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Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
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Ethik >> Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
(Thema begonnen von:
Eberhard am 20. März 2004, 21:15 Uhr)
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Titel: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 20. März 2004
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Hallo Allerseits,
wenn über Ethik, Moral, Gerechtigkeit oder ähnliches diskutiert wird, dann wird meistens gefragt: "Gibt es eine allgemeingültige Ethik?" Oder: "Gibt es moralische Normen, die absolut gültig sind?" Man sucht nach der "wahren" Moral - mit mehr oder (meist) weniger Erfolg.
Ich schlage stattdessen vor, das Problem einmal von der anderen Seite her anzugehen.
Ausgangsproblem sind bestehende Konflikte zwischen Einzelnen oder Gruppen. Um ein Beispiel aus dem Alltag zu nehmen: Karin übt Saxofon und ihr Nachbar Stefan will seine Ruhe haben.
Wenn man den Ausgang eines Konfliktes nicht durch die bestehenden Machtverhältnisse entscheiden lassen will, so muss man Regelungen (er)finden, die für alle Beteiligten (möglichst auf Dauer) einsichtig und akzeptabel sind.
Um es etwas professioneller auszudrücken: Benötigt werden Normen, die intersubjektiv (für jedes Subjekt) und intertemporal (zu jedem Zeitpunkt) konsensfähig (akzeptabel) sind.
Die Frage lautet in unserm Beispiel also: "Soll Karin das Recht haben, Saxofon zu üben? Und wenn 'ja', unter welchen Bedingungen darf sie das? Welcher Handlungsnorm können alle Beteiligten (am ehesten) zustimmen?"
Vorausgesetzt wird dabei nur, dass der Betreffende die vorgebrachten Argumente versteht und dass er das Ziel teilt, den Konflikt "einvernehmlich" zu lösen.
Damit stellt sich die entscheidende Frage, wie die zu (er)findenden Normen beschaffen sein müssen, damit sie allgemein akzeptabel sind? Lassen sich noch genauere Bedingungen oder Kriterien angeben, denen Normen oder deren Begründungen genügen müssen, um allgemein konsensfähig zu sein? Wann sind sie nicht konsensfähig?
Diese Frage soll Gegenstand der Diskussion sein und ich hoffe auf Eure Einfälle, Ideen und Kenntnisse für die Konstruktion (vielleicht auch die Re-Konstruktion) einer Moral, die allgemein akzeptabel ist und die jedem verständigen Menschen einsichtig gemacht werden kann.
Um deutlich zu machen, wo ich die Antwort suche, nenne ich als Bedingung für die allgemeine Konsensfähigkeit einer Norm, dass sie "unparteiisch" ist und "ohne Ansehen der Person" formuliert ist. Normen dürfen also niemanden besser oder schlechter stellen, nur weil es sich um diese Person handelt. Wenn Unterschiede in der moralischen Beurteilung zweier Handlungen macht, dann müssen diese in sachlichen Unterschieden der beiden Fälle begründet sein und nicht nur darin, dass es sich um verschiedene Personen handelt.
In der ethischen Literatur wird diese Bedingung meist als Bedingung der "Universalisierbarkeit" oder Anonymität diskutiert und wird unterschiedlich begründet. Für mich ergibt sich die Forderung nach der "Personunabhängigkeit" moralischer Normen als eine logische(?) Folge des Ziels, einen allgemeinen Konsens zu erreichen. Ist das schlüssig? Kann man weitere Folgerungen aus dieser Bedingung ziehen?
Eine Anmerkung zum Schluss. Das von mir vorgeschlagene produktive Zusammenwirken vieler Köpfe bei der Beantwortung einer Frage ist ein Versuch und ist vielleicht auch etwas ungewohnt in einer akademischen Landschaft, wo jeder sich gut verkaufen muss und eifersüchtig darauf achtet, dass ihm niemand seine Ideen z. B. für eine Magister- oder Doktorarbeit klaut. Aber im Philtalk wird ja jeder Beitrag gespeichert und damit steht fest, wer welche Ideen zuerst eingebracht hat, so dass die Gefahr des Ideenklaus gemildert ist. Ihr braucht mit Euren Lösungsvorschlägen - oder Euren Kritiken - also nicht hinterm Berg zu halten.
Auf eine produktive Auseinandersetzung hofft Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Sheelina am 20. März 2004, 21:48 Uhr
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Hallo Eberhard,
dann will ich mal den Versuch eines Anfanges starten.
Also Voraussetzung ist nicht den Blick auf die Personen selbst zu richten.
Dann
1. Es ist Ruhe gewollt.
2. Es wird laut gespielt.
3. Es gibt einen 24 Stunden-Tag
Gruß Lina
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Catullus am 20. März 2004, 21:59 Uhr
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Ich glaube, dass es für diesen (induktiven) Ansatz bereits jede Menge Regeln gibt, die der Volksmund parat hält und die bei der Kindererziehung immer wieder ausgesprochen wurden und werden:
" Sei nicht so egoistisch! Andere wollen auch ihren Spaß/ihre Ruhe!
Leben und leben lassen! Wollen wir mal sehen, wie die/der reagiert! Der/die wird sich schon rühren!"
Solche Sätze zielen darauf ab, das Interesse der Mitmenschen als gleichberechtigt neben das eigene zu stellen und sich von vornherein auf einen Ausgleich einzustellen. Wenn beide bzw. alle beteiligten Parteien sich so verhalten, müsste sich ein einvernehmlicher Ausgleich erzielen lassen. Weitere Voraussetzung: keiner darf vorbelastet sein.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 20. März 2004, 23:59 Uhr
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Hallo Lina,
welches ist Dein Vorschlag zur gewaltlosen Regelung von Konflikten? Kannst Du Deine Idee etwas ausführen?
Hallo Catullus,
Deiner Meinung nach müsste sich ein einvernehmlicher Ausgleich erzielen lassen, wenn jede Partei das Interesse der Mitmenschen als gleichberechtigt neben ihr eigenes Interesse stellt und sich von vornherein auf einen Ausgleich einstellt.
Dem stimme ich zu. Solange jeder nur seine eigenen Interessen im Auge hat und die Interessen der andern gar nicht berücksichtigt, kann kein Konflikt gelöst werden. Wenn jeder auf dem beharrt, was er will, kann es keinen Konsens geben. Deshalb sind Sätze wie: "Das ist richtig, denn es entspricht meinen Interessen" keine Argumente, die mit dem Anstreben eines Konsens vereinbar sind.
Du verlangst nicht nur irgendeine Berücksichtigung fremder Interessen sondern deren gleichberechtigte Berechtigung. Die Frage ist, wie man diese gleichberechtigte Berücksichtigung näher bestimmen kann.
Weiterhin stimme ich Dir zu, dass niemand für seine eigenen Interessen größeres Gewicht beanspruchen darf als für die Interessen der anderen, nur deshalb weil es die eigenen sind. Denn für den anderen gibt es keinen Grund, dieser Benachteiligung zuzustimmen. Damit haben wir schon einen wichtigen Schritt zur Konstruktion allgemein anerkennbarer sozialer Normen getan.
Du nennst eine zusätzliche Voraussetzung für das Erreichen des Konsens, dass keine Partei "vorbelastet" sein darf. Meinst Du damit, dass die Beziehungen zwischen den am Konflikt Beteiligten nicht bereits "vergiftet" sind und sich ein Verhältnis der Feindschaft herausgebildet hat?
Herzliche Grüße Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 21. März 2004, 00:22 Uhr
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Hallo Eberhard,
noch immer auf der Suche nach der Allgemeingültigen Moral, das Rawls-Fähnchen schwingend?
Aber du hast Recht, das Problem lässt sich an Alltagsfragen sehr viel besser in den Griff kriegen, als durch theoretische Debatten.
Also zum Problem. Normalerweise gibt es in jedem BRD-Haus eine Hausordnung, schließlich sind wir Deutsche ja für unsere Zwanghaftigkeit berühmt. Und da ist das Problem doch meistens geregelt. Hausmusik in einer akzeptablen Lautstärke (der TÜV hat sicher auch die entsprechenden db-Werte bereit) und von X Uhr morgens bis Y Uhr abends (unter Einbehaltung der Mittagsruhe) genehmigt.
Noch ein Wort zur "einvernehmlichen" Lösung. Einvernehmlich ist eine Lösung in einer Demokratie für mich dann, wenn die Mehrheit der Demokraten sie akzeptiert. Ob Karin und Stefan diese Lösung akzeptieren, ist zweitrangig, da es ja sein kann, dass einer oder beide nicht konsensfähige Charaktereigenschaften haben.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Sheelina am 21. März 2004, 01:14 Uhr
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on 03/20/04 um 23:59:07, Eberhard wrote:Hallo Lina,
welches ist Dein Vorschlag zur gewaltlosen Regelung von Konflikten? Kannst Du Deine Idee etwas ausführen?
Hallo Eberhard,
z. B. so oder ähnlich:
1. Das Problem als eigenes erkennen.
2. Alle Vorwürfe die man gegen den anderen hegt für sich selbst alleine aufschreiben, wenn rein gedanklich man zusehr belastet ist.
3. Nicht auf der Beantwortung der Fragen beharren, wenn erfahrungsgemäß immer nur die gleiche unbefriedigende Antwort kommt, die das eigene Problem nicht lösen kann.
4. Das eigene Problem nicht an dieser unbeantworteten Frage haften lassen.
5. Mit dem Denken (bzw. Aufschreiben) ein neues Problem kristallisieren.
6. Damit eine neue Frage stellen.
7. Die Frage stellen, evtl. eine Antwort bekommen und das ursprüngliche Problem ist kein zwischenmenschliches mehr, vielleicht sogar gar kein Problem mehr.
Gruß Lina
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 21. März 2004, 20:30 Uhr
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Hallo Hanspeter,
freut mich, dass Du Dich beteiligst. Du siehst mich immer noch auf der Suche nach der "allgemeingültigen Moral". Da liegst Du nicht ganz falsch, allerdings gehe ich das Problem nicht auf die übliche Weise an, bei der man sich schnell in unfruchtbare Fragen verliert wie: "Was ist Moral im Unterschied zu Ethik?"
Stattdessen schlage ich vor, von dem Problem auszugehen, für das die Moral zuständig ist, nämlich Interessenkonflikte zu regeln, und zu fragen: Wie lassen sich Interessenkonflikte so regeln, dass diese Regelungen von allen Beteiligten zwanglos akzeptiert werden können. Wenn wir zu Antworten kommen, dann haben wir alles was wir brauchen, ob man das nun "Moral" nennt oder nicht.
Die Fragestellung ist:
" Vorausgesetzt, alle Beteiligten verfolgen das gemeinsame Ziel, sich ohne Anwendung von Zwang auf Normen zur Regelung ihrer Konflikte zu einigen, welche Konsequenzen lassen sich dann aus diesem Ziel für die Begründung und den Inhalt der gesuchten Normen ableiten? Welche Argumente und Norminhalte sind mit diesem Ziel vereinbar und welche nicht?"
Ein erstes Ergebnis war: Wenn jeder an seinen eigenen Interessen festhält und diese ohne Abstriche durchsetzen will, ist eine Einigung nicht möglich. Daraus ergibt sich als Konsequenz die Forderung, den individuellen – oder auch kollektiven - Egoismus aufzugeben.
Eine zweites Ergebnis war: Wenn jemand ohne sachlichen Unterschied schlechter gestellt wird als ein anderer, so kann er nicht zustimmen. Daraus ergibt sich als Konsequenz die Forderung, dass alle Argumente und Normen unabhängig davon formuliert werden, um welche Personen es sich handelt.
Wie man sieht, ist die hier angewandte Argumentation eher deduktiv schlussfolgernd als induktiv:
Gegeben sind die Menschen mit ihren widerstreitenden Interessen,
gegeben ist das Ziel, zu einer Einigung zu gelangen und
gegeben ist der Verzicht auf Zwang, um jemanden zur Zustimmung zu bewegen.
Aus diesen Prämissen werden dann Konsequenzen abgeleitet. Das Beispiel des störenden Musizierens dient dabei der Veranschaulichung des Problems.
Aber Schluss mit den etwas spröden methodischen Überlegungen und zurück zu dem konkreten Problem, wie ein Konsens hergestellt werden kann. Wenn ich Dich richtig verstanden habe, so ist die von Karin und Stefan verlangte Einigung Deiner Ansicht nach bereits vorgegeben in Form einer rechtlich verbindlichen Hausordnung (oder Lärmschutzverordnung).
Dein Argument macht deutlich, dass das Problem durch die Existenz einer Rechtsordnung kompliziert wird. Allerdings wird mit dem Verweis auf geltendes Recht nicht notwendigerweise Konsens hergestellt. Denn man kann ja fragen: "Warum soll ich mich denn an die geltenden Gesetze halten?" Und wenn auf die Mehrheit im gesetzgebenden Bundestag verwiesen wird, so stellt sich die Frage, warum man sich einer Parlamentsmehrheit beugen soll. Der Verweis auf das geltende Recht ist also kein zwingendes und damit Einigkeit herstellendes Argument, da das Recht selber der Rechtfertigung bedarf.
Um die Diskussion möglichst übersichtlich zu halten, schlage ich vor, die Rechtsordnung erstmal auszuklammern. Dies wäre z. B. der Fall, wenn Stefan Schichtarbeiter ist und tagsüber schlafen muss, so dass er durch die rechtlichen Normen nicht hinreichend geschützt ist. Welche Möglichkeiten siehst Du, unter diesen Bedingungen zu einem Konsens bei der Regelung des Konflikts zu kommen?
Mit dieser Frage will ich erstmal Schluss machen. Es grüßt Dich Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Catullus am 21. März 2004, 23:08 Uhr
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Servus Eberhard,
deine 1. Frage war, wie man die gleichberechtigte Berücksichtigung des fremden Interesses bestimmen kann. Von genauer Bestimmung kann im moralischen Kontext wahrscheinlich keine Rede sein. Der Prüfstein ist, ob alle mit einem Zustand leben können.
Ich denke, die Einstimmung auf einen lebbaren Zustand verläuft in Schritten.
1. Wer im Mietshaus Saxophon üben will und vom gleichberechtigten Interesse des Nachbarn ausgeht, wird ihn darauf vorbereiten, sich beim Üben lautstärkemäßig zurückhalten und auf Reaktionen warten.
2. Wenn es Beschwerden gibt, wird man noch einmal darüber sprechen, sich evtl. noch weiter zurückhalten, sich eine Entschädigung ausdenken etc.
3. Wenn es wieder Beschwerden gibt, wird man prüfen, ob es sich lohnt, unter diesen Umständen trotzdem weiterzumachen, ob man aufgeben soll, ob man einen Dritten zu Hilfe holt.
Deine 2. Frage war die nach der Bedeutung von "vorbelastet". Ich meinte damit, dass man schwerlich vom gleichberechtigten Interesse des Anderen von Anfang an ausgehen kann, wenn man annehmen muss, dass der Andere das nicht tun wird. Denn davon lebt das System, dass alle Beteiligten mitmachen und jeder das weiß. Vorbelastet in diesem Sinne ist auch jeder, dessen Bereitschaft ausgenützt wurde als Durchsetzungsschwäche. Vorbelastet sind weiterhin Menschen, denen als Kinder Egoismus vorgelebt wurde.
karl
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 21. März 2004, 23:09 Uhr
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Hallo Eberhard,
deine Intention, diese Problematik zu behandeln, gefällt mir. Besonders auch die praktische Orientierung.
Ob wir mit der Ausklammerung der Rechtsordnung weiter kommen, scheint mir fraglich. Schließlich ist ja der Sinn einer Rechtsordung, dass man dergleichen Konflikte bereits allgemeingültig (allgemen meint hier für den Gültigkeitsbereich des Rechts) gelöst hat. Wenn also die Beteiligten sich überhaupt die Frage stellen, warum sie sich an ein gültiges Recht halten sollen, dann muss diese zuerst geklärt werden, denn sonst besteht ja auch kein Grund, sich auf einen Kompromiss einzulassen,den ein Kleingruppe erstellt.
Aber du hast Recht, solche vorgegebenen Ordnungen sind oft genug einer speziellen Problematik nicht gewachsen, wie dein Beispiel Schichtarbeiter zeigt. Grundsätzlich sind ja zur Lösung solcher Konflikte unsere Gerichte zuständig, und im Prinzip machen wir hier das, was ein Richter auch macht: Mittels des gegebenen Rechts den gebenen Fall zu lösen.
Voraussetzung dazu ist zunächst einmal eine Kompromissbereitschaft von allen Seiten. Wenn also, um ein Extrembeispiel zu nehmen, Karin nur zu der Zeit anwesend sein kann, zu der Hausmusik verboten ist, Stefan aber genau zu dieser Zeit schlafen will und nicht kompromissbereit ist, gibt es keine Lösung außer der des geltenden Rechts. Das ist dann eben so, wenn sich jemand "auf den Rechtsstandpunkt" stellt.
Also, ich denke, wir müssen gelten lassen: Bei mangelnder Konsensbereitschaft m u s s das Recht gelten.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Sheelina am 21. März 2004, 23:30 Uhr
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on 03/21/04 um 23:09:57, Hanspeter wrote:Bei mangelnder Konsensbereitschaft m u s s das Recht gelten.
Gruß HP
Ob nun muss oder kann möchte ich mal so dastehen lassen. Aber es gibt auch viele Fälle, da gibt es überhaupt noch kein Recht. Für den genannten Fall wird es eine Hausordnung geben, die durchaus Rechtscharakter hat. Da ist es dann leicht.
Lina
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Sheelina am 22. März 2004, 06:35 Uhr
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Außerdem gibt es für das Beispiel von Eberhard für Ruhezeiten meines Wissens schon Gesetze, die finden sich glaub ich im Mietrecht. Allerdings würde ich dieses nicht unbedingt als Verbotsgesetz bezeichnen, in dem Sinne, dass sich jeder unbedingt dran halten muss, denn ich sehe es als ein Gesetz für den Konflikt- bzw. Unsicherheitsfall. Wenn man sich anders einig sein kann, spricht dagegen nichts. Von daher muss ein Gesetz nicht unbedingt gleichbedeutend sein mit einer allgemeingültigen Moral, was aber oft so falsch verstanden wird.
Eberhard, ich bin mir nicht mehr sicher, was Du überhaupt möchtest. Weitere Regeln und Gesetze für den Einzel- bzw. Konfliktfall, oder eine Norm oder Normen, die sich für alle dahingehend auswirkt, dass es gar nicht mehr erst zum Konfliktfall kommt. Quasi eine exakte Einteilung von Raum und Zeit? Immanuel Kant kam mit dieser Weise zu leben sicherlich gut zurecht, Problem sind nur unvorgesehene Ereignisse die das ganze verschieben könnten, das machte selbst Kant nervös. Man müßte ja quasi eine gewisse Zeit oder einen gewissen Raum freihalten für eben solche Fälle. Aber was macht man mit dieser Zeit und mit diesem Raum, wenn er gerade nicht benötigt wird als Ventil sagen wir, wobei es gleichermaßen nicht dazu kommen dürfte ihn als dauerhafte Belegung festzulegen, aber auch nicht zum zusätzlichen Konfliktfall führen dürfte. Dahingehend würde keine Moral mehr bestimmen, sondern einfach Raum und Zeit. Wobei natürlich dann die Klärung zur Frage der Freizeit gestellt werden müßte. Dieser Begriff "Freizeit" birgt doch schon eigentlich die Lösung eines Konfliktfalles, sowie auch die Assoziation, wenn Raum und Zeit bestimmt, dass der Mensch in seiner Freiheit eingeschränkt wird. Ich denk mal drüber nach ...
Gruß Lina
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von ffloo am 22. März 2004, 14:31 Uhr
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hallo miteinander
allgemein konsensfähige Moral.
mein vorschlag:
kein individuum darf die freieheit eines anderen individuums einschränken.
-->kein individuum hat die freiheit die freiheit eines anderen individuums einzuschränken
-->die freiheit eines jeden individuums ist eingeschränkt (was nicht die einzig mögliche schlussfolgerung ist, aber ich beschränke mich jetz mal auf diese).
die art und weise der einschränkung jedes individuums gibt die aufzufindende universalmoral vor. ich denke, dass das obige prinzip äquilvalent zu dem kantschen moralprinzip ist: handle stehts nach solchen prinzipien, die jederzeit zu einem allgemeingültigen gesetz formuliert werden können.
das auffinden einer solchen universalmoral liegt demnach im auffinden der definition von freiheit.
was ist freiheit?
Ich wioll ein beispiel angeben um klar zu machen, weshalb mir nicht ganz klar ist was freiheit ist:
ein wissenschaftler entdeckt ein naturgesetz, das UNTER ANDEREM die konstruktion einer schrecklichen massenvernichtungswaffe ermöglicht. der wissenschaftler ahnte jedoch zum zeitpunkt der entdeckung der theoretischen grundlage noch nichts von den konsequenzen. im zuge der diskussion um die verantwortung der wissenschaft ist mittlerweile klar geworden, dass man nicht einfach so munter vor sich hinforschen darf ohne einen gedanken an die konsequenzen zu verschwenden. im obigen fall waren jedoch die konsequenzen nicht absehbar, sodass man dem wissenschaftler keine direkte schuld an den folgen des einsatzes der nun realisierbaren massenvernichtungswaffe gebenm kann. aber der wissenschaftler in deisem beispiel ist dennoch die indirekte, entscheidende ursache für einen solchen holocaust (ich gehe davon aus, dass es zum einsatz der waffe kommt). hier ist die schuldfrage offenbar verzwickt und unübersichtlich. mein lösungsvorschlag hierzu ist dieser: der wissenschaftler greift mit seiner erkenntnis in des individuelle entscheidungspotential der menschheit ein. will heissen der wissenschaftler nimmt der menschheit die freiheit sich vor solchen erkenntnissen zu bewahren, die das überleben der menschheit langfristig gefährden. man kann auch sagen mit der veröffentlichung seiner erkenntnis zwingt der wissenschaftler die menschheit in folge der verlockung seiner erkenntnis sich damit zu befassen und damit liegt es auch im bereich der verantwortung des wissenschaftlers was psychopathen mit grosser politischer macht mit der möglichkeit eine entsprechende waffe zu bauen und einzusetzen anfangen. somit trägt zwar der wissenschaftler keine unmittelbare verantwortung bezüglich der konsequenzen des einsatzes der fraglichen waffe, aber er ist verantwortlich bezüglich der verbreitung seiner erkenntnisse, da er damit die menschheit ihrer eigenen schwäche im schlimmsten fall auf gedeih und verderb ausliefert. andererseits kann man sagen, dass er der menschheit die freiheit nimmt, neue technologieen zu entwickeln um das überleben effektiver sichern zu können, wenn er seine erkenntnis der menschheit vorenthält. nehmen wir an, die erkenntnis des wissenschaftlers liefert sowohl das potential eine grauenvolle waffe herzustellen, als auch solches, die energieprobleme der menschheit zu lösen. wie soll der wissenschftler nun handeln, um dem grundsatz "kein individuum darf die freieheit eines anderen individuums einschränken" gerecht zu werden? die lösung dieses problems liegt offenbar in der definition von freiheit. also was ist freiheit?
mfg flo
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 22. März 2004, 21:40 Uhr
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Hallo allerseits,
aus der Fülle offener Fragen kann ich nur wenige herausgreifen. Wichtig scheint mir das Problem psychischer Barrieren gegen eine einvernehmliche Einigung zu sein, das von Catullus (" vorbelastete" Individuen) und Hanspeter (" nicht konsensfähige Charaktereigenschaften", "nicht kompromissbereite", "nicht konsenswillige" Individuen) angesprochen wurde.
Hanspeter, Du schreibst, dass Kompromissbereitschaft auf allen Seiten eine Voraussetzung jeder Lösung ist. Dem stimme ich zu. Der Wille zur Einigung impliziert meines Erachtens die Bereitschaft, mögliche Abstriche an der Befriedigung der eigenen Interessen zu akzeptieren, denn bei widerstreitenden Interessen können logischer Weise nicht alle Interessen befriedigt werden. Wer diese Möglichkeit nicht akzeptiert, der will also nicht die Einigung. Wer aber die Einigung nicht will, hat sich damit gegen allgemein anerkennbare Normen entschieden. Folglich kann er selber für die von ihm vertretenen Normen vielleicht Gehorsam erzwingen. Er kann jedoch nicht beanspruchen, dass diese Normen irgendwie "richtig" und damit einsichtig und frei anerkennbar seien. Die Ebene der Diskussion und Argumentation hat er aufgegeben.
Er wirft damit zwar praktische Probleme auf. Dafür ist jedoch eher der Psychologe, der "Mediator" oder im äußersten Fall die Polizei zuständig, nicht jedoch philosophisches Nachdenken.
Die Suche nach einer Konfliktlösung, die für alle anerkennbar ist, die sich einigen wollen, muss jedoch nicht deshalb beendet werden, weil jemand sich NICHT einigen will. Denn man kann einen Fall ja auch ohne die real Betroffenen diskutieren (und unabhängig von einem eventuell eingeleiteten Gerichtsverfahren, das Hanspeter wohl als einzige Konsequenz sieht.)
In unserm Beispiel müsste man die Interessen beider Seiten gegeneinander abwägen. Um eine andere Terminologie zu benutzen, kann man auch von einer "Güterabwägung" sprechen. Hier steht das Interesse an musikalischer Freizeitbetätigung gegen das Interesse an ungestörtem Schlaf. Welches Gut hat Vorrang? Wie kann man dies entscheiden? Catull ist wohl hinsichtlich der Beantwortbarkeit dieser Fragen skeptisch und hat deshalb ein praktisches Verfahren der schrittweisen Annäherung vorgeschlagen.
Ich will hier erstmal abbrechen und hoffe, dass ich auf die anderen Vorschläge und Fragen demnächst eingehen kann.
Bis dann Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 23. März 2004, 00:55 Uhr
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Hallo Eberhard,
das mit den anderen Fragen mag noch Zeit haben, denn dies ist ein wichtiges Problem. Du schreibst darüber, "Dafür ist jedoch eher der Psychologe, der "Mediator" oder im äußersten Fall die Polizei zuständig, nicht jedoch philosophisches Nachdenken."
Ich fürchte, auch der Philosoph wird sich damit beschäftigen müssen, sofern er eine a l l g e m e i n g ü l t i g e Lösung anstrebt. Es ist ja nicht einfach der "Böse Wille", sondern es sind grundsätzliche Charaktereigenschaften, um die es hier geht und die auch der Philosoph nicht ignorieren kann. Ein narzisstisch strukturierter Mensch wird eben mit "einvernehmlichen Lösungen" vom Prinzip her Probleme haben, für einen phobisch strukturierten Menschen wird das kaum ein Problem sein.
Das ist ja auch das Grundprinzip der Demokratie, nämlich die Einsicht, dass einvernehmliche Lösungen utopisch sind, weshalb sie auf Mehrheitslösungen setzt.
Natürlich können wir hier, wie wir das schon früher einmal versuchten, einen idealen und einsichtsfähigen Menschen erschaffen, der bereit ist, die verünftigste Lösung, die es sicher gibt, zu finden und zu tragen. Dann lassen wir den "Uneinsichtigen" eben außen vor. Aber es gibt ihn.
Zum Problem selbst. Richtig, es gibt eine Güterabwägung. Diese hat, sozusagen stellvertretend für Normalmenschen, die Hausordnung ja bereits getroffen. Für Sonderfälle gibt es 2 Möglichkeiten. Die Kontrahenden einigen sich, weil sie einsichtige Menschen sind oder sie einigen sich nicht, dann muss der Kadi entscheiden. Der ist ja berufsmäßig einsichtig.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 23. März 2004, 13:18 Uhr
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Hallo allerseits,
zur Beantwortung Deiner Frage, Lina, hier noch einmal die Problemstellung:
Wenn man den Ausgang eines Konfliktes nicht durch die bestehenden Machtverhältnisse entscheiden lassen will, so muss man Regelungen (er)finden, die für alle Beteiligten (möglichst auf Dauer) einsichtig und akzeptabel sind.
In den vergangenen Beiträgen wurde dann versucht, genauere Bedingungen oder Kriterien anzugeben, denen Normen oder deren Begründungen genügen müssen, um allgemein konsensfähig zu sein. Es wurde gefragt: Was ergeben sich für Konsequenzen aus dem gemeinsamen Willen zum Konsens?
Bisher unbestritten waren folgende Konsequenzen:
Wer den Konsens will, der muss ohne Ansehen der Person argumentieren. Wenn Unterschiede in den Rechten und Pflichten der Individuen gemacht werden, dann müssen diese auf sachlichen Unterschieden beruhen und nicht nur darauf, dass es sich um verschiedene Personen handelt.
Wer den Konsens will, der darf nicht "parteiisch" oder "egoistisch" argumentieren.
Wer den Konsens will, der muss die Interessen aller Individuen gleichberechtigt berücksichtigen.
Wer den Konsens will, der muss bereit sein, mögliche Abstriche an der Durchsetzung seiner Interessen zu akzeptieren.
Und ohne dies hier weiter zu begründen, füge ich noch weitere denkbare Konsequenzen des Willens zum Konsens hinzu:
Wer den Konsens will, der darf keine Unterschiede in den Rechten und Pflichten der Individuen machen, die auf sachlichen Unterschieden beruhen, die für die Frage der Zustimmung oder Ablehnung zu einer Norm irrelevant sind. (z. B. die Haarfarbe)
Wer den Konsens will, der muss dazu bereit sein, diejenigen Rechte, die er für sich selber beansprucht, auch allen andern in vergleichbarer Lage zuzugestehen.
Wer den Konsens will, der darf die vorgeschlagenen Normen nicht nur von seiner Interessenlage her beurteilen, sondern er muss sich auch in die Lage der anderen hineinversetzen und fragen, ob die Norm auch aus deren Interessenlage akzeptiert werden kann.
Wer den Konsens will, der muss bereit sein, eine Norm auch dann zu akzeptieren, wenn er in der schlechteren Position bei der Anwendung dieser Norm wäre.
Wer den Konsens will, der darf anderen nicht größere Opfer zumuten als er selber zu tragen bereit ist.
Wer den Konsens will, der darf nicht mit Prämissen argumentieren, die er nicht in Frage stellen lässt oder die von anderen nicht überprüft werden können.
Wer den Konsens will, der muss prinzipiell bereit sein, Argumente zu akzeptieren, gegen die er keine Einwände vorbringen kann. Und er muss bereit sein, aus diesen Argumenten auch die logischen Konsequenzen zu ziehen.
Wer den Konsens will, muss sich um eine verständliche Sprache bemühen.
Mit dieser sicherlich noch korrekturbedürftigen und erweiterbaren Aufzählung will ich Dir, Hanspeter, deutlich machen, dass es fruchtbar sein kann, die logischen Implikationen des Konsenskriteriums noch weiter zu entfalten. Ich denke, dass hier z. B. einiges zum Thema "Gerechtigkeit" herauskommt.
Trotzdem gebe ich Dir darin recht, dass es (konsensfähige !) Gründe gibt, eine Entscheidung zu treffen und Normen zu setzen, obwohl die Argumentation noch keine allgemeine Übereinstimmung der Meinungen erbracht hat.
Ein Grund hierfür besteht darin, dass es viele Fragen gibt, die von unserem bestehenden Erkenntnisstand aus nicht definitiv beantwortet werden können, so dass verschiedene Meinungen zu diesen Fragen rational "vertretbar" sind. In diesem Fall kann die Entscheidung nicht durch inhaltliche Argumentation getroffen werden, sondern muss durch ein anderes geeignetes Verfahren getroffen werden.
Außerdem müssen viele Konflikte kurzfristig entschieden werden. Stefan kann nicht warten, bis der "Streit der Gelehrten" zum Ende gekommen ist, dann ist er vielleicht schon krank von dem Lärm. Die theoretische Diskussion kennt jedoch keine zeitliche Begrenzung. Sie fragt sogar noch im Nachhinein, ob eine bestimmte Entscheidung inhaltlich richtig war.
Insofern sind wir uns einig, dass der durch Argumente erzielte Konsens durch andere Entscheidungsverfahren, z. B. Gerichte, ergänzt werden muss. Ich habe nur aus Gründen der Übersichtlichkeit dafür plädiert, die Diskussion der normsetzenden Institutionen später zu führen (wozu ich den Titel der Runde dann wohl auch erweitern müsste in "Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Gesellschaftsordnung" ). Aber wir können natürlich auch gleichzeitig an mehreren Fasern des Threads weiterstricken.
Soviel fürs Erste von Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 23. März 2004, 14:26 Uhr
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Hallo Eberhard,
deine Konsensliste überzeugt mich, ich denke, zum Thema Konsens besteht Konsens. Und für die nicht Konsensbereiten gilt nach W. Busch: "Wer nicht auf gute Gründe hört, dem werde einfach zugekehrt, die Seite, welche wir benützen, um drauf zu liegen und zu sitzen."
Damit bewegen wir uns also in Richtung Normen. Ich vermute einmal, eben an jenem konkreten Beispiel. Wir wollen es auch nicht durch die gegebenen Machtverhältnisse (zB Hausordnung) lösen, sondern im Konsensgespräch. Sehe ich das richtig?
Wenn ja, könnten wir doch einen Dialog beginnen. Du vertrittst Karin oder Stefan, ich die Gegenseite. Was hältst du davon?
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 23. März 2004, 16:13 Uhr
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Bin einverstanden, Hanspeter. Ich würde den Part von Frau Karin S. übernehmen und Du den Part von Herrn Stefan P. Wir würden uns entsprechende Briefe unter der Wohnungstür durchschieben. Andere Interessierte können in geeigneten Rollen - ich denke da an Hausbewohner, Mitglieder des Ethikrates o.ä. - ebenfalls teilnehmen. Du bist der Beschwerdeführer Herr P. und darfst anfangen. Auf gehts Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 24. März 2004, 00:20 Uhr
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Hallo Eberhard,
Gut. Theoretisch bräuchten wir auch noch einen Moderator, aber entsprechende Moderationen kann jeder beitragen. Und selbstverständlich kann jeder Teilnehmer sich auf die Karin- oder Stefan-Seite schlagen.
Hallo Karin,
ich bin der Stefan, dein Nachbar. Ich bin Student, vormittags immer und am Di und Do auch nachmittags in der Uni. Und wenn ich zuhause bin, muss ich an meiner Diplomarbeit herummurksen.
Ich interessiere mich, wie du, auch für Musik, vorzugsweise E-Musik, höre sie aber ziemlich leise oder über Kopfhörer. Es freut mich, dass du dich auch für Musik interessierst, wenngleich Jazz nicht gerade mein Topthema ist. Doch selbst wenn du Mozart-Sonaten auf dem Klavier spielen würdest - man hört dich halt schon verdammt gut. Und wenn ich da vor meinen Computer brüte, dann stört das mächtig. Und vorgestern, so um 11 Uhr abends, da hats mich richtig aus dem Schlaf gerissen.
Ich denke, wir müssten uns mal zusammensetzen und über das Problem reden.
Gruß Stefan.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 24. März 2004, 01:45 Uhr
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on 03/21/04 um 20:30:39, Eberhard wrote:Ein erstes Ergebnis war: Wenn jeder an seinen eigenen Interessen festhält und diese ohne Abstriche durchsetzen will, ist eine Einigung nicht möglich. Daraus ergibt sich als Konsequenz die Forderung, den individuellen – oder auch kollektiven - Egoismus aufzugeben.
Das ist kein Ergebnis für mich. Ich werde niemals meinen Egoismus aufgeben. Das würde ja im Extremfall heißen, dass ich meinen Überlebenswillen aufgebe. Kommt nicht in Frage.
Es gibt aber eine Lösung für all diese Probleme. Sie können auf der Basis von Eigentum geklärt werden. Das ist zwar in Überlebensfragen auch nicht unumstößlich für den Betroffenen, aber das ist auch nur die Ausnahme für per se unlösbare Konflikte.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von altair am 24. März 2004, 07:49 Uhr
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Hallo Karin -
ich bin Frau Meier aus der Wohnung unter dir, und was du vielleicht nicht weißt, meine Mutter ist schwer krank.
Sie liegt seit Wochen im Bett und hat vielleicht nur mehr ein paar Monate zu leben. Es ist schon schwer genug, dass ich sehr viel Zeit aufbringen muss um sie zu pflegen, aber immer dann, wenn sie oder ich wieder ein paar Minuten eingenickt sind, reißt uns einer deiner Saxotöne wieder aus dem Schlaf.
Kannst du dir vorstellen, wei nervig das ist?
Wäre es nicht möglich aus Rücksicht auf deine Nachbarn auf das Saxophonspiel zu verzichten?
Entschuldige, wenn ich so direkt bin, aber meine Nerven sind sehr angespannt und dein Musikempfinden trägt nicht dazu bei dass es mir besser geht.
Susanne Meier
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Sheelina am 24. März 2004, 10:47 Uhr
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Die Idee ist nicht schlecht. Hat auch einen Namen "Erlebnispädagogik". Soweit ich das anhand Eurer Beispiele verstanden habe, schlüpft man also einfach aus der realen Situation in der man sich befindet hinaus und in der Annahme seiner Rolle in eine mögliche andere Realität hinein.
Gruß Lina
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 24. März 2004, 12:53 Uhr
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Hallo Ragnar,
Du akzeptierst nicht, dass Du Deinen Egoismus aufgeben sollst. Mit "Egoismus" war eine Position gemeint, die nur die eigenen Interessen berücksichtigt. Ein "Egoist" in diesem Sinne ist deshalb auch nicht bereit, Abstriche an der Durchsetzung seiner Interessen zu akzeptieren.
Jemand, der "an seinem Überlebenswillen festhält", ist deshalb noch kein Egoist in diesem Sinne.
Meine Frage an Dich ist, ob Du Dich auf ein Verfahren einlässt, das möglicherweise mit Abstrichen an der Durchsetzung Deiner Interessen verbunden ist. Wenn " ja", dann gibt es keinen Dissens zwischen uns.
Wenn "nein", dann behaupte ich, dass Dir der Wille zu einer zwanglosen Einigung im Falle von Interessenkonflikten fehlt – mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben.
Hier die Beweisführung für diese Behauptung:
1. Ein Interessenkonflikt besteht dann, wenn Individuen Interessen haben, die nicht zusammen realisiert werden können.
2. Daraus folgt, dass dieser Konflikt nur beseitigt werden kann, wenn mindestens eines der beiden Individuen Abstriche an der Durchsetzung seiner Interessen macht.
3. Der Anspruch, dass Du von vornherein derjenige bist, der keine derartigen Abstriche macht, ist für andere nicht akzeptabel.
4. Also musst Du bereit sein, mögliche Abstriche an der Durchsetzung Deiner Interessen zu akzeptieren, wenn Du eine zwanglose Einigung wirklich willst.
Soweit der Beweis, dass dem Egoisten der Wille zum Konsens fehlt.
Wer jedoch keinen Willen zum Konsens in Gestalt allgemein einsichtiger und akzeptabler Normen hat, der kann für die von ihm vertretenen Normen auch nicht beanspruchen, dass sie für andere einsichtig und akzeptabel sind. Er muss sich bei der Durchsetzung dieser Normen auf Zwang oder andere Motivationsquellen stützen .
Ist das schlüssig? fragt Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 24. März 2004, 17:32 Uhr
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Hallo allerseits,
Um die Sache nicht zu unübersichtlich werden zu lassen, sollten wir uns auf den Konflikt zwischen Karin und Stefan beschränken und hier nach Wegen zu einer einvernehmlichen Lösung suchen. Sofern weitere Personen mitreden, so sollten sie das als Beobachter tun und Stellung zu den von Karin und Stefan vorgebrachten Argumenten nehmen. Deshalb, altair, werde ich auf die Beschwerde von Frau Meier auch nicht reagieren.
So wie Hanspeter es vorgeschlagen hat, kann jeder in die Rolle von Stefan oder Karin schlüpfen und für sie argumentieren. Und es kann jeder die im Namen von Karin und Stefan vorgebrachten Argumente unter dem Gesichtspunkt ihrer Tauglichkeit oder Untauglichkeit für die Herstellung eines zwangfreien Konsens von außen kritisieren. Karin schreibt Folgendes auf Stefans erste Beschwerde:
Hallo Stefan,
es tut mir leid, wenn Du durch mein Saxofonspiel gestört worden sein solltest. Eigentlich wundert mich das, denn ich spiele extra schon in den geöffneten Kleiderschrank, um möglichst niemanden zu stören. Wenn Du durch mich wirklich aus dem Schlaf gerissen sein solltest, dann musst Du schon einen sehr leichten Schlaf haben.
Wir können uns aber wegen der Sache gerne mal zusammensetzen. Ich will Dir jedoch von vornherein sagen, dass ich nun mal nicht umhin komme, mindestens zwei Stunden täglich zu üben, wenn ich im kommenden Herbst die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Musik bestehen will. Und die ist für mich enorm wichtig.
Im Allgemeinen übe ich nicht nach 22 Uhr. Das mit vorgestern war eine Ausnahme, weil ein Freund mich gebeten hat, ihm ein bestimmtes Stück vorzuspielen.
Ich hoffe auf Dein Verständnis und auf weiterhin gute Nachbarschaft, Karin."
Soweit Karins Brief. Im übrigen kann die allgemeine Diskussion parallel zu unserm konkreten Fall weitergeführt werden. Es grüßt Euch Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 24. März 2004, 17:57 Uhr
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on 03/24/04 um 12:53:09, Eberhard wrote:Hallo Ragnar,
Du akzeptierst nicht, dass Du Deinen Egoismus aufgeben sollst. Mit "Egoismus" war eine Position gemeint, die nur die eigenen Interessen berücksichtigt. Ein "Egoist" in diesem Sinne ist deshalb auch nicht bereit, Abstriche an der Durchsetzung seiner Interessen zu akzeptieren.
Jemand, der "an seinem Überlebenswillen festhält", ist deshalb noch kein Egoist in diesem Sinne.
Meine Frage an Dich ist, ob Du Dich auf ein Verfahren einlässt, das möglicherweise mit Abstrichen an der Durchsetzung Deiner Interessen verbunden ist. Wenn " ja", dann gibt es keinen Dissens zwischen uns.
Wenn "nein", dann behaupte ich, dass Dir der Wille zu einer zwanglosen Einigung im Falle von Interessenkonflikten fehlt – mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben.
Hier die Beweisführung für diese Behauptung:
1. Ein Interessenkonflikt besteht dann, wenn Individuen Interessen haben, die nicht zusammen realisiert werden können.
2. Daraus folgt, dass dieser Konflikt nur beseitigt werden kann, wenn mindestens eines der beiden Individuen Abstriche an der Durchsetzung seiner Interessen macht.
3. Der Anspruch, dass Du von vornherein derjenige bist, der keine derartigen Abstriche macht, ist für andere nicht akzeptabel.
4. Also musst Du bereit sein, mögliche Abstriche an der Durchsetzung Deiner Interessen zu akzeptieren, wenn Du eine zwanglose Einigung wirklich willst.
Soweit der Beweis, dass dem Egoisten der Wille zum Konsens fehlt.
Wer jedoch keinen Willen zum Konsens in Gestalt allgemein einsichtiger und akzeptabler Normen hat, der kann für die von ihm vertretenen Normen auch nicht beanspruchen, dass sie für andere einsichtig und akzeptabel sind. Er muss sich bei der Durchsetzung dieser Normen auf Zwang oder andere Motivationsquellen stützen .
Ist das schlüssig? fragt Eberhard.
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Hallo Eberhard
es ist schlüssig und ich bin auch absolut einverstanden, nur mit Deiner negativ beladenen Auslegung von Egoismus nicht. Wenn ich reziproke Werte anerkenne, bleibe ich doch ein Egoist und dies auch nur auf der Basis von Eigentumsnormen. Einen andern Kompromiss mache ich nicht.
Was das genau bedeutet lies hier nach:
http://www.mises.de/texte/Hoppe/Eigentum/Kapitel4/index.html
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 24. März 2004, 18:26 Uhr
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on 03/23/04 um 13:18:28, Eberhard wrote:Wer den Konsens will,...
Wird alles durch die genannte Eigentumstheorie abgedeckt.
Gruß RD
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von altair am 24. März 2004, 20:04 Uhr
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Schade Eberhard, wolltest du nicht einen allgemeingültigen Konsens erreichen? Einen Wirklichkeitsnahen?
Zwischen zwei Parteien die sich wohlgesonnen sind, weil annähernd gleiche Interessen vorhanden sind, dürfte es nicht so schwierig sein. Wobei nebenbei bemerkt die Vorstellung einer Annäherung von Karin und Stefan bei einem virtuellen Treffen eine gewisse Komik nicht verbirgt,ist doch Karin männlich? [spin]
Ciao.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 24. März 2004, 22:14 Uhr
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Hallo altair,
mein Vorschlag: wir behalten Frau Meier im Hinterkopf und behandeln ihren Konflikt mit der Saxofonistin, wenn der Konflikt mit dem Diplomanden abgeklärt ist. Gruß Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 25. März 2004, 01:09 Uhr
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Hallo an Alle,
ich denke, wir sollten Frau Meier nicht ignorieren. Auch sie hat ein Recht, sich zu Wort zu melden. So wird der armen Karin nichts anderes übrig bleiben, auf beide Argumente zu reagieren. Bei ihrer Intelligenz und ihrer eloquenten Formulierungskunst eine leichte Übung.
Ein Gedanke, sozusagen als Moderator an Frau Meier: Karin spielt offenbar recht gut Saxophon, ist also über ein undefinierbares Anfangsgequietsche hinaus. Haben Sie einmal Ihre beauernswerte Mutter gefragt, ob ihr das Saxofonspiel nicht ein bisschen gefällt? Wenn man auf den Tod wartet, mag das doch eine nette Abwechslung sein?
Hallo Karin,
gut, einmal ist keinmal, wenn du die 22-Uhr-Grenze einhältst, sind wir schon einen Schritt weiter.
Dass du für deine Prüfung üben musst, sei akzeptiert. Aber da gäbe es ja auch Lösungen außer Haus. Soviel ich weiß, hat die Musikhochschule jede Menge Übungsräume, die sie auch potentiellen Aufnahmeprüfungskandidaten zur Verfügung stellt, falls sie frei sind. Ich habe gute "diplomatische Beziehungen" zu dieser Institution - soll ich einmal nachfragen? Auch kenne ich den Pfarrer der hiesigen Gemeinde. Ich könnte mir vorstellen, dass er nichts gegen Üben in der Kirche hat. Und wenn du ihm einmal einen Gospel vorspielst, lässt er dich sicher in den Jugendräumen üben. Da ist stets geheizt.
Was hätst du davon?
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Sheelina am 25. März 2004, 05:24 Uhr
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Hallo Eberhard, Hallo Flloo, Hallo allerseits,
Eberhard zu Deiner Antworten #14 am: Vorgestern, 13:18 Uhr "»Hallo allerseits, zur Beantwortung Deiner Frage, Lina, hier noch einmal die Problemstellung: ... " sehe ich die Antwort also darin, dass eine Überfrachtung von Normen in keinster Weise dazu dienlich ist Konflikte zu lösen. Im übrigen die Frage nicht mehr ist, was darf nicht, sondern vielmehr was soll und was kann getan werden um den Konfliktfall zu lösen, die Unterlassung etwas zu tuen lediglich im gemeinsamen Konsens erreicht werden soll, wenn sie nicht schon selbstverständlich ist und die Unterlassung nicht absolutes Ziel ist.
Wie mir scheint habt Ihr in Eurer Inszenierung etwas entscheidendes vergessen, Eberhard. Ihr geht ja schon gleich davon aus, dass Ihr miteinander reden könnt, seid beide bereit dazu. Meistens ist in Konfliktfällen das Kind aber schon in den Brunnen gefallen, dass für beide Parteien die Gesprächsbereitschaft ein über den eigenen Schatten springen bedeuten würde. In Eurem Beispiel ist ja noch der tatsächliche Sachverhalt gegenständlich vorhanden, der Konfliktpunkt eindeutig erkennbar und die Konsensbereitschaft vorhanden. Das ist einfach. Zumal es ja auch der erste Versuch ist, und überhaupt noch keine Abneigung zur Konsensbereitschaft (wenn nicht aus vorherliegender Erfahrung bereits gegeben) gegeben ist. Ich glaub das meinte Catullus. Wenn Bitten nicht mehr ausreichen um den eigenen Konflikt zu lösen (denn um einen eigenen Konflikt handelt es sich grundsätzlich erst mal immer, hier das Nichtertragenkönnen von Saxophonspielübungen), scheint es so notwendig über den eigenen Konflikt hinaus auch den Konflikt des anderen verstehen zu müssen. Das ist eine empfindliche Phase, wer in dieser Ablehnung erfährt wird vielleicht zukünftig die Fronten verhärten und andere Mittel außerhalb der speziellen Konversation (ohne den "Konfliktpartner" ) suchen. Wobei wir mitten im Geschehen stehen, was das menschliche Miteinander nicht gerade vereinfacht: Die Gerüchteküche die tatsächlich kocht oder auch nur vermutet wird.
Flloo, auf Deinen Beitrag zur Freiheit möchte ich später noch mal zurückkommen.
Grüße
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von altair am 25. März 2004, 08:27 Uhr
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Hallo Stefan -
ich freue mich, junger Mann, dass sie soviel Verständnis aufbringen für meine Belange. Wissen Sie, ich bin ja ein Jazzfan, aber meiner Mutter war das immer zuwider. Nun ist es ja nicht so, dass man mit einem Saxo nicht auch eine weiche und gefühlvolle Musik machen kann, aber Karin scheint sich auf moderne Musik zu spezialisieren, und dann hört man immer nur schrille Töne die sich durch die Mauern übertragen und das hört sich in unseren Ohren gar nicht gut an.
Wenn sie sich schon gestört fühlen bei ihrer Areit am PC, was muss dann meine arme Mutter fühlen die von Schmerzen geplagt ist. Sie wissen doch sicher als junger Student, dass gerade Musik auch auf die Gesundheit einen Einfluss hat.
Von meiner Mieterin über mir bin ich aber sehr enttäuscht, sie hat mir noch nicht einmal auf meine Beschwerde geantwortet. Stellen sie sich vor, ihr Freund, ein gewisser Eberhard will meine Bitte im Hinterkopf behalten. Ist das eine Antwort auf ein Ersuchen bei dem es um eine wesentliche Beeinträchtigung der Lebensqualtität geht?
Aber vielleicht wage ich noch einen Versuch. Wäre es denn möglich mit einer eventuellen Unterstützung ihrerseits zu rechnen?
Liebe Grüße - Ihre Nachbarin Susanne Meier
Liebe Karin -
ich habe versucht, ihnen unsere missliche Lage zu erklären, und sie gebeten eventuell ihr Saxophonspiel einzustellen, wenn es ihnen nicht gelingt die Lautstärke so zu drosseln, dass wir dadurch nicht gestört werden.
Mit Befremden habe ich die Antwort ihres Freundes entgegengenommen, wie lange denken sie sich musikalisch dazu zu äußern?
Mein Kind es tut mir ja sehr leid, selbst geregelte Zeiten in denen sie ihrer Musik frönen sind nicht akzeptabel für uns in dieser Notsituation.
Aber wenn ihnen die finanziellen Mittel fehlen um in anderen Räumlichkeiten üben zu können, dann würde ich sie natürlich dabei unterstützen.
Allerdings kann ich ihnen nicht sagen, wie lange das dauern könnte.
Mit einer Bitte um Antwort verbleibe ich
S.M.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 25. März 2004, 09:40 Uhr
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Sehr geehrte Frau Meier,
dass ihre Mutter so von Schmerzen geplagt ist, das dürfte nicht sein. Reden Sie doch einmal mit Ihrem Hausarzt. Der sollte sie medikamentös richtig versorgen, sodass sie ihr Lebensende wenigstens schmerzfrei verbringen kann.
Dass Ihre Frau Mutter Jazz nicht leiden kann, verstehe ich vollkommen - wem sagen Sie das. Aber ich habe gehört, diese Karin will eine Prüfung an der Musikhochschule ablegen. Ich denke, da wird sie sich wohl auch mit traditioneller, sprich Militärmusik abgeben müssen. Und so ein zackiger Preußenmarsch, der könnte Ihrer alten Dame doch Freude bereiten. Vielleicht sprechen sie Karin mal in diese Richtung an.
Ansonsten, Sie haben Recht, es wird Zeit, dass Frau Karin auf unsere Vorschläge eingeht. Vielleicht können Sie mal ihrem komischen Freund Eberhard den Marsch blasen....
Gruß, Ihr Leidensgenosse Stefan.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 25. März 2004, 10:41 Uhr
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" Liebe Karin,
leider hast Du auf mein letztes Schreiben bis heute nicht reagiert. Das ist bedauerlich und ich weiß nicht, wie Du das mit einer guten Nachbarschaft vereinbaren willst, die Du ja erhalten möchtest.
Wie ich von Deinem Nachbar erfahren habe, der schon über 80 ist und wohl nicht mehr so gut hört, hast Du Dich kurz nach Deinem Einzug bei ihm beschwert und gesagt, sein Fernseher sei immer so laut eingestellt, dass Du bei Dir jedes Wort verstehen kannst und Du nicht einmal ungestört Deine CDs hören kannst.
Im Übrigen finde ich Dein Verhalten nicht o.K. und falls Du so weiter machst, muss ich mir überlegen, ob ich meine Zeit opfern soll, wenn Dein Computer wieder mal total abstürzt.
Ich habe inzwischen auch erfahren, dass ich nicht der Einzige bin, der unter deinem Üben zu leiden hat. Frau Meier hat mir vor einigen Tagen ihr Leid wegen ihrer Mutter geklagt. Die alte Dame ist sehr krank. Ich denke, Du bist mit mir einer Meinung, dass die Erhaltung von Leben und Gesundheit Vorrang haben muss vor einem Hobby und auch vor einer Berufsplanung.
Ich hoffe immer noch auf Deine Einsicht. Stefan."
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von altair am 25. März 2004, 11:18 Uhr
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Ach junger Mann, es tut mir ja auch leid, dass ich so auf Rücksichtnahme im Hinblick auf meine Mutter pochen muss.
Natürlich verstehe ich Frau Karin auch, denn ich spiele doch selber Klavier, aber ich wohne in einem Haus am Stadtrand, und meine Mutter wollte die ihr vertraute Umgebung nicht verlassen. Ich hätte die Wohngelegenheit ja auch Frau Karin angeboten, aber es ist so weit und umständlich mit dem Bus, sodass diese Möglichkeit ausgeklammert wird.
Wenn ich das so sagen darf, dann fällt es älteren Menschen doch oft schwer um einen Gefallen zu bitten, darum freue ich mich sehr über ihre Unterstützung. Unser gemeinsamer Nachbar der schwerhörig ist, ich werde mit ihm reden, damit er sein Radio leiser stellt, er wird ohnehin nicht mehr soviel Wert darauf legen, weil ihm viele Dinge fremd geworden sind.
Ihre Susanne Meier
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von altair am 25. März 2004, 13:00 Uhr
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Hi Stefan -
jetzt fang' du nicht auch noch an, mit dieser ständigen Miesepeterei.
Ich wohne hier, und zahle genausoviel Miete wie jeder andere Mitbewohner, daher habe ich auch die gleichen Rechte.
Und dieses eine Mal nach 22 Uhr, meine Güte, du hattest auch zu Zeiten in denen ich bereits geschlafen habe noch Besuch, tja und so laut, dass ich nicht schlafen konnte.
Und der alte Mann vis a vis, als ich ihm sagte er solle doch bitte das Radio leise drehen, drehte er lauter, sodass ich noch einmal klingeln musste. Es gefiel ihm anscheinend mich erbost zu sehen, es ist wie ein kleines Spiel, er dreht laut, ich klingle.
Soll er ein wenig Spaß haben, aber nicht immer.
Verzeih, wenn ich jetzt sage die 'olle Kammelle' von unten, wieso bringt sie ihre Mutter nicht in ein Pflegeheim, oder nimmt sie zu sich nach Hause, dann wäre alles geblitzt.
Ich habe gestrebert und geübt, bis zum Umfallen, wenn ich jetzt die Prüfung nicht schaffe, dann verliere ich wieder ein Jahr. Mein Ziel sind die Wr.Philharmoniker, und hier werden nur die Besten genommen.
Also bleib cool, mein PC bleibt vorerst sowieso ausgeschaltet.
Ciao Karin
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 25. März 2004, 14:49 Uhr
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Hallo Eberhard und Altair,
also jetzt wird die Sache doch etwas chaotisch. Soll ich noch den Stefan spielen oder was sonst?
Und hast du, Eberhard, die Rolle der Karin jetzt satt. Ich denke, wir sollten das vorher klären.
Gruß HP
P.S.an die altairsche Karin. Glaube kaum, dass die Wiener Philharmoniker an einem Saxophonisten interessiert sind. Die wenigen Fälle von Saxophon in der E-Musik kann man wohl auch einem Klarinettisten übertragen.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 25. März 2004, 15:06 Uhr
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Hallo floo,
Du formulierst die Fragen, wie man handeln soll und wie man die dazugehörigen Regeln bestimmt, in den Begriffen der Freiheit und ihrer Einschränkung. Ich konnte Deinem Beitrag jedoch keine Argumente zur Lösung unseres Problems entnehmen, wie man zu allgemein konsensfähigen Handlungsnormen gelangt.
Hallo Ragnar,
danke für den Hinweis auf den Link. Du schreibst, dass diese Konzeption "alles abdeckt". Wenn es darin Ideen gibt, wie man zu konsensfähigen Konfliktregelungen kommt, solltest Du diese Argumente inhaltlich einbringen.
Hallo Lina,
die moralphilosophische Frage, wie man im Falle von Interessenkonflikten allgemein anerkennbare Handlungsnormen bestimmen kann, kann sicherlich nicht eine mangelnde Gesprächsbereitschaft oder abgrundtiefes Misstrauen zwischen den Konfliktparteien beseitigen. Aber es gibt zum Glück auch kluge Köpfe, die sich mit der Psychologie und der Soziologie des Konfliktes beschäftigen und die jene Fragen behandeln, die Du aufgeworfen hast.
Bis dann Eberhard (… ich muss dringend zu Karin …)
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Sheelina am 25. März 2004, 15:49 Uhr
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Hallo Eberhard,
ich habe keine Fragen aufgeworfen, diese hast Du Dir selbst aufgeworfen und sogleich abgewehrt in dem Du diese Deine Fragen lieber bei der Psychologie bzw. Soziologie ansiedeln möchtest. I ch sehe es nicht so, halte aber eine Debatte für diese Grundsatzfrage im Rahmen dieses Themas für mich eher als zurückwerfend als weiterkommend. Im soziologischen bzw. psychologischen Erkenntnis Bereich wirst Du sicherlich auch ohne mich auskommen können, sodass ich wenn, sobald wie möglich an Floos Beitrag anknüpfen möchte. Ob ich dies hier in diesem lauten Cafe machen möchte oder doch lieber eine andere Sphäre aufsuchen werde in Anbetracht auch der Lesergemeinschaft ist mir noch nicht ganz klar.
Mit freundlichen Grüßen Lina
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 25. März 2004, 16:02 Uhr
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on 03/25/04 um 15:06:10, Eberhard wrote:Hallo Ragnar,
danke für den Hinweis auf den Link. Du schreibst, dass diese Konzeption "alles abdeckt". Wenn es darin Ideen gibt, wie man zu konsensfähigen Konfliktregelungen kommt, solltest Du diese Argumente inhaltlich einbringen.
Was denn? Soll ich das noch mal abtippen? Nein!
Du musst Dich selber bemühen.
Die Eigetumstheorie ist genau das, was Du Dir vorgestellt hast.
Lesen musst Du selber.
Dieser Diskussion hier um Karin usw. kann ich nicht folgen. Ist auch Faktenhuberei, wenn man den Link gelesen hat.
Gruß RD
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von altair am 25. März 2004, 16:04 Uhr
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@ HP-
die Wr. Philharmoniker sind sowieso an Frauen sehr wenig interessiert, das macht es ja so spannend, ist eine seriöse um nicht zu sagen senioröse Glaubensgemeinschaft, sie glauben noch immer Männer sind die besseren Musiker ( Scherz, natürlich gibt es sehr viele gute männliche musikalische Interpreten)
Hallo Lina -
vielleicht kommst du mit Ffloo zu mir in meine Wohnung auf einen Cafe, wenn ich nicht musiziere, und mein Nachbar nicht gerade Radio hört, ist es vollkommen ruhig.
Liebe Grüße
Karin
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von altair am 25. März 2004, 16:06 Uhr
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@ HP-
die Wr. Philharmoniker sind sowieso an Frauen sehr wenig interessiert, das macht es ja so spannend, ist eine seriöse um nicht zu sagen senioröse Glaubensgemeinschaft, sie glauben noch immer Männer sind die besseren Musiker ( Scherz, natürlich gibt es sehr viele gute männliche musikalische Interpreten)
Hallo Lina -
vielleicht kommst du mit Ffloo zu mir in meine Wohnung auf einen Cafe, wenn ich nicht musiziere, und mein Nachbar nicht gerade Radio hört, ist es vollkommen ruhig.
Liebe Grüße
Karin
PS Nun weiß ich leider nicht ob ich den Beitrag im Doppelpack sende, wenn ja, dann sorry
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 25. März 2004, 16:14 Uhr
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" Hallo Stefan,
Einige Punkte muss ich in der leidigen Angelegenheit noch loswerden. Zu Deinem Brief: Ich finde Dein Verhalten auch nicht gerade in Ordnung. Was willst Du eigentlich von mir? Soll ich gar nicht mehr in meiner Wohnung musizieren dürfen? Eine solche Forderung ist eine Zumutung. Dein Vorschlag, ich sollte woanders üben, ist leicht gesagt, aber das würde für mich erhebliche zusätzliche Belastungen bedeuten, die Du offenbar nicht bedenkst. Hast Du schon mal ein Tenorsax mit Koffer durch die Gegend geschleppt? Wahrscheinlich nicht. Wenn Du Dich gestört fühlst, dann kannst Du ja ebenso gut in der Unibibliothek lernen, da ist es ruhig und es gibt immer freie Plätze.
Überhaupt finde ich es eigenartig, dass mit einmal hier die große Hausordnung beginnen soll, nachdem vorher jeder hier im Hause sich ausgetobt hat, wie er wollte. Wenn Ihr mir schon was am Zeug flicken wollt, dann müssen aber auch alle andern Sachen aufs Tapet gebracht werden, z. B. Deine 1000er Kawasaki, die Du auf dem Hof parkst und der offenbar die Schalldämpfer abhanden gekommen sind, oder Deine Kochkünste, deren Knoblauchschwaden regelmäßig Freitagabend an meinem Balkon vorbeiziehen. Wenn Ordnung geschaffen werden soll, dann aber bitte nicht nur bei mir!
Mit freundlichen Grüßen Karin."
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 25. März 2004, 16:25 Uhr
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Hallo Ragnar,
Du hast auf ein Buch von Mises verwiesen. Ich hab mir den Text schon besorgt und will ihn gerne lesen. Aber in einer Diskussion bringt der Hinweis "Du solltest erstmal X lesen!" nicht viel weiter. Man sollte schon in der Lage sein, die Argumentation des Buches wenigstens zu skizzieren, damit der andere dessen Relevanz einschätzen kann,
meint Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 25. März 2004, 17:44 Uhr
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Es geht nicht um das ganze Buch, sondern nur um das Kapitel.
Du brauchst erstmal nur die ersten 3-4 Seiten lesen, dann kapierst Du, worum es genau geht.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von ffloo am 25. März 2004, 17:58 Uhr
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on 03/25/04 um 15:06:10, Eberhard wrote:Hallo floo,
Du formulierst die Fragen, wie man handeln soll und wie man die dazugehörigen Regeln bestimmt, in den Begriffen der Freiheit und ihrer Einschränkung. Ich konnte Deinem Beitrag jedoch keine Argumente zur Lösung unseres Problems entnehmen, wie man zu allgemein konsensfähigen Handlungsnormen gelangt.
so hochgesteckt war mein ziel auch nicht. ich wollte einen formalismus entwickeln, der erlaubt zu überprüfen ob eine hypothetisch passende norm die erforderlichen kriterien erfüllt oder nicht, bzw. habe ich nach möglichkeiten gesucht die such nach solchen normen zu vereinfachen (was grundsättzlich das sinnvollste bei suchaktionen ist). wenn ich dabei jedoch mit mir selbst beschäftigt bin, habe ich keine lust dazu.
mfg flo
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Catullus am 25. März 2004, 18:23 Uhr
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Servus Eberhard,
was kann denn der Sinn der Suche nach einer allgemein konsensfähigen Norm sein? Etwa dass alle, wirklich alle sich bereit erklären, sich daran zu halten? Das halte ich für unmöglich. Diese Suche ist nicht sinnvoll. Selbst wenn es gelänge, müsste man damit rechnen, dass einige eben hoffen, nicht ertappt zu werden bei der Übertretung, oder dass einige im Augenblick der Tat gleichgültig sind. Übertretungen wird man auf keinen Fall verhindern können.
Was also dann? Eine Norm zu finden, an die sich wenigstens mehr Leute als bisher strenger als bisher halten? Eher möglich.
Fragen wir zunächst einmal, warum einer sich an Normen überhaupt halten soll. Antwort: in Antizipation einer Sanktion, aus Einsicht in Notwendigkeit, Gewohnheit, Willfährigkeit gegenüber Vorschriften, Mitleid, Zwang, positives Wollen.
Wie wäre es, wenn man den erstgenannten Grund verstärkte?
Ein Grundsatz "Du darfst alles tun, wenn du mit der Reaktion deiner Mitmenschen zurecht kommst" würde kurz und bündig die tatsächlichen Verhältnisse beschreiben. Der potentielle Täter wäre zu vernünftiger Überlegung und Einschätzung gezwungen, seine Mitmenschen wären aufgefordert, auf eine Tat tatsächlich vernehmbare Reaktionen folgen zu lassen und sich nicht auf einen Gesetzgeber und seine Polizei zu verlassen, denn ihre Sanktionen bestimmen, was künftig als Gut und Böse zu gelten hat. Natürlich gibt es weiterhin Recht und Gesetz, aber das soziale Kontrollmoment wäre gestärkt. Ein Denunziant müsste sich ebenfalls gut überlegen, wie er vor den Mitmenschen dastünde.
Soviel für den Augenblick
Catullus
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von ffloo am 25. März 2004, 19:12 Uhr
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on 03/25/04 um 18:23:52, Catullus wrote:Servus Eberhard,
was kann denn der Sinn der Suche nach einer allgemein konsensfähigen Norm sein? Etwa dass alle, wirklich alle sich bereit erklären, sich daran zu halten? Das halte ich für unmöglich. Diese Suche ist nicht sinnvoll. Selbst wenn es gelänge, müsste man damit rechnen, dass einige eben hoffen, nicht ertappt zu werden bei der Übertretung, oder dass einige im Augenblick der Tat gleichgültig sind. Übertretungen wird man auf keinen Fall verhindern können.
ich finde es wäre interessant, detailliert zu diskutieren in wie weit das primat der universalität solcher normen aufrecht zu erhalten ist oder auch nicht.
als ansatz dazu schlage ich die demokratie im sinne eines experimentierfeldes vor. eine reine, ideale demokratie, wäre doch zumindest tendentiell ein volk, dass sich selbst repräsentiert, also die optimale freiheit des individuums garantiert, also eine minimal aktive möglichst passiv-normative selbstregulierung der gesellschaft. also ist es sicher nicht uninteressant von der unmöglichkeit der idealen demokratie auf die unmöglichkeit des auffindens universeller normen zu schliessen. dass das an der durchführbarkeit in erste linie scheitert ist klar, darüber braucht man sich nicht zu unterhalten. liegt dies aber an den technischen grenzen oder an der begrenztheit der menschliochen kommunikation, die ja nur bis zu einem logistischen maximum optimierbar ist. denn egal wie schnell die computer sind, über die wir kommunizieren und egal wie ausgefeihlt die organsiation eines gesprächs verläuft, wir müssen immer noch das gesprochene oder geschriebene wort hören oder lesen und verstehen und schliesslich darauf reagieren. somit könnte die obergrenze der effektivität menschlicher kommunikation anhand der faktoren intelligenz und emotionale beteiligung definiert werden. wenn diese effektivität grundsätzlich über einen gewissen grenzwert hinaus nicht verbesserungsfähig ist, ist eine idealdemokratie unabhängig von ökonomischen oder technologischen aspekten prinzipiell nicht realisierbar. das heisst nun nicht notwendiger weise, dass ein regulierende universalnorm ebenfalls nicht realisierbar wäre, sie wäre es zumidnest auf dem papier. aber was ist, wenn es grundsätzliche individuelle kompatibilitätsgrenzen gibt, die ähnlich wie bei kommunikation, von intelligenz und emotionaler beteiligung abhängen? es könnte sein, dass sich so eine fragliche universalnorm von selbst verbietet, nicht weil sie nicht praktikabel swäre sondern weil die definitionsgrundlage intersubjektiv nicht zu verwirklichen ist. beispiel: religiöser fundamentalismus (aspekt der emotionalen beteiligung). ich sehe dabei dei emotionale beteiligung als den gewichtigeren faktor der die unveränderbaren hürden vorgibt, mit denen man zurecht kommen muss. die intelligenz, bzw. psyche (die intelligenz ist dann das agierende instrument des mneschen, das allerdings von der momentanen psyche entscheidend beeinflußt wird) scheint mir bei der praktischen umsetzung einer universalnorm von relavanz zu sein, da dies bei grenzsituationen, wo klärungsdruck herrschen kann, dazu führen kann, dass keinerlei norm mehr gültig ist und eben entschieden und gehandelt werden muss, also macht eingesetzt werden muss. ich behaupte, dass keine machthandlung legitimierbar ist, also nicht normierbar, da dies voraussetzte, dass man im stande sein müsste im absoluten sinne gerechtigkeit auszuüben, was die kenntnis von der absoluten wahrheit voraussetzt, die nicht existiert. sobald aber eingegriffen wird wird eine kettenreaktion ausgelöst die eine nicht endende diskussion über die situation zur folge haben wird, die natürlich zu keinem resultat führen kann. in sofern sehe ich nicht weshalb eine universalnorm realsisierbar sein sollte, also nicht einmal theoretisch. nicht desto trotz kann man diese grenzsituationen isolieren und es ergäbe unabhängig davon sinn über universalnormen zu sprechen.
mfg flo
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 25. März 2004, 20:26 Uhr
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Hallo allerseits,
nachdem wir in unserm Rollenspiel reichlich Argumente und Un-Argumente produziert haben, sollten wir uns vielleicht an die Sichtung des Materials machen. Ich will dazu ein paar Gedanken beisteuern.
Auffällig ist, dass von den Beteiligten bisher nur implizit die Normen formuliert wurden, um deren Gültigkeit es geht. Waren die Alternativen: "Karin soll aufhören, in der Wohnung Saxofon zu spielen" bzw. "Karin darf in der Wohnung Saxofon spielen soviel wie sie zur Aufnahmeprüfung braucht" ?
Einigkeit bestand zwischen Karin und Stefan nur in Bezug auf die Norm: "Karin soll nicht nach 22 Uhr spielen." Es gibt aber auch noch weitere Alternativen, die vielleicht mehr Chancen für einen allgemeinen Konsens haben.
Eine grundsätzliche Frage ist, ob die Androhung von Stefan, er werde seine Computerhilfe einstellen, wenn Karin nicht nachgibt, ein zulässiges Argument ist oder eine unzulässige Drohung. Wie ist es mit dem Angebot von Frau Meier, Karin die Kosten eines Übungsraumes zu erstatten? Ist das ein vernünftiges Argument oder die Macht des Geldes, mit dem man jeden Konsens erkaufen kann?
Interessant ist, wie viele Argumente faktischer Natur sind:
" Man hört dich halt schon verdammt gut. Und wenn ich da vor meinen Computer brüte, dann stört das mächtig. Und vorgestern, so um 11 Uhr abends, da hats mich richtig aus dem Schlaf gerissen"
Karin bezweifelt die behaupteten Tatsachen indirekt und hält Übertreibungen für möglich. "Wenn Du durch mich wirklich aus dem Schlaf gerissen sein solltest, dann musst Du schon einen sehr leichten Schlaf haben."
Hier können wir auf die bereits erheblich weiter entwickelten Methoden der empirischen Wissenschaften zurückgreifen, um in Bezug auf faktische Aussagen zu einem allgemeinen Konsens zu gelangen. (" Die Lautstärke des Saxofonspiels betrug in der Nachbarwohnung bis zu 65 Dezibel" o.ä.)
Oft werden nur negative Auswirkungen des strittigen Verhaltens vorgetragen "stört mich bei der Arbeit" "reißt mich aus dem Schlaf" "ist sehr nervig". Kann dies ein (vollständiges) Argument sein? Karin kann ja ihrerseits negative Auswirkungen der alternativen Norm anführen: "behindert mich in meinem beruflichen Fortkommen". Wie sieht das offenbar unausgesprochene vollständige Argument aus?"
Soviel erstmal dazu. Grüße an alle von Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 25. März 2004, 23:09 Uhr
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Hallo catullus,
Du fragst: "Was kann denn der Sinn der Suche nach einer allgemein konsensfähigen Norm sein?" Ich gebe Dir Recht, dass auch eine solche Norm übertreten werden kann. Denn es ist kein logischer Widerspruch, wenn jemand der Meinung ist, dass man sein Auto nicht im Parkverbot abstellen soll, und trotzdem selber dort parkt, weil er so bequem ist. Deshalb kann man auch ohne logischen Widerspruch seiner eigenen Bestrafung im Falle eines Normverstoßes zustimmen.
Die Suche nach allgemein konsensfähigen Normen hat einen anderen Sinn. Allgemein konsensfähige Normen sind diejenigen Normen, die jeder zwanglos einsehen kann, allein motiviert durch Argumente. Jede andere Norm verlangt, dass denjenigen Individuen Gewalt angetan wird, die diese Norm nicht einsehen können.
Nur unter allgemein anerkennbaren Normen können alle frei von fremdem Zwang, eingeschränkt nur durch ihre eigene Einsicht, miteinander leben.
Das ist meiner Ansicht nach zugleich der Kern dessen, was mit dem Begriff "vernünftig" gemeint ist. Faktische Geltung und Gehorsam kann der Mächtige für verschiedenste Normen erzwingen, aber allgemein einsichtige, argumentativ gerechtfertigte Geltung kommt nur bestimmten Normen zu - und diese Normen zeichnet man gegenüber den anderen mit Begriffen wie "allgemeingültig" oder "allgemeinverbindlich" aus.
Soviel fürs Erste. Zu der von Dir vorgeschlagenen Norm später. Grüße auch an alle anderen von Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 26. März 2004, 00:00 Uhr
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Hallo an Alle,
ich denke, das Beispiel hat - obwohl bereits abgewürgt - gezeigt, dass konsensfähige Normen zwar theoretisch denkbar sind, wohl aber in der Realität nur bedingt zum Einsatz kommen. Karin ist sich ja der Problematik ihres Saxofonspiels bereits bewusst, sonst würde sie nicht in den offenen Kleiderschrank spielen. Und auf die Idee, außer Haus zu üben, wird sie ja wohl schon von selbst gekommen sein. Ansonsten gilt universell: Musik wird störend oft empfunden, dieweil sie mit Geräusch verbunden.
Wie also wird die Realität sein? Alle Beteiligten werden, sofern sie zielgerecht an einer Problemlösung interessiert sind, einen Blick in den Mietvertrag werfen, oder sich gegebenenfalls juristisch beraten lassen. Also läuft alles auf den, durch die Macht des Staates sanktionierten "Allgemeinen Konsens", also das Recht hinaus. Was darüber hinausgeht, ist eine Frage des persönlichen Verhältnisses der Beteiligten untereinander.
Ergebnis: Der allgemeine Konsens wird nur durch die Staatsmacht gewährleistet. Je demokratischer er zustandegekommen ist, desto tragfähiger ist er.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 26. März 2004, 02:13 Uhr
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> Der allgemeine Konsens wird nur durch die Staatsmacht gewährleistet.
Faschistoid!
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von altair am 26. März 2004, 07:20 Uhr
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Hallo an alle -
es wäre eine Milchmädchenrechnung aus vorliegendem konkreten Fall eine allgemeingültige Norm herleiten zu wollen.
Denn die Fakten haben sich erhärtet. Um sich ihr Musikstudium zu finanzieren geht Karin nämlich jobben, und nur ihre Freizeit bleibt ihr um zu üben. Da sie mehrere Jobs hat, und keine geregelte Arbeitszeit kann das oft sehr unterschiedlich sein. Es würde also auch für Karin eine Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität bedeuten, Könnte sie nicht mehr üben müsste sie ihr Studium beenden. In weiterer Folge hätte sie keine Aussicht auf eine sowieso in Frage gestellte sichere Zukunft, und die finanziellen Einbußen in der derzeitigen Arbeitsmarktsituation (ohne ausreichende Bildung zusätzlich erschwert) wären gravierend. Dazu käme die Frustration der Erfolglosigkeit die eventuell noch in ein Suchtverhalten ausarten könnte und und und.
Die Hausordnung ist in jedem Fall unzureichend, eine gerichtliche Entscheidung gäbe einem Vergleich oder einem Verbot statt, ebenfalls unbefriedigend. Bliebe nur eine individuelle Lösung, bei der die Kontrahenten sich einigen.
Es gab da vor ein paar Jahren eine Geschichte: Ein Nachbar beschwerte sich über das Krähen des Hahnes am frühen Morgen. Er konnte nachweisen, dass er geweckt wurde, nicht mehr einschlafen konnte, und ihm daraus gesundheitliche Schäden erwuchsen. Der Hahn kam in den Kochtopf.
Liebe Grüße
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 26. März 2004, 11:56 Uhr
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Hallo altair,
nun, in den Kochtopf wird Karin sicher nicht wandern.
Die Möglichkeiten des Übens außer Haus wurden viel zu wenig berücksichtigt. Ansonsten, man kann genauso Plädoyers für die Kläger finden. Damit aber zeigt sich: Es gibt keinen allgemein gültigen Konsens. Quod erat demonstrandum.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von altair am 26. März 2004, 13:46 Uhr
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Hallo HP -
ich hoffe doch, dass Eberhard nicht so schnell aufgibt.
Es könnte doch dahingehend ein Konsens gefunden werden, dass es nicht möglich ist alle Beteiligten 100%ig zufriedenzustellen, aber doch zumindest zu 90 % und die fehlenden 10 % als Zusatz in Klammer setzen?
Wobei die Frage bleibt ist es notwendig eine Norm zu erstellen, oder ist die Moral der Bewohner in ihrem Kontext groß genug eine Lösung zu finden.
L.G.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von ffloo am 26. März 2004, 13:48 Uhr
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on 03/26/04 um 00:00:01, Hanspeter wrote:Hallo an Alle,
ich denke, das Beispiel hat - obwohl bereits abgewürgt - gezeigt, dass konsensfähige Normen zwar theoretisch denkbar sind, wohl aber in der Realität nur bedingt zum Einsatz kommen. Karin ist sich ja der Problematik ihres Saxofonspiels bereits bewusst, sonst würde sie nicht in den offenen Kleiderschrank spielen. Und auf die Idee, außer Haus zu üben, wird sie ja wohl schon von selbst gekommen sein. Ansonsten gilt universell: Musik wird störend oft empfunden, dieweil sie mit Geräusch verbunden.
auch wenn ich hier konsequent ignoriert werde: ich habe die möglichkeit nahe gelegt, dass eine universalnorm nichteinmal theoretisch möglich wäre.
ragnar spricht es auch an: was ist mit der legitimation von macht?
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 26. März 2004, 18:28 Uhr
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Hallo allerseits,
altair hofft, dass ich nicht so schnell aufgebe, nach konsensfähigen Regelungen des Umgangs miteinander zu suchen. Ich kann Dir versichern, altair, dass ich das Problem für viel zu wichtig halte, als dass ich es aufgeben könnte.
Und zu Hanspeter: Ich weiß zwar auch, dass staatlich sanktioniertes Recht eine sinnvolle Einrichtung ist (ich denke, wir kommen zu dem Punkt noch), aber Konsens kann der Staat als solcher nicht bringen, er kann nur die eigenmächtige Austragung des Dissens verhindern.
Zu floo: Du bist der Meinung, dass Du hier konsequent ignoriert wirst. Das Problem stellt sich für mich so dar, dass ich Deine Argumente nicht verstehe. Nehmen wir Deinen Satz:
" Ich habe die möglichkeit nahe gelegt, dass eine universalnorm nicht einmal theoretisch möglich wäre."
Ich frage Dich: Was meinst Du mit "Universalnorm" ? Ist das eine Norm, die für das gesamte Handeln gelten soll, wie z. B. der Kategorische Imperativ Kants? Oder ist es eine Norm, auf die sich verständige und einigungswillige Menschen am ehesten einigen könnten? Was meinst Du mit dem Ausdruck, eine Universalnorm "ist theoretisch nicht möglich" ? Meinst Du, dass diese Norm nicht formuliert werden kann oder dass sie nicht ohne logischen Widerspruch formuliert werden kann oder dass sie nicht allgemeingültig sein kann? (Wobei dann zu klären wäre, was Du unter "allgemeingültig" verstehst.)
Eine allgemein verständliche oder zumindest erlernbare Sprache ist die notwendige Voraussetzung jeder Argumentation und damit auch die Voraussetzung jedes zwanglosen, allein auf der Kraft der Argumente beruhenden Konsenses.
Und zu Ragnar: Ich halte die Belegung einer Meinung mit einem stark wertenden und zugleich inhaltlich vagen Begriff nicht für ein brauchbares Argument, sondern eher für einen Gefühlsausbruch
.
In Kürze mehr. Bis dann Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Catullus am 26. März 2004, 18:42 Uhr
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Ich glaube, dass man die Staatsmacht in einem Moralkontext getrost vergessen kann. Sie kommt immer zu spät, bleibt anonym und arbeitet viel zu umständlich.
Nein nein, Moral kommt aus Erziehung - durch Eltern, Lehrer, Freunde, Nachbarn, Mitmenschen. Moral ist m.E. gerade das, was mehrheitlich in einer Gruppe für gut oder böse angesehen wird. Nur, das muss klar gemacht werden. Möglichst schon den Kleinen, aber mit Vernunft und ohne Engstirnigkeit.
Wenn Karin und Stefan aufgewachsen sind mit dem Leitspruch "Du bist nicht allein auf der Welt, andere wollen auch ihren Spaß", dann können sie kaum ein Problem haben, je nach dem wie gut diese Regel internalisiert wurde.
Was aber eine Erziehung tief in die Herzen einpflanzen soll, das zu entscheiden ist eine schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe.
Wie man es macht, erst recht.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von PL am 26. März 2004, 19:24 Uhr
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" Karin übt Saxofon und ihr Nachbar Stefan will seine Ruhe haben." Toll! Es gilt also jetzt, über Ethik, Moral, Gerechtigkeit oder ähnliches zu diskutieren ...
Ein Mensch wohnt (unüberhörbar) nahe bei mir, den nenne ich Richard Clayderman den Zweiten. Ein Mensch, der mir, wann immer ich nicht will, zu Ohren kommt wie ein harmoniesüchtig-grunzendes Marzipanschwein.
Was wollte ich eigentlich sagen? Ach ja: dass ich mich den Herstellern der Kopfhörer namens "Beyerdynamik" zu Dank verpflichtet fühle.
PL
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 26. März 2004, 21:53 Uhr
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Hallo allerseits,
was hat uns das kleine Rollenspiel gebracht? Geeinigt haben sich die Konfliktparteien offensichtlich noch nicht. Allerdings war das Ende auch noch nicht erreicht. Was für Argumente wurden vorgebracht?
Offenbar haben die Konfliktparteien die Wichtigkeit der bei Ihnen betroffenen Interessen betont und sie haben die Wichtigkeit der beim Konfliktgegner betroffenen Interessen eher gering eingeschätzt. Das heißt, es wurde implizit eine Interessenabwägung vorgenommen nach dem Muster: Es ist Karin eher zuzumuten, nicht mehr in der Wohnung Saxofon zu spielen, als es Stefan und Frau Meier zuzumuten ist, das Saxofonspiel zu ertragen (oder umgekehrt). Dabei wurden weitere Alternativen wie z. B. "Karin darf täglich zwischen 8 und 12 Uhr eine halbe Stunde üben" nicht diskutiert und ich schlage vor, sie auszuklammern.
Was wird Karin zugemutet, wenn sie nicht mehr spielen darf?
Karin hat die Möglichkeit, andere Übungsräume zu benutzen. Etwaige Kosten würden ihr erstattet. Es wäre für sie allerdings wegen des großen Gewichtes des Instrumentes recht beschwerlich und mit einem gewissen Zeitverlust verbunden.
Was wird Stefan und Frau Meier zugemutet, wenn Karin weiter spielen darf?
Stefan muss Störungen ertragen oder in die Uni ausweichen, um seine Diplomarbeit fertig zu stellen. Dies ist ebenfalls mit Zeitaufwand und weiteren Beschwerlichkeiten verbunden. Wenn Karin keine weiteren Beschränkungen auferlegt sind, muss er bis 22 Uhr mit solchen Störungen rechnen.
Frau Meier und ihrer sterbenskranken Mutter wird eine offenbar gesundheitsschädigende Geräuschbelästigung zugemutet.
Ich hoffe ich habe alle relevanten Fakten zusammengetragen.
Die Frage ist, ob man die Behauptung aufstellen kann: Es ist eher Karin zuzumuten, nicht mehr in der Wohnung Saxofon zu spielen, als es Stefan und Frau Meier zumuten ist, dass Karin weiterspielen darf wie bisher.
Ich neige dazu, dies zu bejahen. Die Frage ist allerdings: Wie kann man eine solche Behauptung begründen und zwar für jedermann nachvollziehbar?
Wie kann man sich über die relative Gewichtigkeit von Interessen verschiedener Individuen einig werden? Kann man Verschlechterungen oder Verbesserungen der Lebenssituation verschiedener Individuen größenmäßig miteinander vergleichen oder vergleichbar machen? Wie kann man hier argumentieren?
Wer hat eine Idee?
fragt Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 27. März 2004, 00:08 Uhr
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Hallo an Alle,
ich denke, Altair hat einen richtigen Weg gewiesen, wenn er schreibt: "Es könnte doch dahingehend ein Konsens gefunden werden, dass es nicht möglich ist alle Beteiligten 100%ig zufriedenzustellen, aber doch zumindest zu 90 %..."
Tatsächlich gibt es, theoretisch jedenfalls, eine Lösung, die unter Abwägung a l l e r denkbaren Sachverhalte optimal für alle Beteiligten ist. Sie zu finden ist aber sehr schwierig, denn es müssten ja auch die individuellen Wertungen mit berücksichtigt werden. Also zB. mittels neurologischer Messungen festgestellt werden, wie stark gestört ist Stefan nun wirklich, usw. Das ist aber praktisch nicht möglich. Also geht man von Durchschnittsmenschen aus und das Ergebnis dieser Lösung sollte sich in den Gesetzesvorschriften manifestieren. Darauf sollte auch die Hausordnung basieren, die alle Beteiligten im Mietvertrag ja per Unterschrift bereits akzeptiert haben. Und damit kann man annehmen, dass im BRD-Durchschnitt Altairs Forderung nach X% Konsens erfüllt ist.
Was also Eberhard hier offenbar diskutieren will, ist ein Konsens mit einem höheren Prozentsatz der Akzeptanz als es die Hausordnung vorsieht. Das wiederum hängt wesentlich von der Konsensbereitschaft ab. Und wie ja auch hier der Philtalk zeigt, ist diese von Person zu Person sehr unterschiedlich, weil charakterlich bedingt.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 27. März 2004, 07:10 Uhr
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Hallo Hanspeter, hallo allerseits,
Deinen Vorschlag, bei der Abwägung von Interessen verschiedener Individuen von einem durchschnittlichen Menschen auszugehen, wenn die Berücksichtigung der Unterschiede zwischen den Individuen zu schwierig ist, halte ich für sinnvoll.
Wenn man eine allgemeine Normen aufstellen will, die für alle Individuen konkrete Handlungen bzw. deren Unterlassung vorschreibt, so dass damit eine unbegrenzte Zahl von zukünftigen Fällen geregelt werden kann ( z. B. "Rasenmähen nur Montags bis Freitags zwischen 8 und 18 Uhr!" ), dann wird man bei der Auswahl der geeigneten Norm von der durchschnittlichen Bedürfnisstruktur und Interessenlage von Menschen ausgehen müssen.
Eine derartige allgemein formulierte Norm kann natürlich dem Einzelfall nicht immer gerecht werden. Wenn ich am Freitagnachmittag sehe, dass mein Gartennachbar mit Gästen im Garten sitzt, werde ich mir als rücksichtsvoller Mensch trotz der generellen Erlaubnis die moralische (?) Frage stellen: "Soll ich jetzt Rasenmähen?" Das war wohl auch der Einwand von Catullus gegen das "anonyme" staatliche Recht.
Andererseits führen Grundsätze, die auf die Nennung konkreter Handlungen verzichten (" Nimm Rücksicht auf die Bedürfnisse anderer!" "Sei kein Egoist!" "Denk nicht nur an Dich!" "Sei gerecht!" "Sei nicht unfair!" "Andere wollen auch ihren Spaß!" "Betrachte andere Menschen nicht nur als Mittel für Deine Zwecke!" ), in der Anwendung durch die verschiedenen Individuen unvermeidlich zu unterschiedlichen Ergebnissen und damit bleibt der Dissens. Trotzdem werden sie deshalb noch nicht falsch oder überflüssig.
Ich denke, dass sowohl die "ungeschriebene" Moral als auch das "gesetzte" Recht ihre Stärken und Schwächen haben, denen wir noch weiter nachgehen sollten.
Mir diesem "Wort zum Sonntag" grüßt Dich und alle anderen Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 27. März 2004, 08:11 Uhr
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Danke, Pfarrer Eberhard! [saint]
Wenn wir uns der "ungeschriebenen Moral" zuwenden sollen, stellen sich die Fragen: Sollen wir weiter das konkrete oder andere konkrete Beispiele besprechen, oder suchst du nach einer "Theorie des Miteinanders".
Für letzteres erwarte ich keine konkrete Lösung, aber ich lasse mich gern von guten Ideen überzeugen.
Die konkreten Beispiele versprechen eher Erfolg, doch müssten sie dann mit mehr Atem durchgezogen werden, als das Beispiel Karin/Stefan.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 27. März 2004, 10:13 Uhr
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Danke für die Beförderung zum Pfarrer, Hanspeter, aber ich fürchte, die Bischöfe werden damit wohl nicht einverstanden sein.
Ich halte es für sinnvoll, wenn wir noch weiter anhand des Beispiels "Karin spielt Saxofon und andere fühlen sich dadurch gestört" diskutieren.
Aber wir sollten ein wichtiges Ergebnis unserer Diskussion festhalten, über das wohl Konsens besteht:
Die Erreichung eines Konsens in Form detaillierter Handlungsnormen (" A darf in der Situation s die Handlung x tun bzw. nicht tun" ) ist nicht immer möglich, weil verschiedene faktische Annahmen vertretbar bleiben (z. B. über die Schädlichkeit von bestimmten Geräuschbelästigungen für die Gesundheit bestimmter Personen).
In einem solchen Fall muss wahrscheinlich die inhaltliche Argumentation durch eine Diskussion über ein geeignetes Entscheidungs- und Normsetzungsverfahren abgelöst werden: Soll man würfeln? Soll man einen unparteiischen Dritten entscheiden lassen? Soll man abstimmen?
Selbst wenn es in manchen Fällen grundsätzlich möglich wäre, die erforderlichen faktischen Informationen zu beschaffen, ist die Erreichung eines detaillierten Konsens trotzdem nicht sinnvoll, weil der dafür erforderliche Aufwand zu groß ist. Man kann einfach nicht bei jeder Entscheidung eines jeden Individuums, die die Interessen anderer berührt, danach fragen, welche Handlung am ehesten konsensfähig wäre. Dann würden wir vor lauter Diskutieren sicherlich verhungern.
Deshalb kann es sinnvoll sein, "moralfreie" Handlungsbereiche zu bestimmen, in denen jeder nach Belieben handeln kann. (Selbstbestimmungsrechte in Bezug auf die eigene Personen, Eigentumsrechte o.ä.).
Es grüßt Euch Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 27. März 2004, 12:20 Uhr
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on 03/27/04 um 07:10:23, Eberhard wrote:Deinen Vorschlag, bei der Abwägung von Interessen verschiedener Individuen von einem durchschnittlichen Menschen auszugehen, wenn die Berücksichtigung der Unterschiede zwischen den Individuen zu schwierig ist, halte ich für sinnvoll.
Wann soll das denn zu schwierig sein?
Jemand muss ja nicht von Natur aus dort wohnen, wo ihm die Hausordnung, das Nachbarrecht oder die Bauordnung nicht passt. Das ist nur ein Problem, weil der Staat das so vorschreibt.
Deswegen ist Eigentum so wichtig.
Dann kann jeder mit seinen Eientumsrechten machen was er will und Ruhe im Karton.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von altair am 27. März 2004, 13:46 Uhr
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Hallo allerseits -
anfangs dachte ich, das Beispiel sei zu trivial um überhaupt eine Norm zu erstellen - Ragnar hat mich eines Besseren belehrt.
Angenommen Ragnar jemand hat nicht die Möglichkeit sich Eigentum anzueignen, sondern nur zu mieten, hat er dann keine Rechte oder verbindest du Mietrecht mit denselben Rechten wie Eigentum? Nicht jeder kann sich ein Häuschen im Grünen leisten. Dort gäbe es zudem die Probleme in dieser Form nicht.
In vorliegendem Fall könnte sowohl eine konsequentialistische Norm als auch ein kategorischer Imperativ zum Tragen kommen. Oder sehe ich das falsch Eberhard?
(Also wenn du Karin zur Freundin hast, eignest du dich wirklich nicht zum Pfarrer - nur wegen des Treuegelübdes - waren Neidgefühle von HP im Spiel?)
Vieles scheint uns selbstverständlich, und wenn es dann genauer beleuchtet wird, dann stellt sich oft heraus, dass es eben nicht selbstverständlich ist oder nicht mehr, ein rücksichtsvolles oder aus einem natürlichen Rechtsempfinden heraus Miteinander zu leben.
LG.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 27. März 2004, 21:26 Uhr
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Hallo Ragnar,
das müsstest Du mal näher erklären, wie im Fall "Karin spielt Saxofon" durch eine Eigentumsordnung die Konflikte gelöst werden. Lärm respektiert ja gerade keine Eigentumsgrenzen.
Noch mal zurück zu Karin und Stefan. Was könnte man ihnen sagen?
Nehmen wir Karin.
Man könnte sie fragen: "Willst Du wirklich den Konsens mit Stefan, oder willst Du nur Deine Interessen verteidigen?"
Wenn sie den Konsens nicht will, macht sie den Konflikt zur Machtfrage mit der Konsequenz, dass sie dann niemandem mehr Vorwürfe machen kann, die den Anspruch haben, "berechtigt" zu sein. "Berechtigte Vorwürfe" lassen sich nur argumentativ einlösen – und auf argumentative Einigung hat sie ja gerade verzichtet.
Wenn sie "guten Willens" ist und den Konsens anstrebt, dann muss Sie der Meinung sein, dass die Lösung, die sie selber vertritt, auch allen anderen zugemutet werden kann, also allgemein akzeptabel ist.
Das heißt, sie müsste der entsprechenden Norm auch dann noch zustimmen, wenn die Rollen vertauscht wären und sie an Stefans Stelle wäre.
Ob sie tatsächlich dazu bereit wäre, ist schwer festzustellen und sie kann es deshalb leicht behaupten. Allerdings gibt es manchmal doch die Möglichkeit, die Ehrlichkeit dieser Behauptung zu prüfen: und zwar dann, wenn es gleichartige Fälle gegeben hat, in denen Karin die andere Position eingenommen hat und dann auch für eine andere Norm plädiert hat.
Wenn Sie selber in der Vergangenheit durch das laute Radio ihres schwerhörigen Nachbarn gestört wurde und damals die Forderung vertreten hat, dass der Nachbar das Radio nicht mit solcher Lautstärke betreiben dürfe, so müsste Karin schon einen relevanten Unterschied zwischen beiden Fällen nennen, um glaubwürdig zu bleiben. Kann sie das nicht, so ist damit klar, dass sie nicht wirklich einen Konsens anstrebt sondern schlicht nur ihre eigenen Interessen durchsetzen will.
Bei Anwendung der 'Goldenen Regel' "Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem andern zu!", käme Karin zum gleichen Ergebnis: Wenn SIE nicht durch laute Geräusche des Nachbarn gestört werden will, dann sollte sie selber auch nicht den Nachbarn durch laute Geräusche stören.
Der 'Kategorische Imperativ' "Handle nur so, dass Du zugleich wollen kannst, dass die Maxime Deines Handelns jederzeit Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung wird!" könnte Karin ebenfalls die Inkonsistenz ihrer Position deutlich machen. Wenn Karin die Maxime vertritt: "Wenn ich laute Geräusche mache, haben die Nachbarn das hinzunehmen", dann muss sie gemäß dem Kategorischen Imperativ auch die Radiogeräusche des Nachbarn hinnehmen, denn eine allgemeine Gesetzgebung auf Grundlage ihrer Maxime würde lauten: "Wenn jemand laute Geräusche macht, haben die Nachbarn das hinzunehmen".
Mit diesen etwas trockenen Ausführungen verabschiedet sich Eberhard für heute.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 27. März 2004, 23:27 Uhr
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Hallo Eberhard
on 03/27/04 um 21:26:53, Eberhard wrote:Hallo Ragnar,
das müsstest Du mal näher erklären, wie im Fall "Karin spielt Saxofon" durch eine Eigentumsordnung die Konflikte gelöst werden. Lärm respektiert ja gerade keine Eigentumsgrenzen.
Aber es wird doch wohl eine Hausordnung geben oder eine Ordnung in der Siedlung, wenn Lärm ein Problem ist.
Ansonsten gilt das Eigentum am eigenen Körper. Das darf selbstverständlich nicht durch Schallwellen (die als physikalische Beeinträchtigung nachweisbar sind) oder sonstige Emissionen beschädigt werden, so dass die Nutzung des Eigentums der Betroffenen (an ihrem Körper) in ihrem Heim plötzlich in gleicher Form nicht mehr möglich ist.
Dabei ist immer zu berücksichtigen wer zuerst da war, also Eigentum "erzeugt" hat.
Wenn z. B. ein Saxofonspieler an einem Ort wohnt und andere siedeln hinzu, dann haben die das zu akzeptieren. Siedelt der Saxofonspieler hinzu, dann hat der das Wohneigentum der Erstbesiedler zu respektieren.
Gruß
RD
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 27. März 2004, 23:41 Uhr
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Hallo an Alle,
der Einwand Ragnars ist in der Tat töricht. Übrigens, Altair, falls du glaubst, bei den Besitzern von Häuschen im Grünen gäbe es keine Nachbarschaftskonflikte dieser Art, täuschst du dich gewaltig. Da wird das Saxofon eben durch den Rasenmäher oder kreischende Kinder ersetzt.
Zum Thema:
Eberhard frägt Karin: "Willst Du wirklich den Konsens mit Stefan, oder willst Du nur Deine Interessen verteidigen?"
Diese Alternative halte ich nicht für schlüssig. Karin will, wie jeder Mensch, die Erfüllung ihrer Interessen maximieren. Konsens mit Stefan gehört dazu genauso, wie Saxofon-Üben. Die Frage ist nur, wie wichtig sind die beiden Interessen. Ist ihr Stefan recht sympathisch, wird sie eine, für sie etwas beschwerlichere Lösung wie Außerhausüben eher anstreben, als wenn ihr Stefan schnuppe, gar unsympathisch ist.
Mit dem Kat.Imp. wird man das Problem auch nur bedingt lösen können. Richtig ist, dass Karin den zu lauten Radio nur dann monieren dürfte, wenn er deutlich lauter als ihr Saxofonspiel ist - hier greift der Kat.Imp. Wenn Radiolärm sie aber aufgrund von Schwerhörigkeit infolge intensiven Musizierens nicht stört, dann hilft auch der Kat.Imp. nicht mehr.
Ob wir das Problem mit einem Rawls'schen Rollentausch lösen können, ist die Frage. Er geht ja von der Gleichheit der Menschen aus und ist nur ein moderner Aufguss des Kat.Imp. Und die ist hier möglicherweise nicht gegeben. Karin liebt Musik, auch aus dem Radio; sie hat es gerne laut. Stefan dagegen liebt möglicherweise die Ruhe. Was nun?
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 28. März 2004, 00:40 Uhr
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Hallo Hanspeter,
Du schreibst: "Eberhard fragt Karin: 'Willst Du wirklich den Konsens mit Stefan, oder willst Du nur Deine Interessen verteidigen?' Diese Alternative halte ich nicht für schlüssig."
Da bin ich erstmal sprachlos. Soll das heißen, dass Karin antworten könnte: "Sowohl als auch" ? Meiner Meinung nach kann sie das nicht. Um dies klar zu machen, formuliere ich die Frage etwas ausführlicher und präziser: "Willst Du wirklich den Konsens mit Stefan, was voraussetzt, dass Du auch seine Interessen berücksichtigst, oder willst Du nur (!) Deine EigenInteressen verteidigen?" Würdest Du immer noch sagen, dass die beiden Handlungsweisen nicht alternativ sind? Dies ist sicherlich nur ein Missverständnis, das sich aufklären lässt.
Wenn Du jedoch damit für die These argumentieren willst, dass jeder Mensch, was immer er auch tut, immer die Erfüllung seiner Interessen maximiert, so müssen wir wohl klären, was wir unter den "Interessen eines Individuums" verstehen wollen. Wenn Du den Begriff so weit fasst, dass jedes Handeln des Individuums der Erfüllung eigener Interessen dient, dann kannst Du wichtige Unterscheidungen nicht mehr machen. Angenommen, aus einem Haus schlagen Flammen. Man hört Kinder schreien. Frank, der zufällig vorbeikommt ist fasziniert von dem Schauspiel und schaut gespannt zu. Andreas, der ebenfalls vorbeikommt, läuft so schnell er kann, die Treppen hoch, um die Kinder trotz der Gefahr für sein eigenes Leben zu retten. Ist es sinnvoll zu sagen: "Beide, Frank und Andreas, sind nur ihren Interessen gefolgt" ? Der Unterschied, der bei einer solchen Terminologie verloren geht ist doch der, dass das Interesse der Kinder, nicht bei lebendigem Leibe zu verbrennen, von Frank in seinem Handeln nicht berücksichtigt wird, während Andreas dies Interesse in seinem Handeln - unter Verzicht auf sein Eigeninteresse an körperlicher Unversehrtheit – berücksichtigt. Man muss deshalb zwischen dem Interesse eines Individuums (im Sinne von Motivation) und dem Eigeninteresse dieses Individuums (im Sinne von Wohlergehen) unterscheiden. In diesem Sinne hatte Andreas ein Interesse (Motiv) an der Erfüllung des Eigeninteresses der Kinder.
Ich gebe zu, das ist etwas verwickelt. Es grüßt Dich Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von altair am 28. März 2004, 11:00 Uhr
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Schönen Sonntagmorgen Allesamt!
Ich habe soeben ein interessantes Interview in der P.M. gelesen mit Herrn Gerhard Roth Professor für Verhaltensphysiologie und Direktor am Institut für Hirnforschung der Uni Bremen. -Neurobiologen sagen: Der Mensch ist nicht Herr seiner Handlung - das Gehirn schreibt ihm vor, was zu tun ist. Ausgabe April 2004
" Prozesse im Gehirn bestimmen unser Tun - und eine bis zwei Sekunden später hab ich das Gefühl, es zu wollen"
Anders gesagt, das Unterbewusstsein hat das erste und das letzte Wort - indem es zuerst den Wunsch, und dann die Entscheidung beeinflusst. Das hieße wiederum, dass der Selbsterhaltungstrieb oder der Egoismus bewusst oder unbewusst immer im Vordergrund steht, solange iich mich nicht bewusst dagegen entscheide - nämlich zum Wohl des Ganzen.
Was wiederum den Schluss zuließe, dass Normen für ein harmonisches und förderndes, Zusammenleben unumgänglich wären, bzw. immer wieder neu erstellt werden müssen.
Erst Recht bei zunehmender Entwicklung der(fiktiven) Freiheit des Willens, die so glaube ich in der derzeitigen sozialen (Arbeitslosigkeit, Bildungsniveau, zunehmende Verarmung,Wettbewerbsunfähigkeit) Situation eher rückläufig ist, und uns eher wieder zu Sklaven der Arbeit und Wirtschaft macht, denn zu Sklaven des Gehirns.
Ciao
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 28. März 2004, 13:27 Uhr
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Hallo Altair und Eberhard,
das ist ja wirklich ein eigenartiger Zufall, dass ich bei Eberhards Argumentation in meine übliche Willensfreiheit-Skepsis hineingerutscht bin und Altair gleichzeitig einen Artikel darüber las. Übrigens sind diese Erkenntnisse nicht neu. Benjamin Libet hat bereits anfangs der Achziger Jahre die entsprechenden Experimente durchgeführt. Leider entsprachen die Ergebnisse nicht dem Wunschdenken der Philosophen, Theologen und vor allem der Juristen, daher verdrängte man sie.
Ich jedenfalls gehe davon aus, dass es keinen Freien Willen gibt, dass es aber zuweilen zweckmäßig ist, so zu tun, als ob.
Zurück zum Thema. Gut, Eberhard, wir bleiben dabei, es gibt einen Gegensatz zwischen Eigeninteresse von Karin - Spielen auf Teufel komm raus - und den Interessen Stefans. Aber es lässt sich ja wohl nicht leugnen, dass das Eingehen auf die Interessen Stefans unter Umständen auch im Interesse von Karin sein kann. Vielleicht repariert er auch ihren Computer oder flickt einen defekten Fahrradreifen. Oder repariert gar das Saxofon, falls einmal die Klappen klemmen.
Auch ist ein gutnachbarliches Verhältnis gut für die Nerven und verhindert Magengeschwüre. Es sei denn, Karin gehört zu jenen Typen, die keine Magengeschwüre bekommen, sondern sie auslösen.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 28. März 2004, 17:45 Uhr
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Hallo altair, zu dem Satz: "Der Mensch ist nicht Herr seiner Handlung, das Gehirn schreibt ihm vor, was zu tun ist" kann ich nur sagen: Ich bin mein Gehirn. Aber das wurde ja schon an anderer Stelle diskutiert.
Zurück zur Frage, wie man allgemein konsensfähige Regeln des Umgangs miteinander aufstellen kann.
Hallo Ragnar, Dein Verweis auf bestehende rechtliche Normen kann dann keinen Konsens erzeugen, wenn die bestehenden rechtlichen Normen ihrerseits inhaltlich umstritten sind. Und das ist wohl nicht gerade selten.
Ansonsten gilt Deiner Meinung nach das Eigentumsrecht am eigenen Körper. Ich frage zurück: Besteht denn darüber Konsens? So selbstverständlich ist ein solches Eigentumsrecht ja nicht. Zum Beispiel war die Parole "Mein Bauch gehört mir!", mit dem Frauen gegen das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs demonstriert haben, nicht unumstritten. Gegen die Argumentation L.v. Mises habe ich meine Einwände, wie Du weißt.
Hallo Hanspeter,
zum Punkt "Rollentausch". Mein Gedankengang ist folgender: Wenn Karin den Konsens will, dann folgt daraus, dass die Zustimmung eines andern genauso wichtig ist wie die eigene Zustimmung, denn es ist egal, an wessen fehlender Zustimmung der Konsens scheitert. Sie muss deshalb zugestehen, dass Stefans Interessen genauso zu berücksichtigen sind wie ihre eigenen. Um Stefans Interessen zu berücksichtigen, muss sie logischer Weise dessen Interessen kennen. Sie kann im Prinzip sich durch Kenntnis der Fakten über Stefans Person und Lebenssituation vorstellungsmäßig in dessen Lage versetzen. Und sie müsste sich die Frage stellen: Was wiegt schwerer, dass ich täglich für zwei Stunden Übungsräume aufsuchen muss oder dass Stefan zu jeder Tageszeit damit rechnen muss, durch mein Üben in einer Konzentration erfordernden geistigen Arbeit gestört zu werden.
Menschen haben die Fähigkeit, sich in die Lage eines andern Menschen hineinzuversetzen (sonst wäre der Umsatz an Romanen und Kinofilmen geringer), und Menschen haben die Fähigkeit, verschiedene Interessen zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Bei unseren individuellen Entscheidungen praktizieren wir ständig eine derartige – allerdings intrasubjektive - Abwägung verschiedener Interessen.
Kommen wir dem Konsens näher? Seid gegrüßt von Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von altair am 28. März 2004, 19:38 Uhr
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Hallo Hans Peter, hallo Eberhard -
Eberhard - nö, so einfach ist das nicht!
Zit. 'Ich bin mein Gehirn'
Zit.PM " Das neuronale Netzwerk arbeitet wie ein Taschenrechner: Ich gebe durch bewusstes Denken etwas ein, und das Unbewusste rechnet mir unterm STrich aus was zu tun ist?"
Prof. Roth:" So ist es. Nur, dass im Gehirn soviele Faktoren miteinander verrechnet werden, dass wir das nicht mehr nachvollziehen können. Was wiederum die Illusion erzeugt, als ginge das nicht kausal zu. Wenn man so ein Netzwerk physikalisch nachbaut, wie wir Forscher es getan haben, verhält es sich schon bei nur fünf oder sechs Faktoren so unberechenbar, dass man ihm einen freien Willen zuschreiben würde. Ich behaupte "Straftäter können im moralischen Sinne nichts für das, was sie tun. Das heißt aber nicht, dass sie nicht bestraft werden dürfen"
Libet hat bereits Vorarbeit geleistet, aber seine Experimente waren noch sehr unzulänglich, das hat sich geändert. Heute weiß man ziemlich genau, wie Handlungen in unserem Gehirn vorbereitet werden.
Diese Untersuchungen werfen doch ein völlig neues Licht auch auf die Philosophie bzw. Ethik!
Wenn Karin den Konsens will - das ist fraglich!
Es könnte auch nur darum gehen Ärger bzw. eine zusätzliche Belastung zu vermeiden, was vorprogrammiert wäre. Denn wollte Karin dies von vorneherein vermeiden oder einen guten Kontakt mit den Nachbarn suchen, dann hätte sie bereits von Anfang an eine Absprache getroffen und sich informiert. Allein, dass sie bereits in den Kleiderschrank spielt beweist, dass sie sich dessen bewusst ist, dass ihr Saxospiel für andere kein Ohrenschmaus ist.
Ciao
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 28. März 2004, 21:31 Uhr
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Hallo Eberhard
on 03/28/04 um 17:45:20, Eberhard wrote:Hallo Ragnar, Dein Verweis auf bestehende rechtliche Normen kann dann keinen Konsens erzeugen, wenn die bestehenden rechtlichen Normen ihrerseits inhaltlich umstritten sind. Und das ist wohl nicht gerade selten.
Ich beziehe mich auf "natürliche vorstaatliche" Rechtsnormen, die aus sich heraus apriori bestehen, wenn man sich auf Rechtsnormen einigen will. Du hast ja selber welche aufgezählt. Wenn man aber solche Normen nicht akzeptiert, also sie zugunsten von nicht widerspruchsfreien Regelungen verwirft, kann man keine allgemeingültigen Konsens finden. Das ist ebenso a priori wahr. Es gibt also keine Alternative, auch wenn es immer genug uneinsichtige Quengler gibt, die damit nicht einverstanden sind. Aber "natürliche vorstaatliche" Rechtsnormen bieten wenigstens die theoretische Voraussetzung sich zu einigen.
on 03/28/04 um 17:45:20, Eberhard wrote:Ansonsten gilt Deiner Meinung nach das Eigentumsrecht am eigenen Körper. Ich frage zurück: Besteht denn darüber Konsens? So selbstverständlich ist ein solches Eigentumsrecht ja nicht. Zum Beispiel war die Parole "Mein Bauch gehört mir!", mit dem Frauen gegen das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs demonstriert haben, nicht unumstritten.
S.o.
Hoppe beweist das Recht am eigenen Körper mit:
" Umso sicherer nämlich wird das Fundament der Eigentumstheorie, deren erste wesentliche Aussage jetzt so formuliert werden kann: wenn Argumentation die wechselseitige Anerkennung eines exklusiven Verfügungsrechts jeder Person über ihren eigenen Körper voraussetzt, und wenn man ein exklusives Verfügungsrecht über ein knappes Gut als Eigentum an diesem Gut bezeichnet, dann setzt Argumentation Eigentum am eigenen Körper voraus; und wenn, weiter, solange argumentiert wird, eine Interaktion übereinstimmend als konfliktfrei bewertet wird, und wenn 'rechtfertigen' nicht nur einfach heißt, sprachlich einseitig als gerechtfertigt behaupten, sondern übereinstimmend rechtfertigen, dann ist das Eigentum am eigenen Körper eine Norm, die als übereinstimmend rechtfertigbare Regel gelten muss: jeder, der versuchte, irgendeine zum Zweck der Konfliktvermeidung im Hinblick auf knappe Güter formulierte Regel zu rechtfertigen, müßte, indem er entsprechend argumentiert, das Recht auf Eigentum am eigenen Körper bereits als eine allseits gerechtfertigte Norm voraussetzen; und umgekehrt müßte sich jeder, der das exklusive Verfügungsrecht einer Person über ihren Körper bestreiten wollte, notwendig in einen Widerspruch verwickeln, denn indem er so argumentierte und für sein Argument Zustimmung suchte, müßte er bereits implizit die Geltung der von ihm bestrittenen Norm voraussetzen."
http://www.mises.de/texte/Hoppe/Eigentum/Kapitel4/III/index.html
on 03/28/04 um 17:45:20, Eberhard wrote:Gegen die Argumentation L.v. Mises habe ich meine Einwände, wie Du weißt.
Nein, wo? weiß ich nicht.
Außerdem geht es um Hoppe. Hast Du also immer noch nicht gelesen. [nono] [smiley=deal.gif]
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 28. März 2004, 22:55 Uhr
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Hallo Ragnar,
das letzte zuerst. Du hattest einen Link angegeben zur Eigentumstheorie. Auf der Website fand ich Auszüge aus dem Buch von Mises. Ich habe Dir dazu eine Kurznachricht mit einer Kritik an der Argumentation von Mises geschickt, die Du offenbar nicht erhalten hast. Offenbar ist Hoppe ein Schüler von Mises, der in seinem Sinne argumentiert, so dass für ihn die gleiche Kritik gilt. Meine Einwände sind folgende:
Wenn man argumentiert, dann versucht man einen Konsens zu erreichen unter Verzicht auf Gewalt oder die Androhung von Gewalt. Prügel oder deren Androhung sind keine Argumente.
Der Verzicht auf die Anwendung oder Androhung von körperlicher Gewalt oder Zwang gegenüber dem Argumentationspartner beinhaltet jedoch nicht, dass ich damit ein Recht des Argumentationspartners anerkenne, über seinen Körper in jeder Hinsicht nach Belieben zu verfügen und andere davon auszuschließen – und das beinhaltet ja das Institut des Eigentums.
Dass ich darauf verzichte, den andern zu bestrafen, wenn er mir nicht zustimmt und zu belohnen, wenn er mir zustimmt, ist eine auf die Situation der Argumentation begrenzte Beschränkung meines Handelns. Das impliziert noch nicht, dass ich das Recht des anderen anerkenne, mich auch in ANDEREN Situationen von jeglicher Einwirkung auf seinen Körper auszuschließen (was nicht heißt, dass es dafür andere gute Gründe geben kann.) Insofern kann ich schon die erste Prämisse in der Argumentation Hoppes nicht teilen, wenn er schreibt: "Wenn Argumentation die wechselseitige Anerkennung eines exklusiven Verfügungsrechts jeder Person über ihren eigenen Körper voraussetzt, …
Ich habe mich auch nicht auf "natürliche vorstaatliche" Rechtsnormen gestützt, die aus sich heraus a priori bestehen, wenn man sich auf Rechtsnormen einigen will, wie Du meinst. Das wäre ein Missverständnis.
Mein zentrales Argument besteht darin, dass derjenige, der bestimmte Ziele und Regeln nicht akzeptiert (den zwanglosen Konsens anzustreben mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Argumentation und das Handeln), damit zugleich darauf verzichtet, in irgendeiner Weise "Recht zu haben" oder "die Wahrheit zu vertreten", denn diese Auszeichnung ist denjenigen Positionen vorbehalten, für die es intersubjektiv und dauerhaft nachvollziehbare Argumente gibt. Das unterscheidet den Anspruch auf Einsehen der "Wahrheit" von der Forderung nach Glauben an ein Dogma.
Es grüßt Dich Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 29. März 2004, 00:45 Uhr
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Hallo an Alle,
hat es sich noch nicht herumgesprochen, dass man moralische Thesen nicht beweisen kann, selbst wenn Herr Hoppe noch so lange Sätze konstruiert? Moralische Normen werden gesetzt, und wenn sie plausibel sind, werden sie von vielen Menschen akzeptiert, wer sie nicht plausibel findet, muss sehen, wie er damit zurecht kommt. Beweise dafür gibt es nicht.
Zu Altair: Das ist richtig, dass die neurophysiologischen Erkenntnisse die Moral in einem ganz neue Licht erscheinen lassen, doch dieses Licht missfällt Vielen, deshalb schauen sie weg.
Zum Thema Saxofonspiel.
Die Motive, warum und in welchem Maß Karin einen Konsens erreichen will, könnte nur ein längeres psychologisch fundiertes Gespräch ans Tageslicht bringen. Und ob sich Karin die Mühe machen muss, sich detailliert in die Situation von Stefan zu versetzen, bezweifle ich ebenfalls. Es muss die Aussagen von Stefan genügen, dass ihn der Lärm stört.
Ein Konsens wird also nur erreicht werden, wenn primär der Wille zum Konsens vorhanden ist - aus welchen Gründen auch immer. Wenn nicht, wird man sich auf die Rechtspositionen zurückziehen. Das Argument Eberhards, auch Rechtspositionen sind umstritten, ist richtig. Alles, was in einer Gesellschaft keine 100%ige Zustimmung erfährt, ist umstritten. Doch das ist kein Grund, dass es nicht gilt und dass das Beharren darauf als moralisch durchaus akzeptabel gesehen werden kann.
Noch ein Wort zu Eberhards Satz: "Ich bin mein Gehirn." Dagegen ist nichts einzuwenden. Dieser Satz tangiert diese neurophysiologischen Untersuchungen in keiner Weise.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 29. März 2004, 14:16 Uhr
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on 03/29/04 um 00:45:11, Hanspeter wrote:Hallo an Alle,
hat es sich noch nicht herumgesprochen, dass man moralische Thesen nicht beweisen kann, selbst wenn Herr Hoppe noch so lange Sätze konstruiert? Moralische Normen werden gesetzt, und wenn sie plausibel sind, werden sie von vielen Menschen akzeptiert, wer sie nicht plausibel findet, muss sehen, wie er damit zurecht kommt. Beweise dafür gibt es nicht.
Ach Hans Peter,
Deine Einwände sind wirklich so reflexhaft, dass ich es nicht ernst nehme.
Apriorismen beweisen sich selbst. Man muss nicht mit ihnen einverstanden sein. Aber aus der Welt schaffen kann man sie nicht. Genau wie man Dummköpfe und Ignoranten nicht aus der Welt schaffen kann. Ist nun mal so.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 29. März 2004, 14:17 Uhr
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Hallo Hanspeter,
Du schreibst, dass Du meinen Satz "Ich bin mein Gehirn" akzeptierst, aber dass mein Satz "diese neurophysiologischen Untersuchungen in keiner Weise tangiert".
Das sehe ich anders. Diese Forschungen werden ja unter der Überschrift präsentiert: "Neurobiologen sagen: Der Mensch ist nicht Herr seiner Handlung – das Gehirn schreibt ihm vor, was zu tun ist." Eine einfache logische Überlegung zeigt: Wenn ich mein Gehirn bin, dann schreibe ICH mir demnach selber vor, was zu tun ist. Was soll aber eine solche Aussage?
Du stimmst altair in seiner Einschätzung zu, "dass die neurophysiologischen Erkenntnisse die Moral in einem ganz neuen Licht erscheinen lassen". Meine Frage an Dich und altair: Haben diese Forschungsergebnisse auch Konsequenzen für das Projekt der Konstruktion einer allgemein konsensfähigen Moral? Und wenn "ja", welche?
Für Dich steht fest: "Moralische Normen werden gesetzt, und wenn sie plausibel sind, werden sie von vielen Menschen akzeptiert … Beweise dafür gibt es nicht." Meine Frage dazu: Was sind die Kriterien dafür, dass eine moralische Norm "plausibel" ist?
Nun zum Kern unserer Diskussion. Ob Karin konsenswillig ist oder nicht ist für mich kein psychologisches oder therapeutisches Problem. Ich stelle die Frage, ob bestimmte Positionen und Argumente mit dem Willen zum argumentativen Konsens vereinbar sind, aus folgendem Grund:
Wenn Normen strittig sind und jemand hält nicht am Ziel eines argumentativen Konsens fest, dann hat er sich damit selber aus der normativen Argumentation verabschiedet.
Das hat aber zur Folge, dass er nun keine Normen mehr mit dem Anspruch der Berechtigung (als "gültig", "verbindlich", "richtig" oder "wahr" ) behaupten kann. Denn die Berechtigung einer Norm muss begründet werden, das heißt, sie lässt sich nur argumentativ einlösen. Und aus dieser Diskussion hat er sich aber bereits verabschiedet.
Wer nicht nach einem argumentativen Konsens strebt, der kann mir deshalb auch keine Vorwürfe mehr machen und kann mein Handeln auch nicht kritisieren. Er kann höchsten noch "Pfui!" sagen oder anderweitig zum Ausdruck bringen, dass ihm mein Handeln nicht passt. Normativ argumentieren und Behauptungen aufstellen kann er dann nicht mehr.
Weil sich diese wichtige Konsequenz aus der Aufgabe des Strebens nach einem argumentativen Konsens ergibt, ist es so wichtig, die Frage zu stellen: Ist eine bestimmte Argumentation mit dem Streben nach einem argumentativen Konsens vereinbar oder nicht?
Positionen und Argumente, die mit dem Streben nach einem argumentativen Konsens nicht vereinbar sind, wie z. B. die Bevorzugung bestimmter Personen, sind aus diesem Grund auch keine zulässigen Argumente für oder gegen bestimmte Normen.
Fazit: Ich kann demjenigen, der den Willen zum argumentativen Konsens aufgibt, nicht "beweisen", dass er das nicht tun darf, aber ich kann ihm die Konsequenz aufzeigen, dass damit für ihn die Ebene berechtigter Kritik am Verhalten anderer nicht mehr verfügbar ist.
Grüße auch an alle anderen von Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 29. März 2004, 15:24 Uhr
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on 03/28/04 um 22:55:17, Eberhard wrote:Hallo Ragnar,
das letzte zuerst. Du hattest einen Link angegeben zur Eigentumstheorie. Auf der Website fand ich Auszüge aus dem Buch von Mises. Ich habe Dir dazu eine Kurznachricht mit einer Kritik an der Argumentation von Mises geschickt, die Du offenbar nicht erhalten hast.
Doch, nur nicht gelesen, weil ich es nicht gemerkt habe.
Du schreibst darin:
Quote:... Allerdings teile ich nicht die Ansicht, dass ich, indem ich mit dem anderen argumentiere, dessen Eigentumsrecht an seinem Körper voraussetze. Was ich voraussetze ist nur, dass er und ich allein durch Austausch von zwangfreien Argumenten zu einem Konsens kommen wollen. Aber dass ich auf körperliche Gewalt gegen ihn sowie auf die Drohung damit verzichte, impliziert logisch nicht, dass ich ihm das Recht zugestehe, mit seinem Körper in jeder Hinsicht nach Belieben zu verfahren (was ein Eigentumsrecht ja bedeutet).
Hier bleibt unklar WIE Du denn argumentierst, wenn ARGUMENTIEREN einen Begriff machen soll. Es kann ja nicht sein, dass Du Deinem Gegenüber ein Bein abschnippselst, während Du mit ihm ARGUMENTIERST oder im Anschluß an dem Gespräch. Dann wäre es ja keine Argumentieren, was ja Einsichtsfähigkeit und Respekt bedingt. Stehen die Positionen eh fest, dass muss man auch nicht Argumentieren. Dann wäre das nur eine Scheinveranstaltung oder eine Gehirnwäsche zum Gefügigmachen.
Quote:Wenn man argumentiert, dann versucht man einen Konsens zu erreichen unter Verzicht auf Gewalt oder die Androhung von Gewalt. Prügel oder deren Androhung sind keine Argumente.
Der Verzicht auf die Anwendung oder Androhung von körperlicher Gewalt oder Zwang gegenüber dem Argumentationspartner beinhaltet jedoch nicht, dass ich damit ein Recht des Argumentationspartners anerkenne, über seinen Körper in jeder Hinsicht nach Belieben zu verfügen und andere davon auszuschließen – und das beinhaltet ja das Institut des Eigentums.
Versteh ich nicht! Was soll das heißen? Und wiseo sollte der andere damit einverstanden sein, dass Du ihm sein Recht am Körper nicht zugestehst? Was geht Dich der Körper des andern an?
Quote:Dass ich darauf verzichte, den andern zu bestrafen, wenn er mir nicht zustimmt und zu belohnen, wenn er mir zustimmt, ist eine auf die Situation der Argumentation begrenzte Beschränkung meines Handelns.
Zumindest für den Zeitraum des Argumentierens muss Du aber das Eigentum am Körper anerkennen, sonst ist es nur ein Gefügigmachen durch Folter oder Erpressung. (Ein Belohnen widerspricht dem Eigentum am Körper nicht.)
Quote:Das impliziert noch nicht, dass ich das Recht des anderen anerkenne, mich auch in ANDEREN Situationen von jeglicher Einwirkung auf seinen Körper auszuschließen (was nicht heißt, dass es dafür andere gute Gründe geben kann.) Insofern kann ich schon die erste Prämisse in der Argumentation Hoppes nicht teilen, wenn er schreibt: "Wenn Argumentation die wechselseitige Anerkennung eines exklusiven Verfügungsrechts jeder Person über ihren eigenen Körper voraussetzt, …
Darum geht es nicht. Es geht bloß um die Anerkennung des Rechtes am eigenen Körper, WENN man gegenseitig argumentiert. Das bedeutet nicht, dass jemand dann einen Freibrief für Verbrechen hat ohne dafür zur Rechenschaft gezogen werden zu können. In dem Fall muss man ja nicht argumentieren.
Quote:Ich habe mich auch nicht auf "natürliche vorstaatliche" Rechtsnormen gestützt, die aus sich heraus a priori bestehen, wenn man sich auf Rechtsnormen einigen will, wie Du meinst. Das wäre ein Missverständnis.
Das ist mir schon klar, dass Du das nicht bewusst tust.
Quote:Mein zentrales Argument besteht darin, dass derjenige, der bestimmte Ziele und Regeln nicht akzeptiert ... damit zugleich darauf verzichtet, in irgendeiner Weise "Recht zu haben"
Richtig! Aber wenn dieses Argument gelten soll, also allgemeingültig ist, dass jemand der die Voraussetzungen für Rechtsfähigkeit nicht akzeptiert, (also damit ein "Recht" überhaupt ein Recht sein kann,) sich also keiner durchführbaren Moral unterwirft, der kann a priori auch nicht verlangen anders behandelt zu werden.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von altair am 29. März 2004, 20:03 Uhr
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Guten Abend -
Eberhard - ich verstehe den Aufwand deiner Argumente nicht, es gibt Formeln für ein System, nachdem die Kosequenzen und Alternativen berechnet werden deren Summe dann aussagt ob eine Handlung erlaubt oder verboten oder geboten ist. Es kann doch nur mit Abwägen zu einer allemeingültigen Aussage kommen.
Nach Gerhard Roth ist ein Straftäter im moralischen Sinn nicht verantwortlich zu machen, weil die Funktionen des Gehirns die Tat bestimmen. Das heisst, die Willensfreiheit des Menschen wäre demnach fiktiv. Das hieße aber nach Prof Roth nicht, dass der Mensch Straffreiheit genießen sollte, sondern ganz im Gegenteil, es wäre dies die einzige Chance ihn zu heilen und umzuerziehen. Diese Ansicht hat eine Auswirkung auf die moralische Bewertung, denn wenn ein Mensch nicht Herr seiner Entscheidungen ist, dann kann man ihn auch nicht wie gehabt zur Verantwortung ziehen.
Ein Satz der mir sehr gut gefällt von G.Roth: Der einzelne Mensch ist nicht verantwortlich für sein Tun, aber die Gesellschaft ist sozial verantwortlich für das, was ihre Mitglieder tun.
Ich gebe zu, die Vorstellung, dass der einzelne Mensch nicht verantwortlich ist für sein Tun, das ist schwer zu begreifen - noch ist es ja nicht in der Allgemeinheit publik, wie das Gehirn arbeitet, daran werden sich noch die Geister scheiden.
Ciao
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 29. März 2004, 22:44 Uhr
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Hallo Ragnar,
um meine Kritik an Mises und Hoppe auf den Punkt zu bringen: Zu den Voraussetzungen der Argumentation gehört nicht das Eigentumsrecht der Argumentierenden am eigenen Körper. Wenn ich argumentiere, muss ich voraussetzen, dass die Beteiligten das Ziel haben, zu einer gemeinsamen Überzeugung, einem nicht erzwungenen Konsens zu gelangen. Eine durch Drohungen erzwungene Vereinheitlichung der Meinungen ist wertlos bei der Suche nach allgemeingültiger Erkenntnis.
Aber aus der Respektierung der Freiheit aller Beteiligten, Argumente einzubringen und abzulehnen folgt noch nicht ein Eigentumsrecht aller Beteiligten am eigenen Körper.
Ich kann ohne Widerspruch mit Person X korrekt argumentieren und zugleich der (möglicherweise falschen) Ansicht sein, X habe nicht das Recht, seinen Körper durch das Piercen mit Sicherheitsnadeln zu verletzen.
Wenn dieser Satz stimmt, wankt die Eigentumstheorie, meint Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 30. März 2004, 01:35 Uhr
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Hallo Altair und Eberhard,
nun haben wir also wenigstens 2 Diskussionsebenen, die der Hirnforschung und die der Konsenstheorie, aber sie gehören natürlich irgendwie zusammen.
1. Hirnforschung.
Eberhard meint, dass die Neurologen argumentieren "Der Mensch ist nicht Herr seiner Handlung – das Gehirn schreibt ihm vor, was zu tun ist." So sie es tun, ist die Formulierung unglücklich. Es gibt viele Philosophen, die sie trifft, nämlich diejenigen, die das Prinzip des Handels in etwas außerhalb des Gehirns suchen (Geist, unsterbliche Seele usw.). Da für mich aber alles menschliche Bewusstsein, auch die ominösen Begriffe Geise und Seele, Funktion des Gehirns sind, kann ich dieser Formulierung nicht zustimmen.
Diese unterschiedliche Betrachtungsweise tangiert auch den Schuldbegriff. Da in der philosophischen Denkweise der Geist oder die Seele den Menschen steuern, sind sie auch für die Schuld verantwortlich. Der Neurologe begreift den Straftäter dagenen als Maschine mit defektem Steuerprogramm. Und da gibt es nur zwei Möglichkeiten: Reparieren oder entsorgen.
Der Satz: "Der einzelne Mensch ist nicht verantwortlich für sein Tun, aber die Gesellschaft ist sozial verantwortlich für das, was ihre Mitglieder tun" ist Unsinn. Entweder man definiert überhaupt den Begriff Verantwortung, dann gilt er für die Gesellschaft wie für das Einzelindividuum oder man verzichtet auf ihn.
2. Eberhard fragt nach der Plausibilität. Sie ergibt sich durch die gegebene Struktur der Menschen, genauer gesagt durch das Demokratieprinzip. Wenn die Mehrheit ein moralisches Dogma für richtig hält - aus welchen Gründen auch immer - dann ist es plausibel.
Vielleicht kommen wir der Konsensproblematik auf eine andere Weise näher, in dem wir statt auf moralische Dogmen auf ein Axiom zurückgreifen, nämlich auf das Kausalitätsprinzip. Stellen wir uns also zunächst die Frage: Welchen Grund kann es geben, dass Karin an einem Konsens interessiert ist? Praktische Vorteile wie ein gutes Nachbarschaftsverhältnis, Befriedigung anerzogener Moralvorstellungen, gute Argumente im Falle eine Rollentauschs oder was sonst?
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 30. März 2004, 01:43 Uhr
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Hallo Eberhard
on 03/29/04 um 22:44:04, Eberhard wrote:Ich kann ohne Widerspruch mit Person X korrekt argumentieren und zugleich der (möglicherweise falschen) Ansicht sein, X habe nicht das Recht, seinen Körper durch das Piercen mit Sicherheitsnadeln zu verletzen.
Aber wie denn?
Entweder Du hinderst X daran sein/ihr Ohrläppchen durchzustechen, dann argumentierst Du nicht, oder Du lässt ihn/sie gewähren und schimpfst nur, respektiertst ihn/sie aber als autonome Person und dann gilt auch das Apriori.
Für eins musst Du Dich entscheiden.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 30. März 2004, 09:57 Uhr
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Hallo Ragnar,
Ich behaupte:
Zu den Voraussetzungen der Argumentation gehört nicht das Eigentumsrecht der Argumentierenden am eigenen Körper.
Ich habe dies an folgendem Beispiel konkretisiert:
" Ich kann ohne Widerspruch mit Person X korrekt argumentieren und zugleich der .. Ansicht sein, X habe nicht das Recht, seinen Körper durch das Piercen mit Sicherheitsnadeln zu verletzen."
Ich verstehe Deine Antwort so, dass Du diese Behauptung für falsch hältst. Wie begründest Du diese Ansicht?
Du stellst Deinerseits die Behauptung auf:
" Du kannst nicht sowohl X am Durchstechen des eigenen Ohrläppchens hindern als auch X dabei gewähren lassen. Du musst Dich entscheiden."
Dies ist zwar richtig, aber dies ist eine andere Behauptung als die von mir aufgestellte. Meine Behauptung bezieht sich auf mein Argumentieren und meine moralischen Ansichten, die von Dir aufgestellte Behauptung bezieht sich dagegen auf mein konkretes Handeln.
Ich kann leider nicht erkennen, inwiefern sich aus der von Dir aufgestellten Behauptung eine Widerlegung meiner Behauptung ergibt. Welches sind die logischen Schritte in Deinem Beweisgang?
Du sagst: Wenn ich X daran hindere, das eigene Ohrläppchen durchzustechen, dann argumentiere ich nicht. Dem stimme ich zu. Das Anlegen von Handschellen ist kein Argument.
Du sagst weiterhin: Wenn ich X gewähren lasse und nur meine moralische Ansicht vertrete (" schimpfe" ), dann respektiere ich X als autonome Person und dann gilt das Apriori,.
Soll das heißen:
Wenn ich X gewähren lasse und nur meine moralische Ansicht vertrete, dann respektiere ich X als autonome Person und das impliziert die Anerkennung der Norm "X hat ein Eigentumsrecht am eigenen Körper" ?
Wenn "ja", dann folgt daraus: "Wenn ich die Ansicht vertrete: ,X hat nicht das Recht, den eigenen Körper durch das Piercen mit Sicherheitsnadeln zu verletzen' – ohne die Durchsetzung dieser Ansicht zu erzwingen - , so erkenne ich damit die Behauptung an: 'X hat ein Eigentumsrecht am eigenen Körper' ."
Ich würde sagen: Ganz im Gegenteil! Oder?
Grüße an Dich und die anderen, Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 30. März 2004, 17:31 Uhr
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Hallo Eberhard
on 03/30/04 um 09:57:34, Eberhard wrote:Dies ist zwar richtig, aber dies ist eine andere Behauptung als die von mir aufgestellte. Meine Behauptung bezieht sich auf mein Argumentieren und meine moralischen Ansichten, die von Dir aufgestellte Behauptung bezieht sich dagegen auf mein konkretes Handeln.
Irgendwie erkennst Du nicht die Elemente des Aprori. Ein Apriori muss ja um eines zu sein, etwas voraussetzen und etwas daraus logisch schlussfolgern. Also symbolisch A -> B
A bedeutet jemand argumentiert. Das ist einfach das unterstellte Axiom.
Ob Du dabei auch noch irgendwelche obskuren oder sinnvollen Moralvorstellungen hegst, spielt für dieses A keine Rolle. Es verändert das Argumentieren ja nicht. Sonst wäre es ja kein Argumentieren mehr und das notwendige A fehlte. A besteht aber.
Und um nun zu Argumentieren muss man den Gegenüber um des Argumentierens wegen entsprechend anerkennen. Es geht einfach nicht anders, auch wenn man total hasserfüllt wäre, Mordgelüste oder Ansprüche hegt usw. usf.
Das ist genauso als würde ich zu Gott beten, bin aber Heide. Dann bedeutet das Beten an "Gott" zu glauben, sonst wäre es ja kein Beten. Auch wenn es Blödsinn ist als Heide zu beten.
Du siehst, das Paradox liegt außerhalb.
Gruß
RD
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 30. März 2004, 18:55 Uhr
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Hallo altair,
welche Formeln für welches System ersparen mir den Aufwand an Argumenten? Her damit!
Hallo Hanspeter,
Du schlägst vor, dass wir statt "auf moralische Dogmen" zurückzugreifen, das Kausalitätsprinzip einbeziehen. Diese Terminologie erstaunt mich etwas. Was verstehst Du unter einem "Dogma" ? Ist z. B. das Prinzip der Personunabhängigkeit (Wenn zwei Fälle moralisch unterschiedlich beurteilt werden, dann muss zwischen diesen ein sachlicher Unterschied bestehen, und der Unterschied darf nicht nur darin bestehen, dass es sich in dem einen Fall um die Person X handelte und im andern Fall um die Person Y" ) für Dich ein Dogma?
Du schreibst: "Wenn die Mehrheit ein moralisches Dogma für richtig hält - aus welchen Gründen auch immer - dann ist es plausibel." Eine solche Verwendung des Mehrheitsprinzips halte ich für problematisch, ganz abgesehen davon, dass die Anwendung des Mehrheitsprinzips als Verfahren der Normsetzung von Dir nicht begründet wird. Ich will nur ein Beispiel nennen. Angenommen eine Mehrheit (von welcher Gesamtheit?) ist der Ansicht, dass sich Ehefrauen ihrem Ehemann unterzuordnen haben. Ist dies dann eine plausible Norm? Wenn eine Mehrheit aus einer anderen Gesamtheit für die Gleichberechtigung in der Ehe ist, ist dann auch diese Norm plausibel? Können demnach zwei einander widersprechende Normen plausibel sein? Fragen über Fragen.
Grüße auch an alle anderen, Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von altair am 30. März 2004, 20:15 Uhr
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Hallo @ all,
Die Grundidee des kosequentialistischen Ansatzes brauche ich dir sicher nicht erklären, beidem die Werte zahlenmäßig erfasst werden und gegeneinander abgewogen.
Seit Aristoteles nennt man nur intelligente Wesen frei. Um sinnvoll und rational handeln zu können, muss man sich eine Meinung über bestehende Handlungsalternativen und ihre wahrscheinlichen Folgen bilden können. Frei sind auch Handlungen, die nicht rational und nicht absichtlich sind nur dann, wenn der Handelnde prinzipiell zu rationalen Überlegungen befähigt ist.
Das Verhalten einer Person ist frei, wenn sie sich auch anders hätte verhalten können. Handlungsfreiheit ist einfach die Möglichkeit zu handeln, damit lässt sich auch die Unterscheidung zwischen dem was man freiwillig tut, und dem was man gezwungenermaßen tut präzisieren.
Da der Einzelne Teil der Gemeinschaft ist, dient das, was im allgemeinen Interesse liegt auch seinem eigenen Interesse. Bestimmt man das allgemeine Interesse im ersteren Sinn, z. B. mit einer sozialen Präferenzfunktion, so ist klar, dass es in aller Regel nicht den Eigeninteressen aller Beteiligten entspricht.
Moralische Gebote ergeben sich aus geltenden Gesetzen oder Konventionen.
Man kann nicht behaupten, ethische Prinzipien oder Theorien seien entweder unakzeptabel oder überflüssig. Man wird zwar auch nur dann eine Theorie annehmen, wenn sie den eigenen Intuitionen und Erfahrungen entspricht, denn auf ein anderes Kriterium können wir nicht zurückgreifen, aber es gibt soviele unabhängige und inkompatible Intuitionen, dass es eine wichtige Sache ist sie unter einen Hut zubringen. Daher muss man zu einem konsistenten Normensystem oder einer konsistenten Präferenzordnung kommen. Erst dann kann man konsequent handeln und das zwischen verschiedenen Zielen und Intuitionen Herschwanken hört auf.
Liebe Grüße
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 30. März 2004, 22:51 Uhr
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Hallo Ragnar,
Irgendwie weichst Du meinen Fragen aus. Deshalb noch einmal die Bitte um Beantwortung der folgenden Frage:
" Wenn ich mit Person X argumentiere, (z. B. ob X das Recht hat, den eigenen Körper durch das Piercen mit Sicherheitsnadeln zu verletzen), erkenne ich damit zugleich das Eigentumsrecht von X an seinem Körper an als eine notwendige a priori - Voraussetzung jeglicher Argumentation ?"
Wenn "ja", wie ist die logische Schrittfolge?
Herzliche Grüße Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 30. März 2004, 23:57 Uhr
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Hallo Eberhard
on 03/30/04 um 22:51:55, Eberhard wrote:Hallo Ragnar,
Irgendwie weichst Du meinen Fragen aus. Deshalb noch einmal die Bitte um Beantwortung der folgenden Frage:
" Wenn ich mit Person X argumentiere, (z. B. ob X das Recht hat, den eigenen Körper durch das Piercen mit Sicherheitsnadeln zu verletzen), erkenne ich damit zugleich das Eigentumsrecht von X an seinem Körper an als eine notwendige a priori - Voraussetzung jeglicher Argumentation ?"
Ja sicher.
on 03/30/04 um 22:51:55, Eberhard wrote:Wenn "ja", wie ist die logische Schrittfolge?
Habe ich doch schon geantwortet. A -> B
Es spielt keine Rolle was Du über das Piercen denkst. Das ist eine andere Kiste. Aus Deiner Sicht hast Du natürlich recht, es geht aber nur um das Apriori.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 31. März 2004, 01:39 Uhr
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Hallo Eberhard und Altair,
ein Dogma ist "die lehrhafte Formulierung von Grundwahrheiten oder Lehrsätzen, deren Voraussetzung außerhalb der Möglichkeit von wissenschaftlicher Nachprüfung liegen." (Brockhaus). Auch wenn die katholische Kirche damit Unfug getrieben hat, bitte ich diese Definition wertneutral zu sehen. Moralische Sätze können in der Regel nicht wissenschaftlich exakt bewiesen werden, ergo sind es Dogmen.
Wenn die Mehrheit, beispielsweise über eine Volksabstimmung, ihre Moralvorstellungen in ein Gesetz umwandelt, so ist das für mich plausibel. Wenn also eine absolute Mehrheit in der BRD festlegt, Artikel X des Grundgesetz laute: Die Frau sei dem Manne untertan (gemäß 1. Tim 2,12), so ist das für mich plausibel, weil es die Mehrheit der Gesellschaft so will.
Wenn ein Volk so blöd wäre, sowohl für die Unterordnung der Frau, als gleichzeitig für die Gleichberechtigung zu stimmen, gehört es entmündigt. Aber mir ist ein solcher Fall nicht bekannt.
Zu Altair,
Eine theoretische Freiheit liegt vor, wenn der Mensch theoretisch die Möglichkeit zu wenigstens zwei möglichen Handlungen hat, eine praktische Freiheit liegt vor, wenn wenigstens zwei Handlungen auch aufgrund des geltenden Rechts erlaubt sind. Ein Zusammenhang zwischen Intelligenz und Freiheit besteht bestenfalls in der Erkenntnis von unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten. Aber wenn letztere weder möglich noch erlaubt sind, nützt auch die Intelligenz nichts. Aristoteles ist zum Lösen von moralischen Problemen selten hilfreich.
Ich gehe aber davon aus, dass auch die praktische Freiheit nur genutzt werden kann, wenn die mögliche Handlungsweise mit den vorhandenen neuronalen Verhaltensprogrammen übereinstimmt.
Dessen ungeachtet sind moralische Normen wichtig, da sie die Grundlage für die Gesetze sein sollten. Und damit kann das neuronale Verhaltensprogramm der Menschen nachhaltig beeinflusst werden. (" update an alle Gehirnzellen: Auf Auto-Diebstahl steht Handabhacken." Dürfte durchaus Wirkung zeigen)
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 31. März 2004, 09:59 Uhr
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Hallo Ragnar,
Du behauptest:Aus der Tatsache, dass ich mit Person X argumentiere, folgt, dass ich das Eigentumsrecht des X an dessen eigenen Körper anerkenne.
Ich kann keine gültige logische Schlussregel finden, die diesen Schluss ermöglicht. Deshalb habe ich nach logischen Zwischenschritten gefragt.
Hallo Hanspeter,
Danke für die Definition von "Dogma". Trotzdem hätte ich gern noch eine Antwort auf meine Frage: Ist das Prinzip der Personunabhängigkeit (Wenn zwei Fälle moralisch unterschiedlich beurteilt werden, dann muss zwischen diesen ein sachlicher Unterschied bestehen, und der Unterschied darf nicht nur darin bestehen, dass es sich in dem einen Fall um die Person X handelte und im andern Fall um die Person Y" ) für Dich ein Dogma?
Wenn "ja", dann besteht für mich hier noch Bedarf nach Klärung.
Hallo altair,
wenn ich nach einem Konsens strebe und deshalb die Interessen der Konfliktpartner gegeneinander abwäge, dann mache ich einen "interpersonalen Nutzenvergleich", der mit den Methoden der Erfahrungswissenschaften nicht geleistet werden kann. Das ist einer der Hauptkritikpunkte am Utilitarismus. Deshalb mein Aufwand an Argumenten.
Seid gegrüßt von Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Matrix-3.14 am 31. März 2004, 11:48 Uhr
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konsensfähige Moral?
durch Einsicht!
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 31. März 2004, 12:28 Uhr
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Hallo allerseits!
Noch eine Anmerkung zur Relevanz der Gehirnforschung. für die Ethik.
Es ist unsinnig zu sagen: Ich werde durch die Prozesse in meinem Gehirn dazu gezwungen, die Handlung x zu tun. Ich bin nicht etwas, das unterschieden ist von meinem Körper und meinem Gehirn. Ich BIN mein Körper und ich bin insbesondere mein Gehirn, weil das Gehirn mein Gedächtnis, meine Sinneswahrnehmung, mein Sprachvermögen, meine willkürliche Muskeltätigkeit, mein Bewusstsein u. a. m. ermöglicht.
Solange die Gehirnforscher nicht die Unterschiede erforscht haben zwischen den Prozessen, die im Gehirn eines durchschnittlich zur Selbststeuerung befähigten Individuums ablaufen und den Prozessen, die im Gehirn z. B. eines Heroinsüchtigen ablaufen, solange ist der Beitrag dieser Disziplin zur Moralphilosophie eher gering einzuschätzen.
Tatsache ist, dass es einen Unterschied macht, ob jemand eine Normverletzung vorsätzlich begeht oder ob sie ihm aus Fahrlässigkeit passiert. Diesen für die Frage einer Bestrafung wichtigen Unterschied verwischt derjenige, der alles unter dem Begriff "kausale Gehirnprozesse" zusammenfasst.
Seid gegrüßt von Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 31. März 2004, 15:20 Uhr
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Hallo Eberhard,
1. Dein Prinzip der Personenunabhängigkeit gilt, so wie du es formuliert hast.
2. Zur Gehirnforschung. Du solltest das anders formulieren. Du wirst nicht durch die Prozesse in deinem Gehirn dazu g e z w u n g e n, die Handlung x zu tun, sondern dein Gehirn legt fest, was du freiwillig tust.
Wer oder was veranlasst dich denn, bei einer Entscheidung die Handlung X oder Y zu tun? Es ist doch dein Gehirn. Und für diese Entscheidung bedarf es Gründe, die in der Struktur deines Gehirns verankert sind (Hard- und Software). Diese Erkenntnis basiert übrigens nicht auf den Ergebnissen der Gehirnforschung. Die bestätigen das bestenfalls. Diese Erkenntnis basiert auf dem Kausalitätsprinzip. Wenn du nicht einen "Geist", eine "unsterbliche Seele" oder sonst irgend eine Erscheinung aus der Mottenkiste der Metaphysik herausholst, die außerhalb deines Gehirns zu finden ist, dann bleibt dir keine Alternative.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 31. März 2004, 17:09 Uhr
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on 03/31/04 um 09:59:12, Eberhard wrote:Hallo Ragnar,
Du behauptest:Aus der Tatsache, dass ich mit Person X argumentiere, folgt, dass ich das Eigentumsrecht des X an dessen eigenen Körper anerkenne.
Ich kann keine gültige logische Schlussregel finden, die diesen Schluss ermöglicht. Deshalb habe ich nach logischen Zwischenschritten gefragt.
Vielleicht solltest Du einfach noch mal Hoppe lesen.
" wenn Argumentation die wechselseitige Anerkennung eines exklusiven Verfügungsrechts jeder Person über ihren eigenen Körper voraussetzt, und wenn man ein exklusives Verfügungsrecht über ein knappes Gut als Eigentum an diesem Gut bezeichnet, dann setzt Argumentation Eigentum am eigenen Körper voraus; und wenn, weiter, solange argumentiert wird, eine Interaktion übereinstimmend als konfliktfrei bewertet wird, und wenn 'rechtfertigen' nicht nur einfach heißt, sprachlich einseitig als gerechtfertigt behaupten, sondern übereinstimmend rechtfertigen, dann ist das Eigentum am eigenen Körper eine Norm, die als übereinstimmend rechtfertigbare Regel gelten muss: jeder, der versuchte, irgendeine zum Zweck der Konfliktvermeidung im Hinblick auf knappe Güter formulierte Regel zu rechtfertigen, müßte, indem er entsprechend argumentiert, das Recht auf Eigentum am eigenen Körper bereits als eine allseits gerechtfertigte Norm voraussetzen; und umgekehrt müßte sich jeder, der das exklusive Verfügungsrecht einer Person über ihren Körper bestreiten wollte, notwendig in einen Widerspruch verwickeln, denn indem er so argumentierte und für sein Argument Zustimmung suchte, müßte er bereits implizit die Geltung der von ihm bestrittenen Norm voraussetzen."
Da ist alles drin, was man braucht, finde ich.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 31. März 2004, 19:46 Uhr
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Lieber Ragnar,
es tut mir leid, aber ich muss der Sache doch auf den Grund gehen. Unser kleiner Disput ist ein lehrreiches Beispiel für die Schwierigkeiten gegenseitiger Verständigung.
Mein Problem ist die Behauptung, dass "Argumentation die wechselseitige Anerkennung eines exklusiven Verfügungsrechts jeder Person über ihren eigenen Körper voraussetzt". Die Richtigkeit dieser Behauptung wird in dem Text von Hoppe bereits vorausgesetzt (" wenn …" ).
Hier fehlen mir die Begründungen in Form logischer Zwischenschritte, die leider nicht "drin" sind.
Habe ich mich jetzt verständlich gemacht? fragt Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von altair am 31. März 2004, 20:17 Uhr
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Hallo ihr -
es fehlt mir der Durchblick in dieser Argumentatiossituation!
Nochmals zur Gehirnforschung - ich habe das nur in den Raum gestellt, die Behauptung dass 'alle Gesetze im Gehirn nach Naturgesetzen ablaufen' stammt nicht von mir.
Allerdings bin ich der Meinung, dass man diese Behauptung, die von einem renomiertem Wissenschaftler gemacht wurde, der das sicher beweist nicht einfach ignorieren kann, sie ist es wert hinterfragt zu werden, weil damit tatsächlich ein Unterschied in der Bestrafung bei Straffälligkeit gegeben ist.
Hier geht es nicht um Geist oder Seele, sondern um die Funktionalität des Gehirns. Ich habe auch schon von Neurologen gelesen, die sich dagegen ausgesprochen haben, was wiederum auch nichts heißen muss, denn vielleicht waren sie mit dieser Materie nicht so vertraut.
HP - Aristoteles war nur ein Beispiel. Er unterscheidet auch Handlungen, die man bei Kenntnis der Umstände und Folgen nicht getan hätte, also hinterher bereut, und solche, bei denen man zwar auch in Unkenntnis der Umstände oder Folgen handelt, im Effekt aber doch so, wie man das bei ihrer Kenntnis getan hätte. Aristoteles verbindet in seinem Freiheitsbegriff die beiden Komponenten Freiwilligkeit und Wissentlichkeit.
Fast jeder Philosoph hat doch seine eigene Meinung über ein Wertesystem oder eine normative Ethik - kommen wir hier auf einen grünen Zweig?
etwas grübelnd heute - ciao
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 01. Apr. 2004, 00:46 Uhr
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Hallo Altair,
ich weiß nicht, wer als erster gesagt hat, dass "alle Gesetze im Gehirn nach Naturgesetzen ablaufen", aber ich gehe selbstverständlich davon aus, dass dem so ist. Nach welchen Gesetzen denn sonst?
Es ist richtig, dass diese Einsicht das Strafgesetz beeinflussen sollte. Aber vor einiger Jahren gab es, ich glaube im GEO, bereits eine Diskussion über dieses Thema mit einem namhaften Juristen. Und der sagte klipp und klar, dass man unabhängig von diesen Erkenntnissen beim bisherigen System bleiben werde. Aus grundsätzlichen Erwägungen.
Lassen wir Aristoteles. Er hält Sklaverei für angebracht und Frauen für Untermenschen. Für die Probleme unserer Zeit ist er überflüssig wie ein Kropf.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von altair am 01. Apr. 2004, 06:03 Uhr
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Guten Mogen HP -
Roth sagte diesen Satz über die Naturgesetze im Gehirn, war wohl mehr eine Floskel denn ein Beweisansatz.
Arist. ich bestehe nícht auf seine Meinung, dachte nur weil er immer und überall herangezogen wird.
Kropf - ja, ist überflüssig, aber die 'heutigen' Probleme werden mit unserem Beispiel auch nicht in den Vordergrund gerückt.
Problemlosen und schönen Tag noch
LG.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 01. Apr. 2004, 10:39 Uhr
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" Arist. ich bestehe nícht auf seine Meinung, dachte nur weil er immer und überall herangezogen wird."
Nett, wie du das so sagst. Jaja, ein Philosoph ist ein Mensch, der seinen Arist. zitieren kann. Drum bin ich kein Philosoph, weil ich lieber selber denke. [cheesy]
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von altair am 01. Apr. 2004, 11:28 Uhr
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[applause]HP -
bist du dann die fleischgewordene Funktionalität deines Gehirns, oder verbirgst du noch andere Talente und Eigenschaften? [talker]
LG
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 01. Apr. 2004, 11:37 Uhr
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on 03/31/04 um 19:46:20, Eberhard wrote:Lieber Ragnar,
es tut mir leid, aber ich muss der Sache doch auf den Grund gehen. Unser kleiner Disput ist ein lehrreiches Beispiel für die Schwierigkeiten gegenseitiger Verständigung.
Mein Problem ist die Behauptung, dass "Argumentation die wechselseitige Anerkennung eines exklusiven Verfügungsrechts jeder Person über ihren eigenen Körper voraussetzt". Die Richtigkeit dieser Behauptung wird in dem Text von Hoppe bereits vorausgesetzt (" wenn …" ).
Hier fehlen mir die Begründungen in Form logischer Zwischenschritte, die leider nicht "drin" sind.
Habe ich mich jetzt verständlich gemacht? fragt Eberhard.
Hallo Eberhard
es steht zuvor alles ausführlich beschrieben wie Hoppe zu den Vorausetzungen kommt.
Es wäre wirklich einfacher es im Zusammenhang zu lesen als es mir aus der Nase zu ziehen.
u.a. von http://www.mises.de/texte/Hoppe/Eigentum/Kapitel4/III/index.html
Man kann, wie sogleich deutlich werden wird, nicht einmal argumentativ bestreiten, dass die genannten Voraussetzungen vorliegen; denn ihr Vorliegen angesichts anderer Personen bestreiten zu wollen, hieße, ihr Gegebensein implizit voraussetzen zu müssen. Argumentieren heißt nämlich, bei denen, an die das Argument gerichtet ist, Autonomie und Konsensfähigkeit vorauszusetzen! Ein argumentativer Nachweis der Abwesenheit der genannten Voraussetzungen ist so schlechterdings unmöglich: man kann nicht, ohne sich in logische Widersprüche zu verstricken, argumentieren, dass man nicht argumentieren kann; von daher ist das Erfülltsein der zur Ausbildung eines normativen Eigentumskonzepts notwendigen Voraussetzung von Autonomie und Konsensfähigkeit nicht nur ein kontingentes empirisches Faktum, es ist eine verstandesnotwendige (d. i. aprioristische) Gegebenheit: wenn ich jemanden argumentativ von irgendetwas zu überzeugen versuche, unterstelle ich notwendig, dass diese Person mein Argument annehmen kann, wenn sie will, oder auch nicht, und dass die Wirksamkeit meines Arguments nicht [S.71] in kausalwissenschaftlichem Sinn 'zwingend' ist [FN6] und daher durch objektiv gegebene Ursachen vorausgesagt werden könnte, sondern Annahme oder Ablehnung eines Arguments vielmehr von jedermann selbständig vollzogene intellektuelle Entscheidungen darstellen, deren Ausgang immer nur jeweils ex post rekonstruierbar (verstehbar) wird; und außerdem unterstellt man, wenn und solange man argumentiert, dass man mit seinem Argumentationspartner zu einem übereinstimmenden Urteil wenigstens darüber gelangen kann, ob man hinsichtlich der Beurteilung eines Arguments übereinstimmt oder nicht übereinstimmt, und man also jedenfalls insofern wissen muss, was ein Konsens ist, und ihn von einem Konflikt eindeutig unterscheiden können muss.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 01. Apr. 2004, 15:46 Uhr
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Hallo Altair,
die fleischgewordene Funktionalität meines Gehirns. [cheesy] [cheesy] [cheesy] [cheesy]
Nein, andere Talente lässt mein egoistisches Gehirn leider nicht zu. Bei Versuchen zB. im Bereich Sport wirkt es sehr destruktiv durch permanente Fragen wie: Muss das sein, willst du noch mehr schwitzen und dich danach erkälten, lies doch lieber ein gutes Buch usw.
Und jetzt wollen wir hoffen, dass Eberhard brav ist, seinen Hoppe studiert, Ragnar in allem zustimmt und wieder zum Thema zurückkehrt.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 01. Apr. 2004, 17:49 Uhr
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Hallo allerseits,
altair schreibt, dass er nicht mehr richtig durchblickt in Bezug auf den Stand der Diskussion. Ich gebe zu, der Thread hat sich etwas zerfasert. Deshalb versuche ich mal zusammenzufassen.
Ich habe die Runde ins Leben gerufen, weil ich schon länger versuche, die Frage zu beantworten, wie sich angesichts vorhandener Konflikte Normen menschlichen Handelns bestimmen lassen, denen jeder zustimmen kann (sofern er die Argumente versteht und konsenswillig ist).
Ich will meine eigenen Ideen zu dieser Frage im Philtalk der Kritik aussetzen und hoffe auf neue Ideen kluger Köpfe.
ZWISCHENERGEBNIS:
Konsensfähige Normen
- müssen unparteiisch sein,
- müssen unabhängig von der Identität der Personen formuliert werden,
- verlangen den Verzicht auf die maximale Befriedigung der Eigeninteressen,
- verlangen ein unparteiisches Abwägen der Interessen aller Beteiligten,
Von den Beteiligten kann verlangt werden,
- dass sie am Ziel des argumentativen Konsens festhalten,
- dass sie nur solche Normen vorschlagen, von denen sie annehmen, dass sie konsensfähig sind,
- dass sie deshalb nur solche Normen vorschlagen, denen sie auch dann zustimmen würden, wenn sie selber in der Position desjenigen Individuums wären, das am schlechtesten dabei wegkommt,
- dass sie sich um eine gemeinsame verständliche Sprache bemühen.
Ungeklärte Probleme:
- wie kann ein Konsens erzielt werden, wenn die Parteien bereits verfeindet sind und vom jeweils anderen annehmen, dass dieser gar nicht konsenswillig ist und nicht gewillt ist, sich an gemeinsame Normen zu halten?
- wie kann man die Interessen der Beteiligten gegeneinander abwägen und zu einem gemeinsamen Interesse zusammenfassen?
- Einigungsversuche finden nicht im luftleeren Raum statt, sondern in Situationen, wo bereits rechtliche Normen gelten, die den Anspruch auf Befolgung enthalten. Wie verhält sich die moralische Argumentation zum Recht?
Ragnar hat den Verzicht auf "Egoismus" nicht für sinnvoll gehalten und auf eine vorhandene Theorie verwiesen, die eine Eigentumsordnung zum Ausgangspunkt der normativen Überlegungen machen will. (Hoppe)
Am Rande wurden Resultate der Hirnforschung diskutiert, deren Relevanz für die bisher behandelten Fragen jedoch ungeklärt blieb.
Ich bitte Euch um Ergänzungen und Korrekturen dieser subjektiven Zusammenfassung.
Zum weiteren Vorgehen mache ich zwei Vorschläge:
Vorschlag 1: Wir diskutieren am Beispiel einer konkreten Norm die Probleme der Konsensfähigkeit. Mein Vorschlag: "Niemand darf einen anderen Menschen um des eigenen Vorteils willen töten."
Vorschlag 2: Wir diskutieren die Frage, weshalb Rechtsnormen neben oder anstelle moralischer Normen sinnvoll sind und wie man zu Rechtsnormen kommt, über deren Verbindlichkeit Konsens besteht.
Herzliche Grüße an alle (klugen Köpfe) von Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Catullus am 01. Apr. 2004, 22:07 Uhr
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Hallo, ihr klugen Köpfe!
Hmm ein bisschen Ironie ist durchaus beabsichtigt.
Ihr ergeht euch in schwierigen und langwierigen Diskussionen und ich sehe Aristoteles auf den Boden zeigen, um euch zu veranlassen, auf demselben zu bleiben.
Damit ein Stein fliegt, bedarf es einer werfenden Hand, nicht einer Runde von Mathematikern, die ballistische Formeln ausrechnen.
Damit Menschen das Richtige tun, braucht es einen wirkungsvollen Anstoß, der jedermann jederzeit zur Verfügung steht. Das kann ein einfacher Satz, eine Regel, aber niemals eine
schwierige Expertendiskussion sein.
Je mehr ich mir das überlege, desto klarer wird mir, dass der ärgerlich-banale, und deshalb anregende Satz "Du bist nicht allein auf der Welt" eine solche Wirkung entfalten kann.
Nichts für ungut.
Catullus
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 01. Apr. 2004, 23:13 Uhr
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Hallo Ragnar,
vorweg eine Klarstellung: ich meine, dass derjenige, der in einer Philtalk-Diskussion eine Position einbringt, diese Position auch hier und jetzt begründen sollte. Das hat den Vorteil, dass alle Beiträge der Diskussion für jeden Teilnehmer und Leser unmittelbar nachvollziehbar und damit überprüfbar sind.
Ein Literaturhinweis kann zwar nützlich sein, aber hier in der Diskussion eine Position zu behaupten, deren Begründung in irgendwelchen Büchern bereits gelungen sein soll, ist nicht sinnvoll. Sonst haben wir auch hier die unproduktive Interpretationsschlacht der jeweiligen Literaturkenner.
Wenn ich nicht in der Lage bin, die Begründung einer Position hier und jetzt zu formulieren, dann sollte ich sie hier auch nicht mit dem Anspruch auf Richtigkeit – und das bedeutet: mit dem Anspruch auf allgemeine Anerkennung – einbringen.
Ich habe mir trotzdem die Mühe gemacht, den genannten Text zu lesen, habe jedoch darin keine schlüssige Begründung des Eigentumsrechtes am eigenen Körper gefunden. Ich habe auch in Deinen Ausführungen und in den zitierten Texten keine schlüssige Argumentation finden können.
Gefunden habe ich die folgende Argumentation:
1. Wenn man jemanden argumentativ von irgendetwas zu überzeugen versucht, unterstellt man notwendig, dass diese Person das eigene Argument annehmen kann, wenn sie will, oder auch nicht. (" Autonomie" )
2. Außerdem unterstellt man, wenn und solange man argumentiert, dass man mit seinem Argumentationspartner zu einem übereinstimmenden Urteil wenigstens darüber gelangen kann, ob man hinsichtlich der Beurteilung eines Arguments übereinstimmt oder nicht übereinstimmt, und man also jedenfalls insofern wissen muss, was ein Konsens ist, und ihn von einem Konflikt eindeutig unterscheiden können muss(" Konsensfähigkeit" ).
3. Man darf den Konsens nicht gewaltsam erzwingen. Wenn jemand gegen den andern tätlich wird oder derartiges ernsthaft androht, so hat man es nicht länger mit Argumentation zu tun (" Zwangfreiheit" ).
4. Weiter gilt: Auch Personen-Körper sind insofern knappe Güter, als jede Person nur über einen einzigen durch ihren Willen unmittelbar beeinflussbaren Körper verfügt.
Aus dem bisherigen folgt:
5. Um von Argumentation sprechen zu können, muss der Austausch sprachlicher Stimuli begleitet sein von einer wechselseitigen Anerkennung einer exklusiven Kontrolle jeder Person über das knappe Gut ihres Körpers.
Das bedeutet weiterhin:
6. Wenn Argumentation die wechselseitige Anerkennung eines exklusiven Verfügungsrechts jeder Person über ihren eigenen Körper voraussetzt, und wenn man ein exklusives Verfügungsrecht über ein knappes Gut als Eigentum an diesem Gut bezeichnet, dann setzt Argumentation Eigentum am eigenen Körper voraus.
Richtig an dieser Argumentation ist, dass in einer Argumentation der Körper des andern nicht angegriffen werden darf, wenn es eine Argumentation bleiben soll.
Aus diesem auf die Diskussionssituation bezogenen Verbot wird in Satz 5 jedoch die "begleitende" Anerkennung der exklusiven Kontrolle jedes Teilnehmers über seinen Körper.
Aber der Satz: "Wenn jemand mit mir argumentieren will, dann darf er mich nicht körperlich angreifen" ist nicht gleichbedeutend mit dem Satz "Ich habe - solange wir argumentieren – das ausschließliche Recht zur Kontrolle über meinen Körper."
Aus diesem, die Argumentation begleitenden exklusiven Kontrollrecht über den eigenen Körper wird dann in Satz 6 ein Eigentumsrecht am eigenen Körper, also ein unabhängig von der Situation einer Argumentation geltendes Recht, andere von der Verfügung über den eigenen Körper auszuschließen.
Und als völlig neues Element kommt das im Eigentum per Definition enthaltene Recht dazu, selber über den eigenen Körper nach Belieben zu verfügen.
Der Satz: "Wenn jemand mit mir argumentieren will, dann darf er mich nicht körperlich angreifen" ist erst recht nicht gleichbedeutend mit dem Satz "Ich darf über meinen Körper nach Belieben verfügen und andere davon ausschließen."
Du siehst, dass ich nicht zu faul zum Lesen war.
Grüße auch an alle anderen Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 01. Apr. 2004, 23:51 Uhr
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Hallo an Alle,
ich erlaube mir, die Zusammenfassung Eberhards zusammenzufassen. [user]
1. Das Thema Eigentumstheorie wie auch das Thema Gehirnforschung gehören in einen eigenen Thread und sollen hier nicht weiter diskutiert werden.
2. Es soll diskutiert werden, wie man zu konsensfähigen Normen gelangt, was zu tun ist, wenn kein Konsens erzielt wird und wenn sich ein Konflikt zum existierenden Recht ergibt.
3. Es besteht allgemeiner Konsens darüber, dass Eberhard sehr fleißig war und ist.
Eberhard schlägt als neues Beispiel den Satz vor: "Niemand darf einen anderen Menschen um des eigenen Vorteils willen töten."
Ich stimme diesem Satz nicht zu, denn im Falle von Notwehr töte ich einen anderen Menschen um meines Vorteils willen, nämlich meines Überlebens.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Sheelina am 02. Apr. 2004, 06:38 Uhr
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on 04/01/04 um 23:51:06, Hanspeter wrote:Eberhard schlägt als neues Beispiel den Satz vor: „Niemand darf einen anderen Menschen um des eigenen Vorteils willen töten.“
Ich stimme diesem Satz nicht zu, denn im Falle von Notwehr töte ich einen anderen Menschen um meines Vorteils willen, nämlich meines Überlebens.
Gruß HP
Also der HP. Es ist unmöglich, wenn man diesen oben geschriebenen Satz für Ernst nehmen sollte. Es mangelt derart an sprachlicher Eleganz, was nicht selten ins Unglück führt. Aus Notwehr einen anderen Menschen zu töten bedeutet keinesfalls einen Vorteil zu haben oder zu bekommen, sondern sich dem zu erwehren, was einem unmittelbare Existenzgrundlage ist und genommen werden soll. Das hat nicht, aber auch gar nichts mit Vorteil zu tuen.
Schlimm, immer diese undifferenzierten Aussagen. Gerade eine allgemeingültige konsensfähige Moral bedarf es aber gerade dieser peniblen Unterscheidung.
Gruß
Lina
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von altair am 02. Apr. 2004, 08:27 Uhr
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Hallo @all,
ich schließe mich Linas Meinung in Bezug auf eine differenzierte Ausdrucksweise an.
Allerdings wäre auch der eigene Vorteil zu differenzieren ebenso Notwehr.
Angenommen jemand wehrt die Angriffe eines anderen Menschen ab, oder die Absicht des Getötet werden, ist erkennbar, dann muss das nicht gleichbedeutend sein, damit, dass dieser jemand auch das Recht hat den Angreifer zu töten. Wenn dies aber trotzdem im Gefecht bzw. im Affekt passiert, dann ist es meiner Meinung nach NOTWEHR.
Es könnte viele Gründe geben z. B. psych. Krankheit oder Unzurechnungsfähigkeit oder Zwang oder Ausweglosigkeit für den Angreifer...die zwar nicht für einen Angriff gerechtfertigt sein müssen jedoch auch nicht die Reaktion des Tötens rechtfertigen.
Aber es gibt auch noch andere Situationen. z. B. ein Vater mit seinem Sohn und einem Freund waren Klettern. Da stürzt der Freund ab und hängt im Seil, das sich so verkeilt hat, dass es für den Vater zwei Möglichkeiten gibt 1. er schneidet das Seil ab, dann stürzt der Freund ab, oder 2. er wartet auf Hilfe, die höchst unwahrscheinlich ist, und er verliert beide Sohn und Freund, weil das verkeilte Seil am Felsen scheuert und durchzureissen droht.
Wie will er später demonstrieren, dass die Notwendigkeit des, und welchen Handelns gegeben war?
Ciao
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 02. Apr. 2004, 13:12 Uhr
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Hallo Eberhard
on 04/01/04 um 23:13:04, Eberhard wrote:Hallo Ragnar,
vorweg eine Klarstellung: ich meine, dass derjenige, der in einer Philtalk-Diskussion eine Position einbringt, diese Position auch hier und jetzt begründen sollte. Das hat den Vorteil, dass alle Beiträge der Diskussion für jeden Teilnehmer und Leser unmittelbar nachvollziehbar und damit überprüfbar sind.
Ein Literaturhinweis kann zwar nützlich sein, aber hier in der Diskussion eine Position zu behaupten, deren Begründung in irgendwelchen Büchern bereits gelungen sein soll, ist nicht sinnvoll. Sonst haben wir auch hier die unproduktive Interpretationsschlacht der jeweiligen Literaturkenner.
Wenn ich nicht in der Lage bin, die Begründung einer Position hier und jetzt zu formulieren, dann sollte ich sie hier auch nicht mit dem Anspruch auf Richtigkeit – und das bedeutet: mit dem Anspruch auf allgemeine Anerkennung – einbringen.
Die Position ist bereits formuliert (von Hoppe), was schwierig genug ist. Vielleicht nicht so wie Du es erwartest. Ich denke, dass sie aber richtig ist, später dazu mehr.
Aber Verweise müssen schon sein. Wenn Du sagst, dass andere das nicht begreifen, weil es unübersichtlich ist, dann ist eine Erörterung sowieso nicht zielorientiert. Dann ist das Ziel der Diskussion eben nur der Diskussion. Was anders kommt dann auch nicht dabei raus. Und 3 Seiten Hoppe sind nun nicht unbedingt zuviel.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 02. Apr. 2004, 14:32 Uhr
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Sheelina hatte einmal versprochen, auf meine Beiträge nicht mehr zu reagieren. Leider hält sie sich nicht daran.
Hallo Altair,
ich hoffe, wir wandeln dieses Forum nicht in eine Sprachkritik um, denn da könnten so manche ziemlich alt aussehen. Lies dir mal nur den 3. Satz deines letzten Beitrags genau durch.
Ich schrieb: "Ich stimme diesem Satz nicht zu, denn im Falle von Notwehr töte ich einen anderen Menschen um meines Vorteils willen, nämlich meines Überlebens."
Wie würdest du diesen Satz sprachlich differenzierter formulieren? Wenn ich in Notwehr einen Menschen töten muss, so mache ich das ja wohl nicht zu meinem Nachteil, sondern weil ich überleben will. Und dies werte ich als Vorteil gegenüber dem Getötetwerden.
Die Akzeptanz von Notwehr findet auch in unserer Rechtssprechung statt und ich kann mich dieser Sicht nur anschließen.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Sheelina am 02. Apr. 2004, 15:01 Uhr
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on 04/02/04 um 08:27:03, altair wrote:Hallo @all,
ich schließe mich Linas Meinung in Bezug auf eine differenzierte Ausdrucksweise an.
Allerdings wäre auch der eigene Vorteil zu differenzieren ebenso Notwehr.
Ciao
Hallo altair,
ich frage mich nun an dieser Stelle, ob es sich dabei wirklich um eine Meinung handelt. Meines Erachtens kann das was mit des Menschen Leben überhaupt ausmacht (der Körper ohne den ein menschliches Wesen heute nicht zu denken ist) dahingehend nicht mehr in der Verteidigung dessen als Vorteil gesehen werden, wenn eine Verletzung desselbigen erfolgen soll. Das ist dann weniger einen eigenen Vorteil erlangen wollen, sondern wenn es rechtssprachlich sachlich ausgedrückt werden soll, allenfalls eine Besitzstandswahrung. Diese Notwehr allerdings tatsächlich zur Beschützung des Besitzstandes in Gütern anzuwenden, wäre dahingehend widerum tatsächlich das Handeln in Notwehr um des eigenen Vorteil willens, denn Güter sind grundsätzlich erstmal nicht von Anfang an gegeben. Natürlich kommen dann Überlegungen in Betracht, wieviel Arbeit man dorthineingesteckt hat, ändern aber grundsätzlich nichts am Prinzip würde ich jetzt mal sagen.
Gruß
Lina
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 02. Apr. 2004, 15:22 Uhr
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Zur Sache:
on 04/01/04 um 23:13:04, Eberhard wrote:... Ich habe auch in Deinen Ausführungen und in den zitierten Texten keine schlüssige Argumentation finden können.
Gefunden habe ich die folgende Argumentation:
1. Wenn man jemanden argumentativ von irgendetwas zu überzeugen versucht, unterstellt man notwendig, dass diese Person das eigene Argument annehmen kann, wenn sie will, oder auch nicht. (" Autonomie" )
2. Außerdem unterstellt man, wenn und solange man argumentiert, dass man mit seinem Argumentationspartner zu einem übereinstimmenden Urteil wenigstens darüber gelangen kann, ob man hinsichtlich der Beurteilung eines Arguments übereinstimmt oder nicht übereinstimmt, und man also jedenfalls insofern wissen muss, was ein Konsens ist, und ihn von einem Konflikt eindeutig unterscheiden können muss(" Konsensfähigkeit" ).
3. Man darf den Konsens nicht gewaltsam erzwingen. Wenn jemand gegen den andern tätlich wird oder derartiges ernsthaft androht, so hat man es nicht länger mit Argumentation zu tun (" Zwangfreiheit" ).
4. Weiter gilt: Auch Personen-Körper sind insofern knappe Güter, als jede Person nur über einen einzigen durch ihren Willen unmittelbar beeinflussbaren Körper verfügt.
Aus dem bisherigen folgt:
5. Um von Argumentation sprechen zu können, muss der Austausch sprachlicher Stimuli begleitet sein von einer wechselseitigen Anerkennung einer exklusiven Kontrolle jeder Person über das knappe Gut ihres Körpers.
Das bedeutet weiterhin:
6. Wenn Argumentation die wechselseitige Anerkennung eines exklusiven Verfügungsrechts jeder Person über ihren eigenen Körper voraussetzt, und wenn man ein exklusives Verfügungsrecht über ein knappes Gut als Eigentum an diesem Gut bezeichnet, dann setzt Argumentation Eigentum am eigenen Körper voraus.
Richtig an dieser Argumentation ist, dass in einer Argumentation der Körper des andern nicht angegriffen werden darf, wenn es eine Argumentation bleiben soll.
Aus diesem auf die Diskussionssituation bezogenen Verbot wird in Satz 5 jedoch die "begleitende" Anerkennung der exklusiven Kontrolle jedes Teilnehmers über seinen Körper.
Wieso "jedoch" ? Das ist doch logisch.
on 04/01/04 um 23:13:04, Eberhard wrote:Aber der Satz: "Wenn jemand mit mir argumentieren will, dann darf er mich nicht körperlich angreifen" ist nicht gleichbedeutend mit dem Satz "Ich habe - solange wir argumentieren – das ausschließliche Recht zur Kontrolle über meinen Körper."
Das ist doch egal. Solange argumentiert wird, darf der Körper des anderen nicht angegriffen werden, da sonst die Argumention abgebrochen ist. Es ist also nicht weiter als eine verstandesgemäße Voraussetzung.
on 04/01/04 um 23:13:04, Eberhard wrote:1)Aus diesem, die Argumentation begleitenden exklusiven Kontrollrecht über den eigenen Körper wird dann in Satz 6 ein Eigentumsrecht am eigenen Körper, also ein unabhängig von der Situation einer Argumentation geltendes Recht, andere von der Verfügung über den eigenen Körper auszuschließen.
2)Und als völlig neues Element kommt das im Eigentum per Definition enthaltene Recht dazu, selber über den eigenen Körper nach Belieben zu verfügen.
zu 2) Eigentum (= bestimmte Rechte) bedingt immer, dass man selbst über das Eigentum nach Belieben verfügen darf. Sonst wäre es ja kein Eigentum(= bestimmte Rechte).
zu 1) Nein. Es ist das Recht solange argumentiert wird. Es steht doch jedem frei, das Argumentieren jederzeit zu beenden. Dann kündigt er das Recht aber auch für sich. Und da ohne Argumentieren kein Konsens möglich ist, kann auch keine andere Rechtsposition, die Konsens verlangt (also immer) existieren.
Es ist also die einzige Möglichkeit eine konsensfähige Rechtstheorie aufzubauen.
on 04/01/04 um 23:13:04, Eberhard wrote:Der Satz: "Wenn jemand mit mir argumentieren will, dann darf er mich nicht körperlich angreifen" ist erst recht nicht gleichbedeutend mit dem Satz "Ich darf über meinen Körper nach Belieben verfügen und andere davon ausschließen."
s.o.
Ich sehe nicht inwieweit das noch relevant ist.
MfG
RD
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von altair am 02. Apr. 2004, 20:14 Uhr
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Hallo HP - hallo Sheelina, @all
ich wollte dich nicht vergrämen, und von deinem Streit mit Sheelina wusste ich nichts.
Es geht nicht um die sprachliche Formulierung, sondern um die Konnotation, Intension und Extension die hinter den Worten 'Notwehr, Recht, Besitzanspruch, Eigentum, Vorteil,Affekt' , stehen.
Natürlich ist im Gesetzbuch alles schon festgelegt aber dass es die verschiedensten Vorstellungen der Gesetze gibt ist klar, sonst gäbe es keine Anwälte ( Teilscherz)
Ciao
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Sheelina am 02. Apr. 2004, 22:07 Uhr
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Welcher Streit? Es werden Leute in Streits verwickelt, die unbequem zum Durchsetzen der eigenen Meinung sind, die dahingehend auch beweiskräftig für andere Kontra geben können, dass das eigene Hirngespinst zusammenfällt.
Gruß
Lina
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 02. Apr. 2004, 22:54 Uhr
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Hallo allerseits,
offenbar hat die Diskussion des Norm "Niemand darf einen andern Menschen um des eigenen Vorteils willen töten" bereits begonnen. Damit wir nicht aneinander vorbeireden, müssen wir den darin enthaltenen Begriffen (" Mensch", "töten", "eigener Vorteil" ) eine bestimmte Bedeutung geben. Wenn einem Begriff durch die Diskussionsteilnehmer mehrere verschiedene Bedeutungen gegeben werden, so ist das auch nicht tragisch. Es ergeben sich dann eben mehrere verschiedene Normen, die wir jede für sich daraufhin prüfen können, ob sie allgemein akzeptabel sind.
In gleicher Weise können wir die von Hanspeter genannte Ausnahme der "Notwehr" als Zusatz berücksichtigen (" Niemand darf … außer im Fall von Notwehr." ) Dabei wäre dann natürlich auch der Begriff "Notwehr" zu klären.
Die Fragestellung, unter der wir dies Beispiel diskutieren, lautet: "Ist eine solche Norm allgemein akzeptabel? Wenn 'ja' warum? Wenn 'nein' warum nicht?" Die Frage: "Kann ich eine solche Norm akzeptieren?" deckt sich nur teilweise mit der ersten Frage.
Jeder, der Argumente für oder gegen die Konsensfähigkeit unserer Beispielnorm weiß, sollte diese Argumente zur Diskussion stellen (und nicht vergessen, gegebenenfalls mitzuteilen, was die zentralen Begriffe jeweils bedeuten)
Herzliche Grüße Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 03. Apr. 2004, 01:29 Uhr
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Ok, Altair und Eberhard, lasst uns zum Thema Töten weiter machen.
Ihr habt beide Recht, dass die verwendeten Begriffe sehr genau geklärt und definiert werden müssen.
Beginnen wir mit der Notwehr. Juristisch ist sie eine Verteidigung, die zur Abwehr eines momentanen rechtswidrigen Angriffs erforderlich ist. Sie ist auch zum Schutz schuldlos Handelnder (zB Kinder, Ehefrau usw.) erlaubt. Es gibt dabei kaum Güterabwägung, so darf man auch bei einer drohenden Körperverletzung den Gegner gegebenenfalls töten. Dass Notwehr akzeptiert wird, scheint ja außer Frage zu sein. Oder?
Nun kann man ja die Sache mit der Notwehr ausdehen. Krieg. Die Soldaten, die im Kosovo-Krieg töteten, taten dies ja angeblich, um die "unschuldigen Albaner" zu schützen.
Und zur Verteidigung der "Freiheitlich Demokratischen Grundordnung" müssen die BRD-Rekruten zu den Waffen greifen. Früher ging das gegen die "sogenannte DDR", heute verteidigen wir die Demokratie am Hindukusch. Ist das konsensfähig? Gegebenenfalls im Rahmen einer "Vorwärtsverteidigung".
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 03. Apr. 2004, 09:41 Uhr
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Hallo HP
on 04/03/04 um 01:29:47, Hanspeter wrote:Beginnen wir mit der Notwehr. Juristisch ist sie eine Verteidigung, die zur Abwehr eines momentanen rechtswidrigen Angriffs erforderlich ist. Sie ist auch zum Schutz schuldlos Handelnder (zB Kinder, Ehefrau usw.) erlaubt. Es gibt dabei kaum Güterabwägung, so darf man auch bei einer drohenden Körperverletzung den Gegner gegebenenfalls töten. Dass Notwehr akzeptiert wird, scheint ja außer Frage zu sein. Oder?
1. Warum sollte der Gegner Notwehr akzeptieren?
d. h. Nur die Regel auf Notwehr ist konsensfähig, aber nicht die Notwehr als solche.
2. Notwehr ist auch, wenn ich mich retten muss und dabei selber eine rechtswidrige Handlung begehen muss.
3. Daraus folgt, Notwehr kann sich auch gegen Unschuldige richten.
4. Auch bei Notwehr gehts um Eigentumsnormen.
on 04/03/04 um 01:29:47, Hanspeter wrote:Nun kann man ja die Sache mit der Notwehr ausdehen. Krieg. Die Soldaten, die im Kosovo-Krieg töteten, taten dies ja angeblich, um die "unschuldigen Albaner" zu schützen.
Und zur Verteidigung der "Freiheitlich Demokratischen Grundordnung" müssen die BRD-Rekruten zu den Waffen greifen. Früher ging das gegen die "sogenannte DDR", heute verteidigen wir die Demokratie am Hindukusch. Ist das konsensfähig? Gegebenenfalls im Rahmen einer "Vorwärtsverteidigung".
Demokratie ist per se nicht konsensfähig und eine "Notwehr" darauf zugunster anderer (die nicht drum gebeten haben) und mit Massenvernichtungswaffen erst recht nicht. Dann ist es schon eher Notwehr, sich gegen "Notwehr" zu wehren.
Gruß
RD
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 03. Apr. 2004, 10:24 Uhr
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Hallo allerseits,
ist die Norm "Niemand darf einen andern Menschen um des eigenen Vorteils willen töten, ausgenommen in Notwehr" allgemein konsensfähig?
Wenn als "Mensch" bereits jede befruchtete menschliche Eizelle gilt, dann wäre die "Pille danach" Tötung eines Menschen und somit verboten.
Die Selbsttötung wäre nicht verboten, da nur die Tötung anderer Menschen verboten ist.
Wenn dagegen der Embryo nicht unter den Begriff "Mensch" fällt, dann ist Schwangerschaftsabbruch nicht verboten. Das Schlachten von Tieren wäre damit ebenfalls nicht verboten.
Wenn "töten" definiert wird als "jedes Verhalten, das den Tod zur Folge hat", dann hat ein Autofahrer, der nachts einen Betrunkenen überfährt, der über die Straße läuft, diesen "getötet". Ebenso hat ein Arzt, der einem Infarkt gefährdeten Herzpatienten einen Bypass einpflanzt, den Patienten getötet, wenn dieser die Operation nicht überlebt.
Wenn man "töten" definiert als "jede Handlung, die absichtlich den Tod" herbeiführt, dann ist die tödlich verlaufene Operation kein Tötung.
Die Klausel "um des eigenen Vorteils willen" wirft erheblich Definitions- und Anwendungsprobleme auf, wie sich gezeigt hat, weshalb ich dafür plädiere, diese Klausel wieder zu streichen. Die Norm würde dann lauten "Niemand darf einen anderen Menschen töten, ausgenommen in Notwehr." Allerdings wäre damit "Tötung auf Verlangen" verboten.
Wenn man die von Hanspeter genannte Definition für "Notwehr" akzeptiert, dann tritt das Problem auf, dass es sich bei der Notwehr um die Abwehr eines "rechtswidrigen" Angriffes handeln muss. Wann ist ein Angriff "rechtswidrig" ? Offenbar dann, wenn er die geltenden Gesetze des betreffenden Staates verletzt. Damit stellt sich wieder die Frage nach der Anerkennbarkeit dieser Rechtsnormen. Wenn in einem Staat die Geheimpolizei per Gesetz das Recht erhält, politische Gegner umzubringen, dann wäre das damit kein "rechtswidriger Angriff" mehr.
Ein anderes Problem besteht darin, dass diese Norm isoliert als einzelne diskutiert wird. Die Zustimmung zu einer Norm hängt jedoch auch davon ab, welche anderen Normen gleichzeitig gelten. Wenn es zum Beispiel in Bezug auf den Schwangerschaftsabbruch besondere Gesetze gibt, so kann ein Gegner des Schwangerschaftsabbruchs eher einem Tötungsverbot zustimmen, das Embryos nicht erfasst, als wenn es dafür keine Sondernormen gibt.
Wegen dieses Zusammenhangs - der sogenannten "Interdependenz" - zwischen verschiedenen Normen muss u. U. über zusammenhängende Normenkomplexe (samt "flankierenden Maßnahmen" ) diskutiert werden, streng genommen sogar über alternative Gesamtsysteme von Normen.
Die grundlegende Frage bleibt jedoch, ob das Tötungsverbot überhaupt allgemein konsensfähig ist. Warum sollten alle einer solchen Norm zustimmen können?
Eine erste Antwort wäre: "Niemand will von einem andern getötet werden, deshalb wird jeder dafür sein, die Tötung anderer zu verbieten."
Diese Argumentationsweise ist aber nicht schlüssig, wie das folgende Beispiel zeigt. "Niemand will Fluglärm haben. Deshalb wird jeder dafür sein, Flugzeuge zu verbieten."
Was ist, wenn Person X dem allgemeinen Tötungsverbot nicht zustimmen will, weil X der Meinung ist, dass die Norm "Niemand außer X darf einen andern Menschen töten" seinem Eigeninteresse mehr entspricht?
Was ist mit Piraten und Raubrittern, die sagen: "Wir können einem allgemeinen Tötungsverbot nicht zustimmen, denn wir sind einerseits stark genug, uns unser eigenes Leben zu schützen, und wir haben andererseits aus den Überfällen - bei denen sich nun mal Tote nicht vermeiden lassen - große Vorteile, die wir uns nicht nehmen lassen wollen" ?
Ist ein allgemeiner Konsens damit unmöglich?
fragt Euch Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 03. Apr. 2004, 11:12 Uhr
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Hallo Eberhard,
ich fürchte, ja, ein Konsens ist nicht möglich. Und im Grunde hast du in deiner Replik bereits die Gründe dafür aufgelistet.
Es beginnt ja schon mit der nicht konsenfähigen Frage, wann überhaupt das Leben beginnt.
Ein Konsens hat meines Erachtens nur dann den Hauch einer Chance, wenn über das Ziel einer Moral, also des menschlichen Daseins Eingkeit besteht.
Ansonsten ist es so, wie wenn eine Gruppe Wanderer über den richtigen Weg diskutiert, ohne zu wissen, wohin die Reise gehen soll.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 03. Apr. 2004, 12:02 Uhr
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Warum wollt ihr denn mit denen Konsens haben, die eh nicht konsensfähig sind, die also nach eigenem Ermessen (Piraten) oder Eigenschaft (Vöten) eh nur wie Sachen zu behandeln sind?
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von altair am 03. Apr. 2004, 19:56 Uhr
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Hallo @all,
ist gut möglich, dass ihr es wisst, aber vielleicht ist es momentan entfallen, also ich erinnere an den Aufsatz von Jonathan Bennett, " Whatever the Consequences" in Analysis 26, No 3 (Jänner 1966),pp.83-102.
Der in diesem Aufsatz behandelte und attackierte Standpunkt lautet: Wir dürfen niemals ein menschliches Wesen (im konkreten Fall: ein Kind im Mutterleib) töten - welche Konsequenzen sich daraus auch immer ergeben mögen.
Wenn das Leben der Mutter nur gerettet werden könnte, indem durch eine Operation das ungeborene Kind getötet wird, dann haben wir das Prinzip verletzt; lassen wir aber die Mutter 'bloß' sterben und die Natur ihren Lauf nehmen, haben wir niemanden getötet, und das Prinzip befolgt. Dies gilt selbst dann, wenn nach dem Tod der Mutter auch das Kind zum Tod verurteilt ist.
Bennett hat in seinem Aufstz diesen einseitig deontologischen Standpunkt kritisiert und damit der heute fast allgemein akzeptierten Auffassung zum Durchbruch verholfen:
dass es in der Angewandten Ethik gerade auf eine solche ausgewogene Anwendung konsequentialistischer und deontologischer Prinzipien ankommt.
Ciao
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 03. Apr. 2004, 20:59 Uhr
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Hallo Ragnar,
wenn ich Dich recht verstehe, so hältst Du weiterhin an der Position fest, dass zwei (oder mehr) Individuen, die miteinander argumentieren, wechselseitig das Eigentumsrecht jedes Teilnehmers am eigenen Körper anerkennen müssen.
Dabei wird unter "argumentieren" verstanden: das Vorbringen von Gründen für eine strittige Behauptung, um - unter Verzicht auf die Anwendung oder Androhung von Gewalt - andere zur Anerkennung der Wahrheit (bzw. Allgemeingültigkeit) dieser Behauptung zu bewegen.
Unter dem Eigentumsrecht an einer Sache wird das Recht einer Person verstanden, über diese Sache nach Belieben zu verfügen und andere von ihrem Gebrauch auszuschließen.
Ich habe Dich zur Begründung dieser Position aufgefordert. Daraufhin hast Du auf Passagen aus einem Buch von Hoppe verwiesen, in denen die Begründung dieser Position enthalten sei.
Ich habe daraufhin die Texte von Hoppe analysiert und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass die Deduktion des Eigentumsrechtes am eigenen Körper aus den notwendigen Voraussetzungen jeder Argumentation nicht schlüssig ist.
Einig sind wir uns, dass Drohungen keine Argumente sind und ein erzwungener Konsens für die Wahrheitsfindung ohne Bedeutung ist.
Einig sind wir uns auch, dass ich beim Argumentieren voraussetzen muss, dass der andere meine Argumente verstehen kann und über ein selbstständiges Urteilsvermögen verfügt.
Ich sehe jedoch keine Möglichkeit zur Deduktion eines Eigentumsrechtes am eigenen Körper.
Der Nachweis dieses Eigentumsrechtes erfordert, dass aus anerkannten Prämissen mittels gültiger Schlussregeln dies Eigentumsrecht deduziert wird, Gültig sind logische Schlussregeln dann, wenn ihre Anwendung garantiert, dass aus wahren Prämissen immer wahre Schlussfolgerungen abgeleitet werden. Dies ist dann der Fall, wenn durch die Schlussregeln nur solche Aussagen abgeleitet werden, die implizit bereits in den Prämissen enthalten sind. Es kann durch Logik also kein völlig neues Bedeutungselement gewonnen werden.
Meiner Meinung nach ist das Recht, mit dem eigenen Körper nach Belieben zu verfahren, ein neues Bedeutungselement, das in den Voraussetzungen der Argumentation nicht implizit enthalten ist. Dass ein anderer mir seine Ansicht nicht mittels Gewalt aufzwingen darf, enthält meines Erachtens nicht das Eigentumsrecht am eigenen Körper.
Es wäre jetzt an Dir, durch Aufzeigen anerkannter Prämissen und die Anwendung gültiger Schlussregeln den Satz: "Jeder hat ein Eigentumsrecht am eigenen Körper" logisch herzuleiten.
Sei gegrüßt von Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 03. Apr. 2004, 21:34 Uhr
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Hallo Hanspeter,
Du bist in Bezug auf das Projekt, eine allgemein akzeptable Ethik zu entwickeln, skeptisch. Aber so hoffnungslos wie Deine Wandergruppe brauchen wir uns nicht zu fühlen. Wenn die Wanderer über den richtigen Weg diskutieren, ohne ein Ziel zu kennen, so stehen sie vor einer unlösbaren Aufgabe, denn der richtige Weg ist ja als der Weg definiert, der zum Ziel führt.
Wir HABEN jedoch bei unserer Diskussion ein Ziel: nämlich die gewaltlose Einigung darüber, wie wir miteinander umgehen wollen.
Vielleicht kann jemand durch Anstrengung seiner grauen Zellen aus diesem Ziel doch noch etwas Brauchbares ableiten, das uns weiter hilft, hofft Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 04. Apr. 2004, 01:15 Uhr
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Hallo Eberhard,
du schreibst: "Wir HABEN jedoch bei unserer Diskussion ein Ziel: nämlich die gewaltlose Einigung darüber, wie wir miteinander umgehen wollen."
Wir können nicht gewaltlos miteinander umgehen. Zum Leben miteinander benötigen wir ein funktionierendes Recht. Und Recht benötigt zu seiner Einhaltung Gewalt. So einfach ist das.
Dass dem so ist, liegt nicht an der Bosheit der Menschen, sondern daran, dass sie unterschiedlich programmiert sind, sprich unterschiedliche Lebensziele haben. Wenn jemand das Ziel hat, seiner Firma ein Jahreswachstum von 10% zu bescheren, muss er andere Verhaltensnormen entwickeln, als jemand, der sich in einem Kloster auf die Ewigkeit vorbereitet.
Und wenn den Geschäftsmann kein gewaltgestütztes Recht bremsen würde, würde er mit seinen Konkurrenten Schlitten fahren.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 04. Apr. 2004, 09:35 Uhr
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Hallo altair,
Du testest die Norm "Niemand darf einen anderen töten, ausgenommen in Notwehr" an extremen Fällen, wo man sich nur noch entscheiden kann, WEN man tötet (bzw. sterben lässt, obwohl man ihn retten könnte), aber nicht, OB man tötet bzw. sterben lässt (" Die verunglückten Bergsteiger", "Die schwerkranke Schwangere" ).
Ich sehe in diesem Fall nur die Lösung, dass man das generelle Tötungsverbot durch eine entsprechende Zusatzbedingung ändert etwa so: "Niemand darf einen anderen töten, ausgenommen in Notwehr und ausgenommen in Fällen, wo dadurch andere Menschenleben gerettet werden."
Der letztere Fall müsste dann durch eine eigene Norm geregelt werden, z. B.: "Wenn das Leben einer Schwangeren nur durch eine Abtreibung des Embryos gerettet werden kann, dann ist Abtreibung erlaubt" oder die Regel: "Wenn man in jedem Fall mit Toten rechnen muss, so ist diejenige Handlung zu wählen, die die wenigsten Toten fordert."
Wenn man Individuen die Entscheidung über Tod oder Leben von Mitmenschen überträgt, ergeben sich u. U. neue Probleme, z. B. durch die Gefahr eines schwer oder gar nicht nachweisbaren Missbrauchs dieser Klausel, weil der Getötete oft der einzige Zeuge der Tat ist. Der Vater, der das Seil durchschneidet und dadurch den einen Bergsteiger tödlich abstürzen lässt, muss z. B. beweisen, dass sonst beide Bergsteiger abgestürzt wären und wie kann er das?
Du plädierst im Anschluss an Bennett für eine "ausgewogene Anwendung konsequentialistischer und deontologischer Prinzipien. "Konsequentialistisch" ist eine Ethik, wenn die Handlung nach ihren Konsequenzen, also ihren Folgen und deren Wertgehalt beurteilt wird (im deutschsprachigen Raum wird dies auch als "Erfolgsethik" bezeichnet). "Deontologisch" ist eine Ethik, wenn die Handlungen nach ihrer Übereinstimmung mit bestimmten Handlungsregeln oder Pflichten beurteilt werden.
Unter dem Gesichtspunkt einer allgemein konsensfähigen Ethik stellt sich für mich das Problem folgendermaßen dar. Wenn man davon ausgeht, dass die Zustimmung eines Individuums zu einer Norm von seiner Interessenlage abhängt, so sind die Konsequenzen der verschiedenen normativen Alternativen unbedingt zu berücksichtigen, so wie es das Individuum auch bei seinen nicht-moralischen Entscheidungen macht (" Soll ich mir einen Benzin fressenden Porsche auf Pump kaufen oder lieber einen Wagen, der weniger Folgekosten in Form von Benzin. und Zinszahlungen mit sich bringt?" )
Da keine Situation der anderen völlig gleicht, müsste zur Berücksichtigung der Konsequenzen eigentlich jede Situation neu kalkuliert werden, was praktisch nicht durchführbar ist (die Situation hat sich geändert, bevor die Entscheidung gefunden wurde) und äußerst aufwändig wäre (wegen der Kosten für Informationsbeschaffung und –verarbeitung).
Man kann sowohl schneller als auch mit weniger Aufwand entscheiden, wie gehandelt werden soll, wenn man nicht Normen für jede einzelne Situation sondern Normen für ganze Klassen von Fällen formuliert. Diese Normen sind dann beim Eintreten der jeweiligen Handlungssituation bereits bekannt.. (Derartig entlastende "Grundsätze" oder Prinzipien werden übrigens auch bei nicht-moralischen Entscheidungen angewandt).
Generelle Normen lassen sich mit Hilfe von Begriffen wie "töten" formulieren. Die Handlung "töten" wird nur durch das Handlungsergebnis ('Tod') definiert. Dadurch wird von allen übrigen Umständen wie z. B. den zum Töten verwendeten Mitteln (" Giftmord" ) oder der Beziehung zwischen Täter und Opfer (" Brudermord" ) abstrahiert.
Ein weiterer Grund für die Formulierung allgemeiner Normen ist die Forderung nach Personunabhängigkeit der Normen, deren Beachtung ebenfalls eine notwendige Bedingung für einen allgemeinen Konsens ist.
Wenn man eine bestimmte Handlung h anders bewertet, wenn sie von Person X begangen wird als wenn sie von Y begangen wird, dann muss ich dafür Gründe in Form von (zustimmungsrelevanten) sachlichen Unterschieden zwischen beiden Fällen angeben.
Wenn also in einem einzelnen Fall eine normative Entscheidung getroffen wird, so impliziert dies, dass in allen andern Fällen, auf die – abgesehen von der Identität der Personen - die gleiche sachliche Beschreibung zutrifft, auch die gleiche Entscheidung zu treffen ist (Berufung auf den Präzedenzfall).
Allerdings wird durch die Einbeziehung von Anwendungsbedingungen in die Formulierung der Normen und durch die Aufstellung zusätzlicher Normen für spezielle Situationen die Formulierung der Normen derart kompliziert und die Liste der Normen derart lang, dass die Merkfähigkeit der Individuen schnell überfordert ist.
Meiner Meinung nach sind aus den genannten Gründen sowohl der Berücksichtigung der Konsequenzen von Handlungen als auch der Formulierung von generellen Normen Grenzen gesetzt. Ich stimme Dir also darin zu, dass es auf eine "ausgewogene Anwendung konseqentialistischer und deontologischer Prinzipien" ankommt.
Grüße nach Austria von Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 04. Apr. 2004, 10:16 Uhr
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Hallo Eberhard,
Du schreibst: "Niemand darf einen anderen töten, ausgenommen in Notwehr und ausgenommen in Fällen, wo dadurch andere Menschenleben gerettet werden."
Dieses Dogma ist nur dann akzeptabel, wenn der Erhalt individuellen Lebens als moralisches Credo, also als oberste moralische Maxime gesehen wird.
Für einen echten Christen oder Mohammedaner ist das aber nicht annehmbar. Er hat, seinem Glauben folgend, Menschen zu töten, wenn es dieser Glaube befiehlt, weil für ihn das Wort Gottes eine höhere Bedeutung hat.
Damit ist er in deinen Augen prinzipiell nicht konsensfähig.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 04. Apr. 2004, 11:17 Uhr
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" Niemand darf einen anderen töten ... ausgenommen in Fällen, wo dadurch andere Menschenleben gerettet werden."
Das geht per se nicht, sonst müßte ich ja meinem eigenen Tod zustimmen, wenn sich ein paar Idioten in Lebensgefahr gebracht haben, sich aber durch den Tod an mir retten können.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 04. Apr. 2004, 12:00 Uhr
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Hallo Hanspeter,
Du schreibst: "Wir können nicht gewaltlos miteinander umgehen. Zum Leben miteinander benötigen wir ein funktionierendes Recht. Und Recht benötigt zu seiner Einhaltung Gewalt".
Da stimme ich Dir weitgehend zu. Was Du schreibst, steht allerdings nicht im Widerspruch zu meinem Satz: "Wir haben ein gemeinsames Ziel, nämlich die gewaltlose Einigung darüber, wie wir miteinander umgehen wollen."
Beide Ebenen, die Argumentation mit dem Ziel eines Konsens über Normen und die verfahrensmäßige Setzung von Normen haben ihre Berechtigung. Deshalb sollte man die Suche nach konsensfähigen Normen nicht mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit von machtgestütztem Recht voreilig abwürgen.
Um der falschen Gegenüberstellung von vernünftiger Einigung über Normen einerseits und machtgestützter Setzung und Durchsetzung von Normen andererseits zu entgehen, sollten wir deshalb vielleicht die Ebene der Rechtsnormen und ihr Verhältnis zur Moral ausdrücklich in die Diskussion mit einbeziehen, und am Besten mache ich damit gleich den Anfang.
Selbst wenn alle Beteiligten der Befolgung einer bestimmten Norm zustimmen können, so bedeutet das nicht, dass deshalb niemand ein Motiv haben kann, diese Norm zu verletzen. Denn schließlich musste jeder ja auf die volle Durchsetzung seines Eigeninteresses verzichten.
Die Frage ist, wie die Nicht-Befolgung der Norm möglichst verhindert werden kann, denn ein Zustand, in dem ich eine Norm befolge aber der andere nicht, ist für mich eher nachteilig und kaum zustimmungsfähig.
Auch die vernünftige Einsicht, dass dies die für alle akzeptabelste Norm ist, ist als alleiniges Motiv dann nicht stark genug, wenn es um starke Eigeninteressen geht und zusätzlich die Gefahr entdeckt zu werden gering ist.
Die Frage ist, welche Mittel außerdem zur Verfügung stehen, um die Individuen zur Befolgung der Norm zu motivieren, und wie man diese rechtfertigen kann.
Hier will ich erstmal unterbrechen. Grüße von Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 04. Apr. 2004, 15:45 Uhr
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Hallo Eberhard,
verstehe ich dich Recht, dir kommt es in erster Linie darauf an, dass die Einigung gewaltfrei erfolgt.
Übrigens müssten wir dann noch den Begriff Gewalt abklären, denn da stellte sich bereits in einem anderen Thread heraus, dass es da höchst unterschiedliche Vorstellungen gibt (physische, psychische Gewalt).
Bleiben wir aber noch bei dem Versuch, in Sachen Tötung eine Einigung zu erzielen. Wie beurteilst du die Sicht des Freiheitskämpfers oder des religiösen Fundis, die um einer "höheren Sache willen" töten?
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 04. Apr. 2004, 18:17 Uhr
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Hallo Eberhard
Du scheinst Dich an dem Begriff "Eigentum" zu "stören". Es ist richtig, dass dieses "Element" in die These mit eingearbeitet ist. Es handelt sich ja um die Erarbeitung einer Eigtumstheorie. Der Eigentumsbegriff ist vorher ausgearbeitet. Aber wir können ihn auch erst mal weglassen.
Dann lautet Hoppes These nicht mehr:
" Umso sicherer nämlich wird das Fundament der Eigentumstheorie, deren erste wesentliche Aussage jetzt so formuliert werden kann: wenn Argumentation die wechselseitige Anerkennung eines exklusiven Verfügungsrechts jeder Person über ihren eigenen Körper voraussetzt, und wenn man ein exklusives Verfügungsrecht über ein knappes Gut als Eigentum an diesem Gut bezeichnet, dann setzt Argumentation Eigentum am eigenen Körper voraus; und wenn, weiter, solange argumentiert wird, eine Interaktion übereinstimmend als konfliktfrei bewertet wird, und wenn 'rechtfertigen' nicht nur einfach heißt, sprachlich einseitig als gerechtfertigt behaupten, sondern übereinstimmend rechtfertigen, dann ist das Eigentum am eigenen Körper eine Norm, die als übereinstimmend rechtfertigbare Regel gelten muss: jeder, der versuchte, irgendeine zum Zweck der Konfliktvermeidung im Hinblick auf knappe Güter formulierte Regel zu rechtfertigen, müßte, indem er entsprechend argumentiert, das Recht auf Eigentum am eigenen Körper bereits als eine allseits gerechtfertigte Norm voraussetzen; und umgekehrt müßte sich jeder, der das exklusive Verfügungsrecht einer Person über ihren Körper bestreiten wollte, notwendig in einen Widerspruch verwickeln, denn indem er so argumentierte und für sein Argument Zustimmung suchte, müßte er bereits implizit die Geltung der von ihm bestrittenen Norm voraussetzen."
sondern um das "Eigentum" verkürzt:
" wenn Argumentation die wechselseitige Anerkennung eines exklusiven Verfügungsrechts jeder Person über ihren eigenen Körper voraussetzt, ...und wenn, weiter, solange argumentiert wird, eine Interaktion übereinstimmend als konfliktfrei bewertet wird, und wenn rechtfertigen nicht nur einfach heißt, sprachlich einseitig als gerechtfertigt behaupten, sondern übereinstimmend rechtfertigen, dann ist ++die wechselseitige Anerkennung eines exklusiven Verfügungsrechts jeder Person über ihren eigenen Körper++ eine Norm, die als übereinstimmend rechtfertigbare Regel gelten muss: jeder, der versuchte, irgendeine zum Zweck der Konfliktvermeidung ... formulierte Regel zu rechtfertigen, müßte, indem er entsprechend argumentiert, das Recht auf ++die wechselseitige Anerkennung eines exklusiven Verfügungsrechts jeder Person über ihren eigenen Körper++ bereits als eine allseits gerechtfertigte Norm voraussetzen; und umgekehrt müßte sich jeder, der das exklusive Verfügungsrecht einer Person über ihren Körper bestreiten wollte, notwendig in einen Widerspruch verwickeln, denn indem er so argumentierte und für sein Argument Zustimmung suchte, müßte er bereits implizit die Geltung der von ihm bestrittenen Norm voraussetzen."
Das ergibt immer noch Sinn. Um jetzt wieder auf die ursrüngliche Formulierung zu kommen, ist lediglich, die wechselseitige Anerkennung eines exklusiven Verfügungsrechts jeder Person über ihren eigenen Körper, der ein knappes Gut ist, "Eigentum" zu nennen. Und das ist für die Norm selbst vollständig egal. Wo ist also das Problem?
Gruß
RD
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 04. Apr. 2004, 21:20 Uhr
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Hallo Hanspeter,
Zu den Religionen, die ihren Gläubigen die Einhaltung bestimmter Normen zur Pflicht machen.
Die Selbstverpflichtung von Gruppen zur Einhaltung bestimmter Normen wird solange nicht zum Problem, wie dadurch die Interessen derer, die nicht Mitglieder dieser Gruppe sind, nicht beeinträchtigt werden. Dies wäre z. B. der Fall, wenn eine Religion ihren Anhängern eine bestimmte Kleidung, Frisur, Ernährung, geistige Übungen, Gebete, Riten etc. vorschreibt.
Derartige Handlungen werden durch das Prinzip: "Jedes Individuum ist in seinen Handlungen frei, solange dadurch niemand geschädigt wird". Ein derartiges Prinzip ist meines Erachtens allgemein konsensfähig – eventuell unter Hinzufügung einschränkender Klauseln.
Wenn eine Religion jedoch ihre Anhänger auffordert, bestimmte Menschen z. B. wegen Gotteslästerung zu töten, sieht die Sache anders aus.
Gesucht sind ja Normen, auf die sich alle verständigen und einigungswilligen Individuen einigen können. Individuen, die an den durch ihre Religion gesetzten Normen unbedingt festhalten wollen, sind nicht einigungswillig ähnlich wie reine Egoisten nicht einigungswillig sind.
Man kann sich Ihnen gegenüber zwar auf keine Norm berufen, die Ihnen das unbedingte Festhalten an den Normen ihrer Religion verbietet, aber man kann ihnen die Konsequenzen eines fehlenden Einigungswillens klarmachen. Die wichtigste Konsequenz besteht darin, dass derjenige, der das Ziel einer argumentativen Einigung nicht teilt, höchstens noch Glaubens- und Gehorsamsansprüche erheben kann, aber nicht mehr Wahrheitsansprüche. Mag er noch sehr behaupten, die "wahre Wahrheit" oder ähnliches zu vertreten: weil er auf deren argumentative Einlösung verzichtet hat, ist das alles nur leeres Wortgeklingel. Wenn er trotzdem versucht, die Befolgung seiner Normen zu erzwingen, so handelt es sich um nicht zu rechtfertigende Gewalt. Das Denken hat mit der Demaskierung von Gewalt seine Aufgabe erfüllt, wehren kann man sich dagegen nicht mit Argumenten.
Ich sehe die Rolle der auf ihre religiös bestimmten Normen festgelegten Teilnehmer der Argumentation ähnlich wie die von Gläubigen, die auf einer wissenschaftlichen Konferenz von Astronomen oder Biologen nur aus ihrem heiligen Buch zitieren und keine Kritik daran akzeptieren. Sie mögen noch so oft Worte wie "wahr" oder "gültig" im Munde führen, für die Wahrheitsfindung sind sie ohne Bedeutung.
Es grüßt Dich Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 04. Apr. 2004, 21:43 Uhr
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Hallo Ragnar,
für mich bleibt Hoppes These: "Argumentation setzt die wechselseitige Anerkennung eines exklusiven Verfügungsrechts jeder Person über ihren eigenen Körper voraus" unbewiesen. Aus dem Umstand, dass jeder körperliche Angriff die Aufgabe der Argumentation bedeutet, folgt das exklusive Verfügungsrecht über den eigenen Körper nicht.
Vielleicht kann man das Problem an einem andern Punkt deutlich machen. Unausgesprochene Voraussetzung jeder Argumentation ist, dass niemand lügt. Wer meint, lügen zu dürfen, scheidet als Argumentationspartner aus, weil Argumentation am Ziel der Wahrheitsfindung orientiert ist. Aus diesem Umstand folgt jedoch nicht die allgemein geltende Norm "Lügen ist verboten".
Es grüßt Dich Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 05. Apr. 2004, 01:17 Uhr
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Hallo Eberhard,
gut, lassen wir die Religiösen außen vor.
Aber wie ist es mit anderen Ideologien? Die vergangene DDR tötete Menschen, die versuchten, widerrechtlich die Mauer zu überqueren. Natürlich kann man es sich leicht machen und einfach von einem Verbrechen sprechen. Aber die Mauer war nun einmal für die DDR lebenswichtig.
Und angenommen ungekehrt, der Osten wäre im Westen einmarschiert, um auch dort den Sozialismus einzuführen. Wäre da aus westlicher Sicht das Töten verboten gewesen?
War es im Rahmen des Kosovokriegs gerechtfertigt, den Serben die "Demokratie beizubringen" (ca. 500 Tote)?
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 05. Apr. 2004, 11:36 Uhr
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Hallo Eberhard
on 04/04/04 um 21:43:23, Eberhard wrote:für mich bleibt Hoppes These: "Argumentation setzt die wechselseitige Anerkennung eines exklusiven Verfügungsrechts jeder Person über ihren eigenen Körper voraus" unbewiesen. Aus dem Umstand, dass jeder körperliche Angriff die Aufgabe der Argumentation bedeutet, folgt das exklusive Verfügungsrecht über den eigenen Körper nicht.
Drum heißt es ja auch: "SOLANGE ARGUMENTIERT WIRD".
Außerdem wird unausgesprochen unterstellt, dass der Angriff auf den Körper des andern die Konsensfähigkeit zerstört. Von der Richtigkeit dessen kann man wohl wissenschaftlich ausgehen, denn es entspricht jeder menschlichen Erfahrung.
Die Aussage "Argumentation setzt die wechselseitige Anerkennung eines exklusiven Verfügungsrechts jeder Person über ihren eigenen Körper voraus" ist unter diesen Vorzeichen korrekt, wenn die Konsensfähigkeit für die Bildung von gemeinsamen Rechtsnormen nun mal notwendig ist.
Weiter also, wenn die gemeinsamen Rechtsnormen nur durch Konsens hergestellt werden kann und wenn der Angriff auf die Person die Konsensfähigkeit zerstört, so verläßt jede Person, die die gemeinsame Rechtsnormfähigkeit implizit mit ihrer Handlung, die die Voraussetzungen außer Kraft setzt und stellt sie implizit wieder her, indem sie diese konsenszerstörenden Handlungen unterläßt.
> "Aus dem Umstand, dass jeder körperliche Angriff die Aufgabe der Argumentation bedeutet, folgt das exklusive Verfügungsrecht über den eigenen Körper nicht."
Es gibt also keine Alternative. Entweder besteht das Recht oder es besteht nicht, weil der Angreifende es implizit außer Kraft setzt.
Wenn der Angreifer aber die Konsensfähigkeit zerstört, zerstört er auch jede Form von Konsens und gemeinsamen Rechtes. Er erklärt sich moralisch selbst zum rechtsträgerlosen Gegenstand, der keine Rechte, die er selber mißachtet, in Anspruch nehmen kann.
Gemeinsame Rechtsnormen sind daher nur möglich, solange argumentiert wird und außerhalb dieser Sphäre nicht.
on 04/04/04 um 21:43:23, Eberhard wrote:Vielleicht kann man das Problem an einem andern Punkt deutlich machen. Unausgesprochene Voraussetzung jeder Argumentation ist, dass niemand lügt. Wer meint, lügen zu dürfen, scheidet als Argumentationspartner aus, weil Argumentation am Ziel der Wahrheitsfindung orientiert ist. Aus diesem Umstand folgt jedoch nicht die allgemein geltende Norm "Lügen ist verboten".
Finde ich aus obiger Logik schon. Nebenbei bemerkt, gibt es diese Vorschrift im Islam. Und auch bei uns heißt es "wer einmal lügt,...". Das hat Tradition.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 05. Apr. 2004, 19:22 Uhr
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Hallo allerseits,
ich will einmal den Stand der Diskussion zur allgemeinen Konsensfähigkeit des Tötungsverbots (" Niemand darf einen anderen Menschen töten" ) festhalten.
Es wurde argumentiert, dass ein Tötungsverbot in folgenden Situationen nicht gelten sollte:
- Notwehr,
- Töten auf Verlangen,
- Schwangerschaftsunterbrechung,
- Krieg,
- auswegslose Situationen, in denen unvermeidlich Menschen getötet werden müssen bzw. dem sicheren Tode überlassen werden müssen, wie man sich auch immer entscheidet
und ich füge hinzu:
- - Beseitigung eines verbrecherischen Regimes.
Für die genannten Situationen sollten Sonderregelungen getroffen werden, die ich hier nicht weiter verfolgen will.
Meine Frage ist, ob nach Ausklammerung dieser und eventuell weiterer Sondersituationen ein allgemeiner Konsens in Bezug auf das Tötungsverbot möglich ist.
Das Argument: "Kein Mensch will getötet werden, deshalb haben alle ein Interesse an der Befolgung eines Tötungsverbots" ist nicht schlüssig. Denn stärker als ihre Befürchtung, getötet zu werden, kann für manche Individuen das Interesse daran sein, selber andere zu töten.
Ich hatte hier den Piraten genannt, der große Reichtümer erwirbt durch Überfalle, die für die Überfallenen häufig tödlich verlaufen.
Ist damit ein allgemeiner Konsens über die Tötungsnorm unmöglich gemacht? Genau genommen ist er das, denn der Pirat stimmt dem Tötungsverbot nicht zu. Entscheidend ist jedoch, dass damit kein moralischer Dissens entsteht, wo der eine behauptet: "Man darf andere Menschen nicht töten" und der andere behauptet: "Doch: Man darf andere Menschen töten."
Der Pirat behauptet und begründet keinerlei Norm mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Er müsste ja zeigen, dass die Norm auch für die von ihm mit dem Tode bedrohten Individuen akzeptabel ist. Dieser Versuch ist offensichtlich aussichtslos. Der Pirat hat das Ziel der zwanglosen Einigung aufgekündigt und sich damit außerhalb der Gemeinschaft einigungswilliger Individuen gestellt. Er kann deshalb auch nicht gegen einen möglicherweise erzielten Konsens der einigungswilligen Individuen argumentieren.
Ich hoffe, ich habe diesen etwas verwickelten Gedankengang einigermaßen klar dargelegt. Fazit dieser Überlegungen ist, dass ein Konsens der Einigungswilligen in Bezug auf das Tötungsverbot möglich erscheint.
Allerdings muss dies mit dem Vorbehalt versehen werden, dass es sich um eine äußerst generelle Norm handelt mit den typischen Problemen dieser Normen. Ich meine damit die in meiner Antwort an altair bereits diskutierte Schwierigkeit, mittels genereller Normen allen Situationen, also auch völlig neuartigen Situationen, gerecht zu werden.
Durch das zukünftige Aufkommen völlig neuer Situationen kann also jederzeit die Einführung neuer einschränkender Klauseln notwendig werden. (Dasselbe gilt für zwar bereits bekannte aber nicht bedachte Situationen.)
Für allgemein anwendbare Normen ist deshalb grundsätzlich nur eine vorläufige, hypothetische Gültigkeit erreichbar. (Hier gibt es Parallelen zu den All-Sätzen in den empirischen Wissenschaften, die ebenfalls einen hypothetischen Charakter besitzen und prinzipiell falsifizierbar bleiben.).
Meine Frage an Euch lautet: Ist das Tötungsverbot mit den genannten (und eventuell noch zu ergänzenden) Einschränkungen konsensfähig oder gibt es vielleicht alternative Regelungen, die eher konsensfähig sind?
Grüße an alle von Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 05. Apr. 2004, 20:41 Uhr
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Warum sollte Krieg ein Recht zum Töten sein?
Wenn hier auf Befehl Töten gemeint ist und Konsequenzen angedroht werden, dann sind die Befehlshaber schuldig. Der zwangseingezogene Soldat handelt ggf. in Notwehr.
Tyrannenmord ist auch nicht unbedingt ein Tötungsrecht. Wenn dann ist es auch Notwehr. Aber daraus erwächst nicht unmittelbar Töten als Lösung.
Die Schwangerschaftsunterbrechung kann auch als Notwehr betrachtet werden, denn der nicht konsensfähige Vötus greift das Eigentum=den Körper der Mutter an. hehe, zynisch was? Ist aber so.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 05. Apr. 2004, 22:10 Uhr
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Hallo Ragnar,
ich hatte geschrieben: "Unausgesprochene Voraussetzung jeder Argumentation ist, dass niemand lügt. Wer meint, lügen zu dürfen, scheidet als Argumentationspartner aus, weil Argumentation am Ziel der Wahrheitsfindung orientiert ist. Aus diesem Umstand folgt jedoch nicht die allgemein geltende Norm 'Lügen ist verboten' ".
Dagegen bist Du der Ansicht, dass aus den Voraussetzungen der Argumentation ein generelles Verbot des Lügens folgt. Wenn das so einfach wäre, dann brauchten zur moralischen Frage des Lügens nicht so viele Seiten Papier bedruckt werden.
Die Situation der Argumentation, also die erkenntnisorientierten Diskussion ist doch eine sehr spezielle Situation, in der es keine "Notlüge", keine "diplomatischen Grippe", keine" Schwierigkeiten beim Aussprechen der Wahrheit", keinen "Geheimnisverrat" oder ähnliches gibt.. Deshalb kann man die Normen, die die wahrheitsorientierte Argumentation ausmachen, auch nicht auf alle übrigen Bereiche übertragen ,
meint Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 05. Apr. 2004, 23:16 Uhr
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Hallo Eberhard
on 04/05/04 um 22:10:26, Eberhard wrote:ich hatte geschrieben: "Unausgesprochene Voraussetzung jeder Argumentation ist, dass niemand lügt. Wer meint, lügen zu dürfen, scheidet als Argumentationspartner aus, weil Argumentation am Ziel der Wahrheitsfindung orientiert ist. Aus diesem Umstand folgt jedoch nicht die allgemein geltende Norm 'Lügen ist verboten' ".
Dagegen bist Du der Ansicht, dass aus den Voraussetzungen der Argumentation ein generelles Verbot des Lügens folgt. Wenn das so einfach wäre, dann brauchten zur moralischen Frage des Lügens nicht so viele Seiten Papier bedruckt werden.
Du bringst einen Strohmann ins Spiel. Ich kenne diese Seiten nicht.
on 04/05/04 um 22:10:26, Eberhard wrote:Die Situation der Argumentation, also die erkenntnisorientierten Diskussion ist doch eine sehr spezielle Situation, in der es keine "Notlüge", keine "diplomatischen Grippe", keine" Schwierigkeiten beim Aussprechen der Wahrheit", keinen "Geheimnisverrat" oder ähnliches gibt.
Das sind doch nur Probleme der Überführung oder Notwehrsituationen. Sie widerlegen doch das grundsätzlich Theoretische nicht.
Ich finde es ineffektiv, sich der Aufgabe vornehmlich von der Empirik aus anzunähern. Dabei hat der Apriorismus so viel zu bieten.
Darüber hinaus läßt sich konsensfähige Moral auf das libertäre Credo zusammenfassen. Bei allen natürlichen Rechtsfragen bzw. Konflikten geht es um die Vermeidung der Initiierung von Gewalt.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 06. Apr. 2004, 01:14 Uhr
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Hallo Eberhard,
ich beziehe mich auf deinen gestrigen beitrag vo 19:22 Uhr und antworte auf deine letzte Frage: Im Prinzip ja.
Als Ergänzung müsste man noch die Todesstrafe hinzufügen.
Zur Piratenproblematik. Sie stellt ein universelles moralisches Problem dar. Jeder, der wissentlich gegen eine moralische Norm verstößt, wäre also solch ein "Pirat". Vorausgesetzt, dass er in der Lage ist, sein Handeln zu reflektieren, wird er argumentieren: "Ich habe ein anderes Moralsystem. Für mich gilt das Recht des Stärkeren. Die Frage, wer Recht hat, ist daher eine Machtfrage."
Er wird also keinen Konsens suchen, sondern auf Darwin pur setzen. Daraus aber folgt umgekehrt, dass das Streben nach Konsens nur mit Gewalt (gegen den Piraten) durchzusetzen ist, denn Piraten wird es immer geben. So hässlich das für jeden Pazifisten ist.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 06. Apr. 2004, 06:47 Uhr
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Hallo Ragnar,
Du schreibst, dass Dir die Literatur zur Problematik des Lügens nicht bekannt ist. Ich kann Dir versichern: es gibt dazu zahlreiche Aufsätze und Bücher. Geh mal zu "amazon.de", klick dort "Bücher" an, wähle "Englische Bücher", gib das Suchwort "Lying" ein und wähle den Filter "Non Fiction". Dir werden dann 39 Bücher angeboten.
Du schreibst, dass der Apriorismus "viel zu bieten hat". Wie Du sicherlich bemerkt hast, gehe ich ebenfalls von den Voraussetzungen aus, die jeder machen muss, der etwas "behauptet" und für seine Behauptungen nicht nur "Glauben" und "Gehorsam" verlangt, sondern der ihre Anerkennung als "wahr", "richtig" oder "allgemeingültig" verlangt. Diese Ansprüche auf "Wissen", "Erkenntnis" und "Wahrheit" können im Unterschied zu Ansprüchen auf "Glauben" und "Gehorsam" nur durch Argumente eingelöst werden, also Begründungen, die dem andern einsichtig gemacht werden können, denen er also zustimmen kann, ohne dass deshalb Zwang auf ihn ausgeübt wird.
Aber man darf die Voraussetzungen der Wahrheitssuche, also die Voraussetzungen der Argumentation nicht überstrapazieren und muss bei schlüssigen logischen Deduktionen bleiben.
Meiner Meinung nach lassen sich aus den a priori geltenden Voraussetzungen der Argumentation allein keine allgemeinen Handlungsnormen wie konkrete Eigentumsrechte oder Handlungsverbote ableiten.
Was sich ableiten lässt sind Verbote INNERHALB des Bereichs der Argumentation. Sie beziehen sich auf Verhaltens- und Argumentationsweisen, die mit dem Ziel der Wahrheitsfindung nicht vereinbar sind, die also dem Bemühen um Antworten, die allen verständigen und am Konsens orientierten Individuen zwanglos einsichtig gemacht werden können, zuwider laufen.
Es grüßt Dich Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von altair am 06. Apr. 2004, 07:25 Uhr
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Hallo -
den Begriff der' Piraterie' würde ich in jedem Fall noch ausdehnen, auf z. B. Verkehrsrowdys, alle Handlungen die aus Unbedachtsamkeit zum eigenen und zum Tod anderer führen, Unterlassene Hilfestellung, Sektenopfer, Verschwörungen jeder Art die das Ziel des Tötens, bzw. deren Ziel zum Töten führen kann, und Dummheit d. h. sich einer Ideologie anschließen ohne sich über die Konsequenzen im Klaren zu sein.
Sterbehilfe wurde ebenfalls noch nicht angesprochen.
Ragnar - dein apriorischer Ansatz - verbessere mich, wenn ich mich irre!
Ein präskriptiver Ausdruck 'P' und ein rein deskriptiver Ausdruck 'D'sind niemals miteinander synonym. ( Moores Argument der offenen Frage)
Caio
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von asedi am 06. Apr. 2004, 07:35 Uhr
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on 04/06/04 um 07:25:51, altair wrote:Ein präskriptiver Ausdruck 'P' und ein rein deskriptiver Ausdruck 'D'sind niemals miteinander synonym. ( Moores Argument der offenen Frage)
Caio
[???] [bookworm]
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von altair am 06. Apr. 2004, 07:52 Uhr
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asedi -
1.Annahme des indirekten Beweises
'P' und 'D' sind miteinander synonym
2.Der Fragesatz 'Ist alles, was D ist, auch P! ist offen
3.Der Fragesatz 'ist alles was D ist, auch D?' ist nicht offen
Der Fragesatz 'ist alles was D ist, auch D?' ist offen, das steht im Widerspruch zu (3)
Daher gilt das Gegenteil der Annahme(1):
Kein präskriptiver Ausdruck (Funktor) der Ethik ist synonym mit einem rein deskriptiven Ausdruck(Funktor)
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 06. Apr. 2004, 10:03 Uhr
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Hallo Altair,
die Dummheit lassen wir außen vor, sonst ergibt sich eine komplette Beliebigkeit. Oder aber der Effekt, dass man jede Handlungsweise, die man gemäß der eigenen Moral ablehnt, als dumm bezeichnet. Motto: Die Wahrheit bin ich.
Damit entfällt auch das fahrlässige Töten, da es ja definitionsgemäß nicht aufgrund eines rationalen Konsenses erfolgte.
Und die Sterbehilfe würde ich einmal unter die Rubrik Töten auf Verlangen setzen.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 06. Apr. 2004, 10:20 Uhr
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Hallo altair
on 04/06/04 um 07:52:42, altair wrote:...
Kein präskriptiver Ausdruck (Funktor) der Ethik ist synonym mit einem rein deskriptiven Ausdruck(Funktor)
Puh. Ich habe das nicht studiert, man.
Soll das heißen auf Deutsch:
Aus einer Vorschrift (präskriptiv) erwächst keine Beschreibung(deskriptiv)? Dann ja, aber was hat das mit meinem Apriori zu tun? Ich versuche damit nur die Grundlage zu liefern auf der Konsens überhaupt möglich ist. Insofern geht es nicht um Vorschriften, sondern um Voraussetzungen.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 06. Apr. 2004, 11:44 Uhr
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Hallo Eberhard
on 04/06/04 um 06:47:18, Eberhard wrote:Du schreibst, dass Dir die Literatur zur Problematik des Lügens nicht bekannt ist. Ich kann Dir versichern: es gibt dazu zahlreiche Aufsätze und Bücher. Geh mal zu "amazon.de", klick dort "Bücher" an, wähle "Englische Bücher", gib das Suchwort "Lying" ein und wähle den Filter "Non Fiction". Dir werden dann 39 Bücher angeboten.
OK, aber kann ja alles Esotherik sein. Verzeih mir, wenn ich das jetzt nicht ernst nehme, aber es war ja auch kein wichtiges Argument von Dir.
on 04/06/04 um 06:47:18, Eberhard wrote:Du schreibst, dass der Apriorismus "viel zu bieten hat". Wie Du sicherlich bemerkt hast, gehe ich ebenfalls von den Voraussetzungen aus, die jeder machen muss, der etwas "behauptet" und für seine Behauptungen nicht nur "Glauben" und "Gehorsam" verlangt, sondern der ihre Anerkennung als "wahr", "richtig" oder "allgemeingültig" verlangt. Diese Ansprüche auf "Wissen", "Erkenntnis" und "Wahrheit" können im Unterschied zu Ansprüchen auf "Glauben" und "Gehorsam" nur durch Argumente eingelöst werden, also Begründungen, die dem andern einsichtig gemacht werden können, denen er also zustimmen kann, ohne dass deshalb Zwang auf ihn ausgeübt wird.
Aber man darf die Voraussetzungen der Wahrheitssuche, also die Voraussetzungen der Argumentation nicht überstrapazieren und muss bei schlüssigen logischen Deduktionen bleiben.
Meiner Meinung nach lassen sich aus den a priori geltenden Voraussetzungen der Argumentation allein keine allgemeinen Handlungsnormen wie konkrete Eigentumsrechte oder Handlungsverbote ableiten.
Wieso nicht? Du hast jetzt nicht mehr gesagt, an welcher Stelle Du meiner Beweisführung nicht mehr folgen kannst.
Gibst Du auf?
on 04/06/04 um 06:47:18, Eberhard wrote:Was sich ableiten lässt sind Verbote INNERHALB des Bereichs der Argumentation. Sie beziehen sich auf Verhaltens- und Argumentationsweisen, die mit dem Ziel der Wahrheitsfindung nicht vereinbar sind, die also dem Bemühen um Antworten, die allen verständigen und am Konsens orientierten Individuen zwanglos einsichtig gemacht werden können, zuwider laufen.
Richtig. Aber Du hast doch selber unlängst argumentiert, dass man sich INNERHALB dieses Bereiches befinden muss, um dem gerecht zu werden.
Lies Dich selbst:
" Der Pirat behauptet und begründet keinerlei Norm mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Er müsste ja zeigen, dass die Norm auch für die von ihm mit dem Tode bedrohten Individuen akzeptabel ist. Dieser Versuch ist offensichtlich aussichtslos. Der Pirat hat das Ziel der zwanglosen Einigung aufgekündigt und sich damit außerhalb der Gemeinschaft einigungswilliger Individuen gestellt. Er kann deshalb auch nicht gegen einen möglicherweise erzielten Konsens der einigungswilligen Individuen argumentieren." [balloon]
Gruß
RD
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von altair am 06. Apr. 2004, 17:06 Uhr
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Hallo Ragnar-
tut mir leid, ich dachte du hättest Phil studiert, Moores Argument der 'Offenen Frage' gehört in die Metaethik.
Offensichtlich habe ich nicht richtig gelesen, denn ich entnahm deinem Beitrag eine Unterscheidung in 'apriori' (denken) und aposteriori (erfahren), und wollte dir zeigen, dass vor allem im Sprachgebrauch nicht immer eine klare (einfach vorstellbare)Beweisführung oder Argumentation möglich ist.
Hanspeter - ich habe absichtlich Dummheit und nicht Unwissenheit (wobei das eine das andere nicht ausschließt) gewählt, weil ich dabei an die rechtsradikalen Gruppierungen dachte wenn sie Ausländerfeindlich agieren
LG.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 06. Apr. 2004, 18:41 Uhr
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Hallo Ragnar,
ich wollte unseren Disput eigentlich vorerst beenden, weil die dabei erzielten Fortschritte im gegenseitigen Verständnis allmählich gegen Null gehen. Da Du jedoch fragst, an welcher Stelle Deiner Beweisführung ich Dir nicht mehr folgen kann, will ich noch einmal einen Versuch machen.
Ich hatte geschrieben: "Aus dem Umstand, dass jeder körperliche Angriff die Aufgabe der Argumentation bedeutet, folgt das exklusive Verfügungsrecht über den eigenen Körper nicht."
Mit Deinem Versuch nachzuweisen, dass dies doch möglich ist, habe ich meine Schwierigkeiten.
Als erstes schreibst Du: "Drum heißt es ja auch: 'SOLANGE ARGUMENTIERT WIRD' "
Mit einem derart unvollständigen Satzbrocken machst Du es einem Gesprächspartner nicht gerade leicht, Dich zu kritisieren, weil dieser erstmal Mühe hat, Dich überhaupt zu verstehen. Ich suche deshalb nach einem Hinweis darauf, wie Dein Satz gemeint ist und finde am Ende Deiner Beweisführung noch den Satz: "Gemeinsame Rechtsnormen sind daher nur möglich, solange argumentiert wird und außerhalb dieser Sphäre nicht."
Das Wort "solange" deutet auf einen begrenzten Zeitraum hin. Was mit der "Sphäre" der Argumentation (?) gemeint ist, bleibt unklar.
Willst Du sagen, dass das exklusive Verfügungsrecht über den eigenen Körper nur für die Argumentationssituation gelten soll?
Wenn ja, was bringt das? Gegen jeden körperlichen Angriff in einer Diskussion genügt doch ein Hinweis wie z. B.: "Schläge und deren Androhung sind keine Argumente". (Außerdem werden damit die psychischen Druckmittel nicht erfasst, wenn man zu einem Diskussionspartner sagt: "Beleidigungen und Beschimpfungen sind keine Argumente".)
Wenn Du jedoch der Meinung bist, dass Du Dich auf Dein exklusives Verfügungsrecht über Deinen Körper auch gegenüber einem Burschen berufen kannst, der Dir in der Diskothek Schläge androht, weil Du ihm aus Versehen auf den Fuß getreten hast, dann hieße das, dass Du unter der "Sphäre der Argumentation" nicht nur die eigentliche Argumentationssituation sondern auch viele andere Lebenssituationen verstehst.
Und damit sind wir wieder bei dem Problem, dass Du aus den Voraussetzungen der Argumentation, die jeder machen muss, wenn er argumentieren will, etwas logisch ableiten willst, was darin nicht enthalten ist, nämlich Handlungsnormen für andere Lebenssituationen z. B. den Besuch einer Diskothek.
Dass es sich dabei um einen anderen Bedeutungsinhalt handelt, als bei den Voraussetzungen der Argumentation, zeigt sich deutlich, wenn Du zu dem Burschen sagen würdest: "Schläge und deren Androhung sind keine Argumente". Dann würde er Dich wahrscheinlich wie einen Irren anstarren und vielleicht sagen: "Sollen sie ja auch nicht sein, Du Spinner, die sollen nur wehtun!"
Ist damit etwas geklärt? fragt Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 06. Apr. 2004, 19:41 Uhr
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Hallo Eberhard
>Als erstes schreibst Du: "Drum heißt es ja auch: 'SOLANGE ARGUMENTIERT WIRD' "
>Mit einem derart unvollständigen Satzbrocken machst Du es einem Gesprächspartner nicht gerade leicht, Dich zu kritisieren, weil dieser erstmal Mühe hat, Dich überhaupt zu verstehen. Ich suche deshalb nach einem Hinweis darauf, wie Dein Satz gemeint ist und finde am Ende Deiner Beweisführung noch den Satz: "Gemeinsame Rechtsnormen sind daher nur möglich, solange argumentiert wird und außerhalb dieser Sphäre nicht."
SOLANGE ARGUMENTIERT WIRD war schon in dem Hoppe-Satzt drin. Ich hatte Dich schon mal drauf hingewiesen, indem ich den in Bold geschrieben habe.
> Das Wort "solange" deutet auf einen begrenzten Zeitraum hin. Was mit der "Sphäre" der Argumentation (?) gemeint ist, bleibt unklar.
> Willst Du sagen, dass das exklusive Verfügungsrecht über den eigenen Körper nur für die Argumentationssituation gelten soll?
Genau.
> Wenn ja, was bringt das?
Dann habe wie eine grundsätzliche Norm. Eine Grundlage für mehr.
> Gegen jeden körperlichen Angriff in einer Diskussion genügt doch ein Hinweis wie z. B.: "Schläge und deren Androhung sind keine Argumente".
Wozu? Der ist aufgrund der Norm nicht mal nötig.
> (Außerdem werden damit die psychischen Druckmittel nicht erfasst, wenn man zu einem Diskussionspartner sagt: "Beleidigungen und Beschimpfungen sind keine Argumente".)
Beleidigungen sind sowieso subjektiv, was ich Dir auch beweisen kann. Darüber bekommst Du keine konsensfähige Norm hin.
> Wenn Du jedoch der Meinung bist, dass Du Dich auf Dein exklusives Verfügungsrecht über Deinen Körper auch gegenüber einem Burschen berufen kannst, der Dir in der Diskothek Schläge androht, weil Du ihm aus Versehen auf den Fuß getreten hast, dann hieße das, dass Du unter der "Sphäre der Argumentation" nicht nur die eigentliche Argumentationssituation sondern auch viele andere Lebenssituationen verstehst.
ja
> Und damit sind wir wieder bei dem Problem, dass Du aus den Voraussetzungen der Argumentation, die jeder machen muss, wenn er argumentieren will, etwas logisch ableiten willst, was darin nicht enthalten ist, nämlich Handlungsnormen für andere Lebenssituationen z. B. den Besuch einer Diskothek.
Wieso das nicht? Bevor ich bewußt in eine Disko reingehe, muss ich doch irgendwie die Geschäftsbedingungen "argumentativ" mitbekommen und dem implizit zugestimmt haben.
> Dass es sich dabei um einen anderen Bedeutungsinhalt handelt, als bei den Voraussetzungen der Argumentation, zeigt sich deutlich, wenn Du zu dem Burschen sagen würdest: "Schläge und deren Androhung sind keine Argumente". Dann würde er Dich wahrscheinlich wie einen Irren anstarren und vielleicht sagen: "Sollen sie ja auch nicht sein, Du Spinner, die sollen nur wehtun!"
> Ist damit etwas geklärt? fragt Eberhard.
Es ist damit auf jeden Fall geklärt, dass ein Recht auf Abtreibung konsensfähig ist, aber nicht das Verbot von Abtreibung.
Es ist damit geklärt, dass ein Recht auf die Einnahme von Drogen und Medikamenten konsensfähig ist, nicht aber deren generelle Prohibition.
Es ist damit geklärt, dass ein Recht auf Organhandel konsensfähig ist, nicht aber deren generelle Kontrolle.
usw.
Das ist ja jetzt nur ein Beispiel von einem Aprori von denen es eine Reihe gibt. Und die in kombinierter Anwendung Aufschluss geben, was geht und was nicht. Sie bilden die Grundlagen für die Basis eines konsensfähigen Rechtsysytems. Und darauf läuft es doch hinaus, oder nicht?
Gruß
RD
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 06. Apr. 2004, 22:15 Uhr
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Hallo Hanspeter,
ich komme - wenn auch leider mit Verzögerung – auf das "Piratenproblem" zurück. "Pirat" ist derjenige, der aus dem Bemühen um die Einigung auf bestimmte Regeln des Umgangs miteinander "aussteigt", weil er seinen Vorteil darin sieht, wenn er ohne die Pflicht zur Befolgung derartiger Normen handeln kann.
Mit dieser Entscheidung nimmt er sich jedoch zugleich die Berechtigung, seinerseits von anderen die Einhaltung irgendwelcher Normen zu verlangen, der "Pirat" kann niemanden mehr kritisieren oder Vorwürfe machen.
Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass der "Pirat" sich damit selber zu einer "Sache" erklärt, wie Ragnar offenbar meint. Der "Pirat" bleibt ja weiterhin ein potentielles Mitglied der moralischen Gemeinschaft.
Der "Pirat" ist ein zentrales Problem jeder moralischen Ordnung, darin stimme ich Dir zu. In Bezug auf ihn ist das Ziel der "vernünftigen" Konfliktlösung zumindest vorerst nicht erreicht worden. Der "Pirat" versteht nur noch die "Sprache" der Macht.
Hier sehe ich genau wie Du eine der Gründe für die Bildung eines Staates, der über genügend Machtmittel verfügen muss, um seine Bürger vor derartigen "Piraten" zu schützen.
Du meinst, dass ein zur Reflektion fähiger "Pirat" argumentieren (wird): "Ich habe ein anderes Moralsystem. Für mich gilt das Recht des Stärkeren." Er mag dies versuchen, aber es ist leeres Wortgeklingel, es sind hohle Phrasen, die die nackte Gewalt etwas dekorieren und verstecken sollen. Er mag seinem Willen und den entsprechenden Normen durch überlegene Macht faktische Geltung verschaffen (" Waffen wegwerfen! Hände hoch und alle zurück an die Wand!" ), aber diese faktische Geltung kann niemals eine irgendwie berechtigte Geltung sein, für die ich das Wort "Gültigkeit" reservieren möchte. Gültigkeit, d. h. BERECHTIGTE Geltung einer Norm muss sich im Unterschied zur rein faktischen Geltung durch intersubjektiv einsehbare Argumente begründen lassen. Sein "Recht" des Stärkeren ist überlegene Macht. Man kann einsehen, dass dagegen Widerstand zwecklos ist, aber man kann nicht dessen Berechtigung einsehen.
Der "Pirat" hat keine Moral, er ist kein "Überzeugungstäter", denn der Überzeugungstäter hat die Ebene der Argumentation nicht aufgekündigt, er ist nur nach herrschender Meinung "unbelehrbar".
Es ist auch nicht jeder ein "Pirat", "der wissentlich gegen eine moralische Norm verstößt". Das "normale" Individuum erliegt manchmal der Versuchung durch die Vorteile einer Normverletzung. Deshalb stellt es noch nicht seine Anerkennung der Norm in Frage. Dies ist ein weiterer Grund für die Bildung eines Staates, der über genügend Machtmittel verfügt, um Normverletzungen wirksam zu bekämpfen
Grüße an Dich und alle andern Eberhard.
p.s. Ich finde, wir sollten unsere Beiträge allgemeinverständlich halten, d. h. die Argumente, auf die wir uns stützen, immer ausführen und nicht die Kenntnis von bestimmter Literatur voraussetzen. Das zu dem von mir sehr geschätzten G. E. Moore.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 06. Apr. 2004, 22:40 Uhr
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Hallo Ragnar,
Du hältst weiterhin an der kühnen Position fest, dass sich aus den Voraussetzungen der Argumentation Normen für das Handeln in den verschiedensten Lebensbereichen logisch herleiten lassen.
Ich lasse mich gerne von Dir überzeugen, wenn es dafür Argumente gibt, die ich nachvollziehen und bejahen kann.
Dazu bitte ich Dich, dies einmal an einem der von Dir genannten Beispiele zu demonstrieren. Ich schlage Deine Behauptung vor: "Jeder hat ein Recht auf Drogenkonsum".
Du kannst Dich also beschränken auf die Formulierung der zu Grunde liegenden Prämissen und auf die Angabe, welche Sätze aus welchen Prämissen logisch abgeleitet werden.
Es grüßt Dich Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 07. Apr. 2004, 00:20 Uhr
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on 04/06/04 um 22:15:41, Eberhard wrote:Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass der "Pirat" sich damit selber zu einer "Sache" erklärt, wie Ragnar offenbar meint. Der "Pirat" bleibt ja weiterhin ein potentielles Mitglied der moralischen Gemeinschaft.
Bitte nicht übertreiben. Meine Darstellung ist eine Extremsituation, um es plastisch werden zu lassen.
on 04/06/04 um 22:15:41, Eberhard wrote:Der "Pirat" ist ein zentrales Problem jeder moralischen Ordnung, darin stimme ich Dir zu. In Bezug auf ihn ist das Ziel der "vernünftigen" Konfliktlösung zumindest vorerst nicht erreicht worden. Der "Pirat" versteht nur noch die "Sprache" der Macht.
Hier sehe ich genau wie Du eine der Gründe für die Bildung eines Staates, der über genügend Machtmittel verfügen muss, um seine Bürger vor derartigen "Piraten" zu schützen.
Das ist kein Grund für Staat. Auch die Hanse ist mit Piraten seinerzeit fertig geworden, obwohl die sich in den nordischen Staaten verkrochen hatten. Der Staat ist eher das Problem. Genauso ist das heute noch in Asien und Afrika. Hoheitsgewässer und staatliche Waffenverbote schützen und begünstigen nicht selten Piraten. Völkerrecht und nationale Hegemonie/Korruption sind die Ursachen.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 07. Apr. 2004, 00:32 Uhr
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Hallo Eberhard,
dein letztes P.S. findet meine volle Unterstützung.
Du schreibst über den argumentierenden Pirat: "Er mag dies versuchen, aber es ist leeres Wortgeklingel, es sind hohle Phrasen, die die nackte Gewalt etwas dekorieren und verstecken sollen."
Ich denke, da ist etwas Vorsicht am Platz. Genauso kann nämlich der Pirat argumentieren, dass auch unser Werte- und Rechtssystem mit Gewalt am Leben erhalten wird. Unmoralisch ist er nur aus unserer Sicht. Wenn es eben zwei oder mehrere Moralsysteme gibt, die nicht miteinander kompatibel sind, dann werden die Stärkeren ihr System mit Macht durchsetzen. Und diese können sich auf den Kategorischen Imperativ nach Darwin berufen: Survival of the fittest!
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von altair am 07. Apr. 2004, 07:24 Uhr
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Hallo Eberhard -
dein letztes P.S. findet meine volle Unterstützung.....
dann erklär doch mal in wenigen Worten, dass hinter deiner Argumentation ein offensichtlich anderer Gedankengang steckt, der dich bereits ans Aufhören wegen Verständnislosigkeit denken ließ.
Vielleicht etwas patzig am frühen Morgen, aber ich hatte mich entschuldigt.
Die Wissenschaftstheorie und dazu zähle ich auch Ethik als präskriptive Disziplin stellt so hohe Erwartungen an die Wissenschafter (Ethiker) dass diese Erwartungen sowieso nicht befriedigt werden können.......
.....aber man sollte zumindest ein Ideal haben, an dem man sich orientieren kann!
Das war mein Schlußplädoyer.
Ciao
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 07. Apr. 2004, 09:28 Uhr
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Hallo Altair,
du siehst das durchaus richtig. Eberhard argumentiert als Ethiker, ich dagegen als Moralist. Letztlich versucht Eberhard, eine Moral als Ethik zu verkaufen. Und da fürchte auch ich wird er sich die Zähne ausbeißen.
Eine konsensfähige Ethik, also eine Wissenschaft von den Moralen gibt es, sofern sie sich den Regeln der Wissenschaft anpasst und eben nicht präskriptiv ist. Eine präskriptive Ethik ist für mich definitionsgemäß ein Widerspruch. Ich nenne sie folglich Moral.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 07. Apr. 2004, 11:33 Uhr
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on 04/06/04 um 22:40:49, Eberhard wrote:Hallo Ragnar,
Du hältst weiterhin an der kühnen Position fest, dass sich aus den Voraussetzungen der Argumentation Normen für das Handeln in den verschiedensten Lebensbereichen logisch herleiten lassen.
Ich lasse mich gerne von Dir überzeugen, wenn es dafür Argumente gibt, die ich nachvollziehen und bejahen kann.
Dazu bitte ich Dich, dies einmal an einem der von Dir genannten Beispiele zu demonstrieren. Ich schlage Deine Behauptung vor: "Jeder hat ein Recht auf Drogenkonsum".
Du kannst Dich also beschränken auf die Formulierung der zu Grunde liegenden Prämissen und auf die Angabe, welche Sätze aus welchen Prämissen logisch abgeleitet werden.
Es grüßt Dich Eberhard.
Hallo Eberhard
ich veranschauliche gerne ein Recht auf Drogenkonsum. Aber Du schreibst "kühne Behauptung" offensichtlich im Hinblick darauf dass ich aus dem Argumentationsprinzip heraus verallgemeinere. Ich gebe ja zu, dass meine Formulierungen wahrscheinlich nicht ausgereift sind.
Ich kann mich dann aber nur wiederholen.
Was genau findest Du also kühn?
Nocheinmal als Überblick:
Wir wollen ein konsensfähiges Rechtssystem ([für altair:] Kein prädiskriptives=vorschreibendes, sondern eines, dem wir uns für den Konsens bedienen können, um zu einem Konsens zu kommen, ohne uns in logische Widersprüche und damit endlose Regresse zu verwickeln.)
Dies heißt, dass nur konsensfähige Subjekte Rechtsträger sein können. Das ist eine Voraussetztung für eine konsistente Moral.
(Wenn wir Politiker und Piraten zu Rechtsträgern machen, dann würden wir einen Konsens vereinbaren, der es Mitgliedern erlaubt ohne Konsens zu handeln. Dann können wir es auch gleich sein lassen.)
Oder anders: Jeder kann nur insoweit Rechte besitzen, wie er auch konsensfähig dazu ist. (Man muss (und kann ggf.) die Rechtsträgerschaft also nicht völlig entziehen.) d. h. nicht, dass es nicht auch Politiker geben könnte. Das wäre aber dann das Privatvergnügen derjenigen Rechtsträger, die die Verantwortung für diese Lumpen übernehmen (nach dem Motto: Eltern haften für Ihre Kinder.)
Ich hoffe es ist so etwas klarer geworden, wenn ich sage: wer nicht argumentiert, verlässt den Boden der Rechtschaffenheit, wenn wir obiges Konsensprinzip voraussetzen. Ohne dem geht es nicht. Oder zweifelt jemand?
Gruß
RD
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Chandrasekhar am 07. Apr. 2004, 17:36 Uhr
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@Ragnar
>" Oder zweifelt jemand?"
Ich ! Da selbst "konsensfähige Subjekte" irgendwann am Ende mit ihrem Argumentationslatein sind ohne immer eine Einigung zu erzielen gibt es nur 2 Möglichkeiten.
1. Beide schütteln sich die Hände und machen weiter wie
bisher . Das Argumentieren war umsonst!(Unwahrscheinlich)
2. Der sich in seinem Recht beschnittene greift zur
Selbstjustiz. Da auch der andere sich im Recht wähnt
kommt es zu GEWALTsamer Klärung.
aus 1 und 2:
Das Argument, das reine argumentieren genüge als
Rechtsnorm ist hinfällig .
Chandrasekhar
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 07. Apr. 2004, 17:46 Uhr
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> Das Argument, das reine argumentieren genüge als Rechtsnorm...
Das habe ich ja auch nicht behauptet.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Chandrasekhar am 07. Apr. 2004, 18:20 Uhr
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@ Ragnar,
>" Wir wollen ein konsensfähiges Rechtssystem .... eines, dem wir uns für den Konsens bedienen können..."
Das Rechtssystem muss aber gerade Zweifelsfälle gewaltfrei klären helfen. Und dazu gibt es den Konsens demokratischer Rechtsstaat. Dessen kann man sich für den Konsens bedienen . Dieses lehnst du ab.Dies heißt du bist kein konsensfähiges Subjekt und somit kein Rechtsträger.
(Du kannst ja mal erläutern wie in deiner Welt Konflikte gelöst werden wenn beide Parteien auf ihren Standpunkt beharren.
Durch argumentieren geht es ja nicht. )
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 07. Apr. 2004, 19:06 Uhr
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> Das Rechtssystem muss aber gerade Zweifelsfälle gewaltfrei klären helfen.
Was aber. Was glaubst Du wrüber wir hier debattieren?
> Und dazu gibt es den Konsens demokratischer Rechtsstaat.
Spinner!
> Dessen kann man sich für den Konsens bedienen .
Ja, ganz toll.
> Dieses lehnst du ab. Dies heißt du bist kein konsensfähiges Subjekt und somit kein Rechtsträger.
Von mir aus. Du für mich auch nicht.
> (Du kannst ja mal erläutern wie in deiner Welt Konflikte gelöst werden wenn beide Parteien auf ihren Standpunkt beharren.
Durch argumentieren geht es ja nicht. )
In Deiner Welt gibts Krieg, Terrorismus, Ausbeutung und Polizei. In meiner nur Polizei.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 07. Apr. 2004, 22:29 Uhr
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Hallo Hanspeter,
Der "Pirat" so wie ich ihn definiert habe, hat keine Moral, die er der vorherrschenden Moral entgegen stellen kann. Seine Grundsätze des Handelns lauten: "Was kümmern mich die Interessen der anderen: Ich tue was ich will!" Wenn man derartige Grundsätze als "Moral" bezeichnet, dann verwischt man damit den wichtigen Unterschied zwischen solchen Grundsätzen, die man mit sich selber ausmachen kann (" Klugheitsregeln" ), und solchen Grundsätzen des Handelns, die man gegenüber anderen rechtfertigen oder verantworten muss.
Mit dem "Piraten" besteht kein moralischer Dissens, weil er gar nicht auf der Ebene der Moral argumentiert. Ein Dissens könnte mit ihm nur bestehen, wenn er ein "Überzeugungstäter" mit einer abweichenden moralischen Überzeugung wäre, so wie Robin Hood oder Zorro, der Rächer der Enterbten.
Du schreibst weiterhin: "Genauso kann nämlich der Pirat argumentieren, dass auch unser Werte- und Rechtssystem mit Gewalt am Leben erhalten wird".
Hier geht meiner Ansicht nach einiges durcheinander. Zum einen "leben" Normen oder Werte nicht, sondern sie "gelten" - mit mehr oder weniger Rechtfertigung. Ihre faktische Geltung und Befolgung kann man zwar gewaltsam erzwingen, ihre Gültigkeit (im Sinne einer gerechtfertigten Geltung) kann jedoch keine Gewalt der Welt erzwingen.
Zum andern benötigen zwar auch gültige Normen eine wirksame Sanktionierung, wenn sie befolgt werden sollen. Wenn man jedoch sowohl den Polizeieinsatz bei einer Drogenrazzia als auch das Hinschlachten und Ausrauben wehrloser Passagiere unter dem Begriff "Gewalt" zusammenfasst und hier nicht weiter differenziert, so verwischt man damit den wichtigen Unterschied zwischen legitimierter Gewalt und nicht legitimierter Gewalt.
Noch eine Anmerkung zum Wissenschaftsbegriff. Eine präskriptive oder normative Wissenschaft ist für Dich definitionsgemäß ein Widerspruch. Das heißt Du definierst als Aufgabe der "Wissenschaft" die Beantwortung von faktischen Fragen durch Beschreibung der Wirklichkeit und die Suche nach empirischen Regelmäßigkeiten. (Aufgabe einer wissenschaftlichen Ethik wäre dann die Beschreibung und Erklärung vorgefundener moralischer Ordnungen, wie es in der Soziologie, Ethnologie oder Psychologie geschieht. Hinzu käme noch die logische Analyse dieser Moralsysteme auf innere Widersprüche, verborgene Implikationen oder Vereinbarkeit mit anderen moralischen Ordnungen.)
Natürlich steht es Dir grundsätzlich frei zu definieren, wie Du das Wort "Wissenschaft" verwenden willst und was demgemäß eine "wissenschaftliche Ethik" ist.
Nun gibt es allerdings noch andere Fragen als faktische Fragen, die ebenfalls sinnvoll und wichtig sind, z. B. Fragen normativer Art wie: "Darf man einen Todkranken über seinen Gesundheitszustand belügen?", "Darf man Soldat sein und an Kriegen teilnehmen?", "Darf man Tiere schlachten, um sie zu essen?", "Darf man ein Kind zeugen, wenn man nicht bereit ist, das Kind aufzuziehen?"
Ich bin der – zugegeben nicht sehr populären – Ansicht, dass es auch auf diese normativen Fragen richtige und falsche Antworten gibt, und dass es darauf ankommt, die Methoden und die Kriterien der richtigen Beantwortung dieser Fragen zu entwickeln. Dabei kommt es mir vor allem darauf an, dass auch im Bereich der normativen Fragen die intersubjektive Nachvollziehbarkeit aller Behauptungen und die logische Widerspruchsfreiheit oberste methodische Prinzipien sind.
Ich bin der Meinung, dass man eine nach diesen methodischen Grundsätzen aufgebaute normative Ethik als eine "normative Wissenschaft" bezeichnen kann, aber vielleicht gibt es dafür geeignetere Worte.
Sei gegrüßt von Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 08. Apr. 2004, 00:15 Uhr
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on 04/07/04 um 22:29:46, Eberhard wrote:Ich bin der – zugegeben nicht sehr populären – Ansicht, dass es auch auf diese normativen Fragen richtige und falsche Antworten gibt, und dass es darauf ankommt, die Methoden und die Kriterien der richtigen Beantwortung dieser Fragen zu entwickeln. Dabei kommt es mir vor allem darauf an, dass auch im Bereich der normativen Fragen die intersubjektive Nachvollziehbarkeit aller Behauptungen und die logische Widerspruchsfreiheit oberste methodische Prinzipien sind.
Damit hat sich Hoppe in dem Buch auch befasst. Siehe: http://www.mises.de/texte/Hoppe/Eigentum/Kapitel1/II/index.html
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 08. Apr. 2004, 01:31 Uhr
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Hallo Eberhard,
du hast sicher Recht, wenn du den Piraten als rücksichtslosen Egozentriker siehst. Aber erfahrungsgemäß kommt ein Pirat selten allein. Ich sah ihn eher als einen Vertreter der sogennanten "Gaunermoral", also Typen wie Robin Hood aber auch G.W.Bush.
Merkwürdig, dass dich der Terminus: "Normen leben" stört. Ja, sie gelten auch, aber sie leben auch, weil sie sich geringfügig ändern können. Ein Recht gilt, aber es lebt doch auch (vermehrt sich, ändert sich...) Aber das ist nur eine Frage der Formulierung.
Strenger sehe ich allerdings den Begriff Wissenschaft. Es gibt ja einen Katalog von Kriterien, die du sicher kennst (zB John Moores, Science as a Way of Knowing). Naturwissenschaft und Mathematik erfüllen sie. Und diesen Kriterien hat sich auch die Ethik anzupassen, es sei denn, du setzt Ethik = Moral. Dann heißt das Kind eben Moralphilosophie oder Wissenschaft von den Moralen.
Fragen von der Art: "Darf man einen Todkranken über seinen Gesundheitszustand belügen?" sind zweifellos außerordentlich wichtig, sie können aber nicht auf wissenschaftlicher Basis beantwortet werden. Die Wissenschaft könnte bestenfalls dazu einen Beitrag liefern, in dem sie zB alle Antworten auflistet, die die existierenden offiziellen Moralen zu dieser Frage bereits gegeben haben. Aber zu sagen, es wissenschaftlich erwiesen, dass man dieses oder jenes tun sollte, ist unwissenschaftlich.
Eines der moorschen Kriterien lautet nämlich: Verallgemeinerungen müssen allgemein gültig sein. Und das wäre nur der Fall, wenn es die allgemein gültige Moral gäbe. Doch diese kann ich beim besten Willen nicht erkennen, so gern ich sie auch hätte.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 08. Apr. 2004, 06:52 Uhr
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Hallo Hanspeter,
Zu dem Kriterium "Verallgemeinerungen müssen allgemein gültig sein". Diese Forderung muss und kann auch eine intersubjektiv nachvollziehbar begründete Ethik erfüllen, um deren Konstruktion es hier ja geht.
Die Verallgemeinerung eines Einzelfalls auf alle gleichartigen Fälle, d. h. der Schluss vom Besonderen auf das Allgemeine, der auch "Induktion" genannt wird, ist kein gültiger logischer Schluss. Deshalb ist bei Verallgemeinerungen Vorsicht geboten, und deshalb bleiben auch die so genannten "Naturgesetze", die induktiv gewonnen werden, im Prinzip falsifizierbar. Bekanntes Beispiel sind die australischen Schwäne, die nicht weiß sind.
Ähnlich ist es bei ethischen Sätzen. Ich kann von der singulären Norm: "Es war richtig, dass Du wegen Deiner Krankheit die Verabredung nicht eingehalten hast" nicht auf die generelle Norm schließen: "Wenn man krank ist, braucht man Verabredungen nicht einzuhalten". So wie bei den Schwänen kann eine Einschränkung erforderlich sein wie z. B. "Wenn man krank ist und hohes Fieber hat, braucht man Verabredungen nicht einzuhalten."
Ob Du eine Ethik, die sich nur auf allgemein einsichtige Begründungen stützt, nun "Wissenschaft" nennen willst oder nicht, ist ein Streit um Worte und letztlich nicht entscheidend. Ob eine solche Ethik möglich ist, ist eine offene Frage, deren Beantwortung nicht zuletzt auch von meinen und Deinen Bemühungen um eine solche Ethik abhängt.
Es grüßt Dich Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Chandrasekhar am 08. Apr. 2004, 07:33 Uhr
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An alle,
Ich glaube , dass intersubjektive und intertemporale Normen
zwar aufgestellt werden können , damit aber das Problem der NORMENKOLLISION nicht gelöst wird. Dafür bräuchte man wieder eine Übernorm und die scheint mir nicht machbar ohne auf "höhere" Wahrheiten zurückzugreifen. Da aber wieder jede seine(oder keine ) hat,halte ich, sosehr Ragnar auch darüber wettern mag, den demokratischen Konsens als "Übernorm" für die praktisch beste Lösung. Aber eben nicht aus moralischen Gründen, das wäre widersprüchlich da ich ja mit Demokratie eine moralische Begründbarkeit abstreite, sondern aus persönlichen, subjektiven Gründen.
Chandrasekhar
@ Ragnar,
>" In Deiner Welt gibts Krieg, Terrorismus, Ausbeutung und Polizei. In meiner nur Polizei."
Und ich bin der Spinner ????
Dir ist irgendein Konsens oder andere Menschen scheißegal.
Warum debattierst du überhaupt hier. Predige doch. Im Ernstfall setzt du sowieso Gewalt ein weil du jeden Angriff auf deine Theorie oder deine Ansichten als PERSÖNLICHEN Angriff wertest. Worin unterscheidest du dich von einem Fundamentalisten ? In nichts.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 08. Apr. 2004, 10:20 Uhr
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Hallo Eberhard,
es ist richtig, dass Vorgänge, die der Mensch Naturgesetze nennt, falsifizierbar sind - dann aber waren es eben keine Naturgesetze.
Das Beispiel "Australische Schwäne" ist sehr interessant. Erfinder ist der, in Sachen Feldbiologie offenbar völlig unwissende Herr Popper. Kein Ornithologe hat je behauptet, Schwäne seien generell weiß. Aber wenn ein relativ bekannter Philosoph einen solchen Schwachsinn behauptet, dann glaubt es seine Fängemeinde, unabhängig vom Wahrheitsgehalt.
Zu deiner Aussage: "Zu dem Kriterium "Verallgemeinerungen müssen allgemein gültig sein". Diese Forderung muss und kann auch eine intersubjektiv nachvollziehbar begründete Ethik erfüllen, um deren Konstruktion es hier ja geht."
kann ich nur anmerken: Im Prinzip ja, aber wo steckt sie? Selbst zum Thema Töten ist uns noch keine intersubjektiv gültige Formulierung eingefallen.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 08. Apr. 2004, 11:31 Uhr
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@Chandra
> Ich glaube , dass intersubjektive und intertemporale Normen
zwar aufgestellt werden können , damit aber das Problem der NORMENKOLLISION nicht gelöst wird. Dafür bräuchte man wieder eine Übernorm und die scheint mir nicht machbar ohne auf "höhere" Wahrheiten zurückzugreifen. Da aber wieder jede seine(oder keine ) hat,halte ich, sosehr Ragnar auch darüber wettern mag, den demokratischen Konsens als "Übernorm" für die praktisch beste Lösung. Aber eben nicht aus moralischen Gründen, das wäre widersprüchlich da ich ja mit Demokratie eine moralische Begründbarkeit abstreite, sondern aus persönlichen, subjektiven Gründen.
Das ist ja Dein Problem.
>>" In Deiner Welt gibts Krieg, Terrorismus, Ausbeutung und Polizei. In meiner nur Polizei."
> Und ich bin der Spinner ????
Ja.
> Dir ist irgendein Konsens oder andere Menschen scheißegal.
Nö. Nur einen Konsens der keiner ist. - "Demokratie".
> Warum debattierst du überhaupt hier. Predige doch.
Im Ernstfall setzt du sowieso Gewalt ein weil du jeden Angriff auf deine Theorie oder deine Ansichten als PERSÖNLICHEN Angriff wertest.
Ach. Warum hetzt Du mir dann Deine BRD-Beamten auf den Hals?
> Worin unterscheidest du dich von einem Fundamentalisten ? In nichts.
Ich bin Fundamentalist ist der Hinsicht, dass ich die Objektivität nicht aufgebe. Ja und? Was ist daran falsch?
Lass doch Deine faschistoiden Beschuldigungen! Wenn Du subjektive Normen über objektive Normen stellen willst, dann ist das nicht mein Fehler.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 08. Apr. 2004, 13:19 Uhr
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Hallo Hanspeter,
Ziel dieser Diskussionsrunde ist die Konstruktion einer allgemein konsensfähigen Moral sowie der Methoden um diesem Ziel näher zu kommen.
So wie es Ziel der Genetik ist, zu allgemein konsensfähigen Aussagen über die Fortpflanzung, Vererbung, Mutation und Programmierung von Lebewesen zu kommen.
Dies Ziel zu verfolgen heißt nicht, dass sich tatsächlich alle Individuen einig sind über die aufgestellten Behauptungen. Es gibt wahrscheinlich heute noch Millionen wenn nicht Milliarden von Menschen, die der von Darwin begründeten Abstammungslehre nicht zustimmen. Und selbst unter verständigen und für Argumente empfänglichen Wissenschaftlern besteht nicht immer Konsens, z. B. hinsichtlich der Entstehung des organischen Lebens aus unbelebter Materie. Auch in den Naturwissenschaften und noch stärker in den empirischen Humanwissenschaften wird nicht immer von allen Fachleuten die gleiche Theorie akzeptiert – man denke nur an die Theorien über die Ursachen von Krebs, sondern es bleiben verschiedene Theorien rational vertretbar. Und wenn es zum praktischen Handeln kommt, zur ärztlichen Entscheidung, welche Therapie der Krebspatient bekommen soll, dann muss mangels Konsens ein sozialer Entscheidungsmechanismus existieren, z. B., dass der behandelnde Chefarzt nach Konsultation seiner Kollegen und in Absprache mit dem Patienten die Therapie bestimmt.
Trotzdem ziehen nur die eingefleischten Skeptiker daraus den Schluss, dass die Erfahrungswissenschaften ein gescheitertes Projekt sind. Niemand wird deswegen die am Ziel der intersubjektiven Überprüfbarkeit orientierte medizinische Krebsforschung beiseite schieben mit dem Hinweis: "Letztlich muss sowieso der behandelnde Arzt entscheiden, weil es keinen Konsens über die Ursachen von Krebs und die Wirksamkeit verschiedener Therapien gibt."
Das ist auch meine Antwort an Chandrasekhar. Ich bin mit Dir der Meinung, dass auch eine Diskussion unter verständigen und einigungswilligen Individuen nicht immer zum Konsens führt,
weil verschiedene Position vertretbar bleiben. Aber trotzdem bleibt die Bemühung um die geeigneten Methoden zum Erreichen eines Konsens sinnvoll und notwendig.
Die demokratische Abstimmung ist auch keine Allzweckhilfe. Diejenigen, die abstimmen, stehen ja ebenfalls vor Fragen. Und wie kann man die Abstimmung als Normsetungsverfahren rechtfertigen?
Deshalb erneuere ich mein Angebot, sich gemeinsam den Kopf zu zerbrechen über die Wege, in moralischen Fragen zu einem Konsens zu kommen.
Herzliche Grüße von Eberhard,
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 08. Apr. 2004, 15:53 Uhr
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Hallo Eberhard
> Ziel dieser Diskussionsrunde ist die Konstruktion einer allgemein konsensfähigen Moral sowie der Methoden um diesem Ziel näher zu kommen.
Moral oder Ethik? Eine Moral für sich genommen ist immer konsensfähig. Es müssen ja nur alle zustimmen. Auch mehreren Moralismen. Aber die beißen sich nicht selten (gegenseitig). Dann käme es drauf an, dass die Moralismen sich nicht widersprechen. Einen ehrlichen Konsens - und nur ein solcher hat auf Dauer eine Chance - finden wir aber nur, wenn sich die Moralismen nicht widersprechen, nicht in logische Verwicklungen führen und damit ggf. zu endlosen Regressen.
Es geht also quasi um eine Metaethik, Metaphysik, Metaideologie oder wie man das auch nennen will.
> Trotzdem ziehen nur die eingefleischten Skeptiker daraus den Schluss, dass die Erfahrungswissenschaften ein gescheitertes Projekt sind. Niemand wird deswegen die am Ziel der intersubjektiven Überprüfbarkeit orientierte medizinische Krebsforschung beiseite schieben mit dem Hinweis: "Letztlich muss sowieso der behandelnde Arzt entscheiden, weil es keinen Konsens über die Ursachen von Krebs und die Wirksamkeit verschiedener Therapien gibt."
Da hast Du recht. Es wäre doch unangemessen an die Entwickler einer Morallehre, wobei Moral ja wissenschaftlich begründet sein muss letztlich höhere Anforderungen und Erwartungen zu setzen als an die Vertreter der andern Diziplinen. Das Ergebnis solchen Denkens kennt man ja: KZ's, Gulag, Sozialismus, Terrorismus, Kriegsdienst, Massenvernichtungswaffen, Faschismus, Kollektivismus usw..
Trotzdem würde ich sagen, dass es auch so etwas wie eine wissenschaftliche Moral gibt. Bevor ich mich auf die Aussagen anderer Wissenschaftler und Fachkundigen verlasse, die doch nur empirisch festgestellt wurden, versuche ich doch lieber mit dem auszukommen was ich habe und von dem ich wissen kann, dass es richtig sein muss. weil ich es analytisch gefunden habe.
Umso mehr kommt es drauf an, dass man seine Aussagen penibel genau beschreibt.
Aus der Anwendung solcher Begründungen geht übrigens das erste und wichtigste Rechtsprinzip wie Hoppe auf http://www.mises.de/texte/Hoppe/Eigentum/Kapitel1/II/index.html zeigt hervor: Das Gewaltaussschlussprinzip. Und das gilt natürlich auch für die Anwendung/Gebrauch der Theorie, sonst wäre es ja Unsinn, denn es spielt ja keine Rolle, ob ich meine Theorie selber entwickelt habe oder mich nur ihr bediene.
> Das ist auch meine Antwort an Chandrasekhar. Ich bin mit Dir der Meinung, dass auch eine Diskussion unter verständigen und einigungswilligen Individuen nicht immer zum Konsens führt,
weil verschiedene Position vertretbar bleiben. Aber trotzdem bleibt die Bemühung um die geeigneten Methoden zum Erreichen eines Konsens sinnvoll und notwendig.
> Die demokratische Abstimmung ist auch keine Allzweckhilfe. Diejenigen, die abstimmen, stehen ja ebenfalls vor Fragen. Und wie kann man die Abstimmung als Normsetungsverfahren rechtfertigen?
Überhaupt nicht! In der Tat. Demokratie vestößt schon gegen das Gewaltausachlussprinzip, denn man wird ja gezwungen daran teilzunehmen.
Gruß
RD
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Chandrasekhar am 08. Apr. 2004, 16:30 Uhr
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Hallo Eberhard,
>" Trotzdem ziehen nur die eingefleischten Skeptiker daraus den Schluss, dass die Erfahrungswissenschaften ein gescheitertes Projekt sind. "
Ich glaube nicht, dass Probleme der Ethik/Moral etwas mit Naturwissenschaften(das meinst du wohl mit Erfahrungswissenschaften) zu tun haben, jedenfalls nicht in dieser Diskussionsrunde. Vielleicht zeigt die Wissenschaft ja mal dass der Mensch so wie er ist nun mal nicht vernünftig ist.
Wer weiß. Dir geht es ja glaube ich, um eine theoretische Grundlage für eine konsensfähige Moral. Und da bleibt für mich der Fakt der Normenkollision bestehen. Und damit letzten Endes als beste Lösung der gewaltsame Zwang zur gewaltfreien Einigung. Aber vielleicht habe ich ja einen wichtigen Aspekt übersehen der das Problem der Kollision löst.
>" Die demokratische Abstimmung ist auch keine Allzweckhilfe. Diejenigen, die abstimmen, stehen ja ebenfalls vor Fragen."
Das ist korrekt . Aber bei Allzweckhilfe schaue bitte unter A wie Anarchie oder R wie Ragnar nach.
Hallo HansPeter,
>" Das Beispiel "Australische Schwäne" ist sehr interessant. Erfinder ist der, in Sachen Feldbiologie offenbar völlig unwissende Herr Popper. Kein Ornithologe hat je behauptet, Schwäne seien generell weiß. Aber wenn ein relativ bekannter Philosoph einen solchen Schwachsinn behauptet, dann glaubt es seine Fängemeinde, unabhängig vom Wahrheitsgehalt. "
Herr Popper kam es nur auf das Beispiel an. Er hätte auch Marsmenschen nehmen können. Oder Symbole oder sonstwas. Soviel zum Schwachsinn. TsTs
@Ragnar,
>" Ach. Warum hetzt Du mir dann Deine BRD-Beamten auf den Hals?"
Du bist ja völlig übergeschappt.
>" Bevor ich mich auf die Aussagen anderer Wissenschaftler und Fachkundigen verlasse, die doch nur empirisch festgestellt wurden, versuche ich doch lieber mit dem auszukommen was ich habe und von dem ich wissen kann, dass es richtig sein muss. weil ich es analytisch gefunden habe."
Schon mal was von abgehoben gehört? Komm bloß der Sonne nicht zu nahe! Oder bist du sie schon?
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 08. Apr. 2004, 16:44 Uhr
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Hallo Eberhard,
natürlich gibt es in der Nat.Wiss. jede Menge unbewiesener Theorien. Und die Forscher arbeiten daran, weil sie hoffen, eine Theorie eben beweisen zu können.
Gut, du glaubst, es gäbe eine allgemein konsensfähige Moral. Also sehen wir zu, ob wir eine zustande bringen.
Fahren wir fort im löblichen Werke.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 08. Apr. 2004, 16:54 Uhr
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Hallo Chandrasekhar,
ich habe das Popper-Beispiel nicht wörtlich vor mir, aber als ich es las, war mein Eindruck: Wenn ein Wissenschaftsphilosoph ein wissenschaftlich unhaltbares Beispiel zur Infragestellung wissenschaftlicher Methoden verwendet, dann ist das eine schwache Leistung.
Ferner schreibst du: "Ich glaube nicht, dass Probleme der Ethik/Moral etwas mit Naturwissenschaften(das meinst du wohl mit Erfahrungswissenschaften) zu tun haben.." Dies ist ein fundamentaler Irrtum. Wenn die Nat.Wiss. beweist (und im Prinzip hat sie das ja schon getan), dass eine Bevölkerungszunahme von 80 Millionen pro Jahr zu einem globalen Kollaps führt, dann muss das in die Moral eingehen.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 08. Apr. 2004, 17:15 Uhr
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on 04/08/04 um 16:30:54, Chandrasekhar wrote:Dir geht es ja glaube ich, um eine theoretische Grundlage für eine konsensfähige Moral. Und da bleibt für mich der Fakt der Normenkollision bestehen. Und damit letzten Endes als beste Lösung der gewaltsame Zwang zur gewaltfreien Einigung. Aber vielleicht habe ich ja einen wichtigen Aspekt übersehen der das Problem der Kollision löst.
Ja, Du hast was übersehen. Ein Moralsystem, dass vollständig auf dem Gewaltausschlussprinzip beruht, kennt keine Kollisionen. Mit Demokratie führst Du sie erst ein. Du Weltbeglücker.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Chandrasekhar am 08. Apr. 2004, 17:33 Uhr
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@ Ragnar,
>" Ja, Du hast was übersehen. Ein Moralsystem, dass vollständig auf dem Gewaltausschlussprinzip beruht, kennt keine Kollisionen. Mit Demokratie führst Du sie erst ein. Du Weltbeglücker. "
1. Ich werde mich hüten die Welt beglücken zu wollen, dafür bist du zuständig!
2. Nicht ich, du übersiehst , dass es diese Moralsystem aus LOGISCHEN Gründen nicht geben kann sobald es mehr als eine Norm gibt ODER die eine Norm Auslegungssache!!wird.
PUNKT
@HansPeter,
>" ich habe das Popper-Beispiel nicht wörtlich vor mir, aber als ich es las, war mein Eindruck: Wenn ein Wissenschaftsphilosoph ein wissenschaftlich unhaltbares Beispiel zur Infragestellung wissenschaftlicher Methoden verwendet, dann ist das eine schwache Leistung.
Ferner schreibst du: "Ich glaube nicht, dass Probleme der Ethik/Moral etwas mit Naturwissenschaften(das meinst du wohl mit Erfahrungswissenschaften) zu tun haben.." Dies ist ein fundamentaler Irrtum. Wenn die Nat.Wiss. beweist (und im Prinzip hat sie das ja schon getan), dass eine Bevölkerungszunahme von 80 Millionen pro Jahr zu einem globalen Kollaps führt, dann muss das in die Moral eingehen. "
Zu Popper: Ihm ging es um die Logik der Forschung.Vielleicht liest du es nochmal.
Zur Bevölkerungszunahme: Da braucht man nur Mathematik der sechsten Klasse um das zu "beweisen". Was ich sagen wollte ist, dass dir die Naturwissenschaft nicht bei ethischen Fragestellungen weiterhilft. ZUERST musst du eine Moral haben um die wissenschaftlichen Daten "einfließen " zu lassen.
Übrigens gibt es auch hier Konflikte. Wenn zum Beispiel ein Deutscher soviel Energie verschwendet wie 100 Afrikaner stellt sich die Frage wer die Welt wirklich zuerst unbewohnbar macht. Das Bevölkerungswachstum oder der Konsumwahn.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 08. Apr. 2004, 18:27 Uhr
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author=Chandrasekhar
> 1. Ich werde mich hüten die Welt beglücken zu wollen, dafür bist du zuständig!
Du wendest doch per Demokratie a priori Gewalt an. Ich doch nicht!
> 2. Nicht ich, du übersiehst , dass es diese Moralsystem aus LOGISCHEN Gründen nicht geben kann
[
Ach ja? Warum denn nicht?
> sobald es mehr als eine Norm gibt ODER die eine Norm Auslegungssache!!wird.
PUNKT
Das kann der Grund ja nicht sein.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von altair am 08. Apr. 2004, 19:53 Uhr
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Hallo @all-
Wenn ich eure Beiträge lese ist mir der Begriff Moral im Unterschied zu Ethik nach wie vor nicht klar,ich versuche mal zu definieren.
Eine positive Moral ist eine Gesamtheit von Einstellungen des tägl. Lebens - neutral, ein Teil der Gesellschaft.
Das Ziel ist Moraltheorie, ist Ethik - unterteilt in deskriptiv und präskriptiv, normativ und evaluativ.Philosophisch (Moralphilosophie)und außerphilosophisch (d. h. mit göttlicher Offenbarung), darüber hinaus gibt es die Metaethik
Wo liegt hier das Problem?
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 08. Apr. 2004, 22:15 Uhr
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Hallo allerseits,
es freut mich, dass ihr an dem "löblichen Werk" weiterarbeiten wollt. (Zugleich hoffe ich, dass die Belegung anderer Diskussionsteilnehmer mit Kraftausdrücken beendet ist und in dieser Runde auch nicht wieder auftaucht.)
Aber zum Thema: Ist die Frage: "Wie wollen wir, dass gehandelt wird?" wirklich nicht zu beantworten? Hanspeter schreibt: "Wo steckt sie (die intersubjektiv nachvollziehbar begründete Ethik)? Selbst zum Thema Töten ist uns noch keine intersubjektiv gültige Formulierung eingefallen."
Meiner Ansicht nach haben wir bereits einige Resultate erzielt, die ich hier einmal auflisten will:
1. Wir können Normen, die Unterschiede allein wegen der Identität der Beteiligten machen als nicht konsensfähig, weil parteiisch, ausschließen. (Z. B.: "Arier dürfen Nicht-Arier töten, jedoch nicht umgekehrt." ).
2. Wir können Normen, die Unterschiede wegen irrelevanter Bedingungen machen, als nicht konsensfähig ausschließen. Irrelevant sind Bedingungen, die für die Interessen der Beteiligten keinerlei Unterschied machen. Zum Beispiel ist es für mich gleich schlimm, wenn ich von einem Weißen umgebracht werde wie wenn ich von einem Farbigen umgebracht werde. (Z. B.:" Menschen mit weißer Hautfarbe dürfen Farbige töten, jedoch nicht umgekehrt" ).
3. Wenn man im Falle von Konflikten zu einer Einigung kommen will (und diesen Willen zum Konsens muss man voraussetzen), so darf jeder nur solche Normen vorschlagen, die er für allgemein akzeptabel hält. Wenn jemand eine Norm behauptet, dann muss er deshalb dazu bereit sein, dieser Norm auch dann zuzustimmen, wenn er sich in der vergleichsweise schlechteren Position befindet.
Wenn also jemand die Norm vertritt: "Wer einen andern Menschen ermordet hat, soll mit dem Tod bestraft werden" dann muss er dazu bereit sein, diese Norm auch dann zu vertreten, wenn er selber (oder ein naher Angehöriger) wegen Mordes hingerichtet werden soll. Diese Bedingung wird auch als Bedingung der Wechselseitigkeit oder Reziprozität bezeichnet.
4. Wenn im Falle eines Konfliktes ein zwangloser Konsens gesucht wird, dann erfordert das die unparteiische Berücksichtigung, Gewichtung und Abwägung der Interessen aller Beteiligten.
Wenn also gefragt wird, ob es erlaubt sein soll, einen andern Menschen umzubringen, um sich in den Besitz des Inhalts seiner Brieftasche zu setzen, so muss das Interesse des Getöteten (sein Interesse am Weiterleben) gegen das Interesse des Täters (sein Interesse am Geld in der Brieftasche) abgewogen werden. Obwohl mit der Abwägung von Interessen verschiedener Individuen (dem so genannten "interpersonalen Nutzenvergleich" ) verschiedene methodologische Probleme verbunden sind, halte ich es für eine sinnvolle Aussage, zu sagen: "Eher ist Dir zuzumuten, auf das Geld in meiner Brieftasche zu verzichten, als mir zuzumuten ist, dass mein Leben jetzt beendet wird."
So wie ich die Argumente interpretiere, die wir gesammelt haben, ergab sich in Bezug auf das Töten anderer Menschen (bis auf wenige spezielle Situationen) ein Konsens darüber, dass das Interesse, nicht getötet zu werden, gewichtiger ist als das Interesse des Täters an dem dadurch erzielten Vorteil. Insofern sehe ich hier schon die Möglichkeit eines allgemeinen Konsens. Wenn jemand ein anderes Resultat sieht, müssten wir die Diskussion noch einmal wieder aufnehmen.
Mit dem "Piraten" besteht kein moralischer Dissens. Der "Pirat" stimmt zwar dem Tötungsverbot nicht zu, aber nicht weil er eine andere moralische Position vertritt, sondern weil er aus Eigeninteresse die Einigung gar nicht sucht. Für den Piraten ist deshalb eine unparteiische Abwägung von Interessen verschiedener Individuen völlig uninteressant. Er begibt sich gar nicht auf die Ebene der moralischen Argumentation. Er kann deshalb auch nichts gegen mögliche Resultate der am Konsens orientierten Individuen einwenden.
Ich finde, das sind schon einige nicht zu unterschätzende Schritte auf dem Wege zum Konsens in der Frage: "Wie sollen Menschen miteinander umgehen?"
Es grüßt Euch ein optimistischer Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 09. Apr. 2004, 01:15 Uhr
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Chadrasenkhar schreibt: "ZUERST musst du eine Moral haben um die wissenschaftlichen Daten "einfließen " zu lassen."
Wenn zu meinen moralischen Vorstellungen der biblische Befehl gehört, dafür zu sorgen, dass die Zahl der Menschen in Richtung Unendlich zu gehen hat (wörtlich: so viele wie Sandkörner in der Wüste), dann komme ich mit den Erkenntnissen der Nat.Wiss. in Konflikt.
Weiter schreibt er: "Übrigens gibt es auch hier Konflikte. Wenn zum Beispiel ein Deutscher soviel Energie verschwendet wie 100 Afrikaner stellt sich die Frage wer die Welt wirklich zuerst unbewohnbar macht. Das Bevölkerungswachstum oder der Konsumwahn." Genau das ist es. Die Nat.Wiss. muss zB sagen: So und so ist die Energiesituation, dann kann die Moral sagen: Es ist moralisch / unmoralisch, Energie zu verschwenden.
Zu Altair: Die Begriffe Moral / Ethik werden in der Tat unterschiedlich definiert - jeder macht es nach Lust und Laune. Relativ verbreitet ist die Vorstellung: Es gibt viele Moralen, aber nur eine Ethik. Ethik wäre dann also die Wissenschaft von den Moralen.
Wenn es aber nur e i n e gültige Moral gibt, dann ist Moral = Ethik. Darum gab es bei den Katholen bis vor kurzem nur Moraltheologen, keine Ethiktheologen.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 09. Apr. 2004, 01:35 Uhr
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Hallo Eberhard,
zu 1. und 2. Ok
Allerdings mit einer Anmerkung. Es gab (und gibt wohl noch immer) den unseligen Begriff des "Untermenschen". Keine Erfindung der Nazis, so haben zB die Spanier das Ausrotten bestimmter Indianervölker damit begründet, dass das doch keine Menschen seien, da sie Menschsein mit bestimmten kulturellen Eigenarten verbanden. Dito Engländer und Aboriginals. Wie begegnest du diesem Argument?
3. OK
Allerdings mit einer Anmerkung: Thema Handabhacken bei Diebstahl. Für den Mohammedaner reziprok, für den Westler nicht akzeptabel.
4. Dein Beispiel sei akzeptiert. Nicht aber so ohne weiteres die Verallgemeinerung.
Was ist, wenn jemand argumentiert: "Gott hat über Bibel / Koran /Talmud den Befehl gegeben, diese oder jene Handlung eines Menschen mit dem Tode zu bestrafen."
Was nun?
Müssen wir mit der Akzeptanz einer allgemein gültigen Moral auch die Irrelevanz der Heiligen Bücher fordern?
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Chandrasekhar am 09. Apr. 2004, 09:10 Uhr
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Hallo HansPeter,
Ich glaube du hast noch nicht verstanden. Die Naturwissenschaft kann dir nicht helfen bei moralisch/ethischen Problemen. Das sie irgendwelche Daten liefert die man anerkennen kann ist unbestritten. Aber sie hilft dir in keiner Weise bei moralischen Entscheidungen.
Hallo Eberhard,
>" Insofern sehe ich hier schon die Möglichkeit eines allgemeinen Konsens. Wenn jemand ein anderes Resultat sieht, müssten wir die Diskussion noch einmal wieder aufnehmen."
Die Machbarkeit eines allgemeinen Konsens in Einzelfragen sehe ich zwar nicht so optimistisch, halte ihn aber prinzipiell für möglich.Ich sehe aber nach wie vor das Problem des Normenkonflikts bzw. der Auslegung einer Norm. Und einen allgemeinen Konsens wie solches zu behandeln ist ,halte ich aus logischen Gründen für nicht begründbar und somit nicht außerhalb des Rechtes des Stärkeren(Demokratie ist auch so ein Recht) für machbar .
>" 4. Wenn im Falle eines Konfliktes ein zwangloser Konsens gesucht wird, dann erfordert das die unparteiische Berücksichtigung, Gewichtung und Abwägung der Interessen aller Beteiligten. "
Ich glaube eine unparteiische Abwägung ist nicht machbar da ich ja nur aus meiner Parteilichkeit, meinem Interesse heraus ein Interesse an einer Konfliktlösung habe. Wenn es nicht meiner Parteilichkeit entspringen und mir letzten Endes nützen würde, wäre ja auch kein Interesse an einer Lösung vorhanden.
@Ragnar,
>" Das kann der Grund ja nicht sein."
Starkes Argument! Genau DAS ist der Grund. Auch das Gewaltausschlußprinzip braucht im Zweifel einen Entscheider.
Und da führt Deine Selbstjustiz zwangsläufig zu Gewalt. Ist also aus logischen Gründen nicht ohne Gewalt durchsetzbar.
Und daher ein Widerspruch .
Und komm mir nicht wieder mit der Wissenschaft als Entscheiderin. Die ist auch nur von Menschen gemacht.
Vielleicht solltest du mal über Objektivität prinzipiell nachdenken. Objektivität ist immer UNGEWIß !! Da du als Subjekt eben nicht objektiv sein kannst. Sagt der Begriff schon. Ich kann also nur meiner subjektiven Sicht objektiv gewiß sein.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 09. Apr. 2004, 10:12 Uhr
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Hallo Hanspeter,
Danke für die sachliche Kritik. Als erstes zu dem Problem, dass bestimmte Gruppen aus der moralischen Gemeinschaft von vornherein ausgeschlossen und z. B. als "Untermenschen" ausgegrenzt werden.
Gegen eine solche Ausgrenzung kann der "Untermensch" nach demselben Muster argumentieren, wie man gegen den nicht einigungswilligen "Piraten" argumentiert.
Der Ausgegrenzte kann sagen: "Du magst das tun und mich ausgrenzen. Aber damit hast Du Dich mir gegenüber offen als nicht konsenswillig erwiesen. Das heißt, dass Du Dein Verhältnis zu mir als ein Gewaltverhältnis bestimmst, was in letzter Konsequenz eine latente Kriegserklärung an mich bedeutet. Damit hast Du die Ebene der Argumentation mir gegenüber zerstört. Du kannst vielleicht meinen Gehorsam erzwingen, aber Du kannst nicht sagen, dass diese Verhältnisse "richtig" oder "gerechtfertigt" sei und ich kein Recht habe, diese Verhältnisse umzustürzen.
Entsprechendes gilt für Religionsgemeinschaften, die "Ungläubigen" aus der moralischen Gemeinschaft prinzipiell ausgrenzen, oder für ethnische Gemeinschaften, die gegenüber "Fremden" keinerlei moralische Verpflichtung anerkennen.
Und das gleiche gilt auch für mich, wenn ich Tiere nicht als Mitglieder der moralischen Gemeinschaft ansehe. Dann kann der Schutz der Tiere nur über die menschlichen Tierfreunde und deren Interesse an der Vermeidung tierischen Leidens begründet werden.
Nun zur "Bedingung der Wechselseitigkeit". Auch die Norm "Einem Dieb soll zur Strafe die Hand abgehackt werden" darf jemand als konsensfähig vorschlagen, sofern er bereit ist, auch sich selber (oder einem nahen Angehörigen) die Hand abhacken zu lassen, wenn er einen Diebstahl begangen hat.
Die Bedingung der Wechselseitigkeit ist für sich allein genommen kein hinreichendes Kriterium für die Gültigkeit einer moralischen Norm. Es muss bei seiner Anwendung durch verschiedene Individuen auch nicht zu den gleichen Resultaten führen. Es ist eher ein Kriterium, das der Einzelne kritisch an sich selber und seine eigene moralische Position anlegen kann, um zu prüfen, ob er wirklich nach einem Konsens strebt. Dazu muss er sich fragt: "Könnte ich der jetzt von mir befürworteten Norm auch dann noch zustimmen, wenn ich mich in der Lage der vergleichsweise schlechter Gestellten befinden würde?"
Die Bedingung der Wechselseitigkeit ist somit nicht bedeutungsgleich mit der Forderung nach allgemeiner Konsensfähigkeit, da ich zur Anwendung dieser Bedingung nur meinen eigenen Willen befragen muss. Sie ist jedoch in der Forderung nach allgemeiner Konsensfähigkeit mit enthalten, die darüber hinausgeht.
Übrigens ist der ehrwürdige "Kategorische Imperativ" (" Handle so, dass die Maxime Deines Willens jederzeit Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung sein könnte" ) ebenfalls ein vom Einzelnen auf sich selbst anzuwendendes Kriterium, das bei der Anwendung durch verschiedene Subjekte nicht zu übereinstimmenden Ergebnissen führen muss. Ich kann zur Maxime meines Handelns die Norm machen "Ehefrauen haben sich ihren Ehemännern unterzuordnen" und ich kann zugleich auch wollen, dass eine entsprechende allgemeine Gesetzgebung erfolgt. Jemand anders kann stattdessen die Norm "Ehefrauen und Ehemänner sind gleichberechtigt" zur Maxime seines Handelns machen und zugleich wollen, dass auf dieser Grundlage eine allgemeine Gesetzgebung erfolgt.
Der Grund für diese begrenzte Aussagekraft des Kategorischen Imperativs liegt daran, dass dieser nicht direkt am Konsens orientiert ist und deshalb der Einzelne sich nicht darum kümmern muss, was die anderen wollen. Verlangt wird nur, dass der Einzelne seinen eigenen Willen prüft.
Auch die "Goldene Regel" (" Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu" oder positiv formuliert "Behandele andere so, wie Du von Ihnen behandelt werden möchtest" ) verlangt nur, dass der Einzelne seinen eigenen Willen prüft.
Als letztes zum Problem der religiös begründeten Moral. Du fragst: "Müssen wir mit der Akzeptanz einer allgemein gültigen Moral auch die Irrelevanz der Heiligen Bücher fordern?"
Das müssen wir wohl nicht, denn der Umstand, dass eine Moral religiös begründet ist, schließt ja nicht aus, dass sie inhaltlich trotzdem mit einer durch allgemein nachvollziehbare Argumente gewonnenen Moral übereinstimmt. So ergibt sich aus der christliche Vorstellung, dass alle Menschen Kinder des göttlichen Vaters sind, und aus dem Prinzip der Nächstenliebe möglicherweise eine Moral, die von einer an der argumentativen Konsensfähigkeit orientierten Moral nicht allzu weit entfernt ist. So glaube ich, dass ein Christ mit den bisher formulierten ethischen Prinzipien leben kann. (Am heutigen höchsten Feiertag der Christen sei mir dieser Abstecher ins Theologische einmal erlaubt.)
Allerdings ist der behauptete göttliche Ursprung kein zulässiges Argument in der Suche nach Konsens (zumindest dann nicht, wenn es keine intersubjektiv nachvollziehbaren Argumente für die Existenz dieses Gottes gibt, sondern dessen Existenz geglaubt werden muss.)
Deshalb kann auch der bloße Hinweis, dass eine bestimmte moralische oder rechtliche Norm mit der christlichen Lehre nicht vereinbar sei, kein zulässiges Argument in einer öffentlichen Diskussion sein.
Für diese etwas länger geratene Antwort bitte ich um Nachsicht, Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Chandrasekhar am 09. Apr. 2004, 11:18 Uhr
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Hallo Eberhard,
wahrscheinlich rede ich ständig am Thema vorbei, und ich möchte auch deinen Diskurs mit HansPeter nicht stören, habe aber doch immer noch diese eine Frage ? Scheitert der Versuch eine ALLGEMEIN konsensfähige Moral zu finden nicht daran, dass dies nur gelingen kann wenn es eine im Menschsein implizit vorhandene Grundlage für diese gibt(etwa , alle Menschen wollen als Person respektiert werden und durch die Vernunft kann dies Wollen vom Ich auf andere übertragen werden )UND es eine Lösung für die logische Seite (ich wiederhole Kollision/Auslegung) des Problems gibt.
Wie gesagt, falls ich als Diskussionteilnehmer fehl am Platz bin, kannst du das ruhig schreiben, dann spare ich mir die Mühe .
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 09. Apr. 2004, 11:29 Uhr
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@Chandra
>>" Das kann der Grund ja nicht sein."
> Starkes Argument! Genau DAS ist der Grund. Auch das Gewaltausschlußprinzip braucht im Zweifel einen Entscheider.
Und da führt Deine Selbstjustiz zwangsläufig zu Gewalt. Ist also aus logischen Gründen nicht ohne Gewalt durchsetzbar.
Und daher ein Widerspruch .
Und komm mir nicht wieder mit der Wissenschaft als Entscheiderin. Die ist auch nur von Menschen gemacht.
Vielleicht solltest du mal über Objektivität prinzipiell nachdenken. Objektivität ist immer UNGEWIß !! Da du als Subjekt eben nicht objektiv sein kannst. Sagt der Begriff schon. Ich kann also nur meiner subjektiven Sicht objektiv gewiß sein.
Wenn Du jetzt nur mal ein bischen sorgfältig aufgepasst und nachgedacht hättest...
Worauf gründet Hoppe das Gewaltausschlussprinzip?
Na?
Auf Begründen.
Bevor also die Gewalt festgestellt werden kann, muss man sie begründen können, sonst existiert die Gewalt eben nur als Behauptung.
Jedes Gericht muss dann die Klage abweisen, wenn sie nicht objektiv begründet ist, wenn nicht, dann übt es selbst Gewalt aus und kann/muss sich vor einem anderen Gericht verantworten.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 09. Apr. 2004, 13:09 Uhr
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Hallo Chandrasekhar und Eberhard
aus der Diskussion ausgrenzen möchte ich eigentlich nur Leute, die Teilnehmer mit anderen Meinungen als Spinner, Faschisten oder sonstigen persönlichen Angriffen abqualifizieren. Und dazu zählt Chandrasekar nicht.
In seinem Beitrag schreibt Ch. als Voraussetzung für den Konsens: "alle Menschen wollen als Person respektiert werden"
Richtig. Darum ist es ja auch so schwierig, gegen religiöse Fundis zu argumentieren, da diese sich meist als eigenständige Person aufgeben und nur noch den Willen ihres Herrn vollziehen wollen.
Zu Eberhards Argumentationskette einige Anmerkungen:
1. Zu jenen, die andere als Untermenschen deklarieren. Das Gegenargument leuchtet logisch ein. Was ist aber, wenn der sog. "Untermensch" aus intellektuellen Gründen nicht in der Lage ist, eine derartige Widerrede zu führen? Kann dann der Überhebliche sagen: Seht, der Untermensch ist zu blöd, seinen Standpunkt zu begründen, also schlagt ihn tot?
2. Bei den Religiösen braucht es noch eine überzeugendere Argumentationskette. Entweder Bibel / Koran sind von Gott inspirierte Bücher und somit heilig, dann ist eine Konsensdiskussion nicht nur überflüssig, sondern als Ketzerei zu verurteilen (Nebenbei, die von Eberhard zitierte christliche Nächstenliebe bezieht sich eindeutig auf den Nächsten, wie auch die sog. "Feindesliebe" den persönlichen, ökonomischen Gegner, nicht den Glaubensfeind meint)
Das einleuchtendste Argument - Eberhard deutete es bereits an - ist das: Solange der göttliche Ursprung dieser Bücher nicht bewiesen ist, müssen die Religiösen wie die Piraten behandelt werden. Schließlich gelten für den Konsens ja auch die Gesetze der Logik.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 09. Apr. 2004, 13:22 Uhr
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> aus der Diskussion ausgrenzen möchte ich eigentlich nur Leute, die Teilnehmer mit anderen Meinungen als Spinner, Faschisten oder sonstigen persönlichen Angriffen abqualifizieren. Und dazu zählt Chandrasekar nicht.
Nur als kleine Karrfreitagserinnerung: Ich bin vorher von Chandrasekar als gewaltbereit hingestellt worden. Und deshalb ist der für mich ein Spinner. Als Faschisten habe ich niemanden bezeichnet.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Chandrasekhar am 09. Apr. 2004, 13:23 Uhr
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@ Ragnar,
>" Worauf gründet Hoppe das Gewaltausschlussprinzip?
Na?
Auf Begründen.
Bevor also die Gewalt festgestellt werden kann, muss man sie begründen können, sonst existiert die Gewalt eben nur als Behauptung. Jedes Gericht muss dann die Klage abweisen, wenn sie nicht objektiv begründet ist,..."
Das hatten wir doch schon mal. Es gibt nunmal Situationen die Auslegungssache sind, selbst bei nur einer existierenden Norm . Da du aber unabhängige Gerichte ablehnst, aus deiner Theorie ergibt sich zwangsläufig Selbstjustiz ( ich kann dich zur Not auch zitieren), kannst du diese Fälle nur durch Gewalt/Gewaltandrohung lösen.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Chandrasekhar am 09. Apr. 2004, 13:42 Uhr
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@ Ragnar,
als Karfreitagserinnerung:
Meine Worte
>" Und dazu gibt es den Konsens demokratischer Rechtsstaat."
Deine Antwort
>" Spinner!"
Soll ich noch mehr zitieren ?
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 09. Apr. 2004, 14:22 Uhr
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> Soll ich noch mehr zitieren ?
Eins sage ich gleich: Ich werde nicht in alten Postings nach Beleidigungen suchen. Das ist nicht mein Stil.
Aber solange Du Dich nicht dafür entschuldigst, was Du mir vorgeworfen hast, entschuldige ich mich auch nicht dafür was ich Dir vorwerfe. Basta.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 09. Apr. 2004, 14:30 Uhr
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on 04/09/04 um 13:23:25, Chandrasekhar wrote:@ Ragnar,
>" Worauf gründet Hoppe das Gewaltausschlussprinzip?
Na?
Auf Begründen.
Bevor also die Gewalt festgestellt werden kann, muss man sie begründen können, sonst existiert die Gewalt eben nur als Behauptung. Jedes Gericht muss dann die Klage abweisen, wenn sie nicht objektiv begründet ist,..."
Das hatten wir doch schon mal. Es gibt nunmal Situationen die Auslegungssache sind, selbst bei nur einer existierenden Norm .
Nö. Solche Normen muss ich ja nicht haben müssen.
on 04/09/04 um 13:23:25, Chandrasekhar wrote:Da du aber unabhängige Gerichte ablehnst, aus deiner Theorie ergibt sich zwangsläufig Selbstjustiz ( ich kann dich zur Not auch zitieren), kannst du diese Fälle nur durch Gewalt/Gewaltandrohung lösen.
Ja und? Das Gewaltausschlussprinzip wendet sich ja auch nur gegen die Initiierung von Gewalt, nicht gegen die Gewalt der diesbezüglichen Notwehr.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Chandrasekhar am 09. Apr. 2004, 15:57 Uhr
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@ Ragnar,
>" Eins sage ich gleich: Ich werde nicht in alten Postings nach Beleidigungen suchen. Das ist nicht mein Stil.
Aber solange Du Dich nicht dafür entschuldigst, was Du mir vorgeworfen hast, entschuldige ich mich auch nicht dafür was ich Dir vorwerfe. Basta. "
Von mir wirst du auch keine Beleidigungen finden. Wenn ich sage ich halte Dich in letzter Instanz für einen gewaltbereiten Menschen so ergibt sich das für mich logisch aus deinen Prämissen. Damit meine ich aber nicht nur dich sondern alle Anarchisten. A Priori. Dieses Einstellung wird in folgendem Satz von dir nochmal deutlich:
>" Ja und? Das Gewaltausschlussprinzip wendet sich ja auch nur gegen die Initiierung von Gewalt, NICHT GEGEN DIE GEWALT DER DIESBEZÜGLICHEN NOTWEHR."
Genau DAS ist der Punkt. In der Endkonsequenz legst du selber fest, dass deine Handlung Notwehr ist und die der anderen Agression . Genau so argumentieren ALLE potentiellen und argumentierten alle gewesenen Gewalttäter
mit Wahrheitsanspruch. RAF,Nazis,Fundamentalisten etc..
>" Nö. Solche Normen muss ich ja nicht haben müssen."
Hast du aber deinem eigenen Bekenntnis nach . Recht auf Eigentum am eigenen Körper.
Im Grunde halte ich dich für gefangen in deiner "Die anderen haben Schuld Welt". Das ist gefährlich für einen selbst und die anderen .Aus der von dir eingestandenen Tatsache, dass die meisten Menschen deine Ansichten nicht teilen schließt du nicht nur , dass diese irren und nicht etwa du, sondern auch ein Recht Gewalt gegen diese anzuwenden.
Das waren deine Worte. Ich kann mich also nicht für meine Meinung entschuldigen. So wie du dich auch nicht dafür entschuldigen musst mich zum Schuldigen an 100 Mio. Toten zu stempeln bloß weil ich für Demokratie bin. Aber dass du mich schon als Arschloch tituliertest ohne Angriff meinerseits
zeigt wer sich entschuldigen müßte. Deine Einstellung scheint mir die eines Kleinkindes . Alles was dir paßt forderst du, alles was dir nicht ansteht lehnst du ab, hältst es aber für legitim Leistungen der Gesellschaft in Anspruch zu nehmen unter dem Hinweis, du wurdest ja nicht gefragt und wirst dazu gezwungen an Demokratie teilzunehmen. Mein Gott, man ist nunmal dazu gezwungen an dem teilzunehmen in das man geboren wird. Warum hast du eigentlich Klage beim BVG eingelegt? Einer demokratischen Einrichtung.(das ist dein gutes Recht von meinem Standpunkt aus und ich wünsche dir sogar Erfolg!!). Besteht da nicht die Gefahr das deine Theorie "Staat ist immer Scheiße" zusammenbricht wenn deine Klage durchkommt. Und wer klagt akzeptiert doch das Gericht als unabhängigen Entscheider ? Ach nein, dazu wurdest du ja gezwungen. Das kann doch aber auch nicht sein. Wenn du im Recht wärest hättest du ja Unterstützer gefunden die das Recht durchsetzen (nach deiner Theorie). Mmh, geht auch nicht. Die sind ja alle verblendet außer du.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 09. Apr. 2004, 17:05 Uhr
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Ch:-----------------------
>" Eins sage ich gleich: Ich werde nicht in alten Postings nach Beleidigungen suchen. Das ist nicht mein Stil.
Aber solange Du Dich nicht dafür entschuldigst, was Du mir vorgeworfen hast, entschuldige ich mich auch nicht dafür was ich Dir vorwerfe. Basta. "
> Von mir wirst du auch keine Beleidigungen finden. Wenn ich sage ich halte Dich in letzter Instanz für einen gewaltbereiten Menschen so ergibt sich das für mich logisch aus deinen Prämissen. Damit meine ich aber nicht nur dich sondern alle Anarchisten. A Priori. Dieses Einstellung wird in folgendem Satz von dir nochmal deutlich:
>" Ja und? Das Gewaltausschlussprinzip wendet sich ja auch nur gegen die Initiierung von Gewalt, NICHT GEGEN DIE GEWALT DER DIESBEZÜGLICHEN NOTWEHR."
Genau DAS ist der Punkt. In der Endkonsequenz legst du selber fest, dass deine Handlung Notwehr ist und die der anderen Agression . Genau so argumentieren ALLE potentiellen und argumentierten alle gewesenen Gewalttäter
mit Wahrheitsanspruch. RAF,Nazis,Fundamentalisten etc..
Ch:-----------------------Ende
Ja und? Der Demokrat fehlt in Deiner Aufzählung. Mich stellst Du aber in eine Reihe mit RAF,Nazis,Fundamentalisten. Da soll ich mich nicht aufregen! Dann ist "Spinner" auch keine Beleidigung, sondern eine Tatsachenfeststellung.
Richtig ist, dass ich im Klagefall die Aggression, selbst feststelle oder festellen lasse. Ja. Einer muss es ja tun. Aber ich trage dann implizit auch die Verantwortung dafür, wenn ich Fehler mache.
Das enspricht also der goldenen Regel.
Ch:-----------------------
>" Nö. Solche Normen muss ich ja nicht haben müssen."
Hast du aber deinem eigenen Bekenntnis nach . Recht auf Eigentum am eigenen Körper.
Im Grunde halte ich dich für gefangen in deiner "Die anderen haben Schuld Welt". Das ist gefährlich für einen selbst und die anderen .Aus der von dir eingestandenen Tatsache, dass die meisten Menschen deine Ansichten nicht teilen schließt du nicht nur , dass diese irren und nicht etwa du, sondern auch ein Recht Gewalt gegen diese anzuwenden.
Das waren deine Worte. Ich kann mich also nicht für meine Meinung entschuldigen. So wie du dich auch nicht dafür entschuldigen musst mich zum Schuldigen an 100 Mio. Toten zu stempeln bloß weil ich für Demokratie bin. Aber dass du mich schon als Arschloch tituliertest ohne Angriff meinerseits
zeigt wer sich entschuldigen müßte. Deine Einstellung scheint mir die eines Kleinkindes . Alles was dir paßt forderst du, alles was dir nicht ansteht lehnst du ab, hältst es aber für legitim Leistungen der Gesellschaft in Anspruch zu nehmen unter dem Hinweis, du wurdest ja nicht gefragt und wirst dazu gezwungen an Demokratie teilzunehmen. Mein Gott, man ist nunmal dazu gezwungen an dem teilzunehmen in das man geboren wird. Warum hast du eigentlich Klage beim BVG eingelegt? Einer demokratischen Einrichtung.(das ist dein gutes Recht von meinem Standpunkt aus und ich wünsche dir sogar Erfolg!!). Besteht da nicht die Gefahr das deine Theorie "Staat ist immer Scheiße" zusammenbricht wenn deine Klage durchkommt. Und wer klagt akzeptiert doch das Gericht als unabhängigen Entscheider ? Ach nein, dazu wurdest du ja gezwungen. Das kann doch aber auch nicht sein. Wenn du im Recht wärest hättest du ja Unterstützer gefunden die das Recht durchsetzen (nach deiner Theorie). Mmh, geht auch nicht. Die sind ja alle verblendet außer du.
Ch:-----------------------
Von Arschloch bis Kleinkind. Ich gehe auf diesen subjektiven Quatsch nicht ein.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 09. Apr. 2004, 17:44 Uhr
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Hallo Chandrasekhar,
ich kann verstehen, dass Du ungeduldig bist und auf Deine kritischen Fragen eine Antwort erwartest. Der Grund für die Verzögerung liegt jedoch allein darin, dass die Beantwortung Deiner Fragen für mich schwieriger ist.
Bitte hab noch etwas Geduld mit mir und sei herzlich gegrüßt von Eberhard.
p.s. Wir sind kein exclusiver Klüngel sondern eine offene Diskussionsrunde
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Chandrasekhar am 09. Apr. 2004, 20:36 Uhr
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Hallo Eberhard,
Bin gespannt !
@ Ragnar,
>" Richtig ist, dass ich im Klagefall die Aggression, selbst feststelle oder festellen lasse. Ja. Einer muss es ja tun. Aber ich trage dann implizit auch die Verantwortung dafür, wenn ich Fehler mache."
Richtig ist, dass du Kläger ,Richter und Vollstrecker in einer Person sein wirst in deiner Welt . Es läuft wenn man ohne einen von beiden Seiten legitimierten Entscheider auskommen
will auf Selbstjustiz hinaus. Selbstjustiz ist Gewalt. Was denn sonst. Aber da du das im Grunde einsiehst hast du eine, unabhängig von einem Lernprozeß, in den Menschen implizite
Einsicht in das Recht auf Eigentum am eigenen Körper (RaEaeK) erdacht, die der Letztentscheider ist. In deiner Welt gibt es nur Vernünftige (deine Vorstellung teilende) oder , wie du mal sagtest, Querulanten die die heile Welt kaputtmachen wollen und sich damit außerhalb des RaEaeK stellen.(Wo kommen die her wenn es die implizite Einsicht in das RaEaeK gibt?) Und nicht nur das, es gibt auch keine Zweifelsfälle !
Fragt sich woher dann überhaupt Rechtsprobleme kommen die
geklärt werden müssen. Außer von den Querulanten die sowieso außerhalb des Rechtes stehen. Wahrscheinlich weil der Mensch die Folgen seines handelns nicht alle abschätzen kann und darum aus Versehen "Rechtsbruch" begeht. Und wenn er darauf hingewiesen wird stellt er sein Auto in die Ecke, schließt alle KKWs, deindustrialisiert und lebt in Kommunen zu maximal 100 Menschen . Bis auf die Mehrheit der Querulanten. Danke , du hast mich überzeugt, wie konnte ich diese Logik anzweifeln ?
>" Ja und? Der Demokrat fehlt in Deiner Aufzählung. Mich stellst Du aber in eine Reihe mit RAF,Nazis,Fundamentalisten. Da soll ich mich nicht aufregen! Dann ist "Spinner" auch keine Beleidigung, sondern eine Tatsachenfeststellung."
1. das Spinner bezog sich von dir nachweislich auf etwas anderes
2.deine Technik ist die gleiche wie die der anderen Wahrheitsbesitzer, ich ziehe Anarchisten den anderen aber entschieden vor
Korrektur, habe gerade folgende Seite gelesen :
http://www.hanshoppe.com/publications/vorwort.pdf
nehme Teil 2 meines 2. Satzes zurück
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 09. Apr. 2004, 21:34 Uhr
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> >" Richtig ist, dass ich im Klagefall die Aggression, selbst feststelle oder festellen lasse. Ja. Einer muss es ja tun. Aber ich trage dann implizit auch die Verantwortung dafür, wenn ich Fehler mache."
> Richtig ist, dass du Kläger ,Richter und Vollstrecker in einer Person sein wirst in deiner Welt .
kann
> Es läuft wenn man ohne einen von beiden Seiten legitimierten Entscheider auskommen will auf Selbstjustiz hinaus. Selbstjustiz ist Gewalt. Was denn sonst.
ja und? Rechtsdurchsetzung ist immer Gewalt.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Chandrasekhar am 09. Apr. 2004, 23:08 Uhr
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@ Ragnar,
Selbstjustiz ist keine Rechtsdurchsetzung sondern pure Gewalt die Kompromisse oder Konsens(Gewaltauschlußprinzip)
a priori nicht beinhaltet. Wer Selbstjustiz verübt ist an keinem gewaltfreien Konsens interessiert. A PRIORI. (Ist doch dein "analytischer Lieblingsansatz" )
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 10. Apr. 2004, 00:14 Uhr
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Und Fremdjustiz ist rein oder wie?
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 10. Apr. 2004, 07:21 Uhr
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Hallo Chandrasekhar,
nun endlich zu Deinen kritischen Fragen, wobei ich vorweg sage, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich Dich immer richtig verstanden habe. Aber Du kannst ja nachhaken.
Du fragst: "Scheitert der Versuch eine ALLGEMEIN konsensfähige Moral zu finden nicht daran, dass dies nur gelingen kann, wenn es eine im Menschsein implizit vorhandene Grundlage für diese gibt (etwa: Alle Menschen wollen als Person respektiert werden und durch die Vernunft kann dies Wollen vom Ich auf andere übertragen werden)?"
Ich denke, dass die gewaltlose Einigung im Falle von Konflikten gegenüber ihrer gewaltsamen Austragung für alle Beteiligten langfristig vorteilhaft ist. Gesellschaften, die immer wieder in Bürgerkriegen versinken (siehe Afrika), sind für ihre Mitglieder nicht vorteilhaft. Und im Zeitalter der Wasserstoffbomben ist Krieg unter Umständen kollektiver Selbstmord der Menschheit.
Zum Problem eines Normenkonflikts gibt es die Möglichkeit, diese durch entsprechende Vorrangregeln zu entscheiden wie z. B. "Die speziellere Norm hat Vorrang vor der allgemeineren Norm" oder "Bundesrecht hat Vorrang vor Landesrecht" oder "Staatliche Gesetze haben Vorrang vor privaten Verträgen" usw.
Bei der Anwendung allgemeiner Normen auf den Einzelfall gibt es Auslegungsprobleme, wie Du schreibst. Ich gebe Dir auch darin Recht, dass sich diese auch durch das Bemühen um intersubjektiv nachvollziehbare Methoden der Auslegung nicht völlig beseitigen lassen. Hier hilft nur die Einigung auf ein Entscheidungsverfahren, z. B. die Anrufung eines neutralen Dritten.
Zur Interessenabwägung schreibst Du: "Eine unparteiische Abwägung ist nicht machbar, da ich ja nur aus meiner Parteilichkeit, meinem Interesse heraus ein Interesse an einer Konfliktlösung habe." Hier verweise ich auf mein Argument oben. Es gibt meiner Meinung nach für alle ein vitales Interesse an Vernunft. Gesellschaften, in denen Konflikte ohne Gewalt ausgetragen werden, haben wahrscheinlich auch im "survival of the fittest" gute Chancen (dies speziell für Hanspeter).
Soviel für heute. Aber bitte: Hak nach, wo ich Deinen Punkt nicht richtig verstanden habe und sei gegrüßt von Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 10. Apr. 2004, 09:21 Uhr
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Hallo Eberhard
Anmerkungen:
> Ich denke, dass die gewaltlose Einigung im Falle von Konflikten gegenüber ihrer gewaltsamen Austragung für alle Beteiligten langfristig vorteilhaft ist.
Du meinst, dass die Beteiligung an Rechtsnormen vorteilhaft ist.
Sicher ist es das. Sie haben ja denn Sinn sich nicht in endlosem Streit zu verlieren.
> Zum Problem eines Normenkonflikts gibt es die Möglichkeit, diese durch entsprechende Vorrangregeln zu entscheiden wie z. B. "Die speziellere Norm hat Vorrang vor der allgemeineren Norm" oder "Bundesrecht hat Vorrang vor Landesrecht" oder "Staatliche Gesetze haben Vorrang vor privaten Verträgen" usw.
Nein. Das hast Du nicht richtig verstanden. Das ist ja bloß eine technische Lösung. ormenkonflikte entstehen, wenn Du sich widersprechende Sachen umsetzt. Klassischer Fall: Freiheitsrechte plus Soziale Gleichheitsrechte. z. B. ein Recht auf Arbeit in den Menschenrechten (Art 7). Das kann natürlich gar nicht gehen. Wer sollte denn die Arbeit verrichten, um die Arbeitstherapie des Anspruchsberechtigten zu ermöglichen?
> Bei der Anwendung allgemeiner Normen auf den Einzelfall gibt es Auslegungsprobleme, wie Du schreibst. Ich gebe Dir auch darin Recht, dass sich diese auch durch das Bemühen um intersubjektiv nachvollziehbare Methoden der Auslegung nicht völlig beseitigen lassen. Hier hilft nur die Einigung auf ein Entscheidungsverfahren, z. B. die Anrufung eines neutralen Dritten.
Zeugenaussagen sind ja auch intersubjektiv.
Gruß RD
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 10. Apr. 2004, 09:50 Uhr
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Hallo Eberhard,
ohne deiner Antwort auf meinen letzten Beitrag vorzugreifen,
nur eine Anmerkung zu deiner Antwort auf Chandrasekhar.
Du schreibst:" Ich denke, dass die gewaltlose Einigung im Falle von Konflikten gegenüber ihrer gewaltsamen Austragung für alle Beteiligten langfristig vorteilhaft ist."
Das ist im Prinzip richtig. Nur, die gewaltsame Austragung eines Konflikts bietet dem Sieger die Chance auf einen weit größeren Vorteil. Wäre das nicht so, gäbe es keine Kriege mehr.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 10. Apr. 2004, 10:25 Uhr
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HP
> Nur, die gewaltsame Austragung eines Konflikts bietet dem Sieger die Chance auf einen weit größeren Vorteil. Wäre das nicht so, gäbe es keine Kriege mehr.
Kriege haben mit wirklichen Konflikten gar nichts zu tun.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 10. Apr. 2004, 13:26 Uhr
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Hallo Hanspeter,
Du fragst: "Was ist aber, wenn der sog. "Untermensch" aus intellektuellen Gründen nicht in der Lage ist, eine derartige Widerrede zu führen? Kann dann der Überhebliche sagen: Seht, der Untermensch ist zu blöd, seinen Standpunkt zu begründen, also schlagt ihn tot?"
Meine Antwort darauf: Das Argument, dass es sich gegenüber dem ausgegrenzten "Untermenschen" um ein reines Gewaltverhältnis handelt, das diesem gegenüber nicht zu rechtfertigen ist, kann auch ein Dritter formulieren.
Du schreibst: "Entweder Bibel / Koran sind von Gott inspirierte Bücher und somit heilig, dann ist eine Konsensdiskussion nicht nur überflüssig, sondern als Ketzerei zu verurteilen".
Das muss nicht sein. Ein gläubiger Anhänger einer Religion kann auch einsehen, dass es für seinen Glauben keine intersubjektiv nachvollziehbaren Belege gibt, und daraus den Schluss ziehen, dass er deshalb auch von einem Nicht- oder Anders-Gläubigen nicht verlangen kann, dass die Normen seiner Religion anders zu behandeln sind als die Vorschläge irgendwelcher anderer Individuen oder Gruppen.
Es gibt auch religiöse Positionen, die aus theologischen Gründen der Meinung sind, dass sich die von Gott gesetzten Normen mit den durch die Vernunft gewonnenen Normen decken, weil Gott nicht unvernünftig ist. Deshalb sind die grundlegenden Normen der Moral im Prinzip auch jedem vernünftigen Menschen einsichtig. Diese – hier stark vereinfachte – Position ist meiner Kenntnis nach auch diejenige des Thomas von Aquin, der die katholischen Theologie maßgeblich beeinflusst hat. Daraus folgt: Auch religiös gebundene Menschen können sich auf eine argumentative Einigung einlassen, und wir sollten die Probleme nicht größer machen als sie bereits sind.
Die Frommen werden jedoch zu uneinsichtigen "Überzeugungstätern", wenn sie sich das Recht anmaßen, anderen die Normen ihres Glaubens aufzuzwingen.
Grüße von Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 10. Apr. 2004, 13:55 Uhr
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Hallo Eberhard,
den Gedanken, dass die Rechte der sog. "Untermenschen" auch ein Dritter formulieren kann, ist sehr wichtig. Konsequenterweise können dann auch die Ansprüche künftiger Generationen durch Jetztlebende vertreten werden. Das wiederum setzt voraus, dass eine allgemein konsensfähige Moral auch jene Kriterien erfüllen müsste, die man etwas unklar als nachhaltig bezeichnet.
Zur Sache Religion. Natürlich kann man das so formulieren. Doch stoßen all die Formulierungen auf nichtzulösende Widersprüche. Wenn eben dieser angebliche Gott vernünftig sein soll, so fragt es sich, warum er dann in den Heiligen Schriften keine vernünftige und allgemein gültige Moral geschaffen hat. Selbst die Bibel ist ja diesbezüglich widersprüchlich, so gibt es mehr als genug moralische Widersprüche von AT und NT. Dies dürfte es aber, wenn unter den göttlichen Herrschaften Vernunft herrschen würde, nicht geben.
Unabhängig davon muss ein Religiöser, vor die Alternative Heiliges Buch - allgemeiner Konsens gestellt, zumindest für sich stets das Heilige Buch vorziehen.
Du kannst es drehen und wenden wie du willst, ein Konsens mit den Religiösen ist nur möglich, wenn diese die Aussagen der Heiligen Bücher "uminterpretieren", mit anderen Worten nicht akzeptieren.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Chandrasekhar am 10. Apr. 2004, 16:02 Uhr
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Hallo Eberhard,
Ich stimme dir in den Lösungsvorschlägen zur logischen Seite des Problems zu (Schaffung von Metanormen UND Anrufung
von ,von beiden Konfliktparteien, legitimierten Entscheidern) . Sehe aber für das Problem der Schaffung einer ALLGEMEINEN Norm noch keinen Lösungsansatz .Ragnar akzeptiert diese Lösung zum Beispiel nicht . Ich nehme an du gehst auch (wie Ragnar ) von einer implizit im Menschsein vorhandenen Grundlage ( vielleicht eine Kombination aus den biologisch bedingtem Selbsterhaltungstrieb + Vernunft) für eine allgemeine (Ragnar, HansPeter , dich und mich einschließende) Konsensnorm aus. Diese ist nur aus verschiedenen Gründen, vielleicht evolutionär bedingt, verschüttet. Bei eben den Fundamentalisten oder den Kurzsichtigen . Sehe ich das richtig ?
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Chandrasekhar am 10. Apr. 2004, 16:04 Uhr
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@ Ragnar,
>" Und Fremdjustiz ist rein oder wie?"
Sie ist die einzige MÖGLICHKEIT einer gewaltfreien Lösung.
Noch ein Wort dazu ,in der Demokratie gibt es Armee, Terror etc. und in der Anarchie nur Polizei.
Armeen sind kein muss in einer Demokratie sondern können mit demokratischen Mitteln abgeschafft werden. So wie KKWs.
Terror ist unter anderem der Versuch Demokratie abzuschaffen . Gab es auch schon von Seiten der Anarchisten.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 10. Apr. 2004, 16:38 Uhr
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Ach Chandrasekhar
wann gibst Du den auf?
>>" Und Fremdjustiz ist rein oder wie?"
> Sie ist die einzige MÖGLICHKEIT einer gewaltfreien Lösung.
Justiz ist immer Gewalt. Schließlich muss ja einer gezwungen werden.
> Noch ein Wort dazu ,in der Demokratie gibt es Armee, Terror etc. und in der Anarchie nur Polizei.
Armeen sind kein muss in einer Demokratie sondern können mit demokratischen Mitteln abgeschafft werden. So wie KKWs.
Interssiert mich hier nicht.
> Terror ist unter anderem der Versuch Demokratie abzuschaffen . Gab es auch schon von Seiten der Anarchisten.
LOL, jetzt bin ich mitschuldig was?!
Mal sehen was noch so kommt von Dir.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 10. Apr. 2004, 16:48 Uhr
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-- Die Frommen werden ... zu uneinsichtigen "Überzeugungstätern", wenn sie sich das Recht anmaßen, anderen die Normen ihres Glaubens aufzuzwingen. --
Super Spruch, Eberhard
Das gilt natürlich für jede Art von Religion, Ideologie oder Glaubenseinstellung. Selbstverständlich auch für Demokratie, Soziale Gerechtigkeit, Weltstaat, Rechtsstaat und anderer Unfug.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Alltag am 10. Apr. 2004, 17:41 Uhr
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Liebe Moralsucher, ;-)
Spannendes Projekt! [balloon] Es beinhaltet meiner Meinung nach folgende Übereinstimmung zwischen den Teilnehmern:
:-) Entweder gibt es zur Zeit keine konsensfähige Moral (daher ist sie zu erfinden. Ob das gelingt ist offen),
:-) Oder die konsensfähige Moral ist nicht allgemein bekannt (daher ist sie zu suchen),
:-) Oder die konsensfähige Moral ist zwar bekannt aber nicht allgemein anerkannt.
Den letzten Punkt möchte ich mit einem Strauss von Frage aufgreifen:
Sind wir bereit geltende Moralvorstellungen fallen zu lassen? [spin]
Wann sind geltende Moralvorstellung zu überprüfen? [spin]
Gelten Moralvorstellungen, die wir nicht als solche erkennen? [spin]
Darf sich die gegebenenfalls anerkannte konsensfähige Moral weiter entwickeln? [spin]
Euer Alltag
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 10. Apr. 2004, 17:41 Uhr
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Hallo allerseits,
auch auf die Gefahr hin, dass dies als Schulmeisterei oder als persönlicher Angriff missverstanden wird, möchte ich einige Vorschläge zum Diskussionsstil machen.
Unsere Diskussionsrunde ist der - nicht gerade einfachen - Aufgabe gewidmet, allgemein akzeptable Regeln bzw. Normen des Umgangs miteinander zu (er)finden. Von jedem, der hier mitdiskutiert, kann man deshalb annehmen, dass er nach richtigen Antworten auf die Frage sucht: "Lassen sich allgemein konsensfähige Normen für unser Handeln (er)finden und wenn ja, wie lassen sie sich finden und welche Normen sind das?"
Um dies Ziel zu erreichen, erscheint es sinnvoll, dass sich jeder fragt, ob sein Beitrag auch ein Beitrag zur Beantwortung der gestellten Frage ist oder ob er das "Thema verfehlt". Keinen produktiven Beitrag leisten z. B. alle Aussagen über andere Diskussionsteilnehmer.
Wenn man nach "richtigen" Antworten sucht, dann sucht man nach Antworten, die den Anspruch auf allgemeine Zustimmung beinhalten und bei denen dieser Anspruch durch allgemein nachvollziehbare Argumente eingelöst werden kann.
Damit ein Argument nachvollziehbar ist, müssen u. a. folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
- das Argument muss ausformuliert sein, was gewöhnlich mehr erfordert als einen Satz oder gar nur einen Halbsatz,
- das Argument muss verstanden werden, weshalb unübliche Begriffe falls erforderlich erläutert werden sollten.
Bevor man dem andern "Uneinsichtigkeit" oder der "Begriffsstutzigkeit" (" Du hast so gut wie gar nichts davon begriffen ..." ) unterstellt, sollte deshalb jeder seine eigenen Formulierungen auf Klarheit und Verständlichkeit überprüfen.
Ob eine Behauptung "richtig" ist, ist logisch unabhängig von der Tatsache, wer diese Behauptung aufgestellt hat. Deshalb sollte die Diskussion von persönlichen Animositäten möglichst freigehalten werden.
Dem begründeten Konsens in Bezug auf die gesuchte Antwort kommt man nicht näher, wenn die Diskussionsteilnehmer nicht "für Argumente empfänglich" sind. Die Diskussionsstrategie: "Ich behaupte meine Position gegen welche Einwände auch immer" blockiert jeden Erkenntnisfortschritt. Jeder sollte eigentlich dankbar sein für die Aufdeckung von Schwächen und Fehlern im eigenen Denken und Meinen.
Dies sagt ohne erhobenen Zeigefinger im Interesse der Qualität unserer Diskussion Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Chandrasekhar am 10. Apr. 2004, 18:38 Uhr
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@Ragnar,
" Justiz ist immer Gewalt. Schließlich muss ja einer gezwungen werden."
Falsch, ein von beiden Konfliktparteien anerkannter Rechtssprecher kommt eben ohne Gewalt aus. Nur Menschen mit Interesse an Selbstjustiz, die von vorne herein Gewalt
bedeutet, kommen damit nicht klar. Sie sind eben nicht Konsensfähig. Nenn mir nur einen Fall (in dem keine Einigung untereinander durch Argumentation zu Stande kam) den man OHNE Gewalt und OHNE Anerkennung der Rechtssprechung durch Dritte entscheiden kann .
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Chandrasekhar am 10. Apr. 2004, 18:45 Uhr
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Hallo Alltag,
>" Sind wir bereit geltende Moralvorstellungen fallen zu lassen?
Wann sind geltende Moralvorstellung zu überprüfen?
Gelten Moralvorstellungen, die wir nicht als solche erkennen?
Darf sich die gegebenenfalls anerkannte konsensfähige Moral weiter entwickeln? "
zu 1. Das ist ,glaube ich, jeder . (das Wort geltende halte ich für überflüssig)
zu 2. Immer wenn sich neue Fragen auftun. Also immer.
zu 3. ?
zu 4. muss, siehe 2
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Chandrasekhar am 10. Apr. 2004, 19:38 Uhr
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Hallo Eberhard,
Ich halte zum Beispiel die von Ragnar angesprochene Goldene Regel für völlig ausreichend in den meisten Fällen und für allgemein Konsensfähig.(Fall Karin /Stefan) Nur hilft sie eben nicht in "pathologischen "(da hilft ja sowieso nichts) und in Zweifelsfällen . Da hilft dann wieder eine Metanorm wie Letztentscheid durch Dritte, womit wir aber wieder am Ausgangspunkt wären. Ist so etwas allgemein konsensfähig?
Oder "nur" mehrheilich konsensfähig ? Ich denke gerade mal mehrheitlich wenn man davon ausgeht, auch selber auf der "Verliererseite" sein zu können und allgemein konsensfähig
wenn es immer nur die anderen treffen würde.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Alltag am 10. Apr. 2004, 21:14 Uhr
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Zu Deiner « Antworten #209 am: 10.04.04, 18:45 Uhr »
:-) Liebe/r Chandrasekhar
Unter 3. habe ich beispielsweise an Entscheide und Handlungen gedacht, die wir traditionell tun. Wobei ich unter <traditionell> all das bezeichnen möchte, was wir in der Gesellschaft tun, ohne darüber nachzudenken oder ohne zu merken, dass es Zeit ist wieder einmal darüber nachzudenken.
[balloon] Beispiele zu nennen ist immer heikel. Daher bitte ich Euch angemessenere Beispiele vorzuschlagen, falls Eurer Meinung nach meine hinken:
Feiertage sind da um zu feiern, oky. Aber wäre es nicht schön, wenn es statt der Nationalfeiertage ein Weltfeiertag gäbe? Oder zumindest ein <Eurofeiertag> (mit den Banken als Sponsoren! [cry] Das sollte ein Scherz sein.)
[sun]Wären wir wirklich bereit zu Gunsten eines zukunftsorientierten Wir-Gefühls auf den Nationalfeiertag zu verzichten, oder würden wir, wie vor etwa Sechzig, Neunzig oder Hundertdreissig Jahren die Waffenproduktion stärken?
Nun möchte ich noch aufzeigen, dass die 2. Frage nicht auf die leichte Schulter genommen werden sollte: Das Traditionelle in Frage zu stellen, kann als Tabuverletzung empfunden werden. [nohear] Daher wollen wir keinen Anlass anerkennen es zu überprüfen. Das wiederum ist meiner Meinung nach ein tiefer Grund für die Schwierigkeit eine konsensfähige Metamoral zu (er)finden.
Mit freundlichen Grüssen --- Dein Alltag
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 11. Apr. 2004, 01:50 Uhr
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Hallo an Alle,
Eberhards erhobener Zeigefinger war in meinen Augen nötig, danke. Ergänzend möchte ich hinzufügen, dass wir eine Diskussion hier nicht als Krieg mit der Aufforderung zur gegnerischen (bedingungslosen) Kapitulation begreifen.
Nun zur Sache.
1. Alltags "Feiertagsüberlegungen". Dahinter verbirgt sich ja die berechtigte Frage, ob Menschen allgemein bereit oder überhaupt in der Lage sind, von bisherigen Moralvorstellungen abzuweichen, also eine Tradition aufzugeben. Das ist in der Tat ein sehr großes Problem. Ich gehe davon aus, dass dies nur in Ausnahmefällen möglich ist. Das Verhalten des Menschen wird durch die Gene und die frühkindliche Erziehung wesentlich geprägt. Max Planck formulierte diese Tatsache einmal in etwa so: "Das Neue setzt sich nicht durch, indem die Vertreter des Alten davon überzeugt werden, sondern indem die Alten sterben und die Jungen mit dem Neuen aufwachsen."
Die besten Chancen für eine Änderung der Moralvorstellungen auf die Schnelle sind dramatische äußere Notwendigkeiten (Krieg, Natur-, Umweltkatastrophen usw.). Gleichmäßige und langsame Veränderungen (Klima, Umweltzerstörung, Ressourcenverschwendung) werden dagegen kaum registriert. (Fliegen-Effekt: Eine langsame Hand wird nicht, eine schnelle sehr wohl wahrgenommen).
2. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass die Goldene Regel = in etwa Kat.Imp. zur Entwicklung einer neuen Moral wenig hilfreich ist.
Der Befürworter der Todesstrafe wird sie bei sich sicher auch akzeptieren, wenn er morden würde. Wer keinen Lärm produziert (Beispiel Karin / Stefan) wird eben verlangen, dass Lärm minimiert wird usw. Da wir keine Einheitsmenschen sind, werden wir auch mit der Einheitsmoral unsere liebe Not haben.
3. Es ist richtig, dass Justiz eine omnipotente Gewalt benötigt, damit die Menschen, die ihr unterstellt sind, gewaltfrei miteinander auskommen können. Jedenfalls sollte das in einem "guten" Staat so sein.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 11. Apr. 2004, 11:20 Uhr
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@Chandra.
>> "Justiz ist immer Gewalt. Schließlich muss ja einer gezwungen werden."
> Falsch, ein von beiden Konfliktparteien anerkannter Rechtssprecher kommt eben ohne Gewalt aus.
Ja und? Dann ist der Rechtssprecher nur ein Schiedsrichter, der selber die Durchsetzung des Urteils nicht erpressen muss.
Dann bräuchte man überhaupt keine Gerichtsvollzieher.
Die Anerkennung eines Rechtsprechers kann auch nicht vorausgesetzt - sprich erzwungen - werden, dann wäre Gewalt ja schon vorher eingesetzt. (Zwang ist auch Gewalt.)
Den Apparat der Jusitiz (incl. Rechtsdurchsetzung) braucht man immer nur, wenn die eigenen Normen im Ergebnis unterschiedliche eigene Urteile ergeben. Das kann gar nicht anders sein. Insofern ist Justiz immer Gewalteinsatz.
Du baust hier nur einen künstlichen Gegensatz auf zwischen Selbstjustiz und Justiz. Der ist aber nicht mehr als ein Punshing Ball, auf den man beliegig eindreschen kann.
> Nur Menschen mit Interesse an Selbstjustiz, die von vorne herein Gewalt bedeutet,
(Fremd)justiz eben auch. s.o.
Die Gewalt hat im Falle der Justiz immer nur den Zweck der Notwehr gegen initiierende Gewalt. Und auch bei Notwehr gegen initiierende Gewalt kann man nicht alle Beteiligten fragen, ob sie damit einverstanden wären, sonst wäre es ja keine Notwehr, bzw. Gewalt.
> kommen damit nicht klar.
Nein. Du kommst mit dem Wort "Selbstjustiz" nicht klar. Er wird von Dir negativ besetzt.
> Sie sind eben nicht Konsensfähig.
Wer? Ich?
> Nenn mir nur einen Fall (in dem keine Einigung untereinander durch Argumentation zu Stande kam) den man OHNE Gewalt und OHNE Anerkennung der Rechtssprechung durch Dritte entscheiden kann .
naja, wohl Unsinn, s.o.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Chandrasekhar am 11. Apr. 2004, 13:45 Uhr
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@Ragnar
>" Nein. Du kommst mit dem Wort "Selbstjustiz" nicht klar. Er wird von Dir negativ besetzt."
Selbstverständlich, sonst wären wir ja einer Meinung. Solche psychologischen Binsenweisheiten können wir uns ersparen.
Zur Sache. Ich denke du übersiehst, dass sich die Menschen,
die konsenswillig sind ,BEVOR es zu einem Konflikt kommt auf einen Rechtssprecher im Zweifelsfall einigen. Genau deswegen benötigt man ja keine Selbstjustiz/Gewalt.
dass das Urteil dann unter Zwang vollstreckt wird ist klar.
Aber die Mehrheit derer die ich gefragt habe (19 von 20 )
hält Fremdjustiz für nötig. Und die Selbstjustiz für nötig halten, können sich über Fremdjustiz nicht beschweren, da diese die SELBSTJUSTIZ DER MEHRHEIT IST !
Angenommen es gäbe einen automatischen Rechtssprecher
dessen einzige Urteilsgrundlage ist "Das Recht auf Eigentum am eigenen Körper ist das einzige Recht".(Das logische Problem klammere ich einmal aus) Dann gehe ich von aus würdest du dich ihm "unterwerfen". Also vor einem evtl. Konflikt. d. h. du bist vorher bereit auch im Falle Deiner Verurteilung den Rechtssprecher anzuerkennen . Die überwältigende Mehrheit (z.Bsp. 19 von 20) ist ebenfalls dazu bereit. Würdest du die restlichen 5 % sezessieren lassen.
Aus dem alleinigen Grund weil es ihnen nicht paßt? Oder würdest du sie trotzdem dem Rechtssprecher unterwerfen (mit
Gewaltandrohung) ?
An alle,
Mache mal kurze Osterpause . Darum auch euch Frohe Ostern
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 11. Apr. 2004, 14:53 Uhr
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@Ch.
>>" Nein. Du kommst mit dem Wort "Selbstjustiz" nicht klar. Er wird von Dir negativ besetzt."
>Selbstverständlich, sonst wären wir ja einer Meinung. Solche psychologischen Binsenweisheiten können wir uns ersparen.
> Zur Sache.
Das war die Sache.
> Ich denke du übersiehst, dass sich die Menschen,
die konsenswillig sind ,BEVOR es zu einem Konflikt kommt auf einen Rechtssprecher im Zweifelsfall einigen.
Von denen rede ich nicht.
> Genau deswegen benötigt man ja keine Selbstjustiz/Gewalt.
Verdammt! Ich habe Dir gerade erklärt, warum Justiz immer gewalt bedeuted. Ist das so schwer zu verstehen?
> dass das Urteil dann unter Zwang vollstreckt wird ist klar.
Also!
> Aber die Mehrheit derer die ich gefragt habe (19 von 20 )
hält Fremdjustiz für nötig. Und die Selbstjustiz für nötig halten, können sich über Fremdjustiz nicht beschweren, da diese die SELBSTJUSTIZ DER MEHRHEIT IST !
Nein. Verdammt noch mal! Justiz ist eine Notwendigkeit, weil Notwehr eine Notwendigkeit ist. Es ist völlig egal, ob das Selbstjustiz ist oder nicht. Natürlich kann Justiz auch zur Gewaltinitiierung missbraucht werden. Aber das ändert nichts an der Redlichkeit der Notwehrfälle.
> Angenommen es gäbe einen automatischen Rechtssprecher
dessen einzige Urteilsgrundlage ist "Das Recht auf Eigentum am eigenen Körper ist das einzige Recht".(Das logische Problem klammere ich einmal aus)
(es gibt ja auch keins)
> Dann gehe ich von aus würdest du dich ihm "unterwerfen".
?
> Also vor einem evtl. Konflikt. d. h. du bist vorher bereit auch im Falle Deiner Verurteilung den Rechtssprecher anzuerkennen .
Das gerechte Urteil nach meinem Empfinden ja. Muss ich ja.
> Die überwältigende Mehrheit (z.Bsp. 19 von 20) ist ebenfalls dazu bereit. Würdest du die restlichen 5 % sezessieren lassen.
Dann hätte ich mit denen ja nichts mehr zu tun. Klar geht das.
> Aus dem alleinigen Grund weil es ihnen nicht paßt?
ja sicher.
> Oder würdest du sie trotzdem dem Rechtssprecher unterwerfen (mit Gewaltandrohung) ?
Wozu?
> Mache mal kurze Osterpause . Darum auch euch Frohe Ostern
Meinetwegen Frohe Ostern. Ich glaube aber nicht an Ostern.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 11. Apr. 2004, 19:37 Uhr
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Hallo Hanspeter,
mit der leider kaum vermeidbaren Verzögerung möchte ich noch auf einige Deiner Punkt eingehen.
Gegen meine These, dass eine gewaltfreie Konfliktaustragung für alle vorteilhaft sei, wendest Du ein: "Die gewaltsame Austragung eines Konflikts bietet dem Sieger die Chance auf einen weit größeren Vorteil. Wäre das nicht so, gäbe es keine Kriege mehr."
Dieser Einwand ist richtig. Aber was der erfolgreiche Kriegsfürst an Vorteilen gewinnt, verlieren die Besiegten. Wir haben hier den bereits diskutierten Fall des amoralischen "Piraten", der zwar ein praktisches aber kein theoretisches Problem darstellt.
Nochmal zu den Anhängern von Religionen. Du schreibst: "Du kannst es drehen und wenden wie du willst, ein Konsens mit den Religiösen ist nur möglich, wenn diese die Aussagen der Heiligen Bücher "uminterpretieren", mit anderen Worten nicht akzeptieren." Damit hast Du wahrscheinlich nicht ganz Unrecht, aber das ist deren Sache und ich muss mir nicht deren Kopf zerbrechen.
Deine Meinung zur begrenzten Veränderbarkeit moralischer Einstellungen und Werthaltungen teile ich weitgehend. Vielleicht wird das anders, wenn es zukünftig einmal normal geworden ist, moralische Normen nicht nur zu "predigen" oder "einzubläuen", sondern möglichst von Kindesbeinen an mit Argumenten zu begründen. ( … Du siehst, wie nützlich unser Projekt sein kann …). Dann wird es selbstverständlich sein, dass bei einer Änderung der Verhältnisse (Beispiel: Antibabypille) auch die generalisierten Normen des Handelns auf ihre weitere Anwendbarkeit geprüft werden müssen. Dann wird sich wahrscheinlich die "Verinnerlichung" von Moral weniger auf konkrete Handlungsnormen beziehen als auf das klare Verständnis für die Notwendigkeit einer Moral und auf die geeigneten Methoden zur Begründung einzelner Normen.
Deine Auffassung von den Grenzen der Goldenen Regel für die Gewinnung einer konsensfähigen Moral teile ich. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Goldene Regel versucht, ohne eine Interessenabwägung auszukommen. Dazu ein Beispiel: Ich will nicht, dass ich durch Fluglärm anderer gestört werde. Aber soll ich nun deswegen meinen geplanten Flug nach Mallorca absagen, wie sich bei Anwendung der Goldenen Regel ergeben würde? Das Problem in diesem Beispiel ist, dass bei Anwendung der goldenen Regel nur der nicht gewollte Fluglärm aber nicht die gewollten Vorteile des Fliegens berücksichtigt werden. Dies auch als Antwort auf Chandrasekhars Argumentation.
Die Goldene Regel hat mehr den Charakter einer leicht anzuwendenden "Faustregel", wenn keine Abwägung der Interessen verschiedener Individuen vorgenommen werden muss – und das ist nicht selten der Fall. Ich denke da an Situationen, wo die Rollen nicht fest verteilt sind, sondern jedes Individuum mal in der einen Rolle agiert und mal in der anderen, was z. B. im Straßenverkehr normal ist: Die Regeln "Bergauf fahrende Fahrzeuge haben Vorfahrt gegenüber bergab fahrenden Fahrzeugen" oder "Erst aussteigen lassen, dann einsteigen!" oder "Stelle Deine Scheinwerfer so ein, dass der entgegenkommende Verkehr nicht geblendet wird!" sind hierfür Beispiele.
Gänzlich unbrauchbar wird die Goldene Regel, wenn die Beteiligten in ihren Vorlieben und Abneigungen sehr verschieden sind. Wenn man selber keine Jazzplatte zum Geburtstag geschenkt bekommen möchte, heißt das noch nicht, dass man nicht trotzdem einem Jazzliebhaber eine Django Reinhardt CD schenkt.
Und noch eine letzte Einschränkung: Wo die Beteiligten als "Amtsinhaber" und Träger bestimmter Befugnisse handeln, kommt es nicht nur auf die Wünsche der Beteiligten an, sondern auf anderweitig begründete Pflichten. So könnte man aus der Goldenen Regel ableiten, dass ein Richter keinen Angeklagten verurteilen sollte, denn er selber möchte ja in der Situation des Angeklagten auch nicht verurteilt sondern freigesprochen werden. Und das wäre sicherlich unakzeptabel.
Ein angenehmes Osterfest wünscht Dir und allen anderen Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 12. Apr. 2004, 08:31 Uhr
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Hallo alltag,
der Grund, warum es nötig ist, eine allgemein konsensfähige Moral zu (er)finden, liegt darin, dass es tatsächlich keinen allgemeinen Konsens in moralischen Fragen gibt. Und wo es in manchen Normen eine Übereinstimmung gibt, da ist sie zerbrechlich, weil sie auf unterschiedlichen Begründungen der betreffenden Normen beruht.
Ich denke nicht, dass wir mit der Konstruktion einer allgemein konsensfähigen Moral beim Punkt Null anfangen müssen, sondern dass sich sehr viele hierfür brauchbare Bauelemente in der Moralphilosophie finden lassen.
Aber es wurde in der Ethik meines Wissens bisher noch niemals konsequent von dem methodischen Prinzip ausgegangen, dass nur intersubjektiv nachvollziehbare und konsensfähige Argumente zugelassen werden. Deshalb müssen wir versuchen, fehlende Bauelemente einer solchen Moral notfalls selber zu erfinden. Wieweit dies gelingt, ist offen und hängt nicht zuletzt davon ab, wieviel kreative Intelligenz dabei zum Einsatz kommt.
Ich meine, dass wir alle Normen, die mit einem Anspruch auf allgemeine Befolgung verbunden werden, auf ihre Konsensfähigkeit überprüfen müssen, und dass uns davon auch keine Tabus abhalten sollten. Was nicht heißt, dass man nicht sorgfältig fragen sollte, welcher vielleicht verschüttete Sinn in überkommenen Regeln und Bräuchen verborgen ist. Denn dass bestimmte Regeln in einer Gesellschaft allgemeine Geltung erlangt haben, kommt ja nicht von ungefähr.
In diesem Zusammenhang erscheint es mir wichtig, den schillernden Begriff der "Geltung" näher zu klären. Ich schlage vor, eine deutliche Unterscheidung zu machen zwischen der "faktischen Geltung" einer Norm (die Norm gilt insofern, als sie tatsächlich weithin befolgt wird und Nichtbefolgung sanktioniert wird) und der "berechtigten Geltung", für die ich den Begriff der "Gültigkeit" reservieren möchte. "Gültig" in diesem Sinne ist eine Norm, wenn es Argumente gibt, warum man sie befolgen SOLLTE. Das heißt, dass wir in diesem Projekt nach gültigen Normen suchen.
Es grüßt Dich Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Alltag am 12. Apr. 2004, 12:03 Uhr
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:-) Lieber Eberhard,
Die Knacknuss ist das <SOLLTE>. [???] Auf die Gefahr hin, dass ich als Wortklauber gelten werde, mache ich folgenden
Änderungsvorschlag:
[user] "Gültig" in diesem Sinne ist eine Norm, wenn es Argumente gibt, warum wir sie befolgen wollen und warum wir der Meinung sind, dass dies auch alle andern wollen können.
Begründung:
[spin] Das SOLLEN verschüttet den Normgeber und löst ein berechtigtes Unbehagen beim Normempfänger aus. Es schafft einen im Grunde nicht hilfreichen Gegensatz: den zwischen Normgeber und Normempfänger!
[spin] Mit dem WOLLEN wird deutlich, was der <Norm> innewohnt: nämlich ein tatkräftiges selbsttätiges Einstehen für das gemeine Wohl.
[embarrass] Die Norm wird dadurch zum Vertrag, der wie jeder Vertrag mit der Unterzeichnung bedeutend wird. Genau genommen ist die Norm eine Absichtserklärung. Das scheint mir ausreichend, insbesondere wenn Massregelungen mit vereinbart werden.
Danke & Gruss --- Dein in kreativer Intelligenz triefender Alltag [spin] [cheesy] [spin] [cheesy]
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Chandrasekhar am 12. Apr. 2004, 14:59 Uhr
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Hallo,
Noch mal zur Goldenen Regel(GR), Eberhard schrieb:
"... Auffassung von den Grenzen der Goldenen Regel für die Gewinnung einer konsensfähigen Moral teile ich. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Goldene Regel versucht, ohne eine Interessenabwägung auszukommen. Dazu ein Beispiel: Ich will nicht, dass ich durch Fluglärm anderer gestört werde. Aber
soll ich nun deswegen meinen geplanten Flug nach Mallorca absagen, wie sich bei Anwendung der Goldenen Regel ergeben würde? Das Problem in diesem Beispiel ist, dass bei Anwendung der goldenen Regel nur der nicht gewollte Fluglärm aber nicht die gewollten Vorteile des Fliegens berücksichtigt werden. Dies auch als Antwort auf Chandrasekhars Argumentation."
Ich glaube jede konsensfähige Moral (KM) hat zur Voraussetzung die Bereitschaft zum Zurückstecken der
eigenen Interessen . Jemand der also Fluglärm nicht von anderen toleriert, aber selber fliegt hat kein Interesse an einer KM. Daraus könnte man den Schluß ziehen, an Hand der GR, wer Fluglärm toleriert darf Fliegen ohne Rücksicht auf andere. Dem kann aber entweder durch eine Modifikation
der Regel abgeholfen werden . "Behandele den anderen so, wie ER behandelt werden möchte". Oder durch den Hinweis, der Fluglärm toleriert, hat aber ANDERE Dinge die ihn stören. Er hat also nur das Recht zum Fliegen wenn er auch ALLES andere toleriert. Da das kein Mensch tut, würde das dazu führen, dass man sobald jemand das wünscht nichts mehr machen darf. Da aber keiner von anderen alles verbieten lassen könnte führte die GR über diesen Gedankengang zur KOMPROMIßBEREITSCHAFT. Ist also doch als Ausgangspunkt für eine KM brauchbar.
@ Ragnar
Ich schrieb:
>" Die überwältigende Mehrheit (z.Bsp. 19 von 20) ist ebenfalls dazu bereit. Würdest du die restlichen 5 % sezessieren lassen?"
Damit meinte ich nicht, die wandern zum Mars aus, sondern leben noch mit dir. Erkennen aber Deinen Rechtssprecher nicht an.Etwa aus religiösen Gründen. Würdest du sie deiner Rechtssprechung unterwerfen oder nicht?
Ich schrieb weiter:
>" Angenommen es gäbe einen automatischen Rechtssprecher
dessen EINZIGE Urteilsgrundlage ist "Das Recht auf Eigentum am eigenen Körper ist das einzige Recht".
(Das logische Problem klammere ich einmal aus)"
dein Kommenta war:
>" (es gibt ja auch keins)"
Doch ! Frage an den Rechtssprecher .Darf man einen anderen töten um das eigene Leben zu retten?
Wie lautet das Urteil bei dieser EINZIGEN Urteilsgrundlage ?
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Chandrasekhar am 12. Apr. 2004, 15:06 Uhr
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Hallo,
>" "Gültig" in diesem Sinne ist eine Norm, wenn es Argumente gibt, warum wir sie befolgen wollen und warum wir der Meinung sind, dass dies auch alle andern wollen können. "
Ich stimme dem Vorschlag von Alltag zu.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 12. Apr. 2004, 16:02 Uhr
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Hallo Alltag,
mit der von Dir vorgeschlagenen Erläuterung des Wortes "gültig" (" 'Gültig' ...ist eine Norm, wenn es Argumente gibt, warum wir sie befolgen wollen und warum wir der Meinung sind, dass dies auch alle andern wollen können." ) bin ich im Prinzip einverstanden.
Ich denke, dass dies mit meiner (vorläufigen) Definition (Eine Norm ist 'gültig', wenn es Argumente gibt, warum man sie befolgen sollte" ) weitgehend bedeutungsgleich ist, da Du sicherlich implizit voraussetzt, dass eine gültige Norm auch gelten und befolgt werden sollte.
Du schreibst: "Das SOLLEN verschüttet den Normgeber und löst ein berechtigtes Unbehagen beim Normempfänger aus. Es schafft einen im Grunde nicht hilfreichen Gegensatz: den zwischen Normgeber und Normempfänger."
Generell ist Dein Bedenken berechtigt. Da wir aber Normen suchen, denen alle – einschließlich wir selbst - zustimmen können, ist klar, dass die Gesamtheit aller Individuen Normsetzer und Normadressat zugleich ist. Man kann deshalb das Projekt auch so formulieren: Wir suchen nach Normen, von denen wir alle gemeinsam wollen können, dass sie allgemein gelten und befolgt werden.
Deine weiteren Ausführungen halte ich für wichtig aber diskussionsbedürftig. Sie weisen auf noch offene Fragen unseres Projektes hin.
Zum einen führst Du den Begriff des "Gemeinwohls" ein. Wir haben uns bisher nur um die Konstruktion eines "allgemeinen Willens" bemüht, also um das, was alle wollen können. Die Frage, ob das, was jemand will, auch das ist, was gut für ihn ist, haben wir deshalb nicht problematisiert.
Zum andern interpretierst Du den argumentativ erzielten Konsens aller als eine vertragliche Einigung, also als eine Art "Gesellschaftsvertrag". Die Frage ist, ob eine vertragliche Einigung nicht Elemente (indirekten) Zwanges enthält und deshalb nicht gleichgesetzt werden kann mit einer zwanglosen argumentativen Einigung.
Nach dem Muster des Vertrages interpretierst Du schließlich die von uns gesuchten konsensfähigen Normen erstmal nur als eine Art Absichtserklärung. Um diese Normen "bedeutsam" werden zu lassen, bedarf es zusätzlich noch eines Akt ihrer bewussten Setzung, vergleichbar der Unterzeichnung eines Vertrages.
Das hieße, dass gültige Normen als solche noch nicht unbedingt "verbindlich" für das Handeln der Individuen sind, was die Sache sicherlich komplizierter macht.
Hier stellen sich noch einige schwierige Fragen, aber angesichts des elektronisch versammelten Scharfsinns bin ich guter Hoffnung.
ES grüßt Dich und alle anderen Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 12. Apr. 2004, 16:25 Uhr
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Hallo an Alle,
ich ahne schon, wie das läuft. Da wird aus der Goldenen Regel und dem Kat.Imp. eine politisch korrekte Moral zusammengezimmert und jeder, der nicht zustimmt, wird als konsensunwilliger Pirat ausgeschlossen. Fragt sich dann nur, wieviele Konsenswillige und wieviele Piraten schlussendlich übrig bleiben.
Außerdem lehrt die Erfahrung, dass man, so man selbst direkt betroffen ist, erstaunlich viel Scharfsinn entwickelt, einen "AK" zu hinterfragen.
Noch einmal: Der AK setzt gleiche Menschen voraus, also Menschen die einen vergleichbaren geistig-kulturellen Hintergrund haben.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Chandrasekhar am 12. Apr. 2004, 18:06 Uhr
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Hallo Hanspeter,
>" Außerdem lehrt die Erfahrung, dass man, so man selbst direkt betroffen ist, erstaunlich viel Scharfsinn entwickelt, einen "AK" zu hinterfragen."
Ich sehe die Reihenfolge so. Zuerst findet man einen AK und dann wird er angewendet. (logisch) Die AUFGABE des AK ist ja unter anderem gerade das lösen des Problems des Hinterfragens im Anwendungsfall. Sonst würde man ja keinen AK brauchen. Man erklärt sich praktisch bereit auch auf der "Verliererseite" sein zu können. Oder sehe ich das falsch?
>" ich ahne schon, wie das läuft. Da wird aus der Goldenen Regel und dem Kat.Imp. eine politisch korrekte Moral zusammengezimmert und jeder, der nicht zustimmt, wird als konsensunwilliger Pirat ausgeschlossen."
Nein. Der Anfang und einzige Bedingung ist der Minimalkonsens einen Konsens finden zu wollen. NUR wer dem nicht zustimmt ist konsensunwillig.Das mit der GR war nur ein Vorschlag von mir. Vielleicht könnte jeder einmal die Norm/en
kundtun die seiner Meinung nach Konsensfähig wäre/n.
Mein neuer Vorschlag:
???
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Kikl am 12. Apr. 2004, 18:14 Uhr
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Hallo HansPeter,
Deine Befürchtung kann ich verstehen, nämlich dass jeder, der einem moralischen Konsens nicht zustimmt, als konsensunwilliger Pirat ausgeschlossen wird.
Andererseits sagst Du: "Der AK setzt gleiche Menschen voraus, also Menschen die einen vergleichbaren geistig-kulturellen Hintergrund haben." Daraus folgt ein Konsens ist nur zwischen Menschen mit "vergleichbarem geistig-kulturellen Hintergrund" möglich.
Hier ist meine Befürchtung:
Wo fängt denn der geistig-kulturelle Hintergrund an und wo hört er auf? Im Zweifel bastelt man sich seinen geistigen Hintergrund zurecht, um sich gar keinen moralischen Normen zu unterwerfen oder einfach egoistisch zu handeln. Der "geistig-kulturelle Hintergrund" ist dann nur noch das Feigenblatt, mit dem man seinen Egoismus verbirgt.
Ist denn der geistig-kulturelle Hintergrund Rechtfertigung für die Beschneidung von Mädchen (Entfernung der Klitoris)? Der geistig-kulturelle Hintergrund (Rassismus) eines Nazis rechtfertigt doch nicht das Vergasen von unschuldigen Mitmenschen? Der geistig-kulturelle Hintergrund ist überhaupt kein moralisches Argument!, denn damit kann alles und nichts gerechtfertigt werden.
Nur weil sich Menschen voneinander unterscheiden, bedeutet dies noch nicht, dass es keine allgemeingültige Moral geben kann. Es ist vielmehr erstaunlich wie weit dieser Konsens gehen kann. Der Anschlag auf das world trade center (9/11) wurde weltweit geächtet. Die moralische Bewertung war auf der ganzen Welt überwiegend gleich, nämlich dieser Anschlag ist moralisch falsch. Für die "konsensunwilligen Piraten" (Anhänger des Terrorismus) fehlt mir in diesem Fall jegliches Verständnis oder Mitleid.
Alles Gute
Kikl
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 12. Apr. 2004, 18:57 Uhr
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@Cha.
> Ich schrieb
> " Die überwältigende Mehrheit (z.Bsp. 19 von 20) ist ebenfalls dazu bereit. Würdest du die restlichen 5 % sezessieren lassen?"
Damit meinte ich nicht, die wandern zum Mars aus, sondern leben noch mit dir. Erkennen aber Deinen Rechtssprecher nicht an.Etwa aus religiösen Gründen. Würdest du sie deiner Rechtssprechung unterwerfen oder nicht?
Wenn es zum Konflikt kommt, bleibt mir doch nichts anderes übrig, sonst tun die es mit mir.
> Ich schrieb weiter:
>" Angenommen es gäbe einen automatischen Rechtssprecher
dessen EINZIGE Urteilsgrundlage ist "Das Recht auf Eigentum am eigenen Körper ist das einzige Recht".
(Das logische Problem klammere ich einmal aus)"
>dein Kommenta war:
>>" (es gibt ja auch keins)"
>Doch ! Frage an den Rechtssprecher .Darf man einen anderen töten um das eigene Leben zu retten?
Nein. Es sei denn man wird dazu gezwungen.
>Wie lautet das Urteil bei dieser EINZIGEN Urteilsgrundlage ?
Kommt drauf an.
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Titel: Eine Annäherung
Beitrag von Ragnar D. am 12. Apr. 2004, 20:23 Uhr
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Eine Annäherung
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Uns allen ist klar, dass ein Konsens in jeder Frage unter allen Menschen nicht erreichbar ist. Ein Konsens ist oft auch nicht erforderlich, wird aber gerne in jeder erzwungenen "Gemeinschaft" als "Gesellschaftsvertrag" unterstellt.
Wir wissen, dass das Unsinn ist.
Trotzdem "akzeptieren" die meisten Menschen diesen "Gesellschaftsvertrag" aus der Gewißheit heraus, der "mangelhaften" Konsensfähigkeit der Menschen müsse ja etwas entgegen gesetzt werden. Die Frage ist allerdings was dem entgegen gesetzt werden _kann_. Denn der "Gesellschaftsvertrag" löst existierende Konflikte zwar insoweit, als dass der Ausbruch von offener Gewalt verhindert wird, zwar insoweit, als dass konstituierte Sicherheit entsteht, aber er löst eben nicht immer oder selten die Ursachen der Konflikte. Im Gegenteil - Ein "Gesellschaftsvertrag" kann Konflikte zementieren, neue Konflikte heraufbeschwören und entstehen lassen, wenn eine Regierung die nationale Einmütigkeit pflegt. Steigende Staatsverschuldung ist eine dieser künstlichen Konflikte, die ihr ganzes Ausmass erst am Ende aufzeigen werden, wenn die Ratlosigkeit perfekt geworden ist.
Wir wollen uns aber nicht mit der spekulativen oder empirischen Seite aufhalten, sondern von vorne mit Hilfe analytischer Methodik und Genauigkeit eine echte Wissensbasis entwickeln.
Von vorne beginnen, heißt zu fragen, was wir überhaupt wollen. Was soll ein Konsens bewirken (1) und was macht einen Konsens aus (2)?
(1) Der Konsens soll helfen, Ansichten und Ziele von Menschen dahingehend zu bündeln, dass sie sich gegenseitig positiv (synergetisch) oder/und nicht negativ beeinflussen. Der Konsens ist ein Mittel der Konfliktvermeidung oder eine gemeinsame Strategie zur Bewältigung einer (organisatorischen/unternehmerischen) Aufgabe oder beides.
Beide Mittel beinhalten Gefahren.
Im ersten Fall: Die Konfliktvermeidung muss nicht zwangsläufig gelingen.
Im letzteren Fall: Die Frage nach Synergien kann ihrerseits Konflikte hervorufen. Warum? Weil der Nutzen der Synergien nicht unbedingt ausreichen muss, um jemanden zu einem Konsens zu bewegen. Der Synergie-Effekt muss also nicht für jeden so nützlich sein, dass er sich daran freiwillig beteiligen würde. Es könnte aber für den mißtauischen Konsenssuchenden so erscheinen.
(2) Den Konsens macht es aus, als dass sich die Beteiligten freiwillig daran beteiligen und erklären, dass wenn sie sich nicht an ihre Abmachung halten ggf. unliebsame Konsequenzen, die klar gemacht wurden, auf sich ziehen und in Kauf nehmen.
Daraus gehen verstandesgemäß zwei Prinzipien hervor. Die Freiwilligkeit bedeutet die Notwendigkeit des Nicht-Aggressions-Prinzips. Niemand darf den Konsens durch Gewalt erzwingen.
Die Abmachung von Regeln bedeutet, dass der Konsens mit einer Setzung von Rechtsnormen begleitet ist und dies bedeutet, dass auch alle Prinzipien der Rechtssetzung gelten, die bei Rechtssetzungen a priori erforderlich oder nützlich sind wie z. B. die Universalisierbarkeit. Denn Rechtsetzen heißt Rechtfertigen. Und Rechtfertigen heißt Begründen. Und Begründen heißt nicht willkürlich sondern objektiv begründen.
Damit wird ein weiteres deutlich. Denn wenn der Konsens nichts anderes ist, als ein freiwilliges Normgebungsverfahren und wenn ein nichtfreiwilliges Normgebungsverfahren "Staat" genannt werden kann und wenn Normen in einem Staat erzwungen, also mit Zwang durchgesetzt werden müssen, damit sie gelten, dann ist der Zwang der einzige Unterschied den Staat als Mittel der Normsetzung zur Verfügung steht. Man kann an dieser Stelle fragen, ob denn Zwang als Normsetzungsmethode einen positiven gesellschaftlichen Effekt haben kann. Doch wurde in "Die Ethik vom Zwang" (http://home.arcor.de/danneskjoeld/Inf/T/Zwang.html) bereits unwiderlegt aufgezeigt, dass Zwang als Normsetzungsmethode keinen einzigen Vorteil verbuchen kann. Insofern gewinnt die Betrachtung um den freiwilligen Konsens an Bedeutung, denn man kann sagen, dass wenn Zwang nicht das geeignetere Mittel zur Normfindung ist, dann muss Freiwilligkeit das geeignetere Mittel zur Normfindung sein und alle Normen, die wir hier als richtig feststellen, weil sie für einen freiwilligen Konsens vorausgesetzt werden _müssen_, sind auch in jeder Gesellschaft die einzig richtigen Normen. Und Gesetze, die von diesen Normen abweichen, können demnach logisch als grundsätzlich falsch bzw. ungeeigneter bezeichnet werden. Oder anders ausgedrückt: Auch wenn Gesetze nicht völlig ungeeignet sein müssen, wenn sie gegen den Konsens verstoßen, so sind sie doch unzureichend begründet und somit ungerechtfertigt.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 12. Apr. 2004, 20:47 Uhr
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Hallo Chandrasekhar,
offenbar interpretieren wir die Goldenen Regel unterschiedlich. Um unnötige Missverständnisse zu vermeiden, schlage ich vor, als "Goldene Regel" nur die folgende (negative) Formulierung zu bezeichnen: "Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu!". Die Regel: "Behandle andere so, wie Du von Ihnen behandelt werden möchtest" soll als "positive Goldene Regel" bezeichnet werden.
Die Goldene Regel bezieht sich auf das, was die betreffenden Individuen wollen. In dem Beispiel vom Fluglärm will ich nicht, dass andere mit Flugzeugen über mich hinweg fliegen und mich dabei dem Fluglärm aussetzen. Dass ich den Fluglärm nicht will, bedeutet noch nicht, dass ich den andern das Recht zum Fliegen abspreche.
Wenn ich anderen ein Recht nicht zugestehe, das ich für mich selber in Anspruch nehme, ohne zugleich sachliche Unterschiede zwischen beiden Fällen zu nennen, die diese Unterschiede rechtfertigen könnten, so verletze ich bereits das noch elementarere Prinzip der Personunabhängigkeit. Die Goldene Regel brauche ich deshalb hier erst gar nicht zu bemühen.
Beim Fluglärm ist die Situation so, dass ich zwar den Fluglärm nicht will, dass ich aber der Meinung bin, dass der Nachteil des Fluglärms durch die Vorteile der schnellen und kostengünstigen Beförderung mehr als ausgeglichen wird. Deshalb will ich zwar nicht, dass ich dem Fluglärm ausgesetzt werde, aber ich toleriere diesen Fluglärm als unvermeidliche negative Nebenwirkung des Flugverkehrs. In derartigen Fällen führt die Anwendung der Goldenen Regel zu keinen brauchbaren Ergebnissen.
Um dies noch einmal allgemeiner zu formulieren, will ich aus Paragraph 1 der Straßenverkehrsordnung zitieren: "Jeder .. hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird."
Niemand will z. B. behindert oder belästigt werden, aber ich habe dies zumindest soweit hinzunehmen, als es nach den Umständen unvermeidbar ist. Auf unerwünschte, aber unvermeidbare Nebenfolgen eines stark positiv bewerteten Handelns ist die Goldene Regel meines Erachtens nicht anwendbar.
Es grüßt Dich Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Chandrasekhar am 12. Apr. 2004, 21:12 Uhr
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@ Ragnar,
ich freue mich über die, jedenfalls deute ich es so, dargebotene Hand . Wir können also zur "Lösung" des Problems schreiten.
Mit folgenden Passagen erkläre ich mich einverstanden:
>"...(1) Der Konsens soll helfen, Ansichten und Ziele von Menschen dahingehend zu bündeln, dass sie sich gegenseitig positiv (synergetisch) oder/und nicht negativ beeinflussen. Der Konsens ist ein Mittel der Konfliktvermeidung oder eine gemeinsame Strategie zur Bewältigung einer (organisatorischen/unternehmerischen) Aufgabe oder beides.
Beide Mittel beinhalten Gefahren.
Im ersten Fall: Die Konfliktvermeidung muss nicht zwangsläufig gelingen.
Im letzteren Fall: Die Frage nach Synergien kann ihrerseits Konflikte hervorufen....
(2) Den Konsens macht es aus, als dass sich die Beteiligten freiwillig daran beteiligen und erklären, dass wenn sie sich nicht an ihre Abmachung halten ggf. unliebsame Konsequenzen, die klar gemacht wurden, auf sich ziehen und in Kauf nehmen.
Daraus gehen verstandesgemäß zwei Prinzipien hervor. Die Freiwilligkeit bedeutet die Notwendigkeit des Nicht-Aggressions-Prinzips. Niemand darf den Konsens durch Gewalt erzwingen.
Die Abmachung von Regeln bedeutet, dass der Konsens mit einer Setzung von Rechtsnormen begleitet ist ..."
Nur kurz:
Dem folgenden kann ich nicht zustimmen. Du schreibst :
...Denn Rechtsetzen heißt Rechtfertigen.... .
Genau das bestreite ich. Denn die Abmachung von Regeln bedeutet ja, dass alle die den Regeln zustimmen mit dem Konsens einverstanden waren. AUS WELCHEN GRÜNDEN auch immer ! d. h. man muss in dem Fall ja nichts mehr rechtfertigen, da die Parteien ja schon zugestimmt haben. Man beginnt also mit der Rechtsetzung , da sie durch die Zustimmung (den Konsens)schon gerechtfertigt ist!
Mehr später, auch an Eberhard. Ich brauche etwas mehr Zeit um fundiert zu antworten.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von hedgi am 12. Apr. 2004, 23:45 Uhr
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Hi,
Eine konsensfähige Moral wird von der jeweils herrschenden Gesellschaftsform bestimmt. Sie ist nicht statisch, sondern passt sich den Notwendigkeiten an.
Auf Freiwilligkeit, sich einer Moral zu unterwerfen, ist zwar ein hehrer Wunsch, hat aber wenig Chancen anerkanntes Gesetz zu werden, wenn nicht schwere Krisen die Menschen zum Umdenken zwingen. Der Wunsch nach einer von allen Menschen anerkannten Moral ist auch im starken Maß abhängig von der herrschenden Ideologie. Ich möchte soweit gehen zu behaupten, dass eine allgemeingültige Moral identisch ist, mit der Forderung nach einer funktionsfähigen Ideologie. Das Gleiche was unter dieser Überschrift
zu erfinden: "eine allgemein konsensfähige Moral" geschrieben werden kann, wurde auch unter
" Können wir frei von jeglicher Ideologie handeln" behauptet.
Frei von jeglicher Ideologie sein, heißt auch ohne Moral auskommen zu können.
http://www.philtalk.de/msg/1072877572.htm
Gruß
Klaus
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 13. Apr. 2004, 01:17 Uhr
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Hallo an Alle,
1. @Ragnar. Richtig ist, dass ein AK nicht erreichbar ist. Erreichbar ist bestenfalls ein Konsens, der von einer großen Zahl von Menschen akzeptiert wird. Um diesen gegenüber den Nichtkonsenswilligen aufrecht zu erhalten, ist Gewalt unumgänglich (Hitler war nicht konsensbereit, folglich war Gewalt notwendig).
2. Kikl. Geistig-kultureller Hintergrund. Darunter verstehe ich eine Denk- und Verhaltensweise, die, ausgeübt von einer relevanten Population, über viele Generationen erhalten hat. Den Nationalsozialismus rechne ich nicht dazu. Die Klitorisbeschneidung kann ich nicht beurteilen, da ich als Nichtethnologe diese Völker zu wenig kenne.
Der Anschlag auf das Trade Center wurde deshalb weltweit geächtet, weil wir uns unsere Welt nach eigenem Gusto bzw. nach Gusto der herrschenden Medien definieren (die Ursache des Anschlags wurde kaum reflektiert, die Tötung von Hunderttausenden von Irakern im Rahmen des US-Handelsembargos wurde weltweit nicht geächtet, weil in unserer Welt Amerikaner wertvoller sind als Irakis.)
3. @hedgi. Es ist vollkommen richtig, dass eine funktionierende Moral eine akzeptierte Ideologie benötigt (das meinte ich ja mit dem geistig-kulturellen Hintergrund).
Zur Klarstellung und Begriffsklärung: Moral ist eine Wertung von Handlungen. Sie fragt: Ist das gut oder böse, was ich tue. So gesehen geht es nicht ohne Moral, denn jede Handlung, die mit anderen Menschen zu tun hat, lässt sich auf ihre Moralität hin befragen.
Damit eine größere Zahl von Menschen miteinander leben kann, müssen die privaten individuellen Moralen (= Egoismen) normiert werden. Basis für diese Norm (= Recht) ist eine Ideologie (wertfrei, dazu gehören Religion, Goldene Regel, Kat. Imp usw.) In der Regel wird diese Ideologie von einer Bevölkerungsmehrheit getragen und der getroffene Konsens durch eine Staatgewalt gegen die nichtkonsensbereiten Egoisten (= Piraten) durchgesetzt.
Wie soll es anders laufen?
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 13. Apr. 2004, 09:39 Uhr
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Hallo Hedgi,
ich bin mir nicht ganz sicher, was Du mit Deinem Beitrag sagen willst.
Sicher ist, dass Du Dich nicht auf unsere Fragestellung einlässt und dass Du Dich nicht an der Konstruktion eine allgemein konsensfähigen Moral beteiligen willst.
Stattdessen betrachtest Du unser Tun gewissermaßen von außen und interpretierst es in den Begriffen und Theorien einer bestimmten Gesellschaftstheorie.
Danach hat unser Projekt die Funktion, eine der herrschenden Gesellschaftsform entsprechende Ideologie zu schaffen.
Wenn wir meinen, wir könnten frei nach der richtigen Antwort suchen, so ist das eine Illusion, denn "eine konsensfähige Moral wird von der jeweils herrschenden Gesellschaftsform bestimmt".
Wenn wir uns um allgemein anerkennbare und gültige Normen des Umgangs miteinander bemühen, so dienen wir nur dem besseren Funktionieren der herrschenden Gesellschaftsform, weil "eine allgemeingültige Moral identisch ist mit der Forderung nach einer funktionsfähigen Ideologie."
Wir täuschen uns also, wenn wir meinen, wir könnten frei Argumentieren und nach konsensfähigen Normen suchen: durch die herrschende Gesellschaftsform ist das Ergebnis schon im voraus bestimmt.
Habe ich Deine Position damit richtig wiedergegeben?
Dann hätte ich dazu ein paar Fragen.
Allerdings sollten wir vorher abklären, ob Du eine Diskussion mit dem Ziel, die Wahrheit oder Falschheit bestimmter Behauptungen zu erkennen, überhaupt für sinnvoll hältst.
Möglicherweise bist Du ja der Meinung, dass unsere Erkenntnisse und Überzeugungen immer nur derjenigen Ideologie entsprechen können, die durch die herrschende Gesellschaftsform bestimmt wird (so wie Du das offenbar von unseren moralischen Einsichten annimmst).
Wenn Du mich (und vielleicht auch Dich) für eine Art Marionette hältst, deren Denken und Argumentieren nur Ausdruck der durch die herrschende Gesellschaftsform bestimmten Ideologie ist, dann sollten wir allerdings vernünftiger Weise auf den Austausch weiterer (Schein-)Argumente verzichten.
Solltest Du jedoch der Meinung sein, dass es auf gestellte Fragen richtige und falsche Antworten gibt, und dass die Richtigkeit einer Antwort durch geeignete Argumente einsichtig gemacht werden kann und muss, dann steht der Fortsetzung unserer Diskussion nichts im Wege
Es grüßt Dich Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 13. Apr. 2004, 10:18 Uhr
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Hallo an Alle,
ich denke, wir sollten hier den Problembegriff Ideologie wertfrei betrachten, weil ich keinen anderen Überbegriff für Religion, Weltanschauung, philosophische Schule usw. kenne. So gesehen kann ich hedgis Ausführung zustimmen. Eine vertiefte Diskussion über diese Problematik halte ich aber beim gegebenen Thema für wenig hilfreich.
Ansonsten erlaube ich mir eine Art Zusammenfassung und den Aufruf zu einer Neuorientierung:
Ich denke, es hat sich herauskristallisiert, dass eine allgemein gültige Moral, analog einer allgemein gültigen Mathematik, nicht existiert. Zum einen zeigt es die Realität, zum anderen widerspricht es der Theorie, da Moral wesentlich, neben den Genen, durch die Erziehung und damit durch den geistig-kulturellen Hintergrund, in dem ein Mensch lebt, bestimmt wird. Und dass es sehr verschiedene Kulturen gibt, lässt sich nicht leugnen.
Trotzdem besteht ein großes Bedürfnis nach einer moralischen Harmonisierung. Dem trägt die Menschheit bisher dadurch Rechnung, dass sie Moral normiert. Diese normierte und codifizierte Moral nennt man Recht. In der Regel erfährt es weitgehende Zustimmung in den jeweiligen Gültigkeitsbereichen. Diejenigen, die sich diesem Recht widersetzen, werden mit Gewalt daran gehindert, was in der Regel ebenfalls breite Zustimmung erfährt. Ich nenne dies einen "Weitgehenden Konsens".
Damit muss diese Diskussion aber noch nicht zu Ende sein. Neben dieser normierten Moral (= Recht) gibt es zahlreiche nichtnormierte moralische Probleme, zu deren Lösung man auch nach einem Weitgehenden Konsens suchen kann. Wir sollten daher wieder zu praktischen Fällen zurückkehren, dazu aber keine Fälle nehmen, für die es bereits konkrete Rechtsvorschriften gibt, wie beim Fall Hausmusik oder dem Töten von Menschen, sondern Fälle, in denen wir persönlich, unabhängig vom gegebenen Recht, entscheiden müssen. Beispiele: Geldleihen an einen in Not geratenen Freund, Notlügen, Seitensprünge, Scheidung usw.
Was haltet ihr davon?
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 13. Apr. 2004, 10:24 Uhr
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@hedgi
> Eine konsensfähige Moral wird von der jeweils herrschenden Gesellschaftsform bestimmt. Sie ist nicht statisch, sondern passt sich den Notwendigkeiten an.
Eberhards Worte bringen es auf den Punkt: "Wenn Du mich (und vielleicht auch Dich) für eine Art Marionette hältst, deren Denken und Argumentieren nur Ausdruck der durch die herrschende Gesellschaftsform bestimmten Ideologie ist, ..."
> Auf Freiwilligkeit, sich einer Moral zu unterwerfen, ist zwar ein hehrer Wunsch, hat aber wenig Chancen anerkanntes Gesetz zu werden, wenn nicht schwere Krisen die Menschen zum Umdenken zwingen. Der Wunsch nach einer von allen Menschen anerkannten Moral ist auch im starken Maß abhängig von der herrschenden Ideologie.
Man muss das ja nicht politisch betrachten.
> Frei von jeglicher Ideologie sein, heißt auch ohne Moral auskommen zu können.
Totschlagargument.
Wer behauptet denn, dass es hier kein ideologisches Element gäbe? Die Vorausetzungen für Konsensfähigkeit bilden sie bereits.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 13. Apr. 2004, 11:04 Uhr
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Hallo HP
> 1. @Ragnar. Richtig ist, dass ein AK nicht erreichbar ist. Erreichbar ist bestenfalls ein Konsens, der von einer großen Zahl von Menschen akzeptiert wird. Um diesen gegenüber den Nichtkonsenswilligen aufrecht zu erhalten, ist Gewalt unumgänglich (Hitler war nicht konsensbereit, folglich war Gewalt notwendig).
Was soll das nun wieder? Warum soll ein Konsens zwischen A und B von einer großen Anzahl Menschen akzeptiert werden, die das gar nicht interessiert? konsensfähige Moral soll nicht bedeuten sich in jede Lebenslage Dritter einmischen zu müssen und sein OK und Amen zu alles zu geben. Das ist kollektivistisches Denken. Und gerade dieses Denken hat die Menschen in die offenen Arme von Hitler getrieben.
> ...
> Damit eine größere Zahl von Menschen miteinander leben kann, müssen die privaten individuellen Moralen (= Egoismen) normiert werden. Basis für diese Norm (= Recht) ist eine Ideologie (wertfrei, dazu gehören Religion, Goldene Regel, Kat. Imp usw.) In der Regel wird diese Ideologie von einer Bevölkerungsmehrheit getragen und der getroffene Konsens durch eine Staatgewalt gegen die nichtkonsensbereiten Egoisten (= Piraten) durchgesetzt.
Na toll, dann bin ich ja auch so ein Egoistenschwein.
Ich zitiere mich mal von anderer Stelle:
" Die wohl am stärksten verbreitete Annahme über die Notwendigkeit von Staat ist, dass das Fehlen von freien Gesellschaften etwas mit der Population oder Bevölkerungsdichte zu tun hätte. Das ist aber nur sehr bedingt richtig. Die Problematik von Gesellschaften bei "Überbevölkerung" hat nichts mit der Bevölkerungsdichte zu tun, sondern höchstens mit der Tatsache, dass man sich in Streitigkeiten und unsinnigen Handlungen verliert. Maßgeblich für gesellschaftlichen Zündstoff ist nicht die Entfernung zwischen den Personen A und B sondern konkret nur, ob sie innerhalb ihres Einflussbereiches um begrenzte Ressourcen konkurrieren. Die Wirkung der Entfernung ist in der globalen Welt immer unbedeutender geworden und sie ändert auch nichts am Prinzip, nämlich das A und B sich über eine Lösung verständigen müssen, um an den begrenzten Ressourcen teilzuhaben. In aller Regel stellen A und B fest, dass sie sich miteinander besser vertragen, wenn sie sich nicht gegenseitig bestehlen. Sie entwickeln also einen Begriff von Eigentum ohne den keine Gesellschaft je ausgekommen wäre. Eigentum ist nichts anders als ein Rechtsbegriff, der sich in der Gesamtheit auch in einem bürgerlichen Gesetzbuch wiederfindet. 2a Was also A, B, C usw. fehlt, ist 1) die Erkenntnis durch Rechtsvereinbarungen Streitigkeiten lösen zu können, 2) diese Vernunft in Wille umsetzen und 3) über Instrumente zu verfügen, die Rechte effektiv durchzusetzen. Zusammen mit Hobbes' Leviathan, in dem die Menschen zu "Wölfen" werden, mag sich das zunächst wie die Beschreibung von einem Staat anhören. Aber das ist zu kurz gedacht, weil der Staat ja eben nicht auf Vernunft, Wille und Vereinbarung baut, sondern auf Zwang und weil er den ursprünglichen Gedanken zwischen A und B nicht fortführt, sich nicht gegenseitig zu bestehlen. Die Einrichtung des Staates löst das Problem des gegenseitigen Bestehlens nicht wirklich, denn zum einen eignet sich auch der Staat als Mittel zum Bestehlen, zum anderen drängt sich der Staat selbst in die Rolle des Bestehlers. Der Glaube der Staat sei der Beschützer von A gegen B und B gegen A erlaubt es dem Staat all seine Affären mit A und B als vermeintlich notwendigen Schutz für B und A zu deklarieren. Das geht gar soweit, dass man die Streitkräfte bei den Schießübungen mit "Pappkameraden" anstatt mit Zielscheiben schult, um das gegenseitig hemmungslose Töten zu drillen. Nach Hobbes Theorie dürfte das eigentlich nicht nötig sein, denn danach wäre die Quelle der Rücksichtslosigkeit das "natürliche" Verhältnis zwischen A und B. Hier zeigt sich aber, dass dieses Verhalten erst "antrainiert" werden muss.
Dass 3)Rechte auch ohne Staat durchgesetzt werden können, zeigt das Modell der privaten Rechtsagenturen, wie es von Morris und Linda Tannehill, David Friedman, Vertretern der österreichischen Schule (Murray Rothbard, Hans-Hermann Hoppe) und vielen anderen vorgestellt wurde. Das Prinzip der Rechtsagenturen ist aber kein anderes als es sowieso schon in Stammesgesellschaften praktiziert wurde, nämlich dass die Achtung von Eigentum ein friedliches Leben gewährleistet und die geringsten Kosten verursacht."
Quelle: http://home.arcor.de/danneskjoeld/Inf/T/Unrecht.html
> Wie soll es anders laufen?
Ist nur ein "technisches" Problem.
Gruß
RD
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 13. Apr. 2004, 11:19 Uhr
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Hallo Hanspeter,
mit Deinen letzten Beiträgen habe ich meine Probleme. Du schreibst: "Da wird aus der Goldenen Regel und dem Kat.Imp. eine politisch korrekte Moral zusammengezimmert und jeder, der nicht zustimmt, wird als konsensunwilliger Pirat ausgeschlossen."
Mit einem solchen Statement kann ich wenig anfangen, denn Du nennst keinen Beitrag, auf den Du Dich beziehst und anhand dessen man überprüfen könnte, ob Deine Darstellung stimmt. (Wobei noch zusätzlich die Schwierigkeit besteht, zu erkennen, wann aus dem Konstruieren einer Moral ein offenbar sehr kritikwürdiges "Zusammenzimmern" wird.)
Ich finde, wir sollten die Positionen, an denen wir Kritik üben, immer möglichst genau zitieren. Sonst könnten wir leicht in das beliebte rhetorische Muster verfallen, selber einen Pappkameraden als Gegner aufzubauen, um dann umso besser auf ihn eindreschen zu können.
Du formulierst gegenüber Ragnar: "Richtig ist, dass ein AK nicht erreichbar ist". Das erweckt zumindest den Anschein, als sei damit das Projekt "eine allgemein konsensfähige Moral (er)finden" gescheitert. (Wenn dem nicht so ist, entschuldige bitte meine überflüssigen Ausführungen.)
Ich möchte hier noch einmal klarstellen, dass ich mit dem Projekt nicht das Ziel habe, alle Menschen tatsächlich zu den gleichen moralischen Überzeugungen zu bringen. Das wäre wohl etwas vermessen und insofern stimmt Deine Aussage, dass ein allgemeiner Konsens nicht erreichbar ist.
Das Ziel des Projektes ist stattdessen die Bestimmung solcher moralischer Normen, denen jedes verständige und konsenswillige Individuum dauerhaft zustimmen kann. Dies erfordert, dass zum Aufbau einer solchen Moral nur solche Behauptungen zulässig sind, die intersubjektiv nachvollziehbar und teilbar sind.
Ich will den – zugegebenermaßen etwas subtilen - Unterschied zwischen dem Ziel der Herstellung eines tatsächlichen allgemeinen Konsenses und dem Ziel der allgemeinen Konsensfähigkeit noch einmal am Beispiel der empirischen Wissenschaft verdeutlichen.
Die Methodologie dieser Wissenschaften ist an der intersubjektiven Nachprüfbarkeit der aufgestellten Thesen ausgerichtet und bei Beachtung dieser Methoden sollten alle verständigen und konsenswilligen Individuen den erzielten Ergebnissen zustimmen können.
Nun gibt es jedoch Jahrzehnte nach ihrer ersten Formulierung immer noch Leute, die die Allgemeine Relativitätstheorie oder die Evolutionstheorie nicht akzeptieren. Deshalb sind jedoch die Physik und die Biologie keine gescheiterten Projekte. Ihre Resultate sind allgemein konsensfähig, obwohl die Herstellung eines allgemeinen Konsenses praktisch nicht machbar ist.
Mit der Bitte um Beachtung auch dieses kleinen Unterschieds grüßt Dich Eberhard
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 13. Apr. 2004, 11:46 Uhr
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Noch ein Wort an HP
> Ich nenne dies einen "Weitgehenden Konsens".
Ich nenne dies einen "Status quo".
Ich habe kein Interesse daran, mich am Staus quo zu orientieren. Du möchtest das offenbar. Würden alle Leute das tun, dann kreiste die Erde heute noch nicht um die Sonne und die Tomaten wären heute noch giftig.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 13. Apr. 2004, 17:06 Uhr
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Hallo
@ Ragnar. Ich persönlich halte es für sinnvoller, sich für Verbesserungen in einem Staat zu engagieren, als für dessen Abschaffung. Aber wenn du meinst....
@ Eberhard. Du wandtest dich an meinen vorletzten Beitrag.
Mein Kommentar zur politisch korrekten Moral bezog sich nicht auf dich. Aber schließlich sind wir ja nicht die ersten, die nach einer allgemein gültige Moral Ausschau halten. Ich bezog mich vielmehr auf diesbezügliche Versuche in den üblichen "Einführungen in die Ethik".
Es ist richtig, ich sehe keine Chance für eine Allgemeingültige Moral, wie ich das ja auch in meinem letzten Beitrag begründete.
Du schreibst: "Das Ziel des Projektes ist stattdessen die Bestimmung solcher moralischer Normen, denen jedes verständige und konsenswillige Individuum dauerhaft zustimmen kann. Dies erfordert, dass zum Aufbau einer solchen Moral nur solche Behauptungen zulässig sind, die intersubjektiv nachvollziehbar und teilbar sind."
Das ist letztlich eine Frage der Empathie. Ich kann eine Reihe von moralischen Aussagen nachvollziehen, wenn ich mich in die kulturelle Situation eines Vertreters einer anderen Kultur hineinversetze. Aber ich billige sie für mich nicht. Ich habe zB. Verständis dafür, dass ein Hindu das Töten und Essen einer Kuh für unmoralisch hält. Für ihn ist die Kuh eben ein Heiliges Tier. Ich aber halte es für moralisch in Ordnung. Ich sehe keine Basis für einen Konsens.
Dein Beispiel Relativitätstheorie / Evolutionstheorie zieht nicht. Mindestens 95% aller Physiker und Biologen akzeptieren sie. Das ist genug Konsens. Auf den Rest kann man verzichten.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 13. Apr. 2004, 17:33 Uhr
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@ Chand.
> Nur kurz:
Dem folgenden kann ich nicht zustimmen. Du schreibst :
...Denn Rechtsetzen heißt Rechtfertigen.... .
Genau das bestreite ich. Denn die Abmachung von Regeln bedeutet ja, dass alle die den Regeln zustimmen mit dem Konsens einverstanden waren. AUS WELCHEN GRÜNDEN auch immer ! d. h. man muss in dem Fall ja nichts mehr rechtfertigen, da die Parteien ja schon zugestimmt haben. Man beginnt also mit der Rechtsetzung, da sie durch die Zustimmung (den Konsens) schon gerechtfertigt ist!
Gut. Dann ist der Schriftsteller mit mir da durchgegangen. Ich ändere das.
Gruß RD
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 13. Apr. 2004, 19:25 Uhr
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Hallo Hanspeter,
ich hatte geschrieben: "Das Ziel des Projektes ist .. die Bestimmung solcher moralischer Normen, denen jedes verständige und konsenswillige Individuum dauerhaft zustimmen kann. Dies erfordert, dass zum Aufbau einer solchen Moral nur solche Behauptungen zulässig sind, die intersubjektiv nachvollziehbar und teilbar sind."
Du schreibst: dazu: "Das ist letztlich eine Frage der Empathie. Ich kann eine Reihe von moralischen Aussagen nachvollziehen, wenn ich mich in die kulturelle Situation eines Vertreters einer anderen Kultur hineinversetze. Aber ich billige sie für mich nicht. Ich habe zB. Verständis dafür, dass ein Hindu das Töten und Essen einer Kuh für unmoralisch hält. Für ihn ist die Kuh eben ein Heiliges Tier. Ich aber halte es für moralisch in Ordnung. Ich sehe keine Basis für einen Konsens."
Hier missverstehst Du mich. Wenn ich sage, dass zum Aufbau einer solchen Moral nur solche Behauptungen zulässig sind, die intersubjektiv nachvollziehbar und teilbar sind, so meine ich damit nicht die Nachvollziehbarkeit der vorhandenen moralischen Überzeugungen anderer Individuen und Gruppen. Diese moralischen Überzeugungen werden ja gerade in Frage gestellt ( zumindest, sofern sie zu Konflikten mit anderen führen und deshalb keine reine "Privatsache" sind).
Wenn ich nicht an meine Wiedergeburt in Tiergestalt glaube und es keine für mich nachvollziehbaren und teilbaren Argumente für diese Annahme gibt, so ist die Norm "Kühe dürfen nicht geschlachtet werden" eben keine allgemein konsensfähige Norm.
Es mag sein, dass die Moral einer Gemeinschaft wesentlich vom geistig-kulturellen Hintergrund bestimmt ist, und dieser Hintergrund verschieden ist, z. B. was die Religionen und die dazu gehörigen Weltbilder angeht. Insofern sind auch die moralischen Überzeugungen verschieden. Dies ist Dein Fazit.
Für mich ist dies gerade der Anlass, zu fragen, wie angesichts des Dissens zwischen den tradierten moralischen Ordnungen ein allgemein nachvollziehbarer Konsens in den Fragen des richtigen Handelns hergestellt werden kann.
Übrigens ist die Lage bei den vorhandenen Rechtsordnungen nicht anders. Auch hier gibt es Differenzen aufgrund unterschiedlicher Weltbilder und der Verweis auf Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip ist keine Lösung, wie z. B. die Fälle Nordirland oder Zypern zeigen.
Ich schlage für die weitere Diskussion vor, dass wir uns in Richtung Rechtsnormen bewegen und deshalb prüfen, ob die so genannten "Menschenrechte" (oder Grundrechte) allgemein konsensfähig sind, wie z. B. Meinungsfreiheit, freie Entfaltung der Persönlichkeit, Diskriminierungsverbot, Gleichberechtigung, Garantie des Eigentums, Garantie der Rechtsstaatlichkeit etc., die ja den Kern vieler Verfassungen ausmachen. Ich denke, dass ich damit auch Deinen Intentionen entgegenkomme.
Es grüßt Dich Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Chandrasekhar am 13. Apr. 2004, 20:13 Uhr
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Hallo Leute,
Mir geht das hier zu schnell. Kann also sein, dass der Argumentationsfluß durch meine Beiträge unterbrochen wird.
Eberhard, du schriebst:
>" offenbar interpretieren wir die Goldenen Regel unterschiedlich. Um unnötige Missverständnisse zu vermeiden, schlage ich vor, als "Goldene Regel" nur die folgende (negative) Formulierung zu bezeichnen: "Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu!". Die Regel: "Behandle andere so, wie Du von Ihnen behandelt werden möchtest" soll als "positive Goldene Regel" bezeichnet werden."
Genau das verstehe ich unter GR bzw pGR. Komme jetzt also dazu, ob wir diese Regeln unterschiedlich interpretieren. Ich denke, dass wir bei jedem konkreten Fall in der Konsequenz der Anwendungen dieser Regel/n einig wäre. Der Unterschied scheint mir zu sein, dass du bei gewissen Konsequenzen nicht bereit wärest diese in Kauf zu nehmen. Du würdest also keiner Moralnorm zustimmen, die keine Interessenabwägung beinhaltet.Aber nichts desto trotz halte ich diese Regeln für anwendbar, nur eben nicht für einen der ihnen nicht zustimmt.
Vielleicht käme ja die Ableitung aus der GR und anderen Prämissen in Frage für dich. "SEI KOMPROMIßBEREIT!"
Doch,das Problem bei einer Moralnorm die NUR eine Interessenabwägung beinhaltet ist, dass es grundlegende Interessen gibt, die keiner Abwägung fähig sind. Also modifiziere ich die o.g. Norm folgendermaßen.
Für Alle :
" SEI KOMPROMIßBEREIT SOWEIT,
Bist du der Fordernde: dass DER
ANDERE DURCH DEN KOMPROMIß NICHT MEHR VERLIERT ALS DU ODER DU NICHT MEHR
GEWINNST ALS ER .
Ist er der Fordernde: dass DER ANDERE DURCH DEN KOMPROMIß NICHT MEHR GEWINNT ALS DU ODER DU NICHT MEHR VERLIERST ALS ER "
Das ist mein Vorschlag für eine allgemein konsensfähige Moral.
Würde mich freuen, wenn alle schreiben würden ob sie dem zustimmen könnten, oder wenn nicht, warum nicht. Vielleicht mit Änderungsvorschlägen .
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 13. Apr. 2004, 20:30 Uhr
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Chandrasekhar
Wo willst Du das denn anwenden?
Außerdem: Woher weiß ich, "wieviel" der andere gewinnt oder verliert? Das muss der doch selber wissen.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 13. Apr. 2004, 23:25 Uhr
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Hallo Chandrasekhar,
Du machst einen Vorschlag, wie eine allgemein anerkennbare Konfiktlösung beschaffen sein müsste. Wenn ich Dich richtig verstehe, muss ein Kompromiss so beschaffen sein, dass durch die Regelung der eine nicht mehr gewinnt oder verliert als der andere.
Vielleicht könntest Du das mal an einem konkreten Beispiel demonstrieren. Das Kriterium verlangt im 2-Personen-Fall eine ordinale Messung (d. h. eine Rangordnung nach der Größe) der Vorteile oder Nachteile verschiedener Personen, also einen interpersonalen Wertvergleich (oder Nutzenvergleich). Außerdem muss wohl auch eine beliebige Teilbarkeit des strittigen Gutes vorausgesetzt werden. Wie ist es bei 3 oder mehr Personen? Geht es um den Gewinn bzw. Verlust im Verhältnis zum Status quo?
Hallo Hanspeter,
noch mal zum Beispiel der empirischen Wissenschaften. Dabei kommt es gerade nicht auf den faktisch erzielten Konsens an. Im Extremfall kann ein einziges Individuum gegen alle anderen Recht haben und die einzige von jedermann dauerhaft anerkennbare Position vertreten. Eben weil er "wissenschaftlich" vorgegangen ist und streng auf intersubektive Nachvollziehbarkeit geachtet hat. Ich vertrete mit der Forderung nach allgemeiner Konsensfähigkeit nicht die Devise: "Millionen können sich nicht irren!"
Seid gegrüßt von Eberhard.
p.s. Ich werde demnächst einen neuen Thread mit der Fortsetzung dieser Diskussion eröffnen, weil dieser Thread zu unhandlich geworden ist.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von hedgi am 14. Apr. 2004, 00:58 Uhr
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Hi Teilnehmer dieses threads,
Als ich mich das letzte Mal, in Antwort #229 zu diesem Thema meldete, kam es mir darauf an festzustellen, dass unsere Erwartungen an unsere Moral von der zurzeit herrschenden Ideologie geprägt sind. Ich hielt es für wichtig, Vorhersagen über zukünftige Moralvorstellungen zu treffen. Deshalb war es aus meiner Sicht notwendig, einen Blick in unsere Vergangenheit zu werfen. Auch gehe ich davon aus, dass unsere Moralvorstellungen konform mit der gültigen herrschenden Ideologie gehen.
Inzwischen ist diese Diskussion weiter fortgeschritten, sodass ich auf einige genannte Punkte, die mir wichtig erscheinen eingehen möchte.
Es wird gesagt, dass ein starkes Bedürfnis nach einer moralischen Harmonisierung unter den Menschen vorhanden ist. Bei allen? Leider nicht. Dabei müssen wir sehr stark aufpassen, uns nicht wie Marionetten zu benehmen. Wir verhalten uns bedauerlicherweise oft opportunistisch. Das wäre ein anderes Thema, wie leicht lassen wir uns manipulieren. Wir versuchen dem Wunsch nach allgemeingültigen moralischen Verhalten Rechnung zu tragen, indem wir unsere moralischen Vorstellungen in Gesetzen kodifizieren. Um das Zusammenleben vieler Menschen erträglich zu gestalten, kommen wir um eine Normierung unserer moralischen Vorstellungen nicht herum.
Ich wurde auch gefragt, ob ich denn an der Wahrheit interessiert sei, oder bereit sei Falsches in Kauf zu nehmen. Allein die Tatsache dass ich nach etwas frage, gibt die Antwort, die nur ein 'ja' zur Wahrheit zulässt. Andererseits würde es sich um eine rhetorische Frage handeln, die zum Ziel hat, andere zu manipulieren.
Das eigentliche Thema ist die Suche nach einer konsensfähigen Moral. Habermas hat hierfür Regeln genannt, für Menschen die aus unterschiedlichen Kulturkreisen kommen und auch funktioniert.
Als ein wesentlicher Punkt gilt, die Meinung des Anderen zu akzeptieren und ihm zuzuhören. Wir sollten bei der Wahrheit bleiben, wenn wir unseren Standpunkt darlegen. Alle Gesprächspartner sollten bereit sein, den eigenen Standpunkt zu korrigieren und bestehende Vorurteile abzulegen, wenn ersichtlich wird, dass die Argumente des Partners die bessere Sicht wiedergeben, und für alle akzeptabel erscheinen. Kompromisse sollten soweit möglich, vermieden werden. Es gibt gewisse Grundmaxime, die allen Menschen gemeinsam sind. So werden wir Niemanden finden, der das Stehlen oder Morden ernsthaft in Ordnung findet, wenn wir ihn direkt danach fragen.
Leider treffen wir solche Gesprächssituationen in der Realität nur selten an, da gewöhnlich jeder versucht, den anderen von seiner Sicht zu überzeugen und aus diesem Grund falsche Informationen weitergibt, zwecks Meinungsmanipulation. Diese Eigenschaft wird heute leider nicht als unmoralisch gewertet.
Gruß Klaus.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 14. Apr. 2004, 01:41 Uhr
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Hallo an Alle,
@ Ja, Eberhard, ein neuer Thread ist dringend notwendig. Die Besprechung der Allgemeinen Menschenrechte halte ich für sehr interessant.
Zu den empirischen Wissenschaften: Ich denke, wir lassen sie am besten außen vor. Die Gültigkeit der Relativitätstheorie kann man beweisen, die Gültigkeit von Moralen nicht, weil man kein verbindliches Lebensziel beweisen kann. Wenn du von Berlin Richtung München marschierst, ist das richtig, wenn dein Ziel Rom ist. Nicht aber, wenn du nach Moskau willst.
@ Klaus. Da siehst du es, wohin das führt! Weil die Leute hier im Philtalk so unmoralisch sind, statt Ostern in der Kirche zu feiern, vor dem Computer hocken, vermasseln sie einem den Anschluss. [cheesy]
Zur Sache. Ich kenne die Habermas-Vorschläge nicht, aber gemäß deinen Andeutungen entsprechen sie den üblichen Forderungen der political correctness. Doch damit wird kein Konsens erzielt, sondern man sagt sich freundlich und ohne Prügel, dass man verschiedener Meinung ist.
Mit den Grundmaximen ist es so eine Sache. Natürlich ist Stehlen verboten, doch das ist ein Pleonasmus, da Stehlen als die widerrechtliche Aneignung von Eigentum definiert ist. Was hingegen eine widerrechtliche oder eine legale Aneignung ist, ist eben umstritten.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Chandrasekhar am 14. Apr. 2004, 04:04 Uhr
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Hallo Eberhard,
Der Hauptteil meiner Moralnorm ist "Sei Kompromißbereit".
Der zweite Teil sollte eine Anwendung in Fällen ausschließen
in denen nur eine Seite Verluste erleidet. Ein Beispiel. Ich fordere , da mich Fluglärm stört, kein generelles Flugverbot sondern Nachtflugverbot etc. Andererseits fordere ich nicht, wenn mich Fluglärm NICHT stört, dass alle anderen den auch ertragen müssen.
Ich werde die Sache nochmal überdenken, und eine bessere Version mit Beispielen darlegen.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 29. Apr. 2004, 16:39 Uhr
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Hallo Leute,
vielleicht ist der Ansatz bei den Individuen und ihren Interessen oder Verträgen völlig verkehrt. Man kann die moralischen Normen auch ganz anders begründen.
Der Ausgangszustand sind eine Menge verschiedener Staaten auf dem Globus.
Jeder dieser Staaten strebt nach Selbsterhaltung und Vorherrschaft und geht zu diesem Zweck auch Bündnisse mit anderen ein..
Diejenigen Staaten, die im Konfliktfall stärker sind und über eine überlegene Militärmacht und Waffentechnik verfügen, zwingen den Besiegten ihre Ordnung auf, auch wenn deren moralische, politische oder wirtschaftliche Ordnungen vielleicht "gerechter" oder "eher allgemein konsensfähig" sind.
Deshalb muss das oberste Ziel eines Staates sein, stärker als jeder mögliche Gegner zu sein.
Von diesem Ziel her sind die dazu geeigneten moralischen Normen und die anzuerziehenden Tugenden zu bestimmen.
Alles andere mag hervorragend sein, aber was nützt die beste Gesellschaftsordnung, wenn sie durch den stärkeren Gegner liquidiert wird.
Ein (selbst)kritischer Nachtrag von Eberhard.
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Hanspeter am 29. Apr. 2004, 16:56 Uhr
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Hallo Eberhard,
es war kein Versehen, dass du wieder in den alten Thread hineingeschlüpft bist?
Zu deinem Beitrag. Dein Wechsel um 180° ist schon erstaunlich. Vor der konsensfähigen Moral zum Recht des Stärkeren, alle Achtung. Auch wenn es sich nicht schön liest, ich fürchte, damit bist du der Wahrheit ein ganzes Stück näher gekommen. Die Macht des Faktischen hat noch jeden Idealisten zur Strecke gebracht.
Gruß HP
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Ragnar D. am 29. Apr. 2004, 23:40 Uhr
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Hallo Eberhard
> vielleicht ist der Ansatz bei den Individuen und ihren Interessen oder Verträgen völlig verkehrt. Man kann die moralischen Normen auch ganz anders begründen.
Gewalt braucht man nicht begründen.
>Der Ausgangszustand sind eine Menge verschiedener Staaten auf dem Globus.
>Jeder dieser Staaten strebt nach Selbsterhaltung und Vorherrschaft und geht zu diesem Zweck auch Bündnisse mit anderen ein..
>Diejenigen Staaten, die im Konfliktfall stärker sind und über eine überlegene Militärmacht und Waffentechnik verfügen, zwingen den Besiegten ihre Ordnung auf, auch wenn deren moralische, politische oder wirtschaftliche Ordnungen vielleicht "gerechter" oder "eher allgemein konsensfähig" sind.
>Deshalb muss das oberste Ziel eines Staates sein, stärker als jeder mögliche Gegner zu sein.
>Von diesem Ziel her sind die dazu geeigneten moralischen Normen und die anzuerziehenden Tugenden zu bestimmen.
also Gewalt.
>Alles andere mag hervorragend sein, aber was nützt die beste Gesellschaftsordnung, wenn sie durch den stärkeren Gegner liquidiert wird.
Schön und gut. Aber wieso soll die beste Gesellschaftsordnung nicht gleichzeitig auch die Stärkste sein können?
Es spricht einiges dafür, dass es doch so ist. Stark sein heißt effektiv sein. Effektiv sein heißt unnötigen Konflikten aus den Weg zu gehen. Und das heißt wiederum Konsens, Vertrag und Eigentum.
Das bedeutet nicht, dass kriminelle Systeme nicht auch ihre Vorteile hätten. Aber sie können nur von der Substanz leben und nicht Produktives, nichts Neues schaffen. Sie werden immer abhängig sein von denen, die sie ausbeuten können.
Dann sollte man sich schon eher bemühen nicht ausgebeutet zu werden, wenn man nicht auch ein fähiger Ausbeuter ist. Es gibt schlicht weg keine Alternative.
Gruß RD
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Titel: Re: Zu (er)finden: eine allgemein konsensfähige Moral
Beitrag von Eberhard am 01. Mai 2004, 00:35 Uhr
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Hallo Hanspeter.
mein Nachtrag war natürlich eine kleine Provokation. Die Argumentation ist nicht schlüssig, denn warum sollte ich das Ziel eines Staates akzeptieren.
Aber ich wollte auch auf das reale Problem aufmerksam machen, das durch das Fehlen einer wirksamen globalen Rechtsordnung entsteht.
Hallo Ragnar,
ich teile Deine Hoffnung, dass eine konsensfähige soziale Ordnung ihre besonderen Stärken hat.
Grüße an alle Beteiligten und Leser des Teils I, mit dem jetzt wohl endgültig Schluss ist, von Eberhard.
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allgemein konsensfähige Moral" /
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