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Darf man sich selbst zugrunde richten? I

(Diskussion bei PhilTalk)

 

 

PhilTalk Philosophieforen  Praktische Philosophie >> Ethik >> Darf man sich selbst zugrunde richten?

(Thema begonnen von: Eberhard am 31. Aug. 2005, 10:49 Uhr)



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Titel: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Eberhard am 31. Aug. 2005, 10:49 Uhr
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Hallo allerseits,

eine Frage, die ich unter den heutigen Verhältnissen für besonders diskussionswürdig halte, ist die, ob jeder das Recht haben sollte, über sich selbst zu bestimmen bis hin zu der Freiheit, sich selbst zugrunde zu richten.

Es ist für mich keineswegs entschieden, wo die Grenzen der Verfügung des Einzelnen über sich selber liegen sollten. Einerseits heißt es:"Jeder Mensch weiß selber am besten, was für ihn gut ist“. Andererseits kann es einer Gesellschaft doch wohl nicht gleichgültig sein, was aus ihren Mitgliedern wird.

Die Haltung in dieser Frage hat Konsequenzen für die Behandlung zahlreicher Einzelprobleme wie: Anschnallpflicht im Auto, Freigabe von Rauschmitteln und Genussgiften, Werbung für Suchtmittel, Zwangsentzug für Süchtige, erhöhte Krankenversicherungsbeiträge für Raucher, Verlust des Versicherungsschutzes bei bestimmten Sportarten, Obdachlosigkeit als Folge von Alkoholismus, Verbot von Medien wegen schädlicher Inhalte, Altersgrenze für die Mündigkeit in Bezug auf Wahlberechtigung und Geschäftsfähigkeit, Entmündigung von geistig behinderten oder verwirrten Personen, Bewertung der Selbsttötung als Selbstmord oder Freitod, Freigabe von Glücksspielen, u.a.m..

Ich denke, dass anhand dieses Themas Fragen wie: „Kann ein Mensch sich selbst steuern?“ „Hat er verschiedene Handlungsalternativen?“ eine konkrete Bedeutung erhalten.

Mit diesem Thema begeben wir uns offensichtlich auf das Gebiet der normativen Ethik. Nach vorherrschender Meinung können Fragen der normativen Ethik nicht allgemeingültig beantwortet werden. Deshalb wird es von besonderer Bedeutung sein, sich klarzumachen, von welcher Art die von den Diskussionsteilnehmern eingebrachten Argumente sind und insbesondere zu fragen, inwieweit die vorgetragenen Argumente allgemein nachvollziehbar sind.

Also: Soll jeder die Freiheit haben über sich selbst zu bestimmen, auch wenn er sich dabei selber zugrunde richtet?

fragt Eberhard.


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 31. Aug. 2005, 13:20 Uhr
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hallo eberhard

du sagst doch selber dass man das nicht allgemeingültig beantworten kann. in deinen angeführten beispielen wird das ja auch sehr unterschiedlich beantwortet. oftmal kollidieren die einzelinteressen auch so dass selbst bei einem eindeutigen ja oder nein auf deine frage letztlich daraus keine handlungsanleitungen abzuleiten sind. was erwartest du denn dann als antwort auf deine frage?
gruss


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von doc_rudi am 31. Aug. 2005, 14:34 Uhr
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Hallo Eberhard,
auch gut, wenn Du das Thema extra diakutieren willst.
Du beziehst das Thema auf den Friedenszzustand.
Im Kriegszustand verlangt die Gesellschaftsmoral vom Individuum, sich für das Wohl der Gesellschaft zugrunde zu richten, sich im Krieg zu opfern und möglichst viele Feinde dabei zu töten. Einige religiös definierte Gesellschaften auf der Erde befinden sich im Kriegszustand und verlangen von ihren Individuen Selbstmordattentate.
Das Individuum, das sich gesellschaftlich anerkannten Regeln unterwirft, handelt in meinen Augen nicht frei, wenn es sich im Auftrag der Gesellschaft selbst als Soldat oder Selbstmordattentäter zugrunde richtet.

Aber zurück zum Frieden. Der Auftrag der Gesellschaft ist zu solche Zeiten der gegenteilige.
Lebe gesund, erhalte Deine Arbeitskraft und setze sie zum Wohl aller (Mitglieder deiner Gesellschaft) ein. Die Freiheit, sich selbst zugrunde zu richten, steht dem entgegen.

Meine Antwort resultiert natürlich aus meiner Philosophie und die besagt, dass kein Individuum (hier lebendes System Mensch) den natürlichen Impuls hat, sich zugrunde zu richten.
Jeder Mensch hat als lebendes System die Selbsterhaltungs- und die Selbstentfaltungstendenz.
Aus diesen beiden Kräften resultieren zwar Handlungen, die anderen Individuen Schaden zufügen können, wogegen diese sich wehren können und man sich auf allgemeinverbindliche Umgangsformen einigt,
aber kein lebendes System würde sich ohne Einwirkung von außen selbst schädigen (genauso, wie kein physikalischer Körper ohne Einwirkung von außen seine Bewegungsrichtung ändern würde.)
Beobachte ich also an einem Menschen selbstschädigende Handlungen, wie zum Beispiel auch an mir, dann müssen diese irgendwie durch Einwirkung von außen verursacht worden sein (wie z.B. eine Infektionskrankheit durch die Invasion von Bakterien in den Körper). Eine Selbstschädigende Handlung ist also Indiz für Unfreiheit.
Deshalb enthält Dein Fragesatz für mich einen inneren Widerspruch:
Eine freie Bestimmung über sich selbst kann nicht zu einer Verkleinerung des Selbst führen (es sei denn, sie wäre vorübergehend oder taktisch), ein Sich-selbst-zugrunde-richten kann per se nicht auf freier Entscheidung beruhen.
Wie Du siehst, benötige ich nicht die Konstruktion einer Rücksichtnahme auf die Mitmenschen.
Dass Selbstschädigung gesetzmäßig auch eine Schädigung der Gesellschaft enthält, hält nach meiner Beobachtung niemanden davon ab, sich zugrunde zu richten.
Insofern enthält Selbstschädigung auch immer eine Rachetendenz gegen die Gesellschaft.
Da kann man natürlich sagen, wer die Gesellschaft schädigen will, kann das tun, selbst wenn es verboten wäre, er das also nicht darf. Schädigung der Gesellschaft durch Selbstzerstümmelung ist jedenfalls nicht strafbar, weil das Motiv nicht nachweisbar ist.
Wenn Du "frei" so definierst, dass dies eine Entscheidung wäre, die dem natürlichen Ablauf widerspricht, wäre eine solche Entscheidung auch frei.
Gruß
rudi

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Hanspeter am 31. Aug. 2005, 15:00 Uhr
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Hallo an Alle,

Rudi schreibt: "ein Sich-selbst-zugrunde-richten kann per se nicht auf freier Entscheidung beruhen."

Vorausgesetzt, es gibt so etwas ähnliches wie eine freie Entscheidung, so ist diese Aussage falsch. Ein Raucher kann sich frei für das Rauchen entscheiden, mit dem Argument: Lieber 40 Jahre rauchen, als 60 Jahre nichtrauchen.
Die Frage, wie lange jemand leben will, sollte seine freie Entscheidung sein und die Gesellschaft sollte nicht die Dreistigkeit haben, das den Menschen vorzuschreiben.

Anders formuliert: Die Freiheit des Einzelnen werte ich als höheres Gut als den Egoismus der Gesellschaft.

Gruß HP


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 31. Aug. 2005, 15:17 Uhr
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hallo rudi,

beantwortet das die frage?

"ber zurück zum Frieden. Der Auftrag der Gesellschaft ist zu solche Zeiten der gegenteilige.
Lebe gesund, erhalte Deine Arbeitskraft und setze sie zum Wohl aller (Mitglieder deiner Gesellschaft) ein. Die Freiheit, sich selbst zugrunde zu richten, steht dem entgegen. "

also allgemeingültig ist das ja nicht, das heldentum hast du ja schon ausgeklammert, ansonsten sind ja auch viele situationen vorstellbar in denen es besser für die gesellschaft wäre wenn jemand von der klippe springt. nicht umsonst sperrt man ja manche menschen weg. oder richtet sie gar hin. also wird die anwesenheit mancher menschen durchaus auch in friedenszeiten für überflüssig gehalten. die gemeinschaft jedenfalls trauerte einem mehrfachen kinderschänder sicherlich nicht nach wenn er selbstmord beginge.

" Meine Antwort resultiert natürlich aus meiner Philosophie und die besagt, dass kein Individuum (hier lebendes System Mensch) den natürlichen Impuls hat, sich zugrunde zu richten."

also ganz ehrlich, das ist eine einfache beobachtung und erfahrung, eine philosophische erkenntnis kann man daraus nicht striken.

" aber kein lebendes System würde sich ohne Einwirkung von außen selbst schädigen (genauso, wie kein physikalischer Körper ohne Einwirkung von außen seine Bewegungsrichtung ändern würde.) "

streng genommen kann man das sytem gar nicht von den äusseren einwirkungen trennen. wenn man aber einen selbstzerstörerischen impuls meint, so muss der nicht im intentionalen sinne von aussen kommen. wieso auch. das physikalsch mit der trägheit begründen zu wollen ist ja hanebüchen. der trägheit fehlt jede intention. über die physikalische aussage könnte man sich ohnehin streiten wenn man sie so allgemein benutzt.

" Beobachte ich also an einem Menschen selbstschädigende Handlungen, wie zum Beispiel auch an mir, dann müssen diese irgendwie durch Einwirkung von außen verursacht worden sein (wie z.B. eine Infektionskrankheit durch die Invasion von Bakterien in den Körper)."

krankheit als handlung??? das kann nicht dein ernst sein.

" Eine freie Bestimmung über sich selbst kann nicht zu einer Verkleinerung des Selbst führen (es sei denn, sie wäre vorübergehend oder taktisch), ein Sich-selbst-zugrunde-richten kann per se nicht auf freier Entscheidung beruhen. "

es ist eine ziemlich ausgelutschte erkenntnis, dass man begriffe wie "entsscheidungsfreiheit" zu tode reiten kann. irgenwann wird auch die stolzeste freiheit zum klepper. eine freie entscheidung gibt es natürlich in ihrer eigentlichsten bedeutung nicht. das hat aber mit selbstschädigung gar nix zu tun.

" Dass Selbstschädigung gesetzmäßig auch eine Schädigung der Gesellschaft enthält"

wenn das überhaupt stimmt, dann nur per definition. und definitionen die handlungen allgemeine eigenschaften unter allen umständen zuschreiben scheitern immer.

" Da kann man natürlich sagen, wer die Gesellschaft schädigen will, kann das tun, selbst wenn es verboten wäre, er das also nicht darf. Schädigung der Gesellschaft durch Selbstzerstümmelung ist jedenfalls nicht strafbar, weil das Motiv nicht nachweisbar ist.
Wenn Du "frei" so definierst, dass dies eine Entscheidung wäre, die dem natürlichen Ablauf widerspricht, wäre eine solche Entscheidung auch frei. "

das ist ja richtig gruselig. die gesellschaft schädigen, dem natürlichen ablauf widersprechen... na, wenn das nicht der schöne und jugendfrohe anfang einer schreckensideologie ist...

gruss

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 31. Aug. 2005, 15:18 Uhr
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hallo rudi,

beantwortet das die frage?

"ber zurück zum Frieden. Der Auftrag der Gesellschaft ist zu solche Zeiten der gegenteilige.
Lebe gesund, erhalte Deine Arbeitskraft und setze sie zum Wohl aller (Mitglieder deiner Gesellschaft) ein. Die Freiheit, sich selbst zugrunde zu richten, steht dem entgegen. "

also allgemeingültig ist das ja nicht, das heldentum hast du ja schon ausgeklammert, ansonsten sind ja auch viele situationen vorstellbar in denen es besser für die gesellschaft wäre wenn jemand von der klippe springt. nicht umsonst sperrt man ja manche menschen weg. oder richtet sie gar hin. also wird die anwesenheit mancher menschen durchaus auch in friedenszeiten für überflüssig gehalten. die gemeinschaft jedenfalls trauerte einem mehrfachen kinderschänder sicherlich nicht nach wenn er selbstmord beginge.

" Meine Antwort resultiert natürlich aus meiner Philosophie und die besagt, dass kein Individuum (hier lebendes System Mensch) den natürlichen Impuls hat, sich zugrunde zu richten."

also ganz ehrlich, das ist eine einfache beobachtung und erfahrung, eine philosophische erkenntnis kann man daraus nicht striken.

" aber kein lebendes System würde sich ohne Einwirkung von außen selbst schädigen (genauso, wie kein physikalischer Körper ohne Einwirkung von außen seine Bewegungsrichtung ändern würde.) "

streng genommen kann man das sytem gar nicht von den äusseren einwirkungen trennen. wenn man aber einen selbstzerstörerischen impuls meint, so muss der nicht im intentionalen sinne von aussen kommen. wieso auch. das physikalsch mit der trägheit begründen zu wollen ist ja hanebüchen. der trägheit fehlt jede intention. über die physikalische aussage könnte man sich ohnehin streiten wenn man sie so allgemein benutzt.

" Beobachte ich also an einem Menschen selbstschädigende Handlungen, wie zum Beispiel auch an mir, dann müssen diese irgendwie durch Einwirkung von außen verursacht worden sein (wie z.B. eine Infektionskrankheit durch die Invasion von Bakterien in den Körper)."

krankheit als handlung??? das kann nicht dein ernst sein.

" Eine freie Bestimmung über sich selbst kann nicht zu einer Verkleinerung des Selbst führen (es sei denn, sie wäre vorübergehend oder taktisch), ein Sich-selbst-zugrunde-richten kann per se nicht auf freier Entscheidung beruhen. "

es ist eine ziemlich ausgelutschte erkenntnis, dass man begriffe wie "entsscheidungsfreiheit" zu tode reiten kann. irgenwann wird auch die stolzeste freiheit zum klepper. eine freie entscheidung gibt es natürlich in ihrer eigentlichsten bedeutung nicht. das hat aber mit selbstschädigung gar nix zu tun.

" Dass Selbstschädigung gesetzmäßig auch eine Schädigung der Gesellschaft enthält"

wenn das überhaupt stimmt, dann nur per definition. und definitionen die handlungen allgemeine eigenschaften unter allen umständen zuschreiben scheitern immer.

" Da kann man natürlich sagen, wer die Gesellschaft schädigen will, kann das tun, selbst wenn es verboten wäre, er das also nicht darf. Schädigung der Gesellschaft durch Selbstzerstümmelung ist jedenfalls nicht strafbar, weil das Motiv nicht nachweisbar ist.
Wenn Du "frei" so definierst, dass dies eine Entscheidung wäre, die dem natürlichen Ablauf widerspricht, wäre eine solche Entscheidung auch frei. "

das ist ja richtig gruselig. die gesellschaft schädigen, dem natürlichen ablauf widersprechen... na, wenn das nicht der schöne und jugendfrohe anfang einer schreckensideologie ist...

gruss

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Eberhard am 31. Aug. 2005, 17:13 Uhr
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Hallo psi,

die Titelfrage ist sicherlich noch unpräzise. Genauer formuliert geht es mir um die Frage, ob es Grenzen der Selbstbestimmung des Einzelnen über sich selbst geben sollte, und wenn ja, wo diese Grenzen liegen.

Auf diese Frage suche ich nach einer allgemeingültigen Antwort.

Eine Antwort ist für mich dann allgemeingültig, wenn sie durch Argumente begründet werden kann, die für jedermann nachvollziehbar und teilbar sind, der das Ziel einer gewaltfreien Einigung teilt.

Mal sehen, wie weit wir dabei kommen.

Hallo rudi,

Du meinst, dass die Selbstzerstörung eines Individuums eine logische Unmöglichkeit ist.

Was ist es dann, wenn ein 16jähriger Junge auf den Dachboden geht, ein Seil aufhängt, eine Schlinge macht und sich erhängt?

Oder wenn ein Heroinabhängiger sich den „goldenen Schuss“ gibt?

Hallo Hanspeter,

schön mal wieder die verbalen Klingen zu kreuzen. Du plädierst für die Freiheit des Einzelnen inklusive der Freiheit, seinem Leben ein Ende zu setzen. Gibt es dafür auch Argumente? Man könnte ja dagegenhalten, dass schon mancher bereut hat, dass er nicht auf fremden Rat gehört hat. Ein ‚Ratschlag ist zwar kein Befehl, aber es zeigt doch, dass die Freiheit ihre Gefahren hat.

Es grüßt Euch Eberhard.


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Sheelina am 31. Aug. 2005, 17:59 Uhr
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"Soll jeder die Freiheit haben über sich selbst zu bestimmen, auch wenn er sich dabei selber zugrunde richtet?" (Eberhard)

Ja.

Meine Begründung zum äußersten Extrem des Selbstmordes siehe hier:
http://66.249.93.104/search?q=cache:THr5J7MZIAAJ:www.philtalk.de/msg/1003355229.htm+sheelina+selbstmord&hl=de&lr=lang_de

Gruß
Lina

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Sheelina am 31. Aug. 2005, 18:05 Uhr
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PS: und hier http://www.philtalk.de/msg/1051200598.htm


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Hanspeter am 01. Sept. 2005, 03:06 Uhr
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Hallo Eberhard,

jaja, die allgemein gültigen Antworten! ;-)

Die Gefahren der Freiheit: Natürlich birgt Freiheit auch ein Risiko. Aber man kann doch niemand ins Gefängnis sperren mit dem Argument, dadurch wird er sicher von Verkehrsunfällen geschützt.

Konkret, wenn ich deine Frage richtig verstehe, geht es doch um das Phänomen des Paternalismus. Genau genommen um innerstaatlichen Paternalismus. Gibt es also den mündigen Bürger oder ist es Aufgabe des Staates, als Übervater für das Gute zu sorgen, notfalls mit Gewalt.

Eine allgemeingültige Antwort kann es nicht geben, weil, wie wir schon bei anderer Gelegenheit feststellen mussten, eine allgemein gültige Moral nicht exisitert. Gäbe es diese, wäre es einleuchtend, dass der Staat sie durchsetzt. Da es sie aber nicht gibt, muss der Staat seinen Bürgern eine gewisse Entscheidungsfreiheit zubilligen.
Wenn also jemand den Wunsch hat, seinem Leben ein Ende zu setzen, so mag der Staat zwar gewisse Hilfen anbieten (psychologische Beratung) doch wenn der Entschluss feststeht, sollte er ihn auch akzeptieren. Auch wenn er feststellen muss, dass diese Person insgesamt für ihn ein Verlustgeschäft war.

Oder würdest du es für sinnvoll halten, wie weiland die Katholische Kirche, Selbstmörder zu bestrafen, indem man sie in ungeweihter Erde begräbt?

Gruß HP

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Eberhard am 01. Sept. 2005, 10:32 Uhr
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Hallo allerseits,

Die Frage lautet präzisiert:

Soll es Grenzen der Selbstbestimmung des Einzelnen über sich selbst geben und wenn ja, wo sollen sie liegen?

Gesucht sind Antworten auf diese Frage, die allgemein nachvollziehbar und akzeptabel begründet werden können.

Gegen den Pessimismus derer, die jetzt schon wissen, dass sich solche Antworten nicht (er)finden lassen, bin ich der Meinung, dass wir durch den Austausch von Argumenten einem vernünftigen Konsens zumindest näher kommen können. Es wäre deshalb kein Misserfolg, wenn am Ende dieser Diskussion immer noch unterschiedliche Antworten rational vertretbar blieben.

Zur Fragestellung ist noch Folgendes zu bedenken. .

Die gestellte Frage fällt in den Bereich der normativen Ethik oder normativen Moralphilosophie.

Die normative Ethik – so wie ich sie verstehe - sucht nach Antworten auf die Frage: Wie sollen Menschen in bestimmten Situationen handeln? Welche Handlungen sind angesichts bestimmter Umstände ethisch geboten, verboten oder erlaubt?

Ein Recht auf Selbstbestimmung ist eine Erlaubnis, bestimmte Handlungen zu tun. Auch eine Erlaubnis enthält ein Sollen, zwar nicht für diejenige Person, die eine Erlaubnis besitzt, aber für die andern: Ihnen ist es verboten, diese Person daran zu hindern, etwas Erlaubtes zu tun.

Die ethische Frage: „Wie sollen Menschen in bestimmten Situationen handeln?“ ist nicht gleichzusetzen mit der rechtspolitischen Frage: „Welche staatlichen Gesetze sollten für diese Situationen gelten?“, obwohl hier natürlich ein enger Zusammenhang besteht.

Durch die zwei unterschiedlichen normativen Systeme des Rechts und der Moral ergibt sich allerdings eine Komplikation. Wenn bereits eine anerkannte Rechtsordnung existiert, die eine entsprechende Rechtsnorm enthält, z.B. die Anschnallpflicht im Auto, dann ist auch die allgemeine moralische Verpflichtung des Staatsbürgers zur Gesetzestreue zu berücksichtigen. Wenn gefragt wird, ob jemand in einer bestimmten Situation sich anschnallen soll oder nicht, macht es also einen Unterschied, ob es dazu bereits eine einschlägige Rechtsnorm gibt oder nicht.

Um den damit verbundenen besonderen Einfluss des rechtlichen Status quo auszuschalten, schlage ich vor, dass wir bei unserer Diskussion annehmen, dass auch die rechtlichen Normen zur Disposition stehen.

Damit soll es genug sein mit den Vorbemerkungen. Ich hoffe jedoch, dass damit eine Reihe von möglichen Missverständnissen von vornherein ausgeräumt werden konnte. Aber kommen wir zur Sache

meint Eberhard.


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 01. Sept. 2005, 11:10 Uhr
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hallo eberhard,

" Eine Antwort ist für mich dann allgemeingültig, wenn sie durch Argumente begründet werden kann, die für jedermann nachvollziehbar und teilbar sind, der das Ziel einer gewaltfreien Einigung teilt. "
das mag vielleicht ein bisschen technisch sein, aber das ist einfach nicht das was man unter allgemeingültig versteht. eine allgemeingültige lösung ist wie der name schon selber sagt eine lösung die allgemein, das heisst unter allen bedingungen, gilt bzw richtig ist. nachvollziehbarkeit ist dabei eigentlich kein kriterium. wenn ich eine lösung habe die für jeden fall das richtige ergebniss ausspuckt, dann ist es doch egal ob ich verstehe warum sie das tut...

" Soll es Grenzen der Selbstbestimmung des Einzelnen über sich selbst geben und wenn ja, wo sollen sie liegen? "

irgendwie hört sich das so an wie wenn es keine grenzen der selbstbestimmung gäbe und du wölltest über welche nachdenken. die grenzen werden doch tagtäglich gesetzt. wenn man mal davon absieht, dass defacto natürlich dem stärkeren keine einschränkungen auferlegt werden können, so ist doch klar dass das recht des einen dort endet wo das recht des anderen beeinträchtigt wird. handlungshilfen kann man daraus aber nicht ableiten. abwägungsfragen kann man halt nicht allgemeingültig behandeln sonst könnte man sich den richter ja sparen. ganz abgesehen davon, dass man ja nicht einmal richtig sagen kann was der selbstbestimmte wille nun tatsächlich genau ist. ist es das was ich heute will, oder morgen, ist es meiner laune entsprungen oder ist es eine überzeugung. sterbehilfe wäre ja kein so ein drama wenn es allgemein lösbar wäre.


" Ein Recht auf Selbstbestimmung ist eine Erlaubnis, bestimmte Handlungen zu tun."
das kommt mir doch schon sehr gesetzlich daher. natürlicherweise ist in dem sinne alles erlaubt was man eben vermag. hängt doch nirgends ein schild mit "diese pflanze bitte nicht ausreissen".
das heisst einschränkungen müssen begründet werden und nicht andersherum. ich kann natürlich an etwas gehindert werden und mir kann etwas anderes erlaubt werden. aber eben nach dem racht des stärkeren und nicht nach einer natürlichen ethik.
von natur aus ist jeder frei zu tun und zu lassen wie er es eben vermag. alles weitere sind konzessionen an die umstände.

für eine jede allgemeingültige lösung braucht man kriterien die die handlungen klassifizieren. sonst kann ich ja nicht entscheiden. solche kriterien können aber niemals absolut sein sondern sind immer abhängig von der situation in der sich der einzelne befindet. es gibt keine übergeordnete sicht die tatsächlich alles einteilt so dass es der intuition eines jeden entspricht. was für den einen ungerecht ist ist für den anderen gerecht. nach der gleichen definition.

gruss

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von homo_sapiens am 01. Sept. 2005, 11:29 Uhr
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..... es kann kein recht auf zer störung geben !

aber wenn eine ganze welt nur immer zer stört
physikalisch und psychisch

dann kann sich der einzelne davon er lösen
so er kann es nicht mehr er tragen .........



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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Hanspeter am 01. Sept. 2005, 14:59 Uhr
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Hallo Eberhard,

"Soll es Grenzen der Selbstbestimmung des Einzelnen über sich selbst geben und wenn ja, wo sollen sie liegen?"

So ganz präzise ist die Formulierung dann doch nicht. "Selbstbestimmung über sich selbst". Was ist das?
1. Freitod?
2. Drogenkonsum?
3. Verzicht auf Extremsportarten?
4. Verzicht auf Arbeit (soll die Gesellschaft für mich aufkommen!)?

Also, was genau rechnest du dazu?

Gruß HP






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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Sheelina am 01. Sept. 2005, 16:17 Uhr
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Hanspeter sollte einfach schweigen von den Dingen von denen er keine Ahnung hat.[u]

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von doc_rudi am 01. Sept. 2005, 16:34 Uhr
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Hallo,
ich werde gefragt:
"Was ist es dann, wenn ein 16jähriger Junge auf den Dachboden geht, ein Seil aufhängt, eine Schlinge macht und sich erhängt?
Oder wenn ein Heroinabhängiger sich den „goldenen Schuss“ gibt?

In meinen Augen ist dies keine freie Selbstbestimmung, sondern Fremdbestimmung. Freiwillig macht das keiner, nur aus Not.
Und Notsituationen widersprechen der freiwillligen Selbstbestimmung.
Gruß
rudi

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 01. Sept. 2005, 17:42 Uhr
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eigentlich schon schwireig zu sagen wann denn etwas selbstbestimmt ist und wann nicht. das eine extrem ist die totale determiniertheit, das ist es sicher nicht , das andere extrem ist die totale regellosigkeit, das ist es auch nicht unbedingt was man darunter versteht. irgendwo in der mitte.

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Eberhard am 01. Sept. 2005, 21:59 Uhr
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Hallo allerseits,
danke für die zahlreichen Beiträge. Ich will mich bemühen, auf alle Fragen und Krtiken einzugehen, bitte allerdings um etwas Geduld.

Zur Fragestellung. Gemeint ist z.B. der Fall, dass Individuum A Schnaps in Mengen konsumiert, die sein Gehirn schädigen und seine Gesundheit ruinieren.

Wir haben also generell Konsumfreiheit (die Begründung hierfür wäre zu klären), und wir haben Schädigungen des Konsumenten. Frage: Ist das seine Sache oder bin ich oder die Allgemeinheit verpflichtet, den Alkoholiker daran zu hindern, sich und sein Leben zu ruinieren?

Hallo psi,

ein Anspruch auf Richtigkeit, der für mich nicht nachvollziehbar begründet und überprüfbar ist, bleibt eine bloße Glaubensforderung. Ein derart dogmatischer Anspruch auf Allgemeingültigkeit ist wissenschaftlich unbrauchbar.

Demnächst mehr von Eberhard.


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 02. Sept. 2005, 00:33 Uhr
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hallo eberhard,

die antwort auf solch eine frage wie mit dem alkoholiker ist entweder eine wirtschaftliche oder eine geschmacksfrage. es gibt dadzu keine allgemeingültige "natürliche" antwort.

na, das ergebniss muss schon auf seine richtigkeit hin überprüfbar sein. aber der mechanismus nachdem das funktioniert muss nicht eingesehen werden können. und schon gar nicht von jedem. es wird doch sicher dinge geben die du benutzt, deren funktionsweise du aber nicht durchschaust, oder?
das berühmteste beispiel für so etwas ist ja eine black box. man weiss nicht was innendrin abläuft, es interessiert auch gar nicht, man weiss aber aus erfahrung in welcher beziehung eingabe und ausgabe stehen.
und die richtigkeit des ergebnisses ist dann eben nicht davon abhängig ob jemand das nachvollziehen kann oder nicht.
gruss

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Hanspeter am 02. Sept. 2005, 02:46 Uhr
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Hallo Eberhard,

Es geht also um das Beispiel Drogenkonsum. Denn ob Schnaps, Hasch, Ecstasy oder Kokain etc. ist ja im Prinzip gleich.

Es ist wohl unbestritten, dass es Aufgabe des Staates ist, die Bürger über die Gefahren von Drogen aufzuklären. Die Frage lautet also nur:
Soll der Staat, soll der Einzelne versuchen, Drogenkonsum zu verhindern?

1. Der Einzelne: Ich denke, hier muss man unterscheiden, ob der Betroffene im Verantwortungsbereich des Einzelnen liegt. Selbstverständlich haben die Eltern eine Verantwortung gegenüber ihren Kindern. Man kann eine gewisse Verantwortlichkeit gegenüber nahen Verwandten postulieren. Schwierig, wohl abhängig vom Einzelfall. Gegenüber Fremden sehe ich keine Verpflichtung.

2. Der Staat: Ich halte es für falsch, Drogenkonsum zu bestrafen. Die Aufgabe des Staates ist es, die Menschen vor einander zu schützen, nicht die Menschen vor sich selbst. Denn letzteres würde dies die die Freiheit des Meschen beeinträchtigen.
Die Freiheit des Menschen darf nur eingeschränkt werden, wenn eine menschliche Handlung die Freiheit anderer einschränkt.

Gruß HP

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Abrazo am 02. Sept. 2005, 09:20 Uhr
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Hi,

der bisherige Verlauf dieser Diskussion zeigt, dass sie aus zwei Perspektiven geführt wird, die imho beide falsch sind.

Zum einen wird vom Staat gesprochen. Staat ist ein abstrakter Begriff, keine zur Handlung fähige Person. Handeln können nur konkrete Objekte. Folglich ist es unsinnig, den Staat als handelnde Person einzubringen.
Der Staat ist die Organisation einer Gesellschaft, also die Form, in der die einzelnen Personen, die eine Gesellschaft umfasst, mehr oder minder freiwillig organisiert ist. Wenn es also um den Willen (Gesetze) eines Staates geht, ist immer zu fragen, welche konkreten Personen bzw. welche Gruppen von konkreten Personen ihren Willen gegenüber der Gesamtgesellschaft als maßgebend durchgesetzt haben.

Zum anderen wird vom Einzelnen gesprochen, als wäre der Einzelne ein autonomes Individuum, das unbeeinflusst auf einer einsamen Insel haust. Tatsächlich aber lebt jeder Mensch in sozialer Gemeinschaft mit anderen Menschen, ist ohne sie überhaupt nicht lebensfähig, da er in sie hineingeboren wurde und sogar noch vor seiner Geburt von ihr geprägt und beeinflusst wurde. Daher ist es imho unsinnig, über normative Ethik zu sprechen, ohne zu beachten, dass Normen immer die Beziehung des Einzelnen zur Welt betreffen, zu der seine soziale Gemeinschaft gehört, in der er agiert und unter deren Aktionen er (als Passiv gesehen) leidet.

Die Frage nach der Freiheit zur Selbstzerstörung kann also nicht zutreffend beantwortet werden, ohne die Frage nach den Konsequenzen einer solchen Aktion für die soziale Gemeinschaft einzubeziehen. Sprich, was bedeutet das, was ich aktiv tue, passiv für meine soziale Gemeinschaft.

Konkret: wer für die Freiheit zur Selbstzerstörung plädiert, möge bitte erklären, wie dies seiner Ansicht nach aussieht, wenn ein Alkoholiker Familie hat, seine Frau prügelt und seine Kinder in Lumpen und ohne Frühstück, weil mittellos, in die Schule schickt. Oder wie die Sache aussieht, wenn eine Mutter mit zwei kleinen Kindern sich aus Liebeskummer mit Schlaftabletten vergiftet.

Grüße

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von homo_sapiens am 02. Sept. 2005, 10:19 Uhr
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> welche konkreten Personen bzw. welche Gruppen von konkreten Personen ihren Willen gegenüber der Gesamtgesellschaft als maßgebend durchgesetzt haben.


....... das heißt dann

das dies kein rechts staat
orientiert am gg

sondern eine diktatur
der macht !



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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 02. Sept. 2005, 11:21 Uhr
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on 09/02/05 um 09:20:55, Abrazo wrote:Hi,

der bisherige Verlauf dieser Diskussion zeigt, dass sie aus zwei Perspektiven geführt wird, die imho beide falsch sind.

Zum einen wird vom Staat gesprochen. Staat ist ein abstrakter Begriff, keine zur Handlung fähige Person. Handeln können nur konkrete Objekte. Folglich ist es unsinnig, den Staat als handelnde Person einzubringen.



hey, abrazo, viel feinsinniger als eine rodungsarbeit war das auch nicht
klar ist staat ein abstrakter bedriff. kennst du einen der nicht abstrakt ist? "konkretes objekt" ist doch genauso abstrakt und in dem fall tautologisch zu staat. "handeln" selber ist auch nicht besonders konkret denn es beinhaltet ja keine spezielle handlung sondern allgemeine. also damit dehst du dich doch im kreis.
alles nicht nur sich selbst repräsentierende ist abstrakt. wenn man etwas konkreter ausdrückt benutzt man ja auch nicht im eigentlichen sinne weniger abstrakte begriffe sonder solche mit eingeschränkter bedeutung. das ist ja doch was anderes.
es gibt überhaupt keinen grund nicht vom staat zu sprechen.
selber benutzt du ja ausdrücke wie soziale gemeinschaft. als ob das was anderes wäre...

und dass man niemand als selbstverwirklichung prügeln darf, soweit waren wir schon nach den deinermeinung nach imho falschen ergebnissen.

es ist doch wirklich sinnlos fortgesetzt offensichtliche beispiele anzuschleppen die ganz einfach in übereinstimmung entschieden werden können. aus solchen extremwerten kann ich doch keine allgemeingültige regel ableiten. und darum ging es ja hier. nicht um den "wife beater" sondern um eine generelle handlungsanleitung.
und die gibts halt nicht.
gruss

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 02. Sept. 2005, 11:25 Uhr
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on 09/02/05 um 02:46:14, Hanspeter wrote:Hallo Eberhard,

Es geht also um das Beispiel Drogenkonsum. Denn ob Schnaps, Hasch, Ecstasy oder Kokain etc. ist ja im Prinzip gleich.



das kann wohl nicht dein ernst sein oder?
wenn man verallgemeinert um schlüsse zu ziehen ist es ganz hilfreich sich an fakten zu halten und nicht an ideologien. zumindest wenn man ergebnisse erwartet.
gruss

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Eberhard am 02. Sept. 2005, 11:29 Uhr
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Hallo allerseits,

die um der Klarheit willen weiter zugespitzte Frage lautet also:

„Darf man durch Drogenkonsum die eigene Gesundheit zerstören?“

Es wird nicht danach gefragt, ob man dies nach geltendem Recht oder nach vorherrschender Moral darf, sondern ob man das überhaupt darf.

Die Frage ist eine moralische Frage so wie die Frage: „Darf man Tiere schlachten, um sie zu essen?“

Auf diese Frage wird eine richtige Antwort gesucht.

Die gesuchte Antwort muss dabei nicht ein einfaches „ja“ oder „nein“ sein, sondern sie kann auch differenziert ausfallen und auf die jeweiligen Umstände Bezug nehmen.

“Richtig“ heißt dabei: „allgemein richtig“, nicht nur richtig für mich sondern auch für Dich, und nicht nur heute richtig sondern auch morgen richtig.

Wenn ich psi richtig verstehe, bezweifelt er, dass es auf diese Frage eine in diesem Sinne allgemein richtige Antwort geben kann.

Aber ist die Frage: „Darf man durch Drogenkonsum die eigene Gesundheit zerstören?“ eine reine Geschmacksfrage so wie die Frage: „Schmecken Weinbergschnecken gut?“, auf die jeder eine andere Antwort geben kann, ohne dass dies ein Problem darstellt?

Wenn jemand sagt: „Jeder darf über sich und seinen Körper allein verfügen. Dies beinhaltet, dass er auch seine Gesundheit zerstören darf“, so behauptet er etwas, das auch für mich Geltung beansprucht. Er fordert damit mich und jeden beliebigen anderen zur (dauerhaften) Bejahung des Satzes auf. Kurz gesagt: er beansprucht für den Satz allgemeine Geltung.

Wenn dieser Anspruch auf allgemeine Anerkennung nicht rein dogmatisch sein soll, dann muss er begründet werden. Das heißt, es müssen Argumente genannt werden, die nachvollziehbar und akzeptabel sind.

Diese Argumente können nicht in einer „Black Box“ geliefert werden nach der Art „Alles was der Papst ex cathedra verkündet, ist wahr“.

Es grüßt Euch Eberhard.


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Abrazo am 02. Sept. 2005, 05:25 Uhr
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Hi, Psi,

wenn du mich fragst, was Handeln ist, kann ich dir verschiedene Beispiele zeigen (laufen, essen, Auto fahren), indem ich mit dem Finger darauf weise und sage: handeln ist z.B. das.

Wenn du mich fragst, was eine soziale Gemeinschaft ist, kann ich auf die Leute weisen, mit denen ich gerade zusammen bin und sagen, eine soziale Gemeinschaft ist z.B. das.

Mach das mal mit dem Staat.

Gruß

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 02. Sept. 2005, 05:36 Uhr
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lieber eberhard,

natürlich hat drogenkonsum mit weinbergschnecken nichts zu tun.

warum denkst du dass das fragen sind die bis jetzt nicht allgemein beantwortet sind? warum glaubst du dass das fragen sind die mit dogmen beantwortet werden?

weil es eben nicht natürliches dazu gibt an dem man sowas ablesen kann. wenn du sagst begründet, dann ist das schön. aber eine brgründung funktioniert immer in einem system das auf annahmen gegründet ist. die "richtigkeit" bzw die "sinnhaftigkeit" dieser annahmen kann nur intuitiv eingesehen werden. es gibt dazu keine tafeln die vom himmel fallen auf denen die lösungen stehen. und da fängts doch schon an dass in diesem bereich die vorstellungen die intuitiv erlangt werden doch sehr unterschiedlich sind.
schau dir die abtreibungsfrage an. klassisches beispiel eines solchen interessenkonflikts. im falle einer indikation bei der davon ausgegengen werden muss dass das austragen des kindes den tod der mutter bedeutet (keinesfalls eine hypothetische konstruktion) darf ganz klar legal abgetrieben werden weil der gesetzgeber dem leben der mutter vorrang vor dem leben des kindes gewährt. die katholische position dazu ist diametral entgegengesetzt. beide positionen lassen sich durchaus begründen. letztlich ist es aber eine "geschmacksfrage" welcher argumentation man folgt. wie wöllte man das denn objektiv entscheiden?

du schreibst die argumentation müsste akzeptabel sein. das kann doch wohl nur ein witz-kriterium sein. letztlich kann doch jeder akzeptieren was er will. und das wird isch nach der tatsächlichen oder vermeintlichen interessenlage richten.

alles muss auf etwas gegründet sein. in der mathematik wird durch formale ableitung die lösung gefunden und wenn etwas formal ableitbar ist, dann ist es auch wahr.
im wirklichen leben ist das etwas anders. eine regel ist nicht deshalb gültig weil sie einsehbar abgeleitet wurde sondern weil sie überprüfbar sinnvolle ergebnisse liefert.
man kann es verneinen, aber wenn man die tasse loslässt fällt sie runter und zerschellt am boden.
bei der abtreibungsfrage und allen anderen fragen dieser art ist es aber eine frage der akzeptanz der ergebnisse die nichts mit naturgesetzen zu tun hat. deshalb wird in einzelfragen jeweils ein konsens gesucht und gefunden werden müssen.
und nicht umsonst werden diese fragen durch raum und zeit hinweg ja höchst unterschiedlich beantwortet.
es gibt keine allgemeingültige anweisung für richtiges handeln.
aber das ist eigentlich schon seit den griechen bekannt.
gruss

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 02. Sept. 2005, 12:45 Uhr
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on 09/02/05 um 05:25:11, Abrazo wrote:Hi, Psi,

wenn du mich fragst, was Handeln ist, kann ich dir verschiedene Beispiele zeigen (laufen, essen, Auto fahren), indem ich mit dem Finger darauf weise und sage: handeln ist z.B. das.

Wenn du mich fragst, was eine soziale Gemeinschaft ist, kann ich auf die Leute weisen, mit denen ich gerade zusammen bin und sagen, eine soziale Gemeinschaft ist z.B. das.

Mach das mal mit dem Staat.

Gruß




du willst nicht behaupten dass man staat nicht erklären kann, oder? denn erklären findet ja immer so statt dass man zumindest im übertragenen sinne mit dem finger auf etwas zeigt und sagt das ist das und das...

wir können gern mal aufs amt gehen und ich zeig dir die menschendort und erklär dir ihre funktion indem wir sie beobachten...und dann gehen wir zur polizie und aufs gericht und ich zeige dir wie der statt handelt. und dann gehen wir nach berlin und schauen uns mal die grossen institutioinen und ihrer vertreter an...

warum auch nicht...

nur weil etwas grösser ist ist es deshalb nicht abstrakter. stein ist nicht abstrakter als planet.
gruss


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Abrazo am 02. Sept. 2005, 13:25 Uhr
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Hi, Psi,

die Meldehalle ist also der Staat? Und auch der Reichstag mit den minder oder mehr vorhandenen Abgeordneten drin? Oder die Polizei und die Art und Weise, wie sie handelt (die Frage nach dem Warum wäre doch wohl wichtiger, oder)? Und gar die Gerichte? Da sehe ich ein gewaltiges Problem, denn da gibt es ja recht unterschiedliche Leute, die recht unterschiedlich handeln: nen Richter, der im Namen des Volkes (bitte nicht mit Staat verwechseln - Volk kannste schon eher zeigen!) urteilt, dann den Staatsanwalt, der zweifellos was mit dem Staat zu tun hat, aber was? Kann ich das hören und sehen? Dann den Angeklagten, Verteidiger, Zeugen, Gutachter ... wat willste da zeigen, um einem zu erklären, was Staat ist? Denn - Funktion erklären, dat is wat anderes. Das ist nicht mehr konkretes Zeigen!

Gruß

:-)

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von doc_rudi am 02. Sept. 2005, 14:38 Uhr
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warum zweifelt ihr die Beobachtung an, dass der Staat eine handelnde Einheit ist.
Und alles was als eine Einheit handelt, ist ein lebendes System, ist begrenzt und offen. Nach innen hat es einen homöostatischen Zustand und tauscht seine Bausteine ständig aus. Die Bausteine des Staats sind u.a. wir, solange wir leben, aber die Sterbeqote wird in etwa durch die Geburtenrate ersetzt. Wie jedes lebende System hat auch der Staat eine ständige Wachstumstendenz und versucht, sich zu vergrößern, erhöht sein Bruttosozialprodukt oder führt Kriege.
Er erfüllt alle Kriterien eines lebenden Systems.
Gruß
rudi

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 02. Sept. 2005, 14:39 Uhr
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on 09/02/05 um 13:25:15, Abrazo wrote:Hi, Psi,

die Meldehalle ist also der Staat? Und auch der Reichstag mit den minder oder mehr vorhandenen Abgeordneten drin? Oder die Polizei und die Art und Weise, wie sie handelt (die Frage nach dem Warum wäre doch wohl wichtiger, oder)? Und gar die Gerichte? Da sehe ich ein gewaltiges Problem, denn da gibt es ja recht unterschiedliche Leute, die recht unterschiedlich handeln: nen Richter, der im Namen des Volkes (bitte nicht mit Staat verwechseln - Volk kannste schon eher zeigen!) urteilt, dann den Staatsanwalt, der zweifellos was mit dem Staat zu tun hat, aber was? Kann ich das hören und sehen? Dann den Angeklagten, Verteidiger, Zeugen, Gutachter ... wat willste da zeigen, um einem zu erklären, was Staat ist? Denn - Funktion erklären, dat is wat anderes. Das ist nicht mehr konkretes Zeigen!

Gruß

:-)




ja, das stimmt. aber es gilt ja ganz allgemein das auch die von dir angeführten begriffe wie handeln und gemeinschaft nicht nur aus dem bestehen was man zeigen kann. denn in ihrer allgemeinheit umfangen sie ja alle möglichen fälle dieser art. du kannst nicht auf alle möglichkeite zu handeln real zeigen um handeln zu erklären. der verständnissschritt muss immer erfolgen egal bei was. und den verstand eines zehnjährigen hab ich jetzt einfach mal vorausgesetzt.
selbst eine konkrete gemeinschaft erschöpft sich ja keineswegs einfach in einer ansammlung an menschen. die ansammlung schon, zur gemeinschaft gehört genauso funktionelles wie zum staat auch. und natürlich erschöpft sich handeln in keiner handlung auf die du zeigen kannst.
wie gesagt, ein bisschen transferleistung und erkenntnisfähigkeit wird immer vorausgesetzt.
du fragst "kann ich das hören oder sehen". was soll denn der quatsch? weil ich einen aspekt von "handeln" nämlich eine bestimmte handlung sehen kann, deshalb kann ich doch "handeln" noch nicht sehen. genauso ist alles was man sehen kann vom staat ein bestimmter aspekt des staates. na und?
das ist eine lächerliche diskussion.

gruss

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Abrazo am 02. Sept. 2005, 15:26 Uhr
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Hi, doc rudi und psi,

da Staat ein Begriff ist, ist er klar definierbar.

Ein Staat (aus lat. status Zustand, Verfassung) ist ein Gebilde, das laut der Konvention von Montevideo folgende Eigenschaften aufweist:

eine mehr oder weniger stabile Kernbevölkerung (Staatsvolk);
einen klar abgegrenzten oder definierten Landbesitz (Staatsgebiet, Territorium);
eine Regierung, die eine Staatsgewalt ausüben kann;


[smiley=schilder0307.gif]

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Hanspeter am 02. Sept. 2005, 15:37 Uhr
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Hallo Eberhard,

Thema Drogenkonsum.

Diese moralische Frage kann nur beantwortet werden, wenn über das moralische Ziel Einigkeit besteht.

Wenn das oberste Ziel einer Moral die persönliche Selbstverwirklichung ist, ist die Verwendung von Drogen aller Art erlaubt.

Wenn das oberste moralische Ziel die Erfüllung der Worte des Propheten Mohammed ist, dann sind Drogen aller Art verboten.

Wenn du die katholische Moral vertrittst, wird es etwas komplizierter. Dort genießt die Droge Alkohol naturgemäß eine Sonderrolle. Papst Benedikt nennt Drogenkonsum eine schwere sittliche Verfehlung, akzeptiert aber den Genuss von Alkohol. Ein Übermaß an Alkohol sollte seiner Ansicht nach allerdings vermieden werden.

Wenn du die derzeit übliche Staatsmoral vertrittst, dann darfst du saufen, soviel du willst, solange du niemand anderen schädigst. Ist die Leber kaputt, zahlt die Krankenkasse.
Die Verwendung und die Beschaffung der übrigen Drogen wird teilweise bestraft.
Die Droge, die die häufigsten Todesfälle verursacht, nämlich das Zigarettenrauchen, wird vom Staat ambivalent beurteilt. Einerseits ist es am Arbeitsplatz verboten, andererseits leisten die Raucher einen wichtigen Beitrag zur Terroristenbekämpfung und zur Sanierung der Rentenkasse.

Wenn du keine der hier aufgeführten Moralen vertrittst, dann musst du mir erst deine persönliche Moral genauer erklären.

Gruß HP

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 02. Sept. 2005, 15:52 Uhr
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on 09/02/05 um 15:26:17, Abrazo wrote:Hi, doc rudi und psi,

da Staat ein Begriff ist, ist er klar definierbar.

Ein Staat (aus lat. status Zustand, Verfassung) ist ein Gebilde, das laut der Konvention von Montevideo folgende Eigenschaften aufweist:

eine mehr oder weniger stabile Kernbevölkerung (Staatsvolk);
einen klar abgegrenzten oder definierten Landbesitz (Staatsgebiet, Territorium);
eine Regierung, die eine Staatsgewalt ausüben kann;


[smiley=schilder0307.gif]



jaaaa....und? was sagt uns das jetzt? hat jemand was anderes behauptet? da hast du doch deine handelnde regierung. auf die kann man und muss man sogar mit dem finger zeigen...
gruss


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Eberhard am 02. Sept. 2005, 16:40 Uhr
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Hallo allerseits,

Ich hatte die Frage gestellt: „Darf man sich selbst zugrunde richten?“ und hatte diese Frage konkretisiert: „Darf man durch Drogenkonsum die eigene Gesundheit zerstören?“

Gesucht ist damit die Antwort auf diese Frage, wobei es nicht um irgendeine Antwort geht, sondern um die richtige.

Dass eine bestimmte Antwort richtig ist, soll nicht nur behauptet, sondern auch begründet werden. Dazu sind Argumente nötig, die vom Diskussionspartner eingesehen und akzeptiert werden können. Wer nur monologisch Behauptung an Behauptung reihen will, ohne sich zu fragen, inwieweit diese von anderen geteilt werden können, der sollte nicht an erkenntnisorientierten Diskussionen teilnehmen. Was hier zählt sind allein gute Argumente, die mögliche Antworten stützen oder erschüttern, und die nicht durch Gegenargumente entkräftet werden können. Was allein zählt sind Argumente zur Sache, denen man folgen kann – oder besser noch: folgen muss.

Wer allerdings der Meinung ist, es könne keine richtige Antwort auf die gestellte Frage geben, man könne nicht das Für und Wider in Bezug auf mögliche Antworten sinnvoll erörtern, der sollte den Beweis der Unmöglichkeit antreten oder - besser noch – der sollte sich Fragen zuwenden, die er für beantwortbar hält.

Reine Wertungen von Äußerungen können keine Argumente zur Sache sein und sollten deshalb möglichst unterbleiben, Zu solchen Nicht-Argumenten zähle ich Sätze wie
-
ist ja hanebüchen
eine philosophische erkenntnis kann man daraus nicht stricken
das kann nicht dein ernst sein
es ist eine ziemlich ausgelutschte erkenntnis
na, wenn das nicht der schöne und jugendfrohe anfang einer schreckensideologie ist.
damit drehst du dich doch im kreis.
das kann wohl nicht dein ernst sein oder?
das kann doch wohl nur ein witz-kriterium sein
das ist eigentlich schon seit den griechen bekannt
was soll denn der quatsch?
na und?
Das ist eine lächerliche Diskussion

Unbrauchbar sind auch Entgegnungen, bei denen unklar ist, gegen welche Aussage des andern sie sich richten. Der Satz: „Natürlich hat drogenkonsum mit weinbergschnecken nichts zu tun“ mag richtig sein, aber gegen welche Behauptung soll er denn ein Argument sein?

Störend sind Bemerkungen, die Diskussionsteilnehmer herabsetzen, wie: „Den verstand eines zehnjährigen hab ich jetzt einfach mal vorausgesetzt.“

Soviel zur Methode, zur Sache demnächst mehr von Eberhard.


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 02. Sept. 2005, 18:29 Uhr
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eberhard,

" Dass eine bestimmte Antwort richtig ist, soll nicht nur behauptet, sondern auch begründet werden. Dazu sind Argumente nötig, die vom Diskussionspartner eingesehen und akzeptiert werden können. Wer nur monologisch Behauptung an Behauptung reihen will, ohne sich zu fragen, inwieweit diese von anderen geteilt werden können, der sollte nicht an erkenntnisorientierten Diskussionen teilnehmen. Was hier zählt sind allein gute Argumente, die mögliche Antworten stützen oder erschüttern, und die nicht durch Gegenargumente entkräftet werden können. Was allein zählt sind Argumente zur Sache, denen man folgen kann – oder besser noch: folgen muss. "

zwingend schliessen, kann man nur in einem axiomatischen system. die grundlagen müssen von dem anerkannt sein den man zum schluss zwingen will. bringt man ein nicht ableitbares argument ein kann man versuchen übereinstimmung in der einschätzung des arguments zu finden, zwingend kann es nicht sein. sicher können sich über derartige fragen zwei einig sein, sogar beliebig viele einig sein. allgemein zwingend kann es nie werden weil irgendein ausgangspunkt vorhanden sein muss, auf den kann man niemand zwingen.
warum es meiner meinung nach auch unmöglich ist das ein solcher allgemeiner ausgangspunkt existiert hab ich ja auch ausgeführt.

die unsachlichen bemerkungen waren auf unsachliche argumente bezogen.

zwingende sachliche argumente gegen eine allgemeingültige lösung hab ich ja gebracht. das kannst du gerne mal versuchen zu bezwingen. sachlich.

gruss

den vergleich mit den weinbergschnecken hast du selber gemacht. ich hab nur gesagt dass das offensichtlich nichts miteinander zu tun hat.

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Eberhard am 02. Sept. 2005, 21:15 Uhr
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Hallo allerseits,

gar nicht so einfach, eine moralische Frage zu diskutieren wie „Darf man durch übermäßigen Alkoholkonsum seine Gesundheit zugrunde richten?“

Hanspeter hat offenbar eine entschiedene Meinung zu der Frage, aber er will sich nicht auf die Suche nach einer richtigen Antwort einlassen. Er kann sich die Sache nur so vorstellen, dass ich meine subjektive Meinung dazu hier zum Besten gebe, wenn er schreibt: „Wenn du keine der hier aufgeführten Moralen vertrittst, dann musst du mir erst deine persönliche Moral genauer erklären.“
Immerhin gibt es für ihn eine Möglichkeit, zu einer gemeinsamen Antwort zu kommen, wenn man sich über ein oberstes Ziel einigt.

psi ist der Meinung, dass er „zwingende sachliche Gründe gegen eine allgemeingültige Lösung gebracht“ habe. Ich kann diese Gründe nicht entdecken.

Die Argumente, die gegen das Bemühen um eine allgemeingültige Beantwortung ethischer Fragen vorgebracht werden, treffen auch auf die empirischen Fragestellungen zu. Auch hier gibt es Dissens und unterschiedliche Erklärungen (z.B. bei den Ursachen von Krebs), auch hier gibt es keine logisch zwingenden Beweise, auch hier gibt es Fragen, die bisher nicht beantwortet werden können.

In der letzten Woche hat hier in Berlin ein 17jähriger Junge einen 7jährigen auf dem Spielplatz totgeschlagen. Die Gewalt- und Rohheitsdelikte in unserer Gesellschaft nehmen zu. Für mich ist es schwer zu begreifen, dass so viele klar denkende Menschen sich nicht auf die Aufgabe einlassen wollen, nach allgemein akzeptablen Normen zu suchen, denen im Prinzip jeder zustimmen kann, der dieses Ziel teilt.

Ist die moralische Stellungnahme zu der genannten Tat wirklich subjektiv beliebig? Ist das Geschmacksache? Gibt es keine intersubjektiv nachvollziehbaren Argumente für oder gegen diese Tat?

Wenn mir gegenüber jemand die Position vertritt, moralische Urteile seien subjektiv beliebig und es sei sinnlos, nach einem allgemeinen Konsens zu suchen, dann impliziert dies, dass es für ihn keinen Grund gibt, meine Interessen zu achten, falls sie den seinen in die Quere kommen. Es gibt für ihn kein moralisches Problem. Er wird mich notfalls umbringen, wenn er dies unerkannt und straflos tun kann.

Dies ist letztlich die Konsequenz aus der Haltung, dass moralische Normen etwas subjektiv Beliebiges sind. Das muss man sich ganz klar machen. Entsprechend stelle ich mich darauf ein, dass es bei Konflikten mit ihm, der keine begründeten moralischen Vorwürfe kennt, nichts zu argumentieren gibt, sondern dass ich mich stattdessen gegen ihn wappnen muss.

Wer nicht bereit ist, sich mit mir gewaltlos und allein mittels einsichtiger Argumenten darüber zu einigen, wie wir beide miteinander umgehen wollen, der hat sich damit zu meinem potentiellen Feind erklärt, vor dem ich auf der Hut sein muss.

Ist dies schlüssig?

fragt Eberhard.


Hallo Abrazo,

In Deinem ersten Beitrag hast Du geschrieben: "Die Frage nach der Freiheit zur Selbstzerstörung kann also nicht zutreffend beantwortet werden, ohne die Frage nach den Konsequenzen einer solchen Aktion für die soziale Gemeinschaft einzubeziehen. Sprich, was bedeutet das, was ich aktiv tue, passiv für meine soziale Gemeinschaft.“

Ich bin da vollkommen mit Dir einer Meinung. Es ist für mich selbstverständlich, dass man diese Zusammenhänge bei der Beantwortung der Frage berücksichtigen muss. Ich wüsste auch nicht, dass ich das durch eine „falsche Perspektive“ ausgeschlossen hätte.

Es grüßt Dich Eberhard.



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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von res1 am 02. Sept. 2005, 21:40 Uhr
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Ob man sich nun zu Grunde richten darf bleibt allein bei der Prioritätensetzung.

Mir ist die Freiheit des Individuums wichtiger als Scheinsicherheiten. Wie lächerlich und undurchsetzbar wäre denn so ein Gesetz, dass keiner mehr als 1 Glas Wein täglich trinken oder keine Drogen nehmen dürfte? Wer bezahlt die Riesenkosten der Screenings beim Arzt für jeden Einwohner?

Dazu kommt einfach generell, dass meiner Ansicht nach der Wille des Individuums wichtiger ist als Scheinsicherheiten.

Das ist genau wie die zukünftige Kameraüberwachung, das SIS-System und Fingerabdruck-Scanns. Dass Terroranschläge passieren werden, wenn Terroristen dies wollen, wird so sein, denn dumm sind die gaar nicht. Und wenn sich einer zu Grunde richten will, wieso sollte er das nicht machen dürfen... er kann es ja sowieso.

Und was bringt uns ein solches Überwachungs-/Erfassungssystem , welches alle toll finden und sich drauf verlassen, wenn der sich nicht registriert. Oh sorry - There's no fingerprint scanner in Kirgistan.

Das alles war nur meine Meinung, kein Angriff oder so. Gesetze gibt es nur, weil wir versagt haben und darum wirds sie auch weiterhin geben. Die Wurzel des Übels (warum machen sie es...usw) interessiert kaum einen und da wird auch nix gegen gemacht.

[guard] [bounce]

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Abrazo am 02. Sept. 2005, 21:59 Uhr
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Hi, Eberhard,

die meisten, die die Freiheit des Einzelnen über alles stellen, nehmen die Perspektive ein, als stünde das autonome Individuum einer gesichtslosen Gesellschaft gegenüber.

Diese Perspektive ist falsch. Und natürlich sind deswegen auch die damit begründeten Antworten falsch.

Falsch ist diese Perspektive aus zwei Gründen: zum einen, weil, wie ich schon sagte, das Individuum nur teilweise autonom ist. Es wird in eine soziale Gemeinschaft hineingeboren und übernimmt von dieser Gemeinschaft Verhaltensweisen, Kultur, und, am wichtigsten, die Sprache, die sein Denken entscheidend mit bestimmt. All dies, was seine Persönlichkeit wesentlich prägt, ist also nicht von ihm selbst geschaffen, er hat es sich nicht ausgesucht, es war keine Willensentscheidung, sondern andere haben ihn damit geprägt, so, wie sie selbst davon geprägt sind. Natürlich ändert sich die Kultur laufend, aber eben auf der zuvor von anderen festgelegten Basis.

Zum zweiten ist die Gesellschaft - ich spreche lieber von sozialer Gemeinschaft, um den Begriffscharakter etwas nieder zu halten, der mit dem Wort Gesellschaft automatisch ins Spiel kommt - kein gesichtsloses Wesen, sondern sie ist quasi die Bezeichnung einer Menge, die aus Individuen als Elemente besteht; eines dieser Elemente bin ich selbst. Wenn ich also von der sozialen Gemeinschaft spreche und mich selbst dabei ausnehme, dann rede ich über einen Sachverhalt, der nicht besteht. Das Element einer Menge kann nicht außerhalb der Menge sein.

So schade ich niemals der Gesellschaft, sondern immer nur Elementen, aus denen diese Gesellschaft besteht.

Gruß

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Abrazo am 02. Sept. 2005, 22:46 Uhr
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Hi, Psi,

zwingend schliessen, kann man nur in einem axiomatischen system. die grundlagen müssen von dem anerkannt sein den man zum schluss zwingen will.

Vor nicht allzu langer Zeit musste die GmbH eng zusammen gehend an einem heißen Tag durch den vollen Hauptbahnhof. Da begab es sich, dass ein kurzbehoster Mann, offensichtlich in der Ansicht, er habe mehr Rechte auf Schnelles Weiterkommen als andere, ohne seine Aufmerksamkeit auf das zu richten, was um ihn herum vorging sich durchzudrängeln trachtete. Da seiner subjektiven Auffassung und deswegen wohl auch Wahrnehmung nach Herr Hund nicht existierte, trat er ihm auf den Fuß. Happs.

Nicht, dass etwas passiert wäre, in solchen Fällen zwickt der Herr mal schnell in die Wade ohne Spuren zu hinterlassen, aber aufgrund der Schreckensreaktion habe ich allen Grund anzunehmen, dass Herr Hund ihn vermittels Argument seiner Zähne zu dem Schluss gezwungen hat, seine Existenz anzuerkennen.

Jetzt würde mich interessieren, kraft welchen axiomatischen Systems, dessen Grundlage der Drängler anerkannt hat, Herr Hund den Drängler zur Anerkennung seiner Existenz gezwungen hat.

Gruß

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von doc_rudi am 02. Sept. 2005, 23:55 Uhr
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jedes lebende System hat eine ständig wirkende Vergrößerungstendenz und wächst auch weiter, wenn sein Körper "erwachsen" ist.
Zum Menschen gehört u.a. auch sein weiter wachsendes Eigentum. Auch Herr Hund versucht, sein Revier zu vergrößern. Das merkt Herr Drängler bereits, wenn er angebellt wird, nicht erst, wenn er in die Wade gezwickt wird.
Diese Vergrößerungskraft ist der Trägheit einer Masse vergleichbar. Eine Verkleinerung des lebenden Systems ist stets Folge einer Einwirkung von außen - durch einen stärkeren Hund. Die Reviergrenzen sind dann abgesteckt, wenn die beiden Kräfte gleich sind, deshalb hat der stärkere Hund ein größeres Revier (die Kraft nimmt mit dem Quadrat der Entfernung ab).
Gruß
rudi

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Abrazo am 03. Sept. 2005, 00:38 Uhr
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Hi, doc rudi,

[smiley=lol.gif]

Gruß

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Hanspeter am 03. Sept. 2005, 03:14 Uhr
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Hallo Eberhard,

du schreibst: "Wenn mir gegenüber jemand die Position vertritt, moralische Urteile seien subjektiv beliebig und es sei sinnlos, nach einem allgemeinen Konsens zu suchen, dann impliziert dies, dass es für ihn keinen Grund gibt, meine Interessen zu achten, falls sie den seinen in die Quere kommen."

Hier sind zwei Aussagen zu präzisieren.

1. Beliebigkeit. In einem gegebenen System sind moralische Aussagen keineswegs beliebig. Wenn jemand in einem bestimmten Staat lebt, kann und wird dieser seine moralischen Vorstellungen teilweise in gültiges Recht umwandeln und dieses auch nachhaltig einfordern.
Du kannst also argumentieren: "Wer im selben Staat lebt wie ich hat auch die in diesem Staat gültigen moralischen Normen zu achten".

2. Toleranz. In einem Staat gibt es außer dem gültigen Recht (= Basismoral) auch noch eine gewisse moralische Toleranz. Innerhalb dieser kann jeder seine eigene persönliche Moral entwickeln, die ja auch ein wesentlicher Bestandteil seines Charakters ist. Zur Basismoral gehört aber verbindlich die Achtung der Rechte anderer.

Noch einmal: Wir müssen de facto feststellen, dass es weltweit unterschiedliche moralische Ziele gibt. Die Frage, ob eines davon richtig und die anderen falsch sind, können wir zwar stellen, doch das wäre eine andere Diskussionsebene. Es gibt aber gewichtige Gründe zur Annahme, dass dabei keine allgemein gültige Antwort gefunden wird. Ohne eine allgemein verbindliche moralische Zielvorgabe können wir aber nicht den richtigen Weg finden.

Trotzdem halte ich diese Diskussion über Drogen für ergiebig - sofern sie sachlich geführt wird - weil sie die eigene, persönliche Moral auf den Prüfstand legt.

Gruß HP

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von homo_sapiens am 03. Sept. 2005, 10:33 Uhr
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.... solange ihr nur die lügen propaganda
euerer ge meinen schafft von euch ....................

werdet ihr keinen rechts staat haben können
sondern nur ein aus sterbendes arbeits lager

sehet euch nur eueren chef an ..........

>>> wer mehr arbeit schaffen will braucht mut <<<



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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 03. Sept. 2005, 12:21 Uhr
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on 09/02/05 um 21:15:55, Eberhard wrote:Hallo allerseits,



psi ist der Meinung, dass er „zwingende sachliche Gründe gegen eine allgemeingültige Lösung gebracht“ habe. Ich kann diese Gründe nicht entdecken.



In der letzten Woche hat hier in Berlin ein 17jähriger Junge einen 7jährigen auf dem Spielplatz totgeschlagen. Die Gewalt- und Rohheitsdelikte in unserer Gesellschaft nehmen zu. Für mich ist es schwer zu begreifen, dass so viele klar denkende Menschen sich nicht auf die Aufgabe einlassen wollen, nach allgemein akzeptablen Normen zu suchen, denen im Prinzip jeder zustimmen kann, der dieses Ziel teilt.




eberhard,
genau im letzten satz stimmst du mir doch zu. denn du schränkst die zustimmung von jederman erstens ein mit einem "kann" das heisst streng genommen "nicht muss", und du schränkst weiterhin ein mit " der dieses ziel teilt". ganz offensichtlich teilen eben nicht alle die gleichen ziele, schon gar nicht so ein ziel der gewaltlosigkeit. sonst müsste man es ja nicht mit gewalt durchsetzen. was wiederum eine einschränkung der gewaltlosigkeit bedeutet. kein prinzip kann man in der praxis bis zur eigentlichkeit exerzieren. jeder versuch das zu tun endet in zwangs und gewaltherrschaft.
es ist ja nicht so dass einer hier, auch ich nicht, sagte es wäre VÖLLIG beliebig. man kann sich ja über weite bereiche einigen. WIR sind uns ja auch in der beurteilung der oben angesprochenen tat durchaus einig. aber doch offensichtlich der täter nicht.
und selbst wenn es utopischerweise dazu käme dass rational alle einem gedanken folgten diesbezüglich, so wäre das verhalten und die handlungsmotivation immer noch nicht nur rational. und es gäbe weiterhin von dieser norm abweichendes verhalten.
alles was ich sage ist dass eine absolute allgemeingültigkeit nicht erreicht werden kann. mit deinen einschränkungen oben sagst du das auch selber.

ansonsten gibt es schon eine norm diesbezüglich, allgemein akzeptiert(nicht im sinne von absolut), nämlich das tötungsverbot. darauf hat man sich schon geeinigt. trotzdem folgen nicht alle, warum auch.
gruss


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 03. Sept. 2005, 12:34 Uhr
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on 09/02/05 um 22:46:27, Abrazo wrote:Hi, Psi,

zwingend schliessen, kann man nur in einem axiomatischen system. die grundlagen müssen von dem anerkannt sein den man zum schluss zwingen will.

Vor nicht allzu langer Zeit musste die GmbH eng zusammen gehend an einem heißen Tag durch den vollen Hauptbahnhof. Da begab es sich, dass ein kurzbehoster Mann, offensichtlich in der Ansicht, er habe mehr Rechte auf Schnelles Weiterkommen als andere, ohne seine Aufmerksamkeit auf das zu richten, was um ihn herum vorging sich durchzudrängeln trachtete. Da seiner subjektiven Auffassung und deswegen wohl auch Wahrnehmung nach Herr Hund nicht existierte, trat er ihm auf den Fuß. Happs.

Nicht, dass etwas passiert wäre, in solchen Fällen zwickt der Herr mal schnell in die Wade ohne Spuren zu hinterlassen, aber aufgrund der Schreckensreaktion habe ich allen Grund anzunehmen, dass Herr Hund ihn vermittels Argument seiner Zähne zu dem Schluss gezwungen hat, seine Existenz anzuerkennen.

Jetzt würde mich interessieren, kraft welchen axiomatischen Systems, dessen Grundlage der Drängler anerkannt hat, Herr Hund den Drängler zur Anerkennung seiner Existenz gezwungen hat.

Gruß



sehr fein bemerkt, abrazo.

erfahrungstatsachen wie du sie angesprochen hast sind ja eben gerade in axiomen verarbeitet in den formalen systemen die man benutzt um sich in der welt zurechtzufinden. und bis zu einem gewissen grad ist es ja auch tatsächlich so dass "moralische" gesetzte dadurch entstehen als dass sie ein funktionierendes gemeinwesen erst ermöglichen und demzufolge aus den gegebenheiten durch erfahrungen abgeleitet werden können. aber genau da trifft man eben auf die interessen. denn "du sollst nicht töten" funktioniert eben weil im prinzip niemand getötet werden will. das finden also erst mal alle gut. bis es einen interessenkonflikt gibt. und absolute gültigkeit für jede handlungssituation muss sich eben auch an extremfällen messen lassen. so ist töten eben dann schon erlaubt wenn es dem schutz des eigenen oder eines dritten notwendig erscheinen lässt. ausnahme, allgemeine gültigkeit gebrochen. so einfach ist das. und auf die gefahr hin wieder unsachlich genannt zu werden, es ist schon lange unter verständigen leuten bekannt dass aus der natur moralische gesetze ableiten zu wollen ins unglück führt.
ich bin kein ausgesprochener brecht fan, aber eines seiner besten werke ist sicher der gute mensch von sezuan. die einwände die dort aufgefahren werden gegen eine absolute entscheidbarkeit "guten handelns" sind durchaus prinzipieller(zwingender) natur und sehr nachvollziehbar für alle leute die einen hundebiss nicht für illusion halten.
desweitern, was ich mit den griechen auch gemeint hatte, die gründe die in den platonischen dialogen aufgezeigt werden warum die beantwortung von fragen nach "gutem handeln" nicht allgemein gelöst werden konnen sind auch prinzipieller natur und sehr nachvollziehbar.

gruss

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von res1 am 03. Sept. 2005, 20:01 Uhr
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Eberhart, zum Topic:

Tatsache ist schlichtweg, dass manche Leute einfach den Hang haben, sich zu Grunde zu richten. Dies jetzt hier mehrfach erwähnt, am Beispiel des Drogenkonsums.

Definition Drogen siehe www.wissen.de. Dinge, die das ZNS stimulieren wie Schnaps, Koks, Kaffee mit Koffein, Nikotin, Shore, LSD und Konsorte, usw...

Die Frage, ob Drogen nun "schlecht" sind, wird wohl kaum einer so mit Ja beantworten. Denn Drogen sind nicht schlecht, siehe med. Anwendung, siehe Heilpraktiken. Es liegt immer am Umgang.

Denn jeder Mensch richtet sein Körper und/oder seine Psyche irgendwo bischen zu Grunde. Nur wieviel darf man also?????

Wenn Leute in ihrer Freizeit ausschliesslich TVen, soll da nicht auch der Staat eingreifen? Wenn Leute ausschliesslich Playstation oder PC-Games spielen...... soll dann der Staat auch eingreifen?

Die Moral sollte sein, das wir erkennen, wo die WURZEL DES PROBLEMS liegt und sie liegt eben nicht im Stoff, sondern im Umgang.

Wenn ich mit 120 km/h innerorts durch ne Kleinstadt fahre,... kann ich mit Autos auch nicht umgehen und bin auf dem besten Wege, mich und andere zu Grunde zu richten.

Einer, der täglich 2Gram Koffein trinkt, wird auch kein langes Leben haben....

Geht man davon aus, dass es nur am Umgang liegt, können wir ausser einer Legalisierung aller Drogen nichts mehr dagegen tun. Junkies sind ein Teil unserer Gesellschaft und wir sollten sie akzeptieren als Teil unserer Gesellschaft und nicht diskriminieren/ausschliessen.

Dies sage ich eben auch, weil in Ländern mit drakonischen Strafen (Erhängen/Tod wegen kleinen Mengen) wie Singapur oder Thailand, der Drogenkonsum mehr ansteigt als in bspweise Deutschland.

Jeder, der sich mit Drogenproblematik tiefgründig befasst, erkennt schnell, dass an einer Liberalisierung (kontrollierte Abgabe) nichts vorbeiführt.

H-Junkies. Alkoholiker und Selbstzerstörer wird es geben, wenn Drogen legal sind und auch wenn der Besitz mit dem Tod bestraft wird.

Daher kann eine vorgeschriebene Moral in Form eines Gesetzes nie erfolgreich sein. Es überdeckt Probleme, die später in aktives Elend ausarten, weil niemand was dagegen gemacht hat.

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Eberhard am 03. Sept. 2005, 21:35 Uhr
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Hallo allerseits,

so gefällt mir die Diskussion. Wenn wir weiter nach dem Motto verfahren: Kritik nur an Positionen, nicht an Personen, werden wir die besten Resultate haben.

Die Diskussion verläuft an zwei Schwerpunkten.

Der eine Schwerpunkt ist das konkrete moralische Problem der Selbstzerstörung.

Hier gibt es einerseits die Position „Die Freiheit des Menschen darf nur eingeschränkt werden, wenn eine menschliche Handlung die Freiheit anderer einschränkt.“

Auf der anderen Seite steht die Position: „Die Frage nach der Freiheit zur Selbstzerstörung kann nicht zutreffend beantwortet werden, ohne die Frage nach den Konsequenzen einer solchen Aktion für die soziale Gemeinschaft einzubeziehen.“

Außerdem gibt es das Spannungsverhältnis zwischen Moral und ihrer Umsetzung in Rechtsnormen.


Der andere Diskussionsschwerpunkt ist die erkenntnistheoretische (oder wie ich sagen würde) die methodologische Frage, ob und wie sich moralische Fragen richtig beantworten lassen.

Hier stehen sich zwei Positionen gegenüber: die eine sieht keine Möglichkeit zur allgemeingültigen Beantwortung moralischer Fragen, die andere plädiert für diese Möglichkeit.

Ich will noch einmal darlegen, wie ich mir Letzteres vorstelle.

Moralische und rechtliche Normen werden benötigt, um soziale Konflikte (A tut etwas, was B nicht will) und deren schädliche Folgen (Streit, Kampf, Krieg, Unterdrückung) zu beschränken.

Außerdem werden sie benötigt, um koordiniertes Handeln (Kooperation) und dessen Vorteile (Planungssicherheit in Bezug auf die Zukunft, Arbeitsteilung und Spezialisierung) zu fördern.

Es bestehen in Bezug auf die Behandlung sozialer Konflikte zwei grundlegende Möglichkeiten: Entweder, man trägt die Konflikte – notfalls gewaltsam – aus, oder man versucht, sich gewaltlos zu einigen und nach Regelungen des Handelns zu suchen, die für alle Beteiligten akzeptabel sind.

Wenn man sich dafür entscheidet, einen allgemeinen Konsens zu suchen, dann verzichtet man auf jede Form des Zwanges bei der Bestimmung der anzuwendenden Normen, man hat als Mittel der Auseinandersetzung nur Argumente, die an die Einsicht der Beteiligten appellieren.

Wenn man so will, ist der einzige Zwang der Zwang zum Konsens. Ziel ist die Bestimmung moralischer und rechtlicher Normen, deren faktische Geltung „vernünftig“, d.h. durch einsichtige Argumente begründet werden kann.

Ähnlich, wie bei empirischen Fragen entscheidend ist, was alle übereinstimmend wahrnehmen, so ist bei normativen Fragen das entscheidend, was alle gemeinsam wollen, (ob man es nun „volonté générale“ nennt oder „Gemeinwohl“ oder „Gesamtinteresse“).

Es ist ohne weiteres möglich, sich gegen die Suche nach einem begründeten Konsens zu entscheiden. Aber derjenige, der dies macht, verliert damit gleichzeitig die Möglichkeit, in irgendeiner Weise in Bezug auf Normen des Handelns „recht“ zu haben, wenn „Rechthaben“ mehr sein soll als die Verkündung eines Dogmas, das geglaubt und befolgt werden soll. Er hat die Ebene der Argumentation von sich aus aufgekündigt, aber ohne einsichtige Argumente lassen sich Geltungsansprüche für Normen weder rechtfertigen noch kritisieren.

Wenn dieser Gedankengang richtig ist, dann haben wir mit dem angestrebten, allein auf einsichtigen Argumenten beruhenden Konsens ein – sicherlich noch präzisierungsbedürftiges - Kriterium, um gute von schlechten Argumenten zu unterscheiden und richtige von falschen Antworten zu unterscheiden.

Ich hoffe, ich habe mich verständlich machen können. Der dargelegte Gedankengang ist für mich das entscheidende Fundament jeglicher rationalen, wissenschaftlichen Erkenntnis – entschuldigt die pathetischen Worte – aber wer diesen Gedankengang nicht nachvollzogen und verstanden hat, kann alles spätere nur halb verstehen – gleichgültig ob er dem nun zustimmt oder nicht.

Es grüßt alle Interessierten Eberhard.

p.s.: Zur konkreten Frage komme ich (hoffentlich) noch ...


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von paul am 04. Sept. 2005, 01:33 Uhr
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ich frage mich,
ob die Selbstzerstörung überhaupt etwas mit Moral zu tun hat.
In England ist Selbstmord(versuch) strafbar, in Deutschland nicht. Psychiater sehen im Selbstmordversuch eine unangemessene Reaktion auf subjektive Probleme (abgesehen von dem seltenen rationalen "Bilanzselbstmord") und betrachten ihn folglich als eine psychische Erkrankung.
In Analogie zum Komputer könnte man von einem Programmfehler mit potentiellem Systemabsturz sprechen.

Gruss
Paul


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Hanspeter am 04. Sept. 2005, 02:16 Uhr
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Hallo Eberhard,

wenn ich das richtig sehe, läuft die Diskussion:

"Inwieweit tangiert das Sichselbstzugrunderichten die Interessen der Gemeinschaft."

auf eine Güterabwägung hinaus:


Wie res1 richtig bemerkte, kann man ziemlich viele Handlungsweisen als ein Sichzugrunderichten interpretieren. Was wäre die Konsequenz? Ein von der Gesellschaft ausgeklügelter Lebensplan, der eine maximale Lebensdauer bei bester Gesundheit garantiert? Das wäre Diktatur pur. Nebenbei bemerkt, im Interesse der Gesellschaft ist es, nach Beendigung der für sie nützlichen Tätigkeit - sprich mit dem Erreichen des Rentenalters - abzunibbeln.

Andererseits haben Eltern unmündiger Kinder die moralische Verpflichtung, für diese zu sorgen. Daraus folgt, sie haben das eigene Sichzugrunderichten dahingehend einzuschränken, dass dieser Verpflichtung Rechung getragen werden kannn.

Irgendwo zwischen Selbstverwirklichung und Verantwortung liegt wohl der richtige Weg.

Gruß HP

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von paul am 04. Sept. 2005, 02:39 Uhr
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on 09/04/05 um 02:16:35, Hanspeter wrote:Hallo Eberhard,

....Nebenbei bemerkt, im Interesse der Gesellschaft ist es, nach Beendigung der für sie nützlichen Tätigkeit - sprich mit dem Erreichen des Rentenalters - abzunibbeln. ....



Ich weiss, dass Du nicht der einzige bist der diese unverschämte, miese, unmoralische und unmenschliche Meinung vertritt, reine Dollarmentalität, schäm dich was! Der Mensch ist wohl ein bischen mehr als ein Wahrenproduktionsfaktor,


Du Mörder!!!!!!!!


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Hanspeter am 04. Sept. 2005, 15:47 Uhr
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Wer sagt, dass das meine Meinung ist?

Ich bin nicht "die Gesellschaft".

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von homo_sapiens am 05. Sept. 2005, 09:59 Uhr
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> „Die Freiheit des Menschen darf nur eingeschränkt werden, wenn eine menschliche Handlung die Freiheit anderer einschränkt.“


... wäret ihr menschen
dann würde es bei euch um menschen würde gehen

nicht um frei heit .........



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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 05. Sept. 2005, 11:00 Uhr
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on 09/03/05 um 21:35:28, Eberhard wrote:Wenn dieser Gedankengang richtig ist, dann haben wir mit dem angestrebten, allein auf einsichtigen Argumenten beruhenden Konsens ein – sicherlich noch präzisierungsbedürftiges - Kriterium, um gute von schlechten Argumenten zu unterscheiden und richtige von falschen Antworten zu unterscheiden.


eberhard, das war schon klar wie du das meinst. natürlich kann ich kriterien aufstellen um gut von schlecht, richtig von falsch zu unterscheiden.
die frage die sich dann jedoch stellt ob eine deiner richtigen antworten denn auch etwas mit der wirklichkeit zu tun hat. und das kann eben nicht durch übereinkunft erkundet oder festgelegt werden. ob sich zwei einigen oder ob der eine dem anderen ein dogma (wenn du im übrigen glaubst, dogmen wären argumentativ unbegründet, dann unterschätzst du die katholische kirche gewaltig, nicht umsonst finden sich die urspründe der universitäten in den theologischen fakultäten) aufzwingt, im verhältnis zur realität ist das gleich.
das schönste beispiel ist doch die aussage des aristoteles dass unterschiedlich schwere körper unterschiedlich schwer fallen. schön hat er das begründet. nachvollziehbar. mit argumenten die man nur als wahr und richtig erkenen kann. leider hat sich die natur nicht daran gehalten.
für die tauglichkeit in der praxis ist doch nicht entscheidend ob etwas nachvollziehbar ist oder nicht sondern ob es die verhältnisse richtig beschreibt so dass sinnvolle aussagen aus der allgemeinen regel für konkrete fälle gemacht werden können.
die wirklichken verhältnisse müssen doch der massstab sein an denen sich richtig und falsch messen lassen müssen.
nochmal, es ist völlig unerheblich ob jemand das newtonsche gravitationsgesetz für einsichtig begründet hält oder nicht. es funktioniert. es ist völlig egal ob jemand das fallgesetz des aristoteles für nachvollziehbar hält. es ist falsch.
ich will nicht sagen dass eine argumentative suche nach der wahrheit völlig sinnlos und unmöglich ist. im gegenteil. es ist nur so dass der letzte prüfstein für die güte des ergebnisses die überprüfung in der wirklichkeit ist und eben nicht die schönheit der argumentation. und wenn etwas funktioniert und keiner weiss warum, so funktioniert es eben trotzdem.
gruss


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Eberhard am 05. Sept. 2005, 16:35 Uhr
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Hallo psi,

Ich habe die Auffassung vertreten, dass eine Behauptung, für die Wahrheit im Sinne von allgemeiner Gültigkeit beansprucht wird, durch nachvollziehbare Argumente begründet sein muss, wenn es kein bloßes Dogma sein soll, das Glauben fordert.

Dagegen schreibst Du: „die wirklichken verhältnisse müssen doch der massstab sein an denen sich richtig und falsch messen lassen müssen. es ist völlig unerheblich ob jemand das newtonsche gravitationsgesetz für einsichtig begründet hält oder nicht. es funktioniert.“

Meine Frage: Woher wissen wir denn, dass es funktioniert? Wie begründet denn der Physiker die Gravitationstheorie? Er sagt letztlich: „Miss doch selber nach und überzeuge Dich doch mit Deinen eigenen Augen davon, dass es so ist, wie die Theorie besagt!“

Dadurch, dass wir übereinstimmend wahrnehmen, dass ein freier Fall - wie von der Theorie vorhergesagt - z.B. 12 Sekunden gedauert hat, ergibt sich die Möglichkeit eines zwanglosen, nachvollziehbaren Konsenses in empirischen Fragen.

Schließlich: Ich habe versucht, meine Position in logischen Schritten aufzubauen. Wo ist diese Argumentation für Dich nicht nachvollziehbar und akzeptabel, welchen Schritt machst Du nicht mit – und warum nicht?

fragt Dich – und nicht nur Dich – Eberhard.



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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 05. Sept. 2005, 18:38 Uhr
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hallo eberhard,

ich hab schon ein problem damit dass du "nachvollziehbare argumentation" und "dogma" gegeneinander setzt. wie gesagt, obwohl dogmen in der tat glaubenssätze sind, sind sie keineswegs unbegründet. und jede argumentation fusst auf einem fundament das nicht weiter durch argumente unterstützt werden kann sondern dessen kernaussagen erkannt oder eben geglaubt werden müssen. ich will damit nicht sagen dass die axiome der euklidischen geometrie für mich wirklich denselben stellenwert haben wie katholische dogmen, aber das ist nicht der punkt.
die unterscheidung findet dann aber erst durch die überprüfbar sinnvolle anwendung in der wirklichkeit statt. dessen entziehen sich dogmen.
das zwanglose übereinkommen in punkto experimenteller überprüfung, das du ansprichst, ist so eine sache. die kardinäle haben sehr wohl durch galileos fernrohr gesehen dass der mond nicht perfekt ist. dabei konnte es sich nach übereinstimmender meinung aber nur um eine verhexung des apparats handeln....
nun, heute tut man sich leichter damit, haarig bleibt es aber wenn es um einen selber geht bzw um eigene existentielle interessen.
nimm das tötungsverbot. allgemeine handlungsvorschrift. was ist wenn ich mein eigenes leben oder das dritter nur durch das töten eine anderen schützen kann? versagt da nicht die allgemeine regel? stell dir nur eine sekunde eine derartige allgemeine regel vor die ohne rücksicht auf ausnahmen durchgesetzt würde. da muss es einen doch gruseln!

ich folge deiner argumentation in allen schritten. das ist gar nicht der punkt. aber das fundament steht notwendigerweise auf tönernen füssen.
was du willst, das ist letztlich nichts anderes als ein gesetz. ein gesetz des richtigen handelns. denn nur das wäre in der lage deine frage zu beantworten. gesetze, normen, moral, ethik. das ist menschenwerk. und an irgendeinem punkt versagt das beste gesetz. wenn gesetze zum wohl aller menschen da sind, dann muss es einzelfallentscheidungen geben denn kein gesetz kann einer solchen massgabe auch nur annähernd allgemein gerecht werden.

eingangs hast du ja auch selber gesagt dass die vorherrschende meinung dazu ist dass es keine allgemeinen lösungen derartiger probleme gibt.

dazu kommt man ja nicht ohne grund.

alles andere ist unerträglich in der praxis.

gruss



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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Abrazo am 05. Sept. 2005, 22:10 Uhr
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stell dir nur eine sekunde eine derartige allgemeine regel vor die ohne rücksicht auf ausnahmen durchgesetzt würde. da muss es einen doch gruseln!
Die Frage nach der Ethik ist die Frage danach, warum einen das eigentlich gruseln sollte.

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Eberhard am 05. Sept. 2005, 22:13 Uhr
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Hallo psy,

ich unterscheide zwischen einem Wahrheitsanspruch für eine Behauptung, der an eine intersubjektiv nachvollziehbare Begründung gebunden ist (dies nenne ich einen „wissenschaftlichen Wahrheitsanspruch“) und einem Wahrheitsanspruch für eine Behauptung, der Glauben verlangt, ohne sich zugleich zu einer nachvollziehbaren Begründung zu verpflichten (dies nenne ich einen „dogmatischen Wahrheitsanspruch“).

Wenn Du das Wort „dogmatisch“ als unpassend empfindest, dann mach einen anderen terminologischen Vorschlag, Mir kommt es nur auf die Möglichkeit an, eine begriffliche Unterscheidung zwischen beiden Arten von Wahrheitsansprüchen zu schaffen, da dieser Unterschied folgenreich ist.

Auch dogmatische Wahrheitsansprüche können von ihren Verfechtern begründet werden. So wurden unter der Diktatur Stalins in der Sowjetunion hunderte von Büchern gedruckt, die den historischen und dialektischen Materialismus begründen sollten. Aber dem Kriterium intersubjektiver Nachvollziehbarkeit wurden diese Pamphlete sämtlich nicht gerecht.

Noch zu einem Missverständnis in Bezug auf das Wort „allgemein“, das sehr häufig auftritt. Die allgemeine Geltung einer Norm hat nichts mit der Allgemeinheit dieser Norm zu tun. Auch eine ganz spezielle Norm wie die „Der Reichspräsident Hindenburg hätte 1933 Hitler nicht zum Reichskanzler ernennen sollen“ kann eine allgemeine Geltung besitzen.

Die Titelfrage dieser Runde ist zwar sehr allgemein, weil unter Selbstzerstörung vieles subsummiert werden kann, aber ich betone nochmals: Die Frage muss nicht mit ja oder nein beantwortet werden, sondern es kann beliebig differenziert werden.

Wichtig ist mir nur, dass wir wissen, welche Art Antwort wir suchen. Ansonsten ist unser Gespräch ein Stochern im Nebel.

Es grüßt Dich Eberhard.


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 05. Sept. 2005, 23:29 Uhr
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richtig eberhard,

aber ein stochern im nebel ist es auf alle fälle wenn die begrifflichkeiten unterschiedlich benutzt werden. das passiert ja alle nase lang...

grundsätzlich bin ich einfach der meinung dass es so etwas wie einen wissenschaftlichen wahrheitsanspruch nicht gibt. nun mag es disziplinen geben denen ein nachvollziehbare argumentation zur wahrheit reicht. wissenschaften die ernst genommen werden wollen brauchen handfesteres. wie ich das dogmatische nicht vom nachvollziehbaren unterscheide und warum hab ich ja geschrieben.
"nachvollziehbar" ist ein kriterium das keiner überprüfung standhält. denn wie wollte man allgemeine nachvollziehbarkeit testen? es sei denn man bewegt sich in formalen systemen, dann kann man zwingend argumentieren, die grundlage bleibt aber intuitiv als richtig erkannt, was sich bei moralvorstellungen die einer objektiven überprüfbarkeit nicht zugänglich sind verheerend auswirkt.

es liegt also nicht daran dass deine methode schlecht wäre. die ist genau richtig sogar. nur funktioniert sie mit moral nicht. nicht mit gut und auch nicht mit richtig. warum? weil es sich dabei nicht um phänomene der natur handelt. ein natürlicher vorgang ein phänomen ist per se weder moralisch noch gut noch richtig. freilich kann ich diese qualitäten so definieren dass ich sie anwenden kann. die erfahrung zeigt doch aber dass man das nicht durchhält. mir fällt dazu nichts anderes mehr ein als dass es einfach so ist. was in der einen situation gut ist kann doch in einer anderen situation ganz anders sein.
natürlich gibt es regeln. die können aber nur richtschnur sein und ich kann mich eben nicht darauf verlassen dass wenn ich sie wörtlich oder auch sinngemäss anwende tatsächlich alles richtig gemacht habe.

wenn eine regel allgemein gültig sein soll dann verstehe ich darunter dass sie gültig ist in allen fällen des anwendungsbereichs. das grundgesetz ist ein ganzer rattenschwanz an ausdifferenzierten regeln und beansprucht dennoch allgemeine gültigkeit. um das zu erreichen ist es aber auch möglichst allgemein gehalten. einzelfallregeln wie der von dir zitierte satz können ja nur in einem akademischen sinne allgemeingültigkeit besitzen. denn es gibt nur eine einzige situation in der geschichte der menschheit auf die dieser satz anwendbar ist. und die ist auch noch vorbei und gegessen.

aber inhaltlich hab ich deine frage ja auch schon beantwortet gehabt, nämlich dass erstens natürlich die freiheit eines jeden da endet wo sie die freiheit und das recht anderer einschränkt und zweitens dass mir die frage falsch herum gestellt scheint, denn sie müsste heissen wann und warum darf ich jemandes handlung verbieten/verhindern und nicht wann ist sie erlaubt. einschränkungen sind künstlicher natur und müssen begründet werden, nicht umgekehrt. das heisst erst mal darf er alles was anderen nicht zum wesentlichen nachteil/schaden gereicht.

gruss

im übrigen bemühe ich mich die ganze zeit schon um "intersubjektive nachvollziehbarkeit" mit dir. daran dass du mir in kaum irgendwas folgen magst und umgekehrt kannst du eigentlich schon erkennen dass übereinstimmung so überhaupt gar kein anspruch auf tatsächlichkeit und schon gar nicht auf wahrheit begründen kann.
allein der ausdruck wahrheitsanspruch macht mir eine gänsehaut...

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Hanspeter am 06. Sept. 2005, 02:15 Uhr
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Hallo Eberhard & Psi,

auch wenn psi mit dem Ausdruck Wahrheitsanspruch Probleme hat, ich sehe zB. im Gravitationsgesetz einen Wahrheitsanspruch, weil es im Rahmen der Messgenauigkeit sich stets als richtig erweist. Umgekehrt, es gibt keine Möglicheit, das Gravitationsgesetz aufzuheben.
Diejenigen, die den Wahrheitsgehalt dieses Gesetzes leugnen, werden von der Diskussion ausgeschlossen.
Ich denke, soweit würde mir Eberhard zustimmen.

Betrachten wir nun aber das Tötungsverbot, so ist dessen Wahrheitsgehalt eben nicht überprüfbar. Es ist kein Naturgesetz, es kann beliebig unterlaufen werden. Es lässt sich in einem gewissen Rahmen plausibel begründen, niemals aber plausibel ohne Ausnahmen. Und, es lässt sich problemlos aufheben.

Anders formuliert, das Gravitationsgesetz ist ein Naturgesetz, das Tötungsverbot mit seinen Einschränkungen ein Dogma (= Grundwahrheit, deren Voraussetzungen außerhalb der Möglichkeit einer wissenschaftlichen Überprüfung liegt).

Gruß HP

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Eberhard am 06. Sept. 2005, 09:04 Uhr
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Hallo allerseits, hallo psi,

ich denke, wie belassen es erstmal bei diesem Stand, was das Kriterium für die Richtigkeit der gesuchten Antwort auf unsere Frage betrifft. Vielleicht wird uns im Laufe der Diskusssion noch manches klarer.

Um meine Position noch mal klarzustellen:

Antworten, deren Begründung ich nicht zwangfrei nachvollziehen kann, können nicht beanspruchen, richtig zu sein.

Antworten bleiben solange vertretbar, wie nicht gezeigt wurde, das sie nicht konsensfähig sind.

Antworten, deren Begründungen in sich logisch widersprüchlich sind, scheiden für mich aus.

Es gelten für unsere Diskussion die Regeln der Logik. Daraus folgt, dass jemand, der die Prämissen einer Begründung akzeptiert, auch das Resultat akzeptieren muss, es sei denn, er weist nach, dass fehlerhafte Schlüsse gezogen wurden oder dass die gezogenen Schlussfolgerungen nicht logisch zwingend waren.

Ob eine Behauptung ein Wort enthält, bei dem ich eine Gänsehaut bekomme, ist für mich kein Kriterium für die Richtigkeit dieser Behauptung.

Nun zum Inhaltlichen.

Deinem normativen Grundsatz „Die Freiheit des Einzelnen endet, wo die Freiheit des anderen berührt wird“ kann ich zustimmen. Wo keine Konflikte bestehen, bedarf es auch keiner normativen Regelung.

Egoismus, fehlende Rücksichtnahme auf die Interessen anderer, ist nicht konsensfähig.

Wenn eine Handlung auch die Interessen anderer berührt, ist eine Regel nicht konsensfähig, die den Betroffenen kein Mitspracherecht gibt.

Wenn jemand sich selbst zerstört und davon sind andere mit betroffen, darf er nicht allein darüber entscheiden.

Soviel erstmal – leider etwas im Telegrammstil – von Eberhard.



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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 06. Sept. 2005, 09:44 Uhr
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eberhard,

du lehnst zwar dogmen ab, aber selber vertrittst du ganz stur dein eigenes dogma.

" Antworten, deren Begründung ich nicht zwangfrei nachvollziehen kann, können nicht beanspruchen, richtig zu sein.

Antworten bleiben solange vertretbar, wie nicht gezeigt wurde, das sie nicht konsensfähig sind."

DAS IST EIN DOGMA! vertretbar ist alles! nachvollziehbar ist kein objektives kriterium!
ich hab schon verschiedene beispiele gebracht und versuchs nochmal. das geozentrische weltbild ist durchaus konsensfähig. es ist auch nachvollziehbar. ist es deshalb "richtig"???

der gipfel ist dass du sagst, antworten die DU nicht nachvollziehen kannst können nicht richtig sein. das sagt der papst genauso!

deshalb sage ich dass es völlig unerheblich ist was du oder ich nachvollziehen können. kannst du die quantenelektrodynamik nachvollziehen? glaubst du dass das irgendweinen einfluss darauf hat ob sie anzuwenden ist? konsens ist völlig unbedeutend! das experiment ist entscheidend.

" Antworten, deren Begründungen in sich logisch widersprüchlich sind, scheiden für mich aus."

für mich auch. nur - frag dich doch mal warum? weil die erfahrung, das experiment, zeigt dass die natur nicht gegen die logik funktioniert. unlogisches verhalten gibt es einfach nicht in diesem sinne. im sinne eines nicht nachvollziehbaren verhaltens gibt es das schon. das zeigt doch schon dass das ein himmelweiter unterschied ist. nur deshalb. nicht weil es eine schöne überlegung ist. es besteht also konsens weil wir beide diese erfahrung gemacht haben. und mitnichten ist diese satz richtig weil wir übereinstimmen.

" Wenn jemand sich selbst zerstört und davon sind andere mit betroffen, darf er nicht allein darüber entscheiden. "

das beinhaltet ja der satz das die freiheit an der freiheit des anderen endet. und wirklich, dass selbstmordattentate verhindert werden sollen dürfen müssen...darüber besteht doch hier wirklich konsens auch ohne dass wir das erörtern. aber es ist eben eine abwägungsfrage. das leben der möglichen opfer wiegt megr als das leben des vermeintlichen täters. alles eine frage der abwägung. es gibt durchaus auch gegenteileige ansätze.
wie willst du denn argumentieren dass man zwar nicht töten darf aber einen selbstmordattentäter schon...
und was hab ich davon wenn ich zwar einen selbstmorattentäter nicht argumentativ zwingen kann seine position aufzugeben aber trotzdem der meinung bin meine position ist richtig. was für eine bedeutung hat das "richtig" denn dann noch wenn es mir buchstäblich um die ohren fliegt?

ach....und dann das ausgelutschte thema tyrannenmord. die einen sind halt der meinung er muss weg, basta, die anderen sind eben anderer ansicht. richtig oder falsch ist da eine frage der vorzeichen.

gruss

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Hanspeter am 06. Sept. 2005, 15:58 Uhr
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Eberhard schreibt:

"Wenn eine Handlung auch die Interessen anderer berührt, ist eine Regel nicht konsensfähig, die den Betroffenen kein Mitspracherecht gibt."

Das heißt also, die Regel:
"Ein Mörder ist mit lebenslänglich Gefängnis zu bestrafen"
ist nicht konsensfähig, sofern der Täter kein Mitspracherecht hat.

Das sehe ich anders.

Weiter: Die Konsequenz des Eberhardschen Satzes ist, dass eine freie Entscheidung grundsätzlich nicht mehr möglich ist. Denn fast jede Handlungsweise berührt in irgend einer Form die Interessen eines anderen. Wenn du einen Arbeitsplatz hast bzw. bekommst, müsstest du dich folglich mit jenen absprechen, die ebenfalls diesen Arbeitsplatz haben möchten.

Das sehe ich auch anders.

Gruß HP



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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Eberhard am 06. Sept. 2005, 17:10 Uhr
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Hallo psi,

ich bin jederzeit bereit, von mir aufgestellte Behauptungen zu korrigieren, wenn es dagegen gute Argumente gibt. Ich bin auch jederzeit bereit, von mir aufgestellte Behauptungen zu begründen.

Du bezeichnest die beiden folgenden Sätze als Dogmen.

„Antworten, deren Begründung ich nicht zwangfrei nachvollziehen kann, können nicht beanspruchen, richtig zu sein.“

Antworten bleiben solange vertretbar, wie nicht gezeigt wurde, dass sie nicht konsensfähig sind."

Um auf diese Kritik eingehen zu können, müsste ich wissen, in welchem Sinne Du das Wort „Dogma“ verwendest.

Die von Hanspeter eingebrachte Definition (Dogma = Grundwahrheit, deren Voraussetzungen außerhalb der Möglichkeit einer wissenschaftlichen Überprüfung liegt) ist für mich nicht akzeptabel. Eine Wahrheit, die nicht wissenschaftlich überprüft werden kann und für die keine andere Methode der Überprüfung angegeben werden kann, ist mehr als problematisch.

Ein Wahrheitsanspruch unterscheidet sich von einem bloßen Glaubensanspruch gerade dadurch, dass er durch Argumente einlösbar ist.

Die von Hanspeter wohl aus dem Brockhaus entnommene Definition verwischt gerade diesen Unterschied.

Mit dieser Definition haben wir jetzt Wahrheiten, die sich nicht begründen brauchen und die damit der Kritik entzogen sind, die aber gleichwohl als Wahrheit allgemeine Geltung beanspruchen. Und alles, was damit nicht übereinstimmt, ist folglich Unwahrheit, Falschheit etc.

Für mich ist das die Aufkündigung der rationalen Argumentation.

Sinn macht dagegen die Definition, dass ein „Dogma“ eine Behauptung ist, für die Zustimmung als „wahr“ beansprucht wird, obwohl es keine Möglichkeit der rationalen Überprüfung dieses Anspruchs gibt.

Klären wir also erstmal den Begriff „Dogma“, bevor wir zu den andern Punkten kommen

meint Eberhard.


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 06. Sept. 2005, 19:52 Uhr
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hallo eberhard,

" Die von Hanspeter eingebrachte Definition (Dogma = Grundwahrheit, deren Voraussetzungen außerhalb der Möglichkeit einer wissenschaftlichen Überprüfung liegt) ist für mich nicht akzeptabel. Eine Wahrheit, die nicht wissenschaftlich überprüft werden kann und für die keine andere Methode der Überprüfung angegeben werden kann, ist mehr als problematisch.

Ein Wahrheitsanspruch unterscheidet sich von einem bloßen Glaubensanspruch gerade dadurch, dass er durch Argumente einlösbar ist. "

ich muss dir ehrlich sagen, dass ich den dogmen begriff für das geringste problem halte. deine verwendung von wahrheit beunruhigt mich ernstlich. du verbindest immer wahrheit und wissenschaft. dem kann ich nicht folgen denn wissenschaft spricht nicht von wahrheit. auch scheint mir dass du unter überprüfbarkeit eine argumentation verstehst. das kann ich unter keinen umständen akzeptieren. dass wahrheit durch eine argumentation gefunden werden könnte halte ich für einen fatalen irrtum. ich hab dir ja auch schöne beispiele angeführt in denen argumentationen in irrtümern endeten.
damit will ich nicht den wert einer argumentation schmälern. auch will ich nicht sagen dass man durch rationale überlegungen, argumentationen, dialektik, nicht zu richtigen ergebnissen kommen kann. KANN aber nicht MUSS. mag wohl sein dass etwas rational begründbar sein muss um "richtig" zu sein. keinesfalls sicher ist jedoch dass ich nicht das richtige ergebniss durch eingebung erhalte oder durch zufall oder sonst irgendwie und eine rationale ableitung fehlt. ein beispiel sind die maxwellschen gleichungen. oder auch die formel von kekule für das benzol. nur weil eine rationale erklärung fehlt heisst das noch nicht dass die modelle nicht richtig sind. das entscheidet eben das experiment.

genau dieses schwierige verhältnis schlägt sich im misstrauen vieler physiker gegenüber der mathematik nieder. komisch mag man da denken, sind physikalische modelle denn nicht gerade wegen ihrer mathematischen formulierung so erfolgreich?
ja und nein. die mathematik funktioniert anders als die physik. obwohl physik weithin mathematisch formuliert ist. in der mathematik gibt es aber immer möglichkeiten, lösungen, anschauungen usw die keine physikalische entsprechung haben.
und gerade weil die mathematik physikalische modelle ausdrücken kann und damit klar ist dass mathematik überprüfbar die natur sinnvoll beschreiben kann und gleichzeitig mahematische argumentationen zwingend (nicht immer)sind ergibt sich daraus manchmal das problem dass man nicht recht weiss ob denn nun das ergebnis physikalisch sinnvoll ist oder eben in die irre führt. wenn man dann keine möglichkeit hat das zu überprüfen...schwarze löcher zum beispiel sind schlecht im labor handhabbar...dann ist es schwierig mathematischen hokuspokus von physikalischer realität zu unterscheiden.

und genau dieses problem stellt sich hier ähnlich. eine argumentationskette auf der basis sinnvoller und nachmenschlichem ermessen unverkennbar richtiger annahmen bietet keinerlei garantie dafür dass das ergebnis noch irgendwie sinnvoll mit der wirklichkeit in verbindung steht.

genauso wie man mathematische wahrheiten finden kann, so kann man natürlich auch ethische wahrheiten finden. ganz klar durch argumentationsketten.

mit der wirklichkeit haben die aber nicht unbedingt etwas zu tun.

und handlungen finden realistischerweise in der wirklichkeit statt. und wir befinden uns hier auch im forum für die praktische philosophie, deshalb denke ich kann es nicht falsch sein eine erdung zu behalten.

trotzalledem kann man natürlich in der physik allgemeingültige naturgesetze aufstellen.
warum geht das in der physik, nicht aber in der ethik. gute frage. letztlich läuft es auf erfahrung hinaus. die erfahrung sagt einfach dass ich von einem beliebigen körper eine grösse abstrahieren kann die ich masse nenne und die ich messen kann unabhängig von seiner äusseren form zum beispiel. die erfahrung zeigt, dass ich mit der annahme aus der newtonschen mechanik dass sich körper so verhalten wie wenn alle ihre masse im schwerpunkt läge verhalten richtig ist. die hauptsätze der thermodynamik sind nicht in erster linie nach logischen prinzipien entwickelt. sondern entspringen der erfahrung dass es einfach nicht gelingen will ein perpetuum mobile zu bauen. die hauptsätze verbieten das nicht. sie fassen diese erfahrung nur in eine bestimmte form.
die allgemeingültigkeit von naturgesetzen ergibt sich also nicht aus ihrer rationalen ableitbarkeit durch argumentation sondern basiert einzig und allein auf erfahrung. im gegenteil sie sind ihrer natur und entstehung nach ausdruck dieser erfahrung.

moral ethik strafgesetz sind im gegensatz dazu nicht ausdruck einer erfahrung dass diese gesetze nicht gebrochen werden können sondern eben des gegenteils. regeln dieser art wollen einen idealzustand schaffen. die idealität dieses zustandes kann nicht mit einem experiment überprüft werden. das wäre ja völlig sinnlos, denn experimente prüfen nur ist-zustände.
ob etwas erstrebenswert ist oder nicht und unter welchen umständen etwas erstrebenswert ist und welcher preis einem das wert ist, das ist keine natürliche grösse. sowas kann man nicht messen. das ist ermessenssache. deshalb hab ich gesagt es ist geschmackssache. das war drastisch aber triffts im kern. vielleicht lebten einige lieber nach anderen als den heutigen regeln. und es ist doch auch klar dass es für einzelne und gruppen immer regeln gibt unter denen es ihnen besser ginge. "besser" ist aber wieder eine frage dessen was man ganz persönlich darunter versteht....das kann man ja endlos so weiter treiben.

jedenfalls kann man ethik und moral nicht experimentell überprüfen. gut und böse sind einfach nicht das gleiche wie messgrössen. wäre eine intersubjektive konsensfähigkeit ganz allgemein möglich, dann wäre subjektiv ohne jede bedeutung.

das mit dem dogma scheint mir ein nebenkriegsschauplatz zu sein. ich hab meine definition von dogma schon früher gepostet. ich stimme hp da schon zu.

gruss

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Abrazo am 06. Sept. 2005, 23:25 Uhr
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Hi, Psi,

ein Dogma ist nicht konsensfähig, deswegen benötigt es ja den Zwang.
Die Konsensfähigkeit setzt ein paar Dinge voraus: z.B. die Vernunft der am Konsens Beteiligten und die Konsenswilligkeit. Wer also Unvernünftiges behauptet und Glauben verlangt und in dieser Hinsicht nicht konsenswillig ist, fliegt aus dem Spiel raus.

Gruß

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Abrazo am 06. Sept. 2005, 23:31 Uhr
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Hi, Eberhard,

Wenn jemand sich selbst zerstört und davon sind andere mit betroffen, darf er nicht allein darüber entscheiden.
Gibt es das, dass einer sich selbst zerstört, ohne dass andere davon betroffen sind?

Ich habe mal einen Alkoholiker der Gattung Penner mit vollgepisster Hose im Regen unter einer Plastikplane herausgezogen und in sein Heim geschickt. Sein Verhalten hat mich betroffen, denn er war ein Mensch, das bin ich auch, und er hat die Menschenwürde beleidigt. Ich habe nicht geschimpft, sondern ihm das klar und einfach gesagt. Er hat mich verstanden. Verstanden, dass er als Mensch nicht das Recht hat, sich dermaßen gehen zu lassen. Dass er das nicht nur anderen, sondern auch sich selbst schuldig ist.

Gruß


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 06. Sept. 2005, 23:56 Uhr
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on 09/06/05 um 23:25:57, Abrazo wrote:Hi, Psi,

ein Dogma ist nicht konsensfähig, deswegen benötigt es ja den Zwang.
Die Konsensfähigkeit setzt ein paar Dinge voraus: z.B. die Vernunft der am Konsens Beteiligten und die Konsenswilligkeit. Wer also Unvernünftiges behauptet und Glauben verlangt und in dieser Hinsicht nicht konsenswillig ist, fliegt aus dem Spiel raus.

Gruß




klar sind dogmen konsensfähig. zwingt doch niemand einen bischof dazu bischof zu sein.
was vernünftig ist, darüber gehen ja nun mal die meinungen sehr weit auseinander. ich finde zum beispiel so ziemlich alles am katholizismus unvernünftig. schön für mich. ich muss aber zur kenntnis nehmen dass doch recht viele das für vernünftig halten. und nun? ist doch kein kriterium für gar nix.
und das mit aus dem spiel fliegen...naja...viele sind schon aus dem spiel geflogen...deswegen hatten sie unrecht???

das experiment und nichts anderes ist das entscheidende kriterium.

gruss

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 07. Sept. 2005, 00:01 Uhr
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on 09/06/05 um 23:31:53, Abrazo wrote:Hi, Eberhard,

Wenn jemand sich selbst zerstört und davon sind andere mit betroffen, darf er nicht allein darüber entscheiden.
Gibt es das, dass einer sich selbst zerstört, ohne dass andere davon betroffen sind?

Ich habe mal einen Alkoholiker der Gattung Penner mit vollgepisster Hose im Regen unter einer Plastikplane herausgezogen und in sein Heim geschickt. Sein Verhalten hat mich betroffen, denn er war ein Mensch, das bin ich auch, und er hat die Menschenwürde beleidigt. Ich habe nicht geschimpft, sondern ihm das klar und einfach gesagt. Er hat mich verstanden. Verstanden, dass er als Mensch nicht das Recht hat, sich dermaßen gehen zu lassen. Dass er das nicht nur anderen, sondern auch sich selbst schuldig ist.

Gruß



hey abrazo,

war das reflektiert oder gewissenlos? ;-)
er hat nicht das recht sich gehen zu lassen? muss ich das glauben oder hast du dafür eine konsensfähige argumentative grundlage?
gruss

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Hanspeter am 07. Sept. 2005, 02:06 Uhr
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Hallo an Alle,

die Definition eines Dogmas ( = Grundwahrheit, deren Voraussetzungen außerhalb der Möglichkeit einer wissenschaftlichen Überprüfung liegt) ist dem Brockhaus entnommen. Dogmen lediglich auf religiöser Ebene zu sehen, ist einseitig.
Dogmen sind notwendig, weil viele Aussagen nicht wissenschaftlich überprüfbar, aber plausibel sind. Die Überlegenheit der Demokratie gegenüber anderen Herrschaftsformen ist zB auch ein Dogma.

Im Gegensatz zu Dogmen werden Axiome von keinem vernünftigen Menschen in Zweifel gezogen. Auf der anderen Seite wäre die Doktrin zu nennen, eine zum Glaubenssatz verhärtete Meinung, die auf Plausibilitäten oder gar Gegenbeweise nicht reagiert. Die Übergänge zum Dogma sind manchmal fließend.

Wir sollten uns hier also fragen, ob der Eberhard'sche Satz:

"Wenn eine Handlung auch die Interessen anderer berührt, ist eine Regel nicht konsensfähig, die den Betroffenen kein Mitspracherecht gibt."

ein Dogma oder eine Doktrin ist.
Oder, simpler formuliert, ob wir ihn für richtig oder falsch halten.


Gruß HP


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Eberhard am 07. Sept. 2005, 09:59 Uhr
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Hallo allerseits, hallo psi,

ich habe den Eindruck, dass wir zentrale Begriffe mit unterschiedlicher Bedeutung verwenden und dass wir deshalb aneinander vorbeireden.

Zusätzlich wird die Klärung der Meinungsunterschiede dadurch erschwert, dass die Punkte nicht einzeln in Ruhe diskutiert werden, sondern dass in manchen Beiträgen 10 bis 20 Behauptungen aufgestellt werden, die für andere Diskussionsteilnehmer problematisch sind. Darüber kann natürlich höchstens ein kurzer „Schlagabtausch“ erfolgen, ohne wirklich die Spreu vom Weizen trennen zu können.

Es würde die Produktivität unserer Diskussion sicherlich verbessern, wenn eine Konzentration auf die für unsere Fragestellung zentralen Thesen und Begriffe möglich wäre.

Zur Terminologie:

Offenbar haben die Wörter „Argument“ und „Wahrheit“ für Dich eine andere Bedeutung als für mich.

So sind für Dich die sprachlich formulierten Ergebnisse eines Experiments offenbar keine Argumente.

Für mich dagegen sind Sätze wie: „Die Zeitmessung ergab für den freien Fall eine Dauer von 12 Sekunden“ allerdings Argumente, es sind sogar die in den empirischen Wissenschaften entscheidenden Argumente. Dies sind Aussagen, die für jedermann nachvollziehbar sind, der die Behauptung um die es geht und die zugehörigen Erörterungen versteht.

Wenn ich sage, dass jemand, der etwas behauptet, für diese Behauptung akzeptable Argumente anführen muss (sofern er mehr will als zum Glauben aufzufordern), dann heißt das also nicht, dass ich allein mit Hilfe der Logik die gestellte Frage beantworten will.

Um es an einem Beispiel zu veranschaulichen: In der Medizin gibt es immer wieder Stoffe, bei denen man zuerst zufällig festgestellt hat und dann durch klinische Versuchsreihen bestätigt hat, dass man damit bestimmte Krankheiten bekämpfen kann. Es gibt jedoch keine theoretische Erklärung, warum dies so ist.

Du siehst für diesen Fall ein Versagen der Argumentation, während ich sage: Für die heilende Wirkung dieses Stoffes gibt es akzeptable, d.h. nachvollziehbare und teilbare, Argumente in Form der protokollierten Versuchsreihen.

Offenbar benutzt Du auch das Wort „Wahrheit“ mit anderer Bedeutung als ich. Für mich ist eine Aussage wahr, wenn es so ist, wie die Aussage besagt. In den empirischen Wissenschaften prüft man anhand von kontrollierten, intersubjektiv nachvollziehbaren Beobachtungen und Experimenten, ob es so ist, wie die aufgestellten Beschreibungen und Theorien besagen. Es geht also um wahr oder falsch, um Wahrheit.

Was an diesem Gebrauch des Wortes ‚Wahrheit’ Grund zur „ernstlichen Beunruhigung“ gibt, hätte ich gerne gewusst.

Es grüßt Dich und die andern Eberhard.


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 07. Sept. 2005, 10:10 Uhr
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on 09/07/05 um 02:06:29, Hanspeter wrote:Hallo an Alle,

die Definition eines Dogmas ( = Grundwahrheit, deren Voraussetzungen außerhalb der Möglichkeit einer wissenschaftlichen Überprüfung liegt) ist dem Brockhaus entnommen. Dogmen lediglich auf religiöser Ebene zu sehen, ist einseitig.
Dogmen sind notwendig, weil viele Aussagen nicht wissenschaftlich überprüfbar, aber plausibel sind. Die Überlegenheit der Demokratie gegenüber anderen Herrschaftsformen ist zB auch ein Dogma.

Im Gegensatz zu Dogmen werden Axiome von keinem vernünftigen Menschen in Zweifel gezogen. Auf der anderen Seite wäre die Doktrin zu nennen, eine zum Glaubenssatz verhärtete Meinung, die auf Plausibilitäten oder gar Gegenbeweise nicht reagiert. Die Übergänge zum Dogma sind manchmal fließend.

Wir sollten uns hier also fragen, ob der Eberhard'sche Satz:

"Wenn eine Handlung auch die Interessen anderer berührt, ist eine Regel nicht konsensfähig, die den Betroffenen kein Mitspracherecht gibt."

ein Dogma oder eine Doktrin ist.
Oder, simpler formuliert, ob wir ihn für richtig oder falsch halten.


Gruß HP




ganz sicher ist eine regel die meine interessen berührt aber nicht berücksichtigt meinerseits nicht konsensfähig. das würde ich auch allgemein durchaus gelten lassen wenn man voraussetzt dass man ein interesse an der durchsetzung seiner interessen hat. nur wie man diese tatsache bewertet, dass ich nicht damit einverstanden bin, das ist doch wieder völlig standpunktabhängig....
das heisst so eine regel beschreibt einfach was ich für erstrebenswert halt. beliebiger gehts nicht.
gruss

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 07. Sept. 2005, 10:26 Uhr
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hallo eberhard,

da hast du recht, wir scheinen so ziemlich jeden begriff anders zu verwenden. was du schon argument nennst nenn ich erst mal aussage. zum argument wird es bei mir nur wenn es zur begründung angeführt wird. dabei mach ich keinen unterschied welcher natur, bzw woher die aussage nun kommt.

wahrheit....einfach weil das so absolut ist. solange man das nicht zu ernst nimmt find ichs ok. ich bevorzuge wirklichkeit, das wort ist selbsterklärender und bezieht sich natürlicherweise auf eine experimentelle überprüfung. in den empirischen wissnschaften verbrennt sich eigentlich niemand mehr den mund ann der wahrheit. wahre und falsche aussagen gehören allein in den bereich der logik und sind nur systembezogen wahr oder falsch. alles weitere ist der intuition, dem erkenntnisvermögen des einzelnen überlassen. aber egal, darum solls nicht gehen...

wenn du unter nachvollziehbarer argumentation notwendig ergebnisse aus erfahrung meinst, so frag ich mich wie du jemals eine solche frage argumentativ beantworten willst...allgemein mein ich...das ist doch unmöglich...aus früher genannten gründen. wie soll denn ein versuchsprotokoll aufschluss darüber geben ob etwas richtig ist oder nicht???
wenn du sagst:
" Wenn eine Handlung auch die Interessen anderer berührt, ist eine Regel nicht konsensfähig, die den Betroffenen kein Mitspracherecht gibt. "
dann ist das sicher konsensfähig. im konkreten fall muss doch aber entschieden werden welcher art die interessen sind und ob sie strak genug sein können dem anderen sein recht einzuschränken. denn wie abrazo richtig bemerkt hat, den fall gibts ja gar nicht dass GAR KEIN interesse berührt wird. aber nicht JEDES interesse rechtfertigt einen eingriff. dann bin ich wieder bei einer abwägung...nicht umsonst braucht man richter.
damit sind wir meiner meinung nach wieder bei einer richtschnur aber nicht bei eine handlungsanweisung die mir immer sagt was zu tun richtig ist. einer richtschnur die es ja so wie du es sagst auch schon gibt.

gruss

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Eberhard am 07. Sept. 2005, 13:35 Uhr
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Hallo allerseits,

vielleicht klärt sich ja doch noch so manches.

Die moralische Fragestellung ist wohl jetzt klar und ich gehe davon aus, dass alle Teilnehmer an dieser Diskussion diese Frage beantworten wollen, wobei noch strittig ist, nach welchen Kriterien die Antworten ausgesucht werden sollen.

Vielleicht äußert sich jeder einmal dazu. Für mich ist – wie gesagt – entscheidend, inwieweit die gegebenen moralischen Antworten - grob gesprochen - „allgemein konsensfähig“ sind.

Hanspeter hat ja schon argumentiert. Er hat den normativen Satz: "Wenn eine Handlung auch die Interessen anderer berührt, ist eine Regel nicht konsensfähig, die den Betroffenen kein Mitspracherecht gibt" kritisiert, indem er daraus logische Schlüsse gezogen hat, (Mitspracherecht des Mörders beim Urteil bzw. keinerlei individuelle Entscheidungsfreiheit), die er offenbar für allgemein inakzeptabel hält. Ich stimme dieser Kritik zu.

Der Fehler dieser These besteht bereits darin, dass hier bereits der Übergang von der moralischen Ebene auf die politisch-rechtliche Ebene der Institutionen und normsetzenden Verfahren vollzogen wird („Mitspracherecht“), ohne das Verhältnis von Recht und Moral einigermaßen geklärt zu haben.

Unstrittig scheint wohl zu sein, dass bei der moralischen Beurteilung der Selbstzerstörung zu berücksichtigen ist, welche Konsequenzen dies für andere hat. Es macht eben einen moralischen Unterschied, ob man als Robinson auf seiner Insel seine Gesundheit ruiniert, oder als jemand, der im Beruf und in der Familie als Kraft ausfällt und die Krankenhäuser, die Rentenversicherung und die Sozialämter in Anspruch nimmt.

Abrazo ist darüber hinaus wohl der Meinung, dass es unabhängig von der Rücksichtnahme auf andere auch noch „Pflichten gegen sich selbst“ gibt. Das ist sicher kontrovers.


Es grüßt Euch Eberhard.





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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 07. Sept. 2005, 14:23 Uhr
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on 09/07/05 um 13:35:00, Eberhard wrote:Es macht eben einen moralischen Unterschied, ob man als Robinson auf seiner Insel seine Gesundheit ruiniert, oder als jemand, der im Beruf und in der Familie als Kraft ausfällt und die Krankenhäuser, die Rentenversicherung und die Sozialämter in Anspruch nimmt.



also wann besitzt denn eine frage überhaupt eine moralische dimension??? du erkennst da offenbar einen moralischen unterschied. was ist denn das eigentlich? ich hätt gerne eine anleitung wie sowas überhaupt zu bearbeiten ist. wann ist etwas moralisch richtig und wann falsch? nach welchen regeln funktioniert das? obiges beipiel schein mir besser beschrieben als interessenkonflikt. denn robinson collidiert so gesehen mit keinen anderen interessen. der in die gemeinschaft eingebundene kollidiert mit den interessen der andern bzw der gemeinscht, den institutionen...ist das gemeint mit moral???
gruss


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 07. Sept. 2005, 15:10 Uhr
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soll das etwa auf einen habermasschen diskurs hinauslaufen???

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Hanspeter am 07. Sept. 2005, 16:35 Uhr
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Hallo Eberhard,

natürlich macht es einen Unterschied, ob ich als Robinson oder als Mensch in einer Gesellschaft meine Gesundheit ruiniere. In ersterem Fall könnte man sogar die Moralität der Handlung an sich in Frage stellen, vor allem dann, wenn Robinson Atheist ist, also keinem Gott gegenüber für seine Handlungen Rechenschaft ablegen muss.

Ich stimme dir auch zu, "dass bei der moralischen Beurteilung der Selbstzerstörung zu berücksichtigen ist, welche Konsequenzen dies für andere hat."

Die Frage ist nur, wer berücksichtigt was?

Wenn jemand seine Gesundheit ruiniert, so kann man dies als seine freie Entscheidung werten.
Damit berücksichtigt der Handelnde nur sich selbst und nicht die Interessen der Gesellschaft, müsste aber dann konsequenterweise auch akzeptieren, dass die Gesellschaft ihrerseits darauf verzichtet, ihm zu helfen.
Da die Gesellschaft aber nicht bereit ist, diese Konsequenzen zu ziehen, entlastet sie den Handelnden von seiner Verantwortung, denn dem staatlichen Paternalismus kann er sich nicht so leicht entziehen.

Gruß HP

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Eberhard am 07. Sept. 2005, 16:53 Uhr
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Was ein Fragezeichen bedeutet, weiß ich: es wird eine Frage gestellt.

Was zwei Fragezeichen bedeuten, ist mir nicht ganz klar: Wird die Frage zweimal gestellt oder wird die Frage in Frage gestellt?

Was aber bedeuten drei Fragezeichen? Wahrscheinlich, dass es sich um eine rhetorische Frage handelt, deren Beantwortung nicht erwartet wird.


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von -Andrea- am 07. Sept. 2005, 17:20 Uhr
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Wenn jemand sich selbst zerstört und davon sind andere mit betroffen, darf er nicht allein darüber entscheiden.
Gibt es das, dass einer sich selbst zerstört, ohne dass andere davon betroffen sind?

Ich habe mal einen Alkoholiker der Gattung Penner mit vollgepisster Hose im Regen unter einer Plastikplane herausgezogen und in sein Heim geschickt. Sein Verhalten hat mich betroffen, denn er war ein Mensch, das bin ich auch, und er hat die Menschenwürde beleidigt. Ich habe nicht geschimpft, sondern ihm das klar und einfach gesagt. Er hat mich verstanden. Verstanden, dass er als Mensch nicht das Recht hat, sich dermaßen gehen zu lassen. Dass er das nicht nur anderen, sondern auch sich selbst schuldig ist.

Warum sollte er es sich selbst schuldig sein? Hat er nicht ein Recht darauf, mit seinem Körper umzugehen wie er will? Schließlich hat er dich nicht gezwungen dich auch zu besaufen.
Und das mit der Menschenwürde, er hat vielleicht deine Ansicht der Menschenwürde beleidigt, aber nicht seine eigene, schließlich kennt die keiner von uns.


Allgemein:
Ich kann immer noch nicht ganz nachvollziehen, warum man sich nicht selbst zerstümmeln kann oder besaufen darf. Schließlich schadet man physisch niemandem mit.
Wenn Bekannte das mitkriegen und davon betroffen sind, leuchtet mir das ein, dass man in dem Sinne daran Schuld ist, dass es denen jetzt wegen mir schlecht geht, doch müssen meine Bekannten nicht auch aktzeptieren, dass ich sowas machen darf?

Wenn man aber dann kleine Kinder betrachtet, die sich mit der Schüppe gegen den Kopf schlagen, ist das ja auch eine Art von Selbstzerstörung, wenn man dann denkt, jeder Mensch hat das Recht dazu, würde man aber nicht gleichzeitig auch dem Kind die Schüppe aus der Hand nehmen und sagen, dass es das nicht dürfe?

Wer entscheidet darüber, ob wir uns selbst Schmerzen zufügen dürfen oder nicht? Kann man sowas überhaupt verbieten?

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 07. Sept. 2005, 18:34 Uhr
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on 09/07/05 um 16:53:10, Eberhard wrote:Was ein Fragezeichen bedeutet, weiß ich: es wird eine Frage gestellt.

Was zwei Fragezeichen bedeuten, ist mir nicht ganz klar: Wird die Frage zweimal gestellt oder wird die Frage in Frage gestellt?

Was aber bedeuten drei Fragezeichen? Wahrscheinlich, dass es sich um eine rhetorische Frage handelt, deren Beantwortung nicht erwartet wird.



nun, ganz allgemein wird wiederholung als verstärkung eingesetzt. etwas rhetorisches ist natürlich auch dabei in diesem fall. ein ahnend ungläubiges "das wird doch nicht etwa doch..." so in etwa. ein bisschen ärger dass mir das nicht gleich aufgefallen ist schwingt natürlich auch mit. und verwunderung...

nein ganz ernsthaft. diskursethik wird ja von manchen vetreten. und dann ist mir auch klar wie du das gemeint hast. hat mich nur etwas von hinten angesprungen. hätte man auch gleich merken können. ist halt nicht meine welt...wenn es das ist was du mit intersubjektiver nachvollziehbarkeit gemeint hast, dann sind wir da einfach ganz grundsätzlich anderer meinung. aber wenigstens kann ichs dann einordnen...
gruss

ich werde den verdacht nicht los dass diskursethik sich schon deshalb erledigt weil es andere ethiken gibt...aber egal...nur meine meinung.

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 07. Sept. 2005, 18:37 Uhr
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on 09/07/05 um 17:20:48, -Andrea- wrote:[i]
Wer entscheidet darüber, ob wir uns selbst Schmerzen zufügen dürfen oder nicht?



ich bin mir nicht sicher ob ichs verstanden hab...aber ich vermute: der konsens(im sinne der regeln dieses threads).
gruss


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Abrazo am 07. Sept. 2005, 18:39 Uhr
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Hi, Andrea,

wie begründest du deine Ansicht?
Denn so, wie du dich äußerst, stellt sie sich mir nur als subjektive Meinung dar, um die ich mich nicht zu kümmern brauche.
Wenn du beanspruchen möchtest, dass deine Aussagen als möglicherweise wahr in die Diskussion einfließen, solltest du auch begründen, warum sie möglicherweise als intersubjektiv wahr gelten könnten.

Gruß

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Abrazo am 07. Sept. 2005, 18:44 Uhr
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Hi, Hanspeter,

Da die Gesellschaft aber nicht bereit ist, diese Konsequenzen zu ziehen,
Ich übersetze das in die Feststellung, nach meiner Theorie müsste das anders sein, aber die Lebenspraxis unterscheidet sich leider von meiner Theorie.
Die interessante Frage ist doch, warum die Lebenspraxis sich von solchen Theorien unterscheidet, sprich, warum die Menschen mehrheitlich ablehnen, nach solchen Theorien zu verfahren.

Gruß

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 07. Sept. 2005, 18:44 Uhr
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on 09/06/05 um 23:31:53, Abrazo wrote:Verstanden, dass er als Mensch nicht das Recht hat, sich dermaßen gehen zu lassen. Dass er das nicht nur anderen, sondern auch sich selbst schuldig ist.



das wäre ja dann wohl so eine art gegenposititon zu andrea. ist die denn begründet?
gruss


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Abrazo am 07. Sept. 2005, 18:49 Uhr
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Hi, Psi,

erst mal zum vorherigen:

er hat nicht das recht sich gehen zu lassen? muss ich das glauben oder hast du dafür eine konsensfähige argumentative grundlage?

Ich befand mich im Konsens mit dem Mann.

Gruß

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 07. Sept. 2005, 18:58 Uhr
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on 09/07/05 um 18:49:08, Abrazo wrote:Hi, Psi,

erst mal zum vorherigen:

er hat nicht das recht sich gehen zu lassen? muss ich das glauben oder hast du dafür eine konsensfähige argumentative grundlage?

Ich befand mich im Konsens mit dem Mann.

Gruß



hey abrazo. abgesehen davon dass leute in bestimmten zwangslagen relativ einfach zum konsens zu bringen sind, autoritäres auftreten reicht vollständig, wäre deiner meinung nach also die allgemeine regel so: wenn ich im konsens handele mit allen betroffenen ist die handlung gut. dann brauch ich die anfangs gestellte threadfrage ja gar nicht mehr so stellen weil sie, wie ich meinte, dann situationsgebunden beantwortet werden muss. im übrigen verläuft das dann nach dem dogma, handeln im konsens ist gutes handeln.
gruss

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Eberhard am 07. Sept. 2005, 20:30 Uhr
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Hallo allerseits,

unsere erste Frage richtet sich darauf, ob es erlaubt ist, seine eigene Gesundheit zu ruinieren.

Wie der Ausdruck „ruinieren“ schon zeigt, geht diese Frage von der Annahme aus, dass sich hier ein Mensch selber einen Schaden zufügt. Das, was dieser Mensch tut, ist für ihn selber auf lange Sicht hin schlecht.

Andererseits will er scheinbar so handeln, wie er es tut. Es bringt ihm eine aktuelle Befriedigung, die ihn stärker motiviert als die Aussicht, dass es ihm deswegen in einigen Jahren gesundheitlich schlecht gehen wird.

Freiheit und Glück fallen nicht zusammen.

Ich lasse im Folgenden mal die mögliche Schädigung Dritter unberücksichtigt und betrachte nur den Selbstzerstörer.

Wie kann man feststellen, dass es sich um Selbstzerstörung handelt? Es könnte ja auch so sein, wie Hanspeter geschrieben hat: Lieber 40 Jahre rauchen, als 60 Jahre nicht rauchen.

Meiner Ansicht nach muss letztlich das betreffende Individuum selbst das letzte Wort haben, was sein Glück angeht. Dies heißt noch nicht, dass damit die aktuelle Wahlhandlung oder Präferenz des betreffenden Individuums allein entscheidend ist.

Wichtiger als die aktuelle Entscheidung eines Menschen ist die Frage, ob seine Entscheidung dauerhaft ist, und ob er später, wenn die negativen Folgen auf ihn zukommen, auch noch zu dieser Entscheidung steht oder ob er sie bereut.

Wichtig ist weiterhin, ob die aktuelle Präferenz stabil bleibt auch gegenüber Informationen und Aufklärung über die wirklichen Zusammenhänge, und ob sie stabil bleibt gegenüber einer Bewusstmachung der Herkunft der eigenen Motive. Präferenzen können auch auf falschen Annahmen über die Wirklichkeit beruhen.

Ich denke, dass die Möglichkeit, sich hinsichtlich der eigenen Interessen zu täuschen, nicht bestritten werden kann, da es so etwas wie das Bereuen eigener Entscheidungen gibt. Und es kann auch durch neue Erkenntnisse über die Beschaffenheit der Wirklichkeit eine veränderte Sicht der eigenen Interessen geben.

Deshalb müsste eigentlich jeder damit einverstanden sein, dass für den Fall, dass er derart kurzsichtig und desinfomiert seine Entscheidungen trifft, man ihn nicht seinem traurigen Schicksal überlässt.

Es grüßt alle ernsthaft Fragenden Eberhard.


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Abrazo am 07. Sept. 2005, 21:41 Uhr
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Hi, Eberhard,

das Leben endet für gewöhnlich mit dem Tode. Was heißt da Selbstzerstörung? Ich denke, unsere Diskussion krankt daran, dass manchem offenbar (aus ideologischen Gründen?) nicht klar ist, was Selbstzerstörung in der Lebenspraxis ist.

Nehmen wir den ollen früheren Kumpel aus dem Ruhrgebiet. Der ging im Pütt arbeiten, wohl wissend, dass er Glück hatte, wenn er mit 50 keine Staublunge hatte. Ist das Selbstzerstörung? Was ist mit den Geschwistern Scholl oder Pater Maximilian Kolbe. Selbstzerstörung? Ich denke, eine Grenzziehung ist notwendig.

Dass Selbstmord Selbstzerstörung ist, dürfte klar sein. Aber inwieweit ist Rauchen Selbstzerstörung? Vielleicht kriegt der Raucher irgendwann Lungenkrebs. Und was ist mit ihm in der Zwischenzeit?

In einem österreichischen Weindorf haben Winzer mir erklärt, sie seien hier alle Alkoholiker. Kein Wunder, die gingen morgens nach dem Frühstück schon an ihr Fass. Nur im Sommer schoben sie Wasser dazwischen - sonst würden sie ja blau werden und nicht mehr leben und arbeiten können, meinten sie. Leber? Jott, jo, dat kommt schon mal vor, is aber normal.

Und dann vergleiche das mit einem Drogenabhängigen, auch von der Droge Alkohol. Die knallen sich nicht zu, um in fröhlicher Runde das Leben zu genießen. Die knallen sich weg. Bis zur Bewußtlosigkeit. Die steigen aus der realen Welt und ihrer Gesellschaft, aus der Gemeinschaft mit anderen Menschen aus in eine Welt der Lüge und Illusion. Die knallen sich das Hirn weg. Die knallen sich ihre Menschlichkeit weg. Das ist imho der Kern der Selbstzerstörung: ich will nicht mit dieser Welt leben, nicht mit dem Menschen, der ich bin.

Fragen wir, ob wir uns die Freiheit dazu genehmigen dürfen, in uns selbst die Menschheit zu vernichten. Die Menschheit, weil der, den ich nicht ausstehen kann, in allen andern Menschen auch wohnt. So ist nun mal die Art.

Gruß

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Abrazo am 07. Sept. 2005, 21:55 Uhr
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Hi,

und noch was zum Thema Pflicht:

Ob ich etwas aufgrund meines humanen Willens als gut und richtig erkannt habe oder mich kraft Verstand zu einem moralischen Grundsatz bekenne, wenn das der Fall ist, habe ich auch die Pflicht, danach zu handeln, egal, ob es mir aus subjektiven Wohlbefindensgründen passt oder nicht. Ethik und Moral kommen ohne Pflicht nicht aus.

Ich vermute, der Hauptgrund für die Betonung der Freiheit und der subjektiven Moralen ist nicht, dass man hierüber nicht im Konsens zu einer intersubjektiven Einsicht gelangen könnte, sondern dass man die sich daraus ergebende Konsequenz scheut: die Pflicht. Ich nenne das Infantilisierung. Das Kind lebt wunderbar vor sich hin, ohne Verantwortung und ohne Pflichten. Die tragen nämlich andere für es. Welch herrlicher Zustand! Dumm ist nur, dass sich dann immer jemand findet, der einen um acht Uhr abends ins Bett schickt. Das sollte mit Berufung auf die Freiheit abgeschafft werden. Findet das Kind.

Grüße

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 07. Sept. 2005, 22:47 Uhr
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on 09/07/05 um 21:55:13, Abrazo wrote:Hi,

und noch was zum Thema Pflicht:

Ob ich etwas aufgrund meines humanen Willens als gut und richtig erkannt habe oder mich kraft Verstand zu einem moralischen Grundsatz bekenne, wenn das der Fall ist, habe ich auch die Pflicht, danach zu handeln, egal, ob es mir aus subjektiven Wohlbefindensgründen passt oder nicht. Ethik und Moral kommen ohne Pflicht nicht aus.



ja weisst du, das eignet sich auch hervorragend als grundlage autoritärer systeme. bis zu einem gewissen grad ist natürlich auch das was ich für richtig halte richtschnur meines handelns. nur absolut ist das eben nicht. ich weiss sehr wohl dass es umstände gibt die mich anders handeln lassen würden. und natürlich hoffe ich auch dass ich mir einen zweifel da beware wo ich über andere menschen hinwegzugehen drohe.


Quote:Ich vermute, der Hauptgrund für die Betonung der Freiheit und der subjektiven Moralen ist nicht, dass man hierüber nicht im Konsens zu einer intersubjektiven Einsicht gelangen könnte, sondern dass man die sich daraus ergebende Konsequenz scheut: die Pflicht. Ich nenne das Infantilisierung. Das Kind lebt wunderbar vor sich hin, ohne Verantwortung und ohne Pflichten. Die tragen nämlich andere für es. Welch herrlicher Zustand! Dumm ist nur, dass sich dann immer jemand findet, der einen um acht Uhr abends ins Bett schickt. Das sollte mit Berufung auf die Freiheit abgeschafft werden. Findet das Kind.



man kann nicht in jedem fall eindeutig bestimmen welches handeln richtig ist. man kann in bestimmten fällen nicht zu einem konsens kommen wenn die interessen zu conträr sind.
ich kann natürlich nur für mich sprechen, aber ich schiebe verantwortung nicht ab, ich nehme keine drogen, ich zerstöre mich nicht selbst, mich muss auch niemand ins bett oder sonstwo hinschicken. ich vertrete meine meinung auch gegenüber anderen und handlungen die ich für richtig erachte die erachte ich auch für richtig. oder anders gesagt. ich funktioniere sehr gut in dieser gesellschaft. abe ich setze meine meinung selbst wenn sie im konsens mit anderen gefunden wurde nicht absolut. das wäre töricht.
im gegensatz zu dir glaube ich eben dass es vielmehr ein infantiler trieb nach absoluter sicherheit ist der sich der erkenntnis verweigert dass es keine absolute moral gibt. ein konsens muss nicht gefunden werden können, pflicht hin pflicht her. nur definitionen sind absolut. sonst nichts auf dieser welt.
auch hinter vermeintlicher sicherheit kann man sich verstecken wenn man dem zweifel richtig gehandelt zu haben nicht gewachsen ist.

versuch doch bitte niemand für dumm zu verkaufen.

gruss

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Abrazo am 07. Sept. 2005, 23:28 Uhr
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Hi, Psi,

nimm bitte mal zur Kenntnis, dass es außer dir noch andere Menschen auf der Welt gibt, die im Zweifelsfalle ihre Meinung über moralische Grundsätze ändern und tun, was sie für richtig halten.
Etliche davon findest du im Knast.
Ich würde dir eine längere Expedition in die Drogen-, Asi- und Kriminellenszene empfehlen. Rede mit den Leuten, diskutiere mit ihnen, dann wirst du wahrscheinlich manches anders sehen.

Gruß

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 07. Sept. 2005, 23:53 Uhr
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on 09/07/05 um 23:28:09, Abrazo wrote:Hi, Psi,

nimm bitte mal zur Kenntnis, dass es außer dir noch andere Menschen auf der Welt gibt, die im Zweifelsfalle ihre Meinung über moralische Grundsätze ändern und tun, was sie für richtig halten.
Etliche davon findest du im Knast.
Ich würde dir eine längere Expedition in die Drogen-, Asi- und Kriminellenszene empfehlen. Rede mit den Leuten, diskutiere mit ihnen, dann wirst du wahrscheinlich manches anders sehen.

Gruß



ich hör wohl nicht recht? erst infantil und jetzt quasi kriminell? ist das deine methode zum konsens?

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Hanspeter am 08. Sept. 2005, 02:25 Uhr
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Hallo an Alle,

Eberhard hat einmal vor längerer Zeit einen Regelkatalog aufgestellt, wie man sich in Diskussionen verhalten sollte: zum Beispiel auf persönliche Aggressionen zu verzichten.

Zur Sache.

Es geht hier um die "Ewige Frage" Wieviel individuelle Freiheit billigt die Gesellschaft dem Einzelindividuum zu?
Natürlich ist es der Gesellschaft am liebsten, wenn der Mensch sich möglichst präzise in jenen Bahnen bewegt, die sie für ihn vorgesehen hat: Geburt, Arbeit, Fortpflanzung, Tod. Letzteren am besten "schlagartig" nach Beendigung der Arbeitstätigkeit.
Weiter halten die Führer der Gesellschaft das normale Volk für ziemlich einfältig, weshalb sie glauben, genau zu wissen, was für das Volk gut ist. Wie der Vater die unmündigen Kinder, so muss auch Vater Staat seine Doofies behandeln.

Eberhard schreibt: "Wichtiger als die aktuelle Entscheidung eines Menschen ist die Frage, ob seine Entscheidung dauerhaft ist, und ob er später, wenn die negativen Folgen auf ihn zukommen, auch noch zu dieser Entscheidung steht oder ob er sie bereut."

Genau das ist es n i c h t!!! Es ist nicht Aufgabe des Staates oder Teilen der Gesellschaft, mich wie einen unmündigen Deppen zu behandeln, den Zeigefinger zu heben und zu sagen: "Du wirst es noch bereuen, nicht auf mich gehört zu haben." Ja, lassen wir doch die Menschen dieses Risiko eingehen. Es ist mindestens genauso groß wie das Risiko, später zu sagen: "Hätte ich damals nur nicht auf ihn gehört."

Tod dem Paternalismus! Zumindest ab 18!

Gruß HP



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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 08. Sept. 2005, 09:09 Uhr
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moral und strafgesetzbuch haben nichts miteinander zu tun

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Eberhard am 08. Sept. 2005, 09:37 Uhr
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Hallo allerseits,

abrazo hat darauf hingewiesen, dass der Begriff der Selbstzerstörung genauer gefasst werden sollte und hat als Beispiel die Geschwister Scholl genannt, die unter Einsatz ihres Lebens Kritik an der herrschenden Nazidiktatur geübt haben.

Ich meine auch, dass man Fälle, in denen sich Menschen für eine gute Sache (oder auch nur vermeintlich gute Sache wie bei Selbstmord-Attentätern oder Kamikaze-Fliegern) aufopfern, ausgrenzen sollte, weil hier die (vermeintlich) positiven Folgen der Aufopferung für Dritte mit zu berücksichtigen wären.

Außerdem sollte der Hinweis von res1 berücksichtigt werden, dass sich jeder irgendwo selbstschädigend verhält und es schwer ist, eine Grenze zur Selbstzerstörung zu ziehen.

Um zugleich auch das von Hanspeter betonte Problem des „Paternalismus“, der fürsorglichen Herrschaft, etwas zu entschärfen, schlage ich vor, dass wir unter „Selbstzerstörung“ nur die schweren Fälle verstehen, wo jemand sich dermaßen schädigt, dass er deswegen nicht mehr in der Lage ist, den Anforderungen in seiner Partnerschaft, in der Sorge für seine Kinder und in seiner Erwerbstätigkeit nachzukommen.

Damit sind allerdings Robinson und auch das friedliche Rentnerpaar von nebenan, das schon am Vormittag feuchtfröhlich ist, aus der Fragestellung ausgegrenzt. Wir haben es mit Selbstzerstörung und der damit verbundenen Unfähigkeit zu tun, seinen Beitrag zur eigenen Versorgung zu leisten,

Dabei geht es erstmal nur um die Frage, wie ein solches Verhalten zu bewerten ist.

Meiner Meinung nach ist es nicht nur unklug (= den eigenen Interessen zuwiderlaufend, sondern auch moralisch nicht zu billigen (= einem solidarisch bestimmten Gesamtinteresse zuwiderlaufend.)

Damit sind die Fragen: „Wer trägt welche Schuld daran?“ oder „Soll der Betreffende entmündigt werden und unter (staatliche?) Pflegschaft gestellt werden?“ oder „Soll ein solches Verhalten gesetzlich verboten und mit Strafe bedroht werden?“ keineswegs bereits vorentschieden, wie Hanspeter offenbar befürchtet.

Erst wenn wir die Frage der Bewertung geklärt haben, sollten wir diese anschließenden Fragen diskutieren.

Es grüßt Euch Eberhard.

p.s.: Für die Newcomer in unseren Diskussionsrunden stelle ich noch einmal die “25 Ratschläge für die Internet-Diskussion“ ein, die sich bisher bewährt haben.

“25 (eigentlich selbstverständliche) Ratschläge für Internet-Diskussionen:

- Kläre und präzisiere – soweit möglich - die Frage, die beantwortet werden soll, bevor Du mit der Argumentation beginnst

- Kläre und präzisiere - falls nötig - zentrale Begriffe

- Erläutere und definiere - falls gefordert - Begriffe, die Du selber eingebracht hast

- Vermeide eine stark wertende und zugleich informationsarme Bildersprache

- Behaupte nichts, ohne es - falls gefordert - begründen zu können

- Kennzeichne nicht weiter begründete Prämissen - falls nötig - als Setzungen

- Argumentiere nicht mit Prämissen, die Du nicht in Frage stellen lässt

- Frage Dich, ob Deine Argumente so formuliert sind, dass andere sie verstehen,
nachvollziehen und im Prinzip akzeptieren können

- Bemühe Dich um eine möglichst klar formulierte und übersichtliche Darstellung

- Vermeide lange Beiträge zu vielen verschiedenen Punkten

- Führe – falls nötig - Schlussfolgerungen in ihren einzelnen logischen Schritten aus

- Berufe Dich nicht auf Beweise, die Du nicht selber wiedergeben kannst

- Berufe Dich nicht auf Autoritäten, deren Argumentation Du nicht wiedergeben kannst

- Gib Deine Quelle an, wenn Du Tatsachen behauptest

- Mach bei Deinen Argumenten deutlich, welche Behauptung damit unterstützt bzw. angegriffen werden soll

- Behalte immer die Ausgangsfrage im Auge und verliere Dich nicht in Nebenfragen

- Verzichte auf die Erörterung von Punkten, die nicht zur Sache gehören

- Bevor Du den andern kritisierst, vergewissere Dich, ob Du ihn richtig verstanden hast. Wiederhole – falls nötig - seine Position mit Deinen Worten

- Verzichte auf billige Erfolge in der Widerlegung von Positionen, die so niemand vertreten hat, sondern die Du selbst fabriziert hast

- Konzentriere Dich auf die Kritik an der Richtigkeit von Behauptungen und verzichte auf anderweitige Kritik wie: "ist nicht neu", "ist nicht wichtig", "ist gefährlich", "ist nicht interessant" oder ähnliches

- Kritisiere Positionen und nicht Personen

- Prüfe Argumente unabhängig davon, wer sie eingebracht hat

- Sag statt "Deine Ansicht ist unhaltbar" lieber "Die Ansicht, dass … ,ist unhaltbar"

- Sei Dir bewusst, dass häufig aufgrund beschränkter Erkenntnismöglichkeiten nicht nur eine, sondern mehrere Antworten auf eine Frage rational vertretbar bleiben

- Zähme Dein eigenes Geltungsstreben und versuche nicht, um jeden Preis Recht zu behalten

- Zeige Deine Bereitschaft, richtige Gegenargumente anzuerkennen

- Nutze die Anonymität nicht zu Verhaltensweisen, die Du vor Dir selber nicht rechtfertigen kannst

- Respektiere die Fragestellung desjenigen, der die Diskussionsrunde initiiert hat. Wenn Du später dazu kommst, informiere Dich über den bisherigen Diskussionsverlauf.“



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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von homo_sapiens am 08. Sept. 2005, 09:48 Uhr
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.... und auch ein eberhardt
zer stört sich und die welt !

gerade weil er er werbs fähig
in einem ver fassungs widrigen arbeits lager ........

weil er nicht einmal seine menschen verachtung er kennt !



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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Abrazo am 08. Sept. 2005, 14:24 Uhr
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Hi, Eberhard,

Damit sind allerdings Robinson und auch das friedliche Rentnerpaar von nebenan, das schon am Vormittag feuchtfröhlich ist, aus der Fragestellung ausgegrenzt.

Genau das, Robinson, ist aber der interessante Fall.
Hinsichtlich Selbstzerstörung, bleiben wir beim Thema Drogen, ist nämlich die Sache beim landläufigen Junkie, Kokainisten oder Alki, der sich auf unseren Straßen herum treibt, ohnehin klar: sie ist deswegen kein Thema, weil es dabei eine eindeutige Tendenz zum Übergriff auf andere Menschen durch den Drogenkonsumenten gibt. Denn ob sie anregend oder dämpfend wirken, Drogen sind Betäubungsmittel. Sie betäuben für das soziale Zusammenleben wesentliche Funktionen, wie Hemmschwellen, Selbstkritik, Gewissen, Gefühl usw. (wobei das Urteil des Konsumenten unerheblich ist. Heroinkonsumenten z.B. bezeichnen Heroin als warm und weich, wer mit Leuten unter Heroin zu tun hatte, weiß, die sind kalt und gefühllos, wenn sie unter Heroin stehen). Das heißt, ein Drogenkonsument wird in der Regel die Interessen seiner Mitmenschen schädigen, weil er kraft Betäubung gar nicht in der Lage ist, sein Verhalten mit diesen Interessen abzustimmen. Wir haben da über der Frage nach der Selbstzerstörung also noch eine andere: wie ist es moralisch zu werten, wenn ich mich willentlich in den Zustand der Asozialität (hier verstanden als Unfähigkeit zur sozialen Wahrnehmung) begebe. Dürfte Konsens darüber zu erzielen sein, dass das moralisch negativ zu bewerten ist.

Diese überlagernde Frage fällt bei Robinson aber weg. Und ebenso fällt das Paternalismusproblem (das für diese Fragestellungen sowieso irrelevant ist) weg. Übrig bleibt die Moral als Selbstverpflichtung. Und damit die Frage: hat Robinson sich selbst (wem sonst) gegenüber die Pflicht, sich nicht zuzuknallen oder nicht?
Theoretisch mag man zu schnellen Entscheidungen neigen. Deswegen bitte ich doch darum, sich die Sache praktisch vorzustellen: Robinson liegt, je nach Konstitution abgezehrt oder aufgeschwemmt innerhalb seiner Palisaden zwischen stinkenden, modernden Abfällen, Erbrochenes in Haar und Bart, Sabber läuft aus dem Mund, die Hose ist vollgepisst und vollgeschissen, und aktiv wird er nur dann, wenn er feststellt, dass sein Schnaps zuende geht und er sich ggf. zitternd, jammernd und heulend an die Herstellung neuen Stoffes macht. Ich habe erhebliche Probleme, das als moralisch belanglos aufzufassen, kann aber im Moment nicht begründen, warum.

Gruß

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Hanspeter am 08. Sept. 2005, 16:03 Uhr
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Der Grund ist ganz einfach: Robinson hat per definitionem keinen Kontakt zu anderen Menschen - jedenfalls bevor er mit Freitag zusammentraf. Also entfallen moralische Betrachtungen.

Zurück zur Selbstzerstörung. Eberhard schreibt dazu:

"Meiner Meinung nach ist es nicht nur unklug (= den eigenen Interessen zuwiderlaufend, sondern auch moralisch nicht zu billigen (= einem solidarisch bestimmten Gesamtinteresse zuwiderlaufend.)"

Der erste Teil ist zu verneinen. Es entspricht seinen Interessen, sonst würde er es nicht tun. Die Denkweise: "Du weißt nicht, was für dich gut ist, ich aber weiß es." entspricht nicht einer freiheitlich demokratischen Grundordnung.

Bliebe noch die moralische Billigung:
Konkret: Jemand säuft und/oder raucht. Andere Drogen lassen sich deshalb nicht vergleichen, weil ihre Verwendung in der BRD meist strafbar ist. Das Kauen von Kokablättern, wie in den Andenstaaten üblich, wäre aber prinzipiell vergleichbar.
Beim Saufen gehe ich davon aus, dass der Alkoholiker noch seiner Arbeit nachgehen kann.

Inwiefern schadet er der Gesellschaft?
Er wird häufiger als der Durchschnitt krank, richtig. Dafür zahlt er aber auch vermehrt Steuern.
Er stirbt früher. Das aber ist kein Schaden für die Gesellschaft.

Was ist aber, wenn jemand sich körperlich zu wenig bewegt, zuviel isst, usw. Sind das auch Menschen, die sich zugrunde richten und daher von der Gesellschaft zu ahnden sind?

fragt sich HP.


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Abrazo am 08. Sept. 2005, 16:26 Uhr
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Hi, Hanspeter,

Der Grund ist ganz einfach: Robinson hat per definitionem keinen Kontakt zu anderen Menschen - jedenfalls bevor er mit Freitag zusammentraf. Also entfallen moralische Betrachtungen.
Ist das so? Ich z.B. sehe das nicht so. Andere (z.B. Wittgenstein, siehe Vortrag über Ethik, oder Camus) sehen das auch nicht so. Das heißt, es gibt eine ganze Menge vernünftige Leute, die der Auffassung sind, es gäbe ethische Pflichten unabhängig von sozialen Belangen. Selbst wenn diese Auffassung falsch sein sollte (quod est demonstrandum, die Alternative ist, dass es keine Ethik gibt), wäre zu eruieren, warum es diese Auffassung gibt.

Andere Drogen lassen sich deshalb nicht vergleichen, weil ihre Verwendung in der BRD meist strafbar ist
Na und? Ist das ein Grund für die moralische Bewertung des Konsums? Homosexualität war vor nicht allzu langer Zeit auch strafbar. Ist sie deswegen per se unmoralisch, oder je nach gesellschaftlicher Ansicht mal moralisch problemlos, mal nicht? So, wie es mal problemlos ist, Sklaven zu halten, mal nicht? Wenn das der Fall sein sollte: was spricht dagegen, die Sklaverei wieder einzuführen?

Beim Saufen gehe ich davon aus, dass der Alkoholiker noch seiner Arbeit nachgehen kann.
So, so. Davon gehst du also aus. Nun, ich gehe davon aus (und das ist eine empirische Tatsache), dass Sucht ein mehr oder minder langjähriger Prozess ist, an dessen Ende die dissoziale entkernte Persönlichkeit steht, die dann nicht selten noch nicht mal mehr therapiefähig ist, selbst wenn Leidensdruck und Willen vorhanden sind. Das heißt, wer Drogen konsumiert, begibt sich in einen Prozess fortgesetzten Persönlichkeitsverfalls, und je mehr und länger er konsumiert, desto weniger ist er imstande, diesen Prozess an- oder aufzuhalten. Dafür ist der Anfänger aber blind. Er gleicht da einem Wanderer auf einem Bahngleis, der entsprechende Verbote für bekloppt hält, weil ja doch kein Zug kommt. Der Zug wird aber kommen, so steht es im Fahrplan, und der Zug ist so schnell, dass der Wanderer nicht mehr ausweichen kann, wenn er ihn bemerkt.

Also: Drogenkonsum ist in erster Linie nicht deswegen selbstzerstörerisch, weil einer dadurch seinen Körper zerstört, die Zerstörung bezieht sich auf sein Denken, sein Fühlen, seine Persönlichkeit. Der fortgesetzte körperliche Verfall ist nur die Folge davon.

Um mal klar zu machen, wovon hier die Rede ist.

Gruß

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von nicht_ich am 08. Sept. 2005, 20:46 Uhr
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Ich bin mir nicht sicher, ob man in Eberhards Frage zu einem befriedigenden Schluss gelangen kann:

Zum Thema fällt mir nämlich, neben den Drogen-Geschichten, mit denen man sich selbst kaputt macht, noch ein ganz andere konkreter Sachverhalt ein:

Hat der Staat, die Gesellschaft oder irgendein Gemeinwesen das Recht einem Menschen das Kinder kriegen zu verbieten?

Im vergangen Jahr gab es ja unzählige Kindermissbrauchsprozesse, wo unfähige, perverse aber auch drogensüchtige Erziehungsberechtigte für die Vergehen an ihren Kindern juristisch zur Rechenschaft gezogen wurden.
Als ich Schilderungen dessen las, was diese Menschen mit ihren Schutzbefohlenen angestellt haben, kamen mir z.T. wirklich die Tränen. Furchtbar zu was Menschen fähig sind.

In solchen extremen Fällen scheint es eindeutig zu sein, dass es ein Recht einzuschreiten gibt. Aber der Teufel steckt auch hier im Detail, was schließlich der Grund dafür ist, dass diese Fälle -und Gott allein weiß wieviele unentdeckt bleiben- erst ans Licht der Öffentlichkeit gelangen, nachdem das schlimmste bereits geschehen ist.

Kinder in die Welt zu setzten ist ein ungeschriebenes Grundrecht, aber darf es das sein?

Ich habe mal von einem Fall gehört, um ein anderes Extrem zu nennen, wo einer Mutter, deren IQ um die 70 betrug, vom Jugendamt das Sorgerecht entzogen werden sollte. Wegen DUMMHEIT! Man könnte darüber lachen, wenn es nicht so tragisch wäre.
Hätte man ihr etwa schon die Schwangerschaft verbieten sollen?

Die Entscheidung zu Leben, ist die wohl wesentlichste des Mensch-Seins, und zugleich die einzige, die der Mensch selbst nicht treffen kann.

Wo liegen die Grenzen? Wer darf entscheiden? Gibt es für so etwas eine normative Instanz, oder bleiben wir auf ewig der Spielball elterlicher Willkür?

Mit zweifelndem Gruß

nicht ich




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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Eberhard am 08. Sept. 2005, 21:23 Uhr
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Hallo Hanspeter,

Du sagst über einen Menschen, der seiner momentanen Befriedigung folgt und vor den zu erwartenden Schädigungen die Augen verschließt: „Es entspricht seinen Interessen, sonst würde er es nicht tun. Die Denkweise: ‚Du weißt nicht, was für dich gut ist, ich aber weiß es’ entspricht nicht einer freiheitlich demokratischen Grundordnung.“

Wenn ich einmal aus meiner Homepage zitieren darf. Dort habe ich in der Seite über den Interessenbegriff geschrieben:

„So ist z.B. ein Interessebegriff zumindest im normativen Zusammenhang unbrauchbar, der das Interesse eines Individuums allein über die faktischen Äußerungen oder Handlungen des betreffenden Individuums bestimmen will. Dieser Interessenbegriff, den man als "subjektivistisch" bzw. "behavioristisch" bezeichnen kann, impliziert, dass sich kein Individuum hinsichtlich seiner Interessen irren kann, ja dass es per Definition immer gemäß seinen Interessen handelt.

Dem widerspricht jedoch allein die einfache Tatsache, dass man über seine Interessen bzw. über seine Handlungen zu verschiedenen Zeitpunkten verschiedener Meinung sein kann.

Man kann z. B. nachträglich eine Entscheidung "bereuen" und man kann seine damalige Interessenlage aufgrund neuer Erkenntnisse heute ganz anders sehen.

Schon aus diesem Grund kann die die Meinung eines Individuums über seine Interessen kein unantastbares Datum sein bei der Beantwortung dessen, was ein Individuum tun soll, sondern unterliegt bestimmten Qualifikationsbedingungen: d.h. es gibt mehr oder weniger qualifizierte Interessenäußerungen. Insofern ist der übliche Sprachgebrauch auch sinnvoll, der zwischen dem "vermeintlichen" und dem "wirklichen" Interesse eines Individuums unterscheidet.“

In unserem demokratischen Gemeinwesen ist nicht zuletzt aus diesem Grund die Freiheit der Meinungsäußerung und der Wissenschaft in der Verfassung verankert und Abstimmungen oder Wahlen gehen immer öffentliche Diskussionen voraus.

Aus der Möglichkeit, entgegen den eigenen Interessen zu handeln folgt nun keineswegs, dass die Interessen der Menschen über deren Köpfe hinweg von selbsternannten Wohltätern oder Avantgarden definiert werden dürften.

Ich habe dazu geschrieben: „In gleicher Weise unbrauchbar für normative Fragestellungen erscheint ein Interessebegriff, der das individuelle Interesse völlig unabhängig vom Willen des jeweiligen Individuums bestimmen will, indem er dies etwa aus Annahmen über soziale Verhältnisse und die "menschliche Natur" ableitet. Ein derartig "objektivistischer" Interessenbegriff kann ebenfalls zu keinen allgemeingültigen Antworten auf die Frage führen, wie ein Individuum handeln soll: um als Behauptung allgemeingültig zu sein, muss eine solche Antwort argumentativ konsensusfähig sein, d.h. dass auch das betreffende Individuum selber dieser Antwort zustimmen können muss. Wenn man sich durch die "objektivistische" Bestimmung des individuellen Interesses von dieser Zustimmung völlig abkoppelt, wird der Anspruch auf Allgemeingültigkeit gegenüber dem betreffenden Individuum zu einem reinen Gehorsamsanspruch, der bereits von den Voraussetzungen her nicht mehr argumentativ einlösbar ist.

Aus der hier skizzierten Kritik sowohl an der "subjektivistischen" wie an der "objektivistischen" Fassung des Interessenbegriffs ergibt sich, dass ein für die Beantwortung normativer Fragen geeigneter Begriff des individuellen Interesses … bestimmten Qualifikationsbedingungen unterliegt, wie z.B. der Kenntnis der Situation, auf die sich das Interesse bezieht, einschließlich der zukünftig absehbaren Folgen verschiedener Handlungsalternativen. Nur ein in diesem Sinne "aufgeklärtes" Interesse kann zu allgemeingültigen Antworten auf die Frage führen, was ein Individuum tun soll.

Es grüßt Dich Eberhard.


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Abrazo am 08. Sept. 2005, 22:01 Uhr
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Hi, Eberhard,
kannste auch nachliefern, wie du Interesse definierst?

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 09. Sept. 2005, 01:29 Uhr
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on 09/08/05 um 21:23:18, Eberhard wrote:Aus der hier skizzierten Kritik sowohl an der "subjektivistischen" wie an der "objektivistischen" Fassung des Interessenbegriffs ergibt sich, dass ein für die Beantwortung normativer Fragen geeigneter Begriff des individuellen Interesses … bestimmten Qualifikationsbedingungen unterliegt, wie z.B. der Kenntnis der Situation, auf die sich das Interesse bezieht, einschließlich der zukünftig absehbaren Folgen verschiedener Handlungsalternativen. Nur ein in diesem Sinne "aufgeklärtes" Interesse kann zu allgemeingültigen Antworten auf die Frage führen, was ein Individuum tun soll.



eberhard,

deine ausführungen, insbesondere der forderung nach kenntnis der zukünftigen folgen eines tuns, eine für götter aber nicht für menschen mögliche kenntnis, zwingen doch zu dem schluss dass ein aufgeklärtes interesse wie du es nennst, ein "wirkliches" interesse gar nicht festgestellt werden kann. weder vom individuum selber noch von einem anderen. sprichworthaft geradezu der satz den platon sokrates am ende seiner apologie sagen lässt: doch jetzt ists zeit fortzugehen: für mich, um zu sterben, für euch, um zu leben. wer von uns dem besseren los entgegengeht, ist uns allen unbekannt - das weiss nur gott.

das ganze kann man ja analog mit gut, moralich oder sonst sowas durchexerzieren. bleiben tut doch immer dass eine handlungsanweisung gar nicht gegeben werden kann weil zu einer abschliessenden beurteilung die mittel fehlen. de facto kann man sich also nur nach menschenmöglichem richten. und das kann eben auch falsch sein wenns richtig erscheint.
gruss

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Hanspeter am 09. Sept. 2005, 01:53 Uhr
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@ Abrazo

Mich interessiert nicht, was Wittgenstein oder Camus über Ethik gesagt haben (das, was ich von W. über Ethik gelesen habe, war mehr als dürftig), sondern mich interessieren logisch nachvollziehbare Argumente. Nenne also bitte einen vernünftigen Grund, weshalb für einen "Robinson" moralische Kriterien gelten sollen. (Moral = Bewertung des menschlichen Handelns).

@ eberhard.

schreibt:
"So ist z.B. ein Interessebegriff zumindest im normativen Zusammenhang unbrauchbar, der das Interesse eines Individuums allein über die faktischen Äußerungen oder Handlungen des betreffenden Individuums bestimmen will. ...."

Auch wenn es in deiner Homepage steht, wird es dadurch nicht richtig.

Es gibt keine objektiven Interessen. Ein Interesse ist immer subjektiv, die Interessen ändern sich oft im Leben eines Menschen und niemand auf der Welt kann begründen, welche Interessen eines Menschen nicht in seinem Interesse sind.

Natürlich kann man eine Entscheidung bereuen! Das liegt daran, dass sich im Laufe der Zeit die Interessenslage verändert hat.
Schon viele haben eine Eheschließung bereut. 50% aller Ehen werden geschieden oder sind zerrüttet. Soll nun das Heiraten verboten werden! Sollen in der Jugend die Hormonausschüttungen künstlich gebremst werden?

Sicher hat die Gesellschaft eine Informationspflicht. Sie soll die Menschen aufklären, einverstanden. Aber damit endet ihre Pflicht.

Ein in meinen Augen viel schwerwiegenderes Problem ist die Frage, inwieweit ist die Gesellschaft verpflichtet, denjenigen zu helfen, die ihre "guten Ratschläge" ignoriert haben?

Gruß HP


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 09. Sept. 2005, 02:16 Uhr
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hallo hp,
nicht dass es jemand interessierte, aber das unterschreibe ich...
gruss

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von homo_sapiens am 09. Sept. 2005, 10:08 Uhr
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.... der grund warum ihr alle hier soooo realitäts fern
soooo viele worte macht

ist nur im ge denken an euere vor bilder

die waren auch sooo realitäts fern !



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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Eberhard am 09. Sept. 2005, 18:33 Uhr
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Hallo allerseits,

es geht um die Frage, ob man sich selbst zerstören darf und in einem zweiten Schritt sicher auch darum, welche pädagogischen, therapeutischen, moralischen oder rechtlichen Konsequenzen man angesichts der zigtausendfachen Selbstzerstörung vor unseren Augen ziehen soll. (Allein in der Stadt, in der ich wohne, leben ca. 10 000 Menschen auf der Straße.)

Ich denke das Faktum der Selbstzerstörung ist unter uns nicht strittig.

Ich hatte gesagt, dass ein solches Verhalten unklug ist, weil es nicht den eigenen Interessen entspricht.

Dem hat Hanspeter widersprochen mit der Begründung, das selbstzerstörerische Verhalten liege im Interesse des Betreffenden, sonst würde er es nicht tun.

Damit ist die äußerst schwierige Frage nach der Bedeutung des Wortes „Interesse“ gestellt.

Zu Deiner Nachfrage, Abrazo: Ich benutze den Begriff des Interesses häufig anstelle des Begriffs „Willen“, also zur Beschreibung und Analyse unseres „voluntativen“ Verhältnisses zur Welt. Damit ist gemeint, dass wir nicht nur als Wahrnehmende ein konstatierendes Verhältnis zur Welt haben („so ist es“), sondern dass wir nach etwas streben, dass wir etwas wollen, dass wir den Dingen zustimmen oder ablehnend gegenüberstehen („so soll es sein“).

Die Interessenterminologie ist für die Analyse dieses Verhältnisses in mancher Hinsicht besser geeignet, weil sie weniger festgelegt ist auf die aktuellen psychischen Abläufe von bewusster Absicht, Vorsatz, Entschluss, Versuch, Tat etc.

So ist es problemlos, davon zu sprechen, dass ein Individuum verschiedenste, unterschiedlich gewichtige Interessen hat. Diesen Sachverhalt kann ich in der Willensterminologie nur unter Schwierigkeiten ausdrücken, Man geht deshalb dann häufig zu Begriffen wie „Ziel“, „Zweck“ oder „Wert“ über.

Man spricht umgangssprachlich von einem „vermeintlichen“ Interesse, das nicht das „wirkliche“ Interesse ist. In der Willensterminologie ist auch das weitaus schwieriger auszudrücken.

Das Interesse eines Menschen ist immer bezogen auf eine bestimmte Situation und drückt sich in den Willensäußerungen und Wahlhandlungen (Präferenzen) aus.

So kann ich das faktische Interesse eines Individuums A in Bezug auf seine Versorgung mit bestimmten Gütern (z.B. Brot oder Zigaretten) dadurch bestimmen, dass ich A frage: Wie viel Cent wäre Dir eine Zigarette wert? Wie viel Cent wären Dir zwei Zigaretten wert? usw. Wenn man die Antworten von A in ein Koordinatensystem einträgt, erhält man dann das, was man in der Ökonomie eine Nachfragefunktion nennt.

Die faktischen Interessen, die ein bestimmtes Individuum in einer bestimmten Situation hat, sind abhängig von der Situation, in der sich dies Individuum befindet, also von den Handlungsalternativen, die ihm offen stehen, von den zu erwartenden Konsequenzen und deren Bewertung. Genauer gesprochen: sie sind abhängig von dem Annahmen des betreffenden Individuums darüber.


Wenn A z.B. annimmt, dass er morgen von B eine ganze Stange Zigaretten geschenkt bekommt, dann wird seine Nachfragekurve anfangs steil ansteigen, aber wenn der Bedarf bis morgen gedeckt ist, wird seine Zahlungsbereitschaft für zusätzliche Zigaretten stark nachlassen.
Wenn B jedoch morgen keine Zigaretten bringt, dann wurde das faktische Interesse von A falsch bestimmt. A sagt dann: „Hätte ich gewusst, dass B nicht kommt, dann hätte ich mich doch mit mehr Zigaretten eingedeckt.“ Dass A nur so wenige Zigaretten gekauft hat, war nur in seinem „vermeintlichen“ Interesse, nicht jedoch in seinem „aufgeklärten“ Interesse.

Zu der Kritik von psi: Dass es keine Sicherheit gegen falsche Annahmen über die Welt gibt, ist unstrittig. Aber aus der Möglichkeit des Irrtums zu schließen, dass alle Annahmen und alle darauf basierenden Interessenformulierungen gleichwertig seien, entspricht keineswegs der Logik.

Mit der gleichen Berechtigung, mit der ich sagen kann: „Ich habe mich geirrt“ kann ich auch sagen: „Ich habe meine Interessen falsch gesehen“.

Hier will ich erstmal Schluss machen. Es grüßt Euch Eberhard.


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von doc_rudi am 09. Sept. 2005, 20:55 Uhr
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Hallo Eberhard,
Du bist zwar auf meine bisherigen Beiträge in diesem thread noch nicht eingegangen, so dass ich denke, dass Dir meine Beiträge unangenehm sind.
Dein letztes statement animiert mich jedoch zu einer Ergänzung und einer Frage.
Du sagst u.a.: "es geht ... sicher auch darum, welche pädagogischen, therapeutischen, moralischen oder rechtlichen Konsequenzen man angesichts der zigtausendfachen Selbstzerstörung vor unseren Augen ziehen soll. (Allein in der Stadt, in der ich wohne, leben ca. 10 000 Menschen auf der Straße.)"

Meine Frage: Uns kann es doch nur um philosophische Konsequenzen gehen, wir sind doch keine Pädagogen, Therapeuten, Juristen oder Politiker. Die 10.000 Menschen, die in Deiner Stadt auf der Straße leben, sorgen zwar dafür, dass die Pädagogen und Therapeuten nicht arbeitslos werden. Sich selbst zugrunde richten tun jedoch auch die etwa 500.000 Menschen, die in ihren Wohnungen leben und dort durch fettes Essen, übermäßigen Alkohol- und Nikotinkonsum und insbesondere durch täglichen Arbeitsstress ihre Gesundheit schädigen. Vielleicht sind es auch eine Million. Für all diese Leute gibt es Ärzte, Krankenhäuser mit allem drum und dran usw., die diese Leute arbeitsfähig halten und wir alle bezahlen nicht nur das, sondern auch die Verwaltungsapparate der Krankenhäuser, der Krankenkassen, der Kassenärztlichen Vereinigungen usw..

Welche philosophischen Konsequenzen könnte es denn für Dich haben, wenn Du alle diese Prozesse, die Deiner Meinung nach selbstzerstörerisch sind, betrachtest?
Wo beginnt bei Dir die Selbstzerstörung?
Handelt es sich nicht bei allen diesen Lebensweisen letztlich darum, dass das, was die Menschen zugrunde richtet, von außen auf die Menschen trifft, so dass es sich gar nicht um eine Selbstschädigung handelt?
Nenne doch mal nur einen einzigen Fall, in dem Du der Meinung bist, ein gesunder Mensch habe sich in freier Willensbildung bewusst selbst zugrunde gerichtet, sich selbst Schaden zugefügt, habe also ein Interesse, sich zu schädigen, verwirklicht.
Du nimmst doch anscheinend an, dass es Menschen gibt, die ein Interesse an einer Selbstschädigung haben, das nicht durch äußere Einflüsse hervorgerufen ist, also nicht eine Reaktion ist, sondern eine Aktion im Interesse des Individuums.
Und genau das schließt meine Philosophie aus, die ich dann ad acta legen müsste.
Daher mein Interesse, da ich an einer Falsifizierung meiner philosophischen Hypothesen genauso interessiert bin, wie an einer Verifizierung.
Erwartungsvoller Gruß
rudi


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Eberhard am 09. Sept. 2005, 22:15 Uhr
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Hallo Rudi,

ich will Dir erklären, warum ich auf Deine Beiträge in dieser Runde bisher nicht eingegangen bin. (Andere sind darauf eingegangen.)

Du vertrittst die These, „dass kein … Mensch den natürlichen Impuls hat, sich zugrunde zu richten. … kein lebendes System würde sich ohne Einwirkung von außen selbst schädigen“.

Ich sehe z.B., dass Leute sich selbst geradezu systematisch zugrunde richten, z.B. Jimi Hendrix und wohl auch Elvis Presley, und ich frage nach der moralischen Beurteilung dieses Verhaltens.

Du bezweifelst wahrscheinlich, dass sich überhaupt jemand zugrunde richtet, jedenfalls nicht aus „natürlichem Impuls“, nicht ohne Einwirkung von außen und nicht, wenn er gesund ist.

Es wird Dir meines Erachtens immer gelingen, an Fällen, die ich unter Selbstzerstörung fasse, nachzuweisen, dass entweder der Impuls dazu nicht natürlich sei oder dass er auf Einwirkung von außen beruhe oder dass der Betreffende nicht gesund sei. Die Begriffe „natürlich“, „von außen beeinflusst“ oder „gesund“ sind nicht präzise genug, um sich mit Gewinn über Behauptungen zu streiten, in denen diese vorkommen.

Außerdem dient Deine Systemtheorie offensichtlich anderen Zielen als ethische Fragen zu beantworten. Das ist aber die Absicht, mit der ich diese Diskussion angefangen habe.

Vielleicht gibt es ja mal eine Runde mit dem Titel. „Was bringt die kybernetische Betrachtungsweise an Erkenntnisgewinn?“, wo wir uns auseinandersetzen können.

Es grüßt Dich Eberhard.


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Abrazo am 10. Sept. 2005, 00:10 Uhr
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Hi, zusammen,

ich glaube, wir kommen nicht darum herum, den Grundkonflikt zwischen Ethik und Moral zu nennen: der Ethiker sieht die Dinge aus einer anderen Perspektive, aus der Perspektive des allgemein Menschlichen, des Humanums, der auf die Welt schaut, in der er selbst Objekt ist. Folglich ist es für ihn selbstverständlich, dass alle ethischen Pflichten, die er erkennt, auch für ihn selbst gelten (bzw. gegen seine eigenen Interessen wirken). Ursache dieser Pflichten kann imho aber kaum etwas anderes sein als der allgemeine menschliche Willen.

Der Moralist ist demgegenüber Pragmatiker. Vielleicht die wenigsten Menschen sehen die Welt aus der Perspektive des Ethikers. Sie betrachten sie nicht, sondern sie leben in ihr. Für die will er vernünftig begründete Soll-Normen, die der Ethiker rigoros ablehnt, weil seiner Ansicht nach die humane Ethik sich nicht in Soll-Normen binden lässt. Sie ist nicht situationsgebunden, deswegen kann es immer Situationen geben, in denen solche Soll-Normen der humanen Ethik widersprechen.

Ganz anders hingegen die Position derer, die weder einen ethische Sicht erkennen lassen noch an der Entwicklung vernüftiger Soll-Normen interessiert sind. Hier behaupte ich, obwohl provokativ, weiter, dass es sich um eine Art Peter-Pan-Syndrom handelt: der Junge, der nicht erwachsen werden will, der sich im Grunde ohne Sinn und Verstand gegen Normen aller Art wehrt - weil er für sich beansprucht, stets tun und lassen zu können, was er gerade will und für richtig hält. Peter Pan mag einfach keine Kritik. Er ist ein isoliertes Individuum, das für niemanden Verantwortung trägt und für niemanden Verantwortung tragen will, auch nicht für sich selbst; deswegen will er ja nicht erwachsen werden. Infantilisierung eben.

Doc Rudi konzentriert sich auf die äußeren Einflüsse. Ohne diese äußeren Einflüsse sind wir nichts. Wir leben in dieser Welt und sind ständig von ihr beeinflusst. Doc Rudis Argument läuft darauf hinaus, dass unsere Entscheidungen von diesen äußeren Einflüssen programmiert sind. Aber sind sie das? Wir hatten diese Diskussion zum Thema freier Willen. Tatsache ist, wenn mein Gefühl, also meine biologische Programmierung, und die reagiert auf Reize aus der Außenwelt, mich zu einer bestimmten Entscheidung treibt, dann kann ich dazu auch nein sagen. Nein aus Verstandesgründen. Ich habe die Alternative, meiner Programmierung zu folgen oder Verstandesgründen, und zwischen beiden kann ich mich frei entscheiden. Darauf beruht unser Recht. Wer diese Möglichkeiten ausklammert, wird notwendigerweise zu irrealen Theorien kommen (manchmal denke ich mir, dass man auf solche Ideen kommt, weil man seinen eigenen normalen bürgerlichen Alltag vor Augen hat, in dem es zu solchen Konflikten eher selten kommt. Aber es gibt auch recht unbürgerliche Lebensweisen.)

Ein weiteres Problem für viele ist die Zeit. Wenn ich mich jetzt entscheide, weiß ich nun mal nicht, was in einem Jahr passiert. Deswegen könnte ich in einem Jahr meine Entscheidung bereuen, weil die Situation dann eine ganz andere ist. Für programmierte Entscheidungen aus dem Bauch heraus ist das ein Riesenproblem. Aber erwartet man nicht von verständigen Entscheidungen, dass die nach Erfahrung wahrscheinliche zukünftige Entwicklung mit einbezogen wird? Machen wir nicht gerade deswegen den Vorwurft kurzsichtiger Entscheidungen, weil gerade diese zukünftige Entwicklung ausgeklammert wurde? Denken wir an den Irak-Krieg. Was heute dort los ist, wurde meines Wissens von allen seriösen Experten vorausgesagt. Aber - es wurde nicht mit eingerechnet. So kann man sagen, im Wissen um die heutige Situation hätte man vielleicht anders entschieden. Nur, eigentlich verlangen wir bei einer reifen, verständigen Entscheidung doch, dass so etwas gerade eingerechnet wird, oder? Wie verhält es sich dann, wenn unser Drogenabhängiger sich (zunächst) ab und an mit Heroin einlässt, weil er eben nicht vorausberechnet, dass er davon abhängig werden wird, es dann nicht mehr ohne Kriminalität oder Prostitution finanzieren kann und aus der Gesellschaft in die Szene heraus fällt? Sein momentanes Interesse ist klar. Sein Interesse wäre, wäre die Zukunft Gegenwart, wahrscheinlich ein anderes. Was aber würde er bei vernünftiger Überlegung wollen?

Hanspeter fragt nach einem verünftigen Grund, warum für einen Robinson moralische Kriterien gelten sollten. Ich habe diesen Grund längst genannt: weil er als vernünftig denkender Mensch es so will. Es gibt vernünftige Menschen, die so denken. Und ich meine, bevor man danach fragt, ob sie so denken sollen (was tatsächlich bereits eine moralische Soll-Norm ist), sollte man doch erst einmal überlegen, warum einige Menschen überhaupt so denken, oder?

Ich denke auch, dass man sehr wohl begründen kann, welche Interessen nicht im Interesse eines Menschen liegen. Ich glaube nicht, dass es im Interesse eines Menschen liegt, seine Wohnung zwangsweise mit anderen teilen zu müssen, bestohlen, erpresst, gezwungen oder körperlich verletzt zu werden. Ich denke mal, begründen kann das jeder selber. Zur Not damit, dass das keine artgerechte Haltung ist. :-)

Unter pragmatischen, besonders unter politischen Gesichtspunkten, finde ich Eberhards Aussagen schlüssig und überzeugend. Hinzufügen möchte ich allerdings, das der behaviouristische Ansatz das, was du aufgeklärtes Interesse nennst und was letztlich auf die Entscheidung zwischen progrmmiertem Interesse und verständigem Interesse hinaus läuft, ausschließt. Bei Handlungen gilt dies sowieso, bei Äußerungen habe ich eben nur die Äußerungen, die in keinem Kontext stehen. Sobald ich da nachfrage, um den Kontext zu erfahren, trete ich mit dieser Person in den Diskurs - und damit ein in die Ebene des verständigen Interesses. Der behaviouristische Ansatz bedingt also das Ausschalten der sozialen Komponente. Er betrachtet den Menschen als isoliertes Individuum, was er nicht ist.

der das individuelle Interesse völlig unabhängig vom Willen des jeweiligen Individuums bestimmen will,
Hier sehe ich allerdings einen Schwachpunkt in deiner Argumentation. Du willst den Begriff Willen durch den Begriff Interesse ersetzen, weil du den für besser geeignet hältst. Aber hier siehst du, ohne das Wort Willen kommst du tatsächlich nicht aus.

Bei deiner Definition von Interesse bin ich skeptisch. Imho wird da zu viel zusammen geschmissen, was nicht zusammen gehört. Die meisten Interessen eines Individuums sind nämlich keineswegs moralischer Art. Ist z.B. die Frage nach einer Gehaltserhöhung eine moralische? Bei Interessen, die nicht moralischer Art sind, ist eigentlich klar, was das Individuum will: möglichst eine Garantie dafür, dass sein Handeln sinnvoll ist, dh. dass es seine Interessen in der Zukunft, die keiner kennt, durchsetzt. Ist dies auch bei moralischen Interessen der Fall? Sind es überhaupt konkrete Interessen für eine Zukunft? (Ich bin nun mal kein Moralist, ich merke, wie ich automatisch in die Ethik rutsche) Will man moralische Interessen überhaupt qua Handlung vergleichbar anderen Interessen durchsetzen?

Ich belasse es erst mal hierbei. An deiner Definition von Interessen habe ich in diesem Zusammenhang reichlich Protestpunkte, aber alles auf einmal wird mir zu viel.

Grüße


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Hanspeter am 10. Sept. 2005, 02:29 Uhr
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Hallo an Alle,

@abrazo:
Deine Unterscheidung zwischen Ethik und Moral ist so nicht akzeptabel. Falls man zwischen den beiden überhaupt unterscheiden will (in der angelsächsischen Literatur ist das keineswegs üblich), ist nur der Unterschied:
Ethik = objektive wissenschaftliche Untersuchung der Moralen und
Moral = Beurteilung des menschlichen Handelns möglich.
Dann aber kann die Ethik keine moralischen Aussagen treffen, sie kann nur gegebene Moralen wertungsfrei miteinander vergleichen, sonst ist sie nämlich nicht objektiv. Und zwar deshalb, weil es keine objektiv richtige Moral gibt.
Wenn Robinson definitionsgemäß der einzig existierende Mensch ist, wie soll er dann "moralisch vernünftig" handeln? Soll er darauf achten, seine Insel nicht zu überfischen, nicht zuviele Palmen zu beschädigen? Gut, er kann sagen: Ich werde Vegetarier, weil es "unmoralisch" ist, Tiere zu töten. Dann erweitert er aber seinen Moralbegriff auf Tiere, doch dann ist er ja eigentlich kein "Robinson" mehr, sondern Teil einer Gruppe.
Ansonsten, bitte um ein konkretes Beispiel, das deine Sicht der Dinge erklärt.

@Eberhard.
Ich habe es bis jetzt peinlich vermieden, den Begriff "Willen" hier aufzuwerfen. Denn dann sind wir bei der schon oft diskutierten Frage des "Freien Willens". Ob und inwiefern es einen solchen gibt, ist sehr umstritten; ich persönlich bezweifle seine Existenz, weil sie im Widerspruch zum Kausalprinzip steht, aber das hier breitzutreten, sprengt dieses Thema komplett. Es ist aus praktischen Erwägungen jedenfalls sinnvoll, so zu tun, als gäbe es einen freien Willen und damit verbunden persönliche Interessen. Unsere Rechtsordnung basiert darauf und es hat in diesem Zusammenhang keinen Sinn, ein System zu entwickeln, dass diese Rechtsordnung negiert.

Also, bleiben wir bei folgenden Fragen:
1. Wie definieren wir eine "Selbstzerstörung"?
(Drogenkonsum, ungesundes Leben, falsche Partnerwahl usw.?)

2. Ist der Staat berechtigt, gar verpflichtet, Selbstzerstörung zu verhindern?

Gruß HP




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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von doc_rudi am 10. Sept. 2005, 09:50 Uhr
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Hallo Mitstreiter,
erst mal Dank an Eberhard für Sein Verständnis.
Du hast meine Philosophie anscheinend begriffen und kritisierst lediglich Unschärfen der von mir verwendeten Begriffe „natürlich“, „von außen beeinflusst“ oder „gesund“. Hier handelt es sich nun um Begriffe, die nicht von mir stammen, wie z.B. "körperexterner Effektor".
Die Beispiele von Menschen, die sich zugrunde gerichtet haben, wie Hendrix und Elvis könnte ich um Janis Joplin u.a. erweitern. Es handelt sich hier um Personen, die ihren Mitmenschen viel gebracht haben und deren Leben schnell zu Ende gegangen ist, normalerweise tut der Mensch weniger spektakuläres für seine Mitmenschen und seine sogenannte Selbstzerstörung durch Akquirieren von Gefäßerkrankungen u.a. dauert länger.

Ob wir uns nun über spektakuläre Einzelfälle unterhalten oder über den Normalfall der sogenannten Selbstzerstörung, egal.
Ich würde wie Hanspeter darum bitten, erst einmal Selbstzerstörung oder sich-selbst-zugrunde-richten-dürfen zu definieren, denn dieser Begriff nicht nur unpräzise, sondern unpräziser.
Die zweite Frage von Hanspeter habe ich bereits beantwortet, ich versuchs noch mal präziser:

Das Individuum ist für den Staat lediglich ein Baustein, ein Element, ein Mitglied unter sehr vielen – wie auch immer. Der Staat kennt gegenüber dem Individuum gar keine Moral und benutzt es gerade wie er will für seine Zwecke. Im Frieden beutet er die Arbeitskraft des Individuums aus und benutzt es zur Produktion von Nachkommen, im Krieg werden diese dann verbraten, geopfert. "Moral" wird lediglich benutzt, um dies dem Individuum gegenüber zu verschleiern. An die Moral des Staats zu glauben ist Dummheit zum Quadrat, aber gewünscht. So meinte es wohl auch Marx (Religion ist Opium für das Volk)
Gruß
rudi

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von homo_sapiens am 10. Sept. 2005, 10:26 Uhr
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.... wenn ein psycho path ver wöhnt wird
und ein mensch ver pönt ist
in einer speziellen ge meinen schafft

dann ist es nur wahr schein lich
daß psychopathen er folg reich und be geistert davon

und menschen sich möglicher weise er lösen ..........



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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am 10. Sept. 2005, 11:15 Uhr
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hallo eberhard,

" Zu der Kritik von psi: Dass es keine Sicherheit gegen falsche Annahmen über die Welt gibt, ist unstrittig. Aber aus der Möglichkeit des Irrtums zu schließen, dass alle Annahmen und alle darauf basierenden Interessenformulierungen gleichwertig seien, entspricht keineswegs der Logik. "

das hab ich auch nicht daraus geschlossen. die möglichkeit eines irrtums in bezug auf die kenntnis über ein interesse ist auch nicht gleich dem irrtum über eine tatsache in der welt. ein interesse wird definiert und nicht gemessen. das kann man sicher verstandesgemäss sinnvoller und weniger sinnvoll machen. und jeder muss mit den folgen seiner definition leben. aber definitionen sind willkürlich. genauso ist das mit werten, moral, ethik. nicht umsonst gibt es da ja fundamental unterschiedliche standpunkte dazu, nicht nur hier sondern auf der welt und über die zeit hinweg. frauenbeschneidungen in afrika sind konsens in der dortigen gesellschaft. natürlich nicht unbedingt mit allen frauen. aber wir scheren uns ja auch nicht um den konsens mit anderen meinungen sondern setzen uns durchaus auch darüber hinweg. im konsens.
das beispiel mit den pennern und drogenabhängigen find ich wirklich nicht besonders gelungen. es ist ja nun nicht so dass das notwendigerweise eine selbstgewählte lebensform ist. und bei drogen würde ich schon einen unterschied machen wollen zwischen nikotin und heroin. bei heroinabhängigen kann man sicherlich nicht von selbstbestimmter selbszerstörung sprechen sondern von einer krankhaften situation.
gruss

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?abraz
Beitrag von psi am 10. Sept. 2005, 11:31 Uhr
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abrazo,

" Hanspeter fragt nach einem verünftigen Grund, warum für einen Robinson moralische Kriterien gelten sollten. Ich habe diesen Grund längst genannt: weil er als vernünftig denkender Mensch es so will. Es gibt vernünftige Menschen, die so denken. Und ich meine, bevor man danach fragt, ob sie so denken sollen (was tatsächlich bereits eine moralische Soll-Norm ist), sollte man doch erst einmal überlegen, warum einige Menschen überhaupt so denken, oder?

Ich denke auch, dass man sehr wohl begründen kann, welche Interessen nicht im Interesse eines Menschen liegen. Ich glaube nicht, dass es im Interesse eines Menschen liegt, seine Wohnung zwangsweise mit anderen teilen zu müssen, bestohlen, erpresst, gezwungen oder körperlich verletzt zu werden. Ich denke mal, begründen kann das jeder selber. Zur Not damit, dass das keine artgerechte Haltung ist. "

es könnte ja aber auch sein dass der robinson ein amoralist ist. wie man den argumentativ umdreht, das möchte ih sehen. und vielleicht sollte man sich nicht nur überlegen warum einige diese oder jene ethik vertreten sonder warum andere eben keine allgemeingültige ethik erkennen.

dass es im notmalfall nicht in jemandes interesse liegt bestohlen zu werden, das ist ziemlich trivial. das ist ja aber passiv und kann für den bestohlenen keine handlungsanweisung sein. sondern umgekehrt sagt mir durch die durch einfühlen in die andere person durch gleichsetzung mit meiner gewonnene erkenntnis dass ich ausgehend davon dass es mir nicht gefallen würde passierte es mir andere nicht bestehlen sollte. nun, wär ich am verhungern würd ich mich um dieses berechtigte interesse keinen deut scheren. andererseits könnte ich mir umgekehrt auch vorstellen das mich bestehlen in diesem fall zu sanktionieren. das löst mein interesse abder nicht auf, ich entscheide mich nur dagegen. aus verständnis. erfahrungsgemäss funktioniert das aber nicht mit jedem.

keiner lässt sich gern zwingen. und trotzdem zwingt man viele leute zu allem möglichen und hält es für gut. besonders gerne zwingen moralisten. man denke da nur ans scheidungsrecht über die jahrhunderte...

aus allen möglichen gründen kann man gegen diese interessen handeln, gegen sichselber und gegen andere. immer wohl begründet.

gruss

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Hanspeter am 10. Sept. 2005, 15:15 Uhr
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Hallo Rudi,

ich habe viel Verständnis für eine kritische Betrachtungsweise des Staates, aber deine Sichtweise ist doch von der Realität der BRD ziemlich weit entfernt.

Du schreibst: "Der Staat kennt gegenüber dem Individuum gar keine Moral und benutzt es gerade wie er will für seine Zwecke. Im Frieden beutet er die Arbeitskraft des Individuums aus und benutzt es zur Produktion von Nachkommen, im Krieg werden diese dann verbraten, geopfert."

Das ist zunächst einmal logisch falsch. Wenn der Staat ein Individuum ausbeutet, ist das ja eine moralische Handlung, egal, ob sie dir gefällt oder nicht ("Gaunermoral").

Ferner darf ich darauf hinweisen, dass die BRD im Jahre 2004 knapp 50% des gesamten Staatshaushalts für soziale Zuwendungen (Renten, "Stütze" usw.) ausgegeben hat.
Und die Zahl der Soldaten, die im Kosovo-Krieg oder "am Hindukusch" geopfert wurden, ist leicht überschaubar. Den gesamten Staat pauschal als "unmoralisch" zu bezeichnen, ist komplett unsachlich.

Gruß HP

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Eberhard am 10. Sept. 2005, 17:05 Uhr
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Hallo allerseits,

mit unserer Begrifflichkeit bewegen wir uns offenbar auf sehr dünnem Eis, die grundlegenden Begriffe der Ethik (oder Moralphilosophie) wie Wille, Interesse, Freiheit, Glück, Gut oder Wert sind umgangssprachlich mehrdeutig und es hat sich bisher keine einheitliche Fachterminologie in der Ethik durchgesetzt.

Zu Abrazo: Wenn ich den Begriff des „Interesses“ in bestimmten Zusammenhängen anstelle des Begriffs „Wille“ verwende, so bedeutet dies nicht, dass ich auf den Willensbegriff ganz verzichte. So drücke ich z.B. meine ethische Auffassung mit Hilfe des Willensbegriffes in der zugespitzten Formel aus: „Was wir als Einzelne sollen, ist das, was wir als Gesamtheit wollen.“

Du sprichst von „Interessen moralischer Art“. Hier würde ich eher von „Werthaltungen“ oder „moralischen Einstellungen“ sprechen. Sie enthalten offensichtlich schon ein Sollen, während für mich die Interessen auf der Ebene des primären Wollens liegen

Zu psi: Ob eine Handlung in meinem Interesse liegt oder nicht, ist keine Frage der Definition. Definitionen legen einen Wortgebrauch fest, aber wenn die Definition erfolgt ist (z.B.: Eine Handlung entspricht dem Interesse eines Individuums A, wenn diese Handlung zu Resultaten führt, die für A vergleichsweise besser sind als andere mögliche Handlungen), dann ist ein Satz von A: „Es ist nicht in meinem Interesse, wenn B mich schlägt“ keine Definition mehr.

Zu der Kontroverse, ob Moral immer bezogen ist auf das Verhältnis zu anderen, oder ob es eine Moral auch im Verhältnis eines Individuums zu sich selbst gibt. Gibt es „Pflichten gegen sich selbst“?

Wer an Gott als Schöpfer und Lenker der Welt glaubt, der wird die Frage bejahen. Für die älteren Philosophen ist es selbstverständlich, dass der Einzelne sein von Gott gegebenes Leben nicht eigenmächtig beenden darf, dass er weiterhin die Pflicht hat, die ihm von Gott geschenkten Talente und Fähigkeiten zu bewahren und auszubilden, und dass er nicht faulenzend als „Tagedieb“ die ihm von Gott geschenkte Zeit nutzlos verstreichen lassen darf.

Der Gläubige hat sich ja immer und sogar in erster Linie vor Gott zu verantworten und nicht nur vor den Mitmenschen.

Die Frage ist, ob sich auch ohne das religiöse Weltbild Pflichten gegen sich selbst begründen lassen. Oder ist das alles „meine Sache“, die „niemanden etwas angeht“ und „in die sich gefälligst niemand einzumischen hat“?

Was ist, wenn hinter dieser Schutzmauer nach außen ein Mensch steht, der sich wegen seines selbstzerstörerischen Verhaltens selber verachtet und sich in klaren Stunden selbst die schwersten Vorwürfe macht?

Fast jeder Mensch hat Vater und Mutter, denen das Wohlergehen ihres Kindes „am Herzen liegt“. Oder wie Tom Petty singt: „Some Mum is crying, some Dad is sad, when a kid goes bad“. Insofern ist die Robinsonade nur eine gedankliche Konstruktion.

Und in dem Maße, wie ein Gemeinwesen für ihre Glieder eine Schicksalsgemeinschaft ist, wo Krisen und Niederlagen alle betreffen, gibt es auch ein allgemeines Interesse an der Entwicklung der individuellen Fähigkeiten, die indirekt auch den andern zugute kommt.

Es grüßt alle, die sich um eine vernünftig begründete Moral bemühen, Eberhard.


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von doc_rudi am 10. Sept. 2005, 21:39 Uhr
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Hallo Hanspeter,
nur ganz kurz.
Der Staat ist ein Begriff wie der Baum und selbstverständlich kein realer Staat. Die BRD ist ein konkreter Staat, von dem ich nicht spreche. Mich interessiert das Allgemeingültige am Verhalten des Staates, nicht die BRD.
Das Verhältnis des Systems Staat zum System Mensch (Individuum) interessiert mich. Das ist das Verhältnis eines Fisches im Fischschwarm und hat mit Moral überhaupt nichts zu tun. Moral hat im Menschenstaat allerdings eine bestimmte Funktion, ist zu einem bestimmten Zweck erfunden worden, nämlich um dem Individuum Sand in die Augen zu streuen, damit es sich Illusionen über den Staat macht, in dem es lebt.
Ich würde vorschlagen, wir schauen mal, was Eberhard unter Selbstzerstörung des Menschen versteht, wie er das meint, und diskutieren da weiter.
Für mich ist, da bin ich bei Eberhard, die Frage von großer Wichtigkeit, ob eine Handlung in meinem Interesse liegt.
Das hat aber bei mir nichts mit Moral zu tun, auch nicht mit Ethik. Deshalb benutze ich ja gerade den Begriff des Interesses, spreche auch gern von Willen. Ich versuche mit diesen Begriffen ja gerade zum Ausdruck zu bringen, dass ich nicht werten will. Ich will doch erst einmal eine Handlung wertungsfrei beobachten und meinen Blick nicht durch eine Bewertungsbrille trüben. Insofern habe ich natürlich ein Problem mit dem "dürfen".
"Dürfen" setzt doch Jemanden voraus, der ein Urteil fällt.
Wer soll denn das sein, der sich anmaßt, die Handlungen eines Menschen zu bewerten und zu sagen: das darfst Du, und das darfst Du nicht?
Wenn Ihr eine solche Voraussetzung einführt, schafft ihr einen moralischen Maßstab, Ihr seid die Beurteiler. Und da seid ihr völlig frei, eine beliebige Moral zu setzen. Das ist allerdings nicht mein Ding.
Jede Moral liegt im Interesse ihres Erfinders, vertritt dessen Interesse. Diese sind Selbsterhaltung und Vergrößerung (Selbstentfaltung). Meist dient sie ganz simpel dem Machterhalt. Wie sie begründet wird, mit Gott oder mit Vernunft oder mit sonstwas, ist völlig nebensächlich.
Gruß
rudi


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Abrazo am 11. Sept. 2005, 00:46 Uhr
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Hi, zusammen,

eine merkwürdige Sache, wenn man sich diese letzten Beiträge mal anschaut. Mit einer Mischung aus Erstaunen und Erschrecken stelle ich fest, dass bei manchem anscheinend gar kein ethisches Bewußtsein mehr vorhanden ist. Ethisches Bewußtsein in dem Sinne, dass ich etwas nicht tun will, weil ich davon überzeugt bin, dass es schlecht ist, wobei es mir völlig gleichgültig ist, ob andere das genau so sehen. Ich will nicht. Das ist es, was für mich wichtig ist.

Um diese Annahme gleich darauf zu bezweifeln. Könnte es nicht auch sein, dass manch einer rationale Erklärungen und Herleitungen für etwas zusammen denkt, was so gar nicht zu erklären und her zu leiten ist?

Moore definierte: "Die Ethik ist die allgemeine Untersuchung dessen, was gut ist." Was gut ist. Was gut sein soll, das ist kein Thema der Ethik, sondern ein Thema der Moral. Wenn zur Ethik der Vergleich der Moralen überhaupt gehört, dann in dem Sinne, dass man nach dem sucht, was eventuell in allen Moralen gleich als das Gute gilt.

Hanspeter stellt Moore (und nicht nur ihm) entgegen: Deine Unterscheidung zwischen Ethik und Moral ist so nicht akzeptabel. Was ist das anderes als ein moralisches Urteil? Denn wenn vernünftige Menschen sagen, für mich gibt es da einen Unterschied, ich sehe ihn, sagst du, das ist aber nicht akzeptabel, ihr sollt das so nicht sehen. Moralismus pur. Nun, Ethiker kümmert so etwas nicht. Die sagen: es ist mir egal, wie ich etwas sehen soll. Erst mal sehe ich es so. Das ist eine Tatsache, die nicht hinweg zu diskutieren ist. Wir können darüber diskutieren, warum ich es so sehe. Aber nicht darüber, dass ich es so sehe.

Leute, wenn man über Ethik und Moral diskutiert, darf man einen Maßstab niemals aus den Augen verlieren: den Nationalsozialismus. Die Nazis waren sehr moralische Leute. Und ihre Moral war durchaus vernünftig begründet. Wenn geistig Behinderte und Geisteskranke ermordet wurden, dann wurde dies mit den Interessen des Volkes begründet. Unmoralisch sei es, wenn eine kleine Minderheit von Menschen ihr Leben lang von anderen ernährt, gekleidet, behaust und beaufsichtigt werden müssen, ohne je etwas positives für die menschliche Gesellschaft beizutragen. Degenerierte, lebensunfähige, unnütze Esser. Was wollt ihr unter moralischem Aspekt dagegen sagen? Kants Gesetz der allgemeinen Handlungsmaxime? Was spricht denn gegen das allgemeine Gesetz Euthanasie für Schwerstbehinderte? Versucht das mit euren auf die Gesellschaft bezogenen moralischen Überlegungen zu widerlegen. Ich behaupte: das geht nicht. Das einzige, was ich dazu sagen kann ist, dass ich als Mensch mich mit unbändigem humanem Willen gegen eine solche Moral auflehne, ihr das ethische Nein entgegen brülle. Warum? Keine Ahnung. Aber es ist so.

Haltet euch das berühmte Foto von der Frau mit dem großen Schild um den Hals vor Augen: "Ich bin am Ort das größte Schwein und lass mich nur mit Juden ein." Das ist Moral. Und wenn ihr meint, man müsse jede Moral einer Gesellschaft hinnehmen, dann müsst ihr auch das hinnehmen. Wollt ihr das?

Natürlich ist es eine interessante (und gemeine) Frage, warum manche ethische Entscheidungen treffen und manche nicht. Nur das Diebstahlbeispiel finde ich, an der Praxis gemessen, nicht so gut gelungen. Bei mir wurde zwei Mal eingebrochen und zwei Mal wurden neue Fahrräder geklaut. Kann ich jetzt problemlos stehlen, wenn ich nicht erwischt werden, denn die Täter wurden ja auch nicht erwischt, insofern taugt meine moralische Begründung nicht mehr? Gerät die Gesellschaft aus den Fugen, wenn ich stehle? Weint ein Aktionär vor Kummer, wenn ich im Kaufhof eine Pelzjacke mitgehen lasse? Beschwert euch nicht über die Simplizität: das sind ganz normale Argumente von ganz normalen Leuten.

Mit Philosophen kann man leicht über Ethik und Moral diskutieren. Das ist keine Kunst. Aber Bestand hat nur das, was ganz einfachen Leuten einleuchtet. Die hohe Prüfungskommission für solche Fragen der Philosophie ist die Gosse.

Du erwähnst den Glauben an Gott als den ethischen Gesetzgeber, Eberhard. Na gut. Dahinter steckt aber ein Problem: warum haben denn Menschen überhaupt an so etwas geglaubt? Es gibt da die schöne Metapher vom den Vögeln predigenden Franz von Assisi. Der wollte damit etwas zeigen: es hat gar keinen Sinn, den Vögeln zu predigen, weil die dafür gar keine Ohren haben, gar nicht den Verstand, es zu verstehen (und meinte, seine Mitbewohner von Assisi hätten davon sogar noch weniger als die Vögel vor dem Stadttor). Also: da kamen in den letzten paar tausend Jahren etliche Prediger an, die meisten dürfte man auch damals für bekloppt gehalten haben (so doof waren die Alten nicht), paar hat man als gemeingefährliche Umstürzler um die Ecke gebracht, und aus ein paar wurden dann Religionsstifter. Warum? Doch wohl, weil sie eine Menge Menschen davon überzeugten, das, was sie sagten, sei gut und wahr und richtig. Da gab es also Worte, die trafen. Was trafen sie und warum? Religiöse erklären das mit dem Glauben. Nüchterne Menschen bedenken, so leichtgläubig sind Menschen in der Regel nicht, dass man ihn allen möglichen Stuss erzählen kann. Jedenfalls nicht so viele, dass daraus eine Massenbewegung wird.

Was ist, wenn hinter dieser Schutzmauer nach außen ein Mensch steht, der sich wegen seines selbstzerstörerischen Verhaltens selber verachtet und sich in klaren Stunden selbst die schwersten Vorwürfe macht?
Genau so isses, Eberhard. Ich kenne solche Leute. Ich halte es sogar für eine Triebkraft von Sucht, dass manch einer diesen Gedanken nicht lange unbetäubt ertragen kann.

Hat keinen Sinn, groß zu theoretisieren, ohne sich die wirklichen Menschen anzugucken.

Grüße

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Hanspeter am 11. Sept. 2005, 02:28 Uhr
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Hallo an Alle,

@abrazo: Mit der Mooreschen Definition: "Die Ethik ist die allgemeine Untersuchung dessen, was gut ist."
kann ich gut leben. Ergänzen würde ich: Die Moral ist die spezielle Untersuchung dessen, was gut ist.
Unter diesem "was gut ist" meine ich allerdings, dass man das zu verstehen hat, was der Untersuchende für gut hält. Falls G. Moore aber gemeint haben sollte, dass es ein absolut Gutes / Schlechtes gibt, so irrte er eben. Während sich die Menschheit auf eine einheitliche Physik oder Mathematik verständigt hat, kann man das bei der Moral nun einmal nicht feststellen. Es gibt dazu weder einen überzeugenden theoretischen, noch gar einen praktischen Ansatz.

Könntest du dir nicht vorstellen, dass, wären die Nazis erfolgreich gewesen und du wärst in der HJ und mit dem KdF groß geworden, du heute eine andere Moral vertreten würdest?

Selbst zwischen Ost und West gab und gibt es unterschiedliche soziale Moralen, obwohl beide Systeme von einander wussten. Und du denkst, einem überzeugten Mohammedaner muss man nur die Schriften Kants oder Moores vorlegen, dann weiß er, was "gut ist"?

@rudi

Deine Sichtweise kann ich nicht teilen. Wenn du etwas Allgemeingültiges über den Staat sagt, muss es auch für das spezielle Beispiel BRD zutreffen. Wenn nicht, sind deine Aussagen Mumpitz.

@eberhard.

Ich pflichte dir bei, dass es bei dem Problem "Selbstzerstörung" zu moralischen Konflikten kommen kann. Ich nehme auch an, dass sich dessen die meisten "Selbstzerstörer" irgendwie bewusst sind. Schließlich werden sie ja bei ihrer "Selbstzerstörung" damit ständig konfrontiert.
Doch noch ist nicht geklärt, woran erkenne ich eine Selbstzerstörung? Wie kann ich sie von der natürlichen Zerstörung meiner Selbst unterscheiden?
Und wie gehen wir damit um?

Bei letzterem wieder müssen wir unterscheiden: Wie gehen wir mit unserer individuellen Moral damit um und wie sollte der Staat damit umgehen.

Gruß HP


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von doc_rudi am 11. Sept. 2005, 07:50 Uhr
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Hallo Hanspeter,
Newton sagt uns, ein in Bewegung befindlicher Stein (Apfel) setzt seine geradlinige Bewegung ewig fort und ändert sie nur, wenn andere Kräfte auf ihn einwirken. (sogenanntes Trägheitsgesetzt)
Du nimmst einen Stein, wirfst ihn fort und siehst, dass er eine bogenförmige Bewegung macht.
Deine Schlussfolgerung: was Newton sagt, ist Mumpitz.
Ich meine, ein solche Art der Schlussfolgerung ist voreilig.
Für bestimmte Zwecke ist es selbstverständlich wichtig, die bogenförmige Bewegung des Steins (oder die realen Verhältnisse in der BRD) zu kennen, auch wenn man noch gar nicht weiß, warum diese Bewegung so ist. Wenn man jedoch wissen will, warum die Verhältnis real jetzt und hier so und so sind, sollte man zunächst erkennen, welche Kräfte hier wirken (außer den Kräften und den Interessen des Staates).
Mein Ausgangspunkt ist u.a., dass der Mensch ein Tier mit besonderen Fähigkeiten ist, aber sein Handeln, genau wie das von Tieren, natürlicherweise keine moralische (oder ethische) Triebfeder hat.
Da der Mensch ein Massenwesen ist, also in Horden oder jetzt in Staaten zusammenlebt, muss es einfach allgemeinverbindliche Regeln darüber geben, wie dieses Zusammenleben friedlich organisiert wird.
Dazu sind inzwischen Gesetze da, deren Einhaltung mit staatlicher Autorität überwacht wird.
Selbst diese Regeln sind in der BRD nicht moralisch oder ethisch begründet. Genauso wenig wie die Regeln des Schachspiels, oder die naturgesetzlich begründeten Regeln menschlichen Verhaltens, die ich bei meinen Untersuchungen gefunden habe. Und in dieser moralisch-ethischen Nichtbegründung der Gesetze besteht der Fortschritt im Vergleich zu früheren - auch deutschen - Staaten. Was bei moralisch begründeten Gesetzen an Praxis herauskommt, hat ja Abrazo schön geschildert.

Es gibt allerdings auch jetzt noch Staaten, die ein religiös-moralisch begründetes Recht haben oder einführen wollen.
Das, könnte man sagen, ist Mumpitz, es ist Steinzeit menschlicher Gesellschaft, in der Vernunft ein Schattendasein führt.
Gruß
rudi








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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Eberhard am 11. Sept. 2005, 12:50 Uhr
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Hallo allerseits,

zuerst zu Rudi. Du schreibst:

“Moral … ist zu einem bestimmten Zweck erfunden worden, nämlich um dem Individuum Sand in die Augen zu streuen, damit es sich Illusionen über den Staat macht, in dem es lebt.“ Und: „Jede Moral liegt im Interesse ihres Erfinders, vertritt dessen Interesse .. Wie sie begründet wird, mit Gott oder mit Vernunft oder mit sonstwas, ist völlig nebensächlich.“

Ich muss gestehen, diese Position hat nicht nur Abrazo sondern auch mich erschreckt.

Die Berufung auf moralische Normen ist demnach nur eine verbrämte Form, um zu sagen: Dies ist in meinem Interesse und dies nicht. Und die Begründung moralischer Normen ist demnach beliebig und nebensächlich, d.h. es gibt keine ernst zu nehmende Begründung.

Einem Menschen, der eine solche Auffassung nicht nur in philosophischen Zirkeln – gewissermaßen als „Salon-Nihilist“ – vertritt, sondern der davon wirklich überzeugt ist, könnte ich nur mit größtem Misstrauen begegnen. Denn wenn ich mich umdrehe, könnte er mir die Flasche in seiner Hand über den Kopf hauen, meine Brieftasche an sich nehmen und verschwinden. Er hätte damit keine Probleme, er könnte seine damit erzielte Bereicherung problemlos als die naturgesetzlich gegebene Selbstentfaltung eines selbsterhaltenden Systems deuten.

Wenn ich Deine Position wirklich ernst nehme, dann wird für mich sogar fraglich, ob ich überhaupt mit Dir hier diskutieren soll. Wenn es nur Individuen mit der Tendenz zur Selbstentfaltung gibt und gemeinsame Werte nur der Sand sind, den man den andern in die Augen streut, dann ist auch die Wahrheit von Behauptungen kein von uns gemeinsam akzeptierter Wert, auf den sich jeder Diskussionsteilnehmer verbindlich festlegen lassen muss.

Wenn dem so ist, dann sehe ich eigentlich keinen Sinn darin, mit Dir Argumente auszutauschen. Ist dem so?

Zu Abrazo. Du trägst ein Ethos in dir. Dich empört z.B. was die Nazis mit den Geisteskranken gemacht haben. Dies Ethos ist für Dich weder herzuleiten noch zu begründen, es ist eben faktisch da: Hier stehe ich, ich kann nicht anders.

Damit charakterisierst Du den sozialpsychologischen Vorgang der erfolgreichen Verinnerlichung moralischer Normen sicherlich treffend: Die tiefsitzenden moralischen Einstellungen sind nicht einfach durch Argumente oder rationale Einsicht aufzulösen oder zu verändern. Ein Faktum, das Konsequenzen für jede Form der moralischen Erziehung hat.

Nicht folgen kann ich Dir, wenn Du schreibst: „Die Nazis waren sehr moralische Leute. Und ihre Moral war durchaus vernünftig begründet.“

Die Nazis haben den Massenmord an bestimmten Teilen der Gesellschaft zwar zu begründen versucht, aber ich sehe nicht, dass diese Begründung vernünftig ist. Und damit sind wir wieder bei der Frage, die ich für die gegenwärtig wichtigste philosophische Frage halte: Wie lassen sich Regeln des Umgangs der Individuen und Gruppen miteinander „vernünftig“ begründen?

Wenn „vernünftig“ das ist, was man aufgrund von Argumenten - und ohne irgendwie dazu gezwungen zu werden - einsehen kann, dann ist die Begründung der Nazis für ihre Programme der Massenvernichtung nicht vernünftig.

Denn dann müsste die von ihnen vorgetragenen Argumente auch für die von der physischen Vernichtung Betroffenen, die „Untermenschen“, die „Fremdrassigen“, die Juden, die Homosexuellen, die Sinti einsichtig sein (wobei die Geisteskranken wegen ihrer Unmündigkeit ein besonderer Fall sind). Und da wird offensichtlich, dass die Argumente der Nazis nicht einsichtig und akzeptabel sind, weil sie durch und durch parteiisch sind (Auch wenn sie insofern imaginär parteiisch sind, als es die arische Rasse als Subjekt gar nicht gibt.)

Zu Hanspeter: Ich mache einen Vorschlag zur Definition von Selbstzerstörung. Selbstzerstörung ist gegeben, wenn ein Mensch entweder sich selbst tötet oder wenn ein Mensch sich so verhält, dass vorhergesagt werden kann, dass er deswegen in absehbarer Zeit nicht mehr in der Lage sein wird, einen Beitrag zur Erhaltung seiner eigenen Existenz zu leisten. Wir sollten uns vorerst auf den letzteren Fall konzentrieren.

Einen angenehmen Sonntag wünscht allen Eberhard.



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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von doc_rudi am 11. Sept. 2005, 14:30 Uhr
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Hallo Eberhard,
irgendwie hast Du wohl unter dem Einfluss Deines moralischen Anspruchs meine letzten Beiträge in den falschen Hals gekriegt.
Aus meiner Sicht leben wir zum Glück hier und jetzt in einer Gesellschaft, deren Regeln des Zusammenlebens nicht mit einer religiösen Moral oder einer evolutionär hergeleiteten Ethik begründet werden, wie es noch vor kurzem der Fall war.
Diese Moral wurde herangezogen, wenn Leute verbrannt wurden, die sagten, die Erde sei rund und kreise um die Sonne oder wenn Menschen krankheitsbedingt nicht in der Lage waren, sich selbst zu ernähren und vergast wurden. Da brauche ich Abrazo nicht zu wiederholen. Ich meinerseits nehme mich vor moralgeleiteten Menschen in acht, die mich in die Luft bomben und meinen, sie hätten im Auftrag Gottes gehandelt und kämen nun in den Himmel.

Wie ich schon sagte, und das hast Du anscheinend überlesen, hat sich die Gesellschaft, in der wir leben, inzwischen weiterentwickelt und pocht lediglich auf die Einhaltung von Gesetzen.
Und diese sind nicht moralisch oder ethisch begründet.
Möglicherweise rennst Du auch etwas der Zeit hinterher. Unser Strafrecht und unser Zivilrecht regeln ganz einfach das Zusammenleben und der, der gegen das Strafrecht verstößt, wird dafür bestraft. Das ist ein vernünftiges Handeln des Staats. Es handelt sich dabei vermutlich um die von Dir hier gesuchte vernunftbegründete Ethik. Ich halte es allerdings für überflüssig, von Ethik zu sprechen und meine, es sind vernunftbegründete Regeln des Zusammenlebens. Übrigens werden diese Gesetze von Leuten ausgearbeitet und erlassen, die dafür vom Volk gewählt worden sind, daher kann man die Regeln auch demokratisch nennen. Aber eben nicht ethisch.
Nun zur Sache.
Du definierst: "Selbstzerstörung ist gegeben, wenn ein Mensch entweder sich selbst tötet oder wenn ein Mensch sich so verhält, dass vorhergesagt werden kann, dass er deswegen in absehbarer Zeit nicht mehr in der Lage sein wird, einen Beitrag zur Erhaltung seiner eigenen Existenz zu leisten."
Du willst nun wissen, ob der Mensch das machen darf oder nicht machen darf.
Da wäre meine Antwort:

Der Körper des Menschen ist sein Eigentum, und mit seinem Eigentum darf er machen, was er will.
Wer sollte ihm das verbieten und mit welcher Begründung?
Ich würde ein solches Verhalten zwar als krankhaft ansehen, aber Krankheit kann man nicht verbieten.
Gruß
rudi



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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Hanspeter am 11. Sept. 2005, 15:47 Uhr
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@rudi.

Deine Vorstellungen von Moral resp. Ethik wirken ziemlich unausgegoren.

Ich formuliere noch präziser: "Wenn du etwas Allgemeingültiges über eine Sache sagst, dass muss es auch für ein spezielles Beispiel zutreffen"
Ich denke, diesem Satz kann niemand widersprechen.

Dein Beispiel zu Newton I (schräger Wurf) ist ziemlich dümmlich, denn jeder bessere Gymnasiast weiß, dass hier eine vertikale Kraft wirkt, die für die Richtungsänderung verantwortlich ist.

Es ist richtig, dass Moralen definiert werden. Ich akzeptiere auch, dass der Erfinder einer Moral nur seine eigenen Interessen verfolgt. Aber langfristig werden sich eben nur solche Moralen durchsetzen, die auch die Interessen anderer befriedigen.
In einer Demokratie lassen sich Gesetze nur in seltenen Fällen gegen die moralischen Vorstellungen der Bevölkerung langfristig aufrechterhalten.

Noch ein Denkfehler. Du schreibst:
"Da der Mensch ... jetzt in Staaten zusammenlebt, muss es einfach allgemeinverbindliche Regeln darüber geben, wie dieses Zusammenleben friedlich organisiert wird...Selbst diese Regeln sind in der BRD nicht moralisch oder ethisch begründet."

Wenn Gesetze das friedliche Zusammenleben der Menschen bewirken, dann ist das bereits eine moralische Begründung. Und zwar eine sehr überzeugende.

@ eberhard.

Du schreibst: "Selbstzerstörung ist gegeben, wenn ein Mensch entweder sich selbst tötet oder wenn ein Mensch sich so verhält, dass vorhergesagt werden kann, dass er deswegen in absehbarer Zeit nicht mehr in der Lage sein wird, einen Beitrag zur Erhaltung seiner eigenen Existenz zu leisten."

Das ist eine akzeptable Definition.

Dazu schreibt Rudi: "Der Körper des Menschen ist sein Eigentum, und mit seinem Eigentum darf er machen, was er will. Wer sollte ihm das verbieten und mit welcher Begründung?"
Diese Haltung ist nur dann akzeptabel, wenn staatliche oder individuelle Hilfe nicht in Anspruch genommen wird. Rudi könnte also argumentieren, wenn der Staat oder der Mitmensch so blöd sind, dem Selbstzerstörer zu helfen, dann ist das deren Problem. Da hat er Recht. Allerdings würde diese Moral den Staat bzw. den helfenden Mitmenschen in die schwierige Situation versetzen, jede Hilfe sehr genau daraufhin zu überprüfen, inwieweit der Hilfesuchende für seine Misere selbst verantwortlich ist.
So gesehen könnte die BRD sagen: New Orleans? Keine Hilfe, daran seid ihr selber schuld.


Gruß HP

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von doc_rudi am 11. Sept. 2005, 17:40 Uhr
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Hallo Hanspeter,
Meinen Standpunkt, dass der Selbstzerstörer so handeln dürfe, ich ihm das nicht verbieten könne, hatte ich damit begründet, dass es sich um krankhaft begründetes Handeln handelt und man Krankheit nicht verbieten könne. Krankheit kann man mit Verboten oder Geboten nicht so einfach beeinflussen. Man könnte psychotherapeutische Hilfe anbieten.
Die von Dir angebotene Begründung:
"Rudi könnte also argumentieren, wenn der Staat oder der Mitmensch so blöd sind, dem Selbstzerstörer zu helfen, dann ist das deren Problem. Da hat er Recht." Ist Deine Begründung, nicht meine.
Ich hätte zwar auch so argumentieren können, tat ich aber nicht.
Würdest Du dem Selbstzerstörer denn sein Verhalten verbieten?
Oder ihn bestrafen für sein Verhalten, das Du möglicherweise als unmoralisch betrachtest, weil es gemeinschaftsschädlich ist?
Gruß
rudi

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Abrazo am 11. Sept. 2005, 23:20 Uhr
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Hi, zusammen,

na fein. Kommen wir allmählich zum Kern der Sache. [balloon]

doc rudi, mit einer anderen Reaktion von dir habe ich auch nicht gerechnet. Viele Theorien fallen zusammen, wenn man sie mit der Praxis konfrontiert. Zu deiner angeblich nicht vorhandenen Begründung unserer Gesetze: guck doch mal in unser Grundgesetz. Art. 1 : "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Wat is'n Würde? Wieso soll denn unbedingt der Mensch sie haben? Wieso jeder Mensch (Art. 3: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.")? Und warum soll sie unantastbar sein? Was sollen denn unverletzliche und unveräußerliche Menschenrechte sein? Wer soll sie 'dem Menschen' gewährt haben? Er sich selbst? Könnte ein Irrtum sein. Man hat sich schon oft geirrt. Kann man also auch wieder ändern. Und was ist mit dem angeblichen Recht auf Leben? Welchen sozialen Nutzen hat das, wenn man an Schwerstbehinderte und Schwerverbrecher denkt?
(Ein iranischer Pasdar in leitender Position erwiederte mal auf meine Frage, warum man Widerstandskämpfer - er betrachtete sie als Schwerverbrecher - nicht lebenslänglich einsperrt, weil sie dadurch auch aus dem Verkehr gezogen wären: "Das kommt das Volk zu teuer. Wir richten sie lieber hin, das ist billiger.")
Mit anderen Worten, doc rudi, willst du mir wirklich erzählen, dass seien keine ethischen Grundsätze?

Du, doc rudi, schreibst: Der Körper des Menschen ist sein Eigentum, und mit seinem Eigentum darf er machen, was er will.
Wer sollte ihm das verbieten und mit welcher Begründung?
Lass mich gemeinerweise noch diesen Satz anführen: Mein Ausgangspunkt ist u.a., dass der Mensch ein Tier mit besonderen Fähigkeiten ist, , dann liefere ich dir das Verbot und die Begründung: § 17: Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1. ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet oder
2. einem Wirbeltier
a) aus Roheit erhebliche Schmerzen oder Leiden oder
b) länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden
zufügt.
§ 20: (1) Wird jemand wegen einer nach § 17 rechtswidrigen Tat verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so kann ihm das Gericht das Halten von sowie den Handel oder den sonstigen berufsmäßigen Umgang mit Tieren jeder oder einer bestimmten Art für die Dauer von einem Jahr bis zu fünf Jahren oder für immer verbieten, wenn die Gefahr besteht, daß er weiterhin eine nach § 17 rechtswidrige Tat begehen wird. Aus dem Tierschutzgesetz.
Also nix mit Eigentumsrechten. [grin]
Sofern es Tiere betrifft.
Wenn aber, wie es häufig der Fall ist, ein knapp strafmündiger Vierzehnjähriger an's Heroin kommt, dann sagt man ihm, wenn er zwanzig ist: tja, mein Junge, du bist ein freier Mensch. Wenn du davon nicht freiwillig loskommen willst (oder kannst), dann musste eben krepieren. Im Schnitt so um die dreißig passiert das dann auch.
Würdest Du dem Selbstzerstörer denn sein Verhalten verbieten?
Ja. Mit der Folge, dass er eine oder andere vielleicht heute noch leben würde.

Du, Eberhard, meinst, was ich humanen Willen nenne, sei dersozialpsychologischen Vorgang der erfolgreichen Verinnerlichung moralischer Normen . Wo kommen die Normen denn her? Sind zum Teil schon ziemlich alt, nicht wahr? Wieso wurden sie entwickelt? Als selbstverständliche Entwicklung erscheinen sie uns nur dann, wenn wir keine Alternative haben. Die gibt es aber. Das Viehzeug lebt mit ganz anderen (biologisch begründeten) Normen genau so lange wie wir.

Damit zu den Nazis. Die nationalsozialistische Moral gründet sich genau auf diese biologischen Normen, die sogar evident sind. Denn physiologisch sind wir ein Viech wie jedes andere auch und werden ebenso gesteuert. Fremdenhass, Eroberung fremden Territoriums, Vertreibung, Versklavung und Tötung Rudelfremder sind von Gefühlen als Handlungsimpuls gesteuerte biologisch völlig normale und für das Überleben der Durchsetzungsfähigen sinnvolle Handlungen. Die Evidenz liegt gerade in den wahrnehmbaren Gefühlen. Kennst du niemanden, der es für gut und wahr und recht und moralisch einwandfrei hält, ausländische Arbeitnehmer nach Hause zu schicken und Ehen mit deutschen Frauen zu verbieten?

Hier führt übrigens noch das Argument der unterschiedlichen Moralen zu einer nicht unüblichen Schlussfolgerung: Menschen aus anderen Kulturen sind grundsätzlich nicht vertrauenswürdig, denn sie haben eine ganz andere Moral (wenn überhaupt), weswegen sie abgesondert und kaserniert gehören (Meint der Nazi auch, nur er begründet das nicht mit unterschiedlichen Gesellschaften, sondern mit der Natur = Biologie). Ist das in Ordnung so? Würden die Vertreter der allein sozial begründeten Moral da zustimmen?

Dabei sehe ich als den Kern deiner Überlegungen, Eberhard, eine Begründung zu finden, warum man Menschen vertrauen darf. Du möchtest eine Sicherheit finden, dass man dir (als Beispiel Mensch) nicht bei Gelegenheit eine Flasche über den Schädel zieht (wobei ich als Pragmatiker etwas bescheidener bin, denn ich vertraue 1. den Menschen, helfe deren Vertrauenswürdigkeit 2. durch meine Autorität und 3. durch Herrn Hund nach :-)) Gäbe es nun eine vernünftig begründete Moral, müsstest du dann nicht prüfen, ob du gerade einen Vernünftigen vor dir hast? Und wenn die Vernunft auf unserer Kultur basiert: würdest du dich dann nicht ins Ausland trauen? Wenn du aber eine allgemein menschliche Vernunft annimmst, die zu einer allgemeinen Anerkennung einiger moralischer Grundsätze führt: womit willst du die denn begründen? Ich prophezeie dir, du landest damit genau so beim letztlich unbegründeten ethischen Willen wie ich.

Noch einmal mache ich dich auf ein Problem aufmerksam: die Alternative. Keine Alternative zu sehen heißt, Dinge als selbstverständlich vorauszusetzen, die nicht selbstverständlich sind. So kommt man zu keiner echten Lösung. Du erkennst keine nationalsozialistische Moral. Ich übersetze: du willst sie nicht erkennen. Da muss man aber durch. Man muss die Medusa irgendwie zu Gesicht kriegen, sonst kann man ihr nicht den Kopf abschlagen. Descartes (als vielleicht der hierin klarste) ist einer von vielen, die sie ins Auge gefasst haben. Denn wenn er die Möglichkeit des bösen Geistes annimmt, heißt das nichts anderes, als dass alles, was wir für gut und richtig und human halten, auch völliger Quatsch sein könnte.

Grüße

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Hanspeter am Vorgestern, 02:04 Uhr
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Hallo Rudi,

das Argument mit der Krankheit akzeptiere ich deshalb nicht, weil man damit jegliches verantwortliche Handeln aushebeln kann: Hitler war krank, ein Mörder ist krank, jeder, der sich nicht konform verhält, ist krank. Das war in den sozialistischen Staaten eine beliebte Denkweise und Begründung für eine Einlieferung in die Psychiatrie.

Der Selbstzerstörer fällt vielmehr - bewusst oder unbewusst - eine Entscheidung: Er wertet den Vorteil seiner Selbstzerstörung höher als deren Nachteile: Er tötet sich lieber, als jahrelang Schmerzen oder anderem Stress ausgesetzt zu sein. Er greift zur Flasche oder zur Nadel, weil er dadurch seine Sorgen vergisst. Er kennt sehr wohl die "Nebenwirkungen", aber er akzeptiert sie eben.

Gruß HP

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Hanspeter am Vorgestern, 02:18 Uhr
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Hallo Abrazo,

du schreibst: "Hier führt übrigens noch das Argument der unterschiedlichen Moralen zu einer nicht unüblichen Schlussfolgerung: Menschen aus anderen Kulturen sind grundsätzlich nicht vertrauenswürdig, denn sie haben eine ganz andere Moral (wenn überhaupt), weswegen sie abgesondert und kaserniert gehören"

Dieser Schluss ist falsch. Das Argument der unterschiedlichen Moralen akzeptiert auch die Erkenntnis, dass es keine "alleinseligmachende Moral" gibt. Vertreter einer anderen Moral sind also nicht grundsätzlich vertrauensunwürdig, sondern man muss sich eben die Mühe machen, deren Moral zu untersuchen. Eine gewisse Vorsicht ist allerdings angebracht: Wenn eben im Koran steht, dass Ungläubige umgebracht werden sollen, ist es ratsam, einen Islamisten genauer unter die Lupe zu nehmen.

Gruß HP.

P.S. Zur "NS-Moral": Unsere Gesellschaft hat beschlossen, diese Moral als verbrecherisch zu definieren und jegliche Zweifel daran strafrechtlich zu verfolgen.

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von doc_rudi am Vorgestern, 08:57 Uhr
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Hallo,
das ist ja eine lebhafte Diskussion.
@Abrazo
ich sagte: "Der Körper des Menschen ist sein Eigentum, und mit seinem Eigentum darf er machen, was er will.
Wer sollte ihm das verbieten und mit welcher Begründung? Ich würde ein solches Verhalten zwar als krankhaft ansehen, aber Krankheit kann man nicht verbieten." Und im nächsten Beitrag: "Krankheit kann man mit Verboten oder Geboten nicht so einfach beeinflussen. Man könnte psychotherapeutische Hilfe anbieten."
Das war die allgemeine Antwort auf die allgemeine Definition von Selbstzerstörung durch Eberhard.
Du konstruierst nun den Fall eines 14-jährigen Heroinabhängigen (Deinen Schlenker auf den Paragraphen zum Schutz von Wirbeltieren lasse ich mal beiseite) und vertrittst die Ansicht, dass Du ihm den Heroinkonsum verbieten würdest, "Mit der Folge, dass der eine oder andere vielleicht heute noch leben würde." (wobei Du hier gleich die Mehrzahl nimmst und seltsamerweise auch gleich zugibst, dass dein Handeln nur in einem Teil der Fälle wirksam ist.)
Anscheinend bist Du erfreulicherweise doch sehr realitätsbezogen (weshalb man mit Dir auch gut diskutieren kann) und machst sofort wieder einen Rückzieher: ein Verbot helfe nur in einem kleinen Teil der Fälle.
Völlig richtig. Meine Frage: Du verbietest ein Verhalten im Wissen darum, dass den Handeln fast unwirksam ist. Und soll ich Dir mal sagen, wie hoch der Anteil der Fälle ist, in denen ein Verbot nicht hilft? Genau weiß ich es nicht, ich schätze, es sind 99%.

Ich sage diesem 14-jährigen Heroinabhängigen hingegen: Du darfst Dich durch Heroineinnahme schädigen, da Dein Körper Dein Eigentum ist. Aber: Du darfst Dich auch anders entscheiden. Durch die Heroineinnahme hattest Du im ersten Moment ein tolles Gefühlserlebnis. Das ist geschenkt. Aber falls Du nun merkst, dass Du Dir Dein weiteres Leben versaust, indem Du ab jetzt ständig dem Stoff hinterherrennst – und damit die Heroinhändler reich machst und Dich selbst in den Knast bringst, wenn Du Dir die Knete nicht legal besorgst- weil Du den Stoff nur noch brauchst, um einigermaßen normal zu sein, und in Zukunft kein Heroin mehr konsumieren willst, helfe ich Dir gern dabei, Deine Entscheidung auch in die Tat umzusetzen. Denn das ist allein sehr schwierig, wie Du vielleicht schon festgestellt hast.

Ich verspreche Dir, dass mein Ansatz, dieses Verhalten nicht zu verbieten, zu einer höheren Erfolgsquote führt als Dein Verbot.
Deshalb halte ich das Erlauben in Verbindung mit einem Hilfsangebot für besser. Wer mag, kann das als ethisch oder moralisch bezeichnen. Das stört mich nicht. Ich sage, das ist rational im Sinne der Allgemeinheit, weil es die Schädigung der Gesellschaft minimiert.

@Hanspeter:
Du sagst: "das Argument mit der Krankheit akzeptiere ich deshalb nicht, weil man damit jegliches verantwortliche Handeln aushebeln kann: Hitler war krank, ein Mörder ist krank, ..."
"Der Selbstzerstörer fällt vielmehr - bewusst oder unbewusst - eine Entscheidung: Er wertet den Vorteil seiner Selbstzerstörung höher als deren Nachteile: Er tötet sich lieber, als jahrelang Schmerzen oder anderem Stress ausgesetzt zu sein. Er greift zur Flasche oder zur Nadel, weil er dadurch seine Sorgen vergisst. Er kennt sehr wohl die "Nebenwirkungen", aber er akzeptiert sie eben."
Uns das sagst Du als jemand, der meint, eine Entscheidung sei immer moralisch, positiv oder negativ (unmoralisch).
Ich kann da nur fragen: welche Entscheidung würdest Du denn nun treffen: dem 14-jährigen Heroinabhängigen sein Tun verbieten oder erlauben? (Würdest Du Dich meinem Erlauben anschließen?)
Du selbst moralisierst zwar in Deinem Beitrag, triffst aber keine Entscheidung. Hast Du das vergessen oder bist Du unsicher?

Und nun zu Deiner Haltung zur Krankheit: es hat den Anschein, Du betrachtest Krankheit als etwas unmoralisches, oder den Krankheitsbegriff als etwas, das Unmoral in Schutz nimmt.
Da möchte ich Dich bitten, zu unterscheiden zwischen dem Zweck, für den ein Begriff geschaffen ist, und dem Gebrauch des Begriffs, der auch ein Missbrauch sein kann.
Nebenbei bemerkt: auch hoch moralische Personen machen bisweilen den Eindruck, sie seien krank (nicht nur Hitler, der ja nach Abrazo auch ein Moralist war).
Noch eine Folgerung aus Deinem Beitrag:
Du betrachtest also auch unbewusst getroffene Entscheidungen als "verantwortlich". Habe ich das richtig verstanden?
Gruß
rudi


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von homo_sapiens am Vorgestern, 09:54 Uhr
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... wenn eine um ge bung sooo tierisch dooof wie diese .........

dann richtet sich ein homo sapiens zu grunde
ob er nun etwas hier schreibt
oder nicht ......

weil beides nicht ihm etwas bringen wird
ausser es gibt doch menschen hier ?

homo sapiens ?


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Eberhard am Vorgestern, 10:23 Uhr
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Hallo Rudi,

Du meinst, dass wir auf Ethik oder Moral verzichten können, weil wir ja eine Rechtsordnung haben.

Du schreibst:

(Die Gesellschaft) pocht lediglich auf die Einhaltung von Gesetzen. Und diese sind nicht moralisch oder ethisch begründet. .. es sind vernunftbegründete Regeln des Zusammenlebens.“

Weiter unten schreibst Du dann, dass „diese Gesetze von Leuten ausgearbeitet und erlassen (werden), die dafür vom Volk gewählt sind.“

Meine Frage ist, wie sich beides miteinander verträgt: Sind die Gesetze vernunftbegründet? Dann müssten sie logisch aus Argumentationen und Begründungen hervorgehen. Oder sind es Erlasse bestimmter Amtspersonen, die als Gesetzgeber diese Gesetze setzen?

Wenn beides richtig sein soll, so wäre das, was der Bundestag an Gesetzen verabschiedet, notwendigerweise vernunftbegründet. Letzteres würde eine völlig total unkritische Haltung zum Staat und zum staatlichen Handeln zur Folge haben. Also lieber nicht.

Offenbar hast Du eine Abneigung gegen die Begriffe Ethik und Moral und assoziierst diese mit „moralinsauer“, „fromm“ und „mittelalterlich“. Deshalb gehört die Ethik für Dich auf den Müllhaufen der Geschichte.

Für mich ist jeder Satz, der menschliches Handeln mit dem Anspruch auf allgemeine Geltung bewertet und regelt, ein ethischer Satz, Ausdruck einer Moral. Ich weiß nicht, als was Du das bezeichnest.

Nehmen wir zum Beispiel den Satz: „Wenn man eine öffentliche Toilette benutzt, dann soll man sie sauber hinterlassen.“ Oder den Satz: „In Warteschlangen soll man sich hinten anstellen“. Soviel ich weiß, handelt es sich in beiden Fällen nicht um eine Rechtsnorm. Was sind dies dann für Normen?

Die Vorstellung, eine Gesellschaftsordnung könne allein auf rechtlichen Sanktionsdrohungen beruhen, ohne eine Verinnerlichung von Normen, bedeutet keine „Weiterentwicklung“ sondern ist wirklichkeitsfremd.

Wo jedermann ohne moralische Skrupel die Rechtsnormen verletzt, wenn es ihm gerade passt und er es unbemerkt tun kann, da hält eine Gesellschaftsordnung keine 7 Tage.

Man kann nicht hinter jedes Mitglied der Gesellschaft einen Polizisten stellen. Und wer überwacht wiederum die Polizei? Was hätten wir z.B. für eine Rechtsordnung, wenn Richter kein Berufsethos hätten und nach Lust und Laune Recht sprechen würden, solange sie keine Strafen zu befürchten haben?

Um es in der von Dir bevorzugten systemtheoretischen Terminologie zu sagen:
Soziale Systeme benötigen zu ihrer Selbsterhaltung sozialisierte Individuen, die in ihrem Sozialisationsprozess die Werte und Normen dieses sozialen Systems verinnerlicht haben.

Für diese Haltungen und Einstellungen sind die Bezeichnungen „Moral“ (aus dem Lateinischen) oder „Ethos“ (aus dem Griechischen) üblich. (Der deutsche Begriff „Sittlichkeit“ ist von sexualfeindlichen Moralisten wohl unwiederbringlich zugrunde gerichtet worden.)

In der festen Überzeugung, dass Ethik kein überflüssiger Luxus sondern bitterste Notwendigkeit für uns ist, grüßt Dich Eberhard.

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von homo_sapiens am Vorgestern, 11:29 Uhr
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> Wo jedermann ohne moralische Skrupel die Rechtsnormen verletzt, wenn es ihm gerade passt und er es unbemerkt tun kann,


.... schau dir mal eine straßen kreuzung an
und die vielen füß gänger die bei rot ........



> da hält eine Gesellschaftsordnung keine 7 Tage.


....... die wirklich keit ist aber
daß diese > un < ordnung schon 50 jahre hält !


>Man kann nicht hinter jedes Mitglied der Gesellschaft einen Polizisten stellen. Und wer überwacht wiederum die Polizei?


... der massen wahn steht hinter jedem
nur so kann ich auf einem plakat lesen

>>> wer mehr arbeit schaffen will braucht mut <<<


> Was hätten wir z.B. für eine Rechtsordnung,


... wir haben hier keine rechts ordnung
sondern nur eine schein heilige macht ordnung !


> wenn Richter kein Berufsethos hätten


..... sie haben nur ein karriere ethos
sonst würden doch keine raub tiere menschen auf essen ..............



> und nach Lust und Laune Recht sprechen würden, solange sie keine Strafen zu befürchten haben?


... sie haben nichts zu be fürchten
weil jeder ge nau so hinter dem un recht steht
wie vor 70 jahren .......





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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von doc_rudi am Vorgestern, 11:51 Uhr
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Hallo Eberhard,
Dein Einwand lenkt zwar etwas von der laufenden Diskussion über den Umgang mit einem 14-jährigen Drogenabhängigen ab, dennoch muss ich darauf eingehen.
Deine guten Beispiele aus der Praxis „Wenn man eine öffentliche Toilette benutzt, dann soll man sie sauber hinterlassen.“ Oder den Satz: „In Warteschlangen soll man sich hinten anstellen“.
Was sind dies dann für Normen? Das sind für mich Regeln eines vernünftigen Umgangs miteinander.
Nicht jede Regel muss in ein Gesetz oder eine Vorschrift gegossen werden, wir haben mehr als genug Gesetze in Deutschland.
Derartige Regeln gibt es übrigens schon bei in Horden lebenden Tieren. Es handelt sich vermutlich um Verhaltensweisen, die genetisch gespeichert sind, weil sie sich für das Überleben der Gruppe (des Genpools) als erfolgreich erwiesen haben. Da fallen sicher auch andere, bei uns unter Strafe gestellte Verhaltensweisen darunter, wie die Tötung eines anderen Hordenmitglieds.
Für typisch menschlich halte ich gerade die Nichteinhaltung derartiger genetisch programmierter Handlungsweisen (also der Verstoß gegen die natürliche Tötungshemmung, die im Tierreich beobachtet werden kann).
Wenn der Mensch sich nun ein derartiges natürliches Gruppenverhalten zu eigen macht, nennst Du dies ethisch. Das kannst Du machen. Ich halte das für normal und Verstöße gegen die für mich normalen Umgangsformen für unnormal. Da steckt einfach die Norm drin.
Der Mensch hat jedoch die Möglichkeit, gegen Normen zu verstoßen. Die in schweren Fällen vorgesehenen Sanktionen zielen dann auf die Einhaltung der Normen, des Normalen.
Das normale Gruppenverhalten dann als ethisch oder als moralisch zu bezeichnen und zu loben, hat auch einen vernünftigen Sinn und ist effektiver als Strafe: der Mensch hat einen enormen Bedarf an narzisstischer Befriedigung. Durch die Definition des normalen Gruppenverhaltens als ethisch und damit besonders hochwertig bekommt das Individuum Lob und Anerkennung, stärkt damit sein Selbstwertgefühl und seine Identifizierung mit der Gruppe (Gemeinschaft).
Das Verhalten des Individuums in der Gruppe wird also nach meiner Überzeugung in erster Linie dadurch gesteuert, dass das erwünschte Verhalten durch Lob verstärkt wird (Regelkreis mit positiver Rückkopplung).
Das ist der Sinn der sogenannten "Ethik", die natürlich kein Luxus ist, wie Du siehst.
Erst in zweiter Linie wird das Nichterwünschte Verhalten durch Strafe sozusagen "abtrainiert" (Regelkreis mit negativer Rückkopplung)

Aber was ist mit unserem 14-jährigen Heroinabhängigen? Verbietest oder erlaubst Du ihm das?

Gruß
rudi


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Hanspeter am Vorgestern, 16:36 Uhr
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Hallo rudi,

vielleicht solltest du uns einmal erklären, was du unter Moral verstehst. Offensichtlich gibt es da Verständigungsschwierigkeiten.

Eine Krankheit ist nichts Unmoralisches denn sie unterliegt normalerweise nicht unserem freien Willen. Bezeichnet man daher eine "Selbstzerstörung" als eine Krankheit, so negiert man den freien Willen. Dann müsste man auch konsequenterweise einen Mörder oder Dieb als Kranken interpretieren und entsprechend behandeln. Das wiederum halte ich für falsch.

Zum konkreten Fall der Drogenabhängigkeit. Richtig würde ich folgenden Modus halten.
1. Umfassende Information über die Gefahren
2. Freigabe aller Drogen
3. Staatliche Hilfe für Drogenabhängige nur insofern, als die Kosten hierfür über die jeweiligen "Drogensteuern" eingenommen werden.

Ich weiß, dass Punkt 2 und 3 in unserer Gesellschaft nicht akzeptiert werden, halte sie aber trotzdem für richtig.

Gruß HP

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Eberhard am Vorgestern, 20:11 Uhr
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Hallo allerseits,

zuerst zu doc rudi. Ich habe noch nie davon gehört, dass sich Tiere hinten anstellen. Stattdessen gilt bei Tieren, die in Verbänden leben, meines Wissens eine Hack- und Rangordnung.

Dass solche Regeln wie „Drängle Dich in Warteschlangen nicht vor!“ genetisch gespeichert sein sollen – also angeborene Instinkte sind – ist eine kühne Hypothese, die von Biologen wohl nicht ernst genommen würde.

Kommen wir zu den Regeln des (vernünftigen) Umgangs miteinander, gewöhnlich als moralische Normen bezeichnet.

Ich habe in dieser Runde die (moralische) Frage gestellt, ob man sich selber zugrunde richten darf. Darf man sich so verhalten, dass absehbar ist, dass man – spätestens in einigen Jahren - nicht mehr in der Lage sein wird, sich selbst zu versorgen?

Ich will im folgenden einmal die Fragen zusammenstellen, auf die wir gestoßen sind.

Vorweg eine bereits 250 Jahre alte Position: "Der größtmögliche Spielraum sollte den Individuen in all jenen Fällen gelassen werden, in denen sie niemandem als sich selbst schaden können, denn sie sind die besten Richter über ihre eigenen Interessen. Wenn sie sich täuschen, kann angenommen werden, dass sie ihr Verhalten sofort ändern werden, wenn sie ihren Irrtum erkennen.“

Die erste Frage ist die, ob ein selbstzerstörerisches Verhalten überhaupt einen Schaden bewirkt, sei es für den Selbstzerstörer, für seine Angehörigen oder für die Allgemeinheit.

Wenn man dies verneint, gibt es damit kein Problem. Falls jedoch ein Schaden gesehen wird, bleibt die Frage, wie man diesen Schaden vermeiden kann und ob es richtig ist, dem Einzelnen freizustellen, ob er sich selbst zerstört.

Eine Meinung war: Ja man darf das, denn jeder ist Eigentümer seines Körpers und ein Eigentümer darf mit seinem Eigentum nach Belieben verfahren. Die Frage verschiebt sich damit auf die Rechtfertigung eines unbeschränkten Eigentums am eigenen Körper.

Eine Frage, die mit der Ausgangsfrage zusammenhängt, ist die Frage, ob Menschen, die sich derart zugrunde gerichtet haben, einen moralischen Anspruch auf Hilfe haben. Sind die andern moralisch verpflichtet, denjenigen, der sich selbst zugrunde gerichtet hat, in gleicher Weise zu unterstützen wie sie das bei Menschen sind, die Opfer eines Unfalls geworden sind?

Die andere Frage, die mit der Ausgangsfrage zusammenhängt, ist die Frage, ob andere das Recht oder gar die Pflicht haben, ein selbstzerstörerisches Verhalten zu unterbinden, auch wenn es sich um Erwachsene handelt.

Hier wird man zusätzlich fragen müssen, inwieweit die Selbstzerstörung dem Betreffenden zuzurechnen ist. Wenn dies nicht der Fall ist, weil der Betreffende die Fähigkeit zur Selbststeuerung verloren hat (Sucht als Krankheit) , ergibt sich die Frage, ob damit als Konsequenz auch die Grundlage seiner Mündigkeit - zumindest zeitweilig - verloren gegangen ist.

Eine Bestrafung des Selbstzerstörers scheint unangebracht, denn wer als geistiges und körperliches Wrack endet, der ist bestraft genug. Das Strafgesetz würde wohl mehr schaden als nützen.

Fragen über Fragen. Strengen wir unsern Kopf an. Es grüßt Euch Eberhard.


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Abrazo am Vorgestern, 20:49 Uhr
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Hi, doc rudi,

du gehst leider von grundfalschen Voraussetzungen aus.

Die meisten Schwerstabhängigen, mit denen ich zu tun hatte, haben tatsächlich mit etwa 14 mit dem Heroin angefangen.
Die meisten hatten mehrere Entgiftungs- und Therapieversuche hinter sich.
Fast alle waren in Kliniken und Therapien nicht mehr erwünscht, als therapieunfähig, weil viel zu lange süchtig, abgelehnt.
Etliche sind inzwischen verstorben. Einer deswegen, weil die von ihm selbst erwünschte Zwangseinweisung - abgelehnt worden war.

Deine Gesprächs- und Argumentationsmethode haben alle unzählbar oft durchlaufen. Tatsache ist, dass sie vollkommen wirkungslos war.

Schlechter als deine Methode kann also gar keine funktionieren.

So sieht die Realität aus. Und nu beurteile das mal vom ethischen Standpunkt aus.

Die Vorbedingung für alles, was den Menschen betrifft, ist, dass er lebt. Eine ideologische Freiheit, die höher gewertet wird als das Leben, widerspricht m.E. der Ethik. Freiheit setzt nämlich voraus, dass der, der das Recht auf sie hat, lebt. Verhindert die Freiheit dies, ist sie unsinnig.

Vergleiche Reagans Satz: "Lieber tot als rot."
Er erntete damit zu Recht jede Menge Protest im alten Europa.

Gruß

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von doc_rudi am Vorgestern, 22:42 Uhr
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Hallo Hanspeter und Eberhard,
Ethik habe ich bereits in meinem Beitrag #132 definiert. Es ist der Begriff für Sozialverhalten beim Menschen, das beim Menschen sozusagen freiwillig passiert und durch den Moralbegriff verstärkt wird, andererseits übrigens meldet sich ein schlechtes Gewissen bei Übertretungen. Ihr scheint leider die Realität auszublenden, wenn ihr Sozialverhalten bei Tieren abstreitet. Ihr könnt Euch ja mal die Arbeit: Sozialverhalten von Menschenaffen am Beispiel der Bonobos (Zwergschimpansen) - http://www.gm.shuttle.de/gm/ge-waldbroel/pages/fa/fa2.htm - ansehen. Das Einordnen in eine Gemeinschaft, ob durch Hacken bei Hühnern oder durch Lausen beim Affen und die Verpflichtung von Ranghöheren, die Schwachen im Kampf zu unterstützen und durch Jagderfolge mitzuernähren, wobei die Schwächeren natürlich zuletzt essen dürfen, aber eben nicht verhungern, das alles gibt es bereits bei Tieren, auch wenn Euch das zu amüsieren scheint.
@Abrazo: dass Du mit den Drogenabhängigen, mit denen Du zu tun hattest, Schiffbruch erlitten hast, tut mir leid. Wenn Du denen mit Verboten gekommen bist, wundert mich das allerdings nicht. Ich hatte Dir das prophezeit (99% Misserfolg). Aber den Misserfolg sozusagen auf mich zu schieben, so als ob die von mir betreut worden wären, ist unredlich.
Dass Hanspeter für eine Drogenfreigabe ist, überrascht mich - hätte ich nicht vermutet.
Eberhard stellt die "erste" Frage, ob ein selbstzerstörerisches Verhalten überhaupt einen Schaden bewirkt, sei es für den Selbstzerstörer, für seine Angehörigen oder für die Allgemeinheit.
In meinen Augen ist selbstzerstörerisches Verhalten auch stets mit Schädigung der Gesellschaft verbunden. Das sagte ich bereits. Nach meiner Philosophie wirken im Individuum jedoch auch stets Selbsterhaltungs- und Selbstentfaltungkräfte. Hilfe muss sich an diese richten und sich mit diesen verbünden und diese unterstützen, das ist Voraussetzung für ein Abstellen der Selbst- und Fremdschädigung. Insofern liegt die Besserung auch immer im Interesse der Gesellschaft, genau wie beim Kranken.

Noch zu einer Ungenauigkeit: jemand meinte, mit Krankheit könnte man auch Mörder entschuldigen (oder so ähnlich)
Tatsächlich ist es in der BRD so: ein Mörder oder Sexualstraftäter, der gesund ist, kommt 15 Jahre (=lebenslänglich) hinter Gitter. Ist er krank, kommt er zeitlich unbegrenzt in die Psychiatrie und wird erst entlassen, wenn er keine Straftaten mehr begehen wird. Beim Gesunden spielt der letztere Aspekt jedoch keine Rolle. Hat der Gesunde seine Strafe abgesessen, darf er raus und erneut straffällig werden. Da fragt sich, wie diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist.
Gruß
rudi



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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Abrazo am Gestern, 00:12 Uhr
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Hi, Doc Rudi,

jetzt reichts mir aber langsam.
Ich habe mich nur ehrenamtlich um die Leute gekümmert. An ihnen sind jede Menge Sozialarbeiter, Drogentherapeuten, Ärzte, Psychiater und Psychologen gescheitert, die alle mit Deinen 'Rezepten' angekommen sind, die im übrigen uralt sind und sehr populär bei den Therapeuten, die immer nur in ihren bequemen Bürosesseln sitzen und die Leute nie hackezu und breit auf ner Parkbank liegen sehen. Hast du eine Ahnung, wie hoch die Rückfallquoten sind? Dann frag doch mal nach in den Psychiatrien und Therapieeinrichtungen. Die meisten geben dir, ob Heroin, Alkohol oder andere Drogen, eine Rückfallquote von 97% an! Nur eine kleine Minderheit schafft es also im ersten Anlauf - und etliche schaffen es nie. Die werden dann substituiert, wobei nicht wenige sich dabei mit Alkohol und Pillen vollstopfen, oder landen als Todgeweihte auf der Straße oder in irgendwelchen Absteigen und Notunterkünften.
Vielleicht informierst du dich mal über die tatsächliche Lage, bevor du hier anfängts, theoretische Lehren erteilen zu wollen.
Übrigens: Schweden hatte keine schlechten Erfolge mit dem Modell Zwangsentzug und rigoroses Eingreifen; allerdings mit Amphetamin-Junkies, das war dort weit populärer als Heroin, ist aber in der körperlichen Wirkung kaum weniger schlimm.

Zum tierischen Sozialverhalten solltest du der Einfachheit halber Herrn Hund befragen - falls er dir antwortet. Der wird dir nämlich sagen, dass er nie ein schlechtes Gewissen hat, äußerstenfalls mal Bammel, dass der weisungsbefugte Geschäftsführer der GmbH ihn auf den Rücken legt, an die Kehle packt und fragt, ob er noch weiß, wer sein Boss ist - weshalb er sich in solchen Extremsituationen sicherheitshalber gleich freiwillig auf den Rücken legt. Der wird dir versichern, dass einzig und allein der Geschäftsführer ihn daran hindert, jeden Rüden, ob groß oder klein, gottserbärmlich zu verprügeln und ihn zu unterwerfen und dass er zwar den Anweisungen folgt, aber dennoch auf der Ansicht beharrt, dass alle Stöcke, alle Bälle und alle Weiber im Revier sein persönliches Eigentum sind. Und der Geschäftsführer - ist ein Mensch.

Statt in wilden Theorien herum zu spekulieren, solltest du dir lieber mal angucken, wie die Welt draußen aussieht.

Gruß

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Abrazo am Gestern, 00:41 Uhr
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Hi, Eberhard,

natürlich ist eine Bestrafung unangebracht. Tatsächlich geht es auch nicht um Bestrafung, es geht um Zwang. Die Frage lautet, dürfen wir einen Menschen mit Zwang davon abhalten, sich selbst zu zerstören?

Ich habe Zweifel, ob sich diese Frage mit Denken allein beantworten lässt. Das ethische Nein kann man nicht denken. Es zeigt sich.

Das Problem, das ich sehe, ist, dass man wunderbar über eine Sache debattieren kann, die man nicht kennt, die man nie gesehen hat. Es gibt Esoteriker, die dem Solipsismus anhängen. Sie behaupten, wenn Menschen in Afrika verhungern, liegt das daran, dass ich mir die Welt so denke. Hätte ich bessere, positiviere Gedanken, gäbe es keine Verhungernden. Also muss ich mich selbst ändern, um den Hunger zu bekämpfen (im Grunde Wittgensteins Konfrontation mit Otto Weininger). Würden solche Esoteriker genau so denken, entscheiden und handeln, wenn sie die Leute sehen würden? Würde einer überhaupt ernsthaft mit ihnen debattieren wollen, ob das, was sie sagen, stimmen könnte?

Also, versucht euch mal folgendes Bild möglichst genau vorzustellen: Nacht, Notaufnahme in einem Krankenhaus. Auf dem gekachelten Klinikboden liegt ein etwa dreißigjähriger verwahrloster Mann schlafend mit puterrotem Gesicht in einer Urinlache. Seine Hose ist offen, sein Penis entblößt und neben ihm liegt eine Pinkelflasche, die zu benutzen er nicht mehr geschafft hat. Er hat zwei Flaschen Korn im Balg, die hat er ganz alleine gekauft und getrunken. Und mit dieser Vorstellung im Kopf fragt euch bitte noch einmal: darf ein Mensch sich selbst zerstören? Beinhaltet die Freiheit des Menschen das?

Ich habe das Bild real gesehen. Ich sage nein.

Der Mann ist übrigens ein knappes viertel Jahr danach gestorben. Goldener Schuss.

Sage nicht, Eberhard, das sei verinnerlichte Sozialmoral. Niemand hat mir erzählt, dass Menschen in so ein Lage kommen können. Im Gegenteil: ich bin damit aufgewachsen, dass man sich von solchen Leuten fern halten muss, dass sie aus der Gesellschaft rausgeschmissen gehören weil - sie haben es ja nicht anders gewollt.

Sie haben es nicht anders gewollt. Kann man sagen. Logisch und vernünftig. Die humane Ethik sagt dazu nein. Und nu?

Gruß

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Hanspeter am Gestern, 02:18 Uhr
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Hallo an Alle

@Eberhard schreibt:

"Ich habe noch nie davon gehört, dass sich Tiere hinten anstellen. Stattdessen gilt bei Tieren, die in Verbänden leben, meines Wissens eine Hack- und Rangordnung.
Dass solche Regeln wie &#8222;Drängle Dich in Warteschlangen nicht vor!&#8220; genetisch gespeichert sein sollen &#8211; also angeborene Instinkte sind &#8211; ist eine kühne Hypothese, die von Biologen wohl nicht ernst genommen würde."

Ein schöner Beweis für meine alte These, Philosophen sollten im ersten Nebenfach Biologie, speziell Verhaltensforschung belegen! :-)

Tiere stellen sich sehr wohl in Warteschlangen an, wenn es die Situation erfordert. Ich konnte das selbst in einer Tölpelkolonie beobachten, in der es, topologisch bedingt, nur eine Startbahn gab. Übrigens richtig schön in Jahrhunderten ausgetreten. Die Tiere, die aufgrund der gegebenen Windverhältnisse nicht vom Boden aus starten konnten, stellten sich schön brav an und warteten, bis sie drankamen. Die Schlange umfasste machmal über 20 Vögel.
Dieses Verhalten ist nicht exakt genetisch programmiert, sondern die Tiere entscheiden situationsbedingt.

@rudi

ich habe niemals behauptet, Tiere hätten kein Sozialverhalten. Wo sollte ich diesen Unsinn geschrieben haben?

Doch als Moral nur das zu bezeichnen, was in uns genetisch ohnehin verankert ist, oder was du als vernünftig deklarierst, ist zu kurz gegriffen.

Moral ist ein in sich geschlossenes und logisch nachvollziebares Konzept zur Regelung, aber auch zur Erklärung unseres Verhaltens.

Unsere Aufgabe hier ist es aber nicht, induktiv durch Beobachtungen das Verhalten der Menschen zu beschreiben, um daraus ihre Moral abzuleiten. Das machen die Verhaltensforscher. Sondern wir bemühen uns hier deduktiv, ein vernünftiges Moralkonzept zu entwickeln und daraus (vermeintlich) richtiges Handeln abzuleiten.

Dein Konzept ist dazu aber nicht geeignet.

Gruß HP

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Hanspeter am Gestern, 02:31 Uhr
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Hallo Abrazo,

dein letzter Beitrag zeigt sehr deutlich ein prinzipielles menschliches Problem. Unser Verhalten ist primar, sprich genetisch, darauf ausgerichtet, in menschlichen Kleingruppen sich optimal zu verhalten. Es ist aber für große Massen, sagen wir einmal >10^6 nur mit Vorbehalten brauchbar. Daher spricht ja auch die Bibel von der Nächstenliebe, nicht von eine allgemeinen Menschenliebe.

Klar, wenn du ein hungerndes Negerkind leibhaftig vor dir hast, wirst du als Mensch mit gesunder Empathie das Bedürfnis verspüren, hier zu helfen. Damit hilfst zu zwar diesem Individuum, löst aber nicht die Ursache(n) des Problems.
Dazu aber bedarf es eines völlig anderen Konzepts. Und das kann man nicht unbedingt darin erkennen, indem man das Elend vor Ort sieht. Dazu muss man in erster Linie seine Gehirnzellen aktivieren.

Gruß HP

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von homo_sapiens am Gestern, 09:41 Uhr
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...... genau !
und mensch wird dann zu dem schluß kommen

daß die ursache aller problem
darin be steht

daß frau bisher immer die größten probleme selektiert
wenn sie die größten lösungen hätte ...........



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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Abrazo am Gestern, 09:46 Uhr
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Lieber Hanspeter,

würdest du bitte bei unserer Frage bleiben?
Unsere Frage lautet nicht, nach welcher Methode man eingreifen soll oder könnte, unsere Frage lautet, ob man das überhaupt will oder soll.

Mit anderen Worten: es geht hier nicht um ein hungerndes Negerkind, sondern es geht darum, auf welcher Grundlage wir entscheiden, ob die Gesamtgesellschaft (von mir aus auch Menschheit, aber gewiss nicht 'der Nächste') eingreifen soll oder nicht. Das heißt, aus welchem Grund wir überhaupt unser Gehirnschmalz einsetzen sollen, um Handlungstheorien zu entwickeln.

Wir haben de facto drei verschiedene Prinzipien:

1. die Freiheit des Menschen umfasst auch die Freiheit zur Selbstzerstörung bis hin zu diesem praktisch sichtbaren Ausmaß (meine Frage: wollen wir das?)

2. Man hat eine Pflicht, die sich letztlich aus dem Menschsein begründet (und insofern sowohl für das Individuum als auch für die Gesellschaft gilt), weder sich selbst noch andere so weit zu zerstören; der Vernachlässigung dieser Pflicht durch einen oder einen Teil folgt die Pflicht anderer zum Eingreifen (d.h. das gilt auch z.B. für Zerstörung des Humanums durch menschenunwürdige Behandlung - z.B. bei Kriegen, Folter und zahlreichen anderen netten Sachen) - das ist meine Behauptung.

3. jeder ist seines Glückes Schmied - wer sich nicht anpassen kann an die Gesellschaft und ihre Moral, fliegt raus, bis hin zur Todesstrafe. Das ist die Mehrheitsmeinung, behaupte ich.

Wer immer sich auf ein Prinzip beruft und darauf eine Theorie aufbauen will, muss sich mit den anderen auseinandersetzen und begründen, warum sie seiner Ansicht nach nicht gültig sind.

Ich behaupte, dat kannste nich vernünftig begründen, was tatsächlich gilt, zeigt sich im humanen ethischen Willen. Wennste dat widerlegen willst, musste begründen, warum wir uns seit etlichen tausend Jahren nach anderen Maßstäben richten als das Viehzeug - drunter akzeptiere ichs nicht.

So ganz kurz und knapp.

Gruß

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Hanspeter am Gestern, 16:15 Uhr
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Hallo Abrazo,

na, deine vorigen Beiträge waren ja wohl auch nicht gerade besonders zielstrebig. Aber zur Sache.

Alle deine drei Punkte kann man mehr oder weniger vernünftig begründen, leider kann man keinen als allgemeingültig beweisen.

Punkt 3 beschreibt die Realität. Und ich halte es im Moment für ziemlich unwahrscheinlich, dass du die real existierende Moral ändern kannst.

Punkt 2 ist ziemlich diffus. Aus dem "Menschsein" lässt sich alles mögliche begründen, übrigens auch das Führen von Kriegen.

Punkt 1 stimme ich zu, da ich von der persönlichen Freiheit viel halte. Auch hat die Gesellschaft ziemlich wenig Möglichkeiten, das dem Einzelnen zu verbieten.

Einen "humanen ethischen Willen" kann man wohl bei den meisten Menschen ausmachen, was er aber konkret bedeutet, ist von Mensch zu Mensch, vor allem aber von Kulturkreis zu Kulturkreis ziemlich verschieden.

Gruß HP

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Eberhard am Gestern, 17:14 Uhr
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Hallo allerseits,

unsere Frage ist, ob sich ein Mensch selbst zerstören darf und ergänzend dazu, ob man einen Menschen daran hindern darf oder soll, sich selbst zu zerstören.

Ich gehe einmal davon aus, dass Selbstzerstörung im Falle des Süchtigen einen Schaden für den Betreffenden und in der Regel auch für andere bedeutet. (Im Falle einer Selbsttötung muss dies nicht der Fall sein.)

Gibt es eine Lösung, die allgemein akzeptabel ist?

Eine Antwort wäre:

Jeder darf machen, was er will, sofern er nicht andere schädigt. Wenn sich jemand selbst zerstören will, dann geht das die andern nichts an, solange sie dadurch keine Nachteile erleiden. Wenn der Selbstzerstörer aber als arbeitsunfähiges gesundheitliches Wrack jahrelang auf Kosten der Allgemeinheit medizinische Hilfe, soziale Betreuung, Ernährung, Wohnung und Kleidung erhält, dann hat sein Verhalten negative Auswirkungen auf andere und diese haben entweder das Recht, ihn an der Selbstzerstörung zu hindern, oder sie dürfen ihm die Hilfe zu verweigern.

Eine andere, meines Erachtens nach bessere Antwort wäre:

Jeder darf grundsätzlich in den Angelegenheiten, die vor allem ihn selbst betreffen, tun und lassen, was er will. Es gibt jedoch Fälle, in denen die normale Fähigkeit des Menschen zur Selbststeuerung außer Kraft gesetzt ist und sein Handeln durch eine Sucht bestimmt wird.

Kriterium dafür, ob jemandem in diesem Sinne die normale Fähigkeit zur Selbststeuerung fehlt, ist letztlich sein eigenes Urteil nach der Befreiung von der Sucht. Er muss selber zu der Einsicht kommen, dass das, was er als Süchtiger wollte, nicht seinem eigentlichen Willen entsprach.

Dies Kriterium ist erst im Nachhinein anwendbar. Man kann jedoch in Kenntnis dessen, wie eine Sucht die eigene Persönlichkeit verändert - für den Fall, dass man selbst davon betroffen ist - bereits im Voraus andern bestimmte zeitlich begrenzte Rechte zur Einschränkung der eigenen Handlungsfreiheit geben (z.B. zum Zwangsentzug), sofern ernste Gefahren für die eigene Gesundheit und das eigene Leben bestehen.

Bei allen Risiken einer solchen Freiheitsbeschränkung halte ich eine solche Lösung (die im Einzelnen noch weiter entwickelt werden müsste) für grundsätzlich allgemein akzeptabel.

Soweit mein Vorschlag zur Diskussion. Es grüßt Euch Eberhard.

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am Gestern, 19:16 Uhr
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hallo,


on 09/13/05 um 17:14:27, Eberhard wrote:Jeder darf grundsätzlich in den Angelegenheiten, die vor allem ihn selbst betreffen, tun und lassen, was er will. Es gibt jedoch Fälle, in denen die normale Fähigkeit des Menschen zur Selbststeuerung außer Kraft gesetzt ist und sein Handeln durch eine Sucht bestimmt wird.

Kriterium dafür, ob jemandem in diesem Sinne die normale Fähigkeit zur Selbststeuerung fehlt, ist letztlich sein eigenes Urteil nach der Befreiung von der Sucht. Er muss selber zu der Einsicht kommen, dass das, was er als Süchtiger wollte, nicht seinem eigentlichen Willen entsprach.

Dies Kriterium ist erst im Nachhinein anwendbar. Man kann jedoch in Kenntnis dessen, wie eine Sucht die eigene Persönlichkeit verändert - für den Fall, dass man selbst davon betroffen ist - bereits im Voraus andern bestimmte zeitlich begrenzte Rechte zur Einschränkung der eigenen Handlungsfreiheit geben (z.B. zum Zwangsentzug), sofern ernste Gefahren für die eigene Gesundheit und das eigene Leben bestehen.

Bei allen Risiken einer solchen Freiheitsbeschränkung halte ich eine solche Lösung (die im Einzelnen noch weiter entwickelt werden müsste) für grundsätzlich allgemein akzeptabel.



ob das konsensfähig ist weiss ich nicht. logisch "covariant" ist es in jedem fall:

"Die Inquisition griff insbesondere zwei Argumente von Augustinus heraus:

* Einem Abtrünnigen den rechten Weg zu zeigen, wenn er diesen nicht gehen wolle, auch unter Zwang, sei ein Akt christlicher Nächstenliebe. Häretiker seien verirrte Schafe, die die kirchlichen Hirten notfalls mit Stock und Knüppel wie züchtigende Eltern gegenüber dem Kinde zur Herde zurückführen würden. Folter sei legitim, da sie nur das sündige Fleisch, nicht aber die Seele schädige. In der Konsequenz sei es besser, die Häretiker zu verbrennen, als „in den Verirrungen zu erstarren“. Die Häretiker „töten die Seelen der Menschen, während die Obrigkeit nur ihre Leiber der Folter unterwirft; sie rufen ewigen Tod hervor, aber beklagen sich dann, wenn die Behörden sie dem zeitlichen Tod überantworten“.
* Die Androhung der Folter stelle den Häretiker nachdrücklich vor die Entscheidung, entweder in seiner Verirrung zu verharren sowie den „Feuerofen der Qual“ samt dem Verlust des Lebens in Kauf zu nehmen. Liebe und Vertrauen zu Gott und in die einmal erkannte Wahrheit dürfte hier die einzig glaubwürdige Motivation sein, siehe auch: "Die drei Männer im Feuerofen", Daniel Kap. 3, V. 17.18, wo es heißt: "Wenn unser Gott, den wir verehren, will, so kann er uns erretten; aus dem glühenden Ofen und aus deiner Hand, o König, kann er erretten. Und wenn er`s nicht tun will, so sollst du dennoch wissen, dass wir deinen Gott nicht ehren und das goldene Bild, das du hast aufrichten lassen, nicht anbeten wollen." Die Alternative war „klüger zu werden“, um in den Schoß der Kirche zurückzukehren."

(wikipedia)

was man mit einer einmal "erkannten wahrheit" nicht alles machen kann...aber sicher war die inquisition nur moralisch und nicht ethisch...

gruss

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Abrazo am Gestern, 21:43 Uhr
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Hi, zusammen,

Hanspeter meint:

Einen "humanen ethischen Willen" kann man wohl bei den meisten Menschen ausmachen, was er aber konkret bedeutet, ist von Mensch zu Mensch, vor allem aber von Kulturkreis zu Kulturkreis ziemlich verschieden.
Ich bezweifle das (mal abgesehen davon, dass ich nicht weiß, was mit 'konkret bedeutet' gemeint sein soll). Zumal, wenn wir über den humanen ethischen Willen gar nichts genaues wissen, können wir ihn ja wohl schlecht so oder so anderen zu- oder absprechen.

Die Moral, die ich hier das Bemühen nenne, Ethik, gesellschaftliche und individuelle Vorstellungen und Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen, ist zweifellos je nach Kultur verschieden. Aber ob das die Ethik als eine Komponente der Moral auch ist, ist nicht ausgemacht.

Hinzu kommt: der ethische Wille meldet sich offenbar recht unterschiedlich. Er scheint von Bedingungen abhängig zu sein. Diese Erfahrung ist offenbar so ziemlich allen Kulturen vertraut. In allen Kulturen, von denen ich gehört habe, gibt es Religionen. In allen gibt es göttliche oder dämonische Mächte, die angeblich strafend eingreifen, wenn einer unmenschlich, also unethisch, handelt. Was impliziert, dass in allen Kulturen unmenschlich und unethisch gehandelt wurde. Was aber auch impliziert, dass man stets Probleme hatte, der Ethik einen vernünftigen Grund zu geben; also verwies man ihren Ursprung an eine transzendente Instanz.

Folgende Überlegungen zur Diskussion gestellt:
Der ethische Wille richtet sich gegen als sinnlos erkannte Zerstörung, vor allem (aber nicht nur) von Menschlichem. Sinnlos heißt, die Handlung führt zu keinem notwendigen / wichtigen / erstrebenswerten, meinetwegen guten Ziel, entweder, weil die Handlung nicht dazu taugt, oder weil das Ziel nicht als solches anerkannt ist. Damit richtet der ethische Wille sich auch gegen die Selbstzerstörung, sowohl gegen die eigene Selbstzerstörung als auch gegen die anderer. Die sinnlose: Pater Maximilian Kolbes Quasi-Selbstzerstörung oder Sokrates sein Schierlingsbecher galten nicht als sinnlos.

Der ethische Wille setzt damit voraus, dass Ziel und/oder Handlung als sinnlos erkannt werden. Das setzt nicht nur 'eingeschaltetes' Bewußtsein voraus, sondern auch, zeitübergreifend, also über den Moment hinaus zu denken (z.B. dass einer, den man jetzt tot schlägt, auch morgen noch tot ist) und umfassend zu denken, im Extremfall die ganze Welt als Objekt zum Subjekt anzuschauen. Eine Perspektive, von der aus Kant mit seinem kategorischen Imperativ kommt. Was ich nämlich nicht als Folge meiner Handlung bedenke, weil ich diesen Komplex aus meinen Überlegungen ausklammere, gegen das kann sich auch nicht der ethische Willen wenden. Kurzsichtiges Denken kennen wir alle. Scheuklappendenken sozusagen. Typisch heutzutage der Bomberpilot. Für den existieren die Menschen, die unter seinen Bomben sterben, gar nicht. Folglich kann er, wenn er nach militärischer Vorschrift denkt, auch gar keine ethischen Probleme bekommen.

Daraus würde sich eine menschliche Pflicht ergeben, sich um wahre Erkenntnis zu bemühen.

Gruß

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von doc_rudi am Gestern, 23:40 Uhr
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Hallo Hanspeter,
Du batest mich, mein Verständnis von Ethik und Moral einmal zu erläutern. Dies würde die Diskussion hier sprengen, deshalb habe ich das in einen anderen thread gestellt: http://www.philtalk.de/msg/1083137042-135.htm#137
Die Diskussion hier verfolge ich weiter und bin gespannt auf ein Ergebnis. Wie aber schon gesagt, haben wir in meinen Augen derzeit bereits eine vernunftbegründete Ethik, die man einfach als Regelwerk oder Spielregeln des Zusammenlebens betrachtet sollte. Ich versteh zwar jetzt Deine Emotionalität, Abrazo, möchte Dich aber bestärken, von Foerster (das war doch dein Idol?) noch besser umzusetzen.
Du führst einen ethischen Willen ein? ist er angeboren oder erworben?
Sich um wahre Erkenntnis zu bemühen, ist keine Pflicht, sondern ein Wunsch, ein Interesse, das der Selbsterhaltung entspringt.
Gruß
rudi


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Hanspeter am Heute, 01:52 Uhr
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Hallo an Alle,

@abrazo:

Konkret heißt bei mir "in einer gegebenen Situation", im Gegensatz zu abstrakt.
Beispiel: Alle Moralen haben sich auf ein abstraktes Tötungsverbot geeinigt, doch im konkreten Fall des Verbrechers, Vaterlandsverräters, Häretikers usw. gibt es dann erhebliche Unterschiede.

Wenn du Moral und Ethik unterschiedlich gebrauchst, bitte ich um eine kurze Definition bzw. Unterscheidung der beiden Begriffe. Wie bekannt wird das in der Fachliteratur ja nicht einheitlich gehandhabt.

Zu deinen Überlegungen. Du schreibst:
"Der ethische Wille richtet sich gegen als sinnlos erkannte Zerstörung, vor allem (aber nicht nur) von Menschlichem."

Richtig, etwas Sinnloses macht niemand. Der Clou ist ja, dass diejenigen, die zerstören (sich selbst oder andere) dieses für sinnvoll halten. Da kannst du noch so oft deinen Kant aus der Tasche holen. Ein Augustinus (danke Psi!!) sah eben Krieg und Folter als gerechtfertigt an, um den Gläubigen zu "retten".
Warum? Weil für Augustinus - und im Prinzip gilt das für jeden echten Christen - der wahre Glaube wichtiger war, als das individuelle Leben.
Die Bestrebungen eines "ethischen Willens" hängen eben davon ab, was man als höchstes Ziel des Daseins definiert hat. Und diese Definitionen sind abhängig vom Kulturkreis.
Wann kapieren die Ethiker das endlich?

Also, niemand zerstört sinnlos. Wenn ein Menschenleben (das eigene oder andere) zerstört wird, dann gibt es dafür Gründe. Und die sind zeit- und kulturabhängig.
Amen. [smash] [cheesy]

Gruß HP


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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von psi am Heute, 01:59 Uhr
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on 09/14/05 um 01:52:20, Hanspeter wrote:Da kannst du noch so oft deinen Kant aus der Tasche holen.



...obs wohl sowas wie neokantianer gibt? nur so ein bauchgefühl...

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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von homo_sapiens am Heute, 09:52 Uhr
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.... auf dieser ver kommenen welt sind fast alle süchtig
und damit selbst zer störerisch !

weil es für sie keine sicht bare hoffnung gibt ...........



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Titel: Re: Darf man sich selbst zugrunde richten?
Beitrag von Eberhard am Heute, 10:04 Uhr
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Hallo Abrazo, hallo Hanspeter,

eine kurze Vergewisserung zum Stand der Diskussion. Die Fragestellung lautet (eingeengt auf den Süchtigen): Darf ein Mensch sich selbst zerstören? Dürfen oder sollen andere ihn daran hindern?

Auf diese Frage suchen eine gemeinsame, möglichst dauerhafte Antwort. Die bestehenden Differenzen zwischen unseren Antworten wollen wir durch Argumente auflösen. (Leute, die sich in geistreichen Zwischenbemerkungen gefallen, und notorische Quälgeister bleiben dabei außen vor.)

Ich kann in der Diskussion bisher folgende Positionen zur Selbstzerstörung erkennen:
(Bitte ergänzen!)


Position1:

Ein Mensch darf sich nicht selber zerstören und man darf nicht untätig zusehen, wie ein Süchtiger sich selbst zerstört. Man darf und soll ihn daran hindern, notfalls durch zeitlich begrenzten Zwangsentzug.

In der Begründung lassen sich zwei Positionen unterscheiden:

Position 1a:

Diese Antwort ist Ausdruck des ethischen Wollens, das in mir (und auch in anderen?) ist.

Position 1b:

Zwangsentzug ist auch gegenüber dem Süchtigen zu rechtfertigen, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der ehemals Süchtige nach der Überwindung der Sucht dem Zwangsentzug nachträglich selber zustimmen wird.

Position 2:

Erwachsene Menschen sollten in ihrer Selbstbestimmung niemals eingeschränkt werden, auch wenn sie sich selber zerstören. Voraussetzung ist jedoch, dass sie dadurch anderen nicht zur Last fallen. Sie haben deshalb keinen Anspruch auf Hilfe, es sei denn, diese Hilfe wird von den Süchtigen über eine Drogensteuer selber getragen.

Position 3:

Wenn Menschen sich selbst zerstören, dann sind sie psychisch krank und brauchen eine Behandlung. Eine Zwangsbehandlung ist ein unzulässiger Eingriff in das Recht auf Selbstbestimmung. In jedem Fall haben die Süchtigen einen uneingeschränkten Anspruch auf Hilfe.

Gegenwärtig geht es wohl um eine Klärung dessen, was mit Position 1a gemeint ist.

Es grüßt alle Vordenker Eberhard.

p.s.: Ich muss wohl eine 2. Runde einläuten ...

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