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PhilTalk-Diskussion
 

Wahrheit I

                                         

PhilTalk Philosophieforen

Theoretische Philosophie >> Erkenntnistheorie, Wissenschaftstheorie >> Wahrheit
(Thema begonnen von: Sophilos am 05. März 2004)
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- Sophilos am
05. März 2004,

Was ist eigentlich Wahrheit bzw. was heißt es, wenn man sagt, eine Aussage sei wahr?

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- gershwin am 23. Aug. 2004

Hi Leute
Was ist "Wahrheit" ? Die Antwort kann meiner Ansicht nach nur befriedigen, wenn sie die Aspekte der Kontextabhängigkeit sowie Interessenbedingtheit wenn nicht betont, so doch berücksichtigt. "Wahrheit" ist schlicht ein Wort, welches unseren Glauben an die Verlässlichkeit (bezüglich aktuell relevanter Zusammenhänge) einer Aussage kommuniziert. Ein einfaches Beispiel: "Dieser Tisch ist 2 m lang." Auch wenn genaues Nachmessen eine Länge von 1,99998 oder 2,0002 m ergibt,  wird man diese Aussage wohl unwidersprochen als "wahr" bezeichnen. Bei einer Differenz dieses Ausmaßes zwischen Aussage und Messung im Rahmen einer Teilchenphysik-Debatte würde sich die Wahl des Wörtchens "Wahrheit" hingegen verbieten. Wir würden sagen: "Der Sprecher irrt oder lügt", je nachdem, ob er sich der Differenz bewusst ist oder nicht.

Angenommen nun, einer Möbelfirma gelänge es, den Begriff 'Tisch' juristisch schützen zu lassen, wobei die Definition im Gesetzestext eine Mindestlänge von 2 m beinhalte. Nun, da Partikularinteressen ins Spiel kämen, könnten diese die Aussage: "Dieser Tisch ist 2 m lang" als Unwahrheit verteufeln, falls eine exakte Messung 1,99998 m ergäbe. Ist ein bisschen weit hergeholt, zugegeben, sollte aber im Prinzip ohne weiteres verständlich sein. Eine pointenanaloge Geschichte ließe sich leicht für jeden beliebigen Begriff ausdenken.

Jede Rede von "DER Wahrheit" oder "EWIGER Wahrheit" oder Fragen der allgemeinen Form "Gibt es Wahrheit?", "Was ist Wahrheit?" usw. erhöht implizit einen der Zeitspar-Begriffe (wie oben erläutert: "Wahrheit" ist LEDIGLICH NUR UND NICHTS ALS NUR eine kontextabhängige Abkürzung für folgende Mitteilung: "Meiner Meinung nach kannst Du Dich auf diese Aussage verlassen" ) zur Entität bzw. das Kommunikationsmedium Sprache zu einer Art schöpferischem Universalien-Generator. Das scheint mir eine grammatikalische Herumspielerei zu sein, die ich immer dann als sinnlos, als "Unsinn" bezeichnen würde, sofern nicht wiederum damit eigene Partikularinteressen bedient werden. Und das ist wieder ein sehr weites Feld.... :-)
Freundliche Grüße
Thomas

michel9672 am 30. Aug. 2004

Hallo Thomas!

Allerdings glaube ich schon, dass es einen objektiven Wahrheitsbegriff gibt,
Um es an Deinem Tischbeispiel zu erläutern: Ein Tisch ist zwei Meter lang. Diese Aussage ist wahr, wenn sie von einem Schreiner geäußert wird, sofern er eine Länge zwischen 1,999 und 2,001 m misst. Die wortgleiche Aussage kann aber falsch sein, wenn es sich nicht um Schreinerei dreht, sondern um theoretísche Physik (Lorentz-Kontraktion usw.), selbst wenn die Abweichung von 2,0 m erheblich geringer ist. Dies bedeutet jedoch nicht eine Relativität des Wahrheitsbegriffes, sondern nur, dass es sich um zwei unterschiedliche Aussagen (trotz gleichem Wortlaut) handelt.

Noch'n Beispiel: "Die Erde ist eine Kugel."
- ... ist wahr, wenn man über die Topologie der Erde spricht, und sie z. B. von der Scheibe unterscheiden will.
- ... ist falsch, wenn man damit die wahre geometrische Gestalt der Erde meint.
jedoch würde niemand widersprechen, dass die Erde eine "Gestalt" hat, und dass beide Aussagen eindeutig als wahr oder falsch bewertet werden können.

Also gibt es eine objektive Wahrheit.

Michel

-
- gershwin am 03. Sept. 2004, 07:20 Uhr

Hallo Michael
Deine Aussage lautet also: "Es gibt eine objektive Wahrheit."
Du hast Recht, ich habe (nicht im Alltag natürlich, sondern nur im Rahmen einer philosophischen Diskussion) einige Probleme mit diesem Satz. Zunächst scheint er mir so, wie er dasteht, überhaupt keinen Sinn zu ergeben. Ich gehe daher einfach mal davon aus, dass Du eigentlich meintest: "Es gibt objektive Wahrheiten."
Aber auch bei dieser dieser Formulierung überwiegen meiner Ansicht nach die Nachteile (Zementierung von missverständnissen) die Vorteile (welche?). Mein Alternativvorschlag: "Wir benutzen ein Wörtchen Wahrheit in verschiedenen Kontexten, und es finden sich jeweils große Mehrheiten, die in genügend ähnlicher Weise verstehen, was gerade damit gemeint ist."
Das klingt nicht so positivistisch wie Dein Satz und erweckt nicht den Verdacht, hier wäre die Rede von unfalsifizierbaren Aussagen. In meinem Satz stecken natürlich ebenfalls einige schwammige Ausdrücke mit Erklärungsbedarf.

Das Problem scheint mir zu sein, dass die Bedeutung von Begriffen letztlich auf die Phänomenologie (kategorisiert, formalisiert und damit kommunizierbar) von Einzelpersonen zurückzuführen sind, aber eben nicht nur. Sprache ist in erster Linie ein soziales Phänomen und ein Instrument im Kampf ums Überleben. Und hier scheinen mir zwei Aspekte bedeutsam:
1.      Das Überlebensinteresse der Art Homo sapiens. Drum dienen die meisten Begriffe der Verständigung im Kampf ums Überleben. Dieser Ball ist rund, und diese Aussage ist wahr. Da herrscht in der Regel Einigkeit, weil ein Streit nur Nachteile brächte.
2.      Das Interesse von Individuen, sich innerhalb einer Population zu behaupten. Diese Einzel- oder Partikularinteressen haben ebenfalls einen Einfluß auf den Charakter der Sprachspiele einer Gesellschaft. Wahrheit ist ein anschauliches Beispiel für diesen Sachverhalt. Wenn die Interessen aller Menschen gleichermaßen tangiert sind, gibt es bezüglich der Verwendung dieses Begriffes keine Probleme (das "jedoch würde niemand widersprechen, wenn..." Deines Beitrages) Andernfalls schon.

Meine vielleicht provozierende Hypothese: ich sehe nicht, was Sprache prinzipiell anderes ist als jedes andere tierische Kommunikationssystem wie Pheromone oder Schwänzeltanz, Farben usw. Klar, Luftdruckschwankungen sind einfacher zu variieren als Farben oder Geruchsmoleküle, und die Syntax bringt ebenfalls ein neues Element mit ins Spiel, aber im Prinzip sind wir Tiere, und die Sprache hebt uns nicht über das Reich der Tiere hinaus. Für uns gibt es ebensowenig objektive Wahrheit wie für einen Schmetterling oder eine Amöbe. Es gibt nur den Begriff der objektiven Wahrheit, mag man ihn nun für nützlich erachten oder nicht. Um die Provokation noch ein wenig zu steigern: Diese (aus Darwin folgende) Überlegung zermalmt Metaphysik mehr als alle Kants dieser Welt dies vermocht haben. Denn niemand traut den Pheromonen eines Schmetterlings zu, Erkenntnisse zu kommunizieren, die über diese unsere Welt hinausreichen. Meines Wissens gibt es nicht den allergeringsten Hinweis darauf, dass menschliche Sprache diesbezüglich mehr vermag. Grammatikalisch korrekte Sätze gibt es nahezu unendlich viele, aber potentielle Duftstoffe gibt es mindestens ebensoviele. Nur kann sie ein Schmetterling nicht so rasch in die Welt setzen wie die Heidegger und Cos ihre beeindruckenden Satzsalate.

Mit der Sprache verhält es sich meiner Ansicht nach ebenso wie mit Organen, Emotionen oder anderen Überlebensfunktionen. Sie haben sich in der Evolution herausgebildet, und wir können über die Gründe mutmaßen. Warum haben wir beispielsweise ausgerechnet 2 Beine und 2 Arme? Weil unsere Fisch-Vorfahren 2 Brust- und 2 Bauchflossen hatten. Viel mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Das Phänomen Sprache wird eines Tages ebenso erschöpfend erklärt werden können.
Freundliche Grüße (auch an Dyade  :-))
Thomas

- Eberhard am 22. Sept. 2004, 21:38 Uhr

Hallo in die Runde,

Es geht um die Frage von Sophilos: "Was ist eigentlich Wahrheit bzw. was heißt es, wenn man sagt, eine Aussage sei wahr?"

Durch den zweiten Teil des Satzes wird die Frage auf die Wahrheit von Aussagen eingeschränkt. d. h. es geht nicht um "wahre Freundschaft" oder "wahre Kunst".

Bleibt noch zu klären, was "Aussagen" sind. Ich schlage vor, dass die Diskussion auf die Wahrheit von Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit beschränkt wird. Damit werden z. B. Werturteile, Normen oder Definitionen ausgeschlossen.

Es geht also um die Wahrheit von Sätzen, die etwas darüber aussagen, wie die Welt beschaffen ist.
Was heißt es, wenn man sagt, eine solche Aussage sei "wahr" ?

Wenn Fritz bezogen auf die Bundesliga-Ergebnisse sagt: "Dortmund hat gestern gegen Hamburg 3:0 gewonnen" und Tom fragt: "Ist das wahr?", dann kann Mark das bestätigen, indem er sagt: "Ja, es ist wahr, was Fritz gesagt hat". Er könnte die Bestätigung jedoch auch anders formulieren und sagen: "Ja, es ist so, wie Fritz gesagt hat."

Eine Aussage ist demnach wahr, wenn es so ist, wie die Aussage besagt.

Wenn Mark zu Tom sagt: "Es ist wahr, dass Dortmund gestern gegen Hamburg 3:0 gewonnen hat",
so drückt er damit – wie Gershwin es formuliert hat – seine Meinung aus, dass sich der andere auf diese Aussage verlassen kann.

Wenn Mark den Satz als "wahr" auszeichnet, dann "behauptet" er diesen Satz. Er beansprucht für diesen Satz "Geltung" in dem Sinne, dass er andere dazu auffordert, diesen Satz dem eigenen Denken und Handeln zu Grunde zu legen.

Und da "wahr" nicht auf bestimmte Zeitpunkte und Personen bezogen wird, geht es dabei um die zeit- und personunabhängige Geltung einer Aussage.

Es kann zwar Person A die Aussage "Dortmund hat gestern gegen Hamburg 3:0 gewonnen" für wahr halten und Person B die Aussage: "Dortmund hat gestern gegen Hamburg 0:3 verloren", aber es kann nicht für A das die erste Aussage wahr sein und für B die zweite Aussage. Wenn etwas "wahr" ist, dann muss es für jedermann wahr sein. Der Anspruch auf die "Wahrheit" einer Aussage ist also ein Anspruch auf person-unbhängige bzw. "intersubjektive" Geltung.

Weiterhin kann die Aussage: "Gestern (am 20.09.2004) hat Dortmund gegen Hamburg 3:0 gewonnen" zwar heute als wahr gelten und morgen vielleicht als falsch, sie kann aber nicht heute wahr sein und morgen falsch. Der Anspruch auf die "Wahrheit" einer Aussage ist also ein Anspruch auf zeit-unabhängige bzw. "intertemporale" Geltung.

Wie man die Wahrheit einer Aussage feststellen oder begründen kann, was das Kriterium für die Wahrheit einer Aussage ist, ist eine andere Frage.

Festzuhalten bleibt vielleicht noch, dass nicht sowohl eine Aussage als auch die Verneinung dieser Aussage wahr sein kann. Wenn dies zulässig wäre, dann wären "wahre" Aussagen nicht nur keine verlässlichen Antworten auf offene Fragen sondern gar keine Antworten.  

Ist etwas lang geworden aber hoffentlich nicht langweilig hofft Eberhard.

-
- Eberhard am 23. Sept. 2004, 22:01 Uhr

Hallo Wolfgang,

Du bist der Meinung, dass nur eine bestimmte Art von Aussagen, nämlich die physikalischen Gesetzmäßigkeiten oder empirischen Regelmäßigkeiten, "wahrheitsfähig" sein können, weil man daraus Vorhersagen ableiten kann, die entweder eintreffen (dann ist die Aussage bestätigt) oder die nicht eintreffen (dann ist die Aussage widerlegt).

Ich halte eine solche Beschränkung des Bereichs von Wahrheit bzw. Wissenschaft auf die Erkenntnis von empirischen oder gar "materiellen" Regelmäßigkeiten für zu eng. Auf jeden Fall kommen auch bei Dir die Aussagen hinzu, die einzelne Sachverhalte beschreiben. Ohne solche wahren deskriptiven Aussagen (wie z. B. "Das Voltmeter zeigt eine elektrische Spannung von 220 V an" ) hättest Du ja keine "Falsifikatoren" Deiner allgemeinen Theorie.

Die Mathematik und die Naturwissenschaften sind zwar vergleichsweise erfolgreich gewesen, aber auch in andern Bereichen wurden Methoden entwickelt, um Fragen allgemein nachvollziehbar zu beantworten. Ich denke z. B. an die Übersetzung der Keilschrift und der Hieroglyphen durch die Sprachwissenschaften oder an die Methoden der Prognose und Hochrechnung von Wahlentscheidungen.

Wichtig scheint mir zu sein, dass man sich über die jeweilige Art der strittigen Aussagen oder Sätze im Klaren ist, und dass man die jeweils erforderlichen Formen der Argumentation und Beweisführung beachtet.

Wenn die Behauptung einer Aussage x als "wahr" die unausgesprochene Aufforderung an jedermann enthält, der Behauptung x zuzustimmen (ihr intersubjektiver Geltungsanspruch), dann ist entscheidend, wie dieser Geltungsanspruch eingelöst wird.

Man kann dabei zwei Wege der Einlösung des Geltungsanspruchs unterscheiden.

Zum einen kann man für die Wahrheit von x eine "Begründung" (Beweis, Beleg, Argument) geben. Begründungen von Behauptungen wenden sich an die vernünftige Einsicht. Man kann sie zurückweisen, wenn sie nicht akzeptabel sind. Sie üben auf den Angesprochenen zwar einen Einfluss jedoch keinerlei Zwang aus, weil sein kritisches Urteilsvermögen nicht ausgeschaltet oder umgangen wird. Die Überzeugung des Einzelnen beruht auf Gründen bzw. Argumenten, die er selber akzeptiert.

Für viele Aussagen können allerdings keine strengen Beweise geliefert werden, so dass mehrere Positionen rational vertretbar bleiben.

Eine Theorie (als eine zusammenhängende Menge von Aussagen), die ihren Geltungsanspruch allein auf Begründungen bzw. Argumente stützt, kann man als eine "rationale" oder "wissenschaftliche" Theorie bezeichnen.

Eine Theorie, die ihren allgemeinen Geltungsanspruch NICHT davon abhängig macht, ob es für sie allgemein nachvollziehbare Argumente gibt, sondern die sich auf exklusive Wege der Erkenntnis beruft, denen man vertrauen müsse, kann man als "irrationale" oder "dogmatische" Theorie bezeichnen.

Dogmatische Theorien, die rhetorisch um Zustimmung werben, ohne sich nachvollziehbar zu begründen, sollte man als solche deutlich kennzeichnen und nicht mit rationalen Theorien vermischen. Ihr Anspruch auf "Wahrheit" und allgemeine Geltung ist problematisch, falls damit Ernst gemacht wird,

  meint Eberhard.

-
- lusi-lu am 24. Sept. 2004, 10:43 Uhr

hallo Leute,

wenn man 100 Fotos von einem Haus hat und die Leute streiten sich darüber, welches dieser Fotos nun das wahre Haus ist, dann ist das sicher sinnlos. Keines der Fotos ist das Haus.
Aus meiner Sicht sind wir aber derzeit in der Lage, dass wir nur "Fotos" von der Welt aus unterschiedlichen Blickwinkeln haben. Alle diese Weltbilder zeigen Aspekte der Welt auf. Sie sind aber nicht die Welt.
Das ist momentan meine Wahrheit.

Gruß
lusi-lu

-
- Eberhard am 24. Sept. 2004, 17:02 Uhr

Hallo lusi-lu,

Du hast recht, wenn Du feststellst, dass jeder von uns seine eigene subjektive Perspektive zur Wirklichkeit hat, und dass keiner der sich daraus ergebenden Aspekte beanspruchen kann, "die" Wirklichkeit zu sein, so wie es 100 verschiedene Fotos eines Hauses geben kann, von denen keines beanspruchen kann, "das" Haus zu sein.

Ich bin jedoch der Meinung, dass man über diese subjektiven Weltsichten (" meine Wahrheit – Deine Wahrheit" ) noch hinausgehen und zu einer gemeinsamen Welt gelangen kann.

Die 100 Fotos jenes Hauses weisen ja bestimmte Übereinstimmungen auf: die Zahl der Schornsteine, die Zahl der Geschosse, die Anordnung der Fenster, die Gestaltung des Dachs, die Lage der Haustür usw. ist auf allen Bildern dieselbe, sofern diese Details auf den Bildern überhaupt erfasst sind.

Ebenso weisen unsere subjektiven Wahrnehmungen trotz ihrer Verschiedenheit intersubjektive Übereinstimmungen auf. Zum Beispiel hat A das Gewitter, das sich gestern gegen 17 Uhr über K-dorf entlud, von zu Hause erlebt während B noch in seinem Auto saß. Aber trotz der unterschiedlichen Perspektive stimmen ihre Wahrnehmungen darin überein, dass es mehrere Male geblitzt hat.

Insofern müssen wir nicht bei subjektiven Weltsichten stehen bleiben, sondern können intersubjektiv nachvollziehbare Aussagen über "die" Wirklichkeit machen und für diese Aussagen auch zu Recht "Wahrheit" beanspruchen (ohne dass diese Wahrheit deshalb  unumstößlich sein muss).

Einen analogen Übergang von speziellen Aspekten einer Sache zu Aussagen über die Sache selbst vollzieht jeder übrigens auch als einzelnes Subjekt. Wenn man um ein Haus herumgeht, so hat man ständig andere Wahrnehmungen des Hauses. Trotzdem gibt es zwischen den verschiedenen Wahrnehmungen zu den Zeitpunkten t1, t2, t3 …, tn Übereinstimmungen, so dass wir uns eine über die Zeit stabile (" intertemporale" ) Vorstellung von "dem" Haus machen können.

Es grüßt Dich Eberhard.

-
- lusi-lu am 24. Sept. 2004, 17:36 Uhr

hallo Eberhard, "Ich bin jedoch der Meinung, dass man über diese subjektiven Weltsichten (" meine Wahrheit – Deine Wahrheit" ) noch hinausgehen und zu einer gemeinsamen Welt gelangen kann.
Die 100 Fotos jenes Hauses weisen ja bestimmte Übereinstimmungen auf: die Zahl der Schornsteine, die Zahl der Geschosse, die Anordnung der Fenster, die Gestaltung des Dachs, die Lage der Haustür usw. ist auf allen Bildern dieselbe, sofern diese Details auf den Bildern überhaupt erfasst sind."

sofern diese Details überhaupt erfaßt sind.
Vom Haus gibt es Innen- und Außenansichten. Die haben wir auch von der Welt. Esoterik (damit meine ich aber nur die, die tatsächlich dem Anspruch einer Lehre von der Innenwelt gerecht wird) und Exoterik. Die Erkenntnisse/Erfahrungen dieser beiden Gebiete sind sehr unterschiedlich und können derzeit kaum auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden.
Mit subjektiv und objektiv scheint mir das auch nicht genügend umschrieben zu sein, weil auch Esoteriker über gemeinsame Erfahrungen verfügen und Exoteriker auch an Fehlsichtigkeit leiden können. "Ebenso weisen unsere subjektiven Wahrnehmungen trotz ihrer Verschiedenheit intersubjektive Übereinstimmungen auf. Zum Beispiel hat A das Gewitter, das sich gestern gegen 17 Uhr über K-dorf entlud, von zu Hause erlebt während B noch in seinem Auto saß. Aber trotz der unterschiedlichen Perspektive stimmen ihre Wahrnehmungen darin überein, dass es mehrere Male geblitzt hat."

Ja, auf vielen Gebieten haben viele Menschen gemeinsame Erfahrungen. Das nennen wir Realität. Auf anderen Gebieten gehen die Erfahrungen weit auseinander. Da reicht das Spektrum von Spinnerei, Blödsinn bis Halluzination oder Krankheit.
Schon ein Milligramm einer Droge kann die Wirklichkeit total verzerren. Dabei vergessen wir aber oft, dass all unsere Wahrnehmungen und Erfahrungen auf körpereigenen Drogen beruhen. "Insofern müssen wir nicht bei subjektiven Weltsichten stehen bleiben, sondern können intersubjektiv nachvollziehbare Aussagen über "die" Wirklichkeit machen und für diese Aussagen auch zu Recht "Wahrheit" beanspruchen (ohne dass diese Wahrheit deshalb  unumstößlich sein muss)."

Da stimme ich zu. Die Wahrheit ist transpersonal. "Einen analogen Übergang von speziellen Aspekten einer Sache zu Aussagen über die Sache selbst vollzieht jeder übrigens auch als einzelnes Subjekt. Wenn man um ein Haus herumgeht, so hat man ständig andere Wahrnehmungen des Hauses. Trotzdem gibt es zwischen den verschiedenen Wahrnehmungen zu den Zeitpunkten t1, t2, t3 …, tn Übereinstimmungen, so dass wir uns eine über die Zeit stabile (" intertemporale" ) Vorstellung von "dem" Haus machen können."

Hier können wir uns auf unsere Erfahrungen stützen. Jeder von uns hat schon viele Begegnungen mit Häusern gehabt. Die Welt an sich hat noch keiner gesehen. Wir wissen also erst einmal nicht, welche Puzzleteilchen da wie zusammengehören und welche gar nicht hinein gehören oder fehlen.
Deshalb versuche ich erst einmal möglichst unvoreingenommen Puzzleteilchen zu sammeln und zu schauen, wo ich welche finde, die zusammenpassen.

Gruß
lusi-lu

-
- Hermeneuticus am 25. Sept. 2004, 11:50 Uhr

Hallo miteinander!

Was mir bei der Lektüre als erstes auffällt: Hier feiert die alt-metaphysische Abbildtheorie der Wahrheit immer noch fröhliche Urständ'. Die Beispiele Haus/viele Fotos, Tisch/wechselnde Ansichten deuten darauf schon hin...

Diese Abbildtheorie behauptet abgekürzt: Es gibt eine "Welt an sich", wir stehen ihr gegenüber und machen uns Bilder, Vorstellungen, Reproduktionen, Beschreibungen, Theorien... von ihr (oder von ausgesuchten Teilstücken), und dann prüfen wir, wie weit unsere Bilder mit der Welt übereinstimmen. Das Problem dabei: Wenn wir nur Abbilder der Welt haben, niemals die "Welt selbst", wie können wir unsere Abbilder mit der "Wirklichkeit" vergleichen und daraufhin manche von ihnen mit dem Prädikat "wahr" und andere mit dem Prädikat "falsch" belegen?

Dieses Dilemma ist sehr schön sichtbar bei Wolfgang:

Zitat:

Ergebnis: Wenn unsere Sinne und Gehirne zu beschränkt sind, "die Wahrheit" zu erkennen, dann sollten wir das Wort "wahr" besser nicht mehr in den Mund nehmen.  
Das Fallgesetz ist dann nicht als wahr zu bezeichnen, sondern allenfalls als "beste Beschreibung, die wir zum Verhalten von Materie kennen".


Das hieße: Streng genommen gibt es keine Wahrheit (= gleich Übereinstimmung von Sätzen mit der Wirklichkeit), sondern nur bessere oder schlechtere Beschreibungen. Seltsamerweise wird in diesen Aussagen aber schon "gewusst", dass es ein "Verhalten von Materie" gibt, das immer gleich war, ist und sein wird und nur darauf wartet, von uns erkannt zu werden...

Schier unausrottbar ist vor allem die mehr oder weniger stillschweigend gemachte Voraussetzung der Abbildtheorie, dass "Wirklichkeit" dasjenige sein müsse, was ist, wenn niemand von uns hinsieht bzw. handelnd eingreift. Denn bekanntlich können unsere Sinne uns täuschen und technische Eingriffe können die Wirklichkeit "verfälschen". Um also zur Wirklichkeit vorzudringen, wie sie ist, müssten wir unseren (verfälschenden) Beitrag (qua Wahrnehmung/Erforschung) eigentlich wieder von ihr abziehen...

Immer wiederkehrende Positionen, die aus dem Dilemma auszubrechen versuchen, das sie selbst erzeugen und innerhalb dessen sie darum auch verbleiben, sind der (erkenntnistheoretische) "Naturalismus" und der (erkenntnistheoretische) Relativismus. In dieser Diskussion vertritt lusi-lu den Relativismus, Wolfgang schwankt zwischen extremem Naturalismus und Relativismus. Naturalistisch/relativistisch ist auch gershwins Position: Es gibt keine Wahrheit, sondern nur begrenzte Weltbilder, die sich Lebewesen machen und mit denen sie sich in der Evolution bewähren oder auch nicht. Wie sich Eberhard zur Voraussetzung der "fertigen Welt" verhält, ist mir noch nicht ganz klar.

Dass auch lusi-lu trotz ihres Plädoyers für kulturelle Vielfalt innerhalb des Abbild-Paradigmas verharrt, zeigt sich an Äußerungen wie diesen:

Zitat:

" Aus meiner Sicht sind wir aber derzeit in der Lage, dass wir nur "Fotos" von der Welt aus unterschiedlichen Blickwinkeln haben. Alle diese Weltbilder zeigen Aspekte der Welt auf. Sie sind aber nicht die Welt.  
(...)
Jeder von uns hat schon viele Begegnungen mit Häusern gehabt. Die Welt an sich hat noch keiner gesehen. Wir wissen also erst einmal nicht, welche Puzzleteilchen da wie zusammengehören und welche gar nicht hinein gehören oder fehlen. Deshalb versuche ich erst einmal möglichst unvoreingenommen Puzzleteilchen zu sammeln und zu schauen, wo ich welche finde, die zusammenpassen."

Dazu im Widerspruch steht allerdings der "naturalistische" Satz, demzufolge unser Organismus grundsätzlich jede "unvoreingenommene" Suche nach Puzzleteilchen vereitelt:

Zitat:

Schon ein Milligramm einer Droge kann die Wirklichkeit total verzerren. Dabei vergessen wir aber oft, dass all unsere Wahrnehmungen und Erfahrungen auf körpereigenen Drogen beruhen.

Eberhard verhält sich in seinen Darlegungen sehr viel umsichtiger. Aber auch er scheint mir vorauszusetzen, dass es einerseits "die Wirklichkeit" gibt, die so oder so "beschaffen" ist, andererseits Aussagen "über" sie:

Zitat:

Ich schlage vor, dass die Diskussion auf die Wahrheit von Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit beschränkt wird.
(...)
Eine Aussage ist demnach wahr, wenn es so ist, wie die Aussage besagt.

Das legt, vereinfachend, die Vorstellung nahe, dass es nur darauf ankomme, die Aussagen dem "Es", wie es nun einmal ist, möglichst gut anzupassen. Sein Vorschlag: Das gelingt, wenn Aussagen von den individuellen Bedingtheiten der Wahrnehmung möglichst gereinigt werden. So zeigte sich die Wirklichkeit noch am ehesten in solchen Aussagen, denen jedermann jederzeit zustimmen kann. Diese Aussagen drücken dann aus, was ALLEN möglichen individuellen Wahrnehmungen/Ansichten GEMEINSAM ist.

In diese Richtung weist auch sein Beispiel mit den zeitlich verschiedenen Ansichten eines Hauses:

Zitat:

Wenn man um ein Haus herumgeht, so hat man ständig andere Wahrnehmungen des Hauses. Trotzdem gibt es zwischen den verschiedenen Wahrnehmungen zu den Zeitpunkten t1, t2, t3 …, tn Übereinstimmungen, so dass wir uns eine über die Zeit stabile (" intertemporale" ) Vorstellung von "dem" Haus machen können.

Es sind also die ÜBEREINSTIMMUNGEN zwischen den wechselnden Ansichten, von denen wir auf "das" Haus schließen können, wie es gewissermaßen unabhängig von unseren Hinsichten "ist".
Aber wie gelangt man zu diesen Übereinstimmungen? Auf dem Weg der "Induktion" (Sammeln, Vergleichen, Abstrahieren)?

Ich will es erst einmal bei diesen Hinweisen/Fragen belassen.

Gruß
H.

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- doc_rudi am 25. Sept. 2004, 18:37 Uhr

Hallo Wahrheitssucher,
Wir definieren die Wahrheit.
Im Bereich der Wissenschaft nennen wir diese Wahrheitsdefinition Hypothese.
In der Evolution genetisch gespeicherter Daten nennen wir das "Mutation".
Das Experiment entscheidet dann, ob an dieser Definition der Wahrheit etwas dran ist.
Bezüglich der Evolution nennen wir das die Selektion. Die sondert aus.
In der Weiterentwicklung unserer Ideen, der Evolution des Geistes, sagen wir dann, wir haben ein besseres Abbild der Realität gefunden. Oder: wir haben eine neue Wahrheit.
Ausgangspunkt der Entwicklung ist aber stets eine neue Annahme, eine Hypothese, eine Definition der "Wahrheit".
Diese Neudefinition ist bisweilen eine Extrapolation dessen, was wir bisher als wahr erachtet haben, bisweilen ist es auch eine Negation der alten "Wahrheit".
Mit diesem Vorspann will ich auf folgendes Hinweisen:
Über Wahrheit und Nichtwahrheit entscheidet nie unser Denken. Das Denken ist insofern zur sogenannten Wahrheitsfindung unbrauchbar. Es ist auch nicht zur Wahrheitsfindung geschaffen.
Über wahr und unwahr entscheidet das Experiment, die Umwelt. Die Umwelt ist Veränderungen unterworfen. Wahrheit ist eine Anpassung an unsere schicksalhaft gegebene sich verändernde Umwelt.
Über wahr und unwahr entscheidet also etwas, was zum Denken gar nicht in der Lage ist.
Marx sagte mal: das Sein bestimmt das Bewusstsein. Man könnte das abwandeln in:
Die Umwelt bestimmt die Wahrheit.
Also: erst definieren wir etwas als Wahrheit, und das Sein entscheidet, ob es sich um eine "Wahrheit" handelt.
Gruß
rudi

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- Eberhard am 25. Sept. 2004, 21:49 Uhr

Hallo Hermeneuticus,

offenbar gut erholt stürzt Du Dich gleich wieder in die philosophischen Tiefen und Untiefen. Und – den Verdacht einer naiven Abbildtheorie der Erkenntnis im Hinterkopf – fragst Du: "Wie gelangt man zu diesen (intersubjektiven und intertemporalen, E.) Übereinstimmungen?"

Wie gelangen verschiedene Individuen zu einem Konsens hinsichtlich der Beschaffenheit der Wirklichkeit?

Dazu wieder ein fiktives Experiment.

Ich bitte fünf Leute zu mir in die Wohnung. Wir setzen uns um einen Tisch und trinken eine Tasse Kaffee. Nun hole ich einen Stuhl herein und stelle ihn in eine Ecke. Ich frage meine Gäste: "Sehen Sie den Stuhl dort in der Ecke, ja oder nein?" Vier Gäste sagen "Ja, ich sehe den Stuhl dort in der Ecke."  Aber ein Gast trinkt weiter seinen Kaffee und sagt nichts. Ich wende mich an ihn und frage: "Und was ist mit Ihnen?" Er zieht die Schultern hoch und sagt: "Excuse me but I don't understand any German."

Voraussetzung für einen Konsens in Bezug auf eine Aussage über die Beschaffenheit der Wirklichkeit ist also, dass jeder die Sprache versteht, in der die Aussage formuliert ist.

Nachdem die Frage übersetzt wurde, stimmt auch der Ausländer zu. Damit haben wir intersubjektiv  übereinstimmende Wahrnehmungen. Jeder Gast sagt: "Ich sehe in der Ecke einen Stuhl" oder etwas Bedeutungsgleiches.

Man kann jetzt mit gutem Grund von der Beschreibung seiner subjektiven Wahrnehmung (" Ich sehe …" ) zu einer subjektunabhängigen Aussage übergehen und (als 'wahr') behaupten: "In der einen Ecke dieses Raumes steht jetzt am 25.09.2004 um 17.40 Uhr ein Stuhl". Sollte jemand die Aussage bezweifeln, so kann man sagen: "Wenn Du es nicht glaubst, dann überzeuge Dich doch mit Deinen eigenen Augen davon!"

Nun frage ich einen meiner Gäste: "Woher wissen Sie, dass dort ein Stuhl steht?" Der Gast lacht und antwortet: "So sehen nun mal Stühle aus, auf denen man sitzen kann: vier Beine, die in Kniehöhe eine Sitzfläche tragen und an der einen Seite eine Rückenlehne." "Na gut", sage ich zu ihm, "dann setzen Sie sich bitte mal auf den Stuhl." Der Gast geht zum Stuhl, setzt sich hin und bricht unter dem Gelächter der andern Gäste sofort mit dem Ding zusammen.

Leicht empört rappelt sich mein Gast hoch und ruft: "Das war ja gar kein richtiger Stuhl, was Sie da hingestellt haben!" "Da haben Sie recht", gebe ich zu. "Sie haben sich täuschen lassen. Es handelt sich um eine lebensechte Attrappe aus Styropor."

Damit ist die Behauptung "In der Ecke dieses Raumes stand am 25.09.2004 um 17.40 Uhr ein Stuhl" nachträglich als falsch erwiesen. Richtig muss es jetzt heißen: "In der Ecke dieses Raumes stand am 25.09.2004 um 17.40 Uhr eine Stuhlattrappe." Sollte jemand die Wahrheit dieser neuen Aussage bezweifeln, so könnte man sagen: "Sehen Sie sich doch selbst die zerbrochenen Überreste des Dinges an: nichts als federleichtes brüchiges Styropor!"

Aber auch diese Aussage könnte falsch sein, wenn z. B. jemand unbemerkt die Bruchstücke ausgetauscht hätte.

Was ist mit dem zu Beginn geäußerten Satz "Ja, ich sehe in der Ecke einen Stuhl" ? Ist er ebenfalls nicht mehr wahr? Da in diesem Satz  das Wahrgenommene fälschlicherweise als 'Stuhl' identifiziert wurde, muss auch dieser Satz korrigiert werden und durch den Satz ersetzt werden: "Ich habe in der Ecke etwas gesehen, das so aussah wie ein Stuhl".

Als ich den vermeintlichen Stuhl in die Ecke gestellt hatte, gehörte ein Stuhl in der Ecke zum "inneren Weltbild" meiner Gäste. Ein solches internes Weltbild, in dem gewissermaßen alle Meinungen und Überzeugungen hinsichtlich der Beschaffenheit der Welt zusammengefasst sind, hat – in unterschiedlicher Ausprägung - jedes denkende Individuum.

Das innere Weltbild bildet und verändert sich zum Beispiel anhand von Informationen durch Eltern und Lehrer, anhand von dokumentarischen Medien wie Fernsehen, Filme oder Fotos und nicht zuletzt anhand von eigenen Wahrnehmungen.

Dies Weltbild ermöglicht es dem Individuum, überlegt zu handeln, sofern hier keine "weißen Flecken" bestehen. Aus meinem Weltbild ergibt sich mit mehr oder weniger Genauigkeit und Gewissheit, was ich zu erwarten habe, wenn ich in einer bestimmten Weise handle.

Da mein Gast davon überzeugt war, dass es sich bei dem Gegenstand in der Ecke um einen Stuhl handelt, erwartete er, dass der vermeintliche Stuhl ihn tragen würde. Durch das Zusammenbrechen sind seine Erwartungen jedoch "enttäuscht" worden, er merkt dass seine diesbezügliche Annahme eine "Täuschung" war. Seine aktuellen Erfahrungen stimmten nicht mit den Erwartungen überein, die sich aus seinem bisherigen Weltbild ergaben, und er korrigierte entsprechend sein Weltbild. Ein Weltbild, aus dem sich Erwartungen ergeben, die dann auch eintreffen, muss nicht korrigiert werden. Die entsprechenden Meinungen und Überzeugungen haben sich "bewährt" bzw. einmal mehr "bewahrheitet".

Es ist also nicht nötig, zu fragen, ob mein inneres Weltbild mit der wirklichen Welt übereinstimmt, sondern es genügt zu fragen, ob die Wahrnehmungen und Erfahrungen, die ich tatsächlich mache, mit dem übereinstimmen, was ich aufgrund meines aktuellen Weltbildes erwarte.

Soweit mein Verständnis von Erkenntnis, Wirklichkeit und Wahrheit. (Ist leider wieder etwas lang geraten). Es grüßt Dich und alle Interessierten Eberhard.

-
- Hermeneuticus am 26. Sept. 2004, 00:23 Uhr

Hallo doc_rudi!

Du präsentierst die "evolutionistische Erkenntnistheorie" in der anschaulichen Schlichtheit, die sie inzwischen als "Volkstheorie" angenommen hat und in der sie offenbar auch vielen im Nebenberuf philosophierenden Naturwissenschaftlern unmittelbar einleuchtet. Ihre Schlichtheit befreit sie allerdings nicht von den notorischen  Schwierigkeiten und Denkfehlern, die ihr grundsätzlich anhaften.

Die Hauptschwierigkeit liegt in der Unmöglichkeit, diese Theorie auf sich selbst - als die menschliche Theorie, die sie nun einmal ist - anzuwenden. Denn man kann ihr Zutreffen (ihre "Wahrheit" ) eigentlich nicht überprüfen; man kann sie nur behaupten und abwarten, was passiert: Überleben die Menschen (mit dieser Theorie) oder überleben sie nicht? Überleben sie, war sie wahr. Überleben sie nicht, muss sie falsch gewesen sein...

Fragt sich bloß, ob die Ursachen für das etwaige Aussterben der Menschen sich so werden spezifizieren lassen, dass sie als ausdrückliche Widerlegung gerade DIESER Theorie (und nicht etwa einer der vielen anderen menschlichen Theorien...) erkennbar werden. Ein atomarer Weltkrieg, der die Menschheit auslöschen würde, könnte z. B. kaum als Widerlegung der evolutionistischen Erkenntnistheorie gelten. Aber natürlich gilt auch das Umgekehrte: Man kann schlecht behaupten, dass diese Theorie offenbar wahr sein muss, weil die Menschheit seit ihrer Formulierung weiter besteht...
Kurz: Die Wahrheit/Unwahrheit dieser Theorie ist (im Rahmen ihrer eigenen Setzungen) nicht überprüfbar. Für eine Theorie, die sich natur- oder erfahrungswissenschaftlich nennt, eigentlich ein schwaches Bild...

Wie zur Bestätigung schreibst Du:

Zitat:

Über Wahrheit und Nichtwahrheit entscheidet nie unser Denken. Das Denken ist insofern zur sogenannten Wahrheitsfindung unbrauchbar. Es ist auch nicht zur Wahrheitsfindung geschaffen.


Dies ist in meinen Augen ein Paradebeispiel für den fatalen Hang vieler Naturwissenschaftler zum intellektuellen Seppuku bzw. zur Selbstenthirnung.

Ist das, was Du da schreibst, ein Gedanke oder ein bloßer Anpassungsreflex? Ist es ein Gedanke, dann ist er - nach Deiner Aussage - zur Wahrheitsfindung untauglich, und zwar genau dann, wenn er zutrifft (also wahr ist). Und ganz offenbar erhebt dieser Gedanke doch Anspruch auf Wahrheit.

Wie man sieht, lässt sich manchmal - wenigstens im vorliegenden Fall - sehr wohl über die Wahrheit von Aussagen durch bloßes Denken entscheiden. Ein Gedanke, der sich selbst aufhebt, und zwar genau dann, wenn er zutrifft, kann schwerlich "wahr" genannt werden.

Kernsätze Deines Beitrags sind diese:

Zitat:

In der Weiterentwicklung unserer Ideen, der Evolution des Geistes, sagen wir dann, wir haben ein besseres Abbild der Realität gefunden.
(...)
Wahrheit ist eine Anpassung an unsere schicksalhaft gegebene sich verändernde Umwelt.

Hier sprichst Du klar aus, dass Theorien/Hypothesen/Aussagen... "Abbilder" der Realität seien. Nun können wir zwar bei anderen Arten, die wir von außen in ihrer jeweiligen Umwelt beobachten, zeigen, wie gut sie an deren Bedingungen angepasst sind. Aber da wir uns selbst - als "Art" insgesamt - nicht von einem externen Standpunkt beobachten können, fällt es schwer, "objektive" Kriterien für unsere bessere oder schlechtere Anpassung aufzustellen. Wir kennen eben "die" Realität nur so weit, wie die Evolution es jeweils zulässt. Wir können somit das Zutreffen unserer Aussagen und Theorien nur abwarten.

Außerdem: Sind alle Menschen gleichermaßen gut angepasst? Immerhin leben sie - mit derselben genetischen Ausstattung, aber sehr variablen kulturellen Errungenschaften  - unter extrem unterschiedlichen Umweltbedingungen. d. h. ihre technischen Fähigkeiten erlauben es ihnen, ihre Umwelt selbst entscheidend umzugestalten - sprich: das Prinzip der "natürlichen Selektion" für sich selbst aufzuheben.

Sind etwa Menschen, die seit Jahrzehntausenden als Jäger und Sammler überlebt haben, ohne dabei technische Innovationen und Wissenschaften zu brauchen, besser oder schlechter angepasst als wir Europäer? Sind wir "erfolgreicher", weil wir mit immer größerem Aufwand Wissenschaft betreiben (man sagt, 90% aller Wissenschaftler, die es jemals auf der Welt gab, leben in der Gegenwart)? Oder haben wir es nötiger als die Jäger und Sammler, forschen wir so fieberhaft, weil wir ums Überleben ringen wie Ertrinkende?

Mir scheint, dass solche Fragen sich kaum sinnvoll im Rahmen der Evolutionsbiologie beantworten lassen. Das macht Evolutionsbiologie nicht sinnlos - im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Aber offenbar kann sie eine philosophische Wahrheitstheorie nicht ersetzen.

Gruß
H.

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- doc_rudi am 26. Sept. 2004, 08:10 Uhr

Hallo hermeneutikus,
wenn es darum geht, eine Erklärung für Bewegungen zu finden, ziehe ich ein schlichte Theorie der komplizierten vor, wenn beide letztlich nicht beweisbar sind. Logische Gegenbeweise lasen sich stets finden, es lassen sich umgekehrt auch für die obstrusesten Theorien logische Beweise finden. Die logischen Paradoxa sind Dir sicher bekannt. Du hast natürlich Recht, dass die evolutionäre Erkenntnistheorie nicht aus sich selbst heraus nachweisbar ist. Du nennst es Selbstenthirnung, wenn ich die Bedeutung logischen Denkens als Mittel des Erkenntnisgewinns verneine, ich nenne es Anerkennen der Realität.
Für mich ist es eine Realitätsverleugnung, wenn Du einerseits zugibst, dass wir die Welt an sich nicht erkennen können, und Dir andererseits einbildest, es mit Logik dann doch zu können. Das ist doch unlogisch.
Es ist zwar bedauerlich, dass unser Verstand Grenzen hat, die wir nicht überschreiten können, aber wenn das so ist, müssen wir andere Wege finden.
Im übrigen verwendest Du in Deinem letzten Beitrag den Begriff Wahrheit anders als wie ich ihn verwendet habe.
Aber auch das ist schon wieder ein Paradoxon: wenn wir als erstes die Wahrheit definieren und sie dann suchen, finden wir natürlich wieder das, was wir vorher definiert haben.
Deshalb sage ich:
ich offeriere nur eine Neudefinition von ICH und Nicht-ICH
und überlasse die Entscheidung über wahr und unwahr der Umwelt. Meine Neudefinition stößt bei Dir auf scharfe Kritik, und dafür danke ich Dir.
Gruß
rudi

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- lusi-lu am 26. Sept. 2004, 10:16 Uhr

hallo Leute,

ich hab im Laufe der Diskussion hier irgendwann mal das Puzzlebild verwendet. Das war ein schlechtes Bild, weil es suggeriert, wir könnten die Wahrheit einfach zusammensetzen aus Fragmenten. So hab ich das aber nicht gemeint, weil die Wahrheit eine Tiefe hat.
Tritt man zurück, gehen einem Details verloren. Tritt man näher heran, erkennt man zwar die Details, aber der Überblick geht einem verloren.
Außerdem hat sie eine Dynamik. Sobald sich der Kontext ändert, ändert sich auch die Wahrheit.
Sie ist unerschöpflich in ihrer Vielfalt. Jede Antwort wirft neue Fragen auf.
Da stimme ich mit Wolfgang überein, dass sich "die Wahrheit" nicht finden läßt, weil sie nicht etwas Bestimmtes ist.

Bleibt der Rückzug auf Eberhards Definition: "Es ist also nicht nötig, zu fragen, ob mein inneres Weltbild mit der wirklichen Welt übereinstimmt, sondern es genügt zu fragen, ob die Wahrnehmungen und Erfahrungen, die ich tatsächlich mache, mit dem übereinstimmen, was ich aufgrund meines aktuellen Weltbildes erwarte."

Wenn das Deine Überzeugung wäre, dann würdest Du nicht Deine Nächte am Computer verbringen, sondern Radieschen züchten und Fernsehen gucken. "Für mich ist es eine Realitätsverleugnung, wenn Du einerseits zugibst, dass wir die Welt an sich nicht erkennen können, und Dir andererseits einbildest, es mit Logik dann doch zu können. Das ist doch unlogisch."

Liegt die Wahrheit nicht gerade in dieser Unlogik begründet.
Wir greifen nach diesem Schimmer am Horizont, der uns offenbar magisch anzieht, im Wissen darum, dass wir ihm keinen Schritt näher kommen. Aber die Ergebnisse dieser Suche nach dem Ideal verändern die Welt, in der wir leben.

Gruß
lusi-lu

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- Hermeneuticus am 26. Sept. 2004, 14:29 Uhr

Hallo doc_rudi!

on 09/26/04 um 08:10:38, doc_rudi wrote:

Für mich ist es eine Realitätsverleugnung, wenn Du einerseits zugibst, dass wir die Welt an sich nicht erkennen können, und Dir andererseits einbildest, es mit Logik dann doch zu können. Das ist doch unlogisch.

In der Tat gebe ich zu, dass wir "die Welt an sich" nicht erkennen können. Aber wir können es deshalb nicht, weil "die Welt an sich" eine Fiktion ist. Dieses imaginäre Ziel der Erkenntnis (" Welt an sich" )  entsteht erst durch ein Nachdenken darüber, was "Erkenntnis" oder "Wahrheit" bedeuten - also durch eine erkenntnistheoretische Reflexion. Wenn man nämlich Erkenntnis nach dem Paradigma des Abbildens denkt, benötigt man auch ein unabhängiges Etwas, das da jeweils abgebildet wird. Und so wie wir bei einem Porträt oder einer Photographie durch Vergleich mit dem "realen", "wirklichen" Vorbild beurteilen können, wie "zutreffend", "ähnlich", "richtig"... die Wiedergabe ist, so scheinen auch "Weltbilder" durch Vergleich mit "der Wirklichkeit" als richtig oder falsch beurteilbar zu sein.

Aber dieses Paradigma - das eine lange Tradition hat - ist nicht zwingend. Im Gegenteil, es verstrickt sich in immer wiederkehrende logische Schwierigkeiten, die ebenfalls eine lange Tradition haben. Aber seit Kant kann man wissen, wie sich diese Schwierigkeiten, in die sich die Erkenntnistheorie nur verstrickt, wenn sie auf halbem Wege stehen bleibt, vermeiden lassen. Es ist also durchaus sinnvoll und "logisch", Schwierigkeiten einer falschen Theorie durch konsequentes Nachdenken zu beheben.

Wenn man nun die Abbildtheorie der Wahrheit aufgibt, gibt man damit nicht den Anspruch auf Wahrheit auf. Im Gegenteil, man "rettet" ihn. Aber man hat eben erkannt, dass Wahrheit nicht dadurch entsteht, dass man "Bilder" der Wirklichkeit durch Rückgriff auf die "Wirklichkeit selbst" überprüft.
Im Grunde - und das war übrigens auch schon der Ansatz Kants - macht die Kritik der Abbildtheorie nichts anderes, als genauer zu analysieren, was bei gelingender Erkenntnis geschieht. (Kant fragte: Wie sind Mathematik, Naturwissenschaft, Freiheit, Schönheitserfahrungen... - also tagtäglich GELINGENDE menschliche Praxen - möglich?) Darum verbleibt dieses kritische Nachdenken nicht im Bereich der "reinen Logik", sondern es untersucht ein bestimmtes menschliches HANDELN, bei dem auch das Denken (die Logik) eine wichtige Rolle spielt.
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In Deinem vorletzten Beitrag zitierst Du Marx' berühmten (kritisch gegen Hegel) gewendeten Satz: Das Sein bestimmt das Bewusstsein. So wie ICH diesen Grundsatz verstehe, stimme ich ihm unumwunden zu. :-)

Aber Du ersetzt Marxens "Sein" durch "Umwelt". Weiterhin charakterisierst Du unser Verhältnis zu dieser - irgendwie "äußeren" - Umwelt als ein schicksalhaftes Ausgeliefertsein: Wir müssen uns diesem Sein fügen - durch "Anpassung".
Aber Du weißt wohl, dass Marx völlig entgegensetzte Konsequenzen aus diesem Grundsatz zog. Und das lag hauptsächlich daran, dass für ihn das "Sein" eben nicht die "Wirklichkeit da draußen" war, sondern das MENSCHLICHE Sein (wörtlich: das "gesellschaftliche Sein" ). Und dieses Sein besteht eben nicht im stummen Dasitzen und Staunen darüber, was alles so in der Wirklichkeit "da draußen" passiert, sondern ist vor allem HANDELN.

Und das sehe ich ganz ähnlich: Unser primäres in-der-Welt-Sein ist Handeln, ist natürlich-kultürlicher Umgang MIT der Welt, ZU der wir selbst gehören. Wir sind also DER Wirklichkeit nicht primär fremd, sie steht uns nicht als Vorbild oder als das große Unbekannte gegenüber (sie liegt auch nicht, wie bei lusi-lu, irgendwo unerreichbar hinterm Horizont...). Sondern Wirklichkeit SIND WIR SELBST, indem wir u.a. auch Wissenschaft treiben und uns um Erkenntnis bemühen.

Ich gestehe der evolutionistischen Erkenntnistheorie durchaus ein wahres Moment zu: Die "Wahrheit" von Theorien ermittelt sich - in letzter "Instanz" - durch praktische "Bewährung" in der Lebensbewältigung (siehe dazu auch Eberhards letzten Beitrag, auf den ich noch gesondert eingehen werde). Nur ist es irrig anzunehmen, dass dieses Bewähren vor allem in Anpassung ans unabdingbar "Gegebene" oder im Befolgen "natürlicher Gesetze" bestehe. Bewähren ist Handeln - bewusstes, erkennendes Handeln, das gelingen oder scheitern kann.

Gruß
H.
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- Eberhard am 28. Sept. 2004, 17:51 Uhr

Hallo allerseits,

Das Adjektiv "wahr" (mit dem Gegenbegriff "falsch" ) hat als Attribut von Aussagen (über die gegebenen, erfahrbaren Fakten) eine einigermaßen klare Bedeutung:

Eine (" positive" bzw. "empirische" bzw. "faktische" ) Aussage p ist wahr, wenn es so ist, wie p besagt.

Die Gesamtheit der positiven Aussagen, die ein Mensch für wahr hält, bildet sein "Weltbild" (sein inneres Modell der Wirklichkeit). Das Weltbild kann "weiße Flecken" enthalten, wo es keine Antworten auf offene Fragen gibt. Außerdem können die Überzeugungen, die das Weltbild bilden, unterschiedliche Grade der Gewissheit besitzen. Man sagt z. B.: "Ich weiß mit Sicherheit (vermute, rate mal), dass es so ist."

Ob es so ist, wie die Aussage p besagt, erweist sich daran, ob die Erwartungen, die sich aus p ergeben, mit den gemachten Wahrnehmungen übereinstimmen bzw. vereinbar sind. Wahrnehmungen stellen den Bezug zur Wirklichkeit her.

Wenn ein Mensch Erfahrungen bzw. Wahrnehmungen macht, die diejenigen Erwartungen enttäuschen, die sich aus seinem bisherigen Weltbild ergeben, so kann er den entstandenen inneren Widerspruch auf zweierlei Weise auflösen: entweder er korrigiert die entsprechenden Aussagen seines Weltbildes, sodass die daraus abgeleiteten Erwartungen mit seinen neuen Wahrnehmungen logisch vereinbar werden, oder er bezweifelt die neuen Wahrnehmungen und interpretiert sie als Einbildungen oder Sinnestäuschungen.

Auf zwei Probleme beim Gebrauch des Adjektivs "wahr" möchte ich noch hinweisen.
1. Bezieht sich die Auszeichnung "wahr" auf Sätze oder auf die Bedeutung der Sätze?
Wenn sich "wahr" auf Sätze bezieht, dann kann ein und derselbe Satz einmal wahr und einmal falsch sein, je nachdem, welche Bedeutung man mit den Worten dieses Satzes verbindet. Der Satz "Mozart ist ein deutscher Komponist" ist wahr oder falsch, je nachdem wie "deutsch" definiert wird.

2. Ein Satz wie: "Dieser Satz ist falsch" führt zu Paradoxien, denn er kann weder wahr noch falsch sein. Solch eine Paradoxie tritt bei Anwendung der Begriffe "wahr" und "falsch" auf sich selbst auf.

Besondere Vorsicht ist geboten, wenn man das Substantiv "Wahrheit" gebraucht.

Wenn man von der "Wahrheit einer Aussage" spricht, ist noch klar, was gemeint ist.

Wenn man eine Aussage als eine "Wahrheit" im Unterschied zu einem Irrtum oder einer Lüge bezeichnet, ist auch noch klar, was gemeint ist. (Hier gibt es "Wahrheiten" im Plural.)

Problematisch wird es, wenn von "der Wahrheit" gesprochen wird, ohne Bezug zu bestimmten Aussagen.

Wenn jemand sagt: "Im Wein ist die Wahrheit" oder "Die Wahrheit hat Tiefe und Dynamik" oder "Die Wahrheit lässt sich nicht finden", dann sehe ich hinter jedem dieser Aussagen über "die Wahrheit" mindestens ein Fragezeichen. Hier muss der Begriff "Wahrheit" erläutert werden, allerdings nicht mit Begriffen und Sätzen, die womöglich noch nebulöser sind,

meint Eberhard.

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- lusi-lu am 28. Sept. 2004, 19:20 Uhr

@Eberhard "Eine (" positive" bzw. "empirische" bzw. "faktische" ) Aussage p ist wahr, wenn es so ist, wie p besagt. "

Den höchsten Wahrheitsgehalt hat somit eine eineindeutige Abbildung, bei der Hin- und Rückprojektion identisch sind (z. B. Kopieren einer Datei im Computer).
Sprache kann keine eineindeutige Abbildung erzeugen, weil beim Beschreiben immer Inhalte verloren gehen, wie beim Abspeichern eines Bildes mit einem Komprimierverfahren. "Ob es so ist, wie die Aussage p besagt, erweist sich daran, ob die Erwartungen, die sich aus p ergeben, mit den gemachten Wahrnehmungen übereinstimmen bzw. vereinbar sind. Wahrnehmungen stellen den Bezug zur Wirklichkeit her."

hier wird die "Außenwelt" auf die "Innenwelt" abgebildet und mit der Erwartung zurückprojeziert. Sowohl Hin- als auch Rückprojektion weisen mehr oder weniger Fehler auf und müssen ständig korrigiert werden.

Die Identität (im Rahmen tolerierbarer Fehlergrenzen) von Original, Hin- und Rückprojektion würde ich also als Wahrheit im allgemeinsten Sinne bezeichnen.

Gruß
lusi-lu

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- Eberhard am 29. Sept. 2004, 16:44 Uhr

Hallo allerseits,

ich hatte geschrieben: "Problematisch wird es, wenn von ,der Wahrheit' gesprochen wird, ohne Bezug zu bestimmten Aussagen."

Ein Beispiel: Ich zeige auf eine 3 Meter hohe Mauer und frage die Personen  A und B: "Wie hoch ist die Mauer?" A sagt: "Na, ich schätze mal so 2 Meter 80". B antwortet: "Ich würde sagen: Die Mauer ist 2 Meter 90 hoch." Daraufhin sage ich: "Das kommt der Wahrheit schon näher."

Was bedeutet hier das Substantiv "Wahrheit" ? Die wahre Aussage lautet: "Die Mauer ist 3 Meter hoch." Von den zwei Aussagen: "Die Mauer ist 2 Meter 80 hoch" und "Die Mauer ist 2 Meter 90 hoch" ist die letztere der wahren Aussage insofern "ähnlicher", als der Wert 2,90 näher an dem wahren Wert 3,00 ist als der Wert 2,80. Das Substantiv "Wahrheit" bezeichnet also auch hier die wahre Aussage.

Ein anderes Beispiel. Vor Gericht sagt der Richter zum Zeugen Z vor dessen Vernehmung, dass er "die reine Wahrheit" sagen müsse und nichts hinzusetzen oder verschweigen dürfe. Individuum F ist wegen schwerer Körperverletzung angeklagt. Der Zeuge Z sagt aus: "F hat G mit der Faust ins Gesicht geschlagen". Dieser Satz kann wahr sein, aber er ist nur die "halbe Wahrheit", wenn Z Tatsachen verschwiegen hat, die für das Urteil des Gerichts von Bedeutung sind.

Dies ist z. B. der Fall, wenn dem Faustschlag von F eine Beleidigung durch G vorausging, oder wenn G den F vorher mit einer Schusswaffe bedroht hat.

In diesem Zusammenhang ist die "volle (ganze) Wahrheit" die Gesamtheit aller für das anstehende Problem (z. B. die Urteilsfindung des Gerichts) relevanten wahren Aussagen.

Ohne Bezug auf einen bestimmten Zweck, dem die Informationen dienen sollen, macht der Begriff der "vollen" oder "ganzen Wahrheit" keinen Sinn, denn es gibt keine vollständige Beschreibung einer realen Situation. Selbst einfachste Gegenstände können nicht vollständig beschrieben werden (z. B. in der Anordnung der Atome, die den Gegenstand bilden.)

Ohne einen Zweck, dem die Information dienen soll, ist der Hinweis auf die Unvollständigkeit einer Situationsbeschreibung immer richtig, ist aber als solches kein stichhaltiges Argument gegen diese Beschreibung. Nur wenn für den Verwendungszweck der Informationen wichtige Tatsachen fehlen, kann man eine Darstellung kritisieren, weil sie nur die "halbe Wahrheit" beinhaltet.

Man kann auch nicht sagen, dass eine Beschreibung "wahrer" sei als eine andere Beschreibung, weil sie mehr Einzelheiten eines Sachverhalts enthält. Wie detailliert eine Beschreibung sein muss und welches die relevanten Details einer Situation sind, ergibt sich aus der Frage, um deren Beantwortung es geht. Wenn gefragt ist, wie hoch in Deutschland der prozentuale Anteil derjenigen Einwohner ist, die unter 18 Jahre alt sind, so sind dafür nur Informationen über Anzahl und Lebensalter nach Jahren  relevant. Die Antwort "Der Anteil der unter 18jährigen an der Bevölkerung der Bundesrepublik betrug zu Beginn des Jahres 2003 x Prozent" wird nicht dadurch "wahrer", dass zusätzlich Aussagen über den Anteil der Geschlechter gemacht werden, oder dass das Lebensalter in Monaten ermittelt wird.

Ein anderes Problem ist das Verhältnis von Wahrheit und Gewissheit. Nehmen wir folgende Textpassage: "Weil wir Menschen zu beschränkt sind, die Wahrheit zu erkennen, können wir keine gesicherten Aussagen machen über das, was wahr ist."

Was heißt hier: "Die Menschen können die Wahrheit nicht erkennen" ?

Eine mögliche Interpretation dieses Satzes wäre, dass Menschen niemals mit völliger Gewissheit (" definitiv" "unumstößlich" ) wissen, welche von mehreren Aussagen wahr ist und welches somit die richtige Antwort auf die gestellte Frage ist.

In Bezug auf einfache Tatsachen erscheint mir die damit formulierte Skepsis unangebracht, insbesondere wenn daraus dann weitere Schlüsse gezogen werden, wie z. B. der Schluss, deshalb das Wort "wahr" nicht mehr zu verwenden.

Dass ich jetzt am Computer sitze und auf der Tastatur einen Text eintippe, ist für mich so gewiss wie nur irgendetwas gewiss sein kann. Dass ich gerade halluziniere oder träume, kann ich ausschließen, weil ich gelernt habe, diese Bewusstseinszustände von realen Wahrnehmungen zu unterscheiden. Der Satz "Heute habe ich am Computer einen Text eingegeben" ist in dem Sinne wahr, dass es keinen Grund zu der Annahme gibt, dass er sich auf Grund zukünftiger Wahrnehmungen oder aufgrund der Wahrnehmungen anderer Individuen als falsch erweisen wird.

Der Satz: "Wir Menschen sind zu beschränkt, um die Wahrheit zu erkennen" ist also missverständlich und er wird falsch, wenn er bedeuten soll, dass wir niemals gewiss sein können, dass irgendeine Aussage über die Wirklichkeit wahr ist. Also Vorsicht mit "der" Wahrheit

meint Eberhard.

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- Eberhard am 30. Sept. 2004, 09:44 Uhr

Hallo Wolfgang,

eine Aussage ist wahr, wenn es so ist, wie die Aussage besagt. Deshalb spielt der Informationsgehalt (die "Genauigkeit" )  einer Aussage keine Rolle für die Frage, ob sie wahr oder falsch ist.

Wenn der Satz wahr ist: "Diese Klasse besteht aus 32 Schülern" dann ist z. B. der Satz: "Diese Klasse besteht aus mehr als 25 Schülern" genauso wahr, auch wenn er "ungenauer" ist.

Den Begriff "Gewissheit" sollte man nicht aufgeben, wenn man zwischen unterschiedlichen Graden der Wahrscheinlichkeit unterscheiden will, mit der man mit einer Enttäuschung der eigenen Erwartungen rechnet. Der Grad an Gewissheit, mit dem ich etwas für wahr halte, ist für mein Handeln von allergrößter Bedeutung.

Es grüßt Dich Eberhard.

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- Eberhard am 30. Sept. 2004, 11:57 Uhr

Hallo allerseits:

gefragt war: "Was heißt es, wenn gesagt wird, eine Aussage sei wahr?" Ich hatte vorgeschlagen, sich auf Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit zu beschränken, also auf die "positiven" oder "faktischen" Aussagen.

Hier ergibt sich die interessante Frage, welche Art von Sätzen damit bezeichnet ist und wo die Grenze zu denjenigen Arten von Sätzen oder Aussagen zu ziehen ist, die nicht in der gleichen Weise "wahrheitsfähig" sind.

Problematische Kandidaten scheinen mir z. B. diejenigen Sätze zu sein, die Empfindungen und Stellungnahmen zu bestimmten Reizen ausdrücken. Damit meine ich Sätze wie: "Zucker schmeckt süß", "Frische Austern schmecken köstlich", "Der Film x ist langweilig", "Wie A von seinen Erfolgen berichtet, ist eher peinlich"

Wenn diese Sätze als wahr behauptet werden, dann schließt das ein, dass sie allgemeine Geltung beanspruchen unabhängig von Person oder Zeitpunkt. Aussagen, die als wahr behauptet werden, werden gewissermaßen jedem Individuum zur Aufnahme in das eigene Weltbild empfohlen.

Damit stellt sich die Frage, ob es überhaupt allgemein nachvollziehbare und akzeptierbare Argumente für derartige Sätze gibt.

Bei dem Satz "Zucker schmeckt süß" ist das wohl der Fall, denn ich kann sagen: "Hier ist Zucker. Schmeck doch selbst!" Es gibt in diesem Fall sicherlich eine übereinstimmende geschmackliche Wahrnehmung aller Individuen (sofern ihr Geschmackssinn nicht geschädigt ist).

Dagegen mag es sein, dass Person A frische Austern mit Genuss schlürft, während Person B sich davor ekelt. B kann den Satz "Frische Austern schmecken köstlich" nicht unterschreiben, insofern mit den Wort "köstlich" eine starke Empfehlung zum Verzehr von Austern gegeben wird. Hier sind die Geschmäcker verschieden und die personunabhängige Formulierung ist irreführend. Es sollte deshalb besser personenbezogen heißen: "Frische Austern schmecken MIR köstlich", um sinnlose Diskussionen zu vermeiden.

Der Satz: "Der Film x ist langweilig" könnte eine wahrheitsfähige Aussage sein, wenn man ihn versteht als gleichbedeutend mit dem Satz "Der Film x erzeugt bei seinen Zuschauern Langeweile". Voraussetzung ist allerdings, dass man "Langeweile" an beobachtbaren Indikatoren festmachen kann wie Gähnen, Beschäftigung mit andern Dingen und die Bejahung einer entsprechenden Frage.

Ob ein Individuum etwas als "peinlich" empfindet oder nicht, hängt stark von der jeweiligen Erziehung ab und ist deshalb nicht für alle gleich. Deshalb sollte der obige Satz personenbezogen formuliert werden, z. B.: "Wie A von seinen Erfolgen berichtet, empfinde ich eher als peinlich". Damit ist klar, dass es sich nicht um eine Aussage über das handelt, was A tut, sondern um einen Ausdruck der eigenen Empfindungen.

Fraglich ist auch, inwiefern metaphysische, übernatürliche, übersinnliche oder religiöse Aussagen etwas über die Beschaffenheit der Wirklichkeit behaupten und in vergleichbarer Weise wahrheitsfähig sind. Religiöse Inhalte und Weltbilder werden ja nicht gerade selten in den verschiedenen Foren vertreten und propagiert.

Insofern sich aus der Annahme eines übernatürlichen Bereichs Erwartungen hinsichtlich der Beschaffenheit der Wirklichkeit ergeben, können diese Erwartungen durch die tatsächlichen Wahrnehmungen enttäuscht werden, was zu einer Korrektur des religiösen Weltbildes führen müsste (oder zur Abwertung der gemachten Wahrnehmungen als Täuschungen).

Dazu ein Beispiel: Der irische Mönch Bonifatius, der als Missionar der Deutschen gilt, soll nach der Legende den Glauben der Sachsen an die germanischen Götter dadurch erschüttert haben, dass er die heilige Wotanseiche fällte. Aufgrund ihres Glaubens erwarteten die Sachsen, dass der Gott Wotan einen derartigen Frevler umgehend mit einem tödlichen Blitzschlag bestrafen würde. Aber nichts dergleichen geschah. Also mussten die Sachsen ihr Weltbild korrigieren und waren aufnahmebereit für die christliche Lehre.

Wenn Gott oder Teufel jedoch in der wahrnehmbaren Welt nicht wirken und wenn sie keine wahrnehmbaren Spuren hinterlassen, dann erzeugt das religiöse Weltbild auch keine Erwartungen, die durch die Wahrnehmung enttäuscht werden könnten. Damit werden die religiösen Weltbilder unkritisierbar – allerdings um den hohen Preis, dass es kein Wirken Gottes oder des Teufels in der wahrnehmbaren Welt gibt.

Stimmt's?  fragt Eberhard.

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- Hermeneuticus am 30. Sept. 2004, 12:14 Uhr

Hallo miteinander!

Während ich noch über meine Antwort an Eberhard nachdenke (sie kommt, keine Bange! :-) ), möchte ich zwischendurch ein paar Sätze einwerfen...


Ganz besonders wichtig ist Eberhards Hinweis auf die Zweckgebundenheit des Redens über "wahre" und "falsche" Aussagen, Feststellungen, Messungen. Da jedes Prädikat, das wir einem x zu- oder absprechen, notwendigerweise nur ein (aus unendlich vielen möglichen Bestimmungen) ausgewählter Aspekt von x sein kann, fragt sich, warum hier und jetzt gerade nur dieser Aspekt untersucht wird. Die Antwort darauf kann sich nicht auf das "Wesen" der Sache selbst stützen, sondern verweist auf die Umstände, unter denen Menschen mit dieser Sache umgehen und dabei etwas BESTIMMTES erreichen oder zeigen wollen. Dieses Bestimmte ist der von ihnen verfolgte Zweck.

Ohne eine solche - ausdrücklich oder implizit - bestimmte Zielausrichtung würde sich Wissen im Unbegrenzten verlieren. Trotzdem möchte ich lusi-lus wiederholten Hinweis auf das Unbegrenzte, Unbestimmte bzw. auf die Vorläufigkeit und Relativität von Wahrheit verteidigen. Nur klingt es bei ihr ein wenig romantisch, nach blauer Blume und unendlicher Aufgabe. (Obwohl kurioserweise ausgerechnet Wolfgang hier Novalis zitiert hat...)

Es ist nämlich eine Frage der "Sachgerechtigkeit", die Relativität menschlicher Zwecksetzungen - ohne die wir zu keinen bestimmten und wahren Aussagen kämen - im Hinterkopf zu behalten. Nicht ohne Grund gibt es ja in der Rechtsprechung das Recht auf Revision und einen "Instanzenzug".

Darum halte ich die Rede vom "Wesen", vom "Sein", vom "Selbstzweck" (auch darauf komme ich im entsprechenden Thread noch irgendwann zurück...) nicht grundsätzlich für sinnlos. Nur muss bei der Verwendung solcher "ontischer" Überprädikatoren hinreichend klar sein, dass es gerade keine (selektiven) Bestimmungen von x sind, sondern Platzhalter für das Unbestimmte, Mögliche. Auch diese Begriffe verweisen also wieder auf das menschliche Erkennen und Handeln zurück, sie übersteigen es nicht. Letztlich handelt es sich dabei um erkenntnisethische Begriffe...
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Noch kurz zum Begriff des Prinzips.

Prinzipien sind keine empirischen Gegenstandsbestimmungen, die wahr oder falsch sein können, sondern Grundsätze, die überhaupt erst (regionale, selektive) wahre Aussagen ermöglichen. So ist etwa die Regel vom ausgeschlossenen Dritten ein solches Prinzip. Auch sog. Natur-Konstanten wie die Erhaltung der Energie oder die Lichtgeschwindigkeit sind Prinzipien.

Ob die Lichtgeschwindigkeit (im Vakuum) immer konstant ist, lässt sich wohl deshalb schwerlich "empirisch belegen" (also messen), weil sie (im Rahmen der Relativitätstheorie) die Größe ist, relativ auf die Raum- und Zeitmessungen überhaupt vergleichbar werden.
Ähnlich ist die experimentelle "Feststellung", dass Wasser bei 100 Grad C kocht (bei einem bestimmten Luftdruck) und bei O Grad C gefriert, keine Aussage über das Wesen des Wassers, weil die Celsius-Skala gerade so eingerichtet ist, dass das Gefrieren des Wassers den Nullpunkt bildet und das Kochen den Wert 100. Diese Einteilung ist sozusagen das "Apriori" jeder weiteren Messung und kann durch einzelne Messungen gerade nicht bestätigt oder widerlegt werden.
Ähnlich ist es mit Prinzipien.
Gruß
H.
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- Wolfgang_Horn am 30. Sept. 2004, 15:34 Uhr

Hi, Eberhard,

Zitat:

eine Aussage ist wahr, wenn es so ist, wie die Aussage besagt.

Wahr. :-)
Aber woher weißt Du, dass die Aussage X wahr ist?
Wie groß darf der Abstand werden zwischen Deiner Aussage "X ist..." und X selbst?
Und wie belegst Du Deinem wohlwollend-kritischen Zuhörer, dass Deine Aussage X wahr ist?

Zitat:

Deshalb spielt der Informationsgehalt (die "Genauigkeit" )  einer Aussage keine Rolle für die Frage, ob sie wahr oder falsch ist.

Das sehe ich auch so, wo es um logische Konstrukte geht. Wie Zahlen. 2+2=4, das ist gewiss wahr. Aber es spielt sich in Gedanken ab. Die Mathematiker haben die Zahlen halt definiiert, dass sie ihne Toleranz seien. Nützllich, sehr nützliich, in der Realität aber nicht zu finden.

Aussagen über die Wirklichkeit sind nur so genau wie die Meßgeräte. Und jedes steht in Wechselwirkung mit der Umwelt und kann daher nicht absolut genau anzeigen, sondern zeigt immer fehlerhaft an.

Zitat:

Den Begriff "Gewissheit" sollte man nicht aufgeben, wenn man zwischen unterschiedlichen Graden der Wahrscheinlichkeit unterscheiden will, mit der man mit einer Enttäuschung der eigenen Erwartungen rechnet.


Einverstanden, auch das ist nützlich.

Zitat:

Der Grad an Gewissheit, mit dem ich etwas für wahr halte, ist für mein Handeln von allergrößter Bedeutung.

Logo. Eigentlich könnte es nichts Wichtigeres für ein wahrnehmende, denkende, handelnde und lernendes Wesen sein, als ein Maß zu haben, wie sehr es seinen Fähigkeiten vertraut.

Diese gewissheit darf aber nicht von der Wahrheit getrennt werden, denn wer eine unwahre Information mit höchster gewissheit für wahr hält, der wird falsch entscheiden.

Ciao
Wolfgang

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- Hermeneuticus am 30. Sept. 2004, 16:46 Uhr

Hallo Wolfgang,

Du schreibst:


Zitat:

Aber es spielt sich in Gedanken ab. Die Mathematiker haben die Zahlen halt definiiert, dass sie ihne Toleranz seien. Nützllich, sehr nützliich, in der Realität aber nicht zu finden.


Da hätte ich gern gewusst, wie etwas, das keine Realität hat, in der Realität "nützlich, sehr nützlich" sein kann. Gedanken, Zahlen, die (zweckmäßigen, also nützlichen) Handlungen des Rechnens, Zählens, Messens... wo siedelst Du diese Sachen an? Gibt es neben der realen Realität noch eine irreale für Gedanken und Zwecke? In der traditionellen Metaphysik "gab es" neben der Realität noch den "Schein", der das wahre Sein bloß vorspiegelte oder abbildete. Aber ich nehme an, so eine Gespensterwelt wird Dir nicht behagen. Wo bringst Du also Gedanken, Handlungen, Zwecke - letztlich: uns, als denkende Wesen - unter? Wo befindest Du Dich gerade, wenn Du sagst, Gedanken und Zahlen seien in der Realität nicht zu finden?


Zitat:

Aussagen über die Wirklichkeit sind nur so genau wie die Meßgeräte. Und jedes steht in Wechselwirkung mit der Umwelt und kann daher nicht absolut genau anzeigen, sondern zeigt immer fehlerhaft an.


Hier hätte ich gern gewusst, was denn "absolut genau" wäre?

Dein Gedankengang müsste Dich, konsequent zuende gebracht, zu der Einsicht führen, dass es unsinnig ist, eine fertige, von unserem Denken/Wahrnehmen unabhängige Realität anzunehmen, der wir uns immer nur graduell "nähern" können. Denn wenn man nur "absolut genau" messen könnte, nachdem man besagte "Wechselwirkungen" beseitigt hätte, würde man sich wieder einmal außerhalb der Wirklichkeit befinden; schließlich gehören "Wechselwirkungen" zur Wirklichkeit selbst. Kommt man der Wirklichkeit nur näher, wenn man die Wirklichkeit partiell ausschaltet? Und was würde man dann messen?

Deine Gedankengänge über das Verhältnis von Realität und Erkenntnis lösen die Realität immer wieder in eine Gespensterwelt auf.

Gruß
H.

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- Wolfgang_Horn am 30. Sept. 2004, 17:00 Uhr

Hi, Hermeneuticus,


Zitat:

Da hätte ich gern gewusst, wie etwas, das keine Realität hat, in der Realität "nützlich, sehr nützlich" sein kann.


Darin ist ein Widerspruch, ganz klar.
Er liegt in der Vorstellung und Formulierung von "etwas".
Dahinter ist die Vorstellung, dieses "etwas" müsse ein Ding sein zum Anfassen.

Das ist der Fehler.
Der läßt sich so auflösen: Unser Gehirn ist fähig, in seinem Gewebe Ionen zu bewegen und so elektrische Potentiale zu erzeugen, die Informationen transportieren können.

Diese Informationen selbst sind nicht materiell, aber das Gehirn kann sie "lesen".

Diesen Nutzen schafft sich unser materielles Gehirn selbst. Mit seiner Materie. Indem es auf bestimmte Art und Weise denkt - diese Art und Weise schafft den Nutzen.

Für nähere Informationen bitte googeln unter "Form", "Information", "Nachrichtentechnik", "Nachrichtenverarbeitung".

Ciao
Wolfgang

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- Eberhard am 02. Okt. 2004, 16:13 Uhr

Hallo allerseits,

eine Aussage ist wahr, wenn es so ist, wie die Aussage besagt. Damit habe ich vorausgesetzt, dass unter einer "Aussage" ein Satz verstanden wird, der beinhaltet, "wie es ist".

Für das "es" kann man auch einsetzen kann: "die Welt" oder "die Wirklichkeit", so dass sich als Bestimmung von "wahr" ergibt:

Eine Aussage ist wahr, wenn die Wirklichkeit so ist, wie die Aussage besagt.

Insofern die Geltung dieser Definition unabhängig von bestimmten Subjekten und bestimmten Zeitpunkten ist, kann man auch explizit formulieren:

Eine Aussage ist für jedermann und zu jeder Zeit wahr, wenn die Wirklichkeit für jedermann und zu jederzeit so ist, wie die Aussage besagt.

Wenn etwas "wahr" ist, dann ist es nicht nur wahr für mich sondern wahr für alle und dann ist es nicht nur jetzt wahr sondern immer.

Ich kann natürlich niemanden hindern, diese Definition von "wahr" abzulehnen und das Wort anders zu gebrauchen.

Es könnte z. B. jemand die Intersubjektivität (oder Transpersonalität) im Begriff "wahr" ablehnen und sagen: "Für mich ist eine Aussage wahr, wenn für mich die Wirklichkeit so ist, wie die Aussage besagt."

Wenn man jedoch in dieser Weise eine subjektive Wahrheit zulässt, dann gibt es so viele unterschiedliche "Wahrheiten", wie es Subjekte gibt. Und was für den einen wahr ist, muss nicht auch für den andern wahr sein.

Der Effekt wäre, dass es ziemlich uninteressant ist, ob jemand eine Aussage in diesem Sinne als wahr kennzeichnet oder nicht, da daraus nichts folgt hinsichtlich der Wahrheit dieser Aussage für irgendein anderes Subjekt.

Ähnlich ist es, wenn jemand die zeitunabhängige Geltung im Begriff "wahr" ablehnt und sagt: "Eine Aussage ist jetzt wahr, wenn es jetzt so ist, wie die Aussage besagt." Wenn man in dieser Weise den intertemporalen Geltungsanspruch aus dem Wort "wahr" entfernt wird, dann gibt es zu jedem Zeitpunkt eine neue Wahrheit. Und was heute wahr ist, muss es morgen nicht sein.  

Der Effekt wäre, dass es ziemlich uninteressant ist, ob jemand eine Aussage in diesem Sinne als wahr kennzeichnet oder nicht, weil daraus nichts folgt hinsichtlich der Wahrheit dieser Aussage zu irgendeinem anderen Zeitpunkt.

Es ist jemand also unbenommen, das Wort "wahr" anders zu definieren als ich es getan habe, aber er kann den in dem Wort "wahr" unausgesprochen enthaltenen intersubjektiven und intertemporalen Geltungsanspruch nicht entfernen, ohne zugleich das aufzulösen, was die Auszeichnung einer Aussage als "wahr" so wichtig und begehrt macht.  

Es grüßt Euch Eberhard.

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- Wolfgang_Horn am 02. Okt. 2004, 14:23 Uhr

Hi, Eberhard,

schwer, diese Aussagen über Wahrheit mit den Begriffen und Vorstellungen machen zu wollen, die schon vor den Naturwissenschaften geprägt wurden, nicht wahr?

Aus heutiger mache ich mir das einfacher und schlage das zur Nachahmung vor:
kein "wahr", sondern Kennzeichnung einer Information in

· "belegt",

· "von ernsthaften Könnern bezweifelt",

· "falsch" (z. B. wegen eines Rechenfehlers.)

· "ungeprüft". keine Aussage.

Außerdem - der große Aufschwung der Naturwissenschaften aus den Sümpfen der Alchimie heraus beruht wesentlich auf der Regel ds Wilhelm von Ocklham, der den Streit um die "Wahrheit" ablöste durch den Disput, welche von zwei Thesen als eher wahr gelten möge (bis neue Informationen vielleicht zum Neuüberdenken veranlassen.)

Ciao
Wolfgang

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- Eberhard am 02. Okt. 2004, 22:56 Uhr

Hallo Wolfgang, "belegte Information" klingt moderner als "wahre Aussage", aber ist es besser?

Frage an Dich: Was ist denn ein "Beleg" für eine Information? Hervorragende Belege für die eigenen Überzeugungen sind für manche Leute z. B. Zitate von Aristoteles oder besser noch aus der Bibel.

Und warum sollen die christlichen Märtyrer kein Beleg für die christliche Religion sein?

fragt Dich Eberhard.

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- Wolfgang_Horn am 03. Okt. 2004, 00:58 Uhr

Hi, Eberhard,


Zitat:

" belegte Information" klingt moderner als "wahre Aussage", aber ist es besser?


Zweckmäßiger, wenn man auf den gefundenen Ergebnissen nicht ausruhen will, sondern weitermachen. Wenn man keine Besiegten am Boden zerstört zurücklassen will, sondern mit den besten Köpfen weitermachen will. "Wahrheit" - dieser Begriff hat, zumindest in meinen Ohren, den Klang von Allgemeingültigkeit, Ewigkeit und Absolutheit.

Aber so gut wie alle nützlichen Erkenntnisse der Physik seit Aristoteles wurden verfeinert. Galileis Fallgesetze gelten auch heute noch - mit Ausnahme äußerst hoher Geschwindigkeiten. Da hat Einstein etwas korrigiert.

Wer angesichts dieser jahrtausendealten Erfahrungen meint, gerade das von ihm gefundene Naturgesetz sei allgemeingültig, ewig und absolut, also nicht mehr verbesserbar, der demonstriert damit eine Überheblichkeit und Eingebildetheit, die ihn als Naturwissenschaftler disqualifiziert.

Der Begriff "belegt" ist da sehr viel bescheidener. Denn diese Eigenschaft für eine Information gilt nur vorläufig. Nur solange, bis ein ernsthafter Naturwissenschaftler Einspruch erhebt.


Zitat:

Frage an Dich: Was ist denn ein "Beleg" für eine Information?


Das zum wiederholten Male erfolgreich durchgeführte naturwissenschaftliche Experiment.


Zitat:

Hervorragende Belege für die eigenen Überzeugungen sind für manche Leute z. B. Zitate von Aristoteles oder besser noch aus der Bibel.


Für unmündige Personen vielleicht.
Die Worte weiser Personen sind wichtige Indizien.
Aber Mündige denken selbst. Vielleicht zitieren sie lieber Aristoteles, statt selbst 100 Zeilen zu schreiben.


Zitat:

Und warum sollen die christlichen Märtyrer kein Beleg für die christliche Religion sein?


Unter anderen, weil, wenn wir diesen Gedanken weiterspinnen und die Frage "Allah, JHW oder Gott" an der Anzahl der Märtyrer entscheiden wollten, dann müßte selbst der Papst in Rom auf die Knie fallen, sein Haupt gen Mekka beugen und beten "Allah akbar, und Mohammed ist sein Prophet, sein einziger Prophet".

Deshalb sollte sich das Christentum in der Ära Bush tunlichst von allen Vergleichsmaßstäben fernhalten, nach denen es nur verlieren kann.

Ein Märtyrertod, wie Jesus Christus ihn sehenden Auges gestorben ist, er hat mit seinem Ritt auf dem Esel durch das Stadttor die Legende erweckt, hat sich als Messias verhalten, glaubte wohl auch selbst daran, weil solch ein Märtyrertod deutlich zeigt, wie sehr diese Person an ihren Glauben glaubt.

Nur mit einiger Distanz erkennen wir, dass Glaube die Denkweise ist, eine unbelegte Information für über alle Zweifel wahr halten zu wollen.
Insofern wird der Märtyrertod auch zum schlimmsten Zeugnis für einen fatalen, tödlichen Denkfehler und die Unfähigkeit zur Selbstkritik.

Ciao
Wolfgang

P.S. Wozu eigentlich suchen Personen die absolute Wahrheit?
Warum können sie nicht zufrieden sein mit der besten bisherigen Erkenntnis?

Ich vermute, aus Unsicherheit gegenüber ihren eigenen Fähigkeiten der Wahrnehmung, des Erkennens, welcher der verfügbaren Ziele zum Weg besser ist als andere.

Vielleicht vergleichbar mit den Personen A und B auf der fremden Insel.
A hat eine Karte. B keine, aber die Fähigkeit, sich selbst eine zu zeichnen. gewiss nicht exakt, aber hinreichend genau, Quelle, Schlafhöhle und Futterplätze wieder zu findne.

Wie verhalten sich A und B? A muss der Karte vertrauen, B dagegen hat den falsch eingezeichneten Berg auf der Karte schon korrigiert.

Es muss doch einen Grund geben für den Denkfehler, eine unbelegte Information für über alle Zweifel wahr halten zu wollen.

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- der_thomas am 03. Okt. 2004, 03:01 Uhr

addendum:

Zitat:

P.S. Wozu eigentlich suchen Personen die absolute Wahrheit?

was ist eine absolute wahrheit?
wenn ich an meinem pc sitze, so ist der satz "ich sitze an meinem pc" ein wahrer satz. was wäre denn ein absolut wahrer satz? ich verstehe nicht, wie man wahrheit noch steigern könnte. ich denke, dass die suche nach "absolutheit" einen denkfehler beinhaltet.

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- Wolfgang_Horn am 03. Okt. 2004, 06:53 Uhr

Hi, thomas,

Zitat:

was ist eine absolute wahrheit?

Die erkennen wir erst im Vergleich, relativ, zur relativen Wahrheit.

Vorbemerkung: Beide Begriffe "absolute-" und "relative Wahrheit" habe ich nicht von irgendjemand anders, den könnte, den müßte es gegeben haben, sondern ich habe sie selbst gewählt. "Von zwei Thesen, die dasselbe Phänomen hinreichend erklären, möge diejenige als eher wahr gelten, die mit weniger Unbekannten auskommt oder bei gleicher Anzahl Unbekannter schlichter ist." (Wilhelm von Ockham, um 1300-1349)

Mit dieser Regel beendete von Ockham die end- und fruchtlose Streiterei der tiefgläubigen Scholasten, wer von ihnen im Besitz der Wahrheit sei und wer sich irre.

Diese verbalen Glaubenskriege hinterlassen entweder Tote oder die Mönche werden inkonsequent und brechen ihren Disput vorher ab.
Solche Abbrüche hinterlassen dann immer einen, der in Gedanken murmelt: "Aber ich hatte doch Recht!"

Diesen verbalen Glaubenskrieg nenne ich den Streit um die "absolute Wahrheit", weil, wer meint, sie zu habn, keine Abstriche machen und keine Kompromisse eingehen kann.
Und weil die Entscheidung, die man getroffen hat, so gefällt wird, als sei sie in Ewigkeit gültig.

Nach der Regel von Ockhams dann entscheiden die Diskutanden dann nicht mehr, wer "absolut" recht hat, sondern nur, welche Variante einer Erklärung als "eher wahr" zu gelten habe - bis neue Erkenntnisse auf dem Tisch liegen.

Ich meine, wer von "eher wahr" spricht, der hat eine "relative Wahrheit" im Sinn.

Frage beantwortet?

Im Beruf könnte die Befolgung von Ochkams Regel manchen Konflikt entschärfen - wäre dieser der tatsächliche Konflikt und nicht, wie fast immer, nur ein Stellvertreterkonflikt.
(Manager intrigieren und streiten, wem welcher Parkplatz zusteht. Dieser Streit aber ist nur ein Stellvertreterkonflikt um die Rangordnung. Und letztlich geht's um die Frage, wer seine "richtige" Meinung durchsetzen und als Vorstandsvorsitzender in Betracht kommt.)

Ciao
Wolfgang Horn

-
- Eberhard am 03. Okt. 2004, 11:04 Uhr

Hallo Wolfgang,

Deine Argumente für eine Ersetzung des Begriffs "wahr" durch den Begriff "belegt" haben mich nicht überzeugt. Hier meine Begründung dafür.

Für Dich ist "belegt" gleichbedeutend mit "belegt durch mehrfach erfolgreich durchgeführtes  naturwissenschaftliches Experiment".

Damit kann sich "belegt" nur auf so genannte "Naturgesetze" oder – wie ich es nennen würde – auf empirische Regelmäßigkeiten beziehen.

Für die Sätze, die die Durchführung und das Resultat des Experimentes beschreiben, benutzt  Du weiterhin den Begriff "wahr".

Empirische Regelmäßigkeiten (" Immer wenn die Bedingungen a, b und c gegeben sind, dann tritt x ein" ) beziehen sich auch auf zukünftige Ereignisse. Da wir die über die Zukunft nichts wissen sondern nur Vermutungen anstellen können, sind Aussagen über empirische Regelmäßigkeiten notwendigerweise hypothetisch und zukünftig falsifizierbar (oder "verbesserbar" wie Du sagst).

Allerdings ist Deine Definition von "belegt" auch für Naturwissenschaftler problematisch, denn dann wären z. B. die geologischen Theorien über die Kontinentaldrift oder die astronomische Theorien über die Entstehung und das Vergehen von Sonnen oder die meteorologischen Theorien über die Entstehung von Gewitterfronten nicht "belegt" in Deinem Sinne, da sie nicht auf Experimenten beruhen sondern auf systematischer Beobachtung.

Außerdem liegt natürlich die Frage nahe, warum denn Experimente Belege für die Geltung von Aussagen sein können. Wenn man dieser Frage nachgeht, dann kommt man schnell dazu, dass der Grund für die Überzeugungskraft des Experiments gerade darin liegt, dass es im Prinzip für jedermann jederzeit nachvollziehbar und überprüfbar ist. Das ist die "Intersubjektivität" und "Intertemporalität", die in meiner Definition von "wahr" enthalten ist: "Wiederhole das Experiment und überzeuge Dich selbst davon, dass das behauptete Resultat eingetreten ist!"

Offenbar traust Du Deinem eigenen Vorschlag selber nicht recht. Sonst hättest Du auf meine Frage, warum die Märtyrer kein Beleg für die christliche Lehre sind, geantwortet: "Weil das keine Experimente sind". Stattdessen argumentierst Du zu Recht, dass derartige Kriterien untauglich sind, weil damit widersprüchlichen Aussagen Geltung zugesprochen würde (was gemäß der Bedeutung von "wahr" unzulässig ist).

Ich sehe auch nicht dass sich die von Dir angeführten Probleme mit Notwendigkeit aus dem von mir definierten Begriff "wahr" ergeben.

Wenn ich sage: "Die Aussage p ist wahr", dann beanspruche ich zwar für diesen Satz eine Geltung, die unabhängig von Personen und Zeitpunkten ist. Ich schließe jedoch damit keineswegs aus, dass ich meine Überzeugung nicht zukünftig im Lichte neuer Erfahrungen und Argumente korrigiere. "Etwas für wahr halten" ist ja nicht bedeutungsgleich mit "Etwas unumstößlich bzw, unwiderruflich für wahr halten". Mein Wahrheitsbegriff ist ohne weiteres vereinbar mit der Offenheit für neue Argumente und mit einer Korrigierbarkeit meines Weltbildes.

Ich habe außerdem nicht nur die zwei Möglichkeiten, eine Aussage für wahr zu halten oder sie für falsch zu halten. Entsprechend der Schlüssigkeit der verfügbaren Begründung kann ich eine Aussage mit unterschiedlichen Graden an Gewissheit für wahr halten. Man sagt deshalb: "Ich bin mir sicher, dass dies wahr ist", "Ich nehme mit großer Wahrscheinlichkeit an, dass dies wahr ist", "Ich vermute, das dies wahr ist" oder "Ich kann nur raten, was wahr ist".

Wenn in einer Diskussion aufgrund überzeugender Argumente eine bestimmte Aussage als falsch zurückgewiesen wird, so bleiben vielleicht Irrtümer zurück aber nicht "am Boden zerstörte Besiegte" sondern Menschen, die etwas dazu gelernt haben

meint Eberhard.

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- Wolfgang_Horn am 03. Okt. 2004, 10:41 Uhr

Hi, Eberhard,


Zitat:

Deine Argumente für eine Ersetzung des Begriffs "wahr" durch den Begriff "belegt" haben mich nicht überzeugt.


Sie widersprechen Deiner Absicht, das Unbeweisbare als bewiesen glaubhaft erklären zu können, nicht wahr?

Aber ich bin ziemlich sicher, dass diese Absicht mit Nichts auf der Welt zu verwirklichen ist.

Ich lese gern Deinen Vorschlag, wie man Behauptungen beweisen kann, die sich letzlich durch das physikalische Experiment nicht beweisen lassen.


Zitat:

...., sind Aussagen über empirische Regelmäßigkeiten notwendigerweise hypothetisch und zukünftig falsifizierbar


Jede Prognose über ein zukünftiges Geschehen beruht auf Vereinbarungen, unter welchen Voraussetzungen sie gelten sollen.
Die Prognosen über die Kontinentaldrift auf der Voraussetzung, dass die Erde unbeschädigt bleibt von größerenen Kleinplanetoiden und schwereren Himmelskörpern. dass sie weiter abkühlt und der Abkühlungsprozeß das Magma bewegt wie derselbe Prozeß das Wasser im kochenden Topf.

Denn so sehr wir die Eigenschaften der Materie nachgewiesen haben, so fundiert die Prognosen auf Basis unserer geothermischen Modelle. Klar, dass die Aussagen unsichere Prognosen sind.
Zitat:

Offenbar traust Du Deinem eigenen Vorschlag selber nicht recht. Sonst hättest Du auf meine Frage, warum die Märtyrer kein Beleg für die christliche Lehre sind, geantwortet...


Nö. Ich habe nur das schlagendere Argument gewählt, das mit "mehr Pfeffer".

Ich sehe auch nicht dass sich die von Dir angeführten Probleme mit Notwendigkeit aus dem von mir definierten Begriff "wahr" ergeben.


Zitat:

" Etwas für wahr halten" ist ja nicht bedeutungsgleich mit "Etwas unumstößlich bzw, unwiderruflich für wahr halten".


O.k., dann benutzen wir diesen Begriff mit unterschiedlicher Strenge.


Zitat:

Ich habe außerdem nicht nur die zwei Möglichkeiten, eine Aussage für wahr zu halten oder sie für falsch zu halten.


O.k., darin unterscheidest Du Dich deutlich von den Scholastikern, die mit ihrer Gläubigkeit das nicht konnten.

Ciao
Wolfgang

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- Hermeneuticus am 03. Okt. 2004, 15:37 Uhr

Hallo Eberhard!

Bevor ich auf das Abbild-Problem in Deinen Beiträgen eingehe, hier ein kleiner Einspruch. Du schreibst:


Zitat:

Eine Aussage ist wahr, wenn die Wirklichkeit so ist, wie die Aussage besagt.
Insofern die Geltung dieser Definition unabhängig von bestimmten Subjekten und bestimmten Zeitpunkten ist, kann man auch explizit formulieren:
Eine Aussage ist für jedermann und zu jeder Zeit wahr, wenn die Wirklichkeit für jedermann und zu jederzeit so ist, wie die Aussage besagt.
Wenn etwas "wahr" ist, dann ist es nicht nur wahr für mich sondern wahr für alle und dann ist es nicht nur jetzt wahr sondern immer.


Hier setzt Du die strengen Normen für die Geltung wissenschaftlicher Aussagen gleich mit Wahrheit überhaupt: Nur wenn JEDER und zu JEDER ZEIT eine Aussage für "wahr" hält, verdient sie dieses Prädikat mit Recht. Das leuchtet mir nicht ein.

Wenn die Wahrheit einer Aussage davon abhängt, ob die Wirklichkeit so ist, wie sie behauptet, dann folgt aus diesem Kriterium nicht, dass diese Aussage JEDERZEIT zutreffen muss und schon gar nicht, dass JEDER sie (jederzeit) für wahr halten können muss.
Ob etwas so ist, wie eine Aussage behauptet, hängt nicht davon ab, ob alle dies auch wissen und für wahr halten (könnten). Oder anders gesagt: Die allgemeine Überprüfbarkeit mag zwar ein Kriterium für die GELTUNG (und Gewissheit) einer Behauptung sein, aber sie kann kein Kriterium für ihr sachliches Zutreffen sein.

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Ich gebe nun ein Beispiel, das mir erkenntnistheoretisch aufschlussreich zu sein scheint, und überlasse es Dir, Deine Wahrheitstheorie darauf anzuwenden. :-)

Im östlichen Denken gibt es eine universale, geistig-körperliche "Energie", die von den Japanern "ki" genannt wird (von chines. "chi" ). Dieses "ki" kommt z. B. in "Aikido" vor, dem Namen für eine bekannte Kampfsportart. Wörtlich bedeutet Ai-ki-do ungefähr "Weg des harmonischen ki" oder "Kunst des Einklangs mit ki" (do = Weg, Kunst; ai = Harmonie; ki = Weltenergie).
Man ist geneigt, dieses ki für eine folgenlose metaphysische Spinnerei zu halten, ebenso die Behauptung, dass der Bauch ihr Wirkungszentrum im menschlichen Körper sei (genauer: die Region unterhalb des Bauchnabels, "kikei tanden" ). Für Anhänger des Zen ist ja bekanntlich der (Unter-)Bauch (" hara" ) auch das GEISTIGE Zentrum des Menschen. Aber nun können "Meister" der östlichen Kampfsportarten (aber auch in der Zen-Meditation Geübte) die physische Wirkung von ki demonstrieren.

Ich habe solche Demonstrationen mehrmals selbst erlebt. Eine zierliche, ältere Dame - sie war übrigens eine italienische Nonne - stellte sich entspannt vor uns, den Teilnehmern an ihren Zen-Meditationskursen, auf. Wir sollten unsere Faust auf ihren Unterbauch setzen und versuchen, sie umzudrücken. Nun, die Männer und Frauen, die das daraufhin versuchten, hätten genauso gut versuchen können, eine Wand einzudrücken: Sie stemmten sich mit aller Kraft hinein, ihre Köpfe liefen rot an, ihre Füße rutschten auf der Erde weg... - die kleine Nonne stand da wie ein Fels und lächelte dabei ganz entspannt. Sie strengte sich ganz offensichtlich überhaupt nicht an.  

Bei einer anderen Probe bildete sie mit Daumen und Zeigefinger einen Ring. Sie presste sie nicht zusammen, sondern legte sie nur leicht und entspannt aufeinander. Wir sollten nun versuchen, den Ring ihrer Finger zu sprengen. Die Resultate waren ähnlich.
Nur einmal gelang es einem Teilnehmer. Das aber nur, weil er jetzt selbst "im Bauch versammelt" war, wie die Dame meinte. Davon konnten sich dann sofort die anderen Kursteilnehmer physisch überzeugen...

Da ich das selbst mehrmals erlebt habe, nicht unter Drogen stand und auch nicht allein war, sind für mich "ki" und "hara" keine Spinnerei, sondern "es ist etwas dran", und zwar jenseits aller Zweifel. Aber es gibt ja auch viele Berichte über die östlichen Kampfsportler oder Zen-Meister und ihre "Kräfte", die mit den Theorien westlicher Wissenschaften nicht zu erklären sind.
Wie steht es hier mit der Wahrheit?

Gruß

H.

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- Eberhard am 03. Okt. 2004, 16:13 Uhr


Hallo Wolfgang,

Du beziehst Dich auf meine "Absicht, das Unbeweisbare als bewiesen glaubhaft erklären zu können". Da weißt Du mehr über mich als ich selber. Woran hast Du eine derartige Absicht bei mir erkannt?

Du möchtest außerdem von mir wissen, "wie man Behauptungen beweisen kann, die sich letztlich durch das physikalische Experiment nicht beweisen lassen."

Nehmen wir die wohl unstrittige Behauptung: "Das Wort 'ego' bedeutet im Lateinischen 'ich'". Lässt sich dies durch physikalisches Experiment beweisen?

fragt Eberhard.

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- der_thomas am 03. Okt. 2004, 16:20 Uhr

hi wolfgang,

was wäre denn ein beispiel für einen relativ wahren satz?

- mfg thomas

-
- Wolfgang_Horn am 03. Okt. 2004, 19:55 Uhr

Hi, Eberhard,

Zitat:

...das Unbeweisbare...Woran hast Du eine derartige Absicht bei mir erkannt?

Weil unter dieser Absicht viele Deiner Meinungen einen Sinn machen, den sie sonst nicht hätten.

Zitat:

Nehmen wir die wohl unstrittige Behauptung: "Das Wort 'ego' bedeutet im Lateinischen 'ich'". Lässt sich dies durch physikalisches Experiment beweisen?

Kaum. Denn ob wir Menschen ein "X" nun "A" nennen oder "B", das macht physikalisch keinen großen Unterschied.

Nachweisen können wir Objekte, ihre Fähigkeiten, ihr Verhalten.

Ciao
Wolfgang

-
- Eberhard am 03. Okt. 2004, 21:32 Uhr

Hallo Hermeneuticus,

ich hatte geschrieben: "Eine Aussage ist wahr, wenn die Wirklichkeit so ist, wie die Aussage besagt. … Wenn etwas 'wahr' ist, dann ist es nicht nur wahr für mich sondern wahr für alle und dann ist es nicht nur jetzt wahr sondern immer."
Dazu ein Beispiel. Nehmen wir die Aussage: "Der zweite Kanzler der Bundesrepublik Deutschland hieß Ludwig Erhard." Wenn es so ist, wie diese Aussage besagt, wenn die Aussage also wahr ist, so ist Ludwig Erhard nicht nur für mich der zweite Kanzler gewesen sondern für jeden, und dann gilt diese Aussage nicht nur heute sondern auch morgen.

Dass bedeutet nichts anderes als dass sich unsere Aussagen auf eine gemeinsame und dauerhafte Welt beziehen.

Wenn also A sagt: "Der zweite Kanzler der Bundesrepublik Deutschland hieß Ludwig Erhard" und B sagt: "Der zweite Kanzler der Bundesrepublik hieß Kurt Georg Kiesinger" so muss mindestens eine der beiden Aussagen falsch sein.

Und wenn A gestern gesagt hat: "Der zweite Kanzler der Bundesrepublik Deutschland hieß Ludwig Erhard" und wenn A heute sagt: "Der zweite Kanzler der Bundesrepublik Deutschland hieß Kurt Georg Kiesinger", so widersprechen sich beide Aussagen und mindestens eine der Aussagen muss falsch sein.

Mehr bedeutet die von Dir zitierte Passage nicht. Von den Kriterien der Wahrheit oder von der Erkenntnis der Wahrheit ist in dieser Textpassage noch gar keine Rede.

Offenbar ist die Formulierung "wahr für mich" missverstanden worden.

Wenn ich sage: "Die Aussage p ist wahr für mich" so soll das bedeuten: "Die Aussage p beansprucht Geltung auch für mich".

Du hast den Satz "Aussage p ist wahr für mich" offenbar so verstanden als würde er bedeuten "Ich halte die Aussage p für wahr".

Dann wäre mein Gedankengang allerdings fehlerhaft. Ich denke, dies Missverständnis konnte problemlos aufgeklärt werden.

Zu den Demonstrationen einer im Menschen wirksamen Energie, genannt 'ki' oder 'chi', kann ich nur sagen, dass selbstverständlich jederzeit Phänomene auftauchen können, die mit unserm bisherigen Weltbild nicht erklärt werden können oder sogar unvereinbar sind. Hier eine Klärung herbeizuführen, halte ich für besonders wichtig.

In diesem Fall könnte ich mir eine Erforschung dieser Phänomene so vorstellen, dass die angewandten Kräfte gemessen werden und z. B. der Versuch gemacht wird, ob ein Roboter, der so stark ist wie ein Mensch, ebenfalls keinen Erfolg beim Wegdrücken der Frau hat. Dies würde klären, ob hypnotische Beeinflussung eine Rolle spielt.

Es grüßt Dich Eberhard.

-
- Eberhard am 05. Okt. 2004, 17:09 Uhr

Hallo allerseits,

kommen wir von den Personen zurück zur Sache. Ich sehe da keinen Grund, auf die Auszeichnung von faktischen Aussagen als "wahr" zu verzichten. Bei den Aussagen über einzelne raum-zeitlich bestimmte Sachverhalte (" Der Münchener Hauptbahnhof ist ein Kopfbahnhof" ) ist dies wohl unbestritten. Und bei den Aussagen über empirische Zusammenhänge oder Regelmäßigkeiten (" Babys schreien, wenn sie Bauchschmerzen haben" ), sollte man sich darüber klar sein, dass es sich um hypothetische Aussagen handelt, die durch zukünftige Erfahrungen falsifiziert und eingeschränkt werden können.

Wer auf das Wörtchen "wahr" (bzw. ein entsprechendes Ersatzwort) verzichten will, der muss sich darüber klar sein, dass er damit auch auf das Wörtchen "falsch" verzichten muss. Denn wenn der Satz "Der Münchener Hauptbahnhof ist ein Kopfbahnhof" falsch ist, dann muss dessen Verneinung "Der Münchener Hauptbahnhof ist kein Kopfbahnhof" wahr sein.

Wer auf das Wörtchen "wahr" (bzw. ein entsprechendes Ersatzwort) verzichten will, der muss sich außerdem darüber klar sein, dass er damit auch auf logisch-deduktives Schließen und Argumentieren verzichten muss, denn dies setzt die Auszeichnung der Sätze als "wahr" oder "falsch" voraus. Wenn jemand die zwei Aussagen: "Baby A hat jetzt Bauchschmerzen" und "Baby A schreit jetzt nicht" für "belegt" (oder "relativ wahr" ) hält, ist damit die Aussage "Babys schreien, wenn sie Bauchschmerzen haben" "widerlegt" (bzw. "relativ falsch" )?  

Abschließend noch eine Bemerkung zum Kriterium der Wahrheit von faktischen Aussagen. Wenn die Behauptung einer Aussage als "wahr" den Anspruch auf allgemeine (also nicht subjekt- oder zeitbezogene) Geltung hat, dann sollte diese Aussage auch grundsätzlich allgemein einsichtig sein. Zu sagen: "Meine Behauptung ist wahr – also übernimm sie" bleibt ein reiner Anspruch auf Glauben und Vertrauen, wenn es für diese Behauptung keine allgemein nachvollziehbaren und akzeptablen Gründe gibt.

Es grüßt Euch Eberhard.

-
- jacopo_belbo am 05. Okt. 2004, 17:53 Uhr

hallo eberhardt,

ich denke, dass man in betracht ziehen sollte, zu unterscheiden zwischen der logischen wahrheit (oder dem faktischen sachverhalt P) und dem sätzen der art »ich weiß, dass P der fall ist, weil Q«.
zu wissen, dass P wahr ist, und P für wahr halten weil Q sind zwei unabhängige sachverhalte.
ich möchte dies an deinem beispiel der deutschen bundeskanzler verdeutlichen.

gesetzt P={" ludwig erhardt ist der zweite deutsche bundeskanzler gewesen" }, so ist der satz wahr, wenn ludwig erhardt tatsächlich der zweite deutsche bundeskanzler gewesen ist. und dieser satz wird seine wahrheit auch stets behalten.

andererseits wird der satz P solange für gerechtfertigt angesehen, solange kein gegenbeweis zu P vorliegt. solange man keinen grund zu zweifeln an der wahrheit von P hat, wird P für wahr gehalten - was etwas anderes ist, als P ist wahr.  angenommen es stellt sich heraus, dass heinz erhardt der zweite deutsche bundeskanzler war, dann ist P falsch - aber es ist dennoch möglich, dass P -vielleicht irrtümlich- für wahr gehalten wird.

denkbar ist auch der fall, dass sich jemand für ludwig erhardt ausgegeben hat. dann ist der satz "ludwig erhardt ist der zweite deutsche bundeskanzler gewesen" zwar falsch, aber wir beziehen uns in unserer aussage auf den mann, der vorgab ludwig erhardt zu sein, und in diesem sinne ist unsere aussage wahr, denn er war der zweite deutsche bundeskanzler, obwohl es falsch ist, dass dieser mann ludwig erhardt war.

- mfg jacopo

-
- Wolfgang_Horn am 05. Okt. 2004, 18:51 Uhr

Hi, Eberhard,

Zitat:

..." wahr"..." falsch"...logisch-deduktives Schließen und Argumentieren verzichten muss

Eine scharfe Trennlinie zwischen "wahr" und "falsch" finden wir dort, wo wir selbst zuvor mit Begriffen abgrenzt haben.
Ein Kopfbahnhof ist....
Aber schauen wir genauer hin: Machen die durchlaufenden S-Bahnlinien im Untergeschoss den Münchner Bahnhof deshalb zum Durchgangsbahnhof?

In der Realität aber sind die Übergänge weniger krass. Wo hört das Blaublaugrün auf, wo fängt das Grünblaugrün an?

Ich selbst denke eher in Wahrscheinlichkeitsverteilungen. Nimm einfach ein Band zwischen den extremen Aussagen zum selben Sachverhalt. Von Grüngrüngrün über Grünblau bis Blaublaublau.

In einigen Fällen zwei intensive Farbtöne an den Enden - und dazwischen Weiß für "Nichts".
In anderen Fällen eine andere Abstufung.

Die Logik funktioniert dann immer noch, allerdings weniger mit Boolschen Variablen und Boolscher Algebra, sondern etwas mehr mit Fließkommavariablen und Multiplikation.

Zum zweiten Thema

Ich: "Sie widersprechen Deiner Absicht, das Unbeweisbare als bewiesen glaubhaft erklären zu können, nicht wahr?"

Du: "Woran hast Du eine derartige Absicht bei mir erkannt?"

An dieser Deiner Äußerungen: "Ich halte eine solche Beschränkung des Bereichs von Wahrheit bzw. Wissenschaft auf die Erkenntnis von empirischen oder gar "materiellen" Regelmäßigkeiten für zu eng."

Aber genau das ist beweisbar. Alles andere nicht.
Die Absicht, die Beschränkung des Bereiches von Wahrheit...  zu erweitern, ist der Versuch, das Unbeweisbare beweisbar zu machen.

Naturwissenschaft war und ist das beste Mittel zur Ausweitung des Bereiches des Beweisbaren, zur Erweiterung des Horizonts.
Aber nicht, indem man die Kriterien für "Wahrheit" aufweicht.

Ciao
Wolfgang

-
- hel am 05. Okt. 2004, 18:16 Uhr

Wolfgang Horn schrieb:


Zitat:

An dieser Deiner Äußerungen: "Ich halte eine solche Beschränkung des Bereichs von Wahrheit bzw. Wissenschaft auf die Erkenntnis von empirischen oder gar "materiellen" Regelmäßigkeiten für zu eng."

Aber genau das ist beweisbar. Alles andere nicht.
Die Absicht, die Beschränkung des Bereiches von Wahrheit...  zu erweitern, ist der Versuch, das Unbeweisbare beweisbar zu machen.



Genau umgekehrt wird ein Schuh daraus:
Nur im Bereich von Mathematik und Logik - soweit sie nicht den Anspruch haben, sich auf die Welt zu beziehen - kann ich eine strenge Beweisführung unternehmen. Die physikalischen Theorien sind vielleicht falsifizierbar. Beweisbar sind sie nicht.

Außerdem sind die Begriffe "wahr" und "falsch" auch dort sinnvoll, wo man nicht verifizieren kann.

Grüße,
hel

-
- Wolfgang_Horn am 05. Okt. 2004, 20:43 Uhr

Hi, hel,


Zitat:

Genau umgekehrt wird ein Schuh daraus:
Nur im Bereich von Mathematik und Logik - soweit sie nicht den Anspruch haben, sich auf die Welt zu beziehen - kann ich eine strenge Beweisführung unternehmen. Die physikalischen Theorien sind vielleicht falsifizierbar. Beweisbar sind sie nicht.


Zustimmung. In allen Punkten.

Gerade die Falsifizierbarkeit trennt die Spreu vom Weizen. Den Schwärmer vom Naturwissenschaftler.

Was nützen uns strenge Beweisführungen von Aussagen, die sich an der Realität nicht überprüfen lassen? Da ist die Gefahr einer geistigen Selbstbefriedigung nicht weit.

Ciao
Wolfgang

-
- Eberhard am 06. Okt. 2004, 19:14 Uhr

Hallo allerseits,
zu Deinem Beitrag, jacopo_belbo, habe ich Verständnisprobleme. Ich habe mich in dieser Diskussion nur auf die Wahrheit von Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit bezogen. Das heißt, es geht – bisher – allein um die "faktische (empirische, positive) Wahrheit".

Unter "logisch wahren" Aussagen verstehe ich im Unterschied dazu Sätze, die ausschließlich Definitionen beinhalten. Zum Beispiel ist der Satz "Dieser Schimmel ist weiß" aufgrund von Definition wahr, wenn das Wort "Schimmel" zuvor als "weißes Pferd" definiert wurde. Es handelt sich um eine Tautologie, die notwendig (logisch) wahr ist, sofern die entsprechende Definition vorausgesetzt wird.

Aber bleiben wir noch einmal bei der empirischen Wahrheit.

Zu klären ist hier einmal die Bedeutung des Wortes "wahr". Dazu wird die Frage gestellt: "Wozu wird das Wort 'wahr' gebraucht? Nach welchen Regeln wird das Wort 'wahr' verwendet?"

Meine Antwort hierauf ist: Das Wort 'wahr' wird verwendet, um mit dem Anspruch auf allgemeine (subjektunabhängige und zeitunabhängige) Geltung zu sagen, wie die Wirklichkeit (" die Welt" ) beschaffen ist. Wenn eine Aussage über die Welt wahr ist, dann ist sie für jeden wahr und jederzeit wahr. Das Wort "wahr" setzt also eine für Dich und mich über die Zeit hinweg identische Welt voraus.

Wenn z. B. die faktische Aussage: "Von Berlin nach Mailand gibt es jeden Morgen eine Flugverbindung" wahr (bzw. falsch) ist, dann gilt dies für jeden, auch für mich.

Die Gesamtheit der Aussagen, die ein Mensch für wahr hält, bilden sein inneres "Weltbild", ein vorgestelltes Modell der Wirklichkeit, das der betreffende Mensch seinem Denken und Handeln zugrunde legt.

Wenn jemand z. B. die Aussage "Von Berlin nach Mailand gibt es jeden Morgen eine Flugverbindung" für wahr hält, obwohl sie falsch ist, so kann es ihm passieren, dass er eine kurzfristig beschlossene Reise nach Mailand nicht  - wie erwartet – durchführen kann, weil sich herausstellt, dass Sonntags keine Maschine fliegt.

Wenn jemand eine wahre Aussage für falsch hält (bzw. eine falsche Aussage für wahr), dann entsprechen seine Wahrnehmungen nicht den Erwartungen, die er aufgrund seines Weltbildes hatte: sie werden "enttäuscht". Er erreicht sein Ziel nicht, er irrt.

Insofern derartige Enttäuschungen mit Nachteilen für die Betreffenden verbunden sind, hat man ein Interesse, Täuschungen und Irrtümer zu vermeiden und falsche Aussagen im eigenen Weltbild zu korrigieren.

Dass dies nicht immer der Fall sein muss, zeigt eine Anekdote über zwei Atomphysiker. Als der eine den andern besucht, sieht er zu seiner Verwunderung, dass sein Kollege ein Hufeisen über seine Haustür genagelt hat und fragt ihn: "Glaubst Du denn wirklich, dass Dir ein solcher Talisman Glück bringt?"

Sein Kollege antwortet: "Warum nicht? Wenn es wahr ist, bringt mir das Hufeisen Glück, und wenn es nicht wahr ist, dann schadet es auch nichts."

Logisch … oder … fragt Eberhard.

p.s. Zu den andern angesprochenen Punkten demnächst mehr.

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- Eberhard am 07. Okt. 2004, 10:06 Uhr

Hallo allerseits,

gibt es Aussagen über die Wirklichkeit, die mit unumstößlicher Sicherheit wahr sind, die man mit vollkommener Gewissheit als wahr behaupten kann?  

Wie wär's mit der Wettervorhersage: "Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, dann ändert sich das Wetter oder es bleibt wie es ist" ?

Dieser Satz ist wahr und kann nicht falsifiziert werden, da er mit jedem denkbaren Wetterverlauf vereinbar ist. Die "Erwartungen" an die Entwicklung des Wetters, die man auf Grund dieser Aussage hegt, können folglich nicht enttäuscht werden.

Der Trick an der Sache ist, dass es sich hier zwar der Form nach um eine Aussage über eine empirische Regelmäßigkeit handelt, dass diese Regelmäßigkeit jedoch keine ist, da die Aussage keinerlei faktische Information enthält. Sie ist mit jedem Verlauf der Dinge vereinbar und schließt nichts aus, und das kann man wohl nicht als "Regelmäßigkeit" bezeichnen.

Da ihr Informationsgehalt gleich Null ist, kann diese Aussage jedoch auch keine Frage beantworten. Wenn ich die entsprechende Frage stelle: "Bleibt das Wetter so wie es ist?" so ergibt sich aus unserer Wetterregel als Antwort: "Ja, es bleibt wie es ist, oder nein, es ändert sich."

Hier würde wohl jeder entgegen: "Das ist doch keine Antwort auf meine Frage. Ich wollte nicht alle möglichen Alternativen wissen, die eintreten können, sondern ich wollte wissen, welche der Alternativen eintreten wird."

Wie man sieht, ist die Gewissheit, die man gewonnen hat, mit  Informationsverlust teuer erkauft worden. Insofern sind "Wahrheit" und "Gewissheit" für sich genommen nicht unbedingt erstrebenswert. Was man anstrebt ist ja Wahrheit in Bezug auf die Beantwortung derjenigen Fragen, die einem wichtig sind. Und wichtig sind für einen selbst solche Fragen, deren Beantwortung den Weg zum Erreichen der eigenen Ziele aufweist.

Zum Schluss noch eine Anmerkung zu der Äußerung von hel: "Nur im Bereich von Mathematik und Logik - soweit sie nicht den Anspruch haben, sich auf die Welt zu beziehen - kann ich eine strenge Beweisführung unternehmen. Die physikalischen Theorien sind vielleicht falsifizierbar. Beweisbar sind sie nicht."

Auch in den "Realwissenschaften" gibt es Teilbereiche streng logischer Beweisführung. Ich meine damit den Bereich der "theoretischen Modellen" oder "Idealtypen", bei denen es sich um streng logisch aufgebaute Konstruktionen aus definierten Begriffen und bestimmten Annahmen über Regelmäßigkeiten handelt. Ein Beispiel hierfür sind die Modelle, die mit der Annahme arbeiten, dass sich Individuen "rational" (" Nutzen maximierend" ) verhalten. Die bekanntesten Beispiele sind wohl das Marktmodell der vollkommenen Konkurrenz und – mit andern Annahmen - die kybernetische Systemtheorie. Sicherlich gibt es auch in der theoretischen Physik derartige logisch-mathematisch konstruierte Modelle, bei denen der empirische Bezug erstmal offen bleibt.

Grüße an alle, denen es um Klarheit im Denken geht, von Eberhard.

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- jacopo_belbo am 07. Okt. 2004, 11:36 Uhr

hallo eberhardt,

es gibt zwei arten, sich mit aussagen zu beschäftigen. man kann sich mit den aussagen beschäftigen, die objektiv wahr sind. zum beispiel, ob wasser H2O ist.
daneben gibt es die sätze die von jemandem, oder zum beispiel einer gemeinschaft von sprechern für wahr angesehen werden.

ich denke mit meinem folgenden beispiel wird klar, auf was ich hinaus wollte:

gesetzt, wir besuchen eine volksgrupee, die -ähnlich wie wir- kontakt mit delphinen hat. innerhalb dieser volksgruppe wird, aufgrund einer anderen klassifikation (e.g. x "sieht aus wie ein fisch", also handelt es sich bei x um einen fisch) der tiere, ein delphin als fisch bezeichnet.

wir haben nun zwei objektive aussagen über "delphine". P={" delphine sind säugetiere" } und Q={" delphine sind fische" }. entweder gilt nun P, oder Q, oder beide stellen sich als falsch heraus, aber nicht sowohl P als auch Q.

aufgrund der verscheidenen klassifikation von delphinen besitzen beide aussagen -abhängig von der jeweiligen sprechergemeinschaft- gültigkeit. objektiv gesehen ist nur P wahr, weil der satz sich auf die klassifikation von "natürlichen arten" bezieht (fähig, zeugungsfähigen nachwuchs zu erzeugen). wären delphine fische, müßten sie in der lage sein mit anderen fischen zeugungsfähige nachkommen zu zeugen. dem ist nicht so, deshalb ~Q.

solange allerdings kein anderes klassifikationssystem in der von uns besuchten volksgruppe eingeführt wird, wird jeder sprecher dieser gruppe, berechtigt -durch die dort vorherrschende klassifikation- davon sprechen können, dass delphine fische sind. obwohl diese aussage objektiv gesehen falsch ist.

das macht zwar aus delphinen keine fische, aber sie dürfen berechtigter weise so genannt werden.

- mfg thomas

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- Eberhard am 07. Okt. 2004, 14:59 Uhr

Hallo Thomas,

auch wenn ich Dein Delphin-Beispiel nicht ganz nachvollziehen kann, stimme ich Dir darin zu, dass jemand (subjektiv) berechtigt sein kann, eine Aussage p als wahr zu behaupten, obwohl sie (" objektiv" gesehen) falsch ist.

Zum Beispiel war Columbus nach seinem damaligen Wissensstand berechtigt, die von ihm entdeckten Landmassen als "West-Indien" zu bezeichnen, denn zu diesem Zeitpunkt war von der Existenz der "neuen Welt" des amerikanischen Doppelkontinents noch nirgends die Rede.

Bei der Frage nach der Rechtfertigung einer Handlung – hier des Behauptens – muss man prinzipiell unterscheiden zwischen der subjektiven Rechtfertigung dieser Handlung (relativ gesehen zu dem Wissen, das dem Handelnden zur Verfügung stand) und der Beurteilung der Handlung nach dem heutigen Wissensstand.

Es grüßt Dich Eberhard.

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- jacopo_belbo am 07. Okt. 2004, 16:33 Uhr

hallo eberhard,

reduziert man mein beispiel auf folgendes, dürfte klar sein, was ich meinte: wir haben einen sachverhalt, der in zwei verschiedenen weisen interpretiert werden kann. beide interpretationen sind als solche gleichberechtigt. und sprecher beider gruppen können für ihre interpretation geltung beanspruchen - wenn auch in dem sinne keine objektive wahrheit.

interessant ist die frage, von welchen sätzen wir behaupten können, sie entsprechen einer objektiven wirklichkeit und welche lediglich subjektive geltung besitzen.

- mfg thomas

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- Eberhard am 07. Okt. 2004, 22:07 Uhr

Hallo Thomas,

Du schreibst: "Sprecher beider Gruppen können .. keine objektive Wahrheit" beanspruchen."

(Wie Du vielleicht bemerkt hast, vermeide ich das Wort "objektiv" und benutze lieber das Wort "intersubjektiv". Muss man von "objektiver Wahrheit" sprechen? Reicht nicht einfach "Wahrheit" ? Darin ist der Anspruch auf intersubjektive bzw. allgemeine Geltung doch schon enthalten.)

Meine Frage: Warum können beide Gruppen keine Wahrheit beanspruchen? Warum ist weder der Satz "Delphine sind Säugetiere" noch der Satz "Delphine sind Fische" wahr?

Ich versuche mal eine Analyse des Beispiels. Es gibt zwei Gruppen, nennen wir sie die "Abriander" und die "Obriander". Beide Gruppen haben in ihrer Sprache das Wort "Delphin" und beide bezeichnen dieselben Objekte damit. Dann haben wir noch die beiden Worte "Säugetiere" und "Fische". Wenn ich Dich recht verstehe, behaupten die Abriander "Delphine sind Säugetiere" und die Obriander behaupten: "Die Delphine sind Fische".

Wenn man wissen will, ob ein Satz wahr ist, muss man erstmal wissen, was der Satz bedeutet und dazu muss man die Bedeutung der einzelnen Worte kennen. Die Frage ist also, wie die Worte "Säugetier" und "Fisch" definiert sind.

Wenn die Abriander "Säugetier" definieren als "Tierart, bei der die Jungen durch Muttermilch ernährt werden" und wenn der Satz "Delphine ernähren ihre Jungen durch Muttermilch" wahr ist, dann folgt daraus, dass Delphine Säugetiere sind.

Wenn die Obriander allerdings das Wort "Säugetier" definieren als "Tierart, bei denen die Weibchen lebende Junge gebären und die auf dem Land leben", dann sind  die Delphine keine Säugetiere (in diesem Sinne). In der einen Bedeutung ist der Satz "Delphine sind Säugetiere" dann wahr und in der anderen Bedeutung falsch. Der gleiche Satz drückt also zwei verschiedene Aussagen aus.

Entsprechendes gilt für den Begriff "Fisch". Ich sehe da keine Probleme.

Es grüßt Dich Eberhard.

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- jacopo_belbo am 07. Okt. 2004, 22:46 Uhr

hallo eberhard,

itat:

und sprecher beider gruppen können für ihre interpretation geltung beanspruchen - wenn auch in dem sinne keine objektive wahrheit. (thomas)

Zitat:

Warum ist weder der Satz "Delphine sind Säugetiere" noch der Satz "Delphine sind Fische" wahr? (eberhard)


was ich meinte ist, dass nur einer der beiden sätze anspruch darauf erheben kann, wahr zu sein. der andere ist zwangsläufig falsch - gesetzt fisch ist nicht synonym zu säugetier.

Zitat:

Wenn man wissen will, ob ein Satz wahr ist, muss man erstmal wissen, was der Satz bedeutet und dazu muss man die Bedeutung der einzelnen Worte kennen. Die Frage ist also, wie die Worte "Säugetier" und "Fisch" definiert sind.

oder: was ist ein säugetier/fisch?

Zitat:

Wenn die Abriander "Säugetier" definieren als "Tierart, bei der die Jungen durch Muttermilch ernährt werden" und wenn der Satz "Delphine ernähren ihre Jungen durch Muttermilch" wahr ist, dann folgt daraus, dass Delphine Säugetiere sind.

Wenn die Obriander allerdings das Wort "Säugetier" definieren als "Tierart, bei denen die Weibchen lebende Junge gebären und die auf dem Land leben", dann sind  die Delphine keine Säugetiere (in diesem Sinne). In der einen Bedeutung ist der Satz "Delphine sind Säugetiere" dann wahr und in der anderen Bedeutung falsch. Der gleiche Satz drückt also zwei verschiedene Aussagen aus.  

Entsprechendes gilt für den Begriff "Fisch". Ich sehe da keine Probleme.

einspruch! eben da liegt das problem. entweder sind delphine säugetiere oder sie sind keine, aber nicht beides. und dieses problem hat jede ordentliche klassifikation zu lösen.
man macht aus delphinen keine fische, wenn es säugetiere sind, indem man sie als "fisch" klassifiziert.

- mfg thomas

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- Wolfgang_Horn am 08. Okt. 2004, 10:37 Uhr

Hi, Eberhard,

Zitat:

Was ist mit den vielen Fragen, die sich nicht auf die Beschaffenheit der materiellen Wirklichkeit richten?

Sondern auf die Beschaffenheit der nichtmateriellen Wirklichkeit, an die so viele Menschen glauben? (Deine Formulierung war mehrdeutig, deshalb habe ich interpretiert und die Bedeutung herausgepickt, die mir gefällt.)

Diejenigen Frage, die ich mir da vorstellen kann, die haben so viele Antworten, wie die Phantasie der Menschen reich ist.
Unter denen ist auch kein Konsens aus Einsicht möglich, nur der aus Unterwerfung.
Weil es nichts gibt, woran man Streit um solche Fragen klar beantworten könnte. Da gibt's nur Papst und Gegenpapst, Glaubenskriege und Unterwerfung und Blutbad.

Zur Abgrenzung:

1. Solange wir unter "Universum" die Menge all dessen verstehen, mit dem wir direkt oder mittelbar in Wechselwirkung stehen, solange kann es für uns nur ein Universum geben. Es mag Paralleluniversen geben, so wie zwei TV-Sender auf zwei Frequenzen zwei Seifenopern senden. Aber solange wir zum Paralleluniversum keine Wechselwirkung haben, können wir von dem nichts wissen. Hätten wir aber eine, dann gehörte per Definitionem auch das zu "unser Universum".

2. Wechselwirkung ist nur zwischen Teilen und Teilchen von Materie möglich.

3. So in der Materie DNS und Zellen entstehen, sogar Gehirne, die denken können, so sehr kann man auch die Denkweisen dieser Gehirne erforschen. Kann im Experiment Fragen beantworten.

Ciao
Wolfgang

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- Eberhard am 08. Okt. 2004, 13:15 Uhr

Hallo Thomas,

Du schreibst: "Entweder sind Delphine Säugetiere oder sie sind keine, aber nicht beides." Das entspricht der Grundvoraussetzung der Logik, dass nicht sowohl eine Aussage p als auch deren Verneinung wahr sein können.

Aber besteht denn diese Gefahr?

Wenn bei den Obriandern das Wort "Fisch" bedeutet: "im Wasser lebende Tiere mit Flossen" und wenn die Aussage wahr ist "Delphine leben im Wasser und haben Flossen" dann ist der Satz "Delphine sind Fische" wahr (in der der Sprache der Obriander).

Wenn die Abriander das Wort "Fisch" jedoch anders definieren, z. B. als "Eier legende Tiere mit Kiemenatmung", dann ist der Satz "Delphine sind Fische" falsch (in der Sprache der Abriander).

Das einzige Problem dabei ist die unterschiedliche Bedeutung desselben Wortes "Fisch" in beiden Sprachen. Diese Doppeldeutigkeit kann man jedoch leicht beseitigen, indem man zur besseren Unterscheidung von "A-Fischen" und "O-Fischen" spricht. Delphine sind dann A-Fische aber keine O-Fische.

Alles weitere sind dann keine Fragen der Wahrheit mehr sondern Fragen der zweckmäßigen Begriffsbildung in Bezug auf Tiere bzw. Tierarten.

Denkbar wäre etwa auch ein Begriffsraster, das weder "Säugetiere" noch "Fische" kennt, sondern das nur zwischen "Landtieren" und "Wassertieren" unterscheidet sowie zwischen "Lungenatmung" und "Kiemenatmung". Delphine wären bei Verwendung dieses Begriffsrasters dann "Wassertiere mit Lungenatmung".

Solche Begriffsraster und Klassifikationssysteme sind nicht "wahr" oder "falsch" sondern höchstens zweckmäßig oder unzweckmäßig bezogen auf die Fragen, die beantwortet, und die Probleme, die gelöst werden müssen

meint Eberhard.

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- Eberhard am 08. Okt. 2004, 16:38 Uhr

Hallo Wolfgang,

Du bist der Ansicht, dass man nur für  solche Aussagen Allgemeingültigkeit beanspruchen kann, die durch Experiment bestätigt oder widerlegt werden können.

Du sagst weiterhin: "Wechselwirkung  ist nur zwischen Teilen und Teilchen von Materie möglich."

Dazu meine Frage:

Wie kann man diese Aussage durch Experiment bestätigen oder widerlegen?

Es grüßt Dich Eberhard.

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- Wolfgang_Horn am 08. Okt. 2004, 17:12 Uhr

Hi, Eberhard,

Zitat:

Du bist der Ansicht, dass man nur für  solche Aussagen Allgemeingültigkeit beanspruchen kann, die durch Experiment bestätigt oder widerlegt werden können.

Ja.

Zitat:

" Wechselwirkung  ist nur zwischen Teilen und Teilchen von Materie möglich."

Wie kann man diese Aussage durch Experiment bestätigen oder widerlegen?

O.k., ertappt!
muss ich also noch präziser denken: "Wechselwirkungen wurden bisher nur zwischen Teilen und Teilchen von Materie nachgewiesen."

Denn was wir nicht messen können, das können wir auch nicht wiederlegen. Auch dann nicht, wenn wir keine Indizien haben, dass im nichtmeßbaren Raum irgendwas passiert.

Ciao
Wolfgang

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- Eberhard am 08. Okt. 2004, 20:27 Uhr

Hallo Wolfgang,

Du schreibst: "Wechselwirkungen wurden bisher nur zwischen Teilen und Teilchen von Materie nachgewiesen."

Erfolgt dieser Nachweis nur durch Experiment?

In der Astronomie sind Experimente oft nicht möglich. Ist deshalb die Astronomie keine Wissenschaft, weil sie sich auf übereinstimmende Ergebnisse mehrerer Beobachter stützen muss?

Was ist mit psychologischen Aussagen wie: "Sich schnell vergrößernde Objekte lösen bei Babys Angst aus". Sind das Wechselwirkungen zwischen Materieteilchen? Lassen sich Bewusstseinsinhalte in Strukturen von Materie übersetzen?

fragt Eberhard.

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- Wolfgang_Horn am 08. Okt. 2004, 23:06 Uhr

Hi, Eberhard,

Ich: "Wechselwirkungen wurden bisher nur zwischen Teilen und Teilchen von Materie nachgewiesen."

Zitat:

Erfolgt dieser Nachweis nur durch Experiment?

Ja. Ausschließlich.
Wobei wir nicht jeden einzelnen Gewitterblitz neu messen müssen, um ihn als eine erneute luftelektrische Entladung zu deuten.
Und das werden wir, ich Ingenieur ordne mich mal zu den Naturwissenschaftlern, solange tun, wie keine ernsthaften Beobachtungen dagegen stehen.

Zitat:

In der Astronomie sind Experimente oft nicht möglich. Ist deshalb die Astronomie keine Wissenschaft?


Galileo Galilei blickt durch das neue Huyghen'sche Wunder, das Teleskop.
Er erblickte den Saturn mit seiner Kugelgestalt, seinen Ringen - und Monden.
Er beobachtete die Monde, die Regelmäßigkeit ihrer Saturnumkreisungen - und nahm das als Indiz, auch die Erde sei eine Kugel mit einem Mond.

Wenn wir annehmen, und alles spricht dafür, dass das gesamte Universum, alle Materie, aus den wohl kleinsten bisher bekannten Teilchen, den Quarks zusammen gesetzt ist, dann brauchen wir nicht zum Mars zu fliegen, um zu messen, dass Wasser auch dort aus H2O besteht.
Wenn wir annehmen, alles sei aus Quarks zusammengesetzt wie alle Lego-Häuser aus Lego-Bausteinen, dann sind uns ferne Sonnensysteme nicht ganz unbekannt.

Bis ernsthafte Indizien vorliegen, dass andere Sterne nicht aus Quarks zusammengesetzt sind, sondern völlig anders, bis dahin kann sich die Astronomie als Naturwissenschaft verstehen.
Obwohl sie die Eigenschaften Schwarzer Löcher anhand ihres Verhaltens und das der in die stürzenden Materie untersucht, ohne je dort gewesen zu sein. Aber die Strahlung der stürzenden Materie gibt Auskunft über viele Fragen zum Verhalten Schwarzer  Löcher.


Zitat:

Was ist mit psychologischen Aussagen wie: "Sich schnell vergrößernde Objekte lösen bei Babys Angst aus". Sind das Wechselwirkungen zwischen Materieteilchen? Lassen sich Bewusstseinsinhalte in Strukturen von Materie übersetzen?


Die Methode der Beantwortung von Fragen durch das Experiment findet eine Grenze, wo Personen und Wesen die Wahl haben - und nutzen - zwischen verschiedenen Verhaltensweisen. Man kann Tiere an Geräusche gewöhnen, und schon verhalten sie sich anders als zuvor.
An dieser Grenze versagen die Ansätze von Soziologie und Psychologie, das Verhalten von Personen vorauszusagen anhand querschnittlicher Untersuchungen. Denn so lernfähig wir Menschen, sobald wir die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung gelesen haben und die Reaktion des Vorstands, wissen wir schon, welche Märchen wir der Psychotante das nächste Mal erzählen.
Schon muss die Psychotante die Kontrollbefragung trickreicher gestalten, damit wir den Sinn der Fragen nicht verstehen und das Täuschen erschwert ist. Schon vermuten wir ihre Tricks und gehen auf unsere Art und Weise darauf ein - wer kann sich auf solche Befragungen noch verlassen? Nur, wer die Tomaten auf seinen Augen pflegt.

Wohl aber kann ich fragen: Wenn ein Wesen seine persönlichen Ziele erreichen und überflüssige Mühen sparen will, wenn es sein Entscheidungsverhalten optimiert, was wird dann wohl sein optimales Entscheidungsverhalten sein?
Und dann finde ich Entscheidungsprozesse, die je nach Beruf unterschiedlich sein können, nämlich spezifisch zu den berufstypischen Aufgaben.

Zurück zum Baby: Wenn ich Babys beobachte, dann scheint Vorsicht bei schnellen Bewegungen durchaus vernünftig zu sein.
Ob man das Zurückzucken oder Greinen des Babys dann Vorsicht nennt oder Angst, das ist die Bewertung des Beobachters. Nicht des Babys.

Ciao
Wolfgang

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- Eberhard am 09. Okt. 2004, 07:23 Uhr

Hallo Wolfgang,

offenbar bilden für Dich nicht nur echte Experimente sondern auch einfache Beobachtungen ein Kriterium für Aussagen über die Welt.

Zum andern nimmst Du das Zurückführen aller wahrnehmbaren Phänomene auf Materieteilchen auch nicht so streng, sondern sprichst von "Angst" oder "Vorsicht" ohne die Quarks zu erwähnen.

Wenn dem so ist, dann brauchen wir darüber nicht weiter zu streiten.

Allerdings muss auch der Naturwissenschaftler und der Ingenieur bedenken, dass er mit Sätzen wie "Was wirklich sein soll, muss auch wahrnehmbar sein" methodische Regeln für das Erkennen aufstellt, die ihrerseits nicht mit Wahrnehmungen begründet werden können.

Insofern hängt Deine naturwissenschaftliche Erkenntnis in der Luft, wenn Du der Meinung bist, dass nur Behauptungen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit allgemeingültig sein können, methodische Regeln der Erkenntnisgewinnung jedoch nicht,

meint Eberhard.

- Fakten und Vereinbarungen
- Wolfgang_Horn am 09. Okt. 2004, 10:01 Uhr

Hi, Eberhard,


Zitat:

Zum andern nimmst Du das Zurückführen aller wahrnehmbaren Phänomene auf Materieteilchen auch nicht so streng, sondern sprichst von "Angst" oder "Vorsicht" ohne die Quarks zu erwähnen.


Aus Bequemlichkeit - und mangelnder Fähigkeiten.

Ich meine schon, naturwissenschaftlich begründen zu können, wie sich eine Art so entwickeln kann, dass sie ihre Kräfte nicht verschwendet, sondern ökonomisch einsetzt. dass ihre Babys nicht gleich reagieren gegenüber allen Änderungen in ihrer Wahrnehmung, sondern auf schnelle Änderungen vorsichtiger / ängstlicher als auf langsame.
Diese Begründung aber wäre von den Quarks selbst so weit entfernt wie die Fourier-Transformation von den Grundrechenarten. Wer Wellenformen vom Zeit- in den Frequenzbereich transponiert, der langweilt seine Zuhörer nicht mehr mit der Begründung der Addition.

Ferner scheint es mir jetzt angebracht, auf den Unterschied zwischen Fakten und Vereinbarungen aufmerksam zu machen.

Messen können wir nur Fakten.
Aber ob wir das Zurückzucken des Babys jetzt "Vorsicht" nennen oder "Angst", das wäre eine Vereinbarung unter uns. Die können wir nicht beweisen, weil wir den Begriff selbst erfunden haben als Abkürzung für "siehst du, wie das ruhig daliegende Kind plötzlich zusammenzuckt und sein Gesicht verzieht?"


Zitat:

Allerdings muss auch der Naturwissenschaftler und der Ingenieur bedenken, dass er mit Sätzen wie "Was wirklich sein soll, muss auch wahrnehmbar sein" methodische Regeln für das Erkennen aufstellt, die ihrerseits nicht mit Wahrnehmungen begründet werden können.


Wozu auch begründen? Denn auch die Art und Weise der Wahrnehmung ist zu einem guten Teil Vereinbarung. Und wenn es die Vereinbarung mit sich selbst ist, die wir "Lernen" nennen.

Solche methodischen Regeln brauchen wir nicht zu begründen. Wir können sie gar nicht begründen mit einem Absolutheitsanspruch, denn ein Denken nach anderen Regeln könnte auch Erfolg haben.

Allenfalls können wir zwei Denkprozesse miteinander vergleichen, welcher und welchen Umständen mit weniger Aufwand zum gewünschten Ergebnis führt.

Und wieder biem Oberthema "Philosophie" wären wir mit dem Hinweis, dass Aristoteles mit seiner "Lehre vom richtigen Denken" Phantastisches erreicht hat.

Ciao
Wolfgang


P.S. Ich habe diese Diskussion mit Dir genossen  - nicht, dass sie zu Ende sein solle, weil Du ohne großes Herumreden zielgerichtet auf den Punkt gekommen bist und einen "roten Faden" beibehalten hast.
So kommt man im Dialog zügiger zum Ergebnis - und auch mit weniger mentalem Blut.

W.

-
- Eberhard am 09. Okt. 2004, 21:53 Uhr

Hallo allerseits,

Thomas alias jacopo hatte geschrieben: "Interessant ist die frage, von welchen sätzen wir behaupten können, sie entsprechen einer objektiven wirklichkeit und welche lediglich subjektive geltung besitzen."

Das führt zu der Frage, wie wir die Wahrnehmung der Wirklichkeit von anderen Aktivitäten unseres Bewusstseins unterscheiden wie träumen, phantasieren, sich vorstellen, halluzinieren oder sich erinnern. Träume, Phantasien, Vorstellungen, Halluzinationen oder Erinnerungen sind zwar reale Vorgänge, aber ihre Inhalte sind meist nicht real gegeben. Aber wie kann man erkennen, ob es sich bei dem, was sich im eigenen Bewusstsein abspielt, um Wahrnehmungen handelt oder "Einbildungen" ?

Eine andere Frage zur Wahrnehmung der Wirklichkeit ergibt sich daraus, dass wir nicht nur "äußere" Wahrnehmungen haben, sondern auch "innere" Wahrnehmungen: wir verspüren Hunger, Freude, Angst, Lust, Müdigkeit, Unruhe, Trauer, Sympathie, Scham, Stolz, Wut, Depression, Schuld, Genugtuung, Zorn, Schwäche, Panik, Liebe, Hass, Ekel, Wir-Gefühl, Einsamkeit, Schmerz, Befriedigung, Langeweile, Bedürfnisse nach Ruhe, nach neuen Erlebnissen, nach Mitteilung, nach Partnerschaft usw. usf.. Was ist mit meiner Wahrnehmung der "inneren Wirklichkeit", die für mich von allergrößter Bedeutung ist, die den andern in dieser Form jedoch nicht zugänglich ist?

Damit zusammen hängt die Frage, was die Wahrnehmung der Wirklichkeit umfasst. Wir erleben ja etwas, wir nehmen nicht nur etwas wahr. Ein Beispiel: Über meine Hand läuft plötzlich eine Spinne. Habe ich eine "eklige Spinne" gesehen oder eben nur eine Spinne. Habe ich gestern eine "furchtbaren Sturm" erlebt oder nur Wind der Stärke 11 bis 12? Gibt es "eindrucksvolle Männer" und "attraktive Frauen" oder "vorbildliche Lehrer" ? Also die Frage ist: Nehmen wir die Ekligkeit von Spinnen und das Grauenvolle eines Bombenattentats wahr? Wie gehört die Ekligkeit und das Grauenvolle zur Wirklichkeit?

Fragen über Fragen.

Es grüßt Euch Eberhard.

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- Wolfgang_Horn am 09. Okt. 2004, 22:14 Uhr

Hi, Eberhard,

Zitat:

Damit zusammen hängt die Frage, was die Wahrnehmung der Wirklichkeit umfasst.

Für Personen, die ihre eigenen Wünsche erfüllen wollen bei einem Minimum an Aufwand, ist diese Frage sekundär.
Wichtiger ist die Frage: "wie bewerte ich die Informationen, nach denen ich erst entscheide und dann handle?"

Und da gibt's keinen besseren Indikator für die Richtigkeit einer Information als der Erfolg des eigenen Handelns.

Ciao
Wolfgang

-
- Eberhard am 10. Okt. 2004, 09:56 Uhr

Hallo Wolfgang,

Du verkennst das Problem. Bei meiner Frage "Was umfasst die Wahrnehmung der Wirklichkeit?" geht es ja gerade darum zu klären, was eine "Information" über die Wirklichkeit ist und was nicht.

Ist der Satz "Reife Bananen schmecken gut" eine Information über Bananen (als Teil der Welt)?

Ist der Satz: "Reife Bananen schmecken süß" eine Information über Bananen?

Ist der Satz "Reife Bananen sind gelb" eine Information über Bananen?

Also: nicht gleich den Schnellschuss aus der Hüfte,

rät Eberhard.

-
- Wolfgang_Horn am 10. Okt. 2004, 13:50 Uhr

Hi, Eberhard,


Zitat:

Ist der Satz "Reife Bananen schmecken gut" eine Information über Bananen (als Teil der Welt)?


Eine unvollständige Information. Denn so sehr Löwen Fleisch mögen, aber keine Bananen, kann diese Information nicht allgemeingültig sein.
So persönlich die Geschmäcker, so unterschiedlich solche Wertungen.

Aber es könnte richtig sein zu sagen: "Bananen und andere zuckerhaltige Obstsorten schmecken in der Regel denjenigen Primaten, denen ein Geschmack für süßes Obst angeboren ist."
Aber das wäre eine Aussage über Primaten und Bananen gemeinsam.

Ciao
Wolfgang

-
- Hermeneuticus am 10. Okt. 2004, 14:04 Uhr


on 10/09/04 um 21:53:27, Eberhard wrote:

Damit zusammen hängt die Frage, was die Wahrnehmung der Wirklichkeit umfasst. Wir erleben ja etwas, wir nehmen nicht nur etwas wahr. (...) Gibt es "eindrucksvolle Männer" und "attraktive Frauen" oder "vorbildliche Lehrer" ? Also die Frage ist: Nehmen wir die Ekligkeit von Spinnen und das Grauenvolle eines Bombenattentats wahr? Wie gehört die Ekligkeit und das Grauenvolle zur Wirklichkeit?


Hallo Eberhard!

Ein Teil meiner Bedenken zu Deiner Wahrheitstheorie knüpfte  sich daran, dass Du von vornherein nur Ausssagen über die "Beschaffenheit der Wirklichkeit" untersuchen und Werturteile, Normen, Definitionen ausschließen wolltest (Beitrag Nr.26). Im Verlauf der Diskussion zeigte sich aber, dass zutreffende Aussagen über die Wirklichkeit an Zwecksetzungen gebunden sind. z. B. sind Definitionen von Begriffen keine DE-skriptionen, die aus der "Sache selbst" zu begründen wären, sondern zweckmäßige PRÄ-skriptionen. Auch Messgeräte und Maßenheiten verweisen zurück auf zweckmäßige Setzungen (siehe etwa die Celsius-Skala).

So stellte sich heraus, dass wahrheitsfähige Aussagen kein in der Luft schwebendes "Bild" der von ihnen klar getrennten, gegen-ständlichen "Wirklichkeit" malen. Vielmehr sind wahre Aussagen eingebettet in die umfassende Wirklichkeit des menschlichen Handelns (mit seinen jeweiligen Zielen, Wertungen, Normen...) und machen selbst nur einen spezialisierten Zweig dieser Praxis aus. Man könnte sogar sagen, dass diese spezialisierte Praxis überhaupt erst KONSTITUIERE, was dann als so und so beschaffene, objektive "Wirklichkeit" beschrieben werden kann. Diese gegenständliche Wirklichkeit hängt freilich IN ihrer Beschaffenheit NICHT vom Handeln, Beschreiben und Wahrnehmen ab, obwohl es von einer spezifischen Praxis abhängt, ob sie sich als unabhängig ZEIGT. Oder anders gesagt: Es ist der ZWECK wahrer Aussagen (und aller sonstigen Praxen, die wahre Aussagen ermöglichen), die Wirklichkeit in jenen Teilstücken oder "Eigenschaften" zu zeigen, die vom menschlichen Handeln letztlich unabhängig sind. (Wobei ich auch das Wahrnehmen zu den Praxen zähle!)

Können wir uns darauf einigen? Wenn ja, dann wäre mein "Anfangsverdacht" zerstreut, dass Du unterschwellig doch eine Variation der "Abbildtheorie" vertrittst. Denn dann ist klar gestellt, dass die "Wirklichkeit an sich" keine primär "gegebene", "vorhandene" Entität ist, nach der sich sekundär ihre Abbilder (Aussagen, Beschreibungen usw.) richten und bemessen ließen. Vielmehr wäre es, paradox gesagt, die spezifische Praxis des "Abbildens", aus der jene "Wirklichkeit an sich" erst hervorgeht - nämlich als von unserem wechselnden Handeln und Wahrnhemen LETZTLICH unabhängige Realtität.

Mit diesem Ansatz lässt sich auch das Problem der sog. "inneren Wirklichkeit" oder des "inneren Weltbildes" beheben, das Du in Deinem vorletzten Beitrag ansprichst. (Die räumliche Metaphorik von "innen" und "außen" geht m.E. auf die Abbildtheorie der Wahrheit zurück, genauer: auf ihre neuzeitlich-empiristischen Varianten).
Auch das Problem der "wertenden" Wahrnehmung (" eklige" Spinnen und "attraktive" Frauen) kann von hier aus untersucht werden, ohne die "relative" Wirklichkeit des ERLEBENS in eine Scheinwirklichkeit abzuschieben, die für immer von der "wahren Wirklichkeit" durch eine Kluft geschieden bliebe.

Gruß
H.

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- Eberhard am 10. Okt. 2004, 15:33 Uhr

Hallo Wolfgang,

Der Satz "Reife Bananen schmecken gut" ist Deiner Ansicht nach keine (vollständige) Information über Bananen, da die Geschmäcker von Person zu Person unterschiedlich sind.

Aber der Satz "Reife Bananen schmecken süß" ist ja auch ein Geschmacksurteil. Warum ist dieser Satz eine vollständige Information und der erstere nicht?

fragt Dich Eberhard.

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- doc_rudi am 10. Okt. 2004, 16:32 Uhr

Hallo Wahrheitssucher,
für mich ist die Wahrheit kein irgendwo verstecktes Osterei, das man zu suchen hat.
Sie ist zwar ein sich ständig verbessernde Darstellung der Umwelt, deren Grundlage unsere konstruierende Wahrnehmung ist. Verbessert wird diese Darstellung jedoch nicht durch Logik oder durch Denken, sondern durch Neudefinitionen, die sich in der Praxis als vorteilhafter als die bisherige alte Definition von Wahrheit herausstellen.
Wir schaffen das, was wir Wahrheit nennen, selbst.
Hierbei handelt es sich immer um eine Schöpfung.
Der Mensch konstruiert oder erschafft sich eine Wirklichkeit, manche Menschen erschaffen einen Gott oder glauben an einen menschgeschaffenen Gott, und auch die Wahrheit ist eine Schöpfung des Menschen.
Gruß
rudi  

 

-
- Hermeneuticus am 10. Okt. 2004, 17:45 Uhr

Hallo Wolfgang und Eberhard!

Wenn es "unvollständige" Informationen gibt, muss es auch vollständige geben. Aber ließe sich die "vollständige Information" ÜBER etwas noch von diesem Etwas selbst unterscheiden?

Meine These: der Ausdruck "vollständige Information" ist sinnlos, weil es zum Wesen von Informationen gehört, selektiv zu sein.
Wohl ist es sinnvoll, von "hinreichenden" Informationen zu sprechen. Aber der Maßstab für das "Hinreichen" könnte dann nicht die Sache sein, von der die Information handelt, sondern ein bestimmter Zweck, im Konsens gesetzt von denjenigen, die sich über etwas in der Welt verständigen wollen.

Gruß
H.

tel: Re: Wahrheit
- Hermeneuticus am 11. Okt. 2004, 01:57 Uhr

Hallo miteinander!

Thomas/Jacopo hält die Frage für interessant, "von welchen sätzen wir behaupten können, sie entsprechen einer objektiven wirklichkeit und welche lediglich subjektive geltung besitzen."
Zunächst scheint die Frage zu unterstellen, dass die Opposition von "objektiver Wirklichkeit" und "lediglich subjektiver Geltung" eine vollständige sei, tertium non datur. Auch scheinen Objekt und Subjekt hier gewissermaßen die (primär) "gegebenen", "realen" Positionen zu sein, zwischen denen sich Erkennen/Wahrnehmen/Aussagen dann (sekundär) abspielt. Nur unter dieser Voraussetzung ist es sinnvoll zu fragen, ob Aussagen eines Subjektes dem Objekt "entsprechen" oder nicht.

Geht man aber davon aus, dass die primäre Wirklichkeit der Menschen ihr gemeinschaftlich handelndes In-der-Welt-Sein ist, dann wird sofort verständlich, dass die "objektive" Wirklichkeit - nämlich die vom menschlichen Handeln klar unterschiedene und als solche unabhängig existierende Welt - nicht zu unserem unmittelbaren und alltäglichen Erfahrungsbestand gehört. Wenn man z. B. auf einer Zugreise aus dem Fenster blickt und nach jenen Teilen der Wirklichkeit ausschaut, die nicht entweder technisch hervorgebracht oder durch kultivierende Eingriffe geformt wurden, bleibt fast nur noch der Himmel übrig, und selbst dieser Anblick ist von Immissionen getrübt oder (nachts) von künstlichen Lichtquellen überblendet. Will sagen: Wir müssen uns schon gezielt anstrengen - handelnd oder reflektierend -, um überhaupt auf eine "reine", von unserem eigenen Sein klar unterschiedene Wirklichkeit zu stoßen. Und was die Wissenschaften angeht, deren Gegenstand ja die "Natur selbst" ist (also die Welt abzüglich des menschlichen Beitrags), so zeigt ihre Praxis, dass dies tatsächlich eines beträchtlichen Aufwandes an Technik und Reflexion bedarf.

Seltsamerweise unterschlägt die traditionelle Erkenntnistheorie diesen Aufwand meist (Autoren wie Hegel oder Marx sind rühmliche Ausnahmen). Sie hebt meist erst da an, wo dieser praktisch-theoretische Unterscheidungsaufwand bereits geleistet ist. Nämlich da, wo dem Betrachter (Subjekt) eine von ihm vollständig unterschiedene Realität (Objekt) gegenüber steht. Und dann fragt sie, wie es dem Subjekt wohl gelingen mag, diese Kluft durch "wahre Aussagen" oder "zutreffende Beschreibungen" oder "belegte Informationen" wieder zu schließen. Das Problem der sog. Abbildtheorie ist also einer Abstraktion geschuldet, die konsequent davon absieht, wie gelingende menschliche Erkenntnis de facto vonstatten geht. Sie übersieht, dass Erkennen eine menschliche Praxis ist, die mehr oder weniger spezialisiert oder allgemeingültig sein bzw. mehr oder weniger zielstrebig und normiert betrieben werden kann.

Jene "objektive", von menschlichen Einflüssen "gereinigte" und von Wertungen unbestochene Wirklichkeit ist kein uns unmittelbar "gegebener" Gegenstand, sondern gegenständliches Korrelat einer besonders streng normierten (Erkenntnis-) Praxis. Es ist darum unrealistisch und unzweckmäßig, sie zum Ausgangspunkt erkenntnistheoretischer Reflexion zu machen oder sie zum Maßstab JEDER Art von Erkenntnis zu erheben.

Gruß
H.

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- Eberhard am 11. Okt. 2004, 09:52 Uhr

Hallo Hermeneuticus,

der Zusammenhang, in dem die Suche nach wahren Aussagen steht, ist auch nach meiner Ansicht das praktische Leben mit seiner Diskrepanz zwischen dem, was wir wollen – unseren Bedürfnissen, Wünschen und Zielen – und dem, was wir "real" erleben und erfahren.

Wenn wir unsere Wünsche befriedigen wollen, wenn wir keine Misserfolge, Enttäuschungen und unliebsamen Überraschungen erleben wollen, dann brauchen wir Aussagen, die sich auch zukünftig "bewähren" (= als wahr bestätigen, also intertemporal gelten).

Wenn wir gezielt und mit dem gewünschten Erfolg in das Geschehen eingreifen und die Zukunft gestalten wollen, dann brauchen wir Aussagen über regelmäßige empirische Zusammenhänge (" Wenn ich unter den gegebenen Bedingungen a, b und c die Handlung x ausführe, dann ergibt sich y" ), und zwar solche Aussagen, denen wir "trauen" können (" wahr" heißt im Englischen "true" ).

Wenn wir gemeinsam erfolgreich handeln wollen, dann brauchen wir auch gemeinsame Begründungen für unser Handeln. Und insofern erfolgreiches Handeln eine Kenntnis der Situation und der regelmäßigen empirischen Zusammenhänge erfordert, brauchen wir Aussagen, denen nicht nur ich sondern denen jeder trauen kann. Dies ist die soziale Dimension der Wahrheit, die "allgemeine" bzw. intersubjektive Gültigkeit.

Die Bemühungen um wahre Antworten auf unsere Fragen sind - wie Du zu Recht sagst - "eingebettet in die umfassende Wirklichkeit des menschlichen Handelns (mit seinen jeweiligen Zielen, Wertungen, Normen...) und machen selbst nur einen spezialisierten Zweig dieser Praxis aus." Wie weit unsere Übereinstimmung geht, wird sich wohl erst zeigen, wenn daraus konkrete Schlussfolgerungen hinsichtlich des Geltungsanspruchs bestimmter Behauptungen gezogen werden.

Fragen danach, wie die Welt beschaffen ist, verlangen Antworten in der Form von Aussagen über das was ist und wie es ist. Die Beschreibung der Welt, wie sie ist, sollte aber nicht unkontrolliert vermengt werden mit unseren Bewertungen (ob das, was ist, gut ist) und es sollte gleichfalls nicht unkontrolliert vermengt werden mit unseren Forderungen (ob das, was ist, so sein soll).

Der Grund für diese Unterscheidung liegt darin, dass in Bezug auf ein und denselben Sachverhalt unterschiedliche Wertungen und Forderungen möglich sind. Diese Wertungen und Forderungen verlangen eine andere Begründung, eine andere Rechtfertigung ihres Geltungsanspruchs als es Aussagen über die Beschaffenheit der Welt verlangen.

In diesem Zusammenhang noch eine Anmerkung zur Begriffsbildung. Wenn jemand einem Wort durch Definition eine bestimmte Bedeutung zuweist, so handelt es sich um den Vorschlag einer sprachlichen Konvention und um die Ankündigung, dass der Betreffende dies Wort künftig nur mit dieser Bedeutung verwenden will. Die Berechtigung derartiger sprachlicher Neuschöpfungen muss sich an dem dadurch ermöglichten Erkenntnisgewinn erweisen. Definitionen sind jedoch nach meinem Verständnis keine Vorschriften, da man einen Definitionsvorschlag nicht übernehmen muss.

In der Hoffnung auf weitere Klärungen grüßt Dich Eberhard.

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- Eberhard am 11. Okt. 2004, 16:24 Uhr

Hallo doc_rudi,

was verstehst Du unter einer "Definition von Wahrheit" ? Die Festlegung der Bedeutung des Wortes "Wahrheit" durch eine bestimmte Person? Oder die Festlegung derjenigen Aussagen, die ein bestimmtes Subjekt für wahr hält? Oder die Gesamtheit der wahren Aussagen, also der Aussagen, die besagen, wie die Welt "wirklich" beschaffen ist? Oder was sonst? Ohne zu klären, was gemeint ist, kann man Deine Thesen schlecht diskutieren.

Es grüßt Dich Eberhard.

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- doc_rudi am 11. Okt. 2004, 20:26 Uhr

Hallo Eberhard,
Du stellst eine berechtigte und äußerst wichtige Frage, die eigentlich alle Diskussionsteilnehmer beantworten sollten, denn in diesem thread ist es wie in anderen so, dass die sich widersprechenden Beiträge oft daraus erklärlich sind, dass die Begriffe unterschiedlich verstanden werden, zum Teil innerhalb eines Beitrages einer Person. Auch ich bin grundsätzlich nicht frei davon.
Ich verstehe den Begriff WAHRHEIT im Rahmen meiner Philosophie lebender Systeme nicht als Urteil über einen konkreten Gegenstand, sondern als die Grundüberzeugung eines lebenden Systems höherer Ordnung.
Ein lebendes System höherer Ordnung ist z. B. ein Staat, eine Religionsgemeinschaft, aber auch eine philosophische Schule. Ein derartiges System definiert sich selbst über gemeinsame Werte, die die ihm angehörigen Individuen gemeinsam als GUT beurteilen.
Daran entscheidet sich, welches Individuum zu diesem System gehört und welches nicht. Für Staaten sind dies Überzeugungen, die das Wirtschaftssystem, Bürgerrechte oder die Regierungsform betreffen, bei Religionsgemeinschaften bestimmte Gottesüberzeugungen oder in philosophischen Schulen deren Grundanschauungen. Lebende Systeme sind stets offen und begrenzt, wobei ich nicht nur äußere Grenzen meine, sondern die Definition dessen, was als WAHR angesehen wird. Individuen, die von dieser Definition abweichen, die Kritik üben oder praktizieren, werden aus dem System ausgeschlossen (z. B. in Gefängnisse gesperrt), das System höherer Ordnung rekrutiert andererseits auch neue Individuen, die sich der WAHRHEIT unterwerfen. Das sind natürlich im Großen und Ganzen unsere Kinder, die besonders in der Schule an das angepasst werden, was die WAHRHEIT dieses Systems höherer Ordnung ist.
Unter WAHRHEIT verstehe ich im lebenden System höherer Ordnung das, was ich beim Individuum als das GUTe bezeichne.
Gruß
rudi

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- Eberhard am 11. Okt. 2004, 22:06 Uhr

Hallo Rudi,

danke für diese Klarstellung. Für Dich ist Wahrheit "die Grundüberzeugung eines lebenden Systems höherer Ordnung". Es gibt also soviel Wahrheiten wie es derartige Systeme gibt.

Damit ist klar, dass wir zwar das gleiche Wort benutzen aber uns mit völlig verschiedenen Fragen beschäftigen. In dieser Runde geht es um "Wahrheit" als allgemeinen Geltungsanspruch von Aussagen über die Wirklichkeit.

Es grüßt Dich Eberhard.

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- Eberhard am 11. Okt. 2004, 22:12 Uhr

Hallo Hermeneuticus,

Du schreibst in Deinem letzten Beitrag, "dass die 'objektive' Wirklichkeit - nämlich die vom menschlichen Handeln klar unterschiedene und als solche unabhängig existierende Welt - nicht zu unserem unmittelbaren und alltäglichen Erfahrungsbestand gehört", weil die Natur bereits weitgehend durch menschliches Handeln geformt wurde.

Ein solcher Begriff einer vom Menschen unabhängigen "Natur" spielt jedoch für die Frage, wie die Welt beschaffen ist, keine Rolle. Zur Welt in diesem Sinne gehört alles was ist, was war und was sein wird. Auch das fragende Subjekt selber gehört – indem es ist und damit wirklich existiert - zu dieser Welt. Deshalb kann ein Subjekt z. B. auch fragen: "Wie alt bin ich?"

Du schreibst weiterhin, "dass Erkennen eine menschliche Praxis ist, die mehr oder weniger spezialisiert oder allgemeingültig sein bzw. mehr oder weniger zielstrebig und normiert betrieben werden kann". Dies ist sicherlich richtig und hat seinen Grund vor allem darin, dass Erkenntnis im Sinne einer richtigen Beantwortung gestellter Fragen mit Aufwand in Form von Arbeitszeit und Anstrengung verbunden ist.

Wenn die Kosten der Informationsgewinnung höher sind als der Vorteil, den die Kenntnis der richtigen Antwort mir einbringt, so handele ich irrational. Die richtige Antwort (" die Wahrheit" ) hat also keinen unbegrenzt hohen Wert für mich.

Deshalb ist es manchmal sinnvoll, bewusst ein kalkulierbares Risiko einzugehen und eine mehr oder weniger große Ungewissheit in Kauf zu nehmen.

Dies gilt vor allem für die Beantwortung von Fragen, die innerhalb der Lebenspraxis auftauchen und eine schnelle Beantwortung erfordern, weil die Situation sich rasch ändert. Ein Beispiel: Wenn ich nachts auf der Autobahn fahre und ich sehe vor mir zwei schnell größer werdende helle Lichter, dann erfordert die Frage: "Kommt mir da ein 'Geisterfahrer' entgegen?" eine sofortige Antwort. Dann kann ich der Frage nicht in aller Ruhe nachgehen und erstmal ein Forschungsprojekt zum Thema "Optische Täuschungen" durchführen.

Die Abstriche hinsichtlich der Richtigkeit und Verlässlichkeit der unter Praxiszwängen gefundenen Antworten bleiben jedoch Abstriche, die sich am Maßstab wissenschaftlicher Methodik messen lassen müssen.

Immer dort jedoch, wo Aussagen mit dem Anspruch auf Wahrheit und allgemeine Geltung erhoben werden, muss sich derjenige, der die Behauptungen aufstellt fragen lassen, welche allgemein nachvollziehbaren Gründe es für diese Behauptungen gibt.

Es grüßt Dich Eberhard.

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- doc_rudi am 11. Okt. 2004, 23:14 Uhr

Hallo Eberhard,
ich danke gleichfalls für die Klarstellung.
Was hier als Wahrheit bezeichnet wird, das würde ich als Wirklichkeit bezeichnen oder als Realität, und die Antworten auf Eure Fragen würde ich als richtig oder falsch bezeichnen und nicht als wahr oder unwahr.
Um bei Deinem Beispiel mit den beiden Lichtern auf der Autobahn zu bleiben: Du gibst beispielsweise die Antwort, es handelt sich um eine optische Täuschung und fährst weiter. Passiert dann nichts, war Deine Antwort richtig. Wachst Du im Jenseits auf, war sie falsch. Dein Informationsgewinn ist jedoch in beiden Fällen gleich null. Entweder bist Du nun im Himmel und kannst mit Deiner Information, dass es sich um einen Geisterfahrer handelte, nichts mehr anfangen, oder Du gibst beim nächsten Anblick der Lichter die gleiche Antwort, weil Du gelernt hast, dass 2 Lichter eine optische Täuschung sind, aber diesmal könntest Du Pech haben und es ist diesmal ein Geisterfahrer.
Also: zwei gleich erscheinende optische Wahrnehmungen können unterschiedliche Quellen haben. Mal diese, mal jene. Die Wahrheit in Deinem Sinn scheint mir in diesem Fall auf einer anderen Ebene zu liegen, nämlich die Konsequenz, in jedem Fall aus Sicherheitsgründen rechts ran zu fahren und abzuwarten. Es lohnt sich nicht, eine Entscheidung zu treffen, man sollte in jedem Fall das Schlimmste einkalkulieren.
Damit verzichtest Du darauf zu erfahren, was die beiden Lichter nun wirklich waren. Die Wirklichkeit (Eure Wahrheit) ist weniger bedeutungsvoll als das Überleben.
(Ich benutze übrigens den Begriff der Information nicht, den Du in Deinem letzten Beitrag verwendest. Was verstehst Du unter Information? Ich würde hier von Erkenntnisgewinn sprechen, auf den ich zugunsten des Überlebens verzichte.)
Habe ich das so richtig verstanden?
Gruß
rudi    

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- Hermeneuticus am 12. Okt. 2004, 01:59 Uhr

Hallo Eberhard!

Ich gehe mal an Deinem Text entlang und mache hier und da ein paar Bemerkungen dazu.


on 10/11/04 um 09:52:42, Eberhard wrote:

Der Zusammenhang, in dem die Suche nach wahren Aussagen steht, ist auch nach meiner Ansicht das praktische Leben mit seiner Diskrepanz zwischen dem, was wir wollen – unseren Bedürfnissen, Wünschen und Zielen – und dem, was wir "real" erleben und erfahren.


Dass Du am "praktischen Leben" besonders die Diskrepanz zwischen Wollen und Erfahren hervorhebst, lässt mich aufhorchen. Aber einstweilen hab ich dazu nichts anzumerken. :-)

In den nächsten drei Absätzen gehst Du darauf ein, wozu wahre Aussagen gut sind - wozu wir sie brauchen. Mit Deinen Ausführungen bin ich einverstanden. Trotzdem habe ich den Eindruck, als schwebten die wahren Aussagen hier ein wenig in der Luft. Und das liegt wohl daran, dass Du vor allem wissenschaftliche Aussagen mit ihren expliziten Geltungsbedingungen und Begründungen im Blick hast. Dadurch entsteht der Eindruck, als gäbe es Wahrheit nur unter wissenschaftlichen Bedingungen.
Mich erinnert das an unsere ethische Kontroverse, in der ich nicht damit einverstanden war, moralische Normen mit expliziten und rational begründbaren Sollsätzen gleichzusetzen. Mein Ausgangspunkt ist hier wie dort die gelingende Praxis, die nicht notwendigerweise rational begründbar sein muss, in der Sollsätze mit allgemeinem Geltungsanspruch nicht notwendigerweise geäußert werden müssen, in der, allgemein gesagt, Sein und Sollen für die Handelnden gar nicht unterscheidbar sein müssen. So wie in Erkenntnisfragen die Unterscheidung von Subjekt und Objekt bereits eine Reflexion voraussetzt, so treten in ethischen Fragen Sein und Sollen nur für die Reflexion auseinander.

Wenn jemand im Alltag sagt: "Die Sonne scheint", dann ist dieser Satz nicht deshalb wahr, weil er sich erforderlichenfalls in eine äquivalente und von jedermann überprüfbare wissenschaftliche Aussage transformieren ließe. Und der Satz "Das Herz einer Frau ist der härteste Fels, den Gott auf Erden erschaffen hat", der sich sicherlich nicht in eine wissenschaftliche Aussage transformieren ließe, ist deswegen nicht notwendigerweise Schwachsinn. (Ich bestehe freilich auch nicht auf seiner uneingeschränkten Geltung... :-) )

Was ich sagen will: Es gibt nicht erst Wahrheit, seit es neuzeitliche wissenschaftliche Methoden gibt. (So wie es auch nicht erst korrekte Sprache gibt, seit Grammatikbücher existieren.) Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die Wissenschaft funktionierte den Begriff der Wahrheit, der lebensweltlich vorher und nachher sein Eigenleben hatte, zu ihren spezialisierten Zwecken um. Und es besteht kein vernünftiger Grund, nun jede Aussage über die Beschaffenheit Welt an wissenschaftlichen Maßstäben zu messen.


Zitat:

Die Beschreibung der Welt, wie sie ist, sollte aber nicht unkontrolliert vermengt werden mit unseren Bewertungen (ob das, was ist, gut ist) und es sollte gleichfalls nicht unkontrolliert vermengt werden mit unseren Forderungen (ob das, was ist, so sein soll).


Innerhalb der Wissenschaft ist diese Norm sinnvoll. Aber Du stellst sie hier als allgemeine Forderung auf. In der Lebenswelt ist dieses Maß an Kontrolle und Unterscheidung jedoch meist nicht möglich und auch nicht erforderlich.  


Zitat:

Definitionen sind jedoch nach meinem Verständnis keine Vorschriften, da man einen Definitionsvorschlag nicht übernehmen muss.


Das ist schon richtig. Aber ein Definitionsvorschlag legt eben nahe, die Verwendung eines Begriffs zu REGELN. Es ist also der Vorschlag zu einer Gebrauchsvorschrift, verbunden mit der Werbung, man möge sie übernehmen/anerkennen.


on 10/11/04 um 22:12:23, Eberhard wrote:

Ein solcher Begriff einer vom Menschen unabhängigen "Natur" spielt jedoch für die Frage, wie die Welt beschaffen ist, keine Rolle. Zur Welt in diesem Sinne gehört alles was ist, was war und was sein wird. Auch das fragende Subjekt selber gehört – indem es ist und damit wirklich existiert - zu dieser Welt.


Ja. Du und ich scheinen uns darüber einig zu sein, aber in dieser Diskussionsrunde gibt es auch andere Stimmen. Es ist nun einmal ein Merkmal des sog. erkenntnistheoretischen Naturalismus, dass er menschliche Wirklichkeit dem Naturgeschehen umstandslos subsumiert. Und das hat dann zur Folge, dass wir unsere eigene Wirklichkeit wie von einem unbeteiligten, extramundanen Standpunkt ins Auge fassen. Eine so konzipierte "Einheit der Natur" scheint von unserer spezifisch menschlichen Wirklichkeit - die aber nach wie vor die einzige ist, die WIR haben - völlig unabhängig zu sein. "Wirklich" in diesem Sinne sind wir dann nur, weil auch wir letztlich nichts als Masse- bzw. Energiequanten sind...

Zitat:

Die Abstriche hinsichtlich der Richtigkeit und Verlässlichkeit der unter Praxiszwängen gefundenen Antworten bleiben jedoch Abstriche, die sich am Maßstab wissenschaftlicher Methodik messen lassen müssen.


Hier wird ganz deutlich, dass Deine Gedanken über Wahrheit nicht von der Lebenswelt ausgehen, um von DORT her die wissenschaftliche Spezialisierung des Wahrheitsbegriffs zu untersuchen. Sondern Du nimmst den wissenschaftlichen Wahrheitsbegriff als Maßstab, so dass der lebensweltliche Weltumgang bzw. Gebrauch des Wahrheitsbegriffs mehr oder weniger als Notlösung erscheint. Gelingende Praxis im Alltag ist dann eigentlich nur eine (wenn auch verzeihliche) Pfuscherei, zu der wir durch die Umstände gewzungen sind...
Und das leuchtet mir nicht ein.  

Zitat:

Immer dort jedoch, wo Aussagen mit dem Anspruch auf Wahrheit und allgemeine Geltung erhoben werden, muss sich derjenige, der die Behauptungen aufstellt fragen lassen, welche allgemein nachvollziehbaren Gründe es für diese Behauptungen gibt.


Wahrheit siehst Du offenbar an die "allgemeine Geltung" geknüpft. Fragt sich, WIE allgemein diese Allgemeinheit sein soll. Ja, es ist eine Frage des Sollens oder Wollens - also eine normative Frage - wie streng allgemein Aussagen gelten müssen, um Anspruch auf Wahrheit machen zu dürfen.

Es ist wohl unvermeidlich: Wenn nur solche Aussagen "wahr" heißen dürfen, die von JEDEM Menschen/Vernunftwesen eingesehen und nachgeprüft werden könnten, dann dünnt sich der Bestand an "wahrer Wirklichkeit" (= Welt, wie sie ist) ganz erheblich aus. Dann wäre eine regionale Weltsicht, die sich regional auch bewährt (siehe mein Beispiel "ki" ), allenfalls ein schlecht ausgeschlafener Wahrheitskandidat vor der Prüfungskommision der allgemeinen Menschenvernunft, die mit den neuzeitlichen europäischen Wissenschaften in die Welt gekommen ist... :-)

Diesen Wissenschaftsglauben (auch Logozentrismus oder Eurozentrismus genannt) kann ich nicht teilen. Er würde unsere Welt nicht verlässlicher, sondern ärmer machen.

Gruß
H.

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- Eberhard am 12. Okt. 2004, 21:59 Uhr

Hallo Rudi,

Du schreibst: "Was hier als Wahrheit bezeichnet wird, das würde ich als Wirklichkeit bezeichnen".

Ein gutes Beispiel dafür, wie schwankend die Begriffe der Philosophie sind. Für mich dienen die Worte "wahr" und "Wahrheit" dazu, etwas über "Aussagen" zu sagen. Die Worte "wahr" und "Wahrheit" gehören damit – fachlich gesprochen – zur meta-sprachlichen Ebene, wo über Sprachliches gesprochen wird.

Demgegenüber ist ein "wirklicher Orkan" oder "die Wirklichkeit" nicht auf der Ebene der sprachlichen Zeichen angesiedelt sondern auf der Ebene des "Bezeichneten" :

In meinem Sprachgebrauch ist das, was eine wahre Aussage bezeichnet, "wirklich".

Du schreibst weiter: "Die Antworten auf Eure Fragen würde ich als richtig oder falsch bezeichnen und nicht als wahr oder unwahr".

Die Antwort auf eine Frage kann "richtig" oder "falsch" sein, da gehe ich mit Dir konform.

Wenn jedoch nach der Beschaffenheit der Wirklichkeit gefragt wird (" Wer löste Georg Kiesinger als Kanzler ab?" ), muss es sich bei der Antwort (" Willy Brandt löste Georg Kiesinger als Kanzler ab" ) um eine (positive bzw. faktische) Aussage handeln, die wiederum wahr oder falsch sein kann. Die richtige Antwort ist also eine wahre Aussage.

Es gibt jedoch auch Fragen, die nicht nach der Beschaffenheit der Wirklichkeit fragen sondern z. B. fragen, wie gehandelt werden soll (" Soll die Türkei in die Europäische Gemeinschaft aufgenommen werden?" ). Die Antwort (z. B. "Die Türkei soll in die Europäische Gemeinschaft aufgenommen werden" ) kann wieder richtig oder falsch sein.

Hier handelt es sich um einen normativen Satz, dessen allgemeiner Geltungsanspruch (sofern jemand dies "behauptet" ) ebenfalls begründet werden sollte – allerdings anders, als im Falle einer positiven Aussage. Deshalb spreche ich in Bezug auf Normen lieber von "allgemein gültig" als von "wahr".

Den Begriff "Information" habe ich nur in der Diskussion mit Wolfgang benutzt, der ihn eingeführt hatte. In unserem Zusammenhang, wo es um die Geltungsproblematik geht, ist er weniger geeignet.

Auch wenn es manchmal mühselig ist: Begriffsklärungen erweisen sich in philosophischen Diskussionen als überaus nützlich

meint Eberhard.

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- Eberhard am 13. Okt. 2004, 19:17 Uhr

Hallo Hermeneutikus,

Deine kritischen Anmerkungen speisen sich aus dem Gegensatz, den Du zwischen der praktischen Lebenswelt auf der einen Seite und der Wissenschaft mit ihren spezialisierten Zwecken auf der anderen Seite aufbaust.

Du schreibst: "Die Wissenschaft funktionierte den Begriff der Wahrheit, der lebensweltlich vorher und nachher sein Eigenleben hatte, zu ihren spezialisierten Zwecken um. Und es besteht kein vernünftiger Grund, nun jede Aussage über die Beschaffenheit Welt an wissenschaftlichen Maßstäben zu messen."

Diesen Gegensatz sehe ich in der Schärfe nicht. Auch in der lebensweltlichen Praxis gilt eine Aussage dann als wahr, wenn es tatsächlich so ist, wie die Aussage besagt. Auch im Alltag gilt eine Behauptung für alle, die diese Behauptung hören und verstehen können. Die Bedeutung des Wortes "wahr" ist im Alltag also nicht grundsätzlich anders als in der Wissenschaft.

Auch das Kriterium der Wahrheit von Aussagen über die Realität ist im Alltagsleben kein anderes als in der Wissenschaft. Auch im Alltag wird gefragt nach Augenzeugen und Ohrenzeugen, wenn es darum geht, die Wahrheit über ein Geschehen herauszubekommen. Und ein bloßes Meinen und Glauben oder eine Kenntnis vom Hörensagen zählt weniger als die Wahrnehmung eines nüchternen Beobachters und sein Bericht.

Du brichst eine Lanze für regionale Weltsichten. Aber wir leben heute nicht mehr in voneinander isolierten Gesellschaften und Kulturen, sondern wir leben in einer Welt, die eng zusammen gerückt ist. Der Gesprächspartner auf der andern Seite der Erdkugel ist nur eine Sekunde von mir entfernt.

Es kann vielleicht ein deutsches Interesse geben, aber keine deutschen Tatsachen. So wie es auch keine "Deutsche Physik" geben kann, wie das die Anhänger des Dritten Reiches und Gegner der Einsteinschen Theorien meinten. (Anstelle von "deutsch" könntest Du auch irgendeine andere Gruppierung einsetzen.)

Wir leben nicht mehr in den statischen Gesellschaften der Vergangenheit, in denen jede Generation in die Fußstapfen der vor ihr lebenden Generation treten konnte, in der sich über Jahrhunderte nichts Wesentliches änderte und in der die Tradition über allem stand. Deshalb gibt es in den modernen Gesellschaften auch nicht mehr den selbstverständlichen kulturellen, religiösen, weltanschaulichen oder  moralischen Konsens, dessen man sich noch nicht einmal bewusst werden muss, weil man ihn bereits mit der Muttermilch eingesogen hat und weil man niemals etwas anderes kennen gelernt hat.

Vor diesem historischen sozialen Hintergrund ist der Aufstieg des bewusst universalistischen wissenschaftlichen Denkens zu sehen, das zwar in Europa entstanden ist, aber gerade nicht eurozentrisch im Inhalt ist.

Es grüßt Dich Eberhard.

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- doc_rudi am 13. Okt. 2004, 20:08 Uhr

Hallo Diskussionsteilnehmer,
was das Thema Wahrheit bzw. Wirklichkeit angeht, ist es einfach, sich auf Naturwissenschaften zurückzuziehen. Klar gibt es keine amerikanische oder moslemische Physik.
Anders ist es in den Geisteswissenschaften. Es existiert sehr wohl ein moslemisches Recht und ein deutsches Recht, das frei von religiösen Einflüssen ist und sich in seinen Grundsätzen auf das römische vorchristliche Recht zurückverfolgen lässt. Es gibt auch eine sogenannte freie Markwirtschaft und eine inzwischen auf Cuba reduzierte sozialistische Planwirtschaft. Es gibt Staaten, die einen enormen Energieverbrauch haben und Staaten, deren Energieverbrauch unserem mittelalterlichen Energieverbrauch vergleichbar ist, parallel ist es seltsamerwiese mit unterschiedlichen religiösen Systemen und dem Einfluss religiöser Ideen auf das System Staat. Dies vor dem Hintergrund einer einheitlichen Mathematik, in der überall 1 Euro gleich 1 Euro und 1 Dollar gleich 1 Dollar ist.
Der Rückzug auf eine einheitliche und wahre Physik könnte der Verdrängung dienen, nämlich der Verdrängung der Tatsache, dass die Wahrheit außerhalb der Physik eine Knetmasse ist.
Gruß
rudi

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- Eberhard am 14. Okt. 2004, 13:11 Uhr

Hallo Rudi,

Fazit Deiner Aussführungen ist die "Tatsache, dass die Wahrheit außerhalb der Physik eine Knetmasse ist".

Damit machst Du eine Aussage über die "tatsächliche" Beschaffenheit der Welt, für die Du offensichtlich allgemeine Geltung beanspruchst. Anders ausgedrückt: Du behauptest diese Aussage als "wahr".  

Da es sich bei dem Satz "Die Wahrheit außerhalb der Physik ist eine Knetmasse" um einen Satz außerhalb der Physik handelt, gehört dieser Satz logischer Weise selber zu der von Dir so genannten "Knetmasse".

Wenn man das Bild der Knetmasse in Begriffe übersetzt, so heißt die Metapher "x ist eine Knetmasse" für mich soviel wie: "x kann beliebig geformt und umgeformt werden und hat insofern keinen bestimmten Inhalt".

Damit sagt der Satz über sich selbst aus, dass er beliebig geformt und umgeformt werden kann. Für eine These, die in dieser Weise inhaltlich beliebig ist, kann jedoch kein allgemeiner Geltungsanspruch aufrechterhalten und begründet werden.

Es grüßt Dich Eberhard.

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- doc_rudi am 14. Okt. 2004, 13:53 Uhr

Hallo Eberhard,
ich halte zwar derartige logische Analysen eines Satzes für wertlos, mir geht es um den Inhalt, dennoch hier mein unbedeutender Standpunkt:
Der Satz "Die Wahrheit außerhalb der Physik ist eine Knetmasse" ist ein Satz über die "Wahrheit" (Wirklichkeit) und unterscheidet physikalische von nichtphysikalischen Wahrheiten. Er besagt, dass außerhalb der Naturwissenschaft Physik eine Wirklichkeit (=die Knetmasse) vorliegt, die unterschiedlich bewertet werden kann, und das trotz gleicher Wahrnehmungen. Ein Beispiel ist das Strafrecht. Strafrecht ist Staatsangelegenheit, die gleiche Tat wird in verschiedenen Rechtssystemen unterschiedlich bewertet und unterschiedlich bestraft. Es gibt sogar Tatbestände, die in einem Staat strafbar sind, im anderen nicht.
Deine Ausführung insgesamt bestätigen mir im übrigen den Eindruck, dass der Rückzug auf Logik der Vermeidung einer Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit dienen kann.
Gruß
rudi  

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- Eberhard am 14. Okt. 2004, 20:31 Uhr

Hallo Rudi,

die Frage, um die es in dieser Runde geht, lautet: "Was bedeutet es, wenn man von einer Aussage sagt, sie sei 'wahr'?".

Es geht also um den besonderen Geltungsanspruch, den man erhebt, wenn man eine Aussage als "wahr" bezeichnet. Dabei habe ich meine Überlegungen auf Aussagen über die Beschaffenheit der Realität eingeschränkt, also Sätze, die Antworten geben auf  Fragen danach, wie die Welt beschaffen ist und warum sie so ist, wie sie ist.

Es gilt diese spezielle Frage zu klären - und das ist schwierig genug. Ob ich mich dabei gleichzeitig mit der Wirklichkeit auseinander setze, wie du forderst, erscheint mir demgegenüber als zweitrangig.

Dir scheint es um das Problem der Geltung von Sätzen zu gehen, die nicht in den Bereich der Erfahrungswissenschaft fallen. Deine Beispiele sind deshalb: von Land zu Land unterschiedliche Strafgesetze und unterschiedlichen Bewertungen des gleichen Sachverhaltes.

Damit hast du die Fragestellung natürlich stark ausgeweitet. Du stellst die Frage - und beantwortest sie gleich negativ (" Knetmasse" ) - ob Strafgesetze oder Wertungen "wahr" sein können, d. h. ob man für solche Sätze einen begründeten Anspruch auf allgemeine Geltung erheben kann.

Leider diskutierst du diese Frage kaum, denn dein Hinweis auf unterschiedliche Gesetze verschiedener Länder und unterschiedliche Bewertung gleicher Sachverhalte sagt in erster Linie etwas darüber aus, was Menschen faktisch für wahr halten.

Was die Bedingungen für übereinstimmende Wertungen und Normen sind, was geeignete Argumente und Begründungen in Wert und Normenfragen sind, ist jedoch erst einmal unabhängig davon, ob sich Menschen schon jetzt tatsächlich einig oder uneinig sind. Stattdessen wäre zu fragen, welche Begründungen die Individuen für ihre unterschiedlichen Wert- und Normenüberzeugungen angeben und zu prüfen, inwiefern diese Begründungen allgemein nachvollziehbar und teilbar sind oder nicht.

Ich schlage jedoch vor, dass wir die Diskussion vorerst auf die Wahrheit von Aussagen über die Welt, wie sie ist und warum sie so ist. beschränken. Wenn man hier etwas Klarheit geschaffen hat, wird es leichter sein, in Bezug auf andere Sätze wie Werturteile, Normen oder Sinnbestimmungen nach den Bedingungen ihrer Allgemeingültigkeit zu fragen.

So weit mein nicht minder unbedeutender Standpunkt. Es grüßt dich Eberhard.

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- doc_rudi am 16. Okt. 2004, 08:15 Uhr

Hallo,
einverstanden.
Klären wir erst die Frage, wie die Welt ist.
Das ist relativ leicht, man sollte sich den Blick nur nicht durch Werturteilen verbauen.
Warum sie so ist, ist natürlich eine schwerer zu beantwortende Frage. Aber sie auch beantwortbar.
Vor allem gibt die Beantwortung dieser Frage die Möglichkeit, die Zukunft vorherzusagen.
(Im thread "Was ist Philosophie" habe ich ja deshalb mal zwei Zukunftsvorhersagen bezüglich WH - kann auch jeder andere sein - gemacht.)
Nur: verschont mich bitte mit derart banalen Aussagen, wie: der Kochtopf steht auf dem Herd.
gruß
rudi

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- Eberhard am 17. Okt. 2004, 10:15 Uhr

Hallo  rudi,

Du bist einverstanden, dass erstmal geklärt wird, wie sich die Wahrheit von Aussagen über die Wirklichkeit feststellen lässt.

Vorweg eine Anmerkung zum Verfahren. Du schreibst, dass Du von Aussagen wie: "Der Kochtopf steht auf dem Herd" verschont werden möchtest. Das kann ich verstehen, aber andererseits ist es sinnvoll, bei der Beantwortung verzwickter philosophischer Fragen mit möglichst einfachen Beispielen zu beginnen, damit sich die Diskussion nicht in der Kompliziertheit der Beispiele verrennt, sondern die philosophischen Fragen im Mittelpunkt bleiben. Fangen wir mit den einfachsten Aussagen an.

Dies sind wohl Aussagen über zeitlich und räumlich gegenwärtige oder aber nach Ort und Zeit bestimmte Sachverhalte. Beispiel hierfür sind: "In Dresden gibt es (jetzt) den Zwinger" oder "Eberhard sitzt (jetzt) am Computer" oder "In Warschau geht (jetzt) die Sonne auf".

Wie lässt sich für solche Sätze der Anspruch auf allgemeine Geltung (d. h. Wahrheit) überprüfen? Nehmen wir den Satz: "In Dresden gibt es (jetzt) den Zwinger". Um die Wahrheit eines Satzes überprüfen zu können, muss man die Bedeutung des Satzes kennen. Und um die Bedeutung eines Satzes zu bestimmen, muss man die Bedeutung der darin vorkommenden Wörter bzw. Kombinationen von Wörtern kennen. In unserem Beispiel muss man also wissen, was mit den Worten "in Dresden ", "der Zwinger", "jetzt" und "es gibt" gemeint ist. "Dresden" und "Zwinger" sind offensichtlich Namen bestimmter Objekte: zum einen der Hauptstadt von Sachsen und zum andern eines bestimmten barocken Bauwerks. Dies wirft keine weiteren Probleme auf.

Hätte der Satz gelautet "In Dresden gibt es die Frauenkirche", so hätte jemand mit den Worten widersprechen können: "Nein. Die Frauenkirche steht in München." Wenn es sich bei dem Wort "Frauenkirche" um einen Namen handelt, dann gibt es Missverständmisse, weil zwei Objekte denselben Namen tragen. Wenn das Wort "Frauenkirche" jedoch ein Begriff ist, der alle Objekte bezeichnet, die Frauenkirchen sind, dann müsste der Satz korrekt lauten: "In Dresden gibt es eine Frauenkirche." Dieser Satz stünde dann nicht mehr im Widerspruch zu dem Satz: "In München gibt es (auch) eine Frauenkirche."

Das Wort "jetzt" ist insofern etwas Besonderes, als es in seiner Bedeutung immer auf die Situation bezogen ist, in der es geäußert wird. Die Bedeutung solcher Worte wie "ich", "hier", "vor 10 Minuten", "gestern", " dieser ", "unser" usw. ändert sich je nach Sprechsituation.

Problematisch sind jedoch Existenzaussagen ohne Angabe von Raum und Zeit. Der Satz: "Es gibt einen Hund der französisch sprechen kann" kann nicht nachgeprüft werden. Man kann noch so viele Hunde präsentieren, die nicht französisch sprechen können. Das wären alles keine Widerlegungen der Behauptung, weil immer gesagt werden kann: "Woanders und zu einer anderen Zeit gibt es einen Hund, der französisch sprechen kann."

Unbestimmte Existenzaussagen können also nicht widerlegt werden, sie könnten höchstens bewiesen werden, indem in unserm Fall ein französisch sprechender Hund vorgezeigt wird.

Deshalb sind Diskussionen zum Thema: "Gibt es das Objekt x (Gott, Geister, Teufel, Yetis, Drachen, Himmel, Hölle etc.)?" auch ziemlich sinnlos, solange nicht gesagt wird, wo und wann es das Objekt x gibt.

Einverstanden? fragt Eberhard.

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- doc_rudi am 17. Okt. 2004, 11:49 Uhr

Hallo Eberhard,
bis auf einen Punkt bin ich einverstanden.
In einem Punkt abstrahierst Du nämlich von der Realität, die ich für real halte, obwohl es sie objektiv nicht so gibt, wie wir sie erleben.
Ich rede von der Zeit.
In dem Moment nämlich, der auf den Moment folgt, zu dem Du Deine Behauptung über den Dresdner Zwinger vollendet hast, gehört Deine Wahrheitsbehauptung der Vergangenheit an.
Kommunizierte Aussagen sind genau genommen immer Aussagen über die Vergangenheit. Deshalb auch kein Widerspruch von mir zu Deiner Aussagen und zu ihrem Wahrheitsgehalt, eben mit der Einschränkung, dass er für die Vergangenheit gilt. Die Mitberücksichtigung des Zeitfaktors löst im übrigen auch alle logischen Paradoxa auf (wie die lügenden Athener).
Interessant sind m.E. Zukunftsaussagen. Deshalb auch meine Zukunftsvorhersagen über WH oder über den Baum (von heute: Zukunftsvorhersagen zum Verhalten lebender Systeme in Philsophie der Naturwissenschaften).
Dein Satz enthält in meiner Betrachtungsweise eben die Voraussage, dass der Zwinger auch weiter in Dresden stehen wird. O.K., der Satz ist wahr. ich kann die Hypothese, die er enthält, auch morgen noch überprüfen und feststellen, dass die Aussage wahr war.
Gruß
rudi

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- Eberhard am 17. Okt. 2004, 18:08 Uhr

Hallo Rudi,

Du hast recht, wenn Du die Berücksichtigung der zeitlichen Dimension bei meinem letzten Beitrag kritisierst. Genau genommen bezieht sich das Wort "jetzt" (am 17.10.04 um 16:57:10 Uhr mitteleuropäische Sommerzeit) nur auf diesen Zeitpunkt und schon 1 Sekunde später ist es nicht mehr möglich, diesen Satz durch unmittelbare Wahrnehmung zu überprüfen.

Zum Glück sind jedoch viele Sachverhalte und Objekte von zeitlicher Dauer, was ihre Existenz und das Vorhandensein bestimmter Eigenschaften angeht. Dazu gehört z. B. unser Raumschiff "Erde", mit dem wir die Sonne umkreisen. Dazu gehören auch die Berge und Gebäude aus witterungsbeständigem Gestein. Es gibt Bauten, wie die ägyptischen Pyramiden, die seit mehreren tausend Jahren am selben Platz stehen oder Bäume, die seit mehreren hundert Jahren an ihrem Platz stehen.

Wenn ich von einem Objekt x (z. B. einem Gebäude) annehme, dass es über Jahre hin dauerhaft ist, weil es aus witterungsbeständigen Steinen erbaut ist, dann kann ich die Voraussage machen, das das Objekt x, das ich vor mir sehe, auch morgen noch am selben Platz stehen wird, sofern die Bedingungen a, b und c gegeben sind (z. B. keine Bombardierung, Sprengung oder Brand passiert).

Die Annahme einer solchen Dauerhaftigkeit ermöglicht es, aufgrund der heutigen Wahrnehmungen zu überprüfen, ob das Objekt x bereits gestern existiert hat. Wenn es zum Beispiel um die Aufklärung eines Raubüberfalls auf ein Juweliergeschäft geht, so ist es nicht sinnlos, auch noch nach Monaten einen Ortstermin zu machen, sofern inzwischen keine Umbauten im Geschäft vorgenommen wurden.

Die Dauerhaftigkeit vieler Elemente der Wirklichkeit bilden Voraussetzungen unserer eigenen Existenz. Ohne sie wäre eine Orientierung und ein Überleben nicht möglich, mehr noch: es gäbe uns als dauerhafte Körper aus Fleisch und Blut gar nicht.

Es bleibt noch die Frage, wie man die Wahrheit von Aussagen über derartige empirische Regelmäßigkeiten feststellen kann. Solche Aussagen haben die allgemeine Form: "Immer wenn p gegeben ist und die Randbedingungen a, b, c bestehen, dann ist auch q gegeben". Wie kann man z. B. den Satz überprüfen: "Granit behält seine Festigkeit über mehr als 1000 Jahre, sofern es nicht über x Grad Celsius erhitzt wird, etc. etc." ?

Der einzige Weg ist die Überprüfung durch systematische Beobachtung von Granit und die Durchführung von Versuchen mit Granit, indem man das Material unter verschiedensten Bedingungen auf seine Festigkeit testet. Aber selbst wenn alle Beobachtungen und Versuche die Annahme der Festigkeit und Dauerhaftigkeit bestätigen, gibt es keinen logisch-deduktiven Schluss auf das Verhalten von Granit in der Zukunft. Die Wahrheit von Aussagen über empirische Regelmäßigkeiten kann deshalb nicht streng logisch bewiesen werden.

Irgendwelche Einwände?

Es grüßt Dich und alle Interessierte Eberhard.

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- doc_rudi am 17. Okt. 2004, 21:38 Uhr

Hallo Eberhard,
keine Einwände. Ich verlange keine strenglogische Nachweisbarkeit, sondern nur eine praktische Nachweisbarkeit.
Wir wissen ja, wie bestimmte radioaktive Stoffe zerfallen, kennen Halbwertzeiten und können daher überprüfen, wie alt ein Material ist. Wir sind also in der Lage Zeiträume zu überblicken, die unsere Lebensdauer weit überschreiten. Streng logsich wissen wir natürlich nicht, ob auch morgen früh die Sonne wieder aufgeht, aber wir sind uns einig, dass es so kommen wird, weil wir vergangene Erfahrungen in die Zukunft extrapolieren.
Gruß
rudi

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- Wolfgang_Horn am 17. Okt. 2004, 23:29 Uhr

Hi, rudi,


Zitat:

Ich verlange keine strenglogische Nachweisbarkeit, sondern nur eine praktische Nachweisbarkeit.


Wo verläuft die Grenze zwischen "praktisch" und "strenglogisch" ?

Mir scheint, Strafrichter und Strafrecht haben da wohl die besten Kriterien gefunden: Sie sprechen jemanden nur dann schuldig, wenn sie an seiner Schuld keinen Zweifel haben.

Als einer, der mit Ausfallwahrscheinlichkeiten von Bauelementen rechnete, denke ich selber gern mit Wahrscheinlichkeiten: "Die These ist mit hoher Wahrscheinlichkeit (mit an Sicherheit grenzender W.) eher wahr als die Antithese".

Ciao
Wolfgang

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- doc_rudi am 18. Okt. 2004, 18:38 Uhr

Hallo Wolfgang,
da hast Du meine Absicht gut verstanden und übersetzt. Mehr als eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit ist praktisch nicht erreichbar. Sicherheit gibt es im Leben eben nicht. Für ein Strafurteil reicht es, wenn keine vernünftigen Zweifel an der Schuld des Angeklagten bestehen. Irgendwelche abwegigen anderen Erklärungen gibt es immer. lebende Systeme handeln im übrigen auch nach Wahrscheinlichkeiten und richten sich auf Abweichungen ein, je größer die Abweichungen, mit denen gerechnet wird, desto größer ist die Überlebenswahrscheinlichkeit im Falle unvorhersehbarer Umweltveränderungen. Das ist der Vorteil der zweigeschlechtlichen Vermehrung (die größere Variationsbreite der Nachkommen gegenüber der ungeschlechtlichen Vermehrung) und der Ausdehnung der Sollwertbereiche (das Tolerieren größerer Abweichungen vom Sollmittelwert).
Gruß
rudi

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- Hermeneuticus am 19. Okt. 2004, 19:55 Uhr

Hallo Eberhard!


on 10/13/04 um 19:17:47, Eberhard wrote:

Diesen Gegensatz sehe ich in der Schärfe nicht. Auch in der lebensweltlichen Praxis gilt eine Aussage dann als wahr, wenn es tatsächlich so ist, wie die Aussage besagt. Auch im Alltag gilt eine Behauptung für alle, die diese Behauptung hören und verstehen können. Die Bedeutung des Wortes "wahr" ist im Alltag also nicht grundsätzlich anders als in der Wissenschaft.


Dass die alltägliche Bedeutung des Wortes "wahr" sich nicht grundsätzlich von seiner wissenschaftlichen Bedeutung unterscheidet, will ich wohl zugeben. Aber ich meine, dass

1. dieses Wort seinen ursprünglichen und daher auch legitimen Sitz in der Lebenswelt hat;
2. dass die wissenschaftliche Verwendung dieses Wortes sich von der lebensweltlichen herleitet, davon sozusagen abgezweigt, spezialisiert, ausdifferenziert ist;
3. dass die normativen Anforderungen an seine Verwendung in der Wissenschaft sehr viel strenger sind (besonders hinsichtlich der allgemeinen Geltung);
4. dass es nicht notwendig oder überhaupt sinnvoll ist, die lebensweltliche Verwendung des Wahrheitsbegriffs an der wissenschaftlichen zu messen.

Wenn im Alltag Herr X sagt: "Dies ist ein runder Tisch", dann genügt es ihm vollauf, wenn die Adressaten, die gerade anwesend sind, ihm zustimmen. Er hat keinerlei Interesse daran, seine Aussage in eine Form zu bringen, die sie für JEDERMANN - auch in alle Zukunft - überprüfbar und somit "intersubjektiv" und "intertemporal" wahr machen würde. Und dies ist ihm nicht als "vorwissenschaftliche" Schlampigkeit anzukreiden. Ja, es wäre auch merkwürdig zu behaupten, dass seine Aussage nur provisorisch wahr, also quasi nur eine Hypothese oder ein Glaube sei, solange sie nicht wissenschaftlich überprüft wurde.

Zitat:

...wenn es tatsächlich so ist, wie die Aussage besagt.

Die Unterscheidung wissenschaftlicher von lebensweltlicher Wahrheit ist besonders brisant, wenn es um die Frage geht, ob Lebenswelt und Wissenschaft sich mit ihren Begriffen, Kategorien, Schematisierungen... auf DIESELBE Welt beziehen bzw. ob die verschiedenen Begriffssysteme äquivalent in einander übersetzbar sind. Sprechen sie von demselben "Es", das da "tatsächlich so ist" ? (Um beim Beispiel zu bleiben: Sprechen Herr X und z. B. die Physik von demselben Gegenstand, wenn sie sich auf jenen "runden Tisch" beziehen?)
Besteht eine solche Übersetzbarkeit der verschiedenen Begriffssysteme NICHT - welches System ist dann verbindlicher? Muss sich Herr X von der Physik darüber belehren lassen, welchen Gegenstand er da "eigentlich" meine? Und ist der Gegenstand der Physik deshalb der "eigentlichere", weil die Aussagen, die sie über ihn macht, universell gelten - und weil sie außerdem auf alle anderen Aussagen verzichtet als die universell gültigen?

Zitat:

Du brichst eine Lanze für regionale Weltsichten. Aber wir leben heute nicht mehr in voneinander isolierten Gesellschaften und Kulturen, sondern wir leben in einer Welt, die eng zusammen gerückt ist.


Mit "regional" meinte ich nicht vordringlich geographische oder kulturelle Regionen. Es ging mir um die Allgemeinheit der Wahrheitsgeltung: Ist eine Aussage, die von einer begrenzten Anzahl von Adressaten für wahr gehalten wird oder werden könnte, "weniger" wahr als eine Aussage, die von JEDERMANN und zu JEDER ZEIT für wahr gehalten wird oder werden könnte? Ist es erforderlich und sinnvoll, einen begrenzten Geltungsanspruch von Aussagen am universellen zu messen?

Hier meine ich: Nein, ist es nicht. Die Verwendung des Wortes "wahr" ist sinnvoll im Hinblick auf die jeweils verfolgten Zwecke. Es hängt vom jeweiligen Umstand, Zweck, Adressatenkreis... ab, was als wahr oder unwahr gelten soll.
Wenn der Metzger Geld für 100 g Salami verlangt, obwohl er "de facto" nur 98,8856796 g Salami abgewogen hat, dann ist seine (implizite) Behauptung, es handele sich um 100 g, keine Lüge. Anders gesagt: Hier hat der Metzger TATSÄCHLICH 100 g Salami verkauft. Und das Ansinnen, diese Messung an Labormaßstäben zu messen und dadurch zu widerlegen, wäre nicht nur deshalb sinnlos, weil der Aufwand unökonomisch wäre. Die Lebenswelt findet eben nicht im Labor statt. Die Zwecke, die hier von Menschen verfolgt und erreicht werden, sind andere. Pointiert gesagt: Hier befinden wir uns in einer anderen "Welt", nicht in der Welt von Atomen, Naturgesetzen, Trajektorien und Wellenfunktionen...

Gruß
H.

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- Eberhard am 20. Okt. 2004, 22:30 Uhr

Hallo Hermeneuticus,

Wenn ich dich recht verstehe, so argumentierst du nicht gegen die Präzisierung des Begriffs "Wahrheit" für wissenschaftliche Zwecke.

Dir kommt es darauf an, neben diesem wissenschaftlichen Wahrheitsbegriff die Berechtigung oder sogar die Vorrangigkeit eines Wahrheitsbegriffs zu begründen, so wie er in der alltäglichen Lebenswelt Verwendung findet.

Deine Beispiele (Jemand spricht von einem "runden" Tisch, der Fleischer verkauft 100 Gramm Wurst) verdeutlichen, dass es hinsichtlich der Genauigkeit einer Aussage je nach Situation unterschiedliche Maßstäbe gibt. Eine Waage für Kartoffeln ist weniger genau geeicht als eine Waage für Wurst, und diese wiederum weniger genau als die sprichwörtliche Goldwaage.

Der Kohlenhändler rechnet mit Zentnern und der Juwelier mit Milligramm, und man würde wohl für verrückt gehalten werden, wenn man verlangen würde, dass der Händler die Kohle bis auf ein Milligramm genau auswiegt.

Entsprechendes gilt jedoch auch in den Wissenschaften. Der Astronom berechnet Entfernungen in Lichtjahren und der Physiker in Tausendstel Millimetern und kleiner. Auch hier wird nur so genau gemessen und entsprechend formuliert, wie es für die jeweiligen Zwecke erforderlich ist. Hier sehe ich keinen Unterschied, der eine Spaltung des Wahrheitsbegriffs in umgangssprachliche Bedeutung und wissenschaftliche Bedeutung rechtfertigen würde.

Das andere Argument für eine Relativierung des wissenschaftlichen Wahrheitsbegriffs steckt in der von Dir aufgeworfenen Frage, ob Lebenswelt und Wissenschaft sich mit ihren Begriffen.. auf DIESELBE Welt beziehen.  Hier besteht meiner Ansicht nach noch erheblicher Klärungsbedarf, den man nicht mit flotten Sprüchen verdecken darf.

Nehmen wir ein Beispiel: die Cheops-Pyramide aus der Zeit des alten Ägyptens. Physikalisch würde man sagen: es handelt sich um ein Bauwerk in der Form einer 150 Meter hohen  Pyramide auf einer x Meter breiten und y Meter langen Grundfläche aus übereinander geschichteten Steinquadern. (Diese Beschreibung könnte noch beliebig ausführlich in die Einzelheiten gehen.)

Die Frage ist: Erfasst eine derartige empirische Beschreibung die Wirklichkeit?

Für viele Menschen scheinbar nicht, denn in Büchern über das alte Ägypten findet man nicht nur Text sondern auch Farbfotos der Pyramide, es gibt Filme über die Pyramiden von Giseh und jährlich besuchen Tausende von Touristen die Pyramiden, um diese gewaltigen Bauwerke mit eigenen Augen zu sehen.

Es gibt künstlerische Darstellungen von Schriftstellern, Malern und Fotografen der Pyramiden.

Was vermitteln diese Darstellungen, das die wissenschaftlichen Beschreibungen nicht beinhalten?

Wie passen diese Betrachtungsweisen zusammen?

Es grüßt Dich und alle Interessierten Eberhard.

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- Hermeneuticus am 21. Okt. 2004, 05:36 Uhr

Hallo Eberhard!

Ich will versuchen, meine Fragen noch deutlicher zu formulieren. Auf Dein Pyramidenbeispiel gehe ich später ein, weil es in eine andere Richtung führt.

Von einer "Spaltung des Wahrheitsbegriffs" habe ich nicht gesprochen. "Wahr" werden, in welchem Kontext auch immer, zutreffende Aussagen über Sachverhalte genannt. Darin sind wir uns wohl einig.
Meine Fragen zielten zum einen auf die möglichen Unterschiede zwischen Sachverhalten bzw. Gegenstandsbereichen, über die man wahre oder falsche Aussagen machen kann. Zum anderen fragte ich danach, ob das Zutreffen einer Aussage von jedermann muss eingesehen oder überprüft  werden können, damit sie das Prädikat "wahr" verdient, oder ob es genügt, wenn nur ein begrenzter Adressatenkreis  vom Zutreffen der Aussage überzeugt ist.

Zwischen diesen beiden Aspekten sehe ich gewisse Zusammenhänge. Denn es gibt ja Gegenstände (von Aussagen), von deren Existenz nicht jedermann überzeugt ist. Das kann daran liegen, dass man regional unterschiedliche Kriterien für "Existenz" verwendet. Mir z. B. genügen das mehrmalige eigene Erleben und zahlreiche Zeugenaussagen, um davon überzeugt zu sein, dass an jener "Kraft" namens Ki "etwas dran ist". (Was genau, darauf will ich mich nicht festlegen, kann aber näher darauf eingehen, wenn die Diskussion das erfordert.) Andere bestehen vielleicht darauf, dass nur mechanische Messverfahren, wie sie z. B. in der Physik grundlegend sind, über das Zutreffen von Aussagen entscheiden können.

Aber es gibt ja auch so etwas wie historische Wahrheit, die sich ebenfalls nur auf die Interpretation von Indizien und Zeitzeugen stützen kann. Die Existenz jener Person, die in vielen Texten "Gaius Julius Cäsar" genannt wird, von der auch diverse Porträts existieren, lässt sich nicht durch beliebig wiederholbare Messungen oder Wahrnehmungen belegen. Trotzdem wäre es sonderbar, wenn wir Cäsars Existenz bestenfalls für wahrscheinlich hielten. Für uns ist Cäsar historische Wirklichkeit; der Mann hat gelebt und diese und jene Dinge wirklich getan, Punktum.  


Meine Fragen sind also: 1. Soll es wirklich von der UNIVERSELLEN Nachprüfbarkeit abhängen, ob Aussagen für das Prädikat "wahr" überhaupt kandidieren dürfen? Und sollen 2. von vornherein nur solche Gegenstände als möglicherweise existent in Betracht gezogen werden, über die universell nachprüfbare Aussagen zu machen sind?

Die Gegenstände der neuzeitlichen Wissenschaften sind ja schon so konzipiert, dass alles von ihrer Untersuchung als irrelevant ausgeschlossen wird, was sich der Quantifizierung, Berechnung und Messung widersetzt. Das ist kein Zufall, weil die Regeln der Logik und Mathematik universelle Geltung beanspruchen. Es ist demnach die Anwendung der Mathematik, genauer: die Messbarkeit der ausgewählten Parameter, die Gegenstände derart konstituiert, dass ihre Existenz von jedermann nachgeprüft werden kann (wenn die technischen Apparate verwendet und die Bedienungsvorschriften befolgt werden, die jeweils zur erfolgreichen Messung nötig sind). Anders gesagt: Man hat es mit Gegenständen zu tun, die durch ihre Beschreibung von vornherein so eingegrenzt sind, dass sie der Überprüfung durch beliebig oft wiederholbare Messung standhalten.

Sollen wir unsere Verwendung des Prädikats "wahr" auf solche Aussagen beschränken, die ähnlichen Prüfungsstandards standhalten? Und sollen wir versuchen, möglichst nur über solche Gegenstände zu sprechen, die ähnlich restriktiv definiert sind? Oder: Sollen wir uns jeweils auf diejenigen Aspekte von Gegenständen beschränken, über die quantifizierbares Wissen vorliegt oder möglich ist?

Die Bejahung dieser Fragen hätte weitreichende Konsequenzen.
Bei einer so strengen Normierung der Wahrheitskriterien würde sich, wie ich schon sagte, unsere "wahre Wirklichkeit" radikal ausdünnen. Denn wie viele Phänomene gibt es in unserem Leben, deren Existenz anzuzweifeln uns im Traum nicht einfiele, obwohl niemand sie wiederholt gemessen hat oder messen könnte? Bei den allermeisten Dingen, von denen wir umgeben sind, genügt uns unser gelingendes Handeln, um sie für unangezweifelt wirklich zu halten. Wir machen auch bei weitem nicht über alle Dinge Aussagen, die dann (mehr oder weniger) allgemeine "Wahrheitansprüche" erhöben. Das allermeiste unseres alltäglichen Umgangs ist einfach, wie es ist. Es ist praktisch bewährt, wenn auch nicht durch wissenschaftlich normierte Prüfungsverfahren erwiesen.

Gruß
H.

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- Eberhard am 21. Okt. 2004, 10:32 Uhr

Hallo Hermeneuticus,

Dir geht es offenbar zum eine Ausweitung des Gegenstandsbereichs, über den wahre Aussagen gemacht werden können. (Ich hatte den Bereich auf Fragen nach der Beschaffenheit der Wirklichkeit beschränkt.)

Zum andern geht es Dir um die Verwendung des Wahrheitsbegriffs auch unterhalb der Ebene allgemein bzw. universal nachvollziehbarer und nachprüfbarer Aussagen.

Zwischen beiden siehst Du einen Zusammenhang, etwa wenn Aussagen über Gegenstände gemacht werden, "von deren Existenz nicht jedermann überzeugt ist."

Um die beiden Punkte zu klären, muss meiner Meinung nach an einem Punkt eine klare Unterscheidung getroffen werden. Dies ist der Unterschied zwischen der TATSACHE, dass jemand von der Wahrheit einer Aussage überzeugt ist, und der MÖGLICHKEIT, durch Argumente von der Wahrheit einer Aussage überzeugt zu werden.

Die bloße Tatsache, dass Person A (und andere Personen) von der Wahrheit einer Aussage x überzeugt sind, ist für die Frage, ob die Aussage x wahr ist oder nicht, ohne Bedeutung, wenn A keine Gründe für seine Überzeugung angeben kann. Dasselbe gilt für jede andere Person. Der Werbeslogan: "Millionen können sich nicht irren" ist durch die geschichtlichen Ereignisse oft genug widerlegt worden.

Dagegen ist es für die Wahrheit einer Aussage x von entscheidender Bedeutung, wenn es Gründe für die Aussage x gibt, die Person A (und andere Personen) von der Aussage x überzeugen können.

Bei der Frage, ob "wahr" immer "universell wahr" bedeuten muss, muss ein Punkt unbedingt beachtet werden.

Problematisch wird es immer dann, wenn Person A mit der Kennzeichnung der Aussage x als "wahr" einen Anspruch auf Bejahung der Aussage x gegenüber Person B erhebt, ohne zugleich Gründe für die Aussage x anzugeben, die Person B nachvollziehen und teilen kann.

Anders formuliert: problematisch wird es dort, wo der Adressatenkreis, für den die Aussage x gelten soll, nicht deckungsgleich ist mit dem Adressatenkreis, für den es Gründe der Rechtfertigung dieser Geltung gibt.

Wenn also unter den Fans eines Fußballvereins Meinungen diskutiert werden (" Kahn hat heute hervorragend gehalten" "Ziege war ein Ausfall auf der ganzen Linie" ), so können diese Meinungen ebenfalls so etwas wie "Wahrheit" beanspruchen, vorausgesetzt, man geht von gemeinsamen Standards zur Bewertung aus, die  sich vom Erfolg des Vereins (z. B. Rang in der Bundesliga) herleiten lassen.

Du denkst sicher an weniger profane Bereiche, aber es geht mir hier nur um die Verdeutlichung dessen, was mit Adressatenkreis gemeint ist.

Relevanter ist vielleicht der Bereich des Rechts, dessen Gesetze ebenfalls in ihrer Geltung oft auf einen bestimmten Adressatenkreis bzw. ein bestimmtes Gebiet begrenzt sind.

Es grüßt Dich Eberhard.

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- Wolfgang_Horn am 21. Okt. 2004, 11:59 Uhr

Hi, Hermeneuticus,


Zitat:

oder ob es genügt, wenn nur ein begrenzter Adressatenkreis  vom Zutreffen der Aussage überzeugt ist.


Die Äuißerung "ich/wir bin/sind überzeugt" ist keine Begründung für Wahrheit.
Ob eine, zwei oder wieviele Personen sagen, sie seien überzeugt, X sei wahr, das ist alles irrelevant.
Im ersten Fall könnte auch ein Diktator seine Wahrheit definieren, im zweiten Fall eine Priestergruppe, und letztlich gälte nichts als wahr außer dem, was eine Mehrheit für wahr hält.

Alles unbrauchbar.
Kennzeichnend für Sekten und Religionen ist allerdings, dass es einen Guru gibt, der solch eine Behauptung von sich gibt, und dass ein kleinerer oder größerer Kreis in seiner Umgebung seine Behauptung nicht anzweifelt, also ihr vernünftiges Denken ausgeschaltet hat. Wozu auch immer.

Für diejenigen, die selber denken wollen, bevor sie zustimmend nicken, kann daher keine Person das Maß sein für "wahr" oder "nicht wahr", auch keine Vielzahl von Personen, sondern das, was jede tüchtige und kritische Person selbständig beantworten könnte..
Solche unäbhängigen Messungen, Bestätigungen und Widerlegungen finden wir eben in den Naturwissenschaften.

Aus irgendeinem Grunde, den ich nur vermuten kann, willst Du nun unbedingt auch andere Dinge für wahr erklären.
Zusammenhänge. Denn es gibt ja Gegenstände (von Aussagen),


Zitat:

Mir z. B. genügen das mehrmalige eigene Erleben und zahlreiche Zeugenaussagen, um davon überzeugt zu sein, dass an jener "Kraft" namens Ki "etwas dran ist".


Diese Ahnung ist jeweils der Anfang einer wissenschaftlichen Erkenntnis - oder eines Glaubens.


Zitat:

...historische Wahrheit, die sich ebenfalls nur auf die Interpretation von Indizien und Zeitzeugen stützen kann.


Und deshalb können wir sie nur so ernst nehmen, wie wir diesen Zeitzeugen vertrauen.
Einst vertraute man den Bibelweisen und Priestern so sehr, dass allgemein anerkannt war, ein Wesen namens Gott habe die Welt in 6 Tagen erschaffen, und zwar vor 3778 Jahren oder so.
Später mussten diejenigen, die diesen Glauben unbedingt für wahr halten wollten, auch für wahr erklären, dass Gott die Saurierknochen in die Erde verbuddelt hätte, um unsere Naturwissenschaftler zu foppen.
Aber wer im Museum vor einem Saurier-Gerippe steht, der zweifelt an der Wahrheit biblischer Texte.


Zitat:

Für uns ist Cäsar historische Wirklichkeit; der Mann hat gelebt und diese und jene Dinge wirklich getan, Punktum.


Danke für das Punktum. Das ist das "basta!", der Punkt, wo Zweifel unterbunden werden.
Hier meine ich, durchaus zu Recht.


Zitat:

Die Gegenstände der neuzeitlichen Wissenschaften sind ja schon so konzipiert, dass alles von ihrer Untersuchung als irrelevant ausgeschlossen wird, was sich der Quantifizierung, Berechnung und Messung widersetzt. Das ist kein Zufall, weil...


Ja, und weil die so gewonnen Aussagen eben die einzigen sind, für die man "eher wahr, als..." reklamieren kann.
Das ist der Stand der Wissenschaften.


Zitat:

Sollen wir unsere Verwendung des Prädikats "wahr" auf solche Aussagen beschränken, die ähnlichen Prüfungsstandards standhalten?


Nö, von einem "sollte" kann keine Rede sein.

Aber wer Behauptungen für wahr erklärt und den Beleg schuldig bleibt, der wird nicht ernst genommen. Allenfalls von denen, die dasselbe tun, aber wahrscheinlich
Und sollen wir versuchen, möglichst nur über solche Gegenstände zu sprechen, die ähnlich restriktiv definiert sind? Oder: Sollen wir uns jeweils auf diejenigen Aspekte von Gegenständen beschränken, über die quantifizierbares Wissen vorliegt oder möglich ist?


Zitat:

Die Bejahung dieser Fragen hätte weitreichende Konsequenzen.
Bei einer so strengen Normierung der Wahrheitskriterien würde sich, wie ich schon sagte, unsere "wahre Wirklichkeit" radikal ausdünnen.


Was Du hier "ausdünnen" nennst, das nenne ich "mentales Ramadama", "Aufräumen auf unserer Karte von der Realität". Wir entscheiden nämlich nicht nach der Realität, sondern nach unseren Informationen über sie. Diese Informationen sind wie eine Stadtkarte für eine Stadt.
Unsere Karte ist aber stets verzerrt, lückenhaft und zahlreiche Lücken mit Phantasie gefüllt.

Und in vielen Bereichen des Lebens erlebe ich mehr Phantasie als nachprüfbare Dinge.
Würden die Leute mit solchen sich so bewegen, wie sie denken, dann würden sie unerklärliche Umwege nehmen, alle paar Schritte einen Schritt zu Seite machen, um ein für alle andren unsichtbares Hindernis herum.
Nun ja, das ist Sache jedes Einzelnen. Das Zuschauen amüsiert und schon lange nicht mehr.


Zitat:

Denn wie viele Phänomene gibt es in unserem Leben, deren Existenz anzuzweifeln uns im Traum nicht einfiele,


Eben.
Aber einmal richtig zweifeln kann hunderte von Umwegen ersparen.

Ciao
Wolfgang

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- Hermeneuticus am 21. Okt. 2004, 12:22 Uhr

Hallo Eberhard!


on 10/21/04 um 10:32:17, Eberhard wrote:

Dir geht es offenbar um eine Ausweitung des Gegenstandsbereichs, über den wahre Aussagen gemacht werden können. (Ich hatte den Bereich auf Fragen nach der Beschaffenheit der Wirklichkeit beschränkt.)


Nein, ich will nicht den Gegenstandsbereich erweitern. Auch ich spreche nur von der "Beschaffenheit der Wirklichkeit". Nur denke ich, dass es nicht ein für alle Mal ausgemacht ist, was als Wirklichkeit gilt bzw gelten darf. Wer dagegen glaubt, der Gegenstandsbereich wahrer Aussagen sei intertemporal und intersubjektiv abgeschlossen, für den gbt es offenbar so etwas wie eine "fertige Welt", die nur darauf wartet, von uns erkannt (= mehr oder weniger zutreffend beschrieben) zu werden. Eine solche Annahme halte ich für einen Fall von Essentialismus, also eine Variante der Abbildtheorie der Wahrheit.

Bevor man nachprüfen/begründen kann, ob es ein X mit den Eigenschaften a,b,c... gibt, muss ja erst einmal dieses X beschrieben/definiert/hinreichend von anderen möglichen Gegenständen unterschieden sein. Gegenstände sind ja nicht einfach gegeben, sondern sie werden "konstituiert" durch die Art und Weise ihrer Beschreibung. Und da fragt sich eben, ob es für die BESCHREIBUNG von möglichen X VON VORNHEREIN Restriktionen geben soll.
In der neuzietlichen Naturwissenschaft ist ja, wie gesagt, genau das der Fall: Gegenstände werden von vornherein so definiert, dass ihre Eigenschaften messbar sind. Kann man aber diese Normierung von möglichen Gegenständen universalisieren? Sollen nur Gegensände überhaupt für "Wirklichkeit" kandidieren dürfen, die ähnlich auf die technischen Verfahren ihrer Überprüfung zugeschnitten sind?

Meine Antwort ist: Nein.

Zitat:

Dies ist der Unterschied zwischen der TATSACHE, dass jemand von der Wahrheit einer Aussage überzeugt ist, und der MÖGLICHKEIT, durch Argumente von der Wahrheit einer Aussage überzeugt zu werden.


Nun scheinst Du mir die Wirklichkeit zu verlassen und Wirklichkeit davon abhängig zu machen, ob ihre Begründung MÖGLICH ist...

Wie schon einmal gesagt: Ich gehe beim Wahrheits- oder Wirklichkeitsproblem immer von der gelingenden Praxis aus. Bei einer gelingenden Praxis ist eine Reflexion darauf, ob sie überhaupt gut begründet sei, überflüssig. So frage ich auch nicht danach, ob wohl die Welt da draußen wirklich noch vorhanden ist, wenn ich vor die Haustür trete. Ich frage auch nicht, ob es wohl sicher sei, das Haus zu verlassen, weil mir draußen z. B. ein Ziegelstein auf den Kopf fallen könnte. Ich frage auch nicht danach, ob ich selbst überhaupt "wirklich existiere". Nur in Situationen, wo irgendetwas schief läuft, wo Uneinigkeit besteht, wo Zweifel auftauchen... wo also Praxis einmal nicht gelingt, beginnt man gewöhnlich zu reflektieren und dann auch zu begründen oder danach zu fragen, was als Begründung gelten soll. Usw.

Es besteht also lebensweltlich kein Grund, die durch die eigene gelingende Praxis bewährte Wirklichkeit durchgängig von einem Reflexionsstandpunkt aus zu beurteilen. Man muss nicht mit Descartes erst einmal METHODISCH AN ALLEM ZWEIFELN, um dann auf jene fundamentalen Reste zu stoßen, die unbzweifelbar sind, um von dort aus die Wirklichkeit nach einer bestimmten Methode zu rekonstruieren. Genau dies aber tut die neuzeitliche Wissenschaft. Descartes' methodischer Zweifel, der ein apriorischer Zweifel "für alle Fälle" ist, war ihre Geburtsstunde.

Der methodische Zweifel misst Wirklichkeit an der MÖGLICHKEIT, nämlich der Möglichkeit des Zweifels. Um diesen Zweifel zu besänftigen - hier liegt die Pointe - muss man streng methodisch vorgehen. Und nur, was nach dieser Methode "rekonstruiert" wird oder WERDEN KANN (Möglichkeit!!), hat dann Anspruch auf unbezweifelbare Wirklichkeit.


Dieser Tage sah ich einen Beitrag über das CERN in Genf, in dem ein Dr. Frank Close, ein Mitarbeiter dort, zu Wort kam. Er beschrieb seine Forschungssituation etwa so: "Wir befinden uns auf einer kleinen Insel des Lichts und sind umgeben von einer unendlichen Finsternis. Und nur manchmal erhellt ein Blitzstrahl das Dunkel ein kleines bisschen. Aber damit tauchen zugleich wieder neue Fragen auf. - Ja, letzlich geht es wohl gar nicht so sehr ums Finden von Antworten, sondern darum, TIEFERE FRAGEN zu stellen..."  

Ich habe über diesen Anflug von philosophischem Tiefsinn schallend gelacht. Dies ist ganz offenkundig nicht unser lebensweltliches Wirklichkeitsgefühl. Wir leben in einer "hellen" Realität, in der gelegentlich dunkle Punkte auftauchen. Unsere Wirklichkeit ist nicht durch einen methodischen Zweifel "verdunkelt".

Zitat:

Du denkst sicher an weniger profane Bereiche...


Ganz im Gegenteil, ich rede von der Wirklichkeit, die durch alltäglich gelingende Praxis bewährt ist. Was Dr. Frank Close sagt, der nüchterne Teilchenphysiker, scheint mir sehr viel mystischer, dunkler, tiefer, abgründiger zu sein... TIEFERE FRAGEN... ja....


Gruß
H.

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- Eberhard am 21. Okt. 2004, 21:19 Uhr

Hallo Hermeneuticus,

ich kann Deine Kritik an der der neuzeitlichen Naturwissenschaft nicht nachvollziehen, wenn Du schreibst: "Gegenstände werden von vornherein so definiert, dass ihre Eigenschaften messbar sind".  Die Erfahrungswissenschaften sind keineswegs methodisch so angelegt, dass nur messbare Phänomene als Gegenstände der Forschung akzeptiert werden. Viele Forschungsgegenstände sind einfach als Phänomene da, (z. B. die Krebskrankheit, die Nordlichter, der Drogenkonsum oder die Vulkane) und sie werden zum Gegenstand empirischer Forschung, z. B. systematischer Beobachtung und  Ordnung der Phänomene, ohne dass bereits irgendeine Messbarkeit gegeben ist.

Es grüßt Dich Eberhard.

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- Eberhard am 21. Okt. 2004, 21:52 Uhr

Hallo doc_rudi, hallo Wolfgang,

nochmal zurück zu den Wahrscheinlichkeitsaussagen. Aussagen wie: "Höchst wahrscheinlich wird es am kommenden Wochenende auf der Autobahn zwischen Hannover und Kassel zu erheblichen Staus kommen" werfen ihre besonderen Wahrheitsprobleme auf.

Was ist z. B., wenn es nicht zu Staus kommt? War die Wahrscheinlichkeitsaussage dann falsch? Streng genommen nicht, denn es war ja logisch nicht ausgeschlossen, dass es keine Staus gibt. Wie werden Wahrscheinlichkeitsaussagen falsifiziert? Wie werden sie bestätigt?

Andererseits kann man der Aussage widersprechen und sagen: "Im Gegenteil, ich halte es für ziemlich unwahrscheinlich, dass es am kommenden Wochenende zu Staus auf der Strecke zwischen Hannover und Kassel kommt."

Es grüßt Euch Eberard.

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- Hermeneuticus am 21. Okt. 2004, 22:59 Uhr

Hallo Eberhard!

Ich übe durchaus nicht Kritik an der neuzeitlichen Wissenschaft, sondern stelle nur fest, ihre Gegenstände seien so konstituiert, dass Phänomene auf quantifizierbare Parameter reduziert würden. Für die Physik, die Pionierdisziplin, die auch erkenntnistheoretisch lange als Vorbild angesehen wurde, wirst Du das wohl kaum bestreiten wollen. Für die Beispiele, die Du anführst, dürften Statistik und Wahrscheinlichkeitsberechnungen eine gewisse Rolle spielen. Aber ich übersehe nicht die wissenschaftlichen Zweige (z. B. Historiographie, Naturgeschichte), die sich mit singulären Ereignissen und irreversiblen Prozessen befassen. (In der heutigen Geschichtsschreibung, die auch Sozial-, Struktur-, Institutionengeschichte meist mit umfasst, ist allerdings das Arbeiten mit Statistiken durchaus üblich.)

Und um es ganz deutlich zu sagen: Ich bin durchaus nicht der Ansicht, die neuzeitlichen Wissenschaften seien auf dem Holzweg, vergingen sich an der Wahrheit des Seins oder dergl.
Ich wende mich nur dagegen, dass wissenschaftliche Standards der Gewissheit den Maßstab für JEDE Art von Wissen abgeben sollen. Aber noch wichtiger ist es mir, dass die Grenzen wissenschaftlicher Erklärungsmodelle beachtet werden, damit z. B. nicht Moral- oder Wahrheitsfragen als naturwissenschaftliche Probleme abgehandelt werden (" Gibt es ein Moral-Gen?" - "Welche Naturgesetze erzeugen in unserem Hirn die Illusion freier Entscheidung?" usw.)


Gruß
H.

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- Wolfgang_Horn am 21. Okt. 2004, 23:29 Uhr

Hi, Eberhard,


Zitat:

nochmal zurück zu den Wahrscheinlichkeitsaussagen. Aussagen wie: "Höchst wahrscheinlich wird es am kommenden Wochenende auf der Autobahn zwischen Hannover und Kassel zu erheblichen Staus kommen" werfen ihre besonderen Wahrheitsprobleme auf.

Was ist z. B., wenn es nicht zu Staus kommt? War die Wahrscheinlichkeitsaussage dann falsch?


Wunderbar haben die Meteorologen dies Problem gelöst. Sie sagen eben nicht "morgen 12 Uhr fallen auf den Münchner Marienplatz 13.456789 Regentropfen, sondern "Die Regenwahrscheinlichkeit für München Innenstadt beträgt 38 Prozent".

Hinterher sind wir immer schlauer. Aber so kann jeder für seine Zwecke und Vorhaben abschätzen, ob er einen Regenschirm mitnimmt oder drauf verzichtet.

Zitat:

Wie werden Wahrscheinlichkeitsaussagen falsifiziert? Wie werden sie bestätigt?


Als Spielbankeigner Blaise Pascal befragt haben nach den Gewinnchancen bei bestimmten Spielarten, hat er diese Frage beantwortet und seine Antwort ist bis heute die beste: Zum Nachweis der Richtigkeit oder Fehlerhaftigkeit einer prognostizierten Gewinnwahrscheinlichkeit beim Würfelspiel spielt man dieses etliche mal.
Die Wahrscheinlichkeitsrechnung erlaubt sogar Aussagen über Fehlergrenzen.

Das verwenden wir sogar bei der Festigkeitsberechnung für die Aufhängung eines Jet-Triebwerks - welche Belastungen sind möglich, welche nehmen wir als die schlimmstmöglichen an (schlimmere vermeidet der Pilot durch Umfliegen der Gewitterwolke), wie fest müssen die Pylone sein?

Diese Rechnungen sind so zuverlässig, dass die größten Fehler in den Vorannahmen passieren. Beispiel: ICE-Unglück in Enschede. Man hat die Belastung des Radreifens unterschätzt.

Aber das ist immer noch besser, als wenn der Konstrukteur sagt: "Meine superbilligen materialarmen Radreifen halten. Belegen kann ich das nicht, aber glauben sie mir ruhig, denn ich glaub auch dran, steigen sie ein zum Hochgeschwindigkeitstest! Oder sind sie etwa einer von diesen bösartigen Ungläubigen?"


Zitat:

Andererseits kann man der Aussage widersprechen und sagen: "Im Gegenteil, ich halte es für ziemlich unwahrscheinlich, dass es am kommenden Wochenende zu Staus auf der Strecke zwischen Hannover und Kassel kommt."


Ganz heiß ist dies Thema in der Logistik. Wo man die Lagerkosten reduzieren will durch pünktliche Anlieferung der Zwischenprodukte an das Fließband.
Wo die Lkw auf der Autobahn fahren und die Logistiker ausrechnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit eines Staus ist, und ob man den Lkw schon in der Nacht losschicken muss oder ob man Nachtzuschläge sparen kann.

Diese Fragestellungen sind bereits bis zur Erschöpfung beantwortet.

Ciao
Wolfgang

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- Hermeneuticus am 23. Okt. 2004, 00:21 Uhr

Hallo Eberhard!

Kommen wir noch einmal zurück auf die Frage,

on 10/20/04 um 22:30:01, Eberhard wrote:

(...) ob Lebenswelt und Wissenschaft sich mit ihren Begriffen auf DIESELBE Welt beziehen. Hier besteht meiner Ansicht nach noch erheblicher Klärungsbedarf, den man nicht mit flotten Sprüchen verdecken darf.


Da stimme ich zu.

Man kann mit der Frage beginnen, wie der Begriff "Welt" zu verstehen sei. Wenn nämlich Wissenschaften und Lebenswelt (die in sich keineswegs einheitlich strukturiert ist) sich mit ihren Begriffen oder Kategorien möglicherweise auf verschiedene "Welten" beziehen, versteht sich dieser Begriff nicht von selbst. Denn man könnte ja der Ansicht sein, es könne nur EINE Welt (= Wirklichkeit, Realität) geben, und es bestehe kein guter Grund, hier eine Pluralität einzuführen.

Was mich angeht: Ich will nicht behaupten, dass es mehrere Wirklichkeiten gibt, die obendrein miteinander nicht kompatibel seien (also z.B eine materielle und eine geistige Wirklichkeit; eine kausal vollständig determinierte und eine mit Spielräumen für freie Entscheidungen). Aber es lässt sich doch nicht übersehen, dass es eine schwer überschaubare Pluralität von z.T. inkompatiblen Welt-DEUTUNGEN gibt, gab und auch wohl weiterhin geben wird, die  ihre Anhänger überzeugen und die man auch als praktisch bewährt ansehen muss. (z. B. wird man das Weltbild einer Jäger- und Sammlerkultur, die seit Jahrzehntausenden ohne große Veränderungen im Dschungel überlebt hat, schlecht als weltfremd betrachten können.)
Und da fragt sich, ob man eine bestimmte Weltdeutung als die (komparativ) zutreffendste, wahrscheinlichste ansehen kannn. Oder ob sich vielleicht sogar begründen lässt, dass ein bestimmtes Weltbild das AUSSCHLIESSLICH zutreffende sei. Damit hätte man dann einen Ansatzpunkt, von dem aus sich die bisherige Pluralität der Weltbilder aushebeln ließe. Man hätte sozusagen einen archimedischen Punkt, an dem sich alle BLOSSEN Welt-DEUTUNGEN  messen lassen müssten. Man hätte das ständige Interpretieren, Vermuten, Wähnen... endlich hinter sich gelassen und wäre in der "wahren Wirklichkeit" angekommen...

Genau diese Option, relative Welt-INTERPRETATIONEN durch eine endgültig zutreffende Welt-BESCHREIBUNG zu ersetzen, erscheint mir aus verschiedenen Gründen als unmöglich. Zwar glaube ich nicht an eine Pluralität von verschiedenen Wirklichkeiten. Aber über diese EINE Wirklichkeit, die uns Menschen mit unseren verschiedenen Weltdeutungen umfassen muss, wird sich wohl nichts Bestimmtes aussagen lassen, das nicht sofort schon wieder eine selektive, also relative Interpretation wäre.

Unter "Welt" verstehe ich demnach eine menschliche Welt-DEUTUNG, die mehr oder weniger systematisch sein kann; die, wenn man sie analysiert, auf bestimmte grundlegende Begriffs-Oppositionen und Prinzipien zurückzuführen ist; die einen bestimmten Sprachgebrauch und somit eine interne Semantik hat, die es ermöglicht, sich mit Aussagen mehr oder weniger zutreffend auf "die Wirklichkeit" zu beziehen. Dabei ist aber zu beachten, dass die Kriterien für das Zutreffen von Aussagen über die Wirklichkeit dem System dieser Weltdeutung selbst angehören. Es sind also durchaus BESCHREIBUNGEN von Wirklichkeit möglich, aber jeweils nur vor dem Hintergrund der sie umfassenden Semantik, also innerhalb eines Sprachgebrauchs mitsamt seinen Kategorien und Prinzipien.
Treffen Vertreter verschiedener "Welten" auf einander, werden sie versuchen müssen, ihre Begriffe und Aussagen in den Sprachgebrauch der anderen Welt zu übersetzen; vielleicht finden sie auf diese Weise auch zu einem gemeinsamen Sprachgebrauch und also zu einer gemeinsamen, zusammenhängenden Weltdeutung mit Aussagen, die dann in beiden Welten als zutreffend gelten können.
Dabei ist aber klar: Eine "Welt" ist immer an faktische, empirische Personengruppen und ihre praktische Lebensbewältigung gebunden, sie hat sozusagen einen faktisch-historischen Ort, und damit auch ihre Grenzen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass einmal alle Menschen in einer gemeinsamen Welt leben werden, so dass es eine "universelle" Semantik geben würde (streng genommen dürfte man aber nur von einer "terrestrischen" Allgemeinheit sprechen). Aber eine solche terrestrisch-allgemeine Semantik würde sich nur graduell von den regionalen Semantiken unterscheiden.

Einstweilen gibt es durchaus "Sprachen" oder "Welten", deren Semantiken so vereinfacht und normiert sind, dass jedermann sie erlernen kann (ich denke hier an die "künstlichen" Wissenschaftssprachen). Aber bekanntlich sind die Gegenstände in diesen Welten nicht ohne erheblichen technischen Aufwand zugänglich; außerdem sind diese Gegenstände unserer Alltagswelt radikal entfemdet. Zwar sagen uns die Physiker, dass alles nur aus einer sehr begrenzten Anzahl von Elementarteilchen-Arten bestehe. Aber wir gehen weiterhin mit Menschen, Tieren, Tischen, Bratkartoffeln, Sonaten... um und finden die Unterschiede zwischen diesen verschiedenen Makro-Komposita sehr viel relevanter als die ihnen allen gemeinsam sein sollenden Teilchen. Allgemeiner gesagt: Die Universalität der physikalischen Gegenstände hat zwar ihre Vorzüge, aber auch den Nachteil, all die uns interessierenden Unterschiede - deren Kenntnis und Beachtung für uns überlebenswichtig sind! - völlig zu ignorieren. Zwar mag der Strom in einem Hochspannungskabel letztlich aus denselben Teilchen bestehen wie meine Freundin. Ich sollte daraus aber tunlichst keine unmittelbar praktischen Schlüsse ziehen...

Eigentlich wollte ich die Rede von den verschiedenen Welten noch an Deinem Pyramidenbeispiel erläutern, aber dafür bin ich jetzt zu müde. Ein andermal.

Gruß
H.

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- Wolfgang_Horn am 23. Okt. 2004, 08:00 Uhr

Hi, Hermeneuticus,


Zitat:

Ich will nicht behaupten, dass es mehrere Wirklichkeiten gibt, die obendrein miteinander nicht kompatibel seien...Aber es lässt sich doch nicht übersehen, dass es eine schwer überschaubare Pluralität von z.T. inkompatiblen Welt-DEUTUNGEN gibt, gab und auch wohl weiterhin geben wird


Das ist wohl so. Die Kenner Platons werden hier kommentieren können, ob sein Höhlengleichnis so zu verstehen sei - EINE Außenwelt vor der Höhle wirft Schatten und Lichterspiele an die Wand der Höhle, und jeder von uns deutet sie unterschiedlich.


Zitat:

.., die  ihre Anhänger überzeugen...


Einem Bild der Welt fehlen die Fähigkeiten, jemanden überzeugen zu können. Es sind die Personen selbst, die auf einen Globus schauen und wie bei einem auslaufenden Schiff am Horizont erst der Rumpf unter der Kimm verschwindet und dann die Masten, und die Personen stimmen in der Frage "Welt eine Scheibe oder eine Kartoffel?" eher letzterem zu.

Das "sich überzeugen" scheint mir dagegen schon ein Fehler zu sein, wenn dies bedeutet "ich glaube daran, dass...und verwerfe alle gegenteilige Möglichkeiten, auch ohne sie durchdacht zu haben."
Denn wer das tut, der schränkt damit seine Denkfreiheit ein.


Zitat:

und die man auch als praktisch bewährt ansehen muss.

"praktisch bewährt" - mehr oder weniger, ja.
Aber so, wie es geographische Karten unterschiedlicher Kartenprojektion gibt für jeweils verschiedene Zwecke, so ist für jeden bestimmten Zweck das eine Weltbild zweckmäßiger als das andere.

Hinzu kommt, dass wir Menschen unsere selbst erstellten Karten, unsere Meinungen, bevorzugen und die fremder Personen gern als Bevormundung empfinden.

Problematisch wird es nur, wenn jemand fehlerhaft kartographiert, weil sein Lotblei vielleicht 45 Grad Schlagseite hat oder sein Kompaß für jede Umdrehung um die Hochachse 450 Grad zählt. Dann kann man sind die so erstellten Karten als Schrott erkennen, ohne sie genauer betrachten zu müssen.
Noch problematischer sind Personen, die so erstellte Schrottkarten mit Aggressivität anderen aufzwingen.

Ciao
Wolfgang

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- Eberhard am 23. Okt. 2004, 09:10 Uhr

Hallo Hermeneuticus,

auch in der Physik werden Phänomene akzeptiert, die nicht messbar sind. Auch dort werden Objekte nur nach bestimmten Merkmalen klassifiziert. So werden  z. B. verschiedene Arten von Bestandteilen eines Atoms unterschieden: Protonen, Neutronen, Elektronen etc.

Im übrigen ist es wenig sinnvoll, die Phänomene der Realität in "messbare" und "nicht-messbare" aufzuteilen, genauso wie die traditionelle Entgegensetzung von "Qualität" und "Quantität" eher irreführend ist.

Der Grund hierfür ist der, dass es verschiedene Messniveaus gibt und damit verschiedene Grade der Quantifizierung bzw. "Skalierung".

Das niedrigste Messniveau sind reine Klassifikationen nach dem Vorhandensein bestimmter Merkmale, z. B. "elektrisch positiv geladen", "elektrisch neutral" und "elektrisch negativ geladen". Die unterschiedlichen Merkmale können durch beliebige Ziffern wie "0", "1", "2" etc. symbolisiert werden, ohne dass man mit diesen jedoch Ziffern rechnen könnte.

Als nächstes gibt es die "Rang-Skalen", die Objekte entsprechend der Stärke eines bestimmten Merkmals ordnen, z. B. die Atome verschiedener  chemischer Elemente nach ihrem Gewicht anordnen. Das schwerste Atom erhält den 1. Rangplatz, das nächst schwere Atom den 2. Rangplatz usw. Die Zuordnung der Objekte zu bestimmten Zahlen ist hier durch die Dimension, in unserem Fall "Gewicht" festgelegt. Wenn das Gewicht nur durch Rang-Skalen ermittelt wurde, kann man zwar sagen, dass das Objekt mit der Rangzahl 4 schwerer ist als das Objekt mit der Rangzahl 8, man jedoch nicht sagen, dass der Gewichtsunterschied zwischen dem Objekt mit der Rangzahl 4 und dem Objekt mit der Rangzahl 8 genau so groß ist, wie der Gewichtsunterschied zwischen dem Objekt mit der Rangzahl 8 und der Rangzahl 12.

Dann gibt es die "Intervall-Skalen", wie z. B. die Messung der Temperatur nach Celsius. Hier macht es Sinn zu sagen: "Die Differenz zwischen der höchsten und der niedrigsten Lufttemperatur an einem bestimmten Tag war in der Sahara um x Grad Celsius größer als in Mitteleuropa."  Es macht jedoch keinen Sinn zu sagen: "Die Tageshöchsttemperatur  in Rom war heute mit 30 Grad Celsius 3 mal so hoch wie in Moskau mit 10 Grad Celsius. Würde man z. B. die Temperatur mit der Intervall-Skala nach Fahrenheit messen, so ergäbe sich ein ganz anderes Verhältnis zwischen den Tageshöchststemperaturen beider Städte.

Erst "Verhältnis-Skalen", wie z. B. die Längenmessung in Metern, erlauben auch die Multiplikation und die Division der erhaltenen Messwerte. Hier macht es Sinn zu sagen: "Diese Leiste ist 3 mal so lang wie jene Leiste". Wenn ich also zwei Punkte, die 3 Meter voneinander entfernt sind, durch Leisten verbinden will, kann ich entweder eine Leiste von 3 Metern Länge nehmen oder 3 Leisten von 1 Meter Länge.

Die Eigenschaften eines Objektes sind also nicht entweder "messbar" oder "nicht messbar", sondern es gibt verschiedene Abstufungen der Messbarkeit. Und auch die überkommene  Entgegensetzung von "Qualität" und "Quantität" ist wenig sinnvoll angesichts abgestufter Grade der Quantifizierung.

Soweit mein Kenntnisstand (der falls mit Fehlern behaftet, von einem Fachmann korrigiert werden sollte).

Es grüßt Dich Eberhard.

p.s. Die letzten Beiträge konnte ich leider nicht mehr berücksichtigen.

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- Eberhard am 23. Okt. 2004, 16:06 Uhr

Hallo Hermeneuticus,

ich bin allerdings der Meinung, dass man Weltbilder – und auch die unterschiedlichen Weltbilder ganzer Kulturen – hinsichtlich ihres "Wahrheitsgehaltes" vergleichen kann. Du schreibst: Man "wird … das Weltbild einer Jäger- und Sammlerkultur, die seit Jahrzehntausenden ohne große Veränderungen im Dschungel überlebt hat, schlecht als weltfremd betrachten können." Aber was sagst Du dazu, dass diese Jäger und Sammler staunend am Zaun zum Flughafen  zusehen, wie die weißen Götter aus ihren dröhnenden silbernen Riesenvögeln steigen, um die Erde zu besuchen?

Du gibst zu bedenken, "dass die Kriterien für das Zutreffen von Aussagen über die Wirklichkeit dem System dieser Weltdeutung selbst angehören. Es sind also durchaus BESCHREIBUNGEN von Wirklichkeit möglich, aber jeweils nur vor dem Hintergrund der sie umfassenden Semantik, also innerhalb eines Sprachgebrauchs mitsamt seinen Kategorien und Prinzipien." Es ist zwar richtig, dass wir die überkommene Sprache nicht einfach hinter uns lassen können, aber die Sprache begrenzt keineswegs hermetisch unsere Erfahrung der Wirklichkeit. Wir ringen vielleicht um Worte, um eine historisch neuartige Erfahrung auszudrücken, aber insofern Sprachen "lebendig" sind, sind sie auch entwicklungsfähig.

Du erkennst zwar die universale Anwendbarkeit der modernen empirischen Wissenschaften, aber du bemängelst, dass deren " Gegenstände unserer Alltagswelt radikal entfemdet (sind). Zwar sagen uns die Physiker, dass alles nur aus einer sehr begrenzten Anzahl von Elementarteilchen-Arten bestehe. Aber wir gehen weiterhin mit Menschen, Tieren, Tischen, Bratkartoffeln, Sonaten... um und finden die Unterschiede zwischen diesen verschiedenen Makro-Komposita sehr viel relevanter als die ihnen allen gemeinsam sein sollenden Teilchen." Meiner Ansicht nach wäre es ein Missverständnis der modernen Wissenschaften, wenn man meint, dass man alle Erkenntnisse über die Welt als Bewegung von Materieteilchen formulieren könnte. Begriffe wie "sich selbst erhaltendes biologisches System", "psychische Einstellung" oder "soziale Macht" sperren sich gegen die Übersetzung in eine Sprache, die nur Elementarteilchen und deren Bewegungsgesetze kennt. Insofern lösen sich nicht alle empirischen Einzelwissenschaften in die Physik oder gar eine "Weltformel" auf.

meint Eberhard.

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- Hermeneuticus am 23. Okt. 2004, 19:39 Uhr

Hallo Eberhard!


on 10/23/04 um 16:06:53, Eberhard wrote:

Aber was sagst Du dazu, dass diese Jäger und Sammler staunend am Zaun zum Flughafen  zusehen, wie die weißen Götter aus ihren dröhnenden silbernen Riesenvögeln steigen, um die Erde zu besuchen?


Und was sagst Du dazu, dass Pharma-Konzerne Forscher zu den letzten Dschungelkulturen aussenden, um ihr botanisch-medizinisches Wissen nutzbar zu machen, ehe sie verschwinden?

Oder was sagst Du zum Heilverfahren der Akupunktur, das auf einer Theorie vom Körper beruht, die mit der europäischen Anatomie und Physiologie nicht kompatibel ist?
Dieses Beispiel ist auch insofern interessant, als die deutschen Krankenkassen gerade dabei sind, den Heilerfolg der Akupunktur statistisch (!) zu prüfen, um sie evtl. in den Katalog der erstattungsfähigen Heilverfahren aufzunehmen.

Das leitet zur Frage der Quantifizierung über.
Ich will weder den Unterschied zwischen den verschiedenen Wissenschaften leugnen - im Gegenteil, mir liegt eher daran, ihn zu betonen! - noch will ich behaupten, dass z. B. alle physikalischen Begriffe messbare Größen seien. Es ist aber doch wohl eine Tatsache, dass die Anwendung der Mathematik eine fundamentale Rolle in den modernen Naturwissenschaften spielt.
Wie würdest Du denn deren Erfolge hinsichtlich der Berechenbarkeit und Reproduzierbarkeit von Phänomenen und Prozessen erklären?

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Aber dies sind alles Scharmützel, die von der zentralen Frage ablenken, wie Theorien/Beschreibungen/Aussagen/Begriffe und Wirklichkeit sich zu einander verhalten und wie man das Zutreffen von Aussagen zu verstehen hat.

Mir kommt es dabei vor allem auf zweierlei an: 1. den Umstand der "Gegenstandskonstitution" durch Begriffe und 2. die Relativität des Zutreffens von Aussagen auf die jeweilige Theorie/Weltdeutung.

Um die "Wirklichkeit" von X feststellen zu können, muss zunächst geklärt sein, ALS WAS X GILT bzw. gelten soll. Es muss also der "Sachverhalt" geklärt sein. Solche Klärung oder Bestimmung eines möglichen Gegenstands besteht grundsätzlich in der Auswahl relevanter Unterschiede. Und es hängt vom jeweiligen Deutungszusammenhang ab, welche Unterschiede/Eigenschaften den Gegenstand X "ausmachen" oder sein "Wesen" definieren.

Von der Gegenstandskonstitution gesondert, aber trotzdem davon abhängig, sind die Erfüllungsbedingungen für das faktische Vorliegen des Sachverhaltes X. Wenn schon der Deutungszusammenhang das Wesen von X überhaupt definiert, dann kann auch nur innerhalb desselben Zusammenhangs angegeben werden, was z. B. ALS Beleg für das faktische Vorliegen von X GELTEN SOLL.

Diese beiden Punkte vor allem sind es, die dafür sorgen, dass z. B. verschiedene Theorien verschiedene Gegenstände und Gegenstandsbereiche (" Welten" ) haben, auch wenn sie sich LETZTLICH auf dieselbe Wirklichkeit beziehen müssen. (Nur gibt es m. E. eben keinen Standpunkt jenseits aller möglichen Deutngszusammenhänge, von dem aus sich entscheiden ließe, welche Theorie am besten mit der "Wirklichkeit selbst" übereinstimmt.)


Zitat:

Es ist zwar richtig, dass wir die überkommene Sprache nicht einfach hinter uns lassen können, aber die Sprache begrenzt keineswegs hermetisch unsere Erfahrung der Wirklichkeit. Wir ringen vielleicht um Worte, um eine historisch neuartige Erfahrung auszudrücken, aber insofern Sprachen "lebendig" sind, sind sie auch entwicklungsfähig.


Von "hermetischer Begrenzung" war auch keine Rede. Ich habe in meinen Erläuterungen ja ausdrücklich die Möglichkeit des "Welten" -Kontakts, der Entwicklung einer gemeinsamen Sprache und der Überschneidung von Weltdeutungen angesprochen. Aber bei einem solchen Kontakt verschiedener Weltdeutungen kann NICHT VORAB ausgemacht sein, welche die "wahrere" oder auch nur erfolgreichere ist (denn auch was ALS Erfolg GILT, kann ja sehr unterschiedlich verstanden werden).

Dass es eine gewisse "Abgeschlossenheit" von Weltdeutungen gibt, liegt in der elementaren Struktur unseres Weltverstehens. Wirklichkeit erkennen folgt immer der Struktur des Erkennens von Etwas ALS Etwas. Ist dieses Etwas unbestimmt, kann man auch kein Etwas wahrnehmen als "wirklich vorhanden".

Zitat:

Du erkennst zwar die universale Anwendbarkeit der modernen empirischen Wissenschaften...


Diese allgemeine Anwendbarkeit - und HIER liegt die Pointe meines Arguments - ist erkauft mit einer hohen Selektivität bei der Gegenstandskonstitution. Zwar gelten physikalische Theorien überall im Universum, aber nur für einen sehr restriktiv definierten Gegenstandsbereich (bei dessen Definition die Berechenbarkeit eine wesentliche Rolle spielt).

Diese Selektivität ist auch der Grund dafür, dass uns die Physik z. B. nicht unsere Alltagswirklichkeit erklären kann, in der ganz andere Gegenstände wahrgenommen und gebraucht, in der auch ganz andere Unterschiede, Eigenschaften, Vorgänge, Handlungen, Ziele.... relevant sind als in der "Welt der Physik".

Gruß
H.

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- Hermeneuticus am 24. Okt. 2004, 12:08 Uhr

Hallo Eberhard!

Wie angekündigt, gehe ich nun auf Dein Pyramiden-Beispiel ein. Du schreibst:

Zitat:

Nehmen wir ein Beispiel: die Cheops-Pyramide aus der Zeit des alten Ägyptens. Physikalisch würde man sagen: es handelt sich um ein Bauwerk in der Form einer 150 Meter hohen  Pyramide auf einer x Meter breiten und y Meter langen Grundfläche aus übereinander geschichteten Steinquadern. (Diese Beschreibung könnte noch beliebig ausführlich in die Einzelheiten gehen.)

Die Frage ist: Erfasst eine derartige empirische Beschreibung die Wirklichkeit?  

Für viele Menschen scheinbar nicht, denn in Büchern über das alte Ägypten findet man nicht nur Text sondern auch Farbfotos der Pyramide, es gibt Filme über die Pyramiden von Giseh und jährlich besuchen Tausende von Touristen die Pyramiden, um diese gewaltigen Bauwerke mit eigenen Augen zu sehen.

Es gibt künstlerische Darstellungen von Schriftstellern, Malern und Fotografen der Pyramiden.  

Was vermitteln diese Darstellungen, das die wissenschaftlichen Beschreibungen nicht beinhalten?

Wie passen diese Betrachtungsweisen zusammen?



Die essentialistische Auffassung in der Tradition Descartes und Lockes, die nach "primären" und "sekundären Qualitäten" unterscheidet, würde die messbaren Eigenschaften (Masse, Dichte, Ausdehnung, Dauer usw.) für die wesentlichen und zugleich objektiven halten. Mit ihnen erfasst man gewissermaßen das beständige "Gerüst" der Sache selbst, während alle anderen wahrnehmbaren Qualitäten schwankend bleiben und folglich nicht objektivierbar sind. Die sekundären Qualitäten lassen sich also nicht von den wahrnehmenden Individuen ablösen, sie sind und bleiben "Ansichtssache".
Ich vermute, dass Du einer ähnlichen Auffassung zuneigst. Deine Fragestellung suggeriert das zumindest.

Das Problem der Unterscheidung nach primären und sekundären Qualitäten besteht darin, dass sie A PRIORI getroffen wird. d. h. sie beansprucht notwendige und allgemeine Geltung VOR jeder einzelnen empirischen Anwendung. Sie entzieht sich selbst der empirischen Überprüfung, weil sie sich an jedem empirischen Datum instantiiert.

So, wie Du das Beispiel der Cheopspyramide einführst, scheint die physikalische Beschreibung den bleibenden Bestand dieses Gegenstands zu erfassen. Dieser Bestand ist durch die Jahrtausende hindurch im wesentlichen invariant geblieben, was immer die Ägypter, die Griechen, die Römer... die späteren Forscher und Touristen sonst noch an der Cheopspyramide gesehen haben mögen. Man könnte auch sagen, dieser messbare Bestand hat die verschiedenen Kulturen oder "Welten" überdauert, er galt unverändert in JEDER Welt.

Demnach wären die "Welten", von denen ich gesprochen habe, VON VORNHEREIN auf der Seite der Ansichtssachen einsortiert. Die Erbauer der Pyramide mögen zwar allerlei symbolische Absichten mit diesem Bauwerk verknüpft haben (religiöse, politische, astronomische oder welche immer), um deretwillen sie es überhaupt errichteten. Aber diese Ansichten haben sozusagen keine konstitutive Rolle für den Gegenstand gespielt, d. h. sie hatten und haben keinen Einfluss auf die Frage, WAS die Cheopspyramide FÜR EIN GEGENSTAND IST, wovon sie ein Fall  ist. Zumindest vermisse ich in Deiner Fragestellung genau diesen Aspekt. Du fragst überhaupt nicht danach, ALS WAS die Cheopspyramide jeweils gesehen wird oder gesehen worden sein mag.

Bei Dir klingt es so, als seien physikalische Beschreibung, Farbfotos, künstlerische Darstellungen, unmittelbarer Augenschein nur verschiedene Aspekte DESSELBEN Dings, wobei die physikalische Beschreibung den Vorzug der Intersubjektivität und Intertemporalität genießt. Was die historischen Erbauer mit der Pyramide schaffen und für alle Welt sichtbar darstellen wollten – also ihr Zweck oder intendierter Sinn - scheint keine Rolle zu spielen.
Für mich ist das dagegen eine der ersten Fragen, die ich mir stelle, wenn ich mich mit einem menschlichen Artefakt beschäftige. Für mich ist also nicht von vornherein ausgemacht, WAS dieses Ding ist. Denn abhängig davon, ALS WAS man es ansieht, gewichtet sich die eigene Wahrnehmung, gewichten sich alle deskriptiven Daten jeweils anders, ja fördert man womöglich auch andere oder neue Daten zutage. Man hat es also jeweils mit einem anderen Gegenstand zu tun, man SIEHT jeweils etwas anderes, weil jeweils andere Aspekte aus dem "Gegebenen" als die wesentlichen ausgewählt werden.

Wichtig ist dabei die Überlegung, ob der Datenbestand als immer derselbe angesehen wird und nur jeweils anders gedeutet werden kann (das wäre ein Fall von "fertger Welt" ). Oder erschließt eine andere Einsortierung des Gegenstands – also eine veränderte Deutungshypothese - auch NEUE Daten? Ist also mit der variablen Kategorisierung des X auch jeweils etwas anderes GEGEBEN?


Gruß
H.

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- Eberhard am Vorgestern, 09:56 Uhr

Hallo Hermeneuticus,

es ist unbestritten, dass es reale Phänomene und empirische Regelmäßigkeiten gibt, die mit den gängigen wissenschaftlichen Theorien nicht erklärt werden können. Ich halte das für ganz normal und unvermeidlich. Unerklärte Phänomene sind ein entscheidender Antrieb für den wissenschaftlichen Fortschritt.

Das traditionelle Wissen über die Heilkraft bestimmter Pflanzen war im Mittelalter in eine religiöse Weltsicht integriert, nach der der Herrgott gegen jedes Leiden auch ein Kraut hat wachsen lassen. Heute kann man bei den meisten Heilpflanzen angeben, welcher chemische Bestandteil die heilende Wirkung hervorruft. Die tradierte Erfahrung wurde so in das wissenschaftliche Weltbild integriert und die moderne Wissenschaft kann sicherlich von den in Jahrtausenden gesammelten Erfahrungen der nicht-europäischen Kulturen lernen.

Dass es gerade im Bereich Gehirn, Nerven, Hormone, Neurotransmitter, Sinnesorgane, Psyche und Psychosomatik unerklärte Phänomene gibt, sollte niemanden verwundern, angesichts der ungeheuren Komplexität dieses Systems, das sich in Jahrmillionen entwickelt hat. Schließlich besteht es in jedem Menschen aus bis zu 100.000.000.000 Zellen (!), die untereinander wiederum verbunden sind über die zu jeder einzelnen Zelle gehörenden zahlreichen Dendriten zur Aufnahme von Reizen und über die bis zu 1 Meter langen, sich vielfach verzweigenden Axone zur Weitergabe von Reizen.

Angesichts einer derart komplexen Struktur steht die wissenschaftliche Forschung noch vor zahlreichen ungeklärten Fragen und es wäre gerade in diesem Bereich kontraproduktiv, wahrnehmbare Phänomene, Regelmäßigkeiten und Heilungserfolge nur deshalb zu ignorieren, weil sie von den gängigen Theorien nicht erklärt werden können.

Ich bin dabei recht zuversichtlich, dass die moderne Wissenschaft – so wie bei den Heilkräutern – die Erfahrungen der nicht-europäischen Medizin innerhalb der nächsten Jahrzehnte integrieren kann.

Es grüßt Dich Eberhard.

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- Eberhard am Vorgestern, 10:43 Uhr

Hallo ich_nix_weis,

Du schreibst: "Mit der Wahrheit verhält es sich wie mit einem Fluß, um ein klares Wasser zu bekommen muss man sich zur Quelle begeben."

Die Frage ist, ob mit der Metapher "fließendes Wasser" für "Wahrheiten" viel gewonnen ist.

Lina weitet das Bild auf Regenwasser und Grundwasser aus und schließt daraus, dass der Ursprung der Wahrheit nur bereits vorhandenes bündelt und in andere Form bringt.

Ich bin versucht zu fragen: "Wo sind die Flaschen, in die man die reine ursprüngliche Wahrheit abfüllen und nach Hause tragen kann?"

Wenn Dein Bild einen Sinn machen soll, dann vielleicht in Bezug auf die "Verunreinigungen", die der Bericht eines Augenzeugen dadurch erfährt, dass bei der Weitergabe seiner Aussagen über mehrere Stationen durch Weglassen, Hinzufügen und durch Umdeutung von nicht - oder nur halb - Verstandenem eine trübe Suppe entstehen kann.

Deshalb wird vom Wissenschaftler auch "Quellenstudium"  bzw. eine eigene Untersuchung verlangt – und nicht nur der 123. Aufguss der Sekundärliteratur.

Es grüßt Dich und Lina Eberhard.

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- Hermeneuticus am Vorgestern, 10:43 Uhr

Hallo Eberhard!

Du sprichst von "unerklärten" bzw. "noch unerklärten" bzw. "wissenschaftlich noch unerklärten" Phänomenen. Dabei scheinst Du davon auszugehen, dass nur die modernen Wissenschaften überhaupt eine erklärende Kompetenz haben. (Das nannte ich schon einmal Wissenschaftsglauben und Eurozentrismus.)

Dagegen spreche ich von unterschiedlichen "Welten", alternativen Deutungs- und Interpretationszusammenhängen bzw. alternativen Theorien, die sich jeweils auf anders konstituierte Gegenstände beziehen und darüber dann entweder wahre oder falsche Aussagen machen können - wobei SIE es sind, die auch die Kriterien für diese Unterscheidung bereitstellen.

Man kann ja nicht behaupten, dass etwa der chinesischen Medizin keine Theorie zugrundeliege. Oder dass eine Kultur von Jägern und Sammlern kein zusammenhängendes Wissen über ihre Welt und keine erfolgreichen Techniken zur Lebensbewältigung in dieser Welt habe. Und weiterhin kann man auch nicht behaupten, dass unser lebensweltliches Weltbild mit seinen spezifischen Relevanzkriterien und Bezugnahmen auf Gegenstände, die so für die Naturwissenschaften gar nicht existieren, bloße Träumerei sei. (Wir waren mit der Diskussion schon einmal an einem Punkt, wo wir die Praxis- und Zweckabhängigkeit von Wahrheit festgestellt haben.)


Aber wie gesagt, das sind Scharmützel. Diskutieren wir doch strikt erkenntnistheoretisch über die Frage, wie ein "Sachverhalt" (bzw. Gegenstand von Aussagen) zustandekommt, wie wahre oder falsche Aussagen darüber möglich sind, und wer oder was die Kriterien für die Wahrheit dieser Aussagen jeweils bereitstellt. Diesen Fragen weichst Du in Deinen letzten Beiträgen aus.

Wie ist es etwa mit dem Beispiel der Cheopspyramide: Handelt es sich um immer denselben Gegenstand, der jeweils nur anders (und mehr oder weniger zutreffend) gesehen wird? Oder haben verschiedene Betrachter und Betrachtungsweisen verschiedene (selektiv, zweckmäßig konstituierte) Gegenstände vor Augen, auf die sie sich dann mit ihren Aussagen beziehen?

Gruß
H.  

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- Eberhard am Vorgestern, 11:15 Uhr

Hallo Hermeneuticus,

Dir kommt es darauf an, "ob der Datenbestand als immer derselbe angesehen wird und nur jeweils anders gedeutet werden kann (das wäre ein Fall von "fertiger Welt" ). Oder erschließt eine andere Einsortierung des Gegenstands – also eine veränderte Deutungshypothese - auch NEUE Daten? Ist also mit der variablen Kategorisierung des X auch jeweils etwas anderes GEGEBEN?"

Mir fällt hier Schakespeares Hamlet ein, der auf die Frage: "Was lesen sie denn da?" antwortete: "Worte, nichts als Worte!"

Meiner Ansicht nach können durch eine veränderte Deutung von Objekten auch neue "Daten" erschlossen werden. Wenn ich z. b. nicht weiß, dass es sich bei den eingeritzten Haken auf den alten Tonscherben um eine Schrift handelt, dann kann ich nur die physikalische Daten dieser Tonscherben erfassen.

Wenn ich jedoch weiß, dass es sich dabei um Schriftzeichen handelt, und wenn ich auch noch die Bedeutung dieser Schriftzeichen entschlüsseln kann, so ergibt sich daraus eine zusätzliche Menge von Daten in Form der Übersetzung dieser Texte bzw. Informationen über deren Bedeutung.

Derartige Sinndeutungen sind nach meinem Verständnis zu unterscheiden von gewöhnlichen Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit. Deshalb rutschen sie auch durch die Maschen Der physikalischen Begrifflichkeit. Hermeneutische Sinndeutung ist etwas anderes als empirische Wahrnehmung und Beobachtung und hat ihre eigenen Methoden und ihre eigenen Kriterien der Allgemeingültigkeit (Wahrheit, Richtigkeit).

Es grüßt dich Eberhard.

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- Hermeneuticus am Vorgestern, 13:50 Uhr

Hallo Eberhard!


Zitat:

Derartige Sinndeutungen sind nach meinem Verständnis zu unterscheiden von gewöhnlichen Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit.


Wie begründet sich diese Unterscheidung? Gehört Sinn, gehören Intentionen, zweckbestimmte Handlungen, sprachliche Äußerungen nicht zur Wirklichkeit?

Es ist für uns gewöhnlich ein Leichtes, eine absichtsvolle Handlung von einer unwillkürlichen Bewegung zu unterscheiden. Diese Unterscheidungsfähigkeit ist in unserer tagtäglichen Wirklichkeit auch außerordentlich wichtig. Im Rahmen einer physikalischen Beobachtung allerdings entfällt sie. d. h. innerhalb des physikalischen Gegenstandsfeldes kommen "absichtsvolle Handlungen" nicht vor und folglich können sie darin auch nicht "gegeben" sein. Sie lassen sich (physikalisch) ALS solche nicht beobachten.

Dabei ist jedoch zu bedenken, dass "physikalische Beobachtung" ihrerseits bereits ein absichts- und sinnvolles Tun ist, das wir als solches auch leicht erkennen, begründen oder kritisieren können.
Aus diesem Grund erscheint mir jene "Welt", in der es den Unterschied zwischen absichtsvollem Handeln und unwillkürlichen Bewegungen gibt, UMFASSENDER zu sein als jene komplizierte menschliche Praxis, die wir "Physik" nennen und innerhalb deren absichtsvoll reduziertem Gegenstandsbereich besagter Unterschied keine Rolle spielt.  

Zitat:

Hermeneutische Sinndeutung ist etwas anderes als empirische Wahrnehmung und Beobachtung und hat ihre eigenen Methoden und ihre eigenen Kriterien der Allgemeingültigkeit (Wahrheit, Richtigkeit).


Ja. Und für mich ist das ein Beispiel für den Unterschied zwischen praktischen Deutungszusammenhängen mit ihren gegenständlichen Korrelaten, den "Welten". Wobei ich eben voraussetze, dass Sinndeutung (die sich durchaus auch auf Empirisches bezieht: Sätze, Zeichen gehören immerhin zur wahrnehmbaren Wirklichkeit) und Wahrnehmung/Beobachtung verschiedene Typen zweckbestimmter menschlicher Handlungen sind.

Ich halte also das "Wahrnehmen" nicht für ein Naturgeschehen, durch das ein natürliches Objekt sich ein Bild von anderen natürlichen Objekten macht, ohne dass Absichten, Zwecke oder Irrtümer störend dazwischentreten könnten. Oder anders gesagt: Unsere Wahrnehmung ist keine "objektive Instanz", die stets korrekte Informationen über die Welt lieferte, wie sie ist. Wahrnehmung kann gelingen oder scheitern, und es ist nicht unser Sehapparat allein, der darüber entscheidet, wann eine Wahrnehmung gelungen oder gescheitert ist.

Gruß
H.

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- Hermeneuticus am Gestern, 03:34 Uhr

Hallo Eberhard!

Ich habe da unverhofft den Text eines Kollegen gefunden, der geeignet ist, meine These von der Pluralität verschiedener Interpretations-Welten zu stützen. Er gebraucht etwas andere Begriffe, aber die Kernaussagen laufen auf dasselbe hinaus.

Nochmals eine Kurzfassung meiner These:

Es gibt verschiedene "regionale", praktisch entstandene und bewährte Interpretationszusammenhänge mit von einander abweichenden gegenständlichen Korrelaten (" Welten" ). Innerhalb dieser Interpretations-Welten sind jeweils Aussagen über Teilstücke der Wirklichkeit möglich, die wahr oder falsch sein können. Dabei kann es sein, dass wahre Aussagen aus der Interpretationswelt1 in der Interpretationswelt2 falsch wären (und umgekehrt), und zwar selbst dann, wenn Angehörige der verschiedenen Welten glauben, sie meinten mit ihren Aussagen dasselbe Ding.

Dies ist möglich, weil es von den internen Voraussetzungen der jeweiligen Interpretationssysteme abhängt, 1. ALS WAS ein Gegenstand x jeweils (implizit) angesehen wird, auf den (explizite) Aussagen (" x ist ein F" ) zielen, und 2. was jeweils als Begründung für das faktische Bestehen des behaupteten Sachverhalts (xF) gilt.

Hier nun das Zitat des Kollegen:


Zitat:

Wenn bei den Obriandern das Wort "Fisch" bedeutet: "im Wasser lebende Tiere mit Flossen" und wenn die Aussage wahr ist "Delphine leben im Wasser und haben Flossen" dann ist der Satz "Delphine sind Fische" wahr (in der der Sprache der Obriander).

Wenn die Abriander das Wort "Fisch" jedoch anders definieren, z. B. als "Eier legende Tiere mit Kiemenatmung", dann ist der Satz "Delphine sind Fische" falsch (in der Sprache der Abriander).
 
Das einzige Problem dabei ist die unterschiedliche Bedeutung desselben Wortes "Fisch" in beiden Sprachen. Diese Doppeldeutigkeit kann man jedoch leicht beseitigen, indem man zur besseren Unterscheidung von "A-Fischen" und "O-Fischen" spricht. Delphine sind dann A-Fische aber keine O-Fische.

Alles weitere sind dann keine Fragen der Wahrheit mehr sondern Fragen der zweckmäßigen Begriffsbildung in Bezug auf Tiere bzw. Tierarten.

Denkbar wäre etwa auch ein Begriffsraster, das weder "Säugetiere" noch "Fische" kennt, sondern das nur zwischen "Landtieren" und "Wassertieren" unterscheidet sowie zwischen "Lungenatmung" und "Kiemenatmung". Delphine wären bei Verwendung dieses Begrifferasters dann "Wassertiere mit Lungenatmung".

Solche Begriffsraster und Klassifikationssysteme sind nicht "wahr" oder "falsch" sondern höchstens zweckmäßig oder unzweckmäßig bezogen auf die Fragen, die beantwortet, und die Probleme, die gelöst werden müssen.

(Zitat aus: Beitrag Nr. 96 dieses Threads]

Dem habe ich nur noch ein paar an Thomas/Jacopo gerichtete Bemerkungen hinzuzufügen.

Er vertrat ja die Ansicht, dass der Sprachgebrauch der Abriander UND der Obriander (sozusagen "subjektiv" ) BERECHTIGT sei, dennoch sei die Behauptung der Obriander, Delphine seien Fische, OBJEKTIV FALSCH. Die "Berechtigung" ist begründet mit dem unzulänglichen Kenntnisstand dieser Gruppe.

Thomas schrieb:

Zitat:

aufgrund der verscheidenen klassifikation von delphinen besitzen beide aussagen -abhängig von der jeweiligen sprechergemeinschaft- gültigkeit. objektiv gesehen ist nur P wahr, weil der satz sich auf die klassifikation von "natürlichen arten" bezieht (fähig, zeugungsfähigen nachwuchs zu erzeugen). wären delphine fische, müßten sie in der lage sein mit anderen fischen zeugungsfähige nachkommen zu zeugen. dem ist nicht so, deshalb ~Q.


Das "objektive" Klassifikationskriterium, auf das Thomas sich beruft, ist aber offenbar weder das der Abriander noch das der Obriander. Es stammt von einer dritten Gruppe, die man als "moderne Biologen" bezeichnen könnte. Legte man es als "objektiv" zugrunde, dann wäre die Zuordnung der Obriander falsch, aber die der Abriander wäre trotzdem nur zufällig wahr (sie wäre also eine "bloße Meinung" ). Denn ihre Gründe für ihre Zuordnung sind anderer Art als die der modernen Biologen bzw. würden von den Biologen gar nicht als "Gründe" gelten gelassen.

Gruß
H.

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- jacopo_belbo am Gestern, 09:13 Uhr


on 10/26/04 um 08:02:25, Wolfgang_Horn wrote:

Hi, ich_nix_weis

Jeder von uns hat seine Absichten, Ziele, und seinen Geschmack.

Jeder von uns macht sich von der Welt seine persönliche Karte, ähnlich, wie wir bei der Erforschung unserer Nachbarschaft und der Stadt eine mentale Karte anlegen.
Weil unsere Sinne und unser Verstand aber nicht perfekt sind, sind unsere Karten stets verzerrt, unvollständig und viele Lücken mit Phantasie gefüllt.

So persönlich diese Verzerrungen, Lücken und Phantasieprodukte, so wenig können die wahr sein.
So unglaubwürdig ist jeder, der behauptet, er habe "DIE WAHRHEIT" gefunden.
Gerade diese Behauptung ist ein Beweis für mangelnde Denkfähigkeiten, ähnlich wie Porzellanscherben ein Indiz sind für mangelndes Können beim Abwaschen und schwere Beulen im Auto ein Indiz ist für mangelndes fahrerisches Können.

Wer sich mit anderen austauschen will, was denn wahr sei und was nur ein Fehler der Wahrnehmung, der muss sich mit den anderen einigen über jede einzelne Information.

Ciao
Wolfgang


guten morgen wolfgang,

ich glaube, es ist ein gemeinplatz, dass verschiedene menschen, verschiedene ansichten haben. und so bekannt wie dieser gemeinplatz ist, so falsch ist er meiner ansicht nach auch.
in einem trivialen sinn ist es richtig, davon zu sprechen, dass die welt "meine welt" ist. doch diese behauptung verdunkelt mehr, als das sie wirklich erhellt.
ich denke, du hast recht, wenn du sagst, dass die individuellen welten kaum deckungsgleich sind.
aber, was bei der betonung des unterschieds vedeckt wird, ist, wieviele gemeinsamkeiten diese welten dennoch besitzen. das fängt mit banalem an, wie zum beispiel, dass menschen im regelfall zwei arme, zwei beine, zwei augen haben; und geht bis hin zu den grundbedürfnissen wie essen, schlafen, trinken, sexualität bzw. fortpflanzung. wenn wir uns untereinander verabreden benutzen wir eine gemeinsame sprache, um unsere termine zu koordinieren; wir treffen uns an punkten, die gemeinhin bekannt sind. wir orientieren uns im straßenverkeht anhand von schildern, zeichen, signalen etc. all das wäre doch schwer zu verstehen, gäbe es nicht einen gewissen, von allen menschen geteilten zugang zur wahrheit.

sicherlich ist es so, dass man wie der lateiner sagt, über geschmack nicht steiten kann, zu individuell sind vorlieben und abneigungen. aber diese unterschiede sind lediglich maginal.

insofern sehe ich es nicht als problematisch an, dass jemand behauptet, zu wissen, was wahr ist, oder die wahrheit zu kennen.
- mfg thomas

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- jacopo_belbo am Gestern, 09:40 Uhr

hallo hermeneuticus,


Zitat:

meine These von der Pluralität verschiedener Interpretations-Welten zu stützen


bei deinen verschiedenen interpretations-welten ist aber zu beachten, dass diesen verschiedenen interpretationen, sozusagen, ein gemeinsamer text zugrunde liegt. daher auch meine unterscheidung zwischen gerechtfertigten behauptungen und dem, was man wahrheit nennt.
sätze der ersten art unterscheiden sich von sätzen der zweiten art. wie das beispiel zeigt, sind beide -fiktiven- volksgruppen durchaus berechtigt, ihre aussagen als wahr anzusehen, obwohl nur eine der beiden eine wahre aussage (" x ist ein säugetier" ) trifft.


- mfg thomas

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- Hermeneuticus am Gestern, 11:27 Uhr

Hallo Thomas!

Du behauptest:

Zitat:

bei deinen verschiedenen interpretations-welten ist aber zu beachten, dass diesen verschiedenen interpretationen, sozusagen, ein gemeinsamer text zugrunde liegt.


Dass es "letztlich" wohl nur EINE Wirklichkeit gibt, die uns endliche Wesen mit unseren verschiedenen Weltdeutungen umfasst, glaube ich ja auch. Aber mehr als ein Glaube kann das nicht sein, weil diese Wirklichkeit jenseits aller Interpretationen für uns nicht ALS SOLCHE zugänglich ist. d. h. wir können nichts BESTIMMTES über sie sagen, weil jede gegenständliche BESTIMMUNG wieder interpretationsabhängig ist.
Bei Kant hieß diese Wirklichkeit hinter unseren Interpretationen "Ding an sich" und war nur negativ bestimmt als das, was wir nicht erkennen können. Schon die Behauptung, es handele sich um EIN und DIESELBE Wirklichkeit, ist nicht nachprüfbar; Identifikation und Re-Identifikation von Etwas als numerisch oder qualitativ dasselbe ist nicht ohne Interpretationsleistung möglich.

Darum ist Deine Metapher vom "gemeinsamen Text" besonders unglücklich, weil sich ein Text ja vor allem durch Bestimmtheit auszeichnet.

Wo, würdest Du sagen, steht denn dieser Text? Wo bekommen wir die Chance, ihn ALS gemeinsamen, zugrundeliegenden zu entziffern? In der Sinneswahrnehmung? In den invarianten, "eingeborenen Ideen" unseres Geistes?

Gruß
H.

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- Hermeneuticus am Gestern, 12:15 Uhr

Hallo Wolfgang!

Du meinst:


Zitat:

Weil unsere Sinne und unser Verstand aber nicht perfekt sind, sind unsere Karten stets verzerrt, unvollständig und viele Lücken mit Phantasie gefüllt.


Um unsere Sinne und unseren Verstand als unvollkommen zu beschreiben, müsstest Du angeben können, wie ein vollkommener Verstand arbeiten würde. Das Problem ist analog dem der "unvollständigen Information" oder dem der Messgeräte, die fatalerweise immer die Resultate "verfälschen", weil wir es einfach nicht schaffen, die Wechselwirkungen zwischen Geräten und beobachtetem Gegenstand zu unterbinden.

Die Idee des "vollkommenen Verstandes" hat eine ehrwürdige metaphysische Tradition. Ich will da nur Leibniz nennen. Aber auch in der Physik wurde z. B. das Determinismus-Problem lange mit Bezug auf einen hypothetischen "allwissenden Dämon" (Maxwell) diskutiert: Für einen Verstand, der die Welt bis ins kleinste Detail überblicken und berechnen kann, so die These, müsste jedes Geschehen vollständig determiniert sein. Problem: So ein vollkommener Verstand würde sich offenkundig AUSSERHALB der Welt befinden, die er da erkennt.
Aus dieser Tradition stammt auch die Vorstellung, die "eigentliche Wirklichkeit" ist das, was so und so wirklich existiert, wenn gerade niemand hinsieht (denn jedes Hinsehen ist ja irrtumsanfällig). Dass aber das Hinsehen oder Nicht-Hinsehen selbst zu derselben Wirklichkeit gehören müsste, wird dabei systematisch unterschlagen.

Gruß
H.

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- jacopo_belbo am Gestern, 13:41 Uhr

hallo hermeneuticus,

du schreibst, dass du (auch) glaubst, es gebe nur eine wirklichkeit. umgekehrt wird, wie man umgangssprachlich sagt, ein schuh daraus: was veranlaßt dich, bzw. jemanden dazu, eine zweite wirklichkeit, als die in welcher wir uns befinden, zu postulieren? wenn wir uns an das halten, was wir wissen, können wir sagen, dass es eine wirklichkeit gibt. gäbe es eine zweite wirklichkeit, so wüßten wir auch davon. solange wir aber nichts davon wissen, bleibt derjenige, der von einer zweiten wirklichkeit spricht, im beweiszwang. mit der vorstellung eines "dings an sich" gelangen wir erkenntnistheoretisch ins hintertreffen, müßten wir doch erklären, wie wir von etwas zu wissen scheinen, wovon wir ehrlicherweise nichts aussagen könnten.
und wenn du mich fragst, woher ich weiß, dass es -der zahl nach- eine wirklichkeit gibt, werde ich dir sagen, dass es sich im täglichen umgang mit ihr zeigt, dass es eine wirklichkeit gibt. unser weltbild wäre nicht so wie es wäre, wenn es zwei wirklichkeiten gäbe, von denen wir wüßten, bzw. wissen könnten.

um meine metapher von dem "einen text" ein wenig zu verteidigen möchte ich folgendes anmerken:
deine kritik, ein text sei bestimmt trifft den kern meiner aussage nicht, wenn du mit bestimmt soetwas wie eindeutig festgelegt meinst. ich denke da sind wir litertaurtheoretisch seit den 70er jahren ein wenig weiter fortgeschritten. ein text ist bestenfalls insofern bestimmt, als die ihn konstituierenden bestandteile die interpretationsmöglichkeiten einschränken. aus goethes faust läßt sich beim besten willen kein rezept für erbsensuppe herauslesen. auch wenn sich der interpret wirklich mühe gibt.
andererseits ist ein text ein angebot an den interpreten mehrere interpretationen auszuprobieren. es gibt viele mögliche lesarten eines textes - wenn auch eben nicht unendlich viele.
mit der natur bzw. der wirklichkeit verhält es sich ähnlich. man kann die natur auf verschiedenartige art und weise klassifizieren, erklären, oder wie eben schon gesagt, viele interpretationen an ihr ausprobieren.
manche werden einer überprüfung standhalten, andere nicht. die natur verfügt, vergleichbar mit dem text über eine struktur, die a) allen zugänglich ist und b) die verschiedene interpretationen zuläßt.
verfügte die natur über keinerlei struktur, dann würde eine unzahl von hilfshypothesen notwendig werden die erklärten, weshalb man kohärente erfahrungen haben kann. es ist keine koinzidenz, dass meine socken morgens da liegen, wo ich sie abends ausgezogen habe. meine erfahrung lehrt mich, dass dem so ist.
das heißt nicht, dass dem zwangsläufig so sein muss; aber, dass dem so ist.
ebenfalls weiß ich, dass wenn ich hunger habe, ich in den supermarkt gehen kann und mir dort brötchen kaufen kann, um meinen hunger zu stillen; dass dort menschen sein werden, die dort ware für mich bereit halten; dass dort meine zahlungsmittel akzeptiert werden. das alles ist wissen von der welt.
dass dort menschen sein werden ist keine interpretationsfrage: entweder dort sind menschen, oder es sind keine dort - wo keine menschen sind, kann ich auch keine hin-interpretieren.
ich habe weiter oben -du hast mich zitiert- davon gesprochen, dass es gerechtfertigte behauptungen gibt, und das es wahre sätze gibt.
die aussage "quito ist die hauptstadt" von ecuador ist eine behauptung, die sowohl durch jedes lexikon gerechtfertigt wird, als auch wahr ist -ich denke nicht, dass in der zwischenzeit eine revolution in ecuador stattgefunden hat und nun quayaquil hauptstadt von ecuador ist. aber allein, meine behauptung, quito sei die hauptstadt von ecuador, macht aus quito nicht die hauptstadt von ecuador.
ebensowenig macht meine behauptung "delphine sind fische" aus delphinen keine fische. sie sind nachwievor säugetiere. was sich ändert sind nicht die tatsachen, sondern die behauptungen über diese tatsachen.
wenn wir licht mit einer gewissen wellenläge als "grün" bezeichnen, während andere es eher schon ins "gelbliche tendierend" bezeichnen, so haben wir es nicht mit einer veränderten objektiv nachmeßbaren wellenlänge des lichts zu tun, sondern mit einer sprachlich unterschiedlichen kategorisierung. andere menschen unterteilen das kontinuierliche lichtspektrum eventuell nach anderen für sie relevanten zügen. dadurch ändert sich das kontinuum des lichts nicht. heuristisch ist es sinnvoll von unterschiedlichen, sprachlichen entitäten zu sprechen - solange man nicht vergißt, dass es sich um -zu heuristischen zwecken eingeführte- entitäten handelt, nicht um objektive.
während im deutschen eine entität "wald" besteht, gibt es dagegen im italienischen zwei deutlich abgegrenzte entitäten "bosco" und "foresta" (was sich im französichen etwa mit "foret" deckt). wir haben es aber nicht mit zwei objektiv verschiedenen tatbeständen zu tun (eine oder zwei entitäten), sondern mit einer sprachlichen differenzierung und kategorisierung eines zugrundeliegenden sachverhalts. es schließt sich an dieser stelle der kreis wieder zu meiner text-metapher. die konstituierenden (" text" -)elemente für beide sprechergruppen sind gleich - ihre interpretation unterschiedlich.

- mfg thomas



- Hermeneuticus am Gestern, 16:04 Uhr

Hallo Thomas!


on 10/26/04 um 13:41:30, jacopo_belbo wrote:

du schreibst, dass du (auch) glaubst, es gebe nur eine wirklichkeit. umgekehrt wird, wie man umgangssprachlich sagt, ein schuh daraus: was veranlaßt dich, bzw. jemanden dazu, eine zweite wirklichkeit, als die in welcher wir uns befinden, zu postulieren?

Das tu' ich doch gar nicht. Im Gegenteil, ich sagte doch, dass ich nur an EINE Wirklichkeit glaube, die wir Menschen jeweils unterschiedlich interpretieren oder entwerfen. Dabei stelle ich mir die Interpretationswelten allenfalls als verschiedene, begrenzte Selektionen, Teil-Welten vor.

Um einzusehen, dass unsere Interpretationswelten jeweils begrenzt und selektiv sind, müssen wir nicht an die Jäger und Sammler im Dschungel denken. Ein Vergleich von Lebenswelt und der Welt der Naturwissenschaft genügt da schon. Es genügt aber auch schon die Analyse jeder Art von Sinn, denn Sinn entsteht durch Selektion.

Zitat:

deine kritik, ein text sei bestimmt trifft den kern meiner aussage nicht, wenn du mit bestimmt soetwas wie eindeutig festgelegt meinst.


Das meine ich auch gar nicht. Denn:  

Zitat:

ich denke da sind wir litertaurtheoretisch seit den 70er jahren ein wenig weiter fortgeschritten.


Richtig.
Ich weiß ja nicht, für wie alt Du mich hältst... Ich habe Derrida so ungefähr 1977/78 gelesen...

Zitat:

aus goethes faust läßt sich beim besten willen kein rezept für erbsensuppe herauslesen. auch wenn sich der interpret wirklich mühe gibt.

Einverstanden.


Zitat:

andererseits ist ein text ein angebot an den interpreten mehrere interpretationen auszuprobieren. es gibt viele mögliche lesarten eines textes - wenn auch eben nicht unendlich viele.


Nur ist ein Text von jemandem absichtsvoll GESCHRIEBEN worden. Das allein disqualifiziert m.E. "Text" als gelunge Metapher für die EINE Wirklichkeit, in der wir leben, indem wir sie jeweils verschieden interpretieren. Mir fällt da sofort die ehrwürdige Metapher vom "Buch der Natur" ein...

Zitat:

mit der natur bzw. der wirklichkeit verhält es sich ähnlich.

Diese Ähnlichkeit bestreite ich gerade.

Dass Du die EINE Wirklichkeit als "Natur" spezifizierst, leuchtet mir nicht ein. Vor allem deshalb nicht, weil wir mit "Natur" gewöhnlich den von unserem kultürlichen Leben unterschiedenen Teil der Welt meinen. Das zeigt schon, dass "Natur" relativ auf unser - selbstverständlich - kultürliches Dasein verstanden wird. Natur ist sozusagen "das Andere", von uns Unabhängige. (Worin sich aber zugleich zeigt, dass der BEGRIFF eben sehr wohl von unserem kultürlichen, "künstlichen", "geistigen" Dasein abhängig ist.)

Zitat:

die natur verfügt, vergleichbar mit dem text über eine struktur, die a) allen zugänglich ist und b) die verschiedene interpretationen zuläßt.


Mehr als ein Glaube kann das nicht sein, weil jene angeblich allen zugängliche Struktur als solche nicht näher zu bestimmen ist, ohne Aussagen darüber zu machen, was in ihr wesentlich oder unwesentlich, was fundamental oder was peripher, was dominant oder abhängig wäre. Solche Angaben zu machen hieße aber offenkundig: Natur zu interpretieren oder zu konstruieren. Verzichtet man indessen auf eine nähere Bestimmung, wird die Rede von "Struktur" gegenstandslos, weil eine "unbestimmte Struktur" ein hölzernes Eisen oder ein schwarzer Schimmel ist.

Zitat:

verfügte die natur über keinerlei struktur, dann würde eine unzahl von hilfshypothesen notwendig werden die erklärten, weshalb man kohärente erfahrungen haben kann.


Ich bin wirklich alles andere als ein Solipsist oder Antirealist. Trotzdem bleiben "kohärente Erfahrungen", die wir machen, immer kohärente ERFAHRUNGEN, die WIR machen.

In der gelingenden Praxis besteht kein Grund, an der Wirklichkeit zu zweifeln - und daher auch kein Grund, sie überhaupt umständlich zu begründen. Eine gelingende Praxis ist ihre eigene Begründung. Aber hier betreiben wir Philosophie, wir reflektieren also darüber, was "Wirklichkeit" oder "wahre Aussagen" über sie BEDEUTEN.

Dass Du beispielsweise immer derselbe bist - von der Zeugung bis zur Bahre - wirft im Alltag keinerlei Probleme auf. Nur manchmal geraten wir in Situationen, da die eigene Identität fragwürdig wird (dazu brauchen wir nicht von der Polizei mit einem gesuchten Mörder verwechselt zu werden). Aber philosophisch ist es außerordentlich schwierig anzugeben, worauf sich diese Identität eigentlich gründet, da wir uns doch ständig körperlich-geistig verändern. Wieso oder in welchem Sinne ist mein 85jähriger Vater noch "derselbe" wie 1919?

Das nur als ein Beispiel dafür, dass der Ausdruck "kohärente Erfahrung" sich nicht von selbst versteht.

Zitat:

was sich ändert, sind nicht die tatsachen, sondern die behauptungen über diese tatsachen.


Was aber eine Tatsache ist, über die wir dies und jenes explizit behaupten können, lässt sich ohne vorherige Behauptungen nicht bestimmen. Um entscheiden zu können, ob ein Delphin ein Fisch oder ein Säugetier ist, muss man schon wissen, was Fische und Säugetiere sind. Und um zu wissen, was Säugetiere sind, muss man wissen, was Tiere sind (im Unterschied vielleicht zu Pflanzen oder Felsen). Usw.
So weit Du auch zurückgehst, Du wirst nirgends auf eine "nackte Tatsache" stoßen, d. h. auf die "Sache selbst" abzüglich unserer Sätze und unseres Vorwissens über sie.

Zitat:

wir haben es aber nicht mit zwei objektiv verschiedenen tatbeständen zu tun (eine oder zwei entitäten), sondern mit einer sprachlichen differenzierung und kategorisierung eines zugrundeliegenden sachverhalts.


Der "zugrundeliegende Sachverhalt" muss aber, um ein SACHVERHALT zu sein (und nicht nur irgendein x), näher bestimmbar sein. Es muss z. B. klar sein, dass es sich jeweils um DASSELBE x handelt, auf das jeweils in unterschiedlichen Sprachen Bezug genommen wird. Die Sprecher der verschiedenen Sprachen werden sich darüber zunächst einigen müssen. Aber selbst wenn die Identität des x zwischen ALLEN Sprechern als geklärt gelten dürfte, wird damit doch immer noch nicht entscheidbar sein, ob das gemeinte x mit der "realen" Sache selbst übereinstimmt, also mit der Sache, wie sie jenseits aller sprachlichen Interpretation oder Erfahrung "eigentlich ist".

Aber mit all dem will ich gar nicht bestreiten, dass es letztlich "die Wirklichkeit" ist, die unsere Aussagen über sie "wahr macht". Ich behaupte nur, dass das nicht gelingt ohne eine Spezifikation dessen, was wir jeweils ALS Wirklichkeit ansprechen bzw. welches Teilstück von ihr. Jede Spezifikation aber bleibt UNSERE Interpretationsleistung. Die Wirklichkeit spezifiziert sich nicht selbst.

Gruß
H.

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- jacopo_belbo am Gestern, 19:34 Uhr

hallo hermeneuticus,

gut, dann habe ich jetzt wenigstens in einigen punkten klarheit. ich wußte nicht genau, was du mit einigen punkten ausdrücken wolltest. zumindest sind wir uns einig darüber, dass wir es im gegensatz zu anderen, mit einer einzigen wirklichkeit als grundlage aller "interpretierten wirklichkeiten" haben.
deine kritik nehme ich ernst, und wende mich davon ab, von "text" zu sprechen, wenn du unter text ein intentional abgefaßtes gebilde verstehst. ich dachte in meinem nachtrag deutlich gemacht zu haben, inwieweit die analogie tragfähig ist. sprechen wir stattdessen von einer "struktur der wirklichkeit", die es herauszufinden gilt. das grundsätzliche verhältnis ist dadurch nicht verändert, es bleibt ein semiotisches.

für die diskussion beschränke ich mich auch gerne darauf, statt von "natur" von "welt" oder wenn es dir beliebt, von "wirklichkeit" zu sprechen.
somit werden auch die von dir angeführten assoziationen relativiert. wirklichkeit ist und bleibt wirklichkeit. sie ist als solche kulturell unabhängig.

deinen kritikpunkt bezüglich der struktur der wirklichkeit kann ich nicht teilen:
ich schrieb:

Zitat:

die natur verfügt, vergleichbar mit dem text über eine struktur, die a) allen zugänglich ist und b) die verschiedene interpretationen zuläßt


darauf erwiederst du:

Zitat:

Mehr als ein Glaube kann das nicht sein, weil jene angeblich allen zugängliche Struktur als solche nicht näher zu bestimmen ist, ohne Aussagen darüber zu machen, was in ihr wesentlich oder unwesentlich, was fundamental oder was peripher, was dominant oder abhängig wäre. Solche Angaben zu machen hieße aber offenkundig: Natur zu interpretieren oder zu konstruieren. Verzichtet man indessen auf eine nähere Bestimmung, wird die Rede von "Struktur" gegenstandslos, weil eine "unbestimmte Struktur" ein hölzernes Eisen oder ein schwarzer Schimmel ist.  


ich weiß nicht, was du unter glaube verstehst. wir glauben nicht an eine wirklichkeit, sondern wir besitzen sogar wissen über die wirklichkeit. dass wasser H2O ist, ist ein beispiel dafür.
ich wüßte nicht, inwieweit wir nicht alle zugang zur struktur der wirklichkeit haben. was ich nicht sage ist, dass wir jederzeit zugang zu allen aspekten der wirklichkeit hatten, bzw. haben. aussagen über die chemische zusammensetzung von wasser können wir erst nach aufkommen entspechender wissenschaftlicher theorien machen. ich denke das versteht sich von selbst.

ich weiß nicht was du damit unterstreichen möchtest, wenn du folgendes sagst,
Zitat:

Trotzdem bleiben "kohärente Erfahrungen", die wir machen, immer kohärente ERFAHRUNGEN, die WIR machen.


es ist trivial in diesem fall darauf zu verweisen, dass wir -als menschen- es sind, die die wirklichkeit so und so erfahren. wenn du damit aussagen möchtest, dass andere lebewesen andere erfahrungen machen könnten, so sprichst du von etwas, wovon du nicht sprechen kannst. andernfalls ist das was du ausdrücken möchtest bedeutungslos.

du schreibst weiter:

Zitat:

In der gelingenden Praxis besteht kein Grund, an der Wirklichkeit zu zweifeln - und daher auch kein Grund, sie überhaupt umständlich zu begründen.


es besteht überhaupt kein grund überhaupt an der wirklichkeit zu zweifeln.
Zitat:

" skeptizismus ist nicht unwiderleglich, sondern offenbar unsinnig, wenn er bezweifeln will, wo nicht gefragt werden kann" (wittgenstein, ludwig: tractatus logico-philosophicus. Satz 6.5.1)

ich stimme dir vollkommen zu, wenn du schreibst,
Zitat:

Aber hier betreiben wir Philosophie, wir reflektieren also darüber, was "Wirklichkeit" oder "wahre Aussagen" über sie BEDEUTEN.  


du erwähnst das "problem der identitätsaussagen". saul kripke (u.a.) gibt einen brauchbaren ansatz in seinem buch "naming and necessity",  mit identitätsaussagen umzugehen. er stellt dort eine "theory of proper names" auf. ein "name" wird dort durch eine art "taufakt" vergeben und die referenz wird kausal weitergegeben. ich möchte das an diesem punkt nicht weiter aufführen, lediglich zeigen, inwiefern das problem, welches du aufführst umgangen werden kann. dein vater ist immer noch derselbe, der er 1919 war, weil sich alle aussagen über ihn, kausal auf denselben referenten beziehen. (eine kleine anmerkung: kripke bezieht mit "naming and necessity" eindeutig stellung gegen russels "theory of description" (=ToD), wonach ein gegenstand durch eine beschreibung bezeichnet wird. zum beispiel "aristoteles ist der schüler platos". das wirft zum beispiel probleme auf, ob aristoteles mit "schüler platos" identisch ist. wäre aristoteles nicht aristoteles, wenn er kein schüler platos gewesen wäre? kripke betont, dass die ToD an dieser stelle inkohärent werden würde).
aussagen über deinen vater sind durch seinen "namen" gebunden.


Zitat:

Um entscheiden zu können, ob ein Delphin ein Fisch oder ein Säugetier ist, muss man schon wissen, was Fische und Säugetiere sind. Und um zu wissen, was Säugetiere sind, muss man wissen, was Tiere sind (im Unterschied vielleicht zu Pflanzen oder Felsen). Usw.  


das ist ein sprachliches und kein ontologisches problem. insofern weiß ich nicht, auf was du hinaus willst.


Zitat:

Aber selbst wenn die Identität des x zwischen ALLEN Sprechern als geklärt gelten dürfte, wird damit doch immer noch nicht entscheidbar sein, ob das gemeinte x mit der "realen" Sache selbst übereinstimmt, also mit der Sache, wie sie jenseits aller sprachlichen Interpretation oder Erfahrung "eigentlich ist".



wenn wir aussagen treffen, derart, dass wir sagen: "das ist ein wald", ist eine direkte referenz gegeben. wird der italiener entgegnen, dass er das mit "bosco" bezeichnet. sicherlich wird nicht entscheidbar sein, ob das, worauf sich beide beziehen nun ein wald oder eher "bosco" ist. wir haben es aber in diesem fall mit unterschiedlicher benennung zu tun, nicht mit zwei verschiedenen "waldarten".


Zitat:

Die Wirklichkeit spezifiziert sich nicht selbst.


einspruch! wenn wir einerseits von steinen sprechen und andererseits von brötchen, kennzeichnen wir eben einen ontologischen gegebenen unterschied. was im umkehrSchluss nicht bedeutet, dass jeder unterscheidung auch ein ontologischer unterschied entspricht.

- mfg thomas

p.s.:
Zitat:

Ich habe Derrida so ungefähr 1977/78 gelesen...

. bisher habe ich keinen zugang zu seiner "philosophie" gefunden.

-
- Eberhard am Gestern, 19:44 Uhr

Hallo Hermeneuticus,

ich will um der besseren Übersicht willen versuchen, unsere beider Positionen zu skizzieren.

Nach meinem Verständnis ist "Wahrheit" immer auf sprachliche Äußerungen bezogen.
Daraus folgt, dass die Erörterung der Wahrheit einer Behauptung gegenseitiges Verständnis, eine gemeinsame Sprache voraussetzt.
Wenn man für eine Aussage über die Wirklichkeit "Wahrheit" beansprucht, dann beansprucht man für diese Aussage eine allgemeine Geltung.
Dieser allgemeine Geltungsanspruch macht jedoch nur Sinn, wenn man von einer gemeinsamen Wirklichkeit ausgeht. Andernfalls gibt es Meine Wahrheit über meine Welt und Deine Wahrheit über Deine Welt und jeder Streit ist sinnlos.
Den allgemeinen Geltungsanspruch (Wahrheit) für eine Behauptung kann man vernünftig nur dadurch einlösen, dass man Argumente nennt, die diesen Anspruch allgemein nachvollziehbar und akzeptierbar begründen.
In Bezug auf Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit ermöglicht letztlich der Verweis auf die intersubjektiv übereinstimmende Wahrnehmung (Beobachtung)  eine Begründung von Behauptungen und die Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Einbildung.

Demgegenüber kommt es Dir auf zweierlei an:
1. den Umstand der "Gegenstandskonstitution" durch Begriffe und
2. die Relativität des Zutreffens von Aussagen auf die jeweilige Theorie/Weltdeutung.
Deiner Ansicht nach müssen wir ausgehen von "unterschiedlichen 'Welten', alternativen Deutungs- und Interpretationszusammenhängen bzw. alternativen Theorien, die sich jeweils auf anders konstituierte Gegenstände beziehen und darüber dann entweder wahre oder falsche Aussagen machen können - wobei SIE es sind, die auch die Kriterien für diese Unterscheidung bereitstellen." " …. Es hängt vom jeweiligen Deutungszusammenhang ab, welche Unterschiede/Eigenschaften den Gegenstand X 'ausmachen' oder sein  ,Wesen' definieren."  … " (Es) kann auch nur innerhalb desselben (Deutungs-) Zusammenhangs angegeben werden, was z. B. ALS Beleg für das faktische Vorliegen von X GELTEN SOLL." Du betonst, dass "verschiedene Theorien verschiedene Gegenstände und Gegenstandsbereiche ('Welten') haben, auch wenn sie sich LETZTLICH auf dieselbe Wirklichkeit beziehen müssen. (Nur gibt es m. E. eben keinen Standpunkt jenseits aller möglichen Deutungszusammenhänge, von dem aus sich entscheiden ließe, welche Theorie am besten mit der 'Wirklichkeit selbst' übereinstimmt.)"

Der Unterschied zwischen uns besteht demnach in der Einführung von unterschiedlichen "Deutungszusammenhängen" (" Welten", "Interpretationszusammenhängen" ), die sowohl für die Konstitution der Gegenstände als auch für die Kriterien ihres Gegebenseins maßgeblich sind. Ob eine Aussage wahr ist, lässt sich folglich nur relativ zum jeweiligen Deutungszusammenhang beantworten.
Die Deutungszusammenhänge beziehen sich zwar letztlich auf die gleiche Wirklichkeit, es ist jedoch nicht möglich, über deren Wahrheitsgehalt etwas auszusagen.

Habe ich Dich so richtig verstanden?
Es grüßt Dich Eberhard.

-
- Hermeneuticus am Heute, 01:37 Uhr

Hallo Eberhard!

Ich gehe mal kommentierend an Deinem letzten Beitrag entlang...

on 10/26/04 um 19:44:31, Eberhard wrote:

Nach meinem Verständnis ist "Wahrheit" immer auf sprachliche Äußerungen bezogen.

Das sehe ich ebenso. "Wahr" ist ein (metasprachliches) Prädikat für Aussagen.

Zitat:

Daraus folgt, dass die Erörterung der Wahrheit einer Behauptung gegenseitiges Verständnis, eine gemeinsame Sprache voraussetzt.


Zustimmung.

Zitat:

Wenn man für eine Aussage über die Wirklichkeit "Wahrheit" beansprucht, dann beansprucht man für diese Aussage eine allgemeine Geltung.


Ja. Es fragt sich aber - und diese Frage habe ich auch schon ausdrücklich gestellt -, WIE allgemein dieser Anspruch und wie allgemein die Geltung sein muss, um einer Aussage das Prädikat "wahr" BERECHTIGTER WEISE zusprechen zu können.

Du scheinst in diesem Punkt selbst etwas zu schwanken. Denn in der Fisch/Säugetier-Frage genügte es Dir, dass die Geltung/der Geltungsanspruch sich auf die empirische, also begrenzte Anzahl der Sprecher jeweils EINER Sprache (Obriander oder Abriander) erstreckte, um die Zuschreibung des Prädikats "wahr" zu begründen. Es ist also möglich, dass eine Aussage wahr NUR FÜR EINE BEGRENZTE ALLGEMEINHEIT ist. Dem stimme ich zu.

Zitat:

Dieser allgemeine Geltungsanspruch macht jedoch nur Sinn, wenn man von einer gemeinsamen Wirklichkeit ausgeht.

Nicht "man". "Man" existiert nicht. Sondern die empirischen Sprecher einer empirischen Sprache! Allerdings gehört zu einer gemeinsamen Wirklichkeit auch eine gemeinsame Praxis, geteilte Überzeugungen, die z.T. auch unausgesprochen sein können.

Die Sprache (und Praxis) einer Wissenschaft unterscheidet sich in diesem Punkt nicht von einer sog. "natürlichen" Sprache bzw. Sprachgemeinschaft. Die Physiker gehen ebenfalls alle von einer gemeinsamen Wirklichkeit aus - nämlich dem Gegenstandsbereich ihrer Theorie und Praxis, der so und so DEFINIERT (also abgegrenzt) ist. Zu diesem Gegenstandsbereich gehören viele Dinge nicht, die in unserer  gemeinsamen Alltagswirklichkeit elementar sind - z. B. absichtsvolle Handlungen oder sinnvolle Texte, schöne Melodien...

Darum muss man wohl konzedieren, dass Physiker in der Ausübung ihres Berufs eine andere Sprache sprechen, mit der sie sich auch auf eine andere Wirklichkeit beziehen, als wenn sie abends ihrer Frau einen Blumenstrauß schenken und mit ihr zusammen überlegen, wie sie das Wochenende gestalten wollen.

Zitat:

Andernfalls gibt es Meine Wahrheit über meine Welt und Deine Wahrheit über Deine Welt und jeder Streit ist sinnlos.

Nein. So wie es keine Privatsprache und keine rein individuelle menschliche Praxis geben kann, so kann auch nicht jedes Individuum in seiner Privatwelt leben. Eine Interpretationswelt ist immer eine geteilte, gemeinsame Welt mit einer gemeinsamen Sprache - wie etwa bei den Abriandern und Obriandern.

Zitat:

Den allgemeinen Geltungsanspruch (Wahrheit) für eine Behauptung kann man vernünftig nur dadurch einlösen, dass man Argumente nennt, die diesen Anspruch allgemein nachvollziehbar und akzeptierbar begründen.

Hier ist dieselbe Einschränkung des Begriffs "allgemein" nötig.

Zu beachten ist auch, dass nicht nur "Argumente" einen Geltungsanspruch einlösen können. Sprechen wir lieber allgemeiner von "Gründen". Hierbei ist aber zu beachten, dass unter den Diskutanten bereits geklärt sein muss, was überhaupt ALS Begründung GELTEN SOLL oder KANN. Denn darüber kann zwischen den Angehörigen unterschiedlicher "Welten" durchaus Uneinigkeit bestehen. So werden etwa die modernen Biologen die Begründung der abriandrischen Behauptung "Delphine sind Säugetiere" nicht als echte Begründung anerkennen. Den Abriandern selbst genügt ihre Art der Begründung vollkommen. (Sonst würden sie ja auch nicht von "Wahrheit" sprechen können.)

Zitat:

In Bezug auf Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit ermöglicht letztlich der Verweis auf die intersubjektiv übereinstimmende Wahrnehmung (Beobachtung)  eine Begründung von Behauptungen und die Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Einbildung.

Hier legst Du Dich - für mich unbegründeterweise! - auf Wahrheitskriterien einer bestimmten Interpretationswelt fest, nämlich die der modernen (Natur-)Wissenschaften. Denn, wie gesagt, man muss es schon den Angehörigen der jeweiligen Interpretationswelten überlassen, was sie jeweils als Begründung für die Zuteilung des Prädikats "wahr" gelten lassen.

Hinzu kommt die Frage, ob Wahrnehmung oder Beobachtung mit weltenübergreifender Verbindlichkeit möglich ist, ohne dass sich die Angehörigen der verschiedenen Welten darüber explizit verständigen (also sozusagen a priori). Denn wenn es in der einen Welt mühelos gelingt, eine absichtliche Handlung zu beobachten, in einer anderen aber nicht, dann scheint Wahrnehmung keine unparteiliche Instanz zu sein. Vielmehr nehmen wir niemals etwas nicht-Vorstrukturiertes, nicht-Kategorisiertes wahr. Wir nehmen stets ein so und so beschaffenes Etwas wahr. Und es sind unsere Begriffe/Kategorien, es ist unser Vorwissen oder ein vertrauter Umgang mit einem Etwas, die es uns ermöglichen, es dann auch fallweise zutreffend wahrzunehmen und als das, was es ist, zu identifizieren.

Zitat:

Der Unterschied zwischen uns besteht demnach in der Einführung von unterschiedlichen "Deutungszusammenhängen" (" Welten", "Interpretationszusammenhängen" ), die sowohl für die Konstitution der Gegenstände als auch für die Kriterien ihres Gegebenseins maßgeblich sind. Ob eine Aussage wahr ist, lässt sich folglich nur relativ zum jeweiligen Deutungszusammenhang beantworten.
Die Deutungszusammenhänge beziehen sich zwar letztlich auf die gleiche Wirklichkeit, es ist jedoch nicht möglich, über deren Wahrheitsgehalt etwas auszusagen.

Ja, diese Wiedergabe finde ich zutreffend - bis auf den letzten Halbsatz, genauer: den Ausdruck "Wahrheitsgehalt der Wirklichkeit". Denn wir sind uns ja darüber einig, dass nur Aussagen ÜBER die Wirklichkeit wahr sein können, nicht die Wirklichkeit selbst.

Dass es eine alle menschlichen Interpretationen umfassende Wirklichkeit gibt, halte ich für eine plausible Voraussetzung. Und zwar schon aus dem einfachen Grund, dass es sinnlos wäre, von einer selektiven Interpretation zu sprechen, wenn man dabei kein Gesamt voraussetzt, AUS DEM so oder so ausgewählt werden kann. Aber es ist aus demselben Grund - der selektiven Konstitution von Sinn - ebenso plausibel, dass wir über dieses "Gesamt" keine explizite Aussage machen können, die nicht bereits eine selektive Vorstrukturierung des Gegenstands (sprich: Interpretation) in Anspruch nehmen würde.

Gruß
H.

-
- Hermeneuticus am Heute, 03:22 Uhr

Hallo Thomas!

Zitat:

wirklichkeit ist und bleibt wirklichkeit. sie ist als solche kulturell unabhängig.

Wieso kannst Du, als Angehöriger der europäischen/deutschen Kultur das mit solcher Bestimmtheit behaupten? Kann man das wissen, ohne sich mit Angehörigen anderer Kulturen verständigt zu haben? Hast Du einen "privilegierten Zugang" zur transkulturellen Wirklichkeit? Sag mir bitte, wie man ihn erlangt! Den hätte ich auch gern.  

Zitat:

ich weiß nicht, was du unter glaube verstehst. wir glauben nicht an eine wirklichkeit, sondern wir besitzen sogar wissen über die wirklichkeit. dass wasser H2O ist, ist ein beispiel dafür.


Wie Du selbst sagst: Dass jener Gegenstand, der in der deutschen Alltagssprache mit "Wasser" bezeichnet wird, auch zutreffend als "H2O" bezeichnet werden kann, dass hier also eine Äquivalenz der Bedeutungen/Extensionen beider Ausdrücke besteht, kann man nur wissen, wenn man ein bisschen Chemie in der Schule gelernt hat.

Und selbst dann: Untersucht man den Ausdruck "H2O" genauer und erinnert sich daran, dass mit "H" das Element Wasserstoff und mit "O" Sauerstoff gemeint ist - Gegenstände, die wohlgemerkt in dieser elementaren Reinheit nicht Gegenstand unserer alltäglichen Wahrnehmung sind!; dass dieser Ausdruck zudem voraussetzt, dass Wasser aus lauter gleichen Molekülen besteht, in denen zwei Teile Wasserstoff von einem Teil Sauerstoff "gebunden" werden - dann wird auch klar, dass "H2O" ein ganz anders strukturierter Gegenstand ist als das Wasser, mit dem wir uns duschen, unseren Tee kochen und das Geschirr spülen... Zumindest ist "H2O" nicht mit dem bloßen Auge ALS "H2O" zu identifizieren.

Auch wird deutlich, dass hier schon eine gewisse Begriffsverschiebung stattgefunden hat, die quer zur Alltagssprache liegt. So könnte ein Erwachsener, dem man die Formel "H2O" zum ersten Mal erklärt, ausrufen: "Aber... aber - dann besteht also Wasser gar nicht nur aus dem Stoff, dem es den Namen geliehen hat: 'Wasserstoff'! Dann ist also Wasser eigentlich Sauer-Wasser?! Und dabei schmeckt es überhaupt nicht sauer!"

Ich denke, an diesem Beispiel wird anschaulich, dass der Ausdruck "H2O" aus einer anders strukturierten - und vor allem ganz anders zugänglichen! - "Welt" stammt als unser Alltagsausdruck "Wasser".  

Zitat:

aussagen über die chemische zusammensetzung von wasser können wir erst nach aufkommen entspechender wissenschaftlicher theorien machen. ich denke das versteht sich von selbst.

Das in der Tat. Aber deswegen versteht es sich noch lange nicht "von selbst", wieso unser Alltagsgegenstand "Wasser" DASSELBE sein soll wie "H2O". Um diese Identität behaupten zu können, ist es offensichtlich nötig, Ausdrücke aus der einen Sprache in die andere zu ÜBERSETZEN, also eine Bedeutungsgleichheit ausdrücklich HERZUSTELLEN und sie auch nachvollziehbar zu machen.

Zitat:

du erwähnst das "problem der identitätsaussagen". saul kripke (u.a.) gibt einen brauchbaren ansatz in seinem buch "naming and necessity",  mit identitätsaussagen umzugehen.


Kripkes Theorie kenne ich nur durch hear-say, also aus der Sekundärliteratur. Ich halte sie aber nach dieser Vorkenntnis nicht für sonderlich überzeugend. Dazu aber vielleicht später mehr.

Zitat:

wenn wir aussagen treffen, derart, dass wir sagen: "das ist ein wald", ist eine direkte referenz gegeben. wird der italiener entgegnen, dass er das mit "bosco" bezeichnet. sicherlich wird nicht entscheidbar sein, ob das, worauf sich beide beziehen nun ein wald oder eher "bosco" ist. wir haben es aber in diesem fall mit unterschiedlicher benennung zu tun, nicht mit zwei verschiedenen "waldarten".

Ich kann nicht genug Italienisch, um an diesem Beispiel zu erläutern, ob Italiener und Deutscher jeweils DASSELBE oder jeweils etwas anders Vorstrukturiertes meinen, wenn sie ein vorliegendes x "bosco" bzw. "Wald" nennen. Aber Dir ist sicherlich bekannt, dass die genaue Übersetzung eines Textes in eine andere Sprache sehr problematisch ist. "Traduttore - traditore" lautet ein italienisches Sprichwort, das - frei übersetzt - sagt: "Der Übersetzer ist (immer) ein Verräter."

Der Ausdruck "direkte Referenz" klingt einfach, ist aber Gegenstand verzwickter philosophischer Kontroversen...

Zitat:

wenn wir einerseits von steinen sprechen und andererseits von brötchen, kennzeichnen wir eben einen ontologischen gegebenen unterschied. was im umkehrSchluss nicht bedeutet, dass jeder unterscheidung auch ein ontologischer unterschied entspricht.


Was "ontologisch gegeben" bedeuten soll, müsstest Du mir schon genauer erklären. Meinst Du damit: ein von der Sache selbst gegebener Unterschied, der dann in der Sprache entweder zutreffend "abgebildet" oder "wiedergegeben" werden kann oder auch nicht? Liegt die Welt fertig gegeben vor uns, und es kommt nur darauf an, sie richtig zu beschreiben? Und wer ist im Besitz der richtigen Beschreibung und kann die Angehörigen der verschiedenen Sprach- und Kulturgemeinschaften davon überzeugen?

Was bezeichnet den "ontologisch gegebenen" Gegenstand x zutreffender: "Wasser" oder "H2O" ? Oder sind das nur verschiedene (Eigen-)Namen, die keinerlei Auswirkung darauf haben, welcher (so-und-so-strukturierte) Gegenstand da jeweils gemeint wird?

Gruß
H.

-
- jacopo_belbo am Heute, 08:23 Uhr

hallo hermeneuticus,

wie kann ich das als angehöriger europäischer/deutscher kultur sagen? ganz einfach, weil dem so ist. etwas anders zu klassifizieren als andere, macht aus den gegenständen keine anderen gegenstände. wenn wir uns darüber unterhalten, ob delphine säugetiere sind oder fische, machen wir aus dem delphin keinen fisch, nur weil wir behaupten, es sei einer. ebensowenig können wir aus brötchen goldklumpen machen, indem wir sie nun statt brötchen "goldklumpen" nennen. ein brötchen besitzt eigenschaften, die ein goldklumpen nicht besitzt. und diese eigenschaften sind nicht kulturell bedingt; der name und die damit verbundenen assoziationen sehr wohl.
ich wüßte nicht, weshalb uns der zugang zur wirklichkeit versperrt sein sollte. du interagierst, ebenso wie ich mit der wirklichkeit. wenn wir beide auf einem hochhausdach stehen und ein schlüsselbund hinabwerfen, so ist es die schwerkraft, die das bund nach unten fallen läßt. und das ist nicht der fall, weil wir beide vielleicht logozentrisch denkende europäer sind, sondern, weil es sich um eine kulturunabhängige eigenschaft der wirklichkeit handelt. und ich denke, dass selbst die hopi-indianer, wenn sie stolpern, zu boden fallen und nicht einfach davonschweben - auch wenn sie eine andere sprache sprechen.
ebenso wird das wasser im hopiland bergab und nicht bergauf fließen. und ich denke, dass wir uns darüber nicht mit einem hopi einigen müßten.

Zitat:

Wie Du selbst sagst: Dass jener Gegenstand, der in der deutschen Alltagssprache mit "Wasser" bezeichnet wird, auch zutreffend als "H2O" bezeichnet werden kann, dass hier also eine Äquivalenz der Bedeutungen/Extensionen beider Ausdrücke besteht, kann man nur wissen, wenn man ein bisschen Chemie in der Schule gelernt hat.

" wasser" bezeichnet H20. so wie "kochsalz" Natriumchlorid bezeichnet. es ist (mit kripkes vokabular) ein starrer bezeichnungsausdruck (rigid designator).

Zitat:

Zumindest ist "H2O" nicht mit dem bloßen Auge ALS "H2O" zu identifizieren.


das hat auch niemand gefordert. sondern es hat sich durch analyse herausgestellt. nicht alles in der welt trägt auf der rückseite eine kennzeichnung seiner inhaltsstoffe.

Zitat:

Auch wird deutlich, dass hier schon eine gewisse Begriffsverschiebung stattgefunden hat, die quer zur Alltagssprache liegt. So könnte ein Erwachsener, dem man die Formel "H2O" zum ersten Mal erklärt, ausrufen: "Aber... aber - dann besteht also Wasser gar nicht nur aus dem Stoff, dem es den Namen geliehen hat: 'Wasserstoff'! Dann ist also Wasser eigentlich Sauer-Wasser?! Und dabei schmeckt es überhaupt nicht sauer!"


sauerstoff ist die deutsche übersetzung für frz. oxygene, das ursprünglich "säuremacher" bedeutet, nach dem sauren charakter vieler oxyde. und sinnigerweise würde man auch von wasserstoff-dioxyd sprechen.

Zitat:

Das in der Tat. Aber deswegen versteht es sich noch lange nicht "von selbst", wieso unser Alltagsgegenstand "Wasser" DASSELBE sein soll wie "H2O".


das "wasser" H2O ist, ist eine notwendigkeit, auch wenn sich diese notwendigkeit erst a posteriori, nach analyse des wassers herausgestellt hat.
wasser besitzt diese molekülstruktur.

Zitat:

Aber Dir ist sicherlich bekannt, dass die genaue Übersetzung eines Textes in eine andere Sprache sehr problematisch ist.


auch auf die gefahr hin, mich zu wiederholen: das ist ein rein sprachliches problem.

Zitat:

Was "ontologisch gegeben" bedeuten soll, müsstest Du mir schon genauer erklären. Meinst Du damit: ein von der Sache selbst gegebener Unterschied, der dann in der Sprache entweder zutreffend "abgebildet" oder "wiedergegeben" werden kann oder auch nicht? Liegt die Welt fertig gegeben vor uns, und es kommt nur darauf an, sie richtig zu beschreiben? Und wer ist im Besitz der richtigen Beschreibung und kann die Angehörigen der verschiedenen Sprach- und Kulturgemeinschaften davon überzeugen?


brötchen und gold unterscheiden sich in ihren materialen eigenschaften, sowie in ihren chemischen bestandteilen. diesen materialen unterschied nenne ich ontologisch; im gegensatz zu einem rein sprachlichen unterschied von "brötchen" und "schrippe". um eine besseres vokbular bemüht, sollte ich vielleicht davon sprechen, dass "brötchen" und "gold" sich de re unterscheiden, und "brötchen" und "schrippe" sich de dictu unterscheiden.

Zitat:

Was bezeichnet den "ontologisch gegebenen" Gegenstand x zutreffender: "Wasser" oder "H2O" ? Oder sind das nur verschiedene (Eigen-)Namen, die keinerlei Auswirkung darauf haben, welcher (so-und-so-strukturierte) Gegenstand da jeweils gemeint wird?


keiner der beiden ausdrücke ist zutreffender. warum sollte auch hier der komparativ stehen? wie oben gesagt, handelt es sich bei "wasser" um einen starren bezeichnungsausdruck, der eben wasser bezeichnet. ebenso wie H20. ebenso wie "marc vincent" sich starr auf den selben referenten bezieht wie "vin diesel". weder "marc vincent" noch "vin diesel" ist zutreffender. es handelt sich um ein und die selbe person.

- mfg thomas

- liegt im Kontext
- doc_rudi am Heute, 10:15 Uhr

Hallo Leute,
ihr redet von unterschiedlichen Dingen, wenn ihr von H2O und Wasser sprecht. H2O ist ein System der Ordnungshöhe Individuum und Wasser ist ein System höherer Ordnung, vergleichbar mit einem System menschliches Individuum und einem System Staat.
Das eine Ding (H2O) ist eines, das gar nicht mit bloßem Auge sichtbar ist, das andere ist etwas Sichtbares.
Würde ein Chemiker, der ein Wassermolekül untersucht, auf die Idee kommen, dass dieses Molekül, wenn es in Massen auftritt, zwischen 1 und 100 Graf Celsius flüssig ist, dass es aber auch dampfartig sein kann und die Schwerkraft überwindet, in die Höhe fliegt und Wolken bildet? Oder dass es ein Festkörper ist, wenn die Außentemperatur unter null Grad Celsius absinkt?
Der Chemiker, der nur 1 Wassermolekül für seine Untersuchung zur Verfügung hätte, hätte seine Untersuchung abgeschlossen, wenn er herausbekommen hätte, dass es sich um 2 Wasserstoffatome und 1 Sauerstoffatom handelt. Mit dieser Wahrheit hätte er sich begnügt.
Wir erleben jedoch eine Wahrheit, eine empirische Realität (Kant), in der wir Wassermolekülmassen als See, Eis und Wolke u.a. wahrnehmen und uns wundern, was für Fähigkeiten diese Wassermolekülmassen haben. Auch die Menschen zeigen in Massen andere Fähigkeiten als als Individuen, ja die Verhaltensweisen des Individuums ändern sich, wenn es Teil einer Masse wird (le Bon).
Diese Fähigkeiten des Wassers als System höherer Ordnung übersieht man, wenn man Wasser nicht als Molekülmasse erlebt.
Warum? Worin liegt die Schwierigkeit?
Das Problem liegt darin, dass wir das Wassermolekül nicht aus seinem Kontext herausreißen sollten. Wir müssen den Zusammenhang, den Kontext beachten.
Unsere empirische Realität bewegt sich stets in einem Kontext.
Wasser tritt tatsächlich nie isoliert auf, sondern befindet sich irgendwo drin, hat eine Umgebung, sozusagen das Nicht-Ich des Wassers. Und von diesem Kontext hängen die Eigenschaften ab, die es zeigt. Befindet es sich in warmer Luft, werden die Abstände zwischen den Molekülen größer und dadurch zeigt das Wassergas eine andere Eigenschaft als in Kälte unter null Grad.
Wir könnten also behaupten, dass die Wahrheit im Kontext verborgen läge, oder in der Interaktion, oder in den Abständen zwischen den einzelnen Molekülen oder in ihrer Anordnung (denkt an den guten Kohlenstoff, der Diamant oder Ruß ist). Oder dass die Eigenschaft des Wassers, also die von uns beobachtbare Wahrheit, Resultat einer Interaktion zwischen den zusammengehörigen Wassermolekülmassen (oder Kohlenstoffmassen) und seiner Umwelt ist.
Die Wahrheit, die der Chemiker herausbekommt, ist eine Wahrheit über das Wassermolekül; wir alle erfahren jedoch empirische Realität, indem wir das Verhalten von Wasser in unterschiedlichen Situationen beobachten.
Der Kontext des Chemikers unterscheidet sich von unserem.
Gruß
rudi

-
- Hermeneuticus am Heute, 11:02 Uhr

Hallo Thomas!

Ich bin mir inzwischen nicht mehr ganz sicher, ob Du diese Diskussion im Ernst führst oder ob Du nur so tust, als hättest Du zwar zufällig einen Saul Kripke gelesen, aber von Wittgenstein II, Gadamer, Habermas, W.V.O.Quine, Nelson Goodman, einem späten Hilary Putnam, Donald Davidson, Richard Rorty, Peter Janich... kurz: der pragmatisch/kulturralistisch/konstruktivistischen Richtung der Sprachphilosophie und Epistemologie noch nie etwas gehört und als ließest Du mich im Spaß mal deren Einsichten neu erfinden. Deine Argumente lesen sich jedenfalls zum Teil so "naiv", dass sie mir nicht ernst gemeint erscheinen. Beispiele:  


on 10/27/04 um 08:23:58, jacopo_belbo wrote:

wie kann ich das als angehöriger europäischer/deutscher kultur sagen? ganz einfach, weil dem so ist.

(...)

ebensowenig können wir aus brötchen goldklumpen machen, indem wir sie nun statt brötchen "goldklumpen" nennen. ein brötchen besitzt eigenschaften, die ein goldklumpen nicht besitzt. und diese eigenschaften sind nicht kulturell bedingt; der name und die damit verbundenen assoziationen sehr wohl.

(...) "wasser" bezeichnet H20. so wie "kochsalz" Natriumchlorid bezeichnet. es ist (mit kripkes vokabular) ein starrer bezeichnungsausdruck (rigid designator).

(...)

das hat auch niemand gefordert. sondern es hat sich durch analyse herausgestellt. nicht alles in der welt trägt auf der rückseite eine kennzeichnung seiner inhaltsstoffe.


Bitte missverstehe mich hier nicht! Mir geht es nicht darum, Deine Argumente, so Du von ihnen überzeugt bist, abzubügeln im Stile von: "Das meinst Du doch nicht im ERNST??!!" Sondern ich möchte umgekehrt sicher gehen, dass ich von Dir nicht auf die Probe gestellt, getestet... werde. Meine Frage ist also: Diskutieren wir auf gleicher Augenhöhe, weil wir wissen wollen, wie es wirklich ist? Oder führt vielleicht der eine den anderen vor, indem er ihm nicht ernst gemeinte Thesen vorlegt, an denen er sich dann zum Amüsement des Beobachters abarbeiten darf?

Gruß
H.

-
- Eberhard am Heute, 11:04 Uhr

Hallo Hermeneuticus,

zuallererst muss ich ein Missverständnis ausräumen. Mein letzter Satz, der Deine Position wiedergeben sollte, war missverständlich formuliert. Ich hatte geschrieben: "Die Deutungszusammenhänge beziehen sich zwar letztlich auf die gleiche Wirklichkeit, es ist jedoch nicht möglich, über deren Wahrheitsgehalt etwas auszusagen."

Das Relativpronomen "deren" sollte sich auf "Deutungszusammenhänge" beziehen und nicht auf "Wirklichkeit", wie Du verstanden hast.

Gemeint ist also, dass es nach Deiner Ansicht offenbar nicht möglich ist, über den Wahrheitsgehalt der verschiedenen Deutungszusammenhänge etwas auszusagen, die sich gleichwohl letztlich auf die gleiche Wirklichkeit beziehen.

Ich hoffe, dass ich damit Deine Position auch nach Deiner Ansicht richtig und unmissverständlich wiedergegeben habe und dass wir hier – zumindest vorläufig - zu einer gemeinsamen Sprache gefunden haben, was ja – wie gesagt – eine notwendige Voraussetzung für die Erörterung  strittiger Positionen und Behauptungen ist.

Womit wir mitten im Thema wären. Wenn ich einen Satz als "wahr" auszeichne, dann impliziert das immer den Bezug zu einer bestimmten Sprache, durch welche die Bedeutung der in dem Satz verwendeten Wörter und damit die Bedeutung des Satzes bestimmt wird. Genau genommen müsste man also nicht nur sagen: "Der Satz p ist wahr" sondern immer spezifizieren: "Der Satz p ist wahr in der Sprache L1." (Dabei gelten Sprachen, die in einander übersetzbar sind, als eine Sprache.)

Damit ist auch festgelegt, für wen ein Anspruch auf die Wahrheit eines bestimmten Satzes gilt: Er gilt für alle, die die Sprache L1 verstehen, in der die Behauptung geäußert wird. Es handelt sich also nicht um eine abzählbare Menge von Individuen, sondern um eine unbegrenzte Menge von Individuen (alle, die die Sprache L1 bereits erlernt haben oder dies zukünftig tun werden). Damit ist Deine Frage nach der Bedeutung von "allgemein" in dem Satz "Wenn jemand einen Satz als 'wahr' auszeichnet, dann beansprucht er für diesen Satz allgemeine Geltung" beantwortet.

Auf das Delphin-Beispiel angewandt bedeutet das. Abriander und Obriander verstehen unter "Delphinen" die gleiche Art von Lebewesen, jedoch ist für die Abriander der Satz "Delphine sind Säugetiere und keine Fische" wahr und für die Obriander ist der Satz falsch.

Das Problem kann dadurch entstehen, dass für die Abriander die Worte "Säugetier" und "Fisch" eine andere Bedeutung haben als für die Obriander, d. h. dass es zwei Sprachen, die Sprache L(A) und die Sprache L(O), gibt.

Das Problem verschwindet also, wenn man sagt: "Der Satz 'Delphine sind Säugetiere und keine Fische' ist wahr in der Sprache L(A) aber falsch in der Sprache  L(O)."

Es grüßt Dich und alle Interessierte Eberhard.

-
- Hermeneuticus am Heute, 11:30 Uhr

Hallo Eberhard!


Zitat:

Gemeint ist also, dass es nach Deiner Ansicht offenbar nicht möglich ist, über den Wahrheitsgehalt der verschiedenen Deutungszusammenhänge etwas auszusagen, die sich gleichwohl letztlich auf die gleiche Wirklichkeit beziehen.


Ob es "die gleiche" Wirklichkeit ist, das läss sich wohl nicht abschließend entscheiden, weil es dazu eines standpunktlosen Standpunkts jenseits aller Interpretationen bedürfte.
Wohl lassen sich verschiedene Deutungszusammenhänge (natürliche und künstliche Sprachen, Theorien...) mit einander vergleichen und an einer von ihren Einschränkungen unabhängigen Wirklichkeit überprüfen. Aber mit der Etablierung einer solchen Vergleichsinstanz befindet man sich wiederum in einem selektiv begrenzten Deutungszusammenhang. Und es fragt sich, ob die Angehörigen der von hier aus verglichenen Welten sich in dieser Vergleichsinstanz, ihrer Sprache und Wirklichkeit wiedererkennen würden. Nur wenn das der Fall wäre - also a posteriori, NACH praktischen Verständigungsprozessen zwischen den verschiedenen Weltenbewohnern - ließe sich berechtigt von einer von allen BETEILIGTEN geteilten Welt/Sprache/Wirklichkeit reden. Es ist aber davon auszugehen, dass besimmte Reste der einen Welt sich niemals in die Sprache eineranderen Welt übersetzen lassen - so wie wir das im Verhältnis Lebenswelt - Wissenschaftssprache dauernd beobachten.

Gruß
H.

-
- jacopo_belbo am Heute, 13:01 Uhr

hallo hermeneuticus,

ich weiß nicht, wie du dazu kommst, anzunehmen, ich meinte es nicht ernst. ich wüßte nicht, weshalb ich das tun sollte. sicher, wenn du keine lust mehr hast, dich auseinanderzusetzen, können wir die diskussion gerne an diesem punkt ausklingen lassen.

Zitat:

Deine Argumente lesen sich jedenfalls zum Teil so "naiv", dass sie mir nicht ernst gemeint erscheinen.


seitwann ist "naivität" -gesetzt den fall, meine einwände sind naiv- ein kriterium für die unterscheidung von wahren und falschen aussagen.
dann hätten wir uns die diskussion schenken können, und schlicht und ergreifend festlegen können, eine aussage ist genau dann falsch, wenn sie einem zuhörer naiv vorkommt. und die diskussion wäre beendet gewesen.

Zitat:

der pragmatisch/kulturralistisch/konstruktivistischen Richtung der Sprachphilosophie und Epistemologie noch nie etwas gehört und als ließest Du mich im Spaß mal deren Einsichten neu erfinden.


ich glaube, es dient in der sache wenig, mit einem argumentum ad vericundiam seinen diskussionspartner abzuspeisen. frei nach dem motto x schrieb aber in seinem werk y, dass Z, und ein haufen anderer sagen das gleiche.
dann wird das ganze zur name-dropping-veranstaltung, und wir brechen an dieser stelle besser ab.

dass es eine pragmatistisch-kulturalistisch-konstruktivistische richtung innerhalb der philosophie gibt, bedeutet weder, a) dass sie die ultima ratio darstellt, noch, b) dass ich in irgendeiner weise gezwungen wäre, zustimmen zu müssen. falls du das anders siehst, wäre es sinnvoller die diskussion abzubrechen.

- mfg thomas

p.s.: es scheint mir durchaus seltsam, in welcher art, du deine zentrale these von der unerkennbarkeit vehement verteidigst, obwohl ich dir beispiele gegeben habe, dass dem nicht so ist. "schwerkraft" ist ein element der struktur unserer wirklichkeit, welches kultur-unabhängig ist; und als empirisches phänomen jedermann zugänglich. angesichts dessen erscheint deine these eher im licht eines zentralen dogmas.

-
- philoschall am Heute, 14:06 Uhr

Hallo, "schwerkraft" ist ein element der struktur unserer wirklichkeit, welches kultur-unabhängig ist."  jacopo_belbo

Hierzu folgende Fragen: Setzt diese Aussage nicht vorraus, dass der Kulturkreis absolut gesetzt wurde, aus dem diese Aussage stammt? Kulturen, die das in diesem Kulturkreis gepflegte Denken mit seinen Irrungen und Wirrungen nicht kennen, kennen ebenfalls Gesetze der Dinge, auch wenn deren Aussagen, auch wenn deren Begriffe und Sprache nicht auf der Höhe der Naturwissenschaft, der damit vorhandenen Technik sowie damit auftretender Theorien stehen. Könnten diese Kulturen nicht berechtigerweise auftreten und behaupten: unsere SPRACHE formuliert die Gesetze der Natur, die nicht an einen bestimmten Kulturkreis gebunden sind, die also in eurer Kultur ebenso gültig sind, wie in unserer?

So das es lediglich darum geht, wer die Macht besitzt, wie Naturgesetze definiert werden. Das von hieraus gesehen, lediglich Sprachspielerei,  - die den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht? - am Werk ist, mit der weder der Naturwissenschaft noch der Philosophie gedient ist?

Gruss
philoschall

-
- jacopo_belbo am Heute, 14:22 Uhr

hallo philoschall,

ich denke, dass in dieser frage, eine verlegung auf "machtstrukturen"

Zitat:
"... sondern lediglich darum wer die Macht besitzt, wie Naturgesetze definiert werden"

in die irre führt. ob gravitation wirkt oder nicht, ist keine macht-, nicht einmal eine kulturelle frage. gravitation wirkt unabhängig von kulturellen definitionen; niemand kann ihre wirkung wegdiskutieren.
insofern wäre es sinnvoll zu sagen, dass die macht der wirklichkeit uns daran bindet, was wir kulturell definieren können und was nicht. und in diesem fall können wir die barriere der schwerkraft nicht wegdiskutieren.
ich bin aber anderen meinungen durchaus aufgeschlossen.

- mfg thomas


 

 

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