denn ethisch wird nicht gefragt, warum man dies oder das tun soll, es wird getan. Oder vielmehr nicht getan.
Danach ist die Frage "warum soll ich moralisch handeln" eine Frage a posteriori. Heißt für die Ethik, daraus, dass mir bewußt ist, dass ich ethische Entscheidungen treffe, folgt die Möglichkeit, auch anders zu entscheiden.
Was aber bedeutet diese mögliche andere Entscheidung? Was ziehe ich dann als das bessere vor?

Gruß

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von laertes am 03. Sept. 2006, 02:13 Uhr
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hey abrazo,


langsam steigerst du dich wieder in hochform!


"Zunächst: rational kann der Grundkonsens deswegen nicht sein, weil er dann abgeleitet wäre und damit eben kein Grundkonsens mehr."


richtig.


"Auch die gemeinsame Zustimmung kann keine Zustimmung in dem Sinne sein, dass man dem zustimmt, was man genau so gut ablehnen könnte. Denn auch dann wäre es kein Grundkonsens mehr. Zustimmung und Ablehnung wären abhängig von etwas anderem. Das ist halt die generelle Schwierigkeit, wenn man im menschlichen Urgrund stochert."


auch richtig, deshalb ist moral fern vom menschlichen 'urgrund'.



"Ich komme zurück zu der Frage: warum soll man moralisch handeln?

Du weißt, ich unterscheide Moral, das, was sein soll, von Ethik, das, was ist."


hä?
ethik ist das, was ist? war das nicht die ontologie?


"Danach wäre die Frage, warum man moralisch handeln soll, selbst eine moralische Frage."


das habe ich schon geschrieben und gezeigt. schön, dass du es auch erfasst hast!


"Daraus ergibt sich, dass sie gar nicht moralisch beantwortet werden kann."


nein, sie kann nur moralisch bewortet werden und das wird nie zu einem schluss führen, wie der verlauf des threads zeigt, ausser man weitet die frage aus, indem man die frage ausserhalb der moral neu befragt.


"Denn ethisch wird nicht gefragt, warum man dies oder das tun soll, es wird getan. Oder vielmehr nicht getan."


was soll daran ethisch sein?


"Heißt für die Ethik, daraus, dass mir bewußt ist, dass ich ethische Entscheidungen treffe, folgt die Möglichkeit, auch anders zu entscheiden."


a posteriori kann man sich immer einreden, dass man auch anderes hätte handeln können. doch was bringt das ausser tatenloser selbstbespiegelung?


"Was aber bedeutet diese mögliche andere Entscheidung?"


nichts ausser virtuelle denkspielsachen.


"Was ziehe ich dann als das bessere vor?"


die exakt gleiche situation kommt nie wieder.
und urteilen und handeln kannst du nicht gleichzeitig.
ausserdem ist das bessere des guten feind.
moral und ethik sind nicht zu trennen.
ethik ist allenfalls eine metamoral, auf den knien vor dem konjunkitv.


viele grüsse

laertes

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 03. Sept. 2006, 09:13 Uhr
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Hallo Wolfgang,

wir kommen uns näher: Man soll seine freiwillig eingegangenen Verpflichtungen erfüllen. Oder?


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 03. Sept. 2006, 11:32 Uhr
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Hallo allerseits,

da die Worte "Moral" und "Ethik" von den Diskussionsteilnehmern mit unterschiedlichen Bedeutungen verwendet werden, will ich versuchen, möglichst ohne diese Worte auszukommen.

Es geht um die in einer sozialen Gemeinschaft einzuhaltenden Regeln des Verhaltens, die man als "soziale (Handlungs-)Normen" bezeichnen kann.

Es geht also nicht um bloße Regelmäßigkeiten des Verhaltens wie etwa der, dass zu Sylvester geknallt wird. Solche "Gewohnheiten" unterscheiden sich von einzuhaltenden Regeln oder Normen dadurch, dass man von Gewohnheiten problemlos abweichen kann, von Normen jedoch nicht. Die Einhaltung von Normen wird durch Lob und Tadel, durch Belohnung und Bestrafung "sanktioniert".

Dabei kann man verschiedene Arten von sozialen Normen unterscheiden: Benimmregeln, Spielregeln, Protokollvorschriften u. a. m. Außerdem gibt es neben den für alle geltenden Normen auch noch Normen für das Verhalten bestimmter sozialer Positionen.

Uns interessieren hier diejenigen Normen, die für alle Mitglieder einer Gesellschaft gelten und die unbedingt gelten, die also nicht nur unter der Bedingung gelten, dass man einen bestimmten Zweck verfolgt (gesund bleiben) oder dass man eine bestimmte Position (Mutter) innehat.

Beispiele für solche unbedingten und an alle gerichteten (allgemeinen adressierten) Normen sind: "Man soll andere nicht grundlos beschuldigen" oder "Man soll Rücksicht auf andere nehmen" oder "Man soll Menschen helfen, die unverschuldet in Not geraten sind".

Die Norm "Man soll einmal im Jahr richtig Urlaub machen" ist dagegen keine unbedingte Norm, sondern ein gesundheitlicher Ratschlag.

Die Frage ist, ob die staatlich erlassenen Gesetze wie z.B. das Strafrecht in diesem Sinne unbedingt geltende Normen sind, da sie nur unter der Bedingung gelten, dass der Gesetzgeber sie in Kraft gesetzt hat.

Wir sind uns wohl – bis auf wenige Ausnahmen - einig, dass in unserer Gesellschaft solche allgemein adressierten unbedingt geltenden Normen praktiziert werden. Man fordert die Einhaltung bestimmter Normen, man lobt und tadelt, belohnt und bestraft entsprechend.

Man kann nun an dieses Phänomen verschiedenste Fragen herantragen. So kann man sich fragen: Warum soll ich diese Normen denn befolgen? Damit fragt man nach einer Rechtfertigung der in den Normen enthaltenen Forderungen an das eigene Verhalten. (Eine solche Frage muss natürlich nicht gestellt werden und in traditionellen Gesellschaften wäre schon die Frage ungewöhnlich. In pluralistischen Demokratien mit Gruppen unterschiedlicher kultureller Tradition ist diese Frage sinnfälliger.)

Meine Position dazu ist: Wenn von mir ein bestimmtes Handeln gefordert wird, ohne dass mir eine einsichtige, d. h. eine nachvollziehbare und übernehmbare Begründung dafür gegeben wird, handelt es sich um einen bloßen Gehorsamsanspruch.

Ich stelle deshalb die Frage, welche Normen alle gemeinsam wollen können und wie bei der Bestimmung solcher konsensfähigen Normen argumentiert werden kann und muss. Wenn wir dabei von intakten Gemeinsamkeiten ausgehen können, die nicht weiter hinterfragt werden müssen – um so besser,

meint Eberhard.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 03. Sept. 2006, 12:32 Uhr
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Hi, Eberhard,

Du: wir kommen uns näher: Man soll seine freiwillig eingegangenen Verpflichtungen erfüllen. Oder?

Der Unmündige soll, das ist Bestandteil der Erziehung.

Der Mündige wird es aus weitblickender Einsicht tun: Denn wenn er seine Versprechen nicht einhält, und sich das rumspricht, dann hat er mindestens die Kosten der Vorauszahlung zu tragen.

Meine Zielgruppe sind diejenigen, die sich als mündig begreifen.

Du: Ich stelle deshalb die Frage, welche Normen alle gemeinsam wollen können und wie bei der Bestimmung solcher konsensfähigen Normen argumentiert werden kann und muss. Wenn wir dabei von intakten Gemeinsamkeiten ausgehen können, die nicht weiter hinterfragt werden müssen – um so besser,

Damit setzt Du die Diskussion am Anfang wieder auf, nur mit einem anderen Begriff.

Ich erkläre die technischen Grenzen des Forums dafür für verantwortlich und sehe in einem Weiterdenken in dieser Sache keinen Nutzen mehr.

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 03. Sept. 2006, 13:27 Uhr
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Dann man tschüs!

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 03. Sept. 2006, 15:56 Uhr
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Denn wenn er seine Versprechen nicht einhält, und sich das rumspricht, dann hat er mindestens die Kosten der Vorauszahlung zu tragen.


Tja.
Das heißt also, der Vertrag war wg beschränkter Geschäftsfähigkeit wg Unmündigkeit schwebend unwirksam, den ich mit einem Kunden abgeschlossen hatte. Der hat nämlich nicht gezahlt. Als Ergebnis habe ich einen Titel, den ich mir zur Dekoration in's Klo hängen kann, alldieweil der Kunde die durch das Gerichtsverfahren gewonnene Zeit genutzt hat, seine Ltd. dicht zu machen. Beschränkte Haftung, tralala, guckste inne Röhre.

Heißt, bevor ich mit einem einen Vertrag abschließe, sollte ich zum Vormundschaftsgericht marschieren und mich nach der Mündigkeit erkundigen? Das Amtsgericht hat ihn offenbar für mündig erklärt. Könnte das Vormundschaftsgericht das anfechten?

Leeven Wolfjang, siehe, Theorie und Praxis sind zwei verschiedene paar Stiefel. Und der landläufige Philosoph ist nicht gar so praxisfremd, wie es scheint.
[balloon]

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 03. Sept. 2006, 18:03 Uhr
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Hi,

Eberhard schrieb:

Die Frage ist, ob die staatlich erlassenen Gesetze wie z.B. das Strafrecht in diesem Sinne unbedingt geltende Normen sind, da sie nur unter der Bedingung gelten, dass der Gesetzgeber sie in Kraft gesetzt hat.

Ich halte es nun für nötig, ein Beispiel dafür zu geben, dass unsere Rechtsnormen ganz und gar nicht mehr oder minder staatlich-willkürlich gesetzte Normen sind, die Gehorsam verlangen (obwohl man auch solche finden wird), und zwar mit der Normenkontrollklage gegen das Luftsicherheitsgesetz.

Es handelt sich um folgenden Paragrafen:

§ 14

Einsatzmaßnahmen, Anordnungsbefugnis

(1) Zur Verhinderung des Eintritts eines besonders schweren Unglücksfalles dürfen die Streitkräfte im Luftraum Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben.

(2) Von mehreren möglichen Maßnahmen ist diejenige auszuwählen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Die Maßnahme darf nur so lange und so weit durchgeführt werden, wie ihr Zweck es erfordert. Sie darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht.

(3) Die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt ist nur zulässig, wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, und sie das einzige Mittel zur Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr ist.

(4) Die Maßnahme nach Absatz 3 kann nur der Bundesminister der Verteidigung oder im Vertretungsfall das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung anordnen...

§ 15

Sonstige Maßnahmen

(1) Die Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 und 3 dürfen erst nach Überprüfung sowie erfolglosen Versuchen zur Warnung und Umleitung getroffen werden. Zu diesem Zweck können die Streitkräfte auf Ersuchen der für die Flugsicherung zuständigen Stelle im Luftraum Luftfahrzeuge überprüfen, umleiten oder warnen...

(2) Der ... Inspekteur der Luftwaffe hat den Bundesminister der Verteidigung unverzüglich über Situationen zu informieren, die zu Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 und 3 führen könnten.

(3) Die sonstigen Vorschriften und Grundsätze der Amtshilfe bleiben unberührt.

BVerfG urteilt:

Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet das Recht auf Leben als Freiheitsrecht. ... Jedes menschliche Leben ist als solches gleich wertvoll. Obwohl es innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung einen Höchstwert darstellt, steht allerdings auch dieses Recht nach Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG unter Gesetzesvorbehalt. Auch in das Grundrecht auf Leben kann deshalb auf der Grundlage eines förmlichen Parlamentsgesetzes eingegriffen werden. Voraussetzung dafür ist aber, ... nach Art. 19 Abs. 2 GG den Wesensgehalt des Grundrechts unangetastet lassen und darf auch sonst den Grundentscheidungen der Verfassung nicht widersprechen.
...
Das durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete Grundrecht auf Leben steht gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG unter dem Vorbehalt des Gesetzes. Das einschränkende Gesetz muss aber seinerseits im Lichte dieses Grundrechts und der damit eng verknüpften Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG gesehen werden. Das menschliche Leben ist die vitale Basis der Menschenwürde als tragendem Konstitutionsprinzip und oberstem Verfassungswert. Jeder Mensch besitzt als Person diese Würde, ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seinen körperlichen oder geistigen Zustand, seine Leistungen und seinen sozialen Status. Sie kann keinem Menschen genommen werden. Verletzbar ist aber der Achtungsanspruch, der sich aus ihr ergibt. Das gilt unabhängig auch von der voraussichtlichen Dauer des individuellen menschlichen Lebens. ...

Dem Staat ist es im Hinblick auf dieses Verhältnis von Lebensrecht und Menschenwürde einerseits untersagt, durch eigene Maßnahmen unter Verstoß gegen das Verbot der Missachtung der menschlichen Würde in das Grundrecht auf Leben einzugreifen. Andererseits ist er auch gehalten, jedes menschliche Leben zu schützen. Diese Schutzpflicht gebietet es dem Staat und seinen Organen, sich schützend und fördernd vor das Leben jedes Einzelnen zu stellen; das heißt vor allem, es auch vor rechtswidrigen An- und Eingriffen von Seiten Dritter zu bewahren...

Art. 1 Abs. 1 GG schützt den einzelnen Menschen nicht nur vor Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung und ähnlichen Handlungen durch Dritte oder durch den Staat selbst. Ausgehend von der Vorstellung des Grundgesetzgebers, dass es zum Wesen des Menschen gehört, in Freiheit sich selbst zu bestimmen und sich frei zu entfalten, und dass der Einzelne verlangen kann, in der Gemeinschaft grundsätzlich als gleichberechtigtes Glied mit Eigenwert anerkannt zu werden, schließt es die Verpflichtung zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde vielmehr generell aus, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen. Schlechthin verboten ist damit jede Behandlung des Menschen durch die öffentliche Gewalt, die dessen Subjektqualität, seinen Status als Rechtssubjekt, grundsätzlich in Frage stellt, indem sie die Achtung des Wertes vermissen lässt, der jedem Menschen um seiner selbst willen, kraft seines Personseins, zukommt...

In dieser Extremsituation, die zudem durch die räumliche Enge eines im Flug befindlichen Luftfahrzeugs geprägt ist, sind Passagiere und Besatzung typischerweise in einer für sie ausweglosen Lage. Sie können ihre Lebensumstände nicht mehr unabhängig von anderen selbstbestimmt beeinflussen.

Dies macht sie zum Objekt nicht nur der Täter. Auch der Staat, der in einer solchen Situation zur Abwehrmaßnahme des § 14 Abs. 3 LuftSiG greift, behandelt sie als bloße Objekte seiner Rettungsaktion zum Schutze anderer. Die Ausweglosigkeit und Unentrinnbarkeit, welche die Lage der als Opfer betroffenen Flugzeuginsassen kennzeichnen, bestehen auch gegenüber denen, die den Abschuss des Luftfahrzeugs anordnen und durchführen. Flugzeugbesatzung und -passagiere können diesem Handeln des Staates auf Grund der von ihnen in keiner Weise beherrschbaren Gegebenheiten nicht ausweichen, sondern sind ihm wehr- und hilflos ausgeliefert mit der Folge, dass sie zusammen mit dem Luftfahrzeug gezielt abgeschossen und infolgedessen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit getötet werden. Eine solche Behandlung missachtet die Betroffenen als Subjekte mit Würde und unveräußerlichen Rechten.

Sie werden dadurch, dass ihre Tötung als Mittel zur Rettung anderer benutzt wird, verdinglicht und zugleich entrechtlicht; indem über ihr Leben von Staats wegen einseitig verfügt wird, wird den als Opfern selbst schutzbedürftigen Flugzeuginsassen der Wert abgesprochen, der dem Menschen um seiner selbst willen zukommt...

Für die verfassungsrechtliche Beurteilung ist allein entscheidend, dass der Gesetzgeber nicht durch Schaffung einer gesetzlichen Eingriffsbefugnis zu Maßnahmen der in § 14 Abs. 3 LuftSiG geregelten Art gegenüber unbeteiligten, unschuldigen Menschen ermächtigen, solche Maßnahmen nicht auf diese Weise als rechtmäßig qualifizieren und damit erlauben darf. Sie sind als Streitkräfteeinsätze nichtkriegerischer Art mit dem Recht auf Leben und der Verpflichtung des Staates zur Achtung und zum Schutz der menschlichen Würde nicht zu vereinbaren...

Auch die Einschätzung, diejenigen, die sich als Unbeteiligte an Bord eines Luftfahrzeugs aufhalten, das im Sinne des § 14 Abs. 3 LuftSiG gegen das Leben anderer Menschen eingesetzt werden soll, seien ohnehin dem Tode geweiht, vermag der mit einer Einsatzmaßnahme nach dieser Vorschrift im Regelfall verbundenen Tötung unschuldiger Menschen in einer für sie ausweglosen Lage nicht den Charakter eines Verstoßes gegen den Würdeanspruch dieser Menschen zu nehmen. Menschliches Leben und menschliche Würde genießen ohne Rücksicht auf die Dauer der physischen Existenz des einzelnen Menschen gleichen verfassungsrechtlichen Schutz. Wer dies leugnet oder in Frage stellt, verwehrt denjenigen, die sich wie die Opfer einer Flugzeugentführung in einer für sie alternativlosen Notsituation befinden, gerade die Achtung, die ihnen um ihrer menschlichen Würde willen gebührt.

Eine andere Beurteilung rechtfertigt auch nicht die Annahme, wer an Bord eines Luftfahrzeugs in der Gewalt von Personen festgehalten werde, die das Luftfahrzeug im Sinne des § 14 Abs. 3 LuftSiG als Tatwaffe gegen das Leben anderer Menschen einsetzen wollen, sei selbst Teil dieser Waffe und müsse sich als solcher behandeln lassen. Diese Auffassung bringt geradezu unverhohlen zum Ausdruck, dass die Opfer eines solchen Vorgangs nicht mehr als Menschen wahrgenommen, sondern als Teil einer Sache gesehen und damit selbst verdinglicht werden. Mit dem Menschenbild des Grundgesetzes und der Vorstellung vom Menschen als einem Wesen, das darauf angelegt ist, in Freiheit sich selbst zu bestimmen, und das deshalb nicht zum reinen Objekt staatlichen Handelns gemacht werden darf, lässt sich dies nicht vereinbaren.

Die Anordnung und Durchführung der unmittelbaren Einwirkung auf ein Luftfahrzeug mit Waffengewalt nach dieser Vorschrift lässt außer Betracht, dass auch die in dem Luftfahrzeug festgehaltenen Opfer eines Angriffs Anspruch auf den staatlichen Schutz ihres Lebens haben. Nicht nur, dass ihnen dieser Schutz seitens des Staates verwehrt wird, der Staat greift vielmehr selbst in das Leben dieser Schutzlosen ein. Damit missachtet jedes Vorgehen nach § 14 Abs. 3 LuftSiG, wie ausgeführt, die Subjektstellung dieser Menschen in einer mit Art. 1 Abs. 1 GG nicht zu vereinbarenden Weise und das daraus für den Staat sich ergebende Tötungsverbot. Daran ändert es nichts, dass dieses Vorgehen dazu dienen soll, das Leben anderer Menschen zu schützen und zu erhalten.

Schlussspruch: das Gesetz ist nichtig.

Dafür fand das BVerfG noch etliche andere Gründe, die aber imho philosophisch nicht so interessant sind. Dennoch lohnt es sich, sich dieses natürlich staubtrockene und nüchterne Ding mal zu Gemüte zu führen:

http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20060215_1bvr035705.html

Jetzt, in der Zusammenfassung, fällt mir auf, dass das Verfahren im Grunde den menschlichen ethischen Entscheidungen entspricht. Man erwählt eine auf eine konkrete Situation hin ausgerichtete Handlungsmöglichkeit. Die Handlungsmöglichkeit ist vernünftig und dient durchaus nicht als negativ bewerteten Zielen. Es wurde auch (fast) alles gründlich bedacht, was den Sachverhalt betrifft, in der Abwägung denkt man, in Ordnung, mache ich das.

Und dann kommt die humane Ethik und sagt nein.

Nun, das BVerfG begründet das. Was es aber nicht mehr begründen kann, ist das Grundprinzip: die Würde des Menschen ist unantastbar.

Grüße

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 03. Sept. 2006, 21:10 Uhr
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Hallo allerseits,

ein paar verstreute Gedanken.

Bevor man sich der Frage zuwendet: "Warum soll man moralisch handeln?" muss man die Frage beantwortet haben "Ist so etwas wie Moral (im Sinne eines Systems von Verhaltensregeln, die von allen einzuhalten sind) überhaupt nötig?"

Meine Antwort darauf ist:

Das, was die verschiedenen Menschen wollen, ist nicht immer miteinander vereinbar, es kann zum Konflikt kommen. Um diese Konflikte nicht durch Gewalt entscheiden zu lassen (Recht des Stärkeren), muss das Verhalten in solchen Konfliktsituationen geregelt werden.

Viele Ziele kann man nur in Kooperation und Koordination mit anderen erreichen. Auch dazu braucht man Regeln.

Es gibt meist mehrere Möglichkeiten der Regelung. Deshalb kann es über die kollektiv zu wählende Regelung verschiedene Meinungen geben. Ein zentrales Problem jeder Gesellschaft ist die Art und Weise, wie die Auswahl der einzuhaltenden Regeln erfolgt.
Für die Frage, wie man für oder gegen bestimmte Regeln argumentieren kann, ist nicht zuletzt die (Meta-)Ethik oder Moralphilosophie zuständig.

Es grüßt Euch Eberhard.




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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 03. Sept. 2006, 22:29 Uhr
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Hi Eberhard,

wenn Du von Moral und Regeln sprichst, habe ich immer die internationale politische Landschaft im Kopf.

Wir sind alle Menschen, also von gleicher Art. Es ist kein unlösbar schweres Problem, uns auf die universale Gültigkeit höchstens einer Hand voll Normen zu einigen. Oder, besser gesagt, Grundwerte. Schau, das BVerfG braucht letzlich nur einen einzigen, die Unantastbarkeit der Menschenwürde. Auch wenn es seine Entscheidung mit Hilfe wissenschaftlicher juristischer Dogmatik (Dogmatik gilt bei denen als Gütezeichen!) untermauert und andere Grundrechte als Kontext zur Interpretation des Grundwertes heran zieht, im Notfall würde der Grundwert alleine genügen. Die Möglichkeit, dass alle Menschen sich auf wenige universale Grundwerte einigen, die besteht alle Mal; zumal es ja bereits die UN-Deklaration der Menschenrechte gibt, ein Konsens auch unter Feinden.

Für ein Problem allerdings sehe ich keine philosophische Lösung: die Rechtssicherheit. Selbst das drakonischste Recht sehen die Menschen als besser an denn gar keins. Siehe die Verbreitung der aus dem 7. Jahrundert stammenden Scharia. Schon im islamischen Mittelalter längst aufgrund gesellschaftlicher Wandlungen modifiziert, kehrt sie in ihrer urspünglichen Gestalt zurück. Wieder wird verlangt, notorischen Dieben die Hand abzuhacken, obwohl es längst Gefängnisse gibt. Gehen wir davon aus, dass die, die das verlangen, eine andere Art Menschen sind, sind wir empört und schütteln den Kopf. Gehen wir aber davon aus, dass sie sich trotz unterschiedlicher Lebensbedingungen im Kern nicht sonderlich von uns unterscheiden, dann können wir fragen, ob sie dafür nicht vielleicht vernünftige Gründe haben. Diesen vernünftigen Grund sehe ich in der mangelnden Rechtssicherheit. Wenn, je nach Zugehörigkeit zu einer Bevölkerungsschicht, die Gesetze das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben stehen, dann sind heute als barbarisch empfundene Gesetze, für die man die Unantastbarkeit des Heiligen beanspruchen kann, immer noch besser, als unberechenbarer Willkür aus der eigenen Gesellschaft unterworfen zu sein. Beanspruchen kann man vor allem vor sich selber, dass man diese Gewaltmaßnahmen zum Schutz der schlichtesten und allgemein anerkannten Normen ausüben darf, dass es gut und richtig und moralisch ist. Und auch damit haben sie Recht: es ist unmoralisch und nicht zu billigen, Leuten, die selber kaum was haben, das Wenige auch noch straflos wegzustehlen.

Wie aber ist das Problem im internationalen Maßstab zu lösen? Wie schützt man sich in dieser Rechtlosigkeit, denn die haben wir dort (bzw. Rechtsverletzungen werden nur bei einigen geahndet, wie in einer Bananenrepublik)? Wie in jeder Favella auch: einigeln, bewaffnen und 'Bullen' hinterrücks abschießen. Von hinten durch die Brust ins Auge. Bis sie sich nicht mehr reintrauen. Normal.
Hast Du ne Lösung?
Mehr als "versuchen wir's mal mit Ächtung" fällt mir nicht ein.

In gut organisierten Gesellschaften unter friedlichen Bedingungen hingegen stellt sich ein anderes Problem
Die Grundwerte sind hauptsächlich Veto-Macht. Eine Norm, die dem Grundwert widerspricht, wird für nichtig erklärt. Darüber hinaus bieten sich jede Menge Freiheiten, die Gesellschaft mit Hilfe von Normen bewußt zu gestalten. Die Frage also nach den positiven Normen. Die Zukunft meiner Gesellschaft zu gestalten. Was das betrifft, würde ich - vage und provisorisch, vorbehaltlich tieferer Untersuchungen also - auf die Frage "warum soll man moralisch handeln" antworten, einerseits, um Solidarität mit meinen mir gleichwertigen Mitmenschen in meiner Gesellschaft zu üben, andererseits aber, und da fällt mir jetzt ein, das die weithin grassierende Staatsverdrossenheit, die im Prinzip schwer undemokratische Froschperspektive des "ihr Bonzen da oben, wir Schmuddelkinder hier unten" (leeven Jott, wat bau ich heute wieder für schauerliche Schachtelsätze!), dass also diese Staats- und Politikverdrossenheit mit der ebenso grassierenden Ablehnung jeglicher Moral einher gehen könnte. Denn wenn ich jede Moral ablehne, verzichte ich darauf, meine Gesellschaft mit zu gestalten. Durch die Mitgestaltung der Moral. Damit überlasse ich aber die Gestaltung der Gesellschaft anderen. Und fühle mich - selffulfilling prophecy - in meiner ablehnenden Haltung zu jeglicher Moral bestätigt, denn ich kann nicht erwarten, dass die moralische Normen nach meinem Geschmack anlegen und nicht nach ihrem.

Gruß





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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 04. Sept. 2006, 09:43 Uhr
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Hallo allerseits,

hallo Abrazo,

ein Hinweis vorweg: Ich kann leichter auf einen Beitrag eingehen, wenn darin ein, zwei Punkte angesprochen werden. Mit sehr langen Beiträgen, die zu mehreren verschiedenen Punkten Stellung nehmen, habe ich meine Schwierigkeiten.

Du sprichst das Problem an, dass die besten Normen (also einzuhaltende soziale Regeln) nichts taugen, wenn sie nicht eingehalten werden.

In diesem Zusammenhang noch einige Gedanken zum "Zwangscharakter" der Moral, der für einige Diskussionsteilnehmer offenbar ein rotes Tuch ist, weshalb schon das Wort "sollen" für sie ein Reizwort ist.

Angenommen, eine Gemeinschaft ist sich darin einig, dass es für alle gemeinsam das Beste ist, wenn verbrauchte Batterien und Akkus wegen der giftigen Schwermetalle auf besonders gesicherte Deponien gebracht werden.

Obwohl alle gemeinsam der Norm zustimmen können: "Batterien gehören nicht in den Hausmüll" bleibt es für jeden Einzelnen dennoch vorteilhafter und bequemer, sie einfach in die Mülltonne zu schmeißen. Es wäre vergeblich, hier an das weitsichtige Eigeninteresse zu appellieren, denn für Peter Müller ist die Regelung "Niemand darf seine Altbatterien in den Hausmüll werfen außer mir, Peter Müller" vorteilhafter als die Regelung "Niemand darf seine Altbatterien in den Hausmüll werfen".

Sicherlich wäre eine Regelung mit einer Ausnahme für Peter M. nicht allgemein akzeptabel sondern würde als ungerecht angesehen. Denn Peter M. würde die Vorteile der Regelung in Anspruch nehmen (keine Vergiftung des Grundwassers), ohne die Nachteile (höherer Entsorgungsaufwand) mitzutragen.

Es ist also keineswegs widersprüchlich sondern man handelt rational (im Sinne von "den eigenen Zielen entsprechend"), wenn man (unbemerkt) gegen diejenige Regel verstößt, die man selber als die für alle gemeinsam beste Regelung hält.

Man handelt damit allerdings nicht moralisch (d. h. gemäß den einzuhaltenden Regeln) und auch nicht "vernünftig" (weil man hinter die Einsicht zurückfällt, dass Regeln notwendig sind, die für alle gelten und von allen anerkannt werden können).

Wer nicht moralisch handelt, der praktiziert eine ungerechte Regel mit persönlichen Ausnahmen.

Wenn die ursprüngliche Regel von anderen (ungestraft) missachtet wird, dann ist der Regeltreue "der Dumme" und er wird sich irgendwann ebenfalls nicht mehr an diese Regel gebunden fühlen. Und wenn der Schlendrian erstmal eingerissen ist, kann das Vertrauen in die Normtreue der andern nur schwer wieder hergestellt werden ("Die andern machen es ja genauso!"). Deshalb heißt es hier: "Wehret den Anfängen!"

Warum also soll man moralisch handeln?

Weil unmoralisches Handeln die Regel zerstört, von der man selber weiß, dass diese Regel die für alle gemeinsam beste ist.

Um das zu verhindern, muss dem Eigeninteresse an der Normverletzung durch eine Strafandrohung bei Normverletzung entgegengewirkt werden,

meint Eberhard.



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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Urs_meinte_Euch am 04. Sept. 2006, 11:25 Uhr
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Hallo Eberhard,

nur ein kurzer Einwurf.


Quote:Weil unmoralisches Handeln die Regel zerstört, von der man selber weiß, dass diese Regel die für alle gemeinsam beste ist.

Um das zu verhindern, muss dem Eigeninteresse an der Normverletzung durch eine Strafandrohung bei Normverletzung entgegengewirkt werden.



Du begreifst Moral im Grunde nicht anders als das (Zwangs-) Recht. Moralische Normen sind für Dich primär explizite Imperative. Es gilt "Gleiches Recht für alle!", und den gleichbemessenen Freiheitsspielräumen jedes einzelnen stehen Sanktionen für die Überschreitung gegenüber.

Mit diesem Konzept von Moral kannst Du so etwas wie "eingelebte", "verinnerlichte" - und darum zwanglose - Lebensformen ohne explizite Soll-Vorschriften gar nicht in den Blick bekommen. Aber diese, behaupte ich, sind die Grundlage jedes expliziten Norm-Systems, also des Rechts und - bei Dir - auch der Moral.

Eine Moralbegründung, die diese Grundlage nicht zur Kenntnis nimmt bzw. für sie keinen Platz hat, ist unvollständig und - unrealistisch.

Grüß Dich,
Urs









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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 04. Sept. 2006, 13:55 Uhr
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Joy, Du hattest erklärt, dass Du keine Texte mehr in diese Diskussionsrunde einstellen wirst. Bitte halte Dich daran!


p.s. 04.09. Danke für die Löschung!

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 04. Sept. 2006, 17:35 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Urs,

Du sprichst von "eingelebten", "verinnerlichten" Lebensformen ohne explizite Soll-vorschriften. Diese seien die Grundlage jedes expliziten Norm-Systems.

Ich habe bereits gesagt, dass ich auf Deine Aussagen nur schwer eingehen kann, solange nicht konkreter gesagt wird, auf was Du Dich im Einzelnen beziehst.

Ich bin mir völlig im Klaren, dass Homo sapiens und dessen Vorfahren in überschaubaren Gemeinschaften (Horden) gelebt haben, die sich aus einzelnen Familien zusammensetzten – so wie es heute noch die wenigen übrig gebliebenen Gorillas tun.

Schon unsere affenähnlichen Vorfahren kooperierten (z. B. bei der Bekämpfung von Feinden), sie koordinierten ihre Aktivitäten (z. B. beim Entfernen von Ungeziefer aus dem Rückenfell des andern), sie begrüßten freudig Angehörige der eigenen Gruppe bei Rückkehr nach längerer Abwesenheit, als Eltern ließen sie ihre Nachkommen geduldig herumtoben, sie versorgten die Kleinen mit Nahrung usw. Hanspeter hat ja bereits auf diese Gemeinsamkeiten zwischen Menschen und Primaten hingewiesen.

Da ich bei den Affen noch keine moralphilosophischen Überlegungen ausmachen kann, muss das Zusammenleben in einer Gruppe nach bestimmten Regeln folglich tiefer im Menschen verankert sein als die Vernunft. Der Mensch wird also nicht erst durch einen rational kalkulierten Gesellschaftsvertrag oder ähnliches zum sozialen Wesen.

Zu nennen sind die nicht zu unterschätzenden Gefühlsbindungen innerhalb der Familie, die Liebe und Verbundenheit zwischen Mann und Frau, die elterliche Liebe zu den Kindern und die kindliche Liebe zu den Eltern. Bindungen der weiteren Verwandtschaft aufgrund gemeinsamer Vorfahren, das Mitleid mit anderen, das besonders starke Gefühl der Hilfsbereitschaft gegenüber kleinen Kindern (Kindchenschema), die Identifikation mit der eigenen Gruppe in Form eines "Wir-Gefühls, das Gefühl der Zusammengehörigkeit, das durch gemeinsame Sprache und Dialekt hervorgerufen wird, die kulturellen Gemeinsamkeiten in den Festen und ihren Zeremonien.

All diese Eigenschaften des Menschen bewirken eine Identifikation mit den anderen und der Gemeinschaft, die eine Orientierung an den eigenen Interessen in den Hintergrund drängen. Über die Identifikation mit den Eltern vollzieht sich der Sozialisierungsprozess, erfolgt die "Verinnerlichung" der tradierten Werte und Normen. (Lernen durch Nachahmen, Rollenspiel der Kinder 'Vater, Mutter, Kind').

Diese angeborenen Identifkationsmechanismen (Liebe, Mitleid, Sympathie, Vorbild-Orientierung) erleichtern das Zusammenleben und entlasten die Moral. Aber gerade in den heutigen, weithin anonymen Großgesellschaften mit ihren religiösen und ethnischen Subkulturen können diese Mechanismen nur begrenzt wirksam werden. Hier geht es um Interessen, sei es von Einzelnen oder gesellschaftlichen Gruppen, und um die notwendige Regelung möglicher Konflikte.

Hier ist Vernunft gefragt, die ihren Beitrag zur "Verinnerlichung" von Werten und Normen leisten kann, indem sie die Notwendigkeit und die Richtigkeit bestimmter Regeln des Zusammenlebens begründen kann.

Es grüßt alle Interessierten Eberhard.

p.s.: Das große Interesse, auf das diese bisher störungsfreie Diskussionsrunde stößt (mehr als 1,700 Hits in knapp 2 Wochen) ist offenbar einigen ein Dorn im Auge.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von hel am 04. Sept. 2006, 17:41 Uhr
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Hallo Eberhard,

on 09/02/06 um 12:33:36, Eberhard wrote:Du bist der Ansicht, dass sich eine moralische Regel wiederum nur durch Ableitung aus einer anderen moralischen Regel begründen lässt. Deshalb kommst du zu dem Schluss, dass ich mit dem Kriterium des "argumentativen Konsens" praktisch eine unendliche Kette von Begründungen verlange.
.....
Das sehe ich anders. Wenn ich eine moralische Norm daraufhin untersuche, ob sie von allen gemeinsam gewollt werden kann, dann wende ich nicht nur moralische Normen an sondern zusätzlich methodologische Normen.

In ähnlicher Weise verhält es sich bei normativen Sätzen. Die methodologische Regel "Prüfe die behauptete Norm daraufhin, ob ihr alle Individuen gemeinsam zustimmen könnten " erfordert keinen unendlichen Regress.


Ich stimme Dir zu. Die Überprüfung, ob eine behauptete Norm allgemein konsensfähig ist, bedeutet keinen unendlichen Regress. Wenn Du solch eine Norm gefunden hast - für eine Gemeinschaft oder gar für alle Menschen, dann kann sie eine praktikable Grundlage für ein gemeinsames Moralsystem bilden. Ausgehend von dieser Norm können dann manche Handlungen als moralisch oder unmoralisch gelten, je nachdem sie die Regeln, die durch diese Norm direkt oder indirekt gesetzt werden, verletzen oder nicht.

Mein Punkt ist nur: diese Norm selber, auch wenn sich alle Menschen auf sie einigen, ist dadurch weder richtig noch falsch. Und jederzeit kann jemand über diese Norm nachdenken und fragen: warum soll ich dieser Norm folgen?

Gemeinsame moralische Grundsätze oder Normen fördern normalerweise die friedliche Kooperation der Menschen, die sie miteinander teilen. Und das ist selbst ein Grundwert, den ich sehr schätze. Deshalb halte ich die Suche nach gemeinsamen Spielregeln, die auch unterschiedlichste Kulturen untereinander einhalten könnten, für wichtig.

Aber die Grundwerte selbst stehen außerhalb der Moral: diese wird durch jene erst gesetzt.

Grüße,
hel










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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Sheelina am 04. Sept. 2006, 18:00 Uhr
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Hallo zur Zeit ungestörte Runde und liebe Leser!


on 09/04/06 um 17:35:23, Eberhard wrote:p.s.: Das große Interesse, auf das diese bisher störungsfreie Diskussionsrunde stößt (mehr als 1,700 Hits in knapp 2 Wochen) ist offenbar einigen ein Dorn im Auge.



Da muss ich leider enttäuschen. Diese Angabe ist in diesem Forum ganz normaler Durchschnitt, also nicht von einem besonderen Interesse bei Lesern auszugehen. Wem ein solcher Durchschnitt ein Dorn im Auge sein soll, ist mir schleierhaft. Überhaupt wie man darauf in einem Philosophieforum besonderes Gewicht legen kann.

Nur mal so zur nettgemeinten Klarstellung, damit hier keiner unter Einbildung leiden braucht. :-)

viele Grüße
Sheelina

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von hel am 04. Sept. 2006, 18:29 Uhr
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Hallo Eberhard

zu meinem Beispiel bzgl. Versprechen gegenüber einem Verstorbenen.


Quote:Mir ist aufgefallen, dass die Frau eigentlich keine moralische Argumente vorträgt, .......Ich sehe nicht, wie diese Argumente eine allgemeine Anerkennung finden könnten. Ich sehe Millionen von Leuten, die eine bessere Verwendung für das fremde Geld hätten,.....


Du gehst davon aus, daß eine moralische Haltung nur dann gültig sein kann, wenn sie zumindest theoretisch allgemeine Anerkennung finden kann. Ich sehe das nicht. Wenn die Frau ihrer Familie gegenüber eine stärkere moralische Verpflichtung empfindet, als den Fremden, dann sind das eben ihre Werte. Ich hatte es nicht explizit ausgeführt. Sagen wir: "Du sollst in erster Linie für das Wohl derjenigen sorgen, die Du liebst"

Quote:Auch der Mann argumentiert eigentlich nur schwach moralisch, .......Wenn man Versprechen halten soll, dann ist er doch verpflichtet, das Geld nach dem Willen des Eigentümers zu verwenden und wie versprochen weiter zu geben. Wie will er hier für eine Ausnahme plädieren?


Ich habe mein Beispiel nochmal gelesen. Er plädiert nicht für eine Ausnahme. Für den Mann hat "Du sollst Deine Versprechen halten" seinen moralischen Wert. Er hat nur kein rationales Gegenargument gegen die Moral seiner Frau "Du sollst für das Wohl derjenigen sorgen, die Du liebst".
Die beiden Moralsysteme widersprechen sich einfach.


Quote:Ich kann also auch in Deinem Beispiel nicht die Problematik des infiniten Regresses erkennen und sehe keine unlösbaren Widersprüche.


Ich hoffe, ich konnte den Widerspruch zwischen F und P etwas verdeutlichen.

Zum infiniten Regress: ich hatte dich mißverstanden und gedacht, daß die Forderung des "argumentativen Konsens" auch darin besteht, daß jede moralische Position begründbar sein muß, unabhängig ob darüber schon ein allgemeiner Konsens besteht oder nicht. Wenn Du jeden Wert, auch den grundlegendsten, begründen willst, kommst Du m.E. schon in einen infiniten Regress.

Grüße,
hel


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von hel am 04. Sept. 2006, 19:31 Uhr
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Hallo Abrazo

on 09/02/06 um 14:07:23, Abrazo wrote:Hi,

dient lediglich der Verdeutlichung, dass ein moralischer Konsens nicht so ohneweiteres herstellbar ist.

Das ist auch nicht nötig, Hel, siehe Urs. Der besteht nämlich längst (siehe auch meine Äußerungen im Thread "Vertrauen"). Denn auf diesen Konsens vertrauen wir, auch wenn einige ihn nicht einhalten.


Ich finde den Beitrag von urs auch gut. Eine Gemeinschaft könnte wahrscheinlich gar nicht existieren, wenn sich durch das Zusammenleben nicht ein gewisser Grundkonsens einstellt (Vielleicht ist das auch eine der wenigen positiven Funktionen von Religion?). Aber selbst innerhalb einer engen Gemeinschaft ist er kaum vollständig und läßt in den nicht ganz zentralen Punkten verschiedene Auffassungen zu. Und zwischen verschiedenen Kulturen ist der Grundkonsens wesentlich geringer, vielleicht auch gar nicht vorhanden.

Quote:Dir, Hel, liefere ich ein anderes Beispiel, das mir gerade wieder über den Weg gelaufen ist.
..... Ich denke, es trifft diesen Grund, wenn ich sage, in ihren Augen wäre es unmoralisch gewesen.

Die Frage, warum soll man moralisch handeln, stellte sich ihr nicht. Sie handelte so, fertig. Was findest Du als Letztbegründung beim Überdenken der Möglichkeit, den Mann in ein Heim zu geben? Vernunft? Weitreichenden Egoismus?
Ich erkenne nur das ethische Nein.


Du rennst mit Deiner Argumentation bei mir offene Türen ein.
Nur: warum bestehst Du immer auf der negativen Formulierung? Ist nicht das Nein zum Heim auch das Ja zur inneren Verpflichtung, den Mann bei sich im Hause zu pflegen?

Und dann noch:
wer sich in einer identischen Situation dazu entschließt, ja zum Heim und Nein zur häuslichen Pflege zu sagen, handelt deswegen nicht zwingend unmoralisch. Wer die Verpflichtung zur Selbstaufopferung nicht spürt, hat einfach anderes Moralempfinden.

Eigentlich seltsam, moralische Werte kann nur der verletzen, der sie auch besitzt.

Grüße,
hel









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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von hel am 04. Sept. 2006, 20:33 Uhr
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Hallo Abrazo

on 09/03/06 um 22:29:04, Abrazo wrote:zumal es ja bereits die UN-Deklaration der Menschenrechte gibt, ein Konsens auch unter Feinden.


Widersprechen sich die Menschenrechte und einige Interpretationen der Scharia in manchen islamischen Staaten nicht? Ähnliches gilt auch für viele Diktaturen weltweit. Wie kann man da von Konsens sprechen?

Quote:.....Wieder wird verlangt, notorischen Dieben die Hand abzuhacken, obwohl es längst Gefängnisse gibt.
....dann können wir fragen, ob sie dafür nicht vielleicht vernünftige Gründe haben. Diesen vernünftigen Grund sehe ich in der mangelnden Rechtssicherheit.
Wenn, je nach Zugehörigkeit zu einer Bevölkerungsschicht, die Gesetze das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben stehen, dann sind heute als barbarisch empfundene Gesetze, für die man die Unantastbarkeit des Heiligen beanspruchen kann, immer noch besser, als unberechenbarer Willkür aus der eigenen Gesellschaft unterworfen zu sein.


Irgendwo hat der Gedankengang einen Bruch. Warum sollen bei Rechtsunsicherheit, wo schon die bestehenden Gesetze nicht eingehalten werden oder mißbräuchlich verwendet, die wesentlich strengeren Gesetze Abhilfe schaffen? Die Gefahr, daß jemand zu Unrecht verurteilt wird hat sich dann nicht gemindert, aber die möglichen Folgen werden durch die größere Grausamkeit der Gesetze schlimmer. Das Problem liegt ja an der Willkür der Regierung und/oder korrupten Verwaltung aber nicht am Gesetzestext.

Ich glaube daß es anders ist: die Leute erhoffen von einer islamischen Regierung mehr Gerechtigkeit als von der jew. bestehenden Diktatur und mit dem Islamismus wird eben auch die Scharia eingekauft.

Grüße,
hel


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 05. Sept. 2006, 10:55 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo hel,

Du schreibst:
"Mein Punkt ist nur: diese (allgemein konsensfähige) Norm selber, auch wenn sich alle Menschen auf sie einigen, ist dadurch weder richtig noch falsch. Und jederzeit kann jemand über diese Norm nachdenken und fragen: warum soll ich dieser Norm folgen?"


Ich habe das Gefühl, dass ich mich noch nicht richtig verständlich machen konnte. Deshalb ein etwas ausführlicherer Versuch, meine Position dazulegen, um auf Deine Einwände einzugehen. Da Du mit der Methodologie der Erfahrungswissenschaften offensichtlich vertraut bist, will ich meinen Gedankengang in Parallele dazu erläutern. Ich werde mich bemühen, den Gedankengang in seinen einzelnen Teilschritten darzulegen, damit für jeden klar ist, welcher Gedankenschritt für ihn nachvollziehbar ist und welcher nicht.
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Als Ausgangspunkt nehme ich einmal eine positive (auf das Gegebene bezogene) Aussage "Goethe starb 1832" und eine normative (auf das Gesollte bezogene) Aussage: "Die Kriegserklärung der USA gegen den Irak ist moralisch zu verurteilen".

Beide Aussagen können behauptet werden, also mit dem Anspruch auf Richtigkeit geäußert werden.

"Richtig" bedeutet dabei "richtig für alle" (intersubjektiv richtig) und "dauerhaft richtig" (intertemporal richtig). Statt zu sagen "für alle und dauerhaft richtig" sage ich auch kurz "allgemein richtig".

Zum Sinn des Wortes "Richtigkeit" gehört ein Geltungsanspruch. Das, was richtig ist, soll man übernehmen und seinem eigenen Denken und Handeln zu Grunde legen.

Ein allgemeiner (intersubjektiver und intertemporaler) Geltungsanspruch bezüglich einer Behauptung kann mit oder ohne Begründung erhoben werden. Unter der "Begründung" einer Behauptung verstehe ich dabei die Angabe von anderen – als akzeptabel vermuteten – Sätzen (Argumenten), aus denen sich logisch oder unmittelbar einsichtig die zu begründende Behauptung ergibt.

Begründet wird immer gegenüber Personen. Ein Argument ist dann für eine Person "akzeptabel", wenn die Person das Argument nachvollziehen und aus freier Einsicht übernehmen kann.

Die Nachvollziehbarkeit eines Argumentes wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass eine Person das Argument nicht nachvollziehen kann, weil sie das Argument nicht versteht.

Ich spreche von einer "wissenschaftlichen" Behauptung, wenn der Geltungsanspruch in Bezug auf diese Behauptung nur insoweit erhoben wird, als allgemein akzeptable Argumente dafür vorliegen.

Behauptungen mit allgemeinem Geltungsanspruch nenne ich "dogmatisch", wenn dieser Anspruch nicht durch Argumente eingelöst wird.

Wenn gegenüber einer Person eine dogmatische Behauptung geäußert wird, (deren Geltungsanspruch also nicht akzeptabel begründet wird), so ist diese Behauptung für die betreffende Person nicht zu unterscheiden von einer Forderung nach Glauben (im Falle von positiven Aussagen) oder Gehorsam (im Falle von normativen Aussagen).

Behauptungen, die allgemein akzeptabel begründet sind, kann jeder (Verständige) zustimmen. Ich nenne solche Behauptungen auch "argumentativ konsensfähig", denn über sie lässt sich allein durch Argumentation Übereinstimmung herstellen.

Über positive Aussagen lässt sich durch logische Argumentation und durch den HInweis auf gemachte Wahrnehmungen in Bezug auf viele Aussagen ein argumentativer Konsens herstellen, dank der auf intersubjektive Nachprüfbarkeit angelegten Methoden der Erfahrungswissenschaften.

In Bezug auf die normativen Aussagen kann von einer auf intersubjektive Nachvollziehbarkeit angelegten Methodik bisher kaum gesprochen werden.

Vielleicht ist Dir in der Gegenüberstellung mit der Erfahrungswissenschaft klarer geworden, warum das Kriterium der Konsensfähigkeit für mich kein Grundwert unter anderen wie z. B, Gesundheit, Frieden, Wohlstand, Gleichheit etc. ist, sondern gewissermaßen das Kriterium der Richtigkeit selber. Natürlich kann jeder eine allgemein konsensfähige Norm wieder in Frage stellen, so wie er auch jederzeit eine gut bestätigte positive Aussage wieder in Zweifel ziehen kann. Aber dann sind ja die Argumente da, die die Konsensfähigkeit begründen.

Gegen ein häufiges Missverständnis: Mit "konsensfähig" ist nicht gemeint, dass faktisch eine einstimmige Zustimmung vorliegt. Auch die hochgradig konsensfähigen Ergebnisse der Naturwissenschaften finden faktisch keine einmütige Zustimmung. Trotzdem gibt es dort für Verständige einen stetigen Erkenntnisprozess.

Soviel erstmal (hoffentlich nicht zuviel) von Eberhard.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Urs_meinte_Euch am 05. Sept. 2006, 14:44 Uhr
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Hallo Eberhard!

Um auf Deine Fragen zu antworten, möchte ich zuerst noch im Allgemeinen näher erläutern, wie sich reflexive Normbegründung und präreflexive Geltung von Normen zu einander verhalten. Dazu zwei Selbstzitate. Ich hatte geschrieben:



Quote:Aber irgendwo muss der Scheck der Konsensfähigkeit durch einen faktischen Konsens gedeckt sein, denn er muss ja im faktischen, gemeinsamen, normenkonformen Handeln eingelöst werden. Erst da zeigt sich, was eine vernünftige Begründung wert ist.

Und in einem anderen Beitrag:


Wenn es nun um Normen, Zwecke oder "Werte" geht, so nenne ich sie "gesetzt", wenn sie in der Reflexion erkannt und als "gültig" erklärt werden. Solange man über Normen oder Zwecke nur nachdenkt/diskutiert, hat man sie noch nicht "in Geltung gesetzt" oder "beschlossen".



In der Reflexion - z.B. in einer Diskussion über die Frage: „Wie soll ich im Fall X handeln?“ – werden Normen virtualisiert. Die gegebenen Antworten sind nur Vorschläge, für die dies oder jenes spricht. Gesetzt, eine Diskussionsrunde einigte sich auf eine bestimmte Antwort, so wird daraus doch erst eine gültige Norm, wenn sie in einem von der Begründung gesonderten Schritt „beschlossen und verkündet“ wird, d.h. wenn die Beteiligten ausdrücklich ihren gemeinsamen „Willen“ erklären, dass die vorgeschlagene Norm ab jetzt befolgt werden soll. Erst dann gilt diese Norm faktisch.

Die „Geltung“ einer Norm umfasst also zwei Momente, die durch die Reflexion von einander getrennt werden: ein kognitives Moment und ein „volitives“ Moment. In einer Diskussion um die Begründung der Norm wird das kognitive Moment isoliert; die Willenserklärung kommt dadurch als gesonderter Schritt im Verfahren zur Abhebung. So wird klar: Die beste Begründung der Norm – dass sie von allen möglichen Subjekten gewollt werden kann - macht eine Norm noch nicht gültig. Gültig wird die Norm erst, wenn sie faktisch gewollt wird, und zwar von empirischen Subjekten, die niemals „alle möglichen“ sind, sondern immer nur abzählbar viele.


Wie verhält es sich mit der Dualität des Kognitiven und des Volitiven bei Normen, die auf unreflektierte Weise gelten? Das wären Normen, die in einer bestimmten Gesellschaft niemals angezweifelt wurden, so dass auch niemand Fragen danach beantworten musste, warum diese Regel von jedermann befolgt werden solle. Die Norm wird „einfach so“ befolgt. Ja, sie tritt gar nicht einmal als Norm – nämlich als expliziter Soll-Satz - in irgendjemandes Bewusstsein. Alle wissen nur: „Bei uns macht man es faktisch immer schon so.“ Dabei ist auch nicht davon die Rede, dass alle es ausdrücklich so (und nicht anders) „wollen“. Ein ausdrückliches Wollen kommt m.E. nämlich erst dort zur Abhebung, wo es mit möglichen Alternativen verbunden ist, wo also zwischen einem möglichen „so oder anders“ entschieden werden muss. (Man könnte das auch so formulieren, dass man schon wissen muss, was eine „Entscheidung“ ist, bevor man versteht, was „Wille“ bedeutet.)

Man kann also im Falle der präreflexiv geltenden „Normen“ gar nicht zwischen Wollen und Sollen unterscheiden. Was in der Reflexion einen Gegensatz bildet, ist im präreflexiven Handlungsvollzug eine ungeschiedene Einheit. Es ist eine Weise des Handelns, ein (intersubjektives) Handlungsschema oder eine „Lebensform“. In der Reflexion gilt, dass man das Sollen nicht aus dem Sein ableiten kann: nur weil man etwas bisher immer so und nicht anders getan hat, muss man es nicht zwingend auch in Zukunft so tun. Im unreflektierten Handlungsvollzug spielt aber eine offene Zukunft, in der alles auch ganz anders kommen könnte, gar keine Rolle. Erst wenn die bisher gelingende Praxis an veränderten Umständen scheitert, womöglich mehrmals, kann bewusst werden, dass die bisherige Praxis kontingent ist und ihr Gelingen von veränderlichen Umständen mit abhängt.

In einer unreflektiert gelingenden, gemeinsamen Praxis gibt es auch keinen Zwang, also äußere Handlungsrestriktionen, zu denen auch Forderungen oder Imperative anderer gehören können. Zwang – verstanden als Beschränkung der Handlungsfreiheit – kann es nur geben, wo es überhaupt Freiheit gibt. Aber „Freiheit“ – verstanden als bewusste Fähigkeit, zwischen möglichen Alternativen zu entscheiden – gibt es im vorliegenden Fall gar nicht, weil die eingespielte Handlungsweise alternativlos vollzogen wird. „Wo kein Kläger, da kein Richter“, ist ein bekannter Rechtsgrundsatz. Und bei einer gelingenden gemeinsamen Praxis gibt es eben niemanden, der sich darüber beklagt, dass er nicht tun könne, was er wolle.

Dass ich hier nicht von paradiesischen Zuständen in irgendwelchen versunkenen traditionalen Gesellschaften spreche, wird klar, wenn wir unser tagtägliches Routinehandeln beobachten. Denn das hat dieselbe irreflexive Struktur, bei der Wollen und Sollen nicht auseinander treten und von „Zwang“ und „Freiheit“ keine Rede ist. Zweifellos besteht unser Leben nicht nur aus Routinehandlungen; jederzeit kann eine gelingende Praxis scheitern, kann sie in Frage gestellt werden, können Meinungsverschiedenheiten auftreten. Aber niemals bei allen unseren Lebensformen zugleich, sondern immer nur an verhältnismäßig wenigen Punkten. Wäre es anders, würde unser Leben zusammenbrechen; denn man kann sein Leben nicht in der Dauerreflexion zubringen. Es muss gehandelt werden, und zwar gemeinsam. Und während eine bisher gängige Praxis in Frage steht, wird sie doch noch in der gewohnten Weise vollzogen, schlicht deshalb, weil man es sich nicht leisten kann, nichts zu tun, ehe nicht über die neue Praxis entschieden ist.

So ist es zu verstehen, wenn ich sage, dass die Lebensformen, also die „gelebten“ Konsense, die Grundlage der expliziten, reflektierten und ausdrücklich „gesetzten“ Normen bilden. Und so begründe ich meine Behauptung, dass eine Normenbegründung, die aussschließlich nach dem Vorbild der neuzeitlichen Naturrechtstradition vorgeht, zu kurz greift, gleichsam in der Luft hängt, also unrealistisch ist.

Das neuzeitliche Naturrecht, (grob gesagt) anfangend mit Hobbes, geht nämlich von einer natürlichen „Freiheit“ aus: Im „Naturzustand“ können alle Individuen tun, was sie wollen, sie haben ein „natürliches Recht“ darauf. Normen werden hier eingeführt als intelligenter Ersatz der faktischen Zwänge und Risiken, die ein ungeregeltes Zusammenleben der natürlich Freien zur Folge hätte. Normen sind also rational eingesehene und ausdrücklich gewollte Einschränkungen der Freiheit aller, und zwar um der Freiheit willen. Dieser Begründungsansatz setzt lauter Begriffe voraus (Freiheit, Zwang, Wollen, Norm), die in den basalen, irreflexiven Lebensformen einer Gesellschaft gegenstandslos sind.

Der naturrechtliche Ansatz ist, wie ich schon bei anderen Gelegenheiten gesagt habe, vollkommen überzeugend, nämlich für das Recht und den rechtsförmig verfassten Staat. Aber es ist verfehlt, Handlungsnormen grundsätzlich nach diesem Modell zu begründen bzw. dieses Modell auf die Ethik auszuweiten. Die Moral einer Gesellschaft ist kein Zwangsrecht.


Grüß Dich,
Urs




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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von hel am 06. Sept. 2006, 01:50 Uhr
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Hallo Eberhard

on 09/05/06 um 10:55:05, Eberhard wrote:..............
Über positive Aussagen lässt sich durch logische Argumentation und durch den Hinweis auf gemachte Wahrnehmungen in Bezug auf viele Aussagen ein argumentativer Konsens herstellen, dank der auf intersubjektive Nachprüfbarkeit angelegten Methoden der Erfahrungswissenschaften.

In Bezug auf die normativen Aussagen kann von einer auf intersubjektive Nachvollziehbarkeit angelegten Methodik bisher kaum gesprochen werden.
..........


Ich glaube fast, daß ich Dich jetzt verstanden habe. Nur sehe ich selbst keinen Weg, eine geeignete Methodik im Bereich der moralischen Normen zu finden.

Das methodische Instrument der Naturwissenschaften, Anhand von Wahrnehmungen zu begründen, fehlt uns bei der Aufstellung moralischer Normen.

Um einen infiniten Regreß an Begründungen zu vermeiden, darf die Begründung einer Norm auch nicht immer auf eine weitere Norm verweisen.

Weiters ist die allgemeine Anerkennung einer Norm kein Beweis dafür, daß sie wirklich konsensfähig ist.

Du schreibst:

Quote:Eine moralische Handlungsnorm ist richtig, wenn man so handeln soll, wie die Norm besagt. Die Frage, die sich angesichts dieser Lage für die Ethik stellt lautet: Welches allgemein akzeptable Kriterium der Richtigkeit gibt es in Bezug auf normative Urteile, das eine auf nachvollziehbaren Argumenten beruhende allgemeine Übereinstimmung ermöglicht


Dein Kriterium der "argumentativen Konsensfähigkeit" ist aber kein Kriterium, das auf diese Frage eine Antwort gibt, sondern streicht diesen Punkt nur nocheinmal heraus: daß eine moralische Norm nur dann als richtig akzeptiert werden kann, wenn es allgemein nachvollziehbare Argumente für sie gibt.

Welche Art von Argumenten das sein können, sagt sie uns nicht. Uns fehlt also noch jeder konkrete Ansatz einer Methode, nach der wir feststellen können, ob eine moralische Norm allgemein konsensfähig ist.

Du schreibst

Quote:Dass das Kriterium der intersubjektiv übereinstimmenden Wahrnehmungen kein Kriterium für moralische Urteile sein kann, bedeutet ja noch nicht, dass es nicht ein anderes Kriterium geben kann, das eine intersubjektive Übereinstimmung und damit eine Begründung des allgemeinen Geltungsanspruchs moralischer Urteile ermöglicht.


Außer den intersubjektiv geteilten Wahrnehmungen fällt mir nur noch die Logik und die Mathematik ein. Und ich glaube nicht, daß die beiden allein dabei hilfreich sind.

Aber vielleicht fällt Dir noch etwas ein.

Grüße,
hel








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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Tombola am 06. Sept. 2006, 02:05 Uhr
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Hi. Ich hab eure Diskussion nicht ganz mitverfolgt, aber ich hab einen kleinen Beitrag zu dem, was hel grad geschrieben hat.

hel Meinte, die Ableitung von Normen darf nicht selbst wieder auf Normen gründen, weil sonst der moralische Komplex selbstbezüglich wäre.

Es ist doch aber meisstens so, dass der Charakter von Aussagen/Sätzen auf das zurückgeht, was man als Axiome formuliert hat.

In diesem Fall wäre es vieleicht so: Man muss sich fragen, ob handlungsanleitende Sätze (vieleicht abstrakt in der Form: Wenn "Situation" dann "Handlung") überhaupt aus anderen Sätzen und Axiomen abgeleitet werden können.
Wenn das nicht so ist (ich vermute es nur mal), wäre eine weitere Möglichkeit, axiomatische Normen einzuführen, die von allen eingesehen werden können.
Sowas bieten eben die Menschenrechte.

Ein wenig läuft das auf ein Erziehungproblem hinaus, wobei das Problem eher eine Chance ist...

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von hel am 06. Sept. 2006, 02:30 Uhr
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Hallo Tombola,

Du müßtest Dich ein bißchen einlesen.

Quote:Man muss sich fragen, ob handlungsanleitende Sätze (vieleicht abstrakt in der Form: Wenn "Situation" dann "Handlung") überhaupt aus anderen Sätzen und Axiomen abgeleitet werden können.
Wenn das nicht so ist (ich vermute es nur mal), wäre eine weitere Möglichkeit, axiomatische Normen einzuführen, die von allen eingesehen werden können.
Sowas bieten eben die Menschenrechte.


Das ist eigentlich auch mein Standpunkt. Aber Eberhard versucht, eine Ethik ohne "dogmatischen Endpunkt" zu finden sondern bei "moralischen Naturgesetzen" zu landen. Ich halte das für einen interessanten Versuch, aber fürchte, daß wir dabei scheitern werden.

Grüße,
hel


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 06. Sept. 2006, 09:21 Uhr
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Hi,

wir diskutieren hier auf zwei verschiedenen Ebenen: die präreflexiven Normen und die reflexiven Normen.

Ich halte nichts davon, wenn wir diese beiden Ebenen gleichzeitig diskutieren. Zwei unterschiedliche Themen im gleichen Thread zu diskutieren führt nur zur Verwirrung.

Der m.E. seit alters her bestehende Konflikt zwischen biologisch gesteuertem Verhalten, das die entsprechenden selbstverständlichen nicht hinterfragten präreflexiven Normen generiert und der ihnen widersprechenden humanen Ethik gehört zum Bereich präreflexive Normen, den wir vielleicht besser in einem eigenen Thread diskutieren sollten. Hier, schlage ich vor, sollten wir uns auf die reflexiven Normen beschränken. Soweit das möglich ist; denn gänzlich, fürchte ich, wird das nicht gehen.

Auf die Frage, warum soll ich moralisch handeln, gibt Eberhard die folgende Antwort:

Es ist also keineswegs widersprüchlich sondern man handelt rational (im Sinne von "den eigenen Zielen entsprechend"), wenn man (unbemerkt) gegen diejenige Regel verstößt, die man selber als die für alle gemeinsam beste Regelung hält.

Man handelt damit allerdings nicht moralisch (d. h. gemäß den einzuhaltenden Regeln) und auch nicht "vernünftig" (weil man hinter die Einsicht zurückfällt, dass Regeln notwendig sind, die für alle gelten und von allen anerkannt werden können).

Diese Aussage enthält allerdings eine Voraussetzung: nämlich die, dass man überhaupt an gemeinschaftlichem Handeln interessiert ist. Das ist nicht notwendigerweise der Fall. Ein Egozentriker kann ohne weiteres anerkennen, dass einer bestimmte Norm aus rationalen Gründen zuzustimmen ist, weil dies der Gemeinschaft zuträglich ist. Er kann sie aus ebenso rationalen Gründen für sich selbst ablehnen, weil sie seine Selbstverwirklichung behindert. Soweit wiederhole ich so ziemlich Eberhard.

Jetzt kann argumentiert werden, du profitierst ja von der Einhaltung der Normen, also musst du vernünftigerweise dafür sein und sie selber einhalten.

Der Egozentriker kann ebenso vernünftig entgegnen: ich bin entschieden für die Absegnung und Sanktionierung dieser Normen, gerade weil ich davon profitiere. Ich lasse sie aber nicht für mich gelten, da genau das meinen Profit schmälert.

Für den Egozentriker hat damit die Gesellschaft Objektcharakter. Er nimmt sich aus der Gesellschaft heraus und wird dadurch zum Subjekt, dem die Gesellschaft als Objekt gegenüber steht, ein Objekt, mit dem er agiert.

Schließt der Egozentriker sich mit anderen Egozentrikern zu Zweckverbänden zusammen, erkennen wir ein politisches System.

Wie ist das denn nun mit der Moral? Mit welcher Begründung lässt sich der Egozentriker dazu bewegen, selber die Normen einzuhalten, denen er zustimmt?

Daran anschließend die Frage: muss nicht sicher gestellt werden, dass reflexive Normen nicht so aufgestellt werden, dass sie überhaupt nur für bestimmte gesellschaftliche Gruppen gelten können?

Beispiel: Schutz der Privatsphäre ist eine allgemeine Norm.
Diese Norm gilt aber nicht für diejenigen, die Transferleistungen der Gesellschaft benötigen, also z.B. Hartz IV. Die Norm, dass Transferleistungen den Schutz der Privatsphäre weitgehend aushebeln, kann gar nicht allgemein gelten, weil sie an die Bedingung geknüpft ist, dass einer seinen Lebensunterhalt nicht selbst sichern kann. Wir haben hier also eine Norm, der aus rationalen Gründen alle zustimmen können, obwohl sie für den Großteil der Zustimmenden gar nicht gelten kann. Unmoralisch handeln kann demnach nur der Hartz IV-Empfänger, die anderen können es gar nicht.

Da stellt sich dann die Frage nach der Moralität von Gesetzen, die von vornherein nur für einen Teil der Gesellschaft gelten können.

Grüße



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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 06. Sept. 2006, 09:28 Uhr
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Hallo allerseits,

hallo Urs

zu Deinen – sehr überzeugend vorgetragenen – Einwänden oder Ergänzungen. Du betonst, dass die durch Erkenntnis (kognitiv) erreichte Findung der Norm noch nicht die Einführung der Norm bedeutet, sondern dass es eines zusätzlichen (volitiven) Willensaktes der In-Kraft-Setzung bedarf.

Dies halte ich grundsätzlich für richtig. Die Beantwortung der Frage: "Was ist die für alle gemeinsam beste Regelung?" ist nicht identisch mit der Frage: "Gemäß welchen Regeln soll man handeln?", denn es kann zusätzlich ein Koordinierungsproblem bestehen. Wenn z.B. Rechtsfahrgebot und Linksfahrgebot gleichwertig sind, bedarf es einer zusätzlichen Entscheidung, welche Norm gelten soll. Das Handeln unmittelbar gemäß dem als richtig Erkannten kann also die soziale Koordination stören. (Der "Überzeugungstäter" ist u.U. noch problematischer als der Normverletzer aus Eigeninteresse.)

Oder ein anderes Beispiel. Angenommen in einer Gesellschaft der Kavaliere begrüßt man immer zuerst die "Damen". Jemand, der diese Kavaliersmoral mit die damit verbundene unselbständige Stellung von Frauen nicht akzeptiert und für eine Gleichstellung von Männern und Frauen ist, hält es deshalb für richtig, den "Damen" keine Sonderstellung zu geben, was sich auch darin aus drückt, dass er die Anwesenden der Reihe nach begrüßt. Dann kann es vorkommen, dass er eine Frau erst nach einem Mann begrüßt.

Wenn die Frau den Hintergrund seines Verhaltens nicht kennt, so wird sie dies Verhalten als eine Missachtung ihrer Weiblichkeit und ihrer Würde als Dame interpretieren.

Die Unterschied zwischen der Frage "Was ist die für alle gemeinsam beste und somit richtige Norm?" und der Frage: "Gemäß welcher Norm soll man handeln?" wird übrigens auch beim Kategorischen Imperativ nicht beachtet, der unmittelbar auf das Handeln bezogen ist ("Handle so, dass …). Dass die Vernachlässigung dieser Unterscheidung problematisch sein kann, zeigt das folgende Beispiel.

Angenommen, man käme zu dem Schluss, dass es die für alle gemeinsam beste Regelung ist, wenn alle ihre Waffen vernichten und auf das Mittel der bewaffneten Auseinandersetzung verzichten. Auch wenn dies richtig sein mag, folgt daraus nicht, dass ich jetzt entsprechend handeln und meine Waffen vernichten soll. Denn es braucht nur eine Partei die gefundene Lösung nicht zu befolgen und man hat eine Situation, in der der eine bewaffnet und der andere entwaffnet ist. Eine solche Situation wird aber kaum für alle gemeinsam die beste sein.

Andererseits scheint mir gerade bei den allgemein menschlichen Normen der Moral dieser formelle Akt der In-Kraft-Setzung nicht unbedingt erforderlich zu sein. Wenn man die Moral im Unterschied zum Recht als eine normative Orientierung ansieht, die nicht kodifiziert ist sondern sich in den Einstellungen der Individuen ausdrückt, so bilden und verändern sich diese moralischen Einstellungen unter dem Einfluss veränderter Lebensverhältnisse in gewisser Weise "von selbst".

Du schreibst weiter: " Man kann also im Falle der präreflexiv geltenden 'Normen' gar nicht zwischen Wollen und Sollen unterscheiden. Was in der Reflexion einen Gegensatz bildet, ist im präreflexiven Handlungsvollzug eine ungeschiedene Einheit. Es ist eine Weise des Handelns, ein (intersubjektives) Handlungsschema oder eine 'Lebensform'". Hier ist die Frage, was ist bloße Gewohnheit oder Brauchtum bei diesen Lebensformen und was ist Moral. Leider nennst Du kaum konkrete Beispiele für derart präreflexive 'Normen'. Ich sehe den Unterschied zwischen dem regelmäßigen Handeln aus Gewohnheit und dem regelgemäßen Handeln entsprechend einer Moral darin, dass man von einer Gewohnheit abweichen kann, ohne Tadel oder Sanktionen befürchten zu müssen, was bei Moral nicht der Fall ist.

Abschließend noch der Hinweis, dass es auch bei den Erfahrungswissenschaften eine Kluft zwischen Theorie und Praxis gibt. Diese zeigt sich u.a. bei der Rolle von Sachverständigen in Gerichtsprozessen. Ihre Ausführungen gehen nur insoweit in das Urteil ein, wie der Richter diese in freier Beweiswürdigung anerkennt.

Grüße an alle, die über Moralbegründung nachdenken von

Eberhard.

p.s.: So macht mir die Diskussion Spaß und so bringt sie auch für alle einen Erkenntnisgewinn.


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Titel: Moralspostel oder Diktator?
Beitrag von Wolfgang_Horn am 06. Sept. 2006, 10:30 Uhr
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Hallo Freunde,

ich setze die Schneide des scharfen Denkens zwischen
den "Moralapostel" mit seiner Frage "warum sollen meine Nächsten sich nach meinen Moralvorgaben verhalten?"

und den Diktator, der diese Frage schon beantwortet hat: "Ihr alle sollt meinen Tankstellen euer Öl spenden, Widerstrebende werden zu Terroristen erklärt, ich habe schöne Gitterkäfige fuir euch!"


Krass, nicht wahr? Moralapostel mit der "most evil peson on earth" zu verbinden, das gemeinsame Böse herauszuarbeiten?

Ja. Das Krasse, das Unerträgliche beginnt mit dem Wort "sollen".

Darin steckt nämlich schon die Anmaßung des Moralapostels, seine Mitmenschen zwingen zu wollen.
Und diese Anmaßung läßt meinen Zoll lodern.

Um richtig böse zu werden fehlt ihm dann nur noch die Macht.

These: Jeder Moralapostel ist ein Möchtegern-Diktatator, und welche Moral er immer vorschlägt, seine üble Einstellung entlarvt alle seine hehre klingenden Worte nach Moral als heuchlerisches Feigenblatt seines scheußlichen Strebens nach Macht über seine Opfer.

Den besseren Weg finde ich bei Jesus Christus, dem alten Fritz, Mahatma Gandhi und gerade bei Marc Aurel - diese Personen setzten tatsächlich jeweils ihre Moral, indem sie als Vorbilder glaubhafte voran gingen. Zum Teil ihr Leben für ihre Überzeugung riskierten - oder es sogar einsetzten wie Jesus Christus.

Sie alle wirkten nach der Methode: "Ich tue selbst, was ich für richtig halte".
Damit überzeugten sie mehr als der Ölräuber und "Satan der Gitterkäfige" von Washington.

Und jetzt ziehe ich mich warm an und neugierig, wer in diesem Forum sich outet als Möchtegern-Diktator und wer mir vorwirft, ich hätte ihn falsch verstanden.

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von laertes am 06. Sept. 2006, 10:37 Uhr
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hi wolfgang,

voll einverstanden mit deinem posting!


aber:

überlege mal ob, das was du als 'wahrheit' und deren ockhmansche annäherung bezeichnest, nicht auch schon moral ist.

viele grüsse

laertes

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.Idie
Beitrag von Urs_meinte_Euch am 06. Sept. 2006, 12:40 Uhr
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Hallo Eberhard, hallo Abrazo!


Mit den irreflexiven Lebensformen meine ich ganz sicher keine instinktiven (und insofern "natürlichen") Verhaltensweisen, sondern Handlungsschemata, die kulturell erworben - also erlernt - sind. Zur "Gewohnheit" müssen solche Handlungsweisen allerdings geworden sein, damit sie ohne ausdrückliche Überlegung vollzogen werden können. Letztlich zielt der größte Teil unseres Lernens darauf ab, dass uns Handlungsschemata "selbstverständlich" werden, dass sie uns "in Fleisch und Blut übergehen", dass wir sie "im Schlaf" vollziehen können - also "unwillkürlich" und ohne das zeitraubende Zögern, das eine Überlegung und bewusste Entscheidung verursacht.

Man kann allerdings auch die Reflexion gezielt lernen, z.B. das "Probleme lösen" oder das Argumentieren oder die "rasche Auffassungsgabe". So bekommt etwa ein Richter unweigerlich Routine darin, das komplizierte Gerichtsverfahren in immer wechselnden "Fällen" zu überschauen, Unnötiges wegzulassen, Zeugen geschickt zu befragen usw. So lernen Psychotherapeuten, sich auf die individuellen Eigenheiten und Problemlagen ihrer sehr unterschiedlichen Klienten möglichst einfühlsam und doch sachlich einzustellen.
Auch Reflexion kann also ihrerseits zum Routinehandeln, d.h. als zielgerichtetes Handlungsschema irreflexiv vollzogen werden. Reflexiv sind solche Handlungsschemata dann nur im Verhältnis zu ihren jeweiligen Gegenständen; der Vollzug "als solcher" geschieht "unmittelbar" und ist somit nicht das "Thema" der Reflexion.


Es ist angesichts der riesigen Menge unserer erworbenen Routinehandlungen nicht ganz leicht zu bestimmen, welche davon moralisch relevant und welche - gewissermaßen als bloße "Techniken" - moralisch indifferent sind, obwohl sie für das gesellschaftliche Zusammenleben unverzichtbar sein mögen und von ihren Folgen viele andere Menschen mittelbar und unmittelbar betroffen sein können. - Intuitiv vermute ich, dass die Grenze in der Theorie nicht ein für alle Mal zu ziehen ist, dass man es aus theoretischer Warte vielmehr mit einem fließenden Übergang zu tun hat und nur bei der Prüfung von Einzelfällen bestimmen kann, ob irreflexive Handlungsweisen als moralisch indifferent (also quasi-technisch) aufzufassen sind oder nicht.

Dass die Irreflexivität des Routinehandelns ihrerseits moralisch problematisch werden kann, ist bekannt. Hier muss man gar nicht an "Schlendrian" (juristisch: "Fahrlässigkeit") denken, dessen Folgen verheerend sein können. In vielen Bereichen wird es bereits zu einer moralischen Frage, ob man routiniert, quasi-technisch mit anderen Menschen umgehen darf (Behörden, Medizin). Eine andere Facette des Routine-Problems ist das "Burn out"-Syndrom, also eine (scheinbare) Gewöhnung an die ständige Überforderung durch Verantwortung, Mitgefühl usw. -
Routine ist also schon als solche ein moralisches Thema: Einerseits wird sie für einen "reibungslosen Ablauf" des Zusammenlebens gebraucht (z.B. im Straßenverkehr, in der Medizin), andererseits kann die "Versachlichung" durch routinierten Umgang miteinander in Missachtung und völlige Rücksichtslosigkeit umschlagen. (So kann man auch Routine im Töten und Foltern bekommen - erleichtert durch eine distanzschaffende Technik.)


Aber ich möchte Beispiele für intersubjektive Handlungsweisen nennen, die eindeutig als "moralisch" zu erkennen und doch "eingespielt" sind, also irreflexiv vollzogen werden.

In unserer Gesellschaft ist eine gewisse Distanziertheit im alltäglichen Umgang miteinander üblich. Es gilt als "unhöflich" oder "rücksichtslos" oder "unfein" oder "verletzend", dem anderen "zu nahe zu treten". Das "Zu-nahe-treten" kann ganz buchstäblich gemeint sein; man denke an die typische angespannte Betretenheit, die sich regelmäßig in vollen U-Bahnen oder Aufzügen ausbreitet, wenn man gezwungenermaßen dicht gedrängt steht. Zu nahe kann man dem anderen aber auch durch persönliche Fragen oder Bemerkungen treten. Es genügt ja schon das Zeigen mit dem Finger auf einen Dritten oder das unverhohlene, neugierige oder gar lüsterne Anstarren. Sogar Freundlichkeit kann als "aufdringlich" empfunden werden, weswegen wir meist auch darin vorsichtige Zurückhaltung üben (im auffälligen Gegensatz z.B. zum Umgang der US-Amerikaner miteinander).


Zum Anstarren fällt mir ein Ereignis aus meiner Kindheit ein, das sozusagen "prägend" war. - Ich muss etwa 7 oder 8 Jahre alt gewesen sein, als mein Vater einmal zwei Kollegen zu uns nach Hause einlud; der eine war ein Thailänder, der andere ein sehr dunkelhäutiger Äthiopier. Diese Begegnung fand ich natürlich sehr spannend; damals war es noch sehr selten, dass man einen Afrikaner oder Asiaten aus der Nähe betrachten konnte, und nun saßen zwei von ihnen an unserem Esstisch. Eine der Beilagen war Frisée-Salat, und ich erinnere mich noch gut, dass ich fasziniert davon war, wie der Äthiopier (der übrigens den gleichen Vornamen hat wie ich) diesen Salat aß - mit kurzen und entschiedenen Kaubewegungen, die ein deutlich hörbares "ratsch-ratsch-ratsch" bewirkten. Und ich bin beinahe erschrocken zusammengefahren, als ich bei einer Kopfwendung den tadelnden, kopfschüttelnden Blick meiner Eltern auffing, der eindeutig zu verstehen gab: "Starr den Mann nicht so an!"

Mein Blick war völlig unbefangen gewesen, einfach neugierig und interessiert, wie das für Kinder typisch ist. Aber er scheint gleich gegen mehrere "Normen" verstoßen zu haben: Man starrt andere nicht unverwandt an; man diskriminiert Fremde nicht, nur weil sie fremd sind - wobei unverhohlene Neugier schon diskriminierend sein kann; man schaut tolerant über persönliche Eigenheiten hinweg, auch wenn sie, gemessen an den eigenen Maßstäben des "Benimms", auffällig sind...

Diese Szene hat sich mir stark eingeprägt, obwohl meine Eltern sie später nicht noch einmal in einem "moralischen Gespräch" thematisierten. Bestimmt habe ich bei anderen Gelegenheiten auch ausdrückliche Ermahnungen zum taktvollen Umgang von ihnen erhalten. Sonst hätte ich vermutlich ihren tadelnden Blick gar nicht verstanden.

Mir scheint das ein gutes Beispiel dafür zu sein, wie subtil einerseits "moralische Erziehung" stattfindet und wie tief andererseits "Normen" in den unwillkürlichen Umgang miteinander, hinein bis in unsere Körperbewegungen, "einbeschrieben" sind. Dort sind sie als "Normen" nicht mehr bewusst; trotzdem lassen sie sich in der Reflexion als vorhanden "rekonstruieren". Ja uns fällt meist nur an Ausnahmesituationen auf, dass unsere kleinen Handlungsschemata nicht "natürlich" und "selbstverständlich" sind, sondern dass wir sie irgendwann einmal erlernt haben und dass es dafür ein "richtig" und ein "falsch" gibt.

Im Verhältnis zu diesem subtilen und komplexen "Unterbau" unseres erlernten sozialen Handelns wird deutlich, wie "oberflächlich" und exzeptionell die bewusste Diskussion über moralische Normen und ihre Rationalität immer nur sein kann. Moral nistet sich sehr viel "tiefer" ein, nämlich dort, wo sie der Reflexion meist entzogen bleibt und wo ein Umlernen darum auch sehr schwer fällt.
Aber, wie schon mehrfach betont, nur weil sich diese Basis unseres Ethos der Reflexion überwiegend entzieht, ist sie doch nicht per se "irrational" oder "willkürlich" oder "autoritär" zustande gekommen.


Es grüßt Euch
Urs




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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 06. Sept. 2006, 13:35 Uhr
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Hi, laertes,

Du: voll einverstanden mit deinem posting!
Danke, bin erleichtert.

Du;: das was du als 'wahrheit' und deren ockhmansche annäherung bezeichnest, nicht auch schon moral ist.

Verschiedene Erklärungen nach Okhams Regel miteinander zu vergleichen für die Entscheidung, welche Eklärung man gemeinsam für solange eher wahr halten wolle, bis neue Erkenntnisse vorliegen, ist eine Vereinbarung unter Naturwissenschaftlern.

Wer sich dem entzieht, der wird einfach nicht ernst genommen. Wer ein besseres Kriterium vorstellen will, soll das tun. Wenn es vernünftig klingt und Chancen hat, Okhams Regel zu toppen.

Ob das die Merkmale erfüllt, die für eine Moral gelten, mögen die prüfen, die dafür kompetent sind.

Ich will mir nur übrflüssige Mühen ersparen, ich will treffend entscheiden, ich will die besten Karten und Modelle der Wirklichkeit.

Mir ist klar, Esoteriker und andere Personen, die untaugliche Modelle favorisieren, lehnen Ockhams Regel ab. Genau diese Ablehnung ist das Merkmal ihrer Untauglichkeit als Naturwissenschaftler.

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von hel am 06. Sept. 2006, 14:16 Uhr
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Hallo Abrazo

on 09/06/06 um 09:21:39, Abrazo wrote:.....
Daran anschließend die Frage: muss nicht sicher gestellt werden, dass reflexive Normen nicht so aufgestellt werden, dass sie überhaupt nur für bestimmte gesellschaftliche Gruppen gelten können?

Beispiel: Schutz der Privatsphäre ist eine allgemeine Norm.
Diese Norm gilt aber nicht für diejenigen, die Transferleistungen der Gesellschaft benötigen, also z.B. Hartz IV. Die Norm, dass Transferleistungen den Schutz der Privatsphäre weitgehend aushebeln, kann gar nicht allgemein gelten, weil sie an die Bedingung geknüpft ist, dass einer seinen Lebensunterhalt nicht selbst sichern kann. Wir haben hier also eine Norm, der aus rationalen Gründen alle zustimmen können, obwohl sie für den Großteil der Zustimmenden gar nicht gelten kann. Unmoralisch handeln kann demnach nur der Hartz IV-Empfänger, die anderen können es gar nicht.


Wenn man es so formuliert:

Wer jemandem Hilfe unter einer bestimmten Bedingung anbietet, ist moralisch berechtigt, sich zu vergewissern, daß diese Bedingung auch eingehalten wird, bevor diese Hilfe geleistet wird. Oder umgekehrt:
Der Anspruch auf Hilfeleistung verpflichtet zum Nachweis der Bedürftigkeit.

Dann gilt diese Norm auch für jedermann.

Grüße,
hel


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Titel: Re: Moralspostel oder Diktator?
Beitrag von Joy am 06. Sept. 2006, 17:28 Uhr
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on 09/06/06 um 10:30:14, Wolfgang_Horn wrote:These: Jeder Moralapostel ist ein Möchtegern-Diktatator, und welche Moral er immer vorschlägt, seine üble Einstellung entlarvt alle seine hehre klingenden Worte nach Moral als heuchlerisches Feigenblatt seines scheußlichen Strebens nach Macht über seine Opfer.

Den besseren Weg finde ich bei Jesus Christus, dem alten Fritz, Mahatma Gandhi und gerade bei Marc Aurel - diese Personen setzten tatsächlich jeweils ihre Moral, indem sie als Vorbilder glaubhafte voran gingen. Zum Teil ihr Leben für ihre Überzeugung riskierten - oder es sogar einsetzten wie Jesus Christus.

Sie alle wirkten nach der Methode: "Ich tue selbst, was ich für richtig halte".
Damit überzeugten sie mehr als der Ölräuber und "Satan der Gitterkäfige" von Washington.




[applause] [applause] [applause]


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 06. Sept. 2006, 17:46 Uhr
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Joy, Du hast öffentlich erklärt, dass Du in diesen Thread keine Texte einstellen wirst. Bitte halte Dich daran.

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 06. Sept. 2006, 17:48 Uhr
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Hallo allerseits,
Hallo Abrazo,

Du fragst, wie man einem erklärten Egozentriker gegenüber argumentieren kann, der die Position vertritt: "Ich bin entschieden für die Absegnung und Sanktionierung dieser Normen, gerade weil ich davon profitiere. Ich lasse sie aber nicht für mich gelten, da genau das meinen Profit schmälert."

Ich denke, dass die Argumentation hier sehr einfach ist, da es sich um einen argumentierenden Egozentriker handelt. Ein Egozentriker, der der allgemeinen Norm zustimmt und sie gleichzeitig brechen will, verwickelt sich in einen logischen Widerspruch: Wenn es z.B. richtig ist, dass niemand seine Mitmenschen durch Aufdringlichkeit stören und belästigen soll, dann kann nicht richtig sein, dass ich mir diese Aufdringlichkeit erlaube.

Zu der Frage der allgemeinen Geltung von Normen und ihrer Relevanz nur für einen Teil der Gesellschaft. Ich glaube Marx hat die rechtliche Gleichstellung der Individuen in einer Klassengesellschaft als Illusion kritisiert, indem er als Beispiel auf das Gesetz verwies: "Es ist (für alle) verboten, unter den Brücken zu schlafen." Trotz der Gleichbehandlung aller Individuen im Gesetzestext sei dies faktisch ein Gesetz, das nur die Armen und Obdachlosen einschränke, die keine Wohnung hätten. Aber ich will diesen Aspekt hier nicht weiter vertiefen. Sei gegrüßt von

Eberhard.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Joy am 06. Sept. 2006, 18:29 Uhr
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on 09/06/06 um 17:46:20, Eberhard wrote:Joy, Du hast öffentlich erklärt, dass Du in diesen Thread keine Texte einstellen wirst. Bitte halte Dich daran.




Das tue ich doch auch! Oder ist das hier vielleicht "Text":


[applause] [applause] [applause]


Aber Du siehst, mit dem, was ich im Thread I über die "Moral" schrieb, stehe ich nicht allein. Eure Moraldiskussion ist und bleibt eine heuchlerische Pseudodiskussion, auch wenn Ihr Euch dabei noch so gewählt ausdrückt. Wolfgang hat das sehr gut auf den Punkt gebracht.

Und im übrigen, Eberhard, lasse ich mir von Dir nicht das Schreiben verbieten...



Joy




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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 06. Sept. 2006, 20:42 Uhr
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Hi Eberhard,

mach es Dir nicht einfacher, als es in der Wirklichkeit ist.

Ein Egozentriker, der der allgemeinen Norm zustimmt und sie gleichzeitig brechen will, verwickelt sich in einen logischen Widerspruch: Wenn es z.B. richtig ist, dass niemand seine Mitmenschen durch Aufdringlichkeit stören und belästigen soll, dann kann nicht richtig sein, dass ich mir diese Aufdringlichkeit erlaube.

Dass er sich in einen Widerspruch verwickelt, setzt etwas voraus, was nicht so selbstverständlich angenommen wird, wie Du glaubst, nämlich die Gleichwertigkeit aller Mitglieder einer Gesellschaft.

Für einen Egozentriker, der sich für höherwertiger hält, gibt es da keinen Widerspruch.

Bessere Rasse, besseres Geschlecht, bessere Herkunft, wahrerer Glauben, höhere Bildung, mehr Reichtum, mehr Kraft, mehr Macht, mehr Intelligenz, bis hin zum König von Gottes Gnaden findest Du jede Menge Gründe, warum Menschen der Auffassung sind, für sie gelten die gleichen Normen wie für andere nicht.

Auch unser Gesetz macht ja Ausnahmen: Meinungsfreiheit kann eingeschränkt werden, Wissenschaft und Kunst aber sind frei.

Gruß


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 06. Sept. 2006, 20:58 Uhr
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Hi Hel,

Wer jemandem Hilfe unter einer bestimmten Bedingung anbietet, ist moralisch berechtigt, sich zu vergewissern, daß diese Bedingung auch eingehalten wird, bevor diese Hilfe geleistet wird.

Das ist aber kein Angebot, sondern Pflicht der Gesellschaft, abgeleitet vom Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, ein Recht, das faktisch beseitigt wird, wenn einer nicht weiß, wovon er leben soll. Es gibt da also keine Bedingung - außer der, dass einer seinen Lebensunterhalt nicht selbst erwerben kann. Hier ist die Frage zu stellen, warum er das nicht kann. Die Antwort ist klar: weil es nicht genügend Arbeitsplätze gibt.

Und das heißt im Klartext: unsere Gesellschaft ist so verfasst, dass nicht jeder von seiner eigenen Arbeit leben kann. Davon sind die Mitglieder aber abhängig. Es ist nicht mehr so, dass man auswandern und irgendwo in der Ferne ein Stück Land in Besitz nehmen und beackern kann; das hat schon einen Besitzer. Heißt: wenn die so verfasste GEsellschaft keinen Unterhalt für diejenigen zahlt, die ihn aufgrund ihrer Verfassung nicht selbst beschaffen können, verstößt diese Gesellschaft gegen sämtliche fundamentalen Grundsätze inklusive Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.
Also ganz klar nicht soziale Menschenfreundlichkeit, sondern Pflicht.

Wir haben in Köln gerade das Problem, dass die Stadt sich überlegt hat, man könne doch prima Hartz IV Empfänger als 1-Euro-Job Kloleute auf den Schülerklos Kölner Schulen einsetzen. 40 wurden gesucht, ich glaube, 2 fanden sich. Fand die Stadt unmöglich.

Wem das Geld mehr gilt als die Menschenwürde, der kann schon auf die Idee kommen zu sagen, was interessiert mich die Menschenwürde einer aufgrund der EDV-Rationalisierung arbeitslos gewordenen 50-jährigen Normalsekretärin, die eh keinen Job mehr findet; zwingen wir sie dazu, den Arbeitsplatz Schülerklo anzunehmen.

Würde man für diese Tätigkeit echtes Geld zahlen, also einen Lohn, der von mir aus Hartz IV entspricht, ohne jedoch die zahllosen damit verbundenen Eingriffe in den Privatbereich zu enthalten, würde man eventuell welche finden. Aber so? Ist es menschenwürdig, Arbeitslose dermaßen zu unwürdigen Sklaven zu degradieren?

Gruß

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Abrazo am 06. Sept. 2006, 21:34 Uhr
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Hi Urs,

Mit den irreflexiven Lebensformen meine ich ganz sicher keine instinktiven (und insofern "natürlichen") Verhaltensweisen, sondern Handlungsschemata, die kulturell erworben - also erlernt - sind.

Es geht um Moral, nicht wahr?
Nun gut. Ich befrage Herrn Hund nach seiner Moral.
Aus der Beobachtung von Junghunden entnehme ich, dass zumindest den Rüden wohl der Wille (verstanden als psychisches Erlebnis) angeboren (Instinkt) ist, sich gegen andere durchzusetzen. Machen schon die Welpen unmittelbar nach ihrer Geburt; dient nicht nur dem Kampf um Nahrung, sobald sie beweglich genug sind, um zu spielen, machen sie das auch gegen ihre Wurfgeschwister (Katzen übrigens auch).

So etwa ab 9 Monaten machen zumindest die noch halbwegs naturnahen Gebrauchshunde sich mausig. Sie sind keine 'Kinder' mehr, werden ernst genommen - und verhalten sich respektlos gegenüber den Erwachsenen. Heißt, sie halten keine Distanz. Als Ergebnis kriegen sie von den Erwachsenen, zumindest von den dominanten 'Leitwölfen', Prügel. Keine Beißereien, keine Verletzungen, bekommen aber unmissverständlich klar gemacht: ich kann dich jetzt töten. Mit dem Ergebnis, dass sie so Manieren lernen.

Manieren heißt:
Man schaut den Dominanten niemals direkt an.
Man wartet auf Erlaubnis, ob man sich ihm nähern darf.
Man hat sich nicht für ein Weib zu interessieren, für das der Dominante sich interessiert.
Man hat nicht vor ihm wegzulaufen.
Man hat sich friedlich kontrollieren zu lassen.
Man darf nicht nach seinen Stöcken / Bällen / Hundekuchen schnappen.
Man darf sich auch seiner Herrschaft nicht ohne Erlaubnis nähern.
Usw.

Frage: inwiefern unterscheiden sich diese Sitten von etlichen unserer Sitten - und hat das wirklich etwas mit dem zu tun, was wir unter Kultur verstehen? Oder Moral?

Könntest Du die Hunde einer halbwegsen, miteinander bekannten Gemeinschaft befragen, würdest Du in Sachen Manieren gewiss einen Konsens feststellen. Manieren vermeiden Konflikte, machen das Leben friedlich und sicher. Der Dominante herrscht, aber was er tut, kann man nachmachen, denn das ist lebenssicher. Und im Falle eines Konfliktes mit einem Fremden sorgt er allein durch sein Auftreten dafür, dass der Fremde vorzieht, sich zu verdrücken, wenn er ihn sieht. Hat also durchaus Vorteile für alle, sich an die Manieren zu halten.

Das ist es nicht, ne?

Gruß

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Urs_meinte_Euch am 07. Sept. 2006, 01:07 Uhr
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Hallo Abrazo!


Quote:Frage: inwiefern unterscheiden sich diese [hündischen] Sitten von etlichen unserer Sitten - und hat das wirklich etwas mit dem zu tun, was wir unter Kultur verstehen? Oder Moral?



Keine Ahnung. Ich habe auch nirgends von Hunden gesprochen.




Quote:Könntest Du die Hunde einer halbwegsen, miteinander bekannten Gemeinschaft befragen, würdest Du in Sachen Manieren gewiss einen Konsens feststellen.



Das ist ein typischer - und zudem spekulativer - Anthropomorphismus. Anthropomorphismus ist es bereits, dass Du immer von "Herrn Hund" sprichst.

Die Voraussetzungen, die Du bei solchen Tiervergleichen machst, habe ich schon öfter und in extenso kritisiert (im Thread "Ich, Person Subjekt"). Um es auf den Punkt zu bringen: Es ist nicht einzusehen, was es für das Verständnis des Menschen bringen soll, wenn man zunächst Tiere mit anthropomorphen Begriffen beschreibt, um dann vom so beschriebenen Tier wieder auf den Menschen zurückzuschließen. Das ist zirkulär.


Grüß Dich,
Urs








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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 07. Sept. 2006, 01:48 Uhr
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Hi, Urs

Du: Das ist ein typischer - und zudem spekulativer - Anthropomorphismus.

Hier aber angebracht, eher wahr als falsch.

These: Alle geselligen Arten müssen über angeborene Verhaltensweisen verfügen, die das Zusmmenleben dieser Variante der Art produktiver macht als das konkurrierender Arten.

Dazu gehört die "Beißhemmung", wie es mal hies, oder auch "Höflichkeit", und "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" ist kein Gebot, sondern Ausdruck für angeborenes Mitgefühl.

Begründung: Vergleichen wir zwei Varianten einer Art. Beide Varianten seien absolut identisch bis auf einen Unterschied: Der einen Art ist Beißhemmung gegenüber den Nächsten angeboren, der anderen nicht. Welche von beiden hat wohl Aussicht auf mehr Nachkommen als die andere?
Diese Art wird sich durchsetzen.
Folgerung: Sollte im Verlaufe der Jahrmillionen Entwicklung einer Art solch eine Mutation stattgefunden haben, dann wird den heutigen Vertretern dieser Art Beißhemmung angeboren sein.

Folgerung, Freunde: Ihr könnt Euren Diskurs über allgemeingültige Moral über die Art "homo sapiens" hinaus ausdehen auf alle gesellige Arten, angefangen vielleicht bei den Orang Utans, Erdmännchen, Delphinen und Fledermäusen...

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Urs_meinte_Euch am 07. Sept. 2006, 02:35 Uhr
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Quote:Folgerung, Freunde: Ihr könnt Euren Diskurs über allgemeingültige Moral über die Art "homo sapiens" hinaus ausdehen auf alle gesellige Arten, angefangen vielleicht bei den Orang Utans, Erdmännchen, Delphinen und Fledermäusen...



Wir können es aber auch genauso gut lassen, Wenn unsere Erkenntnisse sich so problemlos von einer Art auf die andere übertragen lassen, beschränken wir uns auf den Menschen, getreu Ockhams Rasierapparat, demzufolge man sich nicht mit überflüssigem Ballast beladen sollte.


Mein Guter, wenn Wissenschaft aus lauter solchen Nullsummen-Einsichten bestehen würde wie in Deinem letzten Beitrag, wäre sie eine blödsinnige Zeit- und Geldverschwendung.

Urs



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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von hel am 07. Sept. 2006, 07:13 Uhr
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Hallo Abrazo

on 09/06/06 um 20:58:06, Abrazo wrote:Wer jemandem Hilfe unter einer bestimmten Bedingung anbietet, ist moralisch berechtigt, sich zu vergewissern, daß diese Bedingung auch eingehalten wird, bevor diese Hilfe geleistet wird.

Das ist aber kein Angebot, sondern Pflicht der Gesellschaft,


Selbstverständlich, der Bedürftige hat das Recht auf Hilfe. Die einzige Bedingung ist hier die Bedürftigkeit auf Hilfe.

Quote:Wir haben in Köln gerade das Problem, dass die Stadt sich überlegt hat, man könne doch prima Hartz IV Empfänger als 1-Euro-Job Kloleute auf den Schülerklos Kölner Schulen einsetzen.


Was Du da beschreibst, grenzt ja schon an Sklaverei. Die 1-Euro Bezahlung hält die Person vom Staat abhängig und ermöglicht es ihr nicht, sich z.B. für einen besseren Job auszubilden. Und: war da nicht irgendwann die Regelung, daß der Job irgendwie der Ausbildung angepasst sein muß?
Ist das rechtens?

Grüße,
hel

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 07. Sept. 2006, 09:06 Uhr
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Hallo allerseits,

hallo hel,

Deine Kritik an meinen Ausführungen trifft den Kern des Problems, wenn du schreibst:

"Welches allgemein akzeptable Kriterium der Richtigkeit gibt es in Bezug auf normative Urteile, das eine auf nachvollziehbaren Argumenten beruhende allgemeine Übereinstimmung ermöglicht?… Außer den intersubjektiv geteilten Wahrnehmungen fällt mir nur noch die Logik und die Mathematik ein. Und ich glaube nicht, daß die beiden allein dabei hilfreich sind."

Ich will versuchen, auf Deine Frage eine Antwort zu geben. Also: Welches konsensstiftende Kriterium der Gültigkeit gibt es für normative Aussagen?

Wenn wir erfahrungswissenschaftlich arbeiten, dann suchen wir nach einem für alle gemeinsamen Weltbild, dass möglichst wenig korrekturbedürftig ist. Entscheidendes Kriterium für das, was ist, ist unserer Wahrnehmung.

Wonach suchen wir, wenn wir normative Fragen allgemein gültig beantworten wollen? Ausgangspunkt sind hier miteinander unvereinbare Soll-Sätze und wir fragen uns, welcher der richtige ist.

Hinter einem Normenkonflikt steht immer einen Willenskonflikt, denn "Sollen" kommt von "Wollen". Es ist nicht sinnvoll zu sagen: "Du sollst x tun und niemand will, dass du x tust." Normsätze drücken genau genommen Willensinhalte aus, ohne einen Träger des Willens zu nennen.

Wenn dies richtig ist, dann stellt sich das Problem allgemeingültiger Normen dar als das Problem, einen für alle gemeinsamen und stabilen Willen zu finden. Die Frage ist also: "Welche Normen können alle gemeinsam am ehesten möglichst dauerhaft wollen?"

Soweit erstmal von Eberhard.

p.s.: Für manche Leute scheint das Wort "sollen" in der Tat ein Fremdwort zu sein, weshalb Sätze wie "Man soll auf andere Menschen Rücksicht nehmen" oder "Jedes PhilTalk-Mitglied sollte die Fragestellung anderer Mitglieder respektieren" für sie unverständlich sind.


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 07. Sept. 2006, 10:17 Uhr
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Hi, Urs,

Du: , wenn Wissenschaft aus lauter solchen Nullsummen-Einsichten

Deine Wertung zeugt von einer böswilligen Verachtung un zugleich von Inkompetenz im naturwissenschaftlichen Denken.

Ich habe eine These vorgestellt, wie gesellige Arten in der Evolution bestehen, indem sie passende Verhaltensweisen finden, die schließlich sogar angeboren sind.

Ich bin sogar ein wenig stolz auf die Kürze der Beweisführung.

So gut Du doch wissenschaftlich denken kannst, widerlege meine These, finde einen logischen Fehler oder präsentiere eine Antithese, die nach Ockham als eher wahr zu gelten habe.

Aber solche giftigen Wertungen schleudere, wenn schon, dann in Deinen Spiegel.

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 07. Sept. 2006, 11:43 Uhr
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Hallo Abrazo,

ich bleibe dabei: Die beiden Sätze:
"Niemand darf seine Mitmenschen durch Aufdringlichkeit stören und belästigen" und
"Herr X darf seine Mitmenschen durch Aufdringlichkeit stören und belästigen"
sind logisch widersprüchlich.

Nicht widersprüchlich ist dagegen die Norm:
"Niemand außer Herr X darf seine Mitmenschen durch Aufdringlichkeit stören."

Du schreibst, dass man genügend Gründe findet, dass bestimmte Regeln zwar für andere aber nicht für einen selbst gelten. Ich würde sagen: vorgebrachte Gründe mag es viele geben, aber es sind keine guten Gründe.

Wir sind hier wieder bei der Frage der notwendigen Verallgemeinerbarkeit von moralischen Urteilen. Wenn Herr X etwas darf, warum soll Herr Y, der Herrn X in allen relevanten Punkten gleicht, dies nicht auch dürfen? Wenn allein die unterschiedliche Identität der Grund sein soll, dann kann eine solche Position keine allgemeine Zustimmung finden, kann also nicht richtig sein.

Wenn Du jetzt faktische Unterschiede anführst (bezüglich Rasse, Macht, Geld, Geschlecht etc.), dann verletzt Du nicht das "Gebot der Personunabhängigkeit", das ein wichtiger Bestandteil der Methodologie normativer Erkenntnis ist.

Die Frage ist aber, ob die Privilegien durch die vorgebrachten Unterschiede nun für jedermann einsichtig begründet werden können. Da bestehen sicher begründete Zweifel.

Dass Regeln Ausnahmen haben können ist unbestritten, aber es darf keine Ausnahmen allein unter Bezug auf die Identität eines Beteiligten geben,

meint Eberhard.

p.s.: Komisch, wenn man manche Leute an ihre eigenen Worte erinnert, dann nimmt man ihnen die Redefreiheit ...


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von hel am 07. Sept. 2006, 13:10 Uhr
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Hallo Wolfgang,

daß auch die menschliche Moral genauso wie die Tatsache, daß Menschen Gefühle haben und abstrakter Gedanken fähig sind, eine evolutionsbiologische Grundlage haben, das ist an sich eine interessante und diskutierbare These. Genauso wie die Annahme, daß man durch die Beobachtung der Tiere viel über den Menschen lernen kann.

Es hat nur nichts mit unserem Thema zu tun.

Wenn ich z.B. jemandem erklären will, warum die Menge der Primzahlen unendlich groß sein muß, dann ist mir die Theorie, daß ich dies mit meinem Gehirn, welches sich evolutionsbiologisch entwickelt hat, denke, (Bitte jetzt nicht über die Formulierung meckern - ihr wißt schon was ich meine) gar nicht von Nutzen. Bei der Frage, ob dieser mathematische Satz wahr ist oder nicht, hilft mir mein Wissen über das Gehirn und seine Abstammung nichts.

Und Du kommst mir vor wie ein Anthropologe, der sich in das mathematische Gespräch einschaltet und mir erklären will, daß Mathematik lediglich Ergebnis angeborener Verhaltensweisen und Denkmuster ist und die Diskussion darüber vollkommen überflüssig. Denn entweder sei unser Denkmuster für das überleben förderlich, dann würde es sich schon erhalten, oder nicht, dann sterben die, welche das glauben, mit der Zeit aus. Und wenn es für das Überleben irrelevant ist, ist die Frage sowieso generell sinnlos.
Dieser Anthropologe begeht wie Du den Fehler der Themenverfehlung.

Grüße,
hel


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Wolfgang_Horn am 07. Sept. 2006, 13:44 Uhr
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Hi, hel,

Du: daß auch die menschliche Moral genauso wie die Tatsache, daß Menschen Gefühle haben und abstrakter Gedanken fähig sind, eine evolutionsbiologische Grundlage haben, das ist an sich eine interessante und diskutierbare These.

War gar nicht meine Absicht. Es genügt mir, Urs Vorwurf des "spekulativen Anthropomorphismus" an Abrzo widerlegt zu haben.

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von hel am 07. Sept. 2006, 15:30 Uhr
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Hallo Eberhard,

es wird zunehmend mühsam diesen Thread zum Antworten und Zitieren zu öffnen. Beim Versuch, Dein letztes Posting an mich mit "Zitieren" zu öffnen, bin ich dreimal hintereinander mit "Server error" gescheitert.
Würde es Dir was ausmachen, ein "Warum soll man moralisch sein? III" anzulegen?

Grüße,
hel


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Titel: Re: warum soll man moralisch sein? Fortsetzg.I
Beitrag von Eberhard am 07. Sept. 2006, 19:37 Uhr
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Hallo hel,

Du brauchst Deinen Computer nicht mehr zu quälen: Ich habe eine neue Runde unter dem Titel "Warum soll man moralisch handeln?" eröffnet. Stellt also Eure Beiträge zum Thema dort ein.

Ich danke allen, die mit Argumenten zur Diskussion beigetragen haben, sowie allen Nur-Lesern, die die nötige Geduld aufgebracht haben.

Auf ein Neues!

Eberhard.

p.s.: Mit dem, was möglicherweise anschließend an dies Schlusswort hier eingestellt wird, habe ich nichts zu tun. Leider kann man bei PhilTalk als Initiatior einer Diskussion diese nicht auch schließen.

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