Ethik-Werkstatt
- Volltexte im HTML-Format - kostenlos
-->Übersicht
-->Alphabetische Liste aller Texte
-->Info zu dieser Website
-->Lexikon
-->Startseite
______________________________________________________________________________________________
*** Empfehlung: Nutzen Sie die
Suchfunktion Ihres Internet-Browsers! ***
(Diskussion bei Philtalk)
_______________________________________________________________________________________________
*** Wer diese Website interessant findet, den bitte ich, Freunde, Kollegen und Bekannte auf die Ethik-Werkstatt hinzuweisen ***
Das
Mehrheitsprinzip - Rechtfertigung und Kritik
PhilTalk Philosophieforen
Praktische Philosophie >> Politische Philosophie, Rechtsphilosophie,
Wirtschaftsphilosophie >> Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
(Thema
begonnen von: Eberhard am 2007-04-21, 15:12 Uhr)
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am
2007-04-21, 15:12 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits,
in dieser Diskussionsrunde soll die in der Verfassung
festgelegte Norm diskutiert werden, dass die (einfachen) Gesetze im Wesentlichen
durch einen Mehrheitsbeschluss des Parlaments zustande kommen. Das Parlament
wiederum geht aus Wahlen hervor, bei denen diejenige Person das (Direkt-)Mandat
bekommt, der die meisten Stimmen in dem jeweiligen Wahlkreis erhält. (Zusätzlich
werden den Parteien dann weitere Mandate entsprechend dem Verhältnis ihrer
Stimmenanteile zugeordnet.)
Aber auch in anderen Bereichen wird gewählt
oder abgestimmt, und derjenige Vorschlag gilt als kollektiv gewählt und damit
als normativ verbindlich für alle, der die meisten Stimmen erhält.
Die
grundlegende Rechtfertigung dieses Verfahrens der Normsetzung sehe ich – etwas
locker formuliert – darin, dass es besser ist, das zu tun, was den Interessen
vieler entspricht, als das zu tun, was den Interessen weniger entspricht.
Es grüßt Euch Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung und Kriti
Beitrag von hedgi
am 2007-04-21, 17:30 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Im Prinzip fände ich diese Idee ganz gut, wenn …… ……… es denen mit dem Geld
nicht gelänge, den Volkswillen auszuhebeln.
Das gelinkt ihnen über
die Medien. Sie sind in wenigen Händen vereinigt und gaukeln der Mehrheit
Meinungsvielfalt vor.
über Institutionen, die vorgeschoben werden
können, um unerwünschte sowie störrische Konkurrenz, die die Macht im
Hintergrund, die Lobby, enttarnen könnte, zwecks Aufrechterhaltung der
öffentlichen Ordnung, beseitigen.
Abbau der allgemeinen Moral, dort
wo sie hinderlich ist, falls sich jemand an käufliche Erwerbung von Politikern
stören sollte.
Im Prinzip müsste nur noch das Ergebnis dieses Verfahrens
Quote:Die grundlegende Rechtfertigung dieses Verfahrens der Normsetzung sehe
ich – etwas locker formuliert – darin, dass es besser ist, das zu tun, was den
Interessen vieler entspricht, als das zu tun, was den Interessen weniger
entspricht.
umgesetzt werden.
hedgi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung und Kriti
Beitrag von
Wolfgang_Horn am 2007-04-21, 18:56 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi, Eberhard,
Gutes Material dazu: Jean-Jaques Rousseau, insbesondere die
Unterscheidung zwischen Gesamtwille (Wille der Mehrheit, wie mit Wahlzetteln zu
zählen, der Mittelwert aller persönlichen Interessen) und Gemeinwille (was die
Gesellschaft gewollt hätte, hätte sie nur eine Stimme).
Die Problematik -
die Messung des Gemeinwillens.
Wenn Du eine Methode hast, den
Gemeinwillen zu messen, sicher gegen Manipulation, dann hast Du mein volles
Interesse.
Aber ganz und gar nicht in Frage kommt eine Regelung, die
einer Minderheit die Gewalt über die Mehrheit zuschreibt.
Ciao
Wolfgang Horn
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-04-21, 21:49 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits, hallo Hedgi,
Du schreibst, dass Du die Anwendung des
Mehrheitsprinzips im Prinzip bejahst ((„im Prinzip fände ich diese Idee ganz
gut“), dass allerdings die Reichen den Willen der Wähler manipulieren („die mit
dem Geld hebeln den Volkswillen aus“).
Diese Manipulation geschehe über
die Medien, die wenigen Reichen gehören, und in denen keine Meinungsvielfalt
herrscht („die Medien. Sie sind in wenigen Händen vereinigt und gaukeln der
Mehrheit Meinungsvielfalt vor“).
Willst Du damit behaupten, dass das
Aufkommen der Grünen und die Mandate der Linkspartei im Bundestag durch Personen
bewirkt wurden, die über das größte Vermögen verfügen, wie z. B. die
ALDI-Brüder?
Deine beiden andern Punkte habe ich nicht verstanden.
Ich stimme Dir grundsätzlich darin zu, dass das Einbringen der eigenen
Interessen durch die Individuen selber – wie es bei Wahlen geschieht - nur Sinn
macht, wenn diese Individuen auch in der Lage sind, ihre eigenen Interessen
selber hinreichend zu erkennen.
Hallo Wolfgang,
Du
befürwortest auch das Mehrheitsprinzip („ganz und gar nicht in Frage kommt eine
Regelung, die einer Minderheit die Gewalt über die Mehrheit zuschreibt“).
Allerdings finde ich in Deinem Beitrag dafür keine Begründung.
Die
Verweise auf Rousseau geben auch keine Begründung des Mehrheitsprinzips. Eher
enthalten sie eine Kritik, denn die Gesellschaft sollte ihren Willen offenbar
einstimmig ausdrücken („was die Gesellschaft gewollt hätte, hätte sie nur eine
Stimme“).
Insofern finde ich Deinen Betrag eher verwirrend.
Grüße
an alle von
Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Wolfgang_Horn am 2007-04-22, 09:36 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Ach, Eberhard,
Du: Allerdings finde ich in Deinem Beitrag dafür keine
Begründung.
Du willst eine Begründung für die Demokratie?
Ich schreibe
"ach", weil ich keine Abhandlung über Gesellschaftslehre schreiben will.
Eine allgemeingültige Begründung ist nicht denkbar, wenn sie für Gesellschaften
Ungebildet-Gläubiger gelten soll wie auch für Gesellschaften
Gebildet-Aufgeklärter.
Diese These begründe ich nicht wegen Faulheit.
Sondern nur, wenn Du mir mehrere Gläser Rotwein spendierst.
Ich begnüge
mich hier mit der Begründung, die für uns interessant ist, für Gesellschaften.
in denen diese Weisheit gilt:
"Die Kunst des Managements besteht ohnehin
darin, mit weniger Wissen, als es die Mitarbeiter haben, diese zu führen."
(Bernd Pischetsrieder)
Offensichtlich: Gesellschaften, ob Unternehmen,
Religionsgemeinschaften oder Nationen, konkurrieren miteinander.
Annahme:
In der Konkurrenz gewinnt von Gesellschaften mit vergleichbaren Voraussetzungen
wie Ressourcen eher diejenige Gesellschaft, die Chancen und Gefahren schneller
erkennt und treffender darauf reagiert, die ihre Ressourcen geschickter nutzt.
Definition: Als "gut" gelte, was dem Überleben der Gesellschaft nutzt.
"Böse" sei, was ihm schade.
In einer "Pischetsrieder-Gesellschaft"
erfordert dies das engagierte Mitdenken der Qualifizieren.
Nun
vergleichen wir zwei Gesellschaftsformen:
a) nach dem "Minderheitenprinzip",
je kleiner eine Partei der Regierungswilligen, desto mehr Rechte stehen ihr zu.
Beispiel Die Theokratie, die Diktatur unter dem Deckmantel einer Religion.
b)
nach dem "Mehrheitsprinzip, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit", je Kopf eine
Stimme, die Mehrheitsentscheidung schlägt jede Minderheitenmeinung - und sei
letztere auch noch so klug aus der Sicht dessen, der sie vertrat.
Ergebnis:
Die Demokraten wurschteln sich so durch, wie wir das erleben. Kein
großer Glanz, weil der hehre Gedanke der Brüderlichkeit im Konkurrenzkampf
untereinander zerbeult und zerkratzt wurde.
Nach meinem Geschmack zu viel vom
"jeder für sich, jeder gegen jeden, und die gemeinsam gewählte Regierung gegen
alle".
Die Theokraten dezimieren sich gegenseitig wegen Unfähigkeit zum
Konsens, Glaubige können ihren Glauben nur durchsetzen, wenn sie ihre Kritiker,
Zweifler und Widerspenstige auf dem Scheiterhaufen vernichten - oder wie Hitler
mit Gas.
Die Zwangsherrschaft der siegreichen Religion demotiviert die
überlebenden Qualifizierten völlig, die Theokratie vernichtet ihren
Wettbewerbsfaktor "Mitdenken", die Theokraten verlieren, bis das Volk sie stürzt
oder eine andere Nation einmarschiert.
So, Eberhard, jetzt darfst Du
Dein Konzept vorstellen und begründen.
Ciao
Wolfgang Horn
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-04-22, 14:55 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Ach Wolfgang,
was haben diese krausen Gedanken mit der Fragestellung zu
tun ...
Im Reich der Manager, aus dem Du so gern Deine Erfahrungen
holst, wird ja nicht nach dem Mehrheitsprinzip entschieden, sondern eher nach
dem hierarchischen Prinzip, in dem es Vorgesetzte und Untergebene gibt.
Früher nannte man das hierzulande auch "Führerprinzip". Davon gibt es immer noch
zahlreiche Anhänger, die die Vorteile einer solchen Entscheidungsstruktur nennen
können:
Man verliert keine kostbare Zeit mit langem Palaver und Gezänk.
Die Entscheidungen treffen nicht die vielen kleinen Lichter sondern der
Fähigste.
Die Reibungsverluste durch ständige Opposition entfallen.
Drückebergerei und Faulenzertum können sich nicht breitmachen, weil jeder in
seinen Fähigkeiten erfasst und an den für ihn geeigneten Platz gestellt wird.
Ohne Rücksicht nehmen zu müssen auf die langsamen Köpfe der Vielen
können kühne Strategien beschlossen und in großem Stil durchgesetzt werden.
Das Mehrheitsprinzip ist das, was dem Heerdenmenschen behagt, weil es den
großen Geistern und den großen Zielen die Kraft nimmt.
Grüße an alle, die
schon mal über die Grundprinzipien der politischen Systeme nachgedacht haben,
von
Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Wolfgang_Horn am 2007-04-22, 19:41 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi, Eberhard,
Du: Im Reich der Manager, aus dem Du so gern Deine
Erfahrungen holst, wird ja nicht nach dem Mehrheitsprinzip entschieden, sondern
eher nach dem hierarchischen Prinzip
Eine logische Folge aus der
Verteilung der Risiken.
Beispiel: Eine Genossenschaft, eine Gesellschaft aus
Genossen mit gleichen Risiken durch gleiche Anteile.
Hier kann der Manager
mit den Genossen unter seinen "Mitarbeitern" nicht so umgehen, wie es der
geschäftsführende Gesellschafter mit seinen Arbeitnehmern kann.
Du:
"Führerprinzip"
Ich habe gegen diese Wortwahl sehr viele Bedenken gehört,
immer in Anspielung an 1933..1945.
Ich bevorzuge "Entscheider", der. das
letzte Wort hat - und dessen Mitarbeiter ihm das auch lassen.
Du: Man
verliert keine kostbare Zeit mit langem Palaver und Gezänk.
Lucius
Quinctius Cincinnatus, Rom, Frühgeschichte. Mein Ideal eines Diktators. Pflügte
auf seinem Feld, der Senat bestimmte ihn zum Diktator, damit er Rom rette, er
rettete Rom uind kehrte zurück auf sein Feld.
Aber seitdem ist mir kein
ähnlicher Fall bekannt.
Du: Die Entscheidungen...sondern der
Fähigste, ...Reibungsverluste... entfallen, Drückebergerei und Faulenzertum
können sich nicht breitmachen, weil jeder in seinen Fähigkeiten erfasst und an
den für ihn geeigneten Platz gestellt wird... können kühne Strategien
beschlossen und in großem Stil durchgesetzt werden.
So träumen die
Basta-Manager bis hin zu Gerhard Schröder.
Kürzen wir es ab: Die
angeblichen Vorteile zählt immer der Möchtegern-Diktator auf, der wahrscheinlich
einen größeren Mangel an Selbstkritik hat als andere, die sich nicht berufen
fühlen.
Wenn es ihm gelingt, die Mehrheit zu gewinnen mit Sprüchen wie "es
wird nicht alles anders, aber vieles besser", nun, dann hat er das Mandat der
Mehrheit.
Du: Das Mehrheitsprinzip ist das, was dem Heerdenmenschen
behagt, weil es den großen Geistern und den großen Zielen die Kraft nimmt.
Aha, gibts den? Eine besondere Rasse vielleicht?
Ich erlebe an mir
selbst: Wo ich mich für geschickt halte und die Aufgbe es erfordert, da gehe ich
gern voran. Aber schon bei der Aufgabe "Haareschneiden" lasse ich lieber einem
gelernten Friseur das Kommando.
Das, was Du dem "Herdenmenschen" als
unveränderliches angeborenes Merkmalö zuschreibst, das interpretiere ich als
Folge der Umstände.
Ein erschreckend hoher Anteil von Basta-Managern
teilt Deine Meinung und bestätigt sie sich mit selbsterfüllenden
Prophezeihungen. "Management by Champion - Mitarbeiter mit Mist bewerfen,
herausragende Köpfe abschneiden" ist ein sicheres Mittel, daß am Ende nur noch
innerlich gekündigte Knechte übrig bleiben oder die eine Guillotine aufstellen,
das heißt heute: Ihren Vorgesetzten auflaufen lassen.
Aber keine
Einwände gegen meinen Vergleich der beiden Gesellschaftsformen?
Danke.
Ciao
Wolfgang Horn
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-04-23, 10:30 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits, hallo Wolfgang,
zu Deinem Vergleich zwischen Theokratie
und Demokratie: In der Kunst nennt man so etwas wohl ein 'Fresco'. Ich bin mehr
für ganze Sätze und logischen Aufbau, auch wenn's nicht so genialisch wirkt.
Übrigens: Das Mehrheitsprinzip ist vielleicht das Herzstück der Demokratie,
aber es macht keineswegs die ganze Demokratie als Staatsform aus: dazu gehören
noch Verfassungsstaat, Rechtsstaat, Gewaltenteilung, legale Opposition,
Föderalismus, kommunale Selbstverwaltung, Menschen- und Bürgerrechte, um nur das
Wichtigste zu nennen.
Die Kritik an den riesigen Entscheidungskosten
eines reinen Mehrheitsprinzip, bei dem ja alle über alles abstimmen müssten, ist
m. E. berechtigt.
Im Bundestag werden pro Jahr hunderte von Gesetzen und
Gesetzesänderungen beschlossen. Dazu kommen Tausende von staatlichen
Verordnungen auf den verschiedenen politischen Ebenen. Außerdem müsste noch über
die Einzelentscheidungen abgestimmt werden, die jetzt die Regierung und die
Ministerien treffen. Niemand könnte sich auch nur einen Bruchteil der
Informationen beschaffen und sie entscheidungsreif verarbeiten, um über diese
Normen und Einzelentscheidungen mit dem nötigen Sachverstand abstimmen zu
können.
Insofern ist die „Basisdemokratie“, in der alle kollektiven
Entscheidungen von den einzelnen Staatsbürgern beschlossen werden,
undurchführbar.
Die Wahl von politischen Vertretern, die zur Entscheidung
bevollmächtigt sind, ist deshalb sinnvoll. Allerdings haben diese Vertreter ein
Eigeninteresse, das sich mit den Interessen derer, die sie vertreten sollen,
nicht decken muss. Eine zeitliche Befristung der Vertretung und der Wunsch,
wiedergewählt zu werden, sind eine wichtige Vorkehrung, damit die Abgeordneten
im Sinne ihrer Wählerschaft handeln. Aber dies Motiv reicht keineswegs aus, vor
allem wenn dagegen finanziell lukrative „Beraterverträge“ und Anschlussjobs
stehen.
Es gibt zusätzlich die zweite Stufe der Vertretung. Die
Versammlung der Abgeordneten, das Parlament, ist zwar die Stätte, wo die
Probleme des Gemeinwesens besprochen werden, wie der Name schon sagt, aber die
laufenden Entscheidungen werden von einem geschäftsführenden Ausschuss und
seinem Vorsitzenden getroffen - was in Deutschland ausgedrückt wird durch den
Satz der Verfassung: „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik“.
Dieser Kanzler wird von den Abgeordneten des Bundestags für eine begrenzte Zeit
nach dem Mehrheitsprinzip gewählt und kann auch mehrheitlich wieder abgewählt
werden.
Dem Bundestag verbleibt neben der Kontrolle der Regierung vor
allem die Entscheidung über die Gesetze, also über die generellen Normen für das
Handeln der Staatsbürger und Einwohner.
Während das Problem der
Informations- und Entscheidungskosten eher technischer Natur ist, gibt es ein
anderes schwerwiegendes Problem bei der Anwendung des Mehrheitsprinzips, das
gewöhnlich unter der Überschrift: „Minderheitenschutz“ abgehandelt wird.
Mich wundert, dass keinerlei Stellungnahme in dieser Richtung gekommen ist,
obwohl in manchen Diskussionen bei PhilTalk heftigst politisiert und polemisiert
wird. Die politische Philosophie scheint in Deutschland ein Dasein als
Mauerblümchen zu fristen.
Diesen Eindruck hat zumindest
Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi
am 2007-04-23, 16:39 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi Eberhard,
Quote:… Mehrheitsprinzips im Prinzip ganz gut, Reichen
hebeln mit ihrem Geld den Volkswillen aus
Diese Manipulation geschehe
über die Medien, die wenigen Reichen gehören, und in denen keine
Meinungsvielfalt herrscht („die Medien. Sie sind in wenigen Händen vereinigt und
gaukeln der Mehrheit Meinungsvielfalt vor“).
Willst Du damit behaupten,
dass das Aufkommen der Grünen und die Mandate der Linkspartei im Bundestag durch
Personen bewirkt wurden, die über das größte Vermögen verfügen, wie z. B. die
ALDI-Brüder?
Deine beiden andern Punkte habe ich nicht verstanden.
Die anderen beiden Punkte sind so zu verstehen, Verhinderung von:
Verdrängung unliebsamer Konkurrenz, wenn es sein muss, mit
unlauteren Mitteln per Gerichtsbeschluss.
Verharmlosung von
Korruption und sie in Parlaments-Ausschüssen versacken zu lassen, bis das Thema
durch einen neuen Skandal in Vergessenheit geraten ist.
Das
Nebenthema zum Mehrheitsprinzip, die Grünen sowie die Linke offenbaren das ganze
Dilemma, das wir mit dem bei uns praktizierten Mehrheitsprinzip haben.
Im Grunde genommen möchte das Volk an der Gestaltung der Politik beteiligt sein.
Das Volk nimmt es schon wörtlich mit der Semantik des Begriffs Volksherrschaft.
Die Entfremdung der Bedeutung dieses Begriffs ist bereits soweit
fortgeschritten, dass bereits kaum jemand mehr weiß, dass Demokratie das gleiche
heißen soll. Die Grünen etablierten sich zu einem Zeitpunkt als viele Wähler
bereits desillusioniert waren, weil ihnen keine Wahlalternativen bis auf die
bekannten drei etablierten Parteien geboten wurden, die sich inhaltlich bis auf
drei Buchstaben in ihrem Namen kaum unterschieden. Deshalb wurden die Grünen als
Wahlalternative von einigen Wählern gern angenommen. Als sie es schließlich in
den Bundestag schafften, waren sie leider verbraucht. Diese Partei scheiterte an
sich selbst, obwohl sie im Parlament noch vor sich hin dümpelt. Ihr Problem ist,
diese Partei wird von zu unterschiedlichen Persönlichkeiten vertreten. Ihre
Vertreter deckten oder decken noch das Spektrum zwischen allen möglichen
extremen Rändern ab. Das reicht von ehemaligen Mitgliedern der verbotenen KPD
bis zu einem Mitglied einer Burschenschaft, in denen das Deutschlandlied aller
drei Strophen gesungen wird. Da hilft auch nichts, wenn sich ein Mitglied
bemüht, völlig unpolitisch sich als Dosenexperte zu profilieren. Die Linke hat
die Chance den Platz der SPD einzunehmen, da diese Partei den Raum der
Sozialdemokratie aus unerklärlichen Gründen geräumt hat. Es liegt nun am
rhetorischen Geschick der Linken, diese einmalige Gelegenheit zu nutzen, um sich
dauerhaft zu etablieren. Ist das erst einmal vollbracht, würde die SPD niemand
mehr vermissen. Es würde auf jeden Fall das politische Leben neu beleben, wenn
es wieder sichtbare Unterschiede in den Programmen der Parteien gäbe.
Den Punkt hast du mit deiner rhetorischen Frage, wer die Grünen und die Linke
finanziell unterstützt hat, genannt. Damit ist gesagt, wer die Medien
beherrscht, bestimmt die politische Richtung. Damit ist klar, eine Partei wie
die Grünen konnten keine Petra Kelly in ihren Reihen vertragen, die zu ihren
Idealen stand und für kein Geld der Welt käuflich war. Gebraucht wurde ein
Chamäleon, das dann endlich in Fischer gefunden wurde.
Das
Mehrheitsprinzip ist längst unterlaufen. Es kann sich in Deutschland, selbst bei
Betriebsratswahlen, niemand mehr direkt wählen lassen, er muss sich zuvor in
einer Liste aufstellen lassen, die zur Wahl gestellt wird. Das hat zur Folge die
zuvorderst Platzierten in jeder Liste können wir nicht loswerden.
Um nun
neue Ideen propagieren zu können, braucht eine neue Initiative ein Sprachrohr um
sich bei seinen Adressaten zu artikulieren.
Deshalb ist meine Forderung,
jegliche Kopplung von Medien an eine andere mächtige Organisation muss
unterbunden werden. das Publizieren von politischen, gesellschaftlichen und auch
religiösen Vorstellungen darf nicht behindert werden, es sollte die habermassche
Forderung nach einem herrschaftsfreien Diskurs Vorrang vor egoistischen
Interessen irgendwelcher Lobbyisten haben. das heißt, wir sollten wieder Mut zu
verbalen Auseinandersetzungen finden.
Das würde auch unseren momentanen
Marsch, denn inzwischen treffen Gerichte bei uns die politischen Entscheidungen,
von einer parlamentarischen Demokratie hin zu einer Juriskratur, unterbrechen.
hedgi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-04-23, 20:56 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits, hallo Hedgi,
Du schreibst:"Im Grunde genommen möchte
das Volk an der Gestaltung der Politik beteiligt sein. Das Volk nimmt es schon
wörtlich mit der Semantik des Begriffs Volksherrschaft."
Ich hatte in
meinem vorhergehenden Beitrag dargelegt, warum es unmöglich ist, dass alle über
alles abstimmen. Die erforlichen Informatins- und Entscheidungskosten wären
nicht zu bewältigen.
Nun schreibst Du, dass das Volk an der Gestaltung
der Politik beteiligt sein möchte. Vor nicht allzu langer Zeit nannte man das
auch "partizipatorische Demokratie".
Meine Fragen an Dich:
Woher
weißt Du, was das Volk möchte?
Wer ist "das Volk"?
Was meinst Du mit
"beteiligt sein" an der Gestaltung der Politik?
Es grüßt dich und alle
andern
Eberhard.
p.s.: Deinen Vorschlag, jegliche Koppelung von
Medien an andere mächtige Organisationen zu unterbinden, halte ich für
problematisch. Dürften dann die Gewerkschaften und Parteien keine Zeitungen mehr
herausgeben?
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Berny
am 2007-04-23, 21:46 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 04/23/07 um 10:30:55, Eberhard wrote:Hallo allerseits, ..........
..........[.............].............
Die politische Philosophie scheint
in Deutschland ein Dasein als Mauerblümchen zu fristen.
Diesen Eindruck
hat zumindest
Eberhard.
Dein Eindruck täuscht dich nicht,
denn politische Philosophie und philosophische Wahrheit sind nur in einem
gewagten Drahtseilakt in „schwindelnder“ Höhe vereinbar.
MfG Berny
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi
am 2007-04-23, 22:51 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi Eberhard,
Quote:Woher weißt Du, was das Volk möchte?
Wenn das Volk dumm gehalten wird, weil es sich so bequemer regieren lässt,
wird es dumm bleiben. So präsentierten sich auch die Abgeordneten, als sie zum
Thema europäische Verfassung von Journalisten befragt wurden, als in den
Niederlanden und Frankreich dieses Thema zur Volksabstimmung anstand. Wird das
Volk vernünftig aufgeklärt, wird sich der einzelne Bürger mit den Fragen, die
zur Abstimmung anstehen, auseinandersetzen.
Quote:Wer ist "das
Volk"?
Das sind wir, jeder einzelne, der brav alle 4 Jahre wie ein
Analphabet sein Kreuz auf einen Zettel markiert, damit hat er seine Zustimmung
zu den herrschenden Zuständen signalisiert, weil man ihm so geheißen hat.
Quote:Was meinst Du mit "beteiligt sein" an der Gestaltung der Politik?
Wir sollten einen Weg finden, der dem Willen des Volkes Rechnung
trägt.
Ich habe schon einige Vorschläge, wie man es besser machen
könnte, gelesen. Für wichtig halte ich, die Exekutive von der Legislative zu
trennen. Das würde bedeuten, Regierung und Parlament als Kontrollorgan der
Regierung getrennt zu wählen. In wichtigen Angelegenheiten, so meine ich, sollte
eine Volksbefragung bindend für das Inkrafttreten neuer Gesetze sein. Wie die
Grenze zwischen einfacher Billigung durch das Parlament und einer Volksbefragung
vor Inkrafttreten eines neuen Gesetzes zu ziehen ist, kann immer noch geklärt
werden, wenn dieser Vorschlag auf Zustimmung stieße. Volksbefragungen sollten
nicht mit dem Kostenargument abgeschmettert werden, das sollte uns die
Demokratie wert sein.
Quote:Deinen Vorschlag, jegliche Koppelung von
Medien an andere mächtige Organisationen zu unterbinden, halte ich für
problematisch. Dürften dann die Gewerkschaften und Parteien keine Zeitungen mehr
herausgeben?
Von einer unabhängigen Informationspolitik in unserem
Staat hängt seine Funktionsfähigkeit und Akzeptanz ab. Deshalb sollten Parteien
und Gewerkschaften nur über ihr Programm schreiben, und nicht an anderen
Informationsmedien beteiligt sein, um diese in ihrem Sinn eine Meinung zu
manipulieren. Das führt zu einseitiger Berichterstattung. Ich meine, der Bürger,
soll er mündig sein Entscheidungen zu treffen, muss Zugang zu unterschiedlichen
Meinungen haben. Jedenfalls darf es kein Monopol auf Meinungsbildung geben.
Die Aufgabe der Medien sollte in der Information gesehen werden und nicht in
der Manipulation von Meinungen.
--------------------------------------------------------------------------------
Nachtrag: Passend zum Unterthema Manipulation
(http://www.philtalk.de/msg/1138920246.htm) ist der von mir geschriebene Artikel
immer noch aktuell und wird es auch zu
künftig bleiben.
hedgi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-04-24, 10:36 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits, hallo Hedgis,
Dein Vorschlag, das Parlament
(Legislative) und die Regierung (Exekutive) getrennt zu wählen, ist interessant
und müsste gründlich durchdacht werden.
Du erwartest Dir davon offenbar
eine Stärkung des Parlaments. In der gegenwärtigen Situation besteht ja die
Gefahr, dass das Parlament zum Anhängsel der Regierung wird, weil die
Parlamentsmehrheit der von ihr gewählten Regierung nicht in den Rücken fallen
will, sondern gegen Angriffe der Opposition verteidigen soll.
Ich sehe
aber auch Probleme. Wenn in Regierung und Parlament verschiedene politische
Kräfte das Sagen haben, so kann es auch zu einer wechselseitigen Blockade der
Politik kommen. Wenn ich mich nicht irre, so werden in den USA und in Frankreich
Parlament und Präsident getrennt gewählt. Die Ergebnisse sind dort auch nicht
gerade berauschend.
Aufgrund der schlechten Erfahrungen mit der
Präsidialdemokratie in der Weimarer Republik ist man im Grundgesetz andere Wege
gegangen.
Deinem Vorschlag, bestimmte Entscheidungen durch
Volksabstimmungen entscheiden zu lassen, stimme ich zu. Ich sehe allerdings die
Schwierigkeit, eine überzeugende Abgrenzung dieser Entscheidungen zu erreichen.
Von einem Hantieren mit willkürlichen Plebisziten, die womöglich von der
Regierung angesetzt werden können, verspreche ich mir keine bessere Wiedergabe
des Willens der Bevölkerung.
Nun zur Manipulation durch die Medien.
Wenn man das Mehrheitsprinzip als eine Methode betrachtet, um die Interessen
der Einzelnen zu einem kollektiven Interesse zusammenzufassen, dann geht durch
das Prinzip "One man (and one woman), one vote!" das Interesse jedes
Wahlberechtigten mit gleichem Gewicht in die Bildung des kollektiven Interesses
ein. (Das war im preußischen 3-Klassen-Wahlrecht noch anders.)
Da die
Wahl geheim ist und nicht bekannt wird, wer wie gewählt hat, kann auch niemand
deswegen bedroht oder sanktioniert werden. Jeder kann also so wählen, wie er es
für richtig hält und wie es seiner Interessenlage entspricht.
Hier setzt
nun die Kritik ein, die sagt, dass die Wahlberechtigten ihre wahren Interessen
gar nicht kennen sondern in ihren politischen Ansichten und Meinungen durch die
Medien manipuliert werden.
Diese Kritik am bestehenden politischen
System ist - auch im PhilTalk - weit verbreitet und muss ernst genommen werden.
Meiner Meinung nach wäre es gerade die Aufgabe der Philosophie, den Begriff der
Manipulation zu klären.
Was meint man also, wenn man sagt: "Die Wähler
sind in ihrer politischen Meinung manipuliert worden?"
Zum einen ist
damit offenbar gemeint, dass die Wähler nicht entsprechend ihrem wirklichen
Interesse wählen.
Diese Aussage setzt jedoch voraus, dass derjenige, der
dies behauptet, selber die wirklichen Interessen der Wähler kennt, denn sonst
könnte er ja keine Abweichung davon feststellen.
Damit stellt sich die
erkenntnistheoretische Frage, wie man die wirklichen Interessen eines Menschen
erkennen kann. Diese Frage ist in der deutschen Philosophie nicht gerade
überstrapaziert worden.
Ich, der ich ja auch Wähler bin, würde z. B.
bestreiten, dass ich meine wirklichen Interessen nicht erkennen kann und in
meiner Wahlentscheidung durch die Medien manipuliert bin.
Nun könnte
jemand sagen: Dass du glaubst nicht manipuliert zu werden, das zeigt ja gerade,
dass die Manipulation gelungen ist. Natürlich merkt der Manipulierte selber
nicht, dass er manipuliert wurde.
Gegen ein solches „Argument“ ist man
natürlich machtlos, weil entmündigt. Damit hat der andere mich jedes Argumentes
beraubt, denn was ich immer ich sage, ist bereits manipulierte Meinung.
Damit hat er der Diskussion jedoch die Grundlage entzogen und ich kann nur noch
das Gespräch mit ihm beenden.
So einfach geht es also nicht.
Nun
könnte jemand sagen: Du kannst doch nicht bestreiten, dass Deine Meinung durch
die Medien beeinflusst wird, das heißt doch, dass Du in Deiner Meinungsbildung
nicht frei bist.
Dem würde ich entgegenhalten: Es stimmt zwar, dass ich
in meiner politischen Meinungsbildung beeinflusst werde, aber nicht jede
Beeinflussung bedeutet Manipulation. Beeinflusst werde ich auch durch Argumente,
die andere mir vermitteln und die mir einsichtig sind.
So geht es also
auch nicht.
Ich mache hier erstmal Schluss. Vielleicht gibt es noch
andere Stellungnahmen zur Manipulation.
Es grüßt Euch Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Wolfgang_Horn am 2007-04-24, 13:39 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi, Eberhard, hi Freunde der Erkenntnisgewinnung durch scharfe Gedanken,
bleibt bei der Schärfe.
Ein Vergleich zwischen zwei Regierungsformen kann nur
dann fair sein, wenn die Ausgangssituationen identisch sind.
Ein
manipulierter Wähler als Souverän ist ähnlich problematisch wie der
manuipulierte König als Souverän.
Klammert die Manipulation erst mal aus,
und erörtert dann vielleicht, welche Regierungsform ihr wohl eher widerstehen
kann.
Wenn eine Person übermächtig sein sollte in ihrer Kunst der
Manipulation, dann fragt ihn gleich, welche Regierungsform ihm genehm wäre und
welche eigene Rolle darin, denn alles andere wäre nur Verzögerung.
Oder
besser noch - lernt seine Tricks.
Ciao
Wolfgang Horn
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-04-25, 16:25 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits,
Wolfgang hat darin recht, dass die Manipulation von
Meinungen in allen politischen Systemen ein Problem ist, aber deshalb sollte man
trotzdem einen Versuch machen, den Begriff klären.
Nach Wikipedia
bedeutet „Manipulation“ im Lateinischen soviel wie „Handhabung“. Heute hat das
Wort einen abwertenden Beiklang und man versteht darunter eine gezielte, aber
verdeckte Einflussnahme auf das Denken und Meinen anderer Menschen.
Wenn
es stimmt, dass die Mehrheit der Wähler dieses Landes bei politischen Wahlen in
ihrer Entscheidung fremdgesteuert sind, dann wären die Wahlen reines „Theater“,
so wie es in der DDR mit den 99-Komma-und-Resultaten war oder so, wie es in
Syrien gegenwärtig abläuft, wo nur ein Viertel der Abgeordneten überhaupt
gewählt wird.
Trotz berechtigter Kritik an Stimmungsmache und
Nicht-Information in Fernsehen, Rundfunk und Presse kann die Manipulation der
Öffentlichkeit durch das große Geld so erfolgreich doch nicht sein, wenn die
Chefs in Wirtschaft und Politik vor Gerichte und Untersuchungsausschüsse zitiert
werden und manche daraufhin ihren Hut nehmen müssen.
Die Methoden der
irrationalen Meinungsmache anzuprangern und zu analysieren, halte ich für eine
der wichtigsten politischen Aufgaben in einer Demokratie. Das fängt bei der
Sprache an, wo jeder hellhörig werden sollte, wenn statt Information und Fakten
nur stark wertende Worte geliefert werden wie z. B. „Terrorist“ oder
„Befreiungskämpfer“.
Fazit: Das Mehrheitsprinzip erfordert Menschen, die
zumindest ihre wichtigsten Interessen erkennen können.
Es grüßt Euch
Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-04-26, 10:57 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits,
als generelle Rechtfertigung des Mehrheitsprinnzips
hatte ich zu Anfang angeführt, dass es dringlicher ist, die Interessen einer
Mehrheit zu befriedigen als die einer Minderheit.
Bei diesem Argument
bleibt jedoch unberücksichtigt, dass die Einzelnen von einer Entscheidung
unterschiedlich stark betroffen sein können.
Den Bewohnern von A-Dorf
mag es ziemlich egal sein, wo die Kläranlage von B-Dorf gebaut wird, während für
die Bewohner von B-Dorf einiges auf dem Spiel steht.
Macht das
Mehrheitsprinzip hier überhaupt Sinn?
fragt Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Wolfgang_Horn am 2007-04-26, 21:03 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi, Eberhard,
Dorf A, Dorf B, ... frage erst nach dem Problem und dem
Ziel.
Ist das eine Dorf des anderen Problem, gibts Haue.
Haben
sie ein gemeinsames Problem wie Frischwasser und Kloake, das sie nur gemeinsam
lösen können, dann muß die Gesellschaft A+B gefragt werden und entscheiden.
Die es nur geben wird, wenn beide Dörfer gemeinsam leiden.
Zurück zur Politik: Hohe Politik ist die Bemessung der Wahlkreise. Wer sie
passend für seine Mehrheiten zusammenstellen darf.
Ciao
Wolfgang
Horn
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-04-27, 09:38 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits,
hallo Wolfgang,
der Platz für die Kläranlage von
B-Dorf war nur ein Beispiel für Entscheidungen, die eine Minderheit stark
betrifft und die Übrigen nur am Rande interessiert. Diese Konstellation ist in
komplexen Gesellschaften nun nicht selten, sondern eher häufig gegeben. (Das war
zu Rousseaus Zeiten noch anders.)
Ob Studenten, Rentner, Behinderte,
Hundehalter, Beamte, Industriearbeiter, Unternehmer, Angler, Hessen oder
Leipziger: immer handelt es sich um Minderheiten. Wenn es um etwas geht, was
vorwiegend eine solche Minderheit betrifft, dann halte ich es für problematisch,
wenn darüber nach dem Mehrheitsprinzip abgestimmt wird und z. B. eine kaum
Betroffene Mehrheit von Abstimmungsberechtigten die elementar betroffene
Minderheit der Studenten in der Frage der Studiengebühren überstimmt.
Ist
das benannte Problem real und wenn ja, wie kann man es entschärfen?
Dein
Hinweis, Wolfgang, auf die Problematik der Wahlkreiseinteilung betrifft ein
wichtiges Problem, ist jedoch nicht direkt ein Problem des Mehrheitsprinzips als
solchem als vielmehr ein spezielles Problem der Repräsentation der Staatsbürger
durch Abgeordnete.
Grüße an die kleine Schar der an politischer
Philosophie und Demokratietheorie Interessierten von Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Wolfgang_Horn am 2007-04-27, 16:56 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi, Eberhard,
Du: der Platz für die Kläranlage von B-Dorf war nur ein
Beispiel für Entscheidungen, die eine Minderheit stark betrifft und die Übrigen
nur am Rande interessiert.
Sicher kann die Mehrheit sagen: "Was
beschweren sich die paar Hansels, das wir ihnen eine Kläranlage in dern Luv
setzen? (Luv, weil da kommt der Wind her, und mit Kläranlage nun der Gestank.)
Diese Mehrheit hat Recht: Vom Gestank ist sie nicht betroffen. Sehr wohl
aber von der Unfairneß, mit der die Gemeinschaft von A+B-Dorf mit Bürgern
umgeht.
Gleich nach diesem Präzedenzfall kommt die Frage: Wer ist als
nächster dran?"
Du: Ob Studenten, Rentner, Behinderte,
Hundehalter...immer handelt es sich um Minderheiten.
HALT! Diese Gruppen
mögen sich als Minderheiten fühlen.
Jede Mehrheit besteht aus solchen
Gruppen, die sich jeweils als Minderheiten fühlen.
Zweckmäßigerweise stellen
wir erst die Frage, zu der wir zwei unvereinbare Antworten hören, und gruppieren
die Personen dann nach ihren Antworten und erkennen, welche Antwort von der
Mehrheit unterstützt wird.
Ciao
Wolfgang Horn
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-04-27, 17:32 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits, hallo Wolfgang,
nehmen wir die Frage: "Soll die
Hundesteuer verdoppelt werden?"
Ich denke, dass davon Hundehalter
weitaus stärker betroffen sind als andere. Würde man diese Frage per
Volksentscheid nach dem Mehrheitsprinzip entscheiden, so würden die Hundehalter
wohl in der Minderheit sein und hätten mehr zu zahlen, meint
Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Wolfgang_Horn am 2007-04-27, 20:01 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi, Eberhard,
Du: "Soll die Hundesteuer verdoppelt werden?" ...Würde man
diese Frage per Volksentscheid nach dem Mehrheitsprinzip entscheiden, so würden
die Hundehalter wohl in der Minderheit sein und hätten mehr zu zahlen
Möglicherweise. Mir geht das Hexenjägerische an der Hexenjagd auf die Raucher
schon gewaltig gegen den Strich.
Eine plumpe Heraufsetzung der Steuer für
eine Gruppe, nur weil sie eine Minderheit sei, läßt mich Böses befürchten in
meinen Parlamentarieren, und ich hätte mal wieder einen Anlaß, ein Fax an meinen
Abgeordneten zu schicken, wie er es denn mit der Fairneß halte.
Deshalb
meine ich: Wenn Du das Verhältnis Minderheit-Mehrheit ohne Beachtung der Wirkung
des Handlungsprinzips auf die Mehrheit betrachtest, dann werden Deine Prognosen
des Wählerverhaltens öfter daneben gehen.
Zurück zum Thema: Wenn eine
Gesellschaft das Mehrheitsprinzip zur Plünderung (Judenhass unter Hitler!) oder
sonstwie in unfairer Art und Weise anwendet, dann verliert diese Gesellschaft an
Vertrauen, wandelt sich zum "jeder für sich, jeder gegen jeden, immer auf Kosten
der Schwächeren", die Gesellschaft verliert an Produktivität und verliert in
ihrem Konkurrenzkampf.
Ich orte diese Zusammenhänge in den USA und
ebenfalls bei uns.
Stark sind Völker und Volkswirtschaften durch
Einigkeit stark geworden, und die gedeiht nur dort, wo auch Fairneß ist und
viele andere Voraussetzungen.
Jesus Christus hat genauso recht wie die
Propheten, die er zitiert hat mit dem "was ihr dem Geringsten angetan habt, das
habt ihr mir angetan".
Ciao
Wolfgang Horn
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-04-28, 12:52 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits, hallo Wolfgang,
ich will noch mal mein methodisches
Vorgehen verdeutlichen.
Es geht um die Beantwortung der Frage, wann
Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip sinnvoll sind.
Um das
herauszufinden gehe ich modelltheoretisch vor. Modellannahme ist, dass die
Abstimmungsberechtigten so abstimmen, dass das Ergebnis ihren eigenen Interessen
am ehesten entspricht.
In Bezug auf das Beispiel "Erhöhung der
Hundesteuer" hieße das: Es gibt eine Volksabstimmung (also keinen
Parlamentsbeschluss!) nach dem Mehrheitsprinzip.
Nach den Modellannahmen
würden die Hundehalter gegen die Verdoppelung der Hundesteuer stimmen (weil sie
nicht gerne mehr Steuern zahlen) und die Andern würden für die Erhöhung stimmen
(weil es ihnen nicht wehtut und die öffentlichen Einnahmen verbessert werden).
Die Hundehalter bleiben also in der Minderheit und die Steuer wird
erhöht. Dies ist offenbar kein Resultat, das einer solidarischen
Berücksichtigung aller Interessen entspricht.
Allgemeines Fazit: Wenn die
Individuen von einer Entscheidung unterschiedlich stark betroffen sind, führt
das Mehrheitsprinzip bei eigeninteressiertem Abstimmungsverhalten nicht zu
akzeptablen Ergebnissen.
Dies ist ein gewichtiges Argument gegen die
direkte Demokratie.
Als Lösung scheint Dir vorzuschweben, Wolfgang, dass
die Wähler nicht nur eigeninteressiert abstimmen, sondern dabei zugleich Regeln
der Fairness beachten.
Damit ist das Problem jedoch eher größer als
kleiner geworden, denn: Was ist „Fairness“? Wie erreicht man faires
Abstimmungsverhalten?
Ich sehe drei Wege, um das Problem zu entschärfen.
1. Die Dezentralisierung, wodurch Entscheidungen, die vorwiegend eine
bestimmte Gruppe der Bevölkerung betreffen, auch nur von dieser Gruppe
entschieden werden.
Sinnvoll ist eine räumliche Aufteilung der
Entscheidungsbefugnisse, weil die meisten physikalischen Wirkungen mit der
räumlichen Entfernung abnehmen. Allerdings stellen sich erhebliche Probleme beim
räumlichen Zuschnitt solcher Selbstverwaltungseinheiten auf kommunaler oder
regionaler Ebene.
2. Den Schutz vor bestimmten Eingriffen in das Leben
der Staatsbürger durch die Formulierung von Menschen- und Bürgerrechten, über
die nicht nach dem Mehrheitsprinzip abgestimmt werden darf.
3. Der
wichtigste Mechanismus zum Minderheitenschutz ist jedoch die Bildung von
Bündnissen zwischen den einzelnen Minderheitsgruppen. (Darauf hattest Du schon
hingewiesen als Du schriebst: „Jede Mehrheit besteht aus solchen Gruppen, die
sich jeweils als Minderheiten fühlen.)
Die Hundehalter könnten sich z.
B. mit den Studenten zusammentun, denen eine Verdoppelung ihrer Studiengebühren
droht (zugegeben kein sehr realistisches Beispiel). Die Hundehalter sind bereit,
gegen die Erhöhung der Studiengebühren zu stimmen, wenn die Studenten dafür
gegen die Erhöhung der Hundesteuer stimmen.
Die Abstimmungsbündnisse
sollten letztlich natürlich so groß sein, dass eine Mehrheit zustande kommt.
Dieser Prozess der Koalitionsbildung, bei dem in Bezug auf verschiedene
anstehende Entscheidungen Wahlabsprachen getroffen werden, führt zur Bildung von
Parteien, die bestimmte Abstimmungspakete in Form eines Parteiprogramms zur
Abstimmung stellen.
Die Bewältigung dieser Aufgabe ist außerordentlich
wichtig, um den Schutz der Minderheiten auch bei Abstimmungen nach dem
Mehrheitsprinzip zu erreichen. Die Bündnisbildung setzt voraus, dass die
Beteiligten sich auch an die Wahlabsprachen halten. Dies íst übrigens einer der
Gründe für die viel geschmähte „Fraktionsdisziplin“.
In einer
Gesellschaft, wo diese freie Koalitionsbildung nicht gegeben ist, ist die
Anwendung des Mehrheitsprinzips problematisch. Man stelle sich z.B. einen Staat
vor, der zu 70% aus katholischen, bäuerlichen, Suaheli sprechenden Schwarzen
besteht und zu 30 % aus hinduistischen, Handel treibenden, englisch sprechenden
Indern besteht. Hier würde es sicherlich eine Partei der Schwarzen und eine
Partei der Inder geben, und die Partei der Schwarzen würde in allen
Entscheidungen die Mehrheit bekommen.
Die Resultate des
Mehrheitsprinzips bei einer derartigen Konstellation werden sicherlich nicht
einem solidarisch bestimmten Gesamtinteresse entsprechen. Der Bürgerkrieg und
eine Spaltung des Landes sind hier vorprogrammiert.
Grüße an alle, die
ihr Verständnis der politischen Prozesse verbessern wollen, von
Eberhard.
p.s.: Ich hatte eigentlich mit mehr Kritik an meiner Position
gerechnet.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Wolfgang_Horn am 2007-04-28, 15:02 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi, Eberhard,
Du: Es geht um die Beantwortung der Frage, wann
Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip sinnvoll sind.
Und was, wenn Du
eine Antwort gefunden hast? Schreibst Du Deine Antwort dann der Gesellschaft
vor, die da abstimmen will?
Deine Entwicklungslinie erkenne ich so:
Erst untersuchst Du die Frage, ob es eine allgemeingültige Methode geben könne
für "gute Entscheidungen".
Ich habe abgelehnt und mich gewehrt, weil schon
das Ansinnen den Stoff in sich hat, der Diktatoren ausmacht, und weil eine
Gesellschaft von Personen, die sich für mündig halten, sich keine Methode
aufdrängen lassen werden.
Nun fragst Du nach einer Methode, wann und wie
Mehrheitsabstimmungen durchzuführen sind.
Aus demselben Grund lehne ich
auch dies Ansinnen ab. Eine Gesellschaft mündiger Indivuen will das selber
bestimmen, und ich lehne jeden Versuch der Bevormundung ab.
Selber
allerdings erlaube ich mir, auf die Nebenwirkungen und Risiken des Handelns
hinzweisen.
Du: p.s.: Ich hatte eigentlich mit mehr Kritik an meiner
Position gerechnet.
Wozu "mehr"? Für die Vorstellung eines Bauplans für
ein Perpetuum mobile genügt der Hinweis auf den Energieerhaltungsssatz. Mehr
Einwand ist überflüssig.
Ciao
Wolfgang Horn
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-04-28, 19:53 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo Wolfgang,
Deine Befürchtungen, dass mit meinen Überlegungen eine
Diktatur vorbereitet würde, halte ich für seltsam. Wenn ich etwas an unserer
Gesellschaftsordnung für verbesserungswürdig halte, dann würde ich das über den
verfassungsmäßigen Weg zu ändern versuchen, d.h. ich würde versuchen, andere zu
überzeugen und die nötigen Mehrheiten für diese Veränderungen zu erlangen.
Kein mündiger Bürger muss unruhig werden, nur weil ich meine, bestimmte
Schwächen und Stärken des Mehrheitsprinzips erkannt zu haben.
Dass ich
versuche, meine Vorstellungen von guten Entscheidungen zu präzisieren und zu
begründen, braucht ebenfalls niemanden zu beunruhigen. Dabei sind die Bürger mit
ihren Interessenäußerungen mit inbegriffen.
Die Darlegung und Begründung
der eigenen Überzeugungen ist ehrlicher als wenn jemand schwerste moralische
Verurteilungen von sich gibt (Verbrecher, Folterknechte etc.), ohne die dabei
zur Anwendung kommenden Maßstäbe offenzulegen und zu hinterfragen.
Und
ich halte nichts davon, den Anspruch Recht zu haben, immer nur implizit in den
eigenen Behauptungen mit sich rumzutragen und denjenigen, der den Anspruch
explizit macht, der versuchten Entmündigung anderer zu bezichtigen.
Mit
"mehr Kritik" meinte ich vor allem "mehr Kritiker". Wenn natürlich alle dasselbe
sagen, reicht auch ein Kritiker.
Es grüßt Euch
Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Hanspeter am 2007-04-28, 22:11 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo Eberhard,
zum Sinn von Mehrheitsentscheidungen:
Es gibt Fragen,
die durch Wissenschaft und Logik beantwortet werden. Eine Abstimmung über die
Frage, ob 2 x 2 vier ist, ist sinnlos. Probleme, die sich aber nicht mit den
erprobten Methoden der Wissenschaft lösen lassen, sollten in einer Demokratie
definitionsgemäß dem Mehrheitsprinzip unterworfen werden. Wer sonst sollte sie
lösen? Selbsternannte Diktatoren, Religionsführer usw.? Nein danke.
Dass
das Mehrheitsprinzip sich bei Politikern keiner großen Beliebtheit erfreut,
liegt daran, dass es sie entmachtet. Daher werde Volksentscheide weltweit nur
sehr selten durchgeführt und spielen auch nur in alteingesessenen Demokratien
eine Rolle, nicht in einer aufoktroyierten Pseudodemokratie wie hier in
Deutschland.
Nun das Beispiel Hundesteuer. Da Hunde in der BRD ubiquitär
sind, also alle Menschen von Hunden in irgendeiner Form betroffen sein können,
sehe ich keinen vernünftigen Grund, auch nicht alle Menschen an dieser
Entscheidung teilhaben zu lassen.
Die Frage ist, wie lautet die
Begründung der Erhöhung der Hundesteuer? Soll sie dazu dienen, finanziell
weniger Bemittelten den Zugang zu Hunden zu erschweren? Soll sie dazu dienen,
den Hundekot effektiver zu beseitigen? Soll sie den Krankenkassen zugeführt
werden, um die Kosten von Hundebissen zu erstatten? Oder was sonst?
Daraus
folgt, einer Abstimmung zu diesem Thema muss eine entsprechende öffentliche
Diskussion und eine überzeugende Begründung vorausgehen. So geschehen, halte ich
eine Abstimmung für das einzig demokratische Vorgehen zur Problemlösung.
Gruß HP
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Wolfgang_Horn am 2007-04-28, 22:35 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi, Eberhard,
Du: Kein mündiger Bürger muss unruhig werden, nur weil
ich meine, bestimmte Schwächen und Stärken des Mehrheitsprinzips erkannt zu
haben.
Ja, natürlich, nichts ist perfekt - weil der Intellekt mit seiner
erdachten Perfektion eine Illusion schafft.
Du: [i]Dass ich versuche,
meine Vorstellungen von guten Entscheidungen zu präzisieren und zu
begründen...[i]
Grundsätzlich Zustimmung. Dein Modell von A- und B-Dorf
war als Modell aber zu kurz gefaßt für brauchbare Anleitungen zum Handeln - die
Interessen der Bürger sind nicht nur monetär, sondern der Wunsch nach Zukunft
und Sicherheit ist nur in Gesellschaften erfüllbar, die auch Fairneß wollen.
Ciao
Wolfgang Horn
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-04-29, 09:58 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits,
hallo Hanspeter,
es freut mich, dass Du
mitdiskutierst, denn in der Kontroverse ist man gezwungen, die eigene Position
möglichst präzise zu formulieren und möglichst gut zu begründen.
Du
schreibst, dass das Mehrheitsprinzip nicht geeignet ist, Fragen zu beantworten,
die wissenschaftlicher oder logischer Natur sind. Ich stimme Dir zu, dass über
die Frage, ob eine Behauptung wahr ist, nicht abgestimmt werden kann, denn das
Kritierium der Wahrheit eines empirischen oder logischen Satzes ist die
intersubjektiv übereinstimmende Beobachtung bzw. die Widerspruchsfreiheit eines
gedanklichen Modells.
Obwohl ich hier das Mehrheitsprinzip als eine
Methode zur Zusammenfassung der individuellen Interessen zu einem kollektiven
Interesse diskutiere, kann das Mehrheitsprinzip auch in anderen Zusammenhängen
angewandt werden.
Auf manche empirische Fragen gibt es z. B. keine
eindeutige Antwort der Wissenschaft, so dass mehrere Positionen wissenschaftlich
vertretbar bleiben. Das bekannteste Beispiel hierfür findet sich in
Gerichtsprozessen, wo die Beweislage darüber, ob der Angeklagte die ihm
vorgeworfene Tat begangen hat oder nicht, strittig bleibt. Auch bei Prognosen
über zukünftige Entwicklung findet sich häufig der Streit der Gelehrten.
In solchen Fällen, kann es angebracht sein, zwar nicht über die Wahrheit der
Positionen abzustimmen aber doch darüber, von welcher Position das Kollektiv in
seinem Handeln ausgehen soll.
Die Begründung hierfür hat der
französische Aufklärer und Enzyklopädist Condorcet bereits 1785 geliefert. Wenn
man annimmt, dass die Wahrhscheinlichkeit eines Irrtums bei den einzelnen
Mitgliedern einer 10-köpfigen Jury z.B. 40 % beträgt, so beträgt die
Wahrhscheinlichkeit dafür, dass sich eine Mehrheit von 6 Jurymitgliedern irrt,
nur 0,4 x 0,4 x 0,4 x 0,4 x 0,4 x 0,4 = 0,004096, also weniger als ein Prozent
(Nach der Regel für die Wahrscheinlichkeit mehrerer voneinander unabhängiger
Ereignisse).
Eine Frage der Politischen Philosophie ist es, ob man die
politische Abstimmung nach dem Mehrheitsprinzip als eine Art Juryentscheidung
über die beste Politik ansehen sollte oder ob man sie als einen Ausdruck der
individuellen Interessen und deren Zusammenfassung zu einem "allgemeinen
Interesse" auffassen soll.
Ich neige zum Letzteren, weil die
Orientierung am eigenen Interesse auch für die Wahlentscheidung das
entscheidende Motiv bildet.
Meine These ist nun, dass das
Mehrheitsprinzip zu akzeptablen Ergebnissen führt, wenn alle Beteiligten ihre
Interessen mit gleichem Gewicht einbringen können (Jeder hat gleich viele
Stimmen zu vergeben) und wenn die Einzelnen von der anstehenden Entscheidung
ungefähr gleichstark betroffen sind. Außerdem müssen die Abstimmenden über das
zur Entscheidung anstehende Problem (verfügbare Alternativen, langfristige
Folgen etc.) einigermaßen informiert sein und ihre Stimme frei von Sanktiionen
(Bestechungen, Drohungen) abgeben können.
Wenn jedoch der Grad der
Betroffenheit von einer Entscheidung für die Abstimmenden sehr unterschiedlich
ist, so besteht die Gefahr, dass z.B. eine schwach interessierte Mehrheit eine
elementar betroffene Minderheit überstimmt.
Je stärker der Grad der
Betroffenheit zwischen Mehrheit und Minderheit auseinandergeht und je knapper
die Mehrheit ausfällt, umso problematischer ist das Resultat unter dem
Gesichtspunkt einer solidarischen Berücksichtigung aller Interessen.
Ich
wäre über den Ausgang einer Volksabstimmung über die Hundesteuer eher
pessimistisch. In einer Parteien-Demokratie werden jedoch notwendigerweise auch
Minderheitsinteressen berücksichtigt, denn welche Partei wollte es sich mit den
Millionen von Hundehaltern verderben?
Grüße an alle, die über Politik
nicht nur schimpfen sondern auch nachdenken wollen von
Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Sheelina am 2007-04-29, 10:14 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 04/29/07 um 09:58:26, Eberhard wrote:Grüße an alle, die über Politik
nicht nur schimpfen sondern auch nachdenken wollen von
Eberhard.
Dann grüße ich mal den Rest, nämlich die Philosophen und
Philosophinnen.
Alles Gute!
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi
am 2007-04-29, 13:25 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Wird Eberhards Frage Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip mit nein
beantwortet, käme nur noch ein Diktator oder ein absolut herrschender Monarch
infrage. Wir hätten uns dann von der Idee des gemeinsamen Konsenses
verabschiedet.
Da das in unserer Gesellschaft nicht mehrheitsfähig ist,
können wir uns nur noch über ein Regelwerk unterhalten, mit dem sich leben
lässt. Daraus ergibt sich, dass Entscheidungen in den passenden Gremien
getroffen werden müssen. Diese können auf unterschiedlichen Ebenen gelagert
sein.
Gehen wir auf das Beispiel der Kläranlage zurück. Kläranlagen
brauchen wir alle seit Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts. Deshalb sind
Bestimmungen über das, was eine Kläranlage leisten soll, Angelegenheit des
höchsten Parlamentes, ich würde soweit gehen, es ist eine europäische
Angelegenheit. Geht es nur um den Standort zwischen zwei Dörfern, kann das auf
Kreisebene geregelt werden. Ist das nicht möglich, weil ein Dorf unter größerer
Geruchsbelästigung leiden würde, aber der Kostendruck erst einmal keine andere
Lösung zulässt, bedarf es einer Instanz, die für einen Ausgleich sorgen kann.
Es gibt aber Entscheidungen, für die kein Parlament eine
zufriedenstellende Lösung für alle bieten kann. Zum einen, weil sie durch
Lobbyisten, denen sie sich wegen allgemeiner Zuwendungen gegenüber verpflichtet
fühlen, blockiert sind, oder weil sich am Volk vorbei nur schwer regieren lässt.
Gewöhnlich haben wir keine Probleme damit, ein Parlament seine Arbeit
erledigen zu lassen. In wichtigen Fragen, die Verfassung Europas ist so eine,
sollten wir nicht umhinkommen eine Volksbefragung durchzuführen, auch dann wenn
es Politikern zu unbequem erscheint.
Wir müssen uns über eine Grenze
einigen, wann etwas wichtig genug ist, eine Volksbefragung durchzuführen. Es
wäre unsinnig über Gesetze zum Betrieb von Kläranlagen das Volk zu befragen.
Vielleicht wäre eine Unterschriftenaktion das richtige Mittel, um eine
Volksbefragung zu erzwingen. Es ergibt sich von selbst, dass Volksbefragungen
nur begrenzt durchgeführt werden können, sonst wäre der Aufwand nicht mehr zu
bewältigen.
Es leuchtet auch irgendwie ein, dass ab einer gewissen Größe
der Teilnehmerzahl nicht mehr ein Konsens aller erreicht werden kann.
Ein wichtiger Punkt liegt mir am Herzen. Wir brauchen ein Pressegesetz, das
Konzentrationen auf nur wenige Interessen verhindert. Denn Meinungsbildung ist
noch wichtiger, als eine Beschränkung auf nur zwei Blöcke. Deshalb ist es ein
Grundrecht, vergleichbar mit dem Naturrecht eines jeden, ungehinderten Zugang zu
unterschiedlichen Meinungen zu haben.
hedgi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Hanspeter am 2007-04-29, 22:33 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo an Alle,
nachdem wir uns also darüber einig sind, dass das
Mehrheitsprinzip die optimale Lösung ist, Probleme zu lösen, die sich nicht mit
den Methoden der Logik oder der Wissenschaft lösen lassen, stellt sich die
Frage, wie das Mehrheitsprinzip am besten funktioniert.
1. Problem:
Gleichgewichtung der Stimmen. Was spräche dagegen, dass Menschen, die
nachweislich über ein Problem besser informiert sind als andere, bei einer
Abstimmung höher gewichtet werden?
2. Problem: Wann soll das Volk, wann
dessen Vertreter entscheiden?
Zu dem von Hedgi erwähnten Beispiel einer
Kläranlage: Was spricht dagegen, dass nicht das ganze Volk, wohl aber die
betroffenen Gemeinden darüber abstimmen?
Über eines muss man sich
nämlich grundsätzlich im Klaren sein: Niemand vertritt die Interessen des Volkes
so zuverlässig als das Volk. Und weiter, die "Volksvertreter vertreten in erster
Linie die eigenen Interessen, dann die Interessen ihrer Partei und dann erst
kümmern sie sich um das Wohl des Volkes, wobei es ihnen normalerweise der Schein
genügt, es zu tun.
Gruß HP
P.S. Volksabstimmungen sind keineswegs
teuer und umständlich. Pro Person zahlen die basisdemokratischen Schweizer weit
weniger für ihre Regierung(en) als die Deutschen.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Wolfgang_Horn am 2007-04-30, 00:07 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Ach zum zweiten, Hanspeter,
Du: 1. Problem: Gleichgewichtung der
Stimmen. Was spräche dagegen, dass Menschen, die nachweislich über ein Problem
besser informiert sind als andere, bei einer Abstimmung höher gewichtet werden?
Im Museum stehen noch Eisenbahnwagen 1., 2. und 3. Klasse.
Wie das
Wahlrecht nach Höhe der Steuerabgaben.
Die sind wenigstens meßbar und
vergleichbar.
Aber
1. wie willst Du "besser informiert" unterscheiden
von "tut so, als wäre er besser informiert"?
2. Die notwendigen Abstimmungen
sind nicht die über Tatsachen wie die Kreiszahl Pi, sondern über Geschmack und
solche Meinungen, die eben persönlich sind. Da spielt das "besser informiert"
eben keine Rolle.
Du: P.S. Volksabstimmungen sind keineswegs teuer
und umständlich. Pro Person zahlen die basisdemokratischen Schweizer weit
weniger für ihre Regierung(en) als die Deutschen.
Die Verwaltungsausgaben
wachsen mehr als linear mit der Anzahl der zu verwaltenden Gesellschaft. Ich
wäre nicht überrascht, wenn wir in einer Tabelle alle Länder dieser Welt nach
Einwohnerzahl anordnen und die Anzahl der Leute, die überwiegend für den Staat
arbeiten, daß wir in der Kurvenanpassung dann Faktoren 3. Ordnung finden.
Laß die Schweiz erst mal so groß werden wie Deutschland, dann hat auch sie
einen mächigen Wasserkopf in Bern.
Ciao
Wolfgang Horn
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Hanspeter am 2007-04-30, 09:11 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo Wolfgang,
ob jemand etwas von Mathematik versteht oder nur so tut,
lässt sich leicht ermitteln. Dasselbe gilt auch für Politik. Die Sache ist eher
ein ideologisches Problem. Im Handbuch des Gutmenschen steht nämlich, dass alle
Menschen gleich sind, folglich auch gleich gut über politische Zusammenhänge
informiert. Und es kann nicht sein, was nicht sein darf.
Vielleicht wäre
aber die Idee, die Gewichtung bei der Wahl vom Steueraufkommen abhängig zu
machen, gar nicht so schlecht. Denn dann müssten die "Oberen 10.000" ihre
Steuerkraft öffentlich machen und da würde sich mancher wundern, wie wenig man
bei wieviel Einkommen zahlt. Außerdem hängt die Einflussnahme auf die Politik
ohnehin von der finanziellen Macht ab - Verdecktes würde damit nur transparent
werden. :-)
Du schreibst ferner: "Die Verwaltungsausgaben wachsen
mehr als linear mit der Anzahl der zu verwaltenden Gesellschaft..."
Stimmt nicht. Deutschland ist sehr viel mehr verwaltet und bürokratisiert als
etwa GB oder USA. Wir schaffen es problemlos, die Effektivität durch
gesteigertes Personalaufkommen zu senken.
Abgesehen davon, wieso soll der
Verwaltungsaufwand steigen, wenn wir zB jeden Monat irgendeinen Volksentscheid
hätten?
Gruß HP
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Hanspeter am 2007-04-30, 09:24 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Noch ein Nachtrag.
Die Wahrscheinlichkeit, dass in Bern ein
BRD-vergleichbarer Bürokratie-Wasserkopf entsteht, ist sehr gering. Grund: In
der Schweiz muss die Erweiterung der Bürokratie per Volksentscheid abgesegnet
werden. Will ein Bundesrat zB. den Posten eines Staatssekretärs einführen, muss
das Volk seinen Segen geben. Und die Schweizer können, wenn es um ihre Steuern
geht, ausgesprochen renitent sein! [cheesy]
Gruß HP
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-04-30, 10:42 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits,
wir sind bei der Frage, wie man die Schwachstellen des
Mehrheitsprinzips durch flankierende Maßnahmen entschärfen kann.
Als
Schwachstellen wurden genannt:
- die unbemerkte Beeinflussung der Wähler
durch diejenigen, die über die Medien verfügen (Manipulation),
- der
immense Informations- und Entscheidungsaufwand, wenn alle über alles abstimmen
(Entscheidungsaufwand),
- die Benachteiligung von Minderheiten
(Minderheitenschutz)
- der unterschiedliche Grad an Informiertheit bei
den Wählern (Informationsgefälle).
Als ausgleichende Maßnahmen wurden
genannt:
Zum Problem „Manipulation“:
- Veränderung der
Medienlandschaft durch ein Pressegesetz, das die Konzentration des Eigentums an
Medien in den Händen weniger Gruppen verhindert,
- Verpflichtung der Medien
zur Information.
Zum Problem „Entscheidungsaufwand“:
- Vertretung
der Staatsbürger durch auf Zeit gewählte Abgeordnete,
- Dezentralisierung
der Entscheidungsebenen durch Selbstverwaltung von Gemeinden, Regionen etc. in
Bezug auf bestimmte Entscheidungsbereiche,
- Beschränkung der Abstimmungen
auf allgemeine Gesetze,
- Delegation der Geschäftsführung an eine Regierung,
die über einen Verwaltungsapparat verfügt.
Zum Problem
„Minderheitenschutz“:
- Wahlabsprachen und Wahlbündnisse durch die
verschiedenen Minderheitsgruppen,
- Bildung von Parteien mit Programmen für
Minderheiten (wenn Abgeordnete gewählt werden),
- in der Verfassung
verankerte Bürgerrechte, die der Mehrheitsentscheidung entzogen sind,
-
regionale Dezentralisierung (zum Schutz regionaler Minderheiten).
Zum
Problem „Informationsgefälle“:
- Ausstattung der Individuen mit
Stimmrecht entsprechend dem Grad ihrer Informiertheit,
- Vertretung durch
gewählte Berufspolitiker als Abgeordnete,
- Bildung von Parteien mit
Spezialisten für die verschiedenen Politikbereiche.
Die vorgeschlagenen
Maßnahmen werfen jedoch ihrerseits wieder eigene Probleme auf:
- Die
Repräsentation der Wähler durch Abgeordnete enthält die Möglichkeit, dass die
Abgeordneten nicht die Interessen der Wähler vertreten.
- Außerdem erscheint
es nicht sinnvoll, alle Entscheidungen von den Abgeordneten bzw. der Regierung
treffen zu lassen, sodass die Zuständigkeit geregelt werden muss. Zumindest alle
Veränderungen der Verfassung sollten von den Staatsbürgern selber beschlossen
werden. Ungeeignet für Volksabstimmungen sind insbesondere Entscheidungen, von
denen die Staatsbürger in sehr unterschiedlichem Maße betroffen sind.
-
Die Dezentralisierung erfordert Entscheidungen über die Zuständigkeit der
verschiedenen Ebenen und über deren Ausstattung mit Steuergeldern. Die Frage ist
auch hier, nach welchen Kriterien die jeweilige Zuständigkeit festgelegt werden
soll.
- Die Festschreibung von Bürgerrechten in der Verfassung erfordert
ein Verfassungsgericht, das diese Rechte auslegt. Da notwendigerweise nur
relativ unpräzise Formulierungen möglich sind („Die Würde des Menschen ist
unantastbar“ oder „Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit“)
besteht die Gefahr, dass durch eine extensive Auslegung der Bürgerechte der
politische Wille der Mehrheit zu stark eingeengt wird und notwendige
Veränderungen behindert werden.
- Die Einführung nach Informationsgrad
abgestufter Stimmgewichte erfordert ein Instrument zur Messung des Grades an
Informiertheit. Welche Probleme sich dabei ergeben zeigt die Diskussion der
Intelligenztests. Außerdem erfordert ein solches Verfahren einen erheblichen
Aufwand.
Grüße an alle - insbesondere die Philosophin - von
Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi
am 2007-04-30, 19:24 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Wie können wir mit den erkannten Schwachstellen umgehen?
Manipulation:
Damit können wir nur fertig werden, wenn wir für ein gutes Bildungssystem
sorgen. Wir müssen uns darauf verlassen, dass gut ausgebildete Bürger über ein
ausreichendes Urteilsvermögen verfügen, um Manipulationsversuchen zu
widerstehen. Wenn die Medienlandschaft durch ein straffes Regelsystem
kontrolliert wird, besteht eher die Gefahr, dass die freie ungehinderte
Meinungsäußerung auf der Strecke bleibt.
Entscheidungsfindung: Es dürfte
eines der am leichtesten zu regelnden Aufgaben sein. Entscheidungen müssen dort
getroffen werden, wo deren Realisierung stattfindet. Überregionale
Entscheidungen in Gremien, die allgemeine und alle Bürger betreffenden
Interessen berücksichtigt. Z.B. Lehrpläne an Schulen ist Angelegenheit eines
Staates oder sogar Europas, weil die Ausbildung vergleichbar sein muss; damit
die Absolventen überall gleichermaßen einsetzbar sind. Regionale Besonderheiten
können berücksichtigt werden. Kriterium sollte auf jeden Fall die Betroffenheit
sein. es ist auch nicht effektiv wenn mehr als 20 Bundesländer über das Gleiche
abstimmen, wenn die sich anschließend noch einmal einigen müssen. Abschreckendes
Beispiel sind hier die unterschiedlichen Nichtraucherregelungen. Weitere
Beispiele, in denen die Entscheidung nicht im richtigen Gremium angesiedelt war,
ist die Abstimmung über die Rechtschreibreform in den Bundesländerparlamenten.
Die Folge war, es gab abweichende Urteile in den Verfassungsgerichten der
Länder. Konsequenterweise müsste in den Bundesländern ein unterschiedliches
Deutsch Gültigkeit haben.
Minderheitenschutz: hier gilt dass Gleiche wie
unter zuvor genannten Punkt. Bei Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip könnten
Minderheitsinteressen unter den Tisch gekehrt werden, auch dann, wenn der
Mehrheit keine Nachteile entständen.
Informationsgefälle: das
Informationsgefälle kann durch eine gute Ausbildung in Grenzen gehalten werden.
Wenn hier zusätzlich zu bestehenden zwischen arm und reich, künstliche Grenzen
geschaffen werden, entstände eine offiziell anerkannte Mehrklassengesellschaft,
die es ohnehin schon gibt.
On nun unser Parteienparlament besser mit den
Aufgaben umgehen kann, als eine Präsidialdemokratie, hat auf die oben genannten
Punkte keine Auswirkungen, so meine ich.
Es herrscht offensichtlich die
Meinung vor, eine Parlamentsdemokratie ist träge genug, nicht so leicht von
einem geschickt agierenden Politiker in Krisenzeiten übernommen zu werden.
hedgi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-04-30, 21:12 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 04/21/07 um 15:12:19, Eberhard wrote:Die grundlegende Rechtfertigung
dieses Verfahrens der Normsetzung sehe ich – etwas locker formuliert – darin,
dass es besser ist, das zu tun, was den Interessen vieler entspricht, als das zu
tun, was den Interessen weniger entspricht.
Wer behauptet denn,
dass dieses Verfahren überhaupt zu einer Verbesserung führt?
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-04-30, 21:30 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 04/28/07 um 22:11:00, Hanspeter wrote:zum Sinn von
Mehrheitsentscheidungen:
Es gibt Fragen, die durch Wissenschaft und Logik
beantwortet werden. Eine Abstimmung über die Frage, ob 2 x 2 vier ist, ist
sinnlos. Probleme, die sich aber nicht mit den erprobten Methoden der
Wissenschaft lösen lassen, sollten in einer Demokratie definitionsgemäß dem
Mehrheitsprinzip unterworfen werden.
In einer Demokratie sind
alle Fragen dem demos unterworfen. Auch die Frage ob 2 x 2 vier ist. Wenn die
Demokratie dagegen ist, stellt das kein Hindernis dar.
on
04/28/07 um 22:11:00, Hanspeter wrote:Wer sonst sollte sie lösen?
Normalerweise regelt das der Markt. Dann kannst Du Dir was kaufen, was Dir
das Problem löst.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-04-30, 23:04 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Ich kann mir aber keinen Deich kaufen und auch keine Bundesbank.
(Der
coole Ein-Satz-Stil)
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-04-30, 23:21 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 04/30/07 um 23:04:36, Eberhard wrote:Ich kann mir aber keinen Deich
kaufen und auch keine Bundesbank.
Sicher kannst Du, musst Du
sogar, oder meinst Du der Deich wäre sonst umsonst?
Dein Einwand zielt
wohl auf öffentliche Güter hin. Wie das gelöst werden kann steht hier:
http://www.hanshoppe.com/publications/Soc&Cap7.pdf (Chapter 10 of Socialism &
Capitalism)
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi
am 2007-05-01, 09:23 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi allerseits und jenen anarchistischen Glaubens, die
meinen, man könne sich
einen Deich kaufen.
Dass Volkswirtschaften instabile Systeme sind, wenn
keine Instanz von außen eingreifen kann, wussten bereits die ersten uns
bekannten Kulturvölker. Ich denke an Ägypten oder die mesopotamischen
Königreiche. Je mehr Güter ein Herrscher unter Verschluss bringen konnte, desto
größere stehende Heere konnte er unterhalten, mit denen er Nachbarvölker mit
geringerem ökonomischen Geschick unterjochen konnte. Außerdem ist die
Rationierung notwendiger Gebrauchsgüter für die Untertanen ein probates Mittel
das Volk willfährig zu halten.
Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Nur mit diesem Wissen ist es der westlichen Allianz möglich, der islamistischen
Welt unser Verständnis von Ordnung aufzuzwingen.
hedgi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
doc_rudi am 2007-05-01, 09:36 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo,
wir Individuen als Elemente eines Systems höherer Ordnung, des
Staates, können dieses Verhalten von Staaten zwar nicht ändern. Aber die
natürliche Entwicklung wird zur Auflösung der Staaten und der
Religionsgemenschaften (auch ein lebendes System höherer Ordnung) führen, so
dass die Individuen die Macht auf der Erde übernehmen werden. Das kann nur durch
durch die Vernichtung der Menschheit überhaupt verhindert werden.
Gruß
rudi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-01, 09:42 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Das nennt man wohl eschatologisches Denken.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Hanspeter am 2007-05-01, 09:56 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Ich halte es nicht für wünschenswert, dass sich der Staat auflöst und die
Individuen vom Typ Locusta migratoria (die sehr gemeine Wanderheuschrecke ;-))
die Macht komplett übernehmen!
@hedgi.
Du schreibst: "Dass
Volkswirtschaften instabile Systeme sind, wenn keine Instanz von außen
eingreifen kann, wussten bereits die ersten uns bekannten Kulturvölker..".
Welche Art von Instanz meinst du, die in die Volkswirtschaft eingreifen soll?
Der Staat? Macht er sowieso, siehe deine angeführten Beispiele.
Eine
Volkswirtschaft an sich ist kein Wert, sie hat die von der Gesellschaft
gesteckten ökonomischen Ziele zu verwirklichen, natürlich im Rahmen der
wirtschaftlichen Logik.
Gruß HP
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-05-01, 10:01 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Das hat wohl eher mit Evolution zu tun oder glaubst Du Staat wäre eine
dauerhafte Institution?
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-05-01, 10:04 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/01/07 um 09:56:40, Hanspeter wrote:I
Eine Volkswirtschaft an sich
ist kein Wert, sie hat die von der Gesellschaft gesteckten ökonomischen Ziele zu
verwirklichen, natürlich im Rahmen der wirtschaftlichen Logik.
Volk und wirtschaftliche Logik - das schließt sich wohl gegenseitig aus.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-01, 10:05 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo Maulwurf,
für Dich lösen die Eigentümer durch Aushandlung von
Verträgen (Kaufverträge, Arbeitsverträge, Gesellschaftsverträge,
Versicherungsverträge etc.) alle Probleme.
Fragt sich nur, was Du unter
einer „Lösung“ von Problemen verstehst. Ich messe die Resultate von
Entscheidungsregeln wie dem Mehrheitsprinzip daran, ob diese einem solidarisch
bestimmten Gesamtinteresse entsprechen, das die individuellen Interessen
gleichgewichtig berücksichtigt.
Nur von einem derartigen ethisch
begründeten Kriterium her kann ich entscheiden, ob ein Entscheidungsbereich
besser durch Abstimmungen oder durch das Spiel der Marktkräfte geregelt wird.
Zum Verfahren: Verweise auf Literatur, in der angeblich die Lösungen bereits
vorliegen, zählen im Rahmen von Diskussionsrunden wie dieser nicht. Hier zählen
nur die Argumente, die auch vorgetragen werden. Pflichtlektüre gibt es nicht.
Es grüßt Dich und alle andern
Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-05-01, 10:29 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/01/07 um 10:05:40, Eberhard wrote:Hallo Maulwurf,
für Dich
lösen die Eigentümer durch Aushandlung von Verträgen (Kaufverträge,
Arbeitsverträge, Gesellschaftsverträge, Versicherungsverträge etc.) alle
Probleme.
Fragt sich nur, was Du unter einer „Lösung“ von Problemen
verstehst.
Genau das, was die Telnehmer des Marktes darunter
verstehen, um durch Kooperation ihr menschliches Handeln zu unterstützen
Quote:Ich messe die Resultate von Entscheidungsregeln wie dem
Mehrheitsprinzip daran, ob diese einem solidarisch bestimmten Gesamtinteresse
entsprechen, das die individuellen Interessen gleichgewichtig berücksichtigt.
Fragt sich nur, was Du unter einem "Problem" verstehst, von
einer „Lösung“ kann nicht zu reden.
Quote:Nur von einem
derartigen ethisch begründeten Kriterium her kann ich entscheiden, ob ein
Entscheidungsbereich besser durch Abstimmungen oder durch das Spiel der
Marktkräfte geregelt wird.
Du willst also ein zentrales
ethisches Kriterium für das politische Handeln von Menschen?
Quote:Zum Verfahren: Verweise auf Literatur, in der angeblich die Lösungen
bereits vorliegen, zählen im Rahmen von Diskussionsrunden wie dieser nicht. Hier
zählen nur die Argumente, die auch vorgetragen werden. Pflichtlektüre gibt es
nicht.
Alle guten Hinweise sind Argumente. Ob diese für Dich
"zählen" bleibt Deinem Ego überlassen.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-01, 10:51 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo Maulwurf,
hast Du schon mal etwas von Verhandlungsmacht, von
bargaining power oder vom "stummen Zwang der Verhältnisse" gehört, die Verträgen
zugrundeliegen können?
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-01, 11:01 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits,
ich will noch auf eine Komplikation aufmerksam machen,
die mit dem Mehrheitsprinzip verbunden ist.
Wir sind bisher wie
selbstverständlich davon ausgegangen, dass wir alle wissen, was mit dem
Mehrheitsprinzip gemeint ist. Wenn man sich aber um eine genauere Definition
bemüht, wird die Sache kompliziert.
Dazu ein Ausschnitt aus dem
Wikipedia-Artikel "Mehrheitsprinzip":
"Nehmen wir ... ein Beispiel, bei
dem sich die 5 Individuen A, B, C, D und E zwischen den 4 Alternativen w, x, y
und z gemeinsam entscheiden müssen.
Die Bewertung der Alternativen durch
die einzelnen Individuen wird durch eine entsprechende Rangfolge der
Alternativen wiedergeben.
In der folgenden Tabelle sind die angenommenen
Präferenzen der Mitglieder A, B, C, D und E in Bezug auf die Vorschläge w, x, y
und z eingetragen:
-----------A-- --B-- --C-- --D-- --E--
1.
Rang: --y-- --y-- --X-- --z-- --w--
2. Rang: --z-- --X-- --z-- --X-- --X--
3. Rang: --w-- --z-- --y-- --y-- --y--
4. Rang: --X-- --w-- --w-- --w--
--z--
Die Frage ist: Welche der Alternativen gibt den Willen der
Mehrheit wieder?
Um das herauszufinden, könnte man abstimmen. Angenommen,
die Individuen stimmen „aufrichtig“ ab, d. h. jeder gibt seine Stimme der von
ihm favorisierten Alternative. Dann stimmen A und B für y, C stimmt für x, D für
z und E für w. In diesem Fall gibt es für keine der Alternativen eine (absolute)
Mehrheit (englisch 'majority'). Es gibt allerdings eine relative Mehrheit
(englisch 'plurality') von y gegenüber den andern Alternativen: y hat von allen
Alternativen die meisten Stimmen erhalten, also mehr Stimmen als irgendeine
andere Alternative.
Das Abstimmungsverfahren, bei dem derjenige Vorschlag
siegt, der die meisten Stimmen erhält, wird als "Regel der relativen Mehrheit"
bezeichnet (englisch 'plurality voting').
Aber ist y das, was die
Mehrheit will? Fest steht nur, dass y von A und B gewollt wird. Dies ist jedoch
der Wille einer Minderheit.
Wenn man die Präferenzordnungen in der
Tabelle genauer betrachtet, wird man feststellen, dass die Alternative x von den
Individuen C, D und E gegenüber y vorgezogen wird. Bei einem Paarvergleich
zwischen x und y bekäme x eine Mehrheit der Stimmen (3) während auf y nur eine
Minderheit (2) der Stimmen entfallen würde. Insofern will die Mehrheit eher x
als y. Auch beim Paarvergleich mit w und z würde x eine Mehrheit bekommen.
Angenommen, es würde nach der Regel der absoluten Mehrheit abgestimmt ("Als
kollektiv gewählt gilt diejenige Alternative, die mehr als die Hälfte der
Stimmen erhält"), und mit den Stimmen von A, C und D würde die Alternative z
gewählt. Ist z nun das, was die Mehrheit will? Aus den Präferenzordnungen der
Tabelle ist zu ersehen, dass für eine Mehrheit (B, C und E) die Alternative x
besser ist als z. Insofern will die Mehrheit also eher x als z.
(Eine
Alternative, die bei paarweisen Abstimmungen mit jeder der anderen Alternative
eine Stimmenmehrheit erhält, wird auch als "Mehrheitsalternative" bezeichnet. In
unserem Beispiel ist x die Mehrheitsalternative. E.)
Wie man sieht, sind
die Ergebnisse der verschiedenen Wahlverfahren (Regel der relativen Mehrheit,
Regel der absoluten Mehrheit etc.) vom Wahlverhalten der Individuen abhängig und
als solche wenig aussagekräftig. Man kann jedoch zeigen, dass sich eine
vorhandene Mehrheitsalternative in allen gleichgewichtigen Verfahren durchsetzt,
wenn die Individuen so abstimmen, dass das für sie bestmögliche Ergebnis erzielt
wird.
Damit kann man die Frage, was die Mehrheit will, dahingehend
beantworten, dass die Mehrheit die Mehrheitsalternative will. Alle
gleichgewichtigen Wahlverfahren, bei denen sich eine vorhandene
Mehrheitsalternative durchsetzen kann, stehen insofern im Einklang mit dem
Mehrheitsprinzip."
Ich hoffe, damit haben wir die Klärung dessen, was mit
dem Begriff "Mehrheitsprinzip" gemeint ist, nachgeholt.
Einen schönen 1.
Mai wünscht allen
Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-05-01, 11:50 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/01/07 um 10:51:46, Eberhard wrote:Hallo Maulwurf,
hast Du schon
mal etwas von Verhandlungsmacht, von bargaining power oder vom "stummen Zwang
der Verhältnisse" gehört, die Verträgen zugrundeliegen können?
In allen sozialen Verhältnissen kann Macht und Zwang dem was auch immer
zugrundeliegen. Wo ist das Argument?
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-01, 16:04 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Dass eine Behauptung wahr oder falsch ist, ist nicht auf Macht und Zwang
gegründet.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi
am 2007-05-01, 19:33 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Doc Rudi schrieb:
Quote:Aber die natürliche Entwicklung wird zur Auflösung
der Staaten und der Religionsgemenschaften (auch ein lebendes System höherer
Ordnung) führen, so dass die Individuen die Macht auf der Erde übernehmen
werden.
Anders formuliert die Zukunft heißt Anarchie. Ich glaube
kaum, dass Anarchien längerfristig lebensfähig sind. Solche Utopien gab es
bereits viele, aber sie wurden im Vorweg bereits als Totgeburten eingestuft. Mit
anarchistischen Systemen müssen wir kurzfristig rechnen, wenn abgelebte Systeme,
weil dekadent geworden, zusammenbrechen. Ähnliches hatten wir, als das die
bekannte Welt beherrschende Rom zusammenbrach, und sich wie Nomaden
herumstreunende Völker sich auf den Stuhl des römischen Kaisers setzten und wie
Parasitenpflanzen den letzten Rest Lebenssaft aus dem übrig gebliebenen Volk
aussaugten. Das System Staat nahm eine neue Qualität an, das über den
Feudalismus als Zwischenspiel vorübergehend existieren konnte, bis sich das
kapitalistische System durchsetzte und sich bis heute als recht lebensstark
erwies, bis auch dieses System den üblichen Weg, seinem Ende, entgegensehen
wird. Das ist das Gesetz der Evolution. Wir sollten aber bedenken, dass es
schwierig ist, zukünftige Gesellschaften zu beschreiben. Wie wir sehen können,
war der Kommunismus schon recht stabil und konnte 100 Jahre sich gegen den
Kapitalismus behaupten, musste sich aber doch gegen den Kapitalismus
zurücktreten.
Deshalb stehen wir wieder am Anfang in unserer Erforschung
einer brauchbaren Gesellschaftstheorie. Wir brauchen nicht das Ganze nicht neu
erfinden. Wenn wir bei Hegel neu aufsetzen, und das als richtig erkannte aus der
marxschen Philosophie in eine neue Gesellschaftstheorie integrieren, sind wir
auf dem richtigen Weg, meine ich. Bis dahin sind wir mit einer Sozialdemokratie,
die sich auf keine faulen Kompromisse einlässt, am besten bedient.
An
Hans Peter: Ich meine mit Instanz die Regierung, die die Gesetze verabschiedet,
mit denen eine Volkswirtschaft gesteuert wird. Wenn sich eine Wirtschaft sich an
keine Vorgaben halten müsste, hätten wir den Zustand der im Dschungel herrscht,
und die Schwächeren wären den Stärksten hilflos ausgeliefert.
Um zum
eigentlichen Thema etwas zu schreiben, Mehrheitsprinzipien sind ein
sozialdemokratisches Anliegen, deshalb benötigt eine Partei Mechanismen
Politiker unverzüglich zu entfernen, falls sie den ursprünglichen Boden der von
den Mitgliedern verabschiedeten Richtlinien, im gemeinsamen Konsens beschlossen,
verlassen. Das wurde seit der Amtszeit von Schröder deutlich.
hedgi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-05-01, 19:50 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/01/07 um 16:04:19, Eberhard wrote:Dass eine Behauptung wahr oder
falsch ist, ist nicht auf Macht und Zwang gegründet.
Kann es
sein, dass Du Dir der Faden verloren gegangen ist oder muss ich den Zusammenhang
verstehen?
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi
am 2007-05-01, 20:33 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Wieso ist eine einfache Wahrheit schwer zu verstehen?
Quote:Dass eine
Behauptung wahr oder falsch ist, ist nicht auf Macht und Zwang gegründet.
Es ist durchaus möglich gegen jegliche Vernunft zu handeln, wenn
jemand über die Machtmittel verfügt. Dieser Beweis wurde schon mehrmals in der
Geschichte erbracht. Es muss nicht immer wieder erneut versucht werden, die
Wahrheit auf den Kopf zu stellen.
Gegen die Interessen der Menschen zu
handeln, erfordert immer einen hohen Preis.
hedgi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
doc_rudi am 2007-05-01, 21:08 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi hedgi,
schön, dass Du bei meiner Aussage anknüpfst (#51), Du kannst die
zukünftige Organisierung der Menschheit auch Anarchie nennen, aber es wird mit
Kommunismus im marxistischen Sinn nicht viel zu tun haben, mit Kommunismus im
urchristlichen Sinn (Gemeinschaftseigentum) wird es noch weniger zu tun haben.
Jeder Mensch wird sich entsprechend seinen Möglichkeiten und Fähigkeiten in
der zukünftigen Gesellschaft entfalten können. Der marxistische Kommunismus ist
u.a. daran gescheitert, dass die Menschen zu Einheitsmenschen, zu Ameisen
innerhalb einer Klasse degradiert wurden. Der Mensch ist jedoch Individuum,
jeder ist anders. Für seine persönliche Entfaltung benötigt er jedoch einerseits
Geld und die entscheidende Frage dabei ist, wie das Geld verteilt wird.
Die
Philosophie lebender Systeme sieht dabei die Gegenwart so: durch
Effektorentätigkeit (Ausführung von Tätigkeiten, die einem Anderen nützen, z.B.
auch der Allgemeinheit), bekommt das Individuum Geld und wenn es Geld ausgibt,
betätigt es sich als Dominator, bestimmt nämlich durch die Wahl eines Produktes
die zukünftige Produktion. Die Menschen werden durch diese Beschreibung der
Gegenwart nicht in Klassen zerteilt, sondern jeder ist zeitweilig Effektor (wenn
er Geld verdient) und Dominator (wenn er Geld ausgibt).
Mehrheitsentscheidungen (und damit nähere ich mich dem Thema dieses Threads)
sind nicht nur Wahlentscheidungen bei politischen Wahlen, sondern immer, wenn
jemand etwas kauft (ein Produkt) trifft er eine Wahl, er wählt nicht nur ein
bestimmtes Produkt, sondern Menschen, die an der Herstellung dieses Produkts
beteiligt waren: die Bauern einer Region, die den Weizen angebaut haben, die
Leute, die daraus Brot gemacht haben, die, die es in den Supermarkt
transportiert haben und die, die es dort verkaufen. Alle diese Personen werden
im Moment des Kaufs zu seinen Effektoren.
Die Firmen, die diese Produkte
anbieten, wissen das, und deshalb werben sie auch um Käufer, Fernsehwerbung und
andere Werbung ist im Grunde immer Wahlwerbung, sie wirbt beim Zuschauer darum,
dass möglichst viele beim Kauf ihr Produkt wählen.
Die Produzenten, die
Firmen, die Arbeiter in den Firmen, sind keine Ausbeuter, ja selbst die Manager
sind die Effektoren (die Diener) der Käufer.
Die Macht hat nicht der
Produktionsmittelbesitzer (wie in der marxistischen Vorstellungswelt), sondern
die Macht hat der Käufer, der Mensch; dies allerdings eben dann, wenn viele
Individuen hinsichtlich der Befriedigung eines Bedürfnisses das Produkt eines
Herstellers wählen. Je mehr den gleichen Produkthersteller beim Kauf wählen,
desto mehr stärken sie diesen.
Der Hersteller ist also vom Wähler, nämlich
dem Käufer, abhängig. Der Hersteller ist der Schwache und die Käufer die
Mächtigen. Dies scheinen die Käufer leider noch nicht zu wissen.
So weit
kurz zu diesem Thema. Das eigentliche ist jedoch, dass die Selbstentfaltung in
der Zukunft nicht materieller Natur sein kann und dass das Forcieren des
materiellen Wachstums in den Untergang der Menschheit führen wird. Der Mensch
kann zwar nicht anders, als wachsen, es gibt keine Selbstverkleinerungskraft im
lebenden System. Aber der Mensch ist auch ein geistiges Wesen und muss in
Zukunft sein Wachstum im Reich des Geistes befriedigen.
Gruß
rudi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Hanspeter am 2007-05-01, 23:27 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo,
@Eberhard:
Das Mehrheitsprinzip ist in der Praxis doch
einfacher als gedacht. Ich wäre ja schon froh, gäbe es Volksentscheide mit zwei
Wahlmöglichkeiten. Ansonsten hilft jenes Prinzip, das wir derzeit in Frankreich
erleben: Die beiden favorisierten "Meinungen" (in diesem Fall Personen) werden
erneut zur Wahl gestellt.
@hedgi schreibt: "Mehrheitsprinzipien sind ein
sozialdemokratisches Anliegen, deshalb benötigt eine Partei Mechanismen
Politiker unverzüglich zu entfernen, falls sie den ursprünglichen Boden der von
den Mitgliedern verabschiedeten Richtlinien, im gemeinsamen Konsens beschlossen,
verlassen."
Genau das ist das Problem der SPD. Sie verabschiedet
Richtlinien, die zwar einer Parteimehrheit, nicht aber der Mehrheit im Volk
entspricht. Und dann kommt es wie so oft: Der Kanzler ist im Volk beliebter als
in der eigenen Partei. Siehe nicht nur Schröder, trifft auch für H. Schmidt zu.
Und der allseits beliebte W. Brandt erwies sich, außer in der Außenpolitik, als
nicht sehr effektiv.
Gruß HP
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-02, 09:25 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo Hanspeter,
wichtig scheint mir zu sein, dass das
Abstimmungsverfahren so gestaltet ist, dass eine vorhandene Mehrheitsalternative
sich auch herausschält und durchsetzt.
Dies ist auch bei der einfachen
Abatimmung nach der relativen Mehrheit im Prinzip möglich, wo die Alternative
mit den meisten Stimmen als gewählt gilt, auch wenn sie weniger als die Hälfte
der Stimmen auf sich vereint hat. Dazu ist es allerdings nötig, dass Transparenz
über die Interessenlage der Beteiligten besteht und dass Absprachen über das
Abstimmungsverhalten möglich sind, die dann auch eingehalten werden.
Das
zweistufige Verfahren der französischen Präsidentenwahl ist meiner Ansicht nach
gut geeignet, eine vorhandene Mehrheitsalternative durchzusetzen, auch wenn die
Beteiligten sich mit Koalitionen schwer tun.
Dass dabei nicht
"aufrichtig" abgestimmt wird, dass man also nicht für die eigene
Spitzenalternative stimmt, ist deshalb nichts zu Kritisierendes, sondern ist
umgekehrt sogar gefordert.
Grüße von Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-02, 12:07 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits, hallo Hanspeter,
was Du als Problem der SPD beschreibst
("Sie verabschiedet Richtlinien, die zwar einer Parteimehrheit, nicht aber der
Mehrheit im Volke entspricht" und "Der Kanzler ist im Volk beliebter als in der
eigenen Partei") ist nicht nur so sehr ein SPD-Problem, sondern ein Problem, das
sich aus den Eigenschaften des Mehrheitsprinzips ergibt. Was ich meine, ist in
dem Satz enthalten: "Wer die Wahl gewinnen will, muss die Mitte besetzen."
Man kann sich das folgendermaßen veranschaulichen.
Angenommen, die
politischen Positionen lassen sich auf einer Links-Rechts-Skala wiedergeben und
wir haben 5 Wähler. Das könnte z. B. so aussehen:
--- A ----B
-----------------C---------------------D-----------------------E-----
In
diesem Fall ist C der "mittlere" Wähler, genauer: der Medianwähler. Bei
rationalem Abstimmungsverhalten kann nur ein Programm die Mehrheit erhalten, die
der Position von C entspricht.
Angenommen, A und B versuchen eine
Mehrheit mit C zusammen zu bekommen auf der Position x:
--- A ----B
--------x-------C---------------------D-----------------------E-----
Dann
könnte C seine Position dadurch verbessern, dass er eine Koalition mit D und E
auf seiner Position zusammenbringt. Ein Programm, das der Position von C
entspricht, wäre für D und E besser als ein Programm, das der Position von x
entspricht.
Dies trifft nun in jedem Fall zu. Angenommen D und E
versuchen mit C eine Mehrheit auf der Position y zustande zu bringen:
---
A ----B -----------------C---------------y------D-----------------------E-----
Dann könnte C an A und B ein Koalitionsangebot auf der Position C machen,
das für A und B eine Verbesserung gegenüber y darstellt.
Am "mittleren"
Wähler geht also kein Weg zur Mehrheit vorbei. Der Grund hierfür ist der, dass
die Position C hier die Mehrheitsalternative bildet, die bei rationalem
Verhalten aller Beteiligten das Ergebnis bildet.
Dies ist die Logik des
Mehrheitsprinzips, die bei Wahlen beachtet werden muss, wenn man Wahlen gewinnen
will.
Da aber Parteien nicht nur auf das Ziel ausgereichtet sind, Wahlen
zu gewinnen, sondern auch aus Mitgliedern bestehen, die bestimmte politische
Überzeugungen haben und diese verwirklicht sehen möchten, ergibt sich das
Phänomen, dass die erfolgreichen Spitzenkandidaten meist mehr zur Mitte
tendieren als ihre Partei.
Dafür ist Angela Merkel ein gutes Beispiel.
Dies erklärt auch, warum die FDP als "Zünglein an der Waage" trotz ihrer
Kleinheit der "Königsmacher" war, als sie noch nicht rechts von der CDU/CSU
angesiedelt war.
Es grüßt Euch Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Hanspeter am 2007-05-02, 12:56 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo Eberhard,
ich stimme deinen Ausführungen im Prinzip zu. Mit den
PG's, deren Interessen nur bedingt zum Zuge kommen, habe ich wenig Mitleid.
Wichtig ist, dass Probleme effektiv gelöst werden und wenn die Mitte die
besten Lösungen hat - warum nicht?
Ich denke aber, das
Rechts-Links-Schema hilft uns derzeit nur sehr bedingt zu einem vernünftigen
Lösungsansatz. Ist man rechts oder links, wenn man sich für eine ökologisch
vernünftige Politik einsetzt? Doch selbst unter den Rechten oder Linken kann ich
keinen erfolgversprechenden Ansatz für eine sinnvolle Wirtschaftspolitik
erkennen - Laissez-faire bevorzugen die einen, während die anderen glauben, je
länger der Sozialismus Geschichte ist, desto verklärter leuchtet er.
Gruß
HP
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi
am 2007-05-02, 17:14 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi allerseits,
ein Parteimitglied hat gewöhnlich Vorstellungen wie
weitzugehen er bereit ist, andere Entscheidungen mitzutragen. Deshalb halte ich
ein Links-Rechts-Schema für vereinfachend, um über dieses Thema zu befinden.
Das was Wähler wollen, und das was Parteimitglieder wollen, ist nicht
unbedingt unter einen Nenner zu bringen. Nur eine Partei, die um jeden Preis
regieren will, läuft Gefahr ihr Profil zu verlieren.
Auf Eberhards
Wahlskala lassen sich Wahlprogramme anschaulich positionieren, aus dem klar
werden sollte, dass es nicht unbedingt besser ist, auf jeden Fall mitzuregieren.
Gehen wir davon aus, die Akzeptanzschwelle einer Partei reicht von zwischen A
und B positioniert bis etwas über C nach rechts hinaus. Dann könnten B und C auf
jeden Fall koalieren. Ob mit A und D eine Einigung erzielt werden kann, hängt
davon ab, wie viel von der eigenen Identität aufgegeben werden muss.
Oft
können die eigenen Ziele aus der Opposition heraus wirkungsvoller in Szene
gesetzt werden.
An Rudi. Ich schrieb nichts davon, dass ich den Marxismus
politisch für durchsetzbar halte, sondern lediglich, bei der Suche nach neuen
gesellschaftlichen Perspektiven fangen wir nicht bei Null an, sondern wir
berücksichtigen selbstverständlich bis heute erarbeitete Erkenntnisse großer
Philosophen. Dazu gehört auch die marxsche Kapitalismuskritik.
hedgi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-02, 17:52 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits,
hallo Hanspeter,
ich stimme Dir zu, dass es etwas
gewaltsam wäre, wollte man die politischen Alternativen auf eine
Links-Rechts-Dimension reduzieren. Wie sich die Mehrheitsalternative in
mehrdimensionalen Politikräumen darstellt, entzieht sich meiner Kenntnis. Dann
besteht auch die Möglichkeit des sogenannten „Wahlparadoxes“, dass gar keine
Mehrheitsalternative existiert sondern zirkuläre Mehrheiten bestehen.
Man kennt so etwas vom Fußball, wenn eine Spitzenmannschaft wie der 1. FC Adorf
einen „Angstgegner“, den VfB Udorf hat, gegen den sie partout nicht gewinnen
kann, obwohl der VfB Udorf gewöhnlich gegen den Abstieg kämpft.
Da
schlägt dann eine mittelstarke Mannschaft wie der SV Edorf den VfB Udorf, der
VfB Udorf schlägt den 1. FC Adorf, und der 1. FC Adorf schlägt den SV Edorf.
Es gilt aufgrund dieser 3 Spiele: SV Edorf > VfB Udorf > 1. FC Adorf > SV
Edorf. Welches ist demnach die „stärkste“ Mannschaft?
Ähnliches kann
passieren bei Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip, wenn z. B. die Präferenzen
der 3 Abstimmungsberechtigten A, B und C hinsichtlich der zur Abstimmung
stehenden 3 Alternativen x, y und z folgendermaßen aussehen:
-------------A---------B---------C
-1. Rang: ----x---------y---------z
-2, Rang: ----y---------z---------x
-3. Rang: ----z---------x---------y
Bei paarweiser Abstimmung ergibt sich:
x gegen y: 2:1 , y gegen z:
2:1 und z gegen x: 2:1. Das bedeutet, dass keine Mehrheitsalternative existiert.
In der Praxis spielt dies gewöhnlich keine Rolle, weil das
Mehrheitsprinzip gewöhnlich mit einer Status-quo-Klausel verbunden ist, die
besagt, dass alles beim Alten bleibt, wenn keine Alternative gewählt wird.
Allerdings ist Stimmengleichheit von Alternativen, die sogenannte
„Pattsituation“ in der Politik, eine mögliche Schwierigkeit bei Abstimmungen
nach dem Mehrheitsprinzip
Grüße an alle von Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-05-02, 18:35 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Toll! Und was hat jetzt dieser ganze Demokratenquark mit Philosopie zu tun?
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-02, 20:43 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Was meinst Du mit Demokratenquark?
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Hanspeter am 2007-05-03, 05:46 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo Eberhard,
unsere Aufgabe ist es doch nicht, die stärkste Mannschaft
(Partei?) zu ermitteln, sondern Probleme zu lösen, sprich die für das Volk
optimale Lösung zu finden. Oder plädierst du für eine Parteienbundesliga?
Dass Volksentscheide, also das direkte Mehrheitsprinzip. die beste Lösung
wäre, steht wohl außer Frage. Das Problem ist nicht die Rechtfertigung des
Volksentscheids an sich, sondern die Tatsache, dass die Herrschenden dem Volk
keine Entscheidungsmöglichkeiten gönnen, weil sie dadurch an Macht verlören. Und
dass Politiker freiwillig Macht abgeben ist so selten wie ein Sechser im Lotto.
Gruß HP
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Wolfgang_Horn am 2007-05-03, 06:27 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi. Hanspeter,
Du: unsere Aufgabe ist es doch nicht, die stärkste
Mannschaft (Partei?) zu ermitteln, sondern Probleme zu lösen, sprich die für das
Volk optimale Lösung zu finden.
Hat Dir das Volk diese Aufgabe gegeben?
Oder wer hat sie Dir gegen den Willen dieses Volkes gegeben?
Gedanken
über Problemlöse- und Entscheidungsmethoden, das halte ich schon für sinnvoll.
Aber als Information, und eben nicht als Bevormundung.
Übrigens sehe
ich noch eine Familie von Lösungsvarianten, die alle "die Wette" als wirksames
Element enthalten.
Die sogenannte Wett-Leidenschaft der Briten hat nicht nur
die anrüchigen Elemente des Glücksspiels, sondern ich vermute dahinter auch
einen Nutzen.
Mich interessiert das als Variante für Entscheidungen im
Projektgeschäft, wo leichtfertige Einwände ("ach, das wird doch nix") das Team
in der Routine erstarren lassen. Solche Einwände werden so leicht zur
selbsterfüllenden Proüphezeihung.
Eigentlich ist jede Prognose,
Bewertung, Zustimmung oder Ablehnung in der beruflichen Besprechung eine Wette
mit dem persönlichen Ruf als Wetteinsatz, von daher ist die Einführuing einer
Wette Eulen nach Athen tragen.
Aber es könnte ganz lustig sein, wenn wir die
Prognosen im Protokoll festhalten "der Dollar wird bis in 3 Monate weiter
fallen", um eine Gegenmeinung bitten, beide Prognostiker um ihren Wetteinsatz
und nach 3 Monaten Wette, Wetter, Ausgang und Wettkontostand projektweit
aushängen.
Ich erhoffe mir daraus ein Abnehmen der leichtfertigen
Meinungsaußerungen.
Ciao
Wolfgang Horn
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-03, 10:54 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits,
hallo Hanspeter,
auch wenn es unpopulär ist: Ich bin
nicht der Meinung, dass eine Volksabstimmung nach dem Mehrheitsprinzip in jedem
Fall die beste Form der kollektiven Entscheidung ist. Ich beziehe mich dabei auf
das reine Mehrheitsprinzip, bei dem jeder frei ist, seine Stimme nach Belieben
abzugeben.
Ich versuche mal zu demonstrieren, was ich meine.
Ich
gehe von einer 3-Personen-Gesellschaft aus, bestehend aus A, B und C.
(Ich
könnte genau so gut von einer 3-Millionen-Gesellschaft bestehend aus den Gruppen
A, B und C mit je 1 Millionen Individuen ausgehen, nur wäre das
unübersichtlicher.)
Es werden 2 Volksentscheide - nennen wir sie V1 und
V2 - als zwei von einander unabhängige Entscheidungen durchführt.
Bei V1
geht es um die Alternativen w und x, bei V2 geht es um die Alternativen y und z.
Nehmen wir nun weiter an, dass Person A von V1 sehr stark betroffen ist. Das
bedeutet, dass die Alternativen w und x sehr unterschiedlich bewertet werden.
Für A ist w sehr viel besser als x.
Für B und C sind die beiden
Alternativen annähernd gleich gut, x ist allerdings etwas besser als w.
Dies kann man in folgender Werttabelle wiedergeben:
(Subjektive Werte der
Alternativen w und x des Volksentscheids 1)
-----------------A------------B------------C
-----w:-------100----------50------------60
------x:--------10-----------60------------70
Wenn alle Beteiligten
entsprechend ihrem Interesse abstimmen, siegt die Alternative x mit den 2
Stimmen von B und C bei einer Gegenstimme von A.
Bei V2 geht es um die
Alternativen y und z. Hier ist nun C sehr stark von betroffen, während für A und
B die beiden Alternativen annähernd gleichwertig sind.
Dies sei durch
folgende Werttabelle wiedergegeben:
(Subjektive Werte der Alternativen y
und z des Volksentscheids 2)
------------------A-----------B-------------C
-------y:--------60----------70-------------10
-------z:--------50----------60------------100
Wenn alle Beteiligten
entsprechend ihrem Interesse abstimmen, siegt die Alternative y mit den 2
Stimmen von A und B bei einer Gegenstimme von C.
Ergebnis der direkten
Demokratie mit Volksentscheiden zu einzelnen Punkten wäre also die Wahl der
Alternativen x und y.
Dies Ergebnis ist nicht das bestmögliche Ergebnis
für die Beteiligten.
Nehmen wir einmal an, über die beiden Punkte würde
nicht einzeln, sondern im "Paket" abgestimmt.
Dann hätten wir folgende
mögliche Alternativenbündel: (w+y), (w+z), (x+y) und (x+z)).
Wenn die
Bewertungen der Alternativen voneinander unabhängig sind, kann man die
subjektiven Werte der Bündel für A, B und C durch die Summe der Werte der
einzelnen Alternativen ausdrücken. Man erhält dann folgende Wertetabelle:
(Subjektive Werte der Alternativenbündel)
--------------------A-----------B-------------C
---(w+y):--------160---------120-----------70
---(w+z):--------150---------110----------160
---(x+y):---------70----------130-----------80
---(x+z):---------60----------120----------170
Bei den einzelnen
Volksentscheiden 1 und 2 werden x+y gewählt.
Der Wert dieser beiden
Alternativen zusammengenommen ist aus der vorletzten Zeile der vorstehenden
Tabelle ersichtlich.
Wenn die beiden Volksentscheide gebündelt werden
und über die möglichen Alternativenbündel abgestimmt würde, würde sich jedoch
ein anderes Ergebnis einstellen. Das Alternativenbündel (w+z) wäre sowohl für A
besser als auch für C. Es stellt jetzt die Mehrheitsalternative dar, die bei
paarweisen Abstimmungen gegenüber jeder anderen Alternative die Mehrheit der
Stimmen bekommen würde. Die Mehrheitsalternative (w+z) würde sich bei rationalem
Verhalten der Beteiligten bei einer Abstimmung nach dem Mehrheitsprinzip
durchsetzen, wie die folgende Tabelle zeigt.
(Tabelle der
Präferenzordnungen in Bezug auf die Alternativenbündel)
--------------------A-----------B--------------C
-1.
Rang:------(w+y)-------(x+y)---------(x+z)
-2.
Rang:------(w+z)-------(w+y)--------(w+z)
-3.
Rang:------(x+y)--------(x+z)---------(x+y)
-4.
Rang:------(x+z)--------(w+z)--------(w+y)
Das Mehrheitsprinzip führt
also je nach Bündelung zu unterschiedlichen Ergebnissen, wenn die Beteiligten
unterschiedlich stark von den einzelnen Entscheidungen betroffen sind. Nur die
Bündelung aller Entscheidungen und die Abstimmung über die möglichen
Alternativenbündel führt zu Ergebnissen, die dem Willen der Mehrheit am besten
entsprechen
Parteien können solche Pakete in Form von Wahlprogrammen oder
Wahlplattformen zusammenstellen und zur Abstimmung stellen.
Ich breche
also eine Lanze für die Parteiendemokratie.
Es grüßt Euch in Erwartung
herber Kritik Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi
am 2007-05-03, 18:04 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi allerseits,
dem Wähler stehen normalerweise keine Alternativbündel zur
Wahl. Bei den allvierjährlichen Wahlen steht dem Wähler etwas ähnliches zur
Auswahl, das Wahlprogramm, bereit. Das Wahlprogramm stellt eine Kopplung
mehrerer Gesetzesplanungen dar. Nur ist die Wahrscheinlichkeit auf Einhaltung
der Wahlversprechen sehr gering. Vor Wahlen trifft der Wähler seine Entscheidung
nach Wichtigkeit des Wahlversprechens und nach der Glaubwürdigkeit der Partei.
Da die Parteien die Inkompetenz ihrer Wähler kennen, brauchen sie sich keine
Mühe zu geben, ihre Planungen mit allen Konsequenzen zu erläutern. Sollte eine
unerwünschte Frage gestellt werden, geht man einfach zum nächsten Punkt über.
Bei sonstigen Abstimmungen im Parlament geht es lediglich um einzelne
Gesetzesvorlagen und es würde keinen Sinn ergeben, mehrere Gesetze in
Abhängigkeit zu setzen, wenn sie sonst in keinem Zusammenhang stehen.
Über Volksabstimmungen lohnt es weiter zu diskutieren, weil es dem Zweck einer
Demokratie am nächsten kommt. Auch hier macht es keinen Sinn künstlich
Abhängigkeiten zu schaffen.
Wir müssen eine Aufwandsbetrachtung zu
Parlamentsentscheidungen sowie Volksbefragungen vornehmen. Bei
Parlamentsentscheidungen bedarf es keines großen Aufklärungsaufwandes. Das Volk
sollte zwar informiert werden, damit es weiß was ihn erwartet. Die traurige
Wirklichkeit sieht leider anders aus. In der Steuergesetzgebung ist es so, dass
der Steuerzahler regelmäßig aus allen Wolken fällt, wenn er plötzlich erfährt,
dass Steuern für Dinge anfallen, für die vorher keine Steuern gezahlt wurden.
Bei Volksbefragungen wäre vor der Abstimmung ein größerer Werberummel
erforderlich, weil die Interessengruppen für ihre Ziele werben müssten. Der
damit verbundene Vorteil wäre, das Volk wäre im vollen Umfang aufgeklärt und die
Manipulation wäre minimiert, da jede Partei schnell merken würde, mit ehrlicher
Information fährt man am besten. Allerdings ist diese Art zu wählen,
kostenaufwändig. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass Parteimitglieder eine
vollständige Aufklärung des Wählers nicht unbedingt als Vorteil ansehen. Der
Nachteil für Abgeordnete und Minister, für die Großindustrie bestände kein Grund
mehr Scheinarbeitsverträge und Aufsichtsratsposten für Parlamentarier
bereitzuhalten, und es schmälert die Bedeutung des Parlaments.
Fazit des
Ganzen. Gesetze en Block entscheiden, kann nicht im Interesse des Wählers sein.
dagegen sind Volksbefragungen in wichtigen Angelegenheiten zwar teuer, aber es
kommt der Idee der Demokratie am nächsten.
wir brauchen nur noch zu
klären, was unter wichtig zu verstehen ist. Wegen jeder Kleinigkeit wird es
keine Volksbefragung geben. Auch benötigen wir einen Mechanismus, um im
nachhinein einen Volksentscheid zu erzwingen.
hedgi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-04, 21:25 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits,
hallo Hedgis,
wir haben in Deutschland die
Situation, dass in der Regel keine Partei alleine regiere kann und dass deshalb
Regierungskoalitionen gebildet werden müssen. Auf der Ebene der
Koalitionsvereinbarungen werden dann erst die entscheidenden Pakete geschnürt,
die nur noch von den Fraktionen mit Mehrheit abgesegnet werden müssen.
Das führt dazu, dass die Wahlprogramme der einzelnen Parteien, die dem Wähler
vorgelegt werden, meist Schnee von gestern sind. Dies bedeutet, dass die Wähler
nur sehr indirekt über das Regierungsprogramm abgestimmt haben und dass die
Wähler von der Politik der Koalitionsregierung eher überrascht werden.
In dieser Hinsicht ist das britische Wahlrecht besser, das meist zu klaren
Mehrheiten führt, und wo die siegreiche Partei für die Regierungspolitik voll
verantwortlich ist,
meint Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi
am 2007-05-05, 12:14 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi Eberhard,
wir müssen uns für eine Variante entscheiden, von der wir
meinen, sie garantiere die größte Zufriedenheit unter den Wählern. Zur Auswahl
haben wir.
Die Präsidialdemokratie: das Volk wählt einen Präsidenten, der
die Macht eine vorgegebene Zeit innehat. Die Macht wird gewöhnlich durch das
Parlament kontrolliert, sodass er nicht wie ein Diktator walten kann. Gesetze
müssen eingehalten werden.
Die parlamentarische Demokratie: das Volk weiß
hinterher nie, was es eigentlich gewählt hat.
Die Direkte Demokratie
nach dem Schweizer Modell: Die bisher gemachten Erfahrungen mit Volksbefragungen
zur Europafrage, könnte manch einen dazu verleiten zu glauben, die Menschen
wollen keine Demokratie für Europa. Die Interviews spiegeln aber eine ganz
andere Realität wieder. Die Wähler haben deshalb zu europäischen Fragen mit nein
gestimmt, weil sie das Gefühl nicht loswerden, die Demokratie werde durch die
europäischen Institutionen ausgehebelt, und wirke auf die nationalen Regierungen
mit negativen Effekten zurück. Diese Interviews zeigen uns, die europäischen
Bürger wollen nicht nur zu Zuschauern der Politik degradiert werden, sie wollen
am Entscheidungsprozess beteiligt sein. Das können aber nur Volksbefragungen
garantieren. Ich glaube aber die Schweizer sind ganz zufrieden mit ihrem System,
sodass man es kopieren könnte, sofern uns nichts besseres einfällt.
Institutionelle Demokratie: Eigentlich hat das nicht viel mit Demokratie gemein.
Ein entsandter Rat mit einem Präsidenten an der Spitze regelt die Politik, ein
Parlament ohne Mitsprache wird als Feigenblatt gehalten, um sich als Demokratie
bezeichnen zu können. Aber das hat bisher jede Herrschaftsform geschafft. Mir
ist keine Regierungsform bekannt, das sich kein Parlament hielt.
hedgi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-05-05, 13:21 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Was ist denn mit der Zufriedenheit der Nichtwähler?
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-05, 21:31 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits, Hallo hedgi,
Ich denke, es ist sinnvoll, von der
bestehenden politischen Verfassung dieses Landes auszugehen und zu fragen, was
konkret verbessert werden könnte.
In Bezug auf die Einführung
beziehungsweise die Erweiterung plebiszitäre Elemente im Grundgesetz wäre es
sinnvoll, solche Entscheidungsbereiche zu benennen, in denen das Volk direkt
befragt werden muss und wo es mehrheitlich entscheiden sollte.
Mir fallen
da z. B. die folgenden Bereiche ein, die für alle von elementarer Bedeutung
sind:
1. Änderungen der Verfassung (mit mindestens 2/3 der Stimmen),
2. Änderungen des sonstigen Wahlrechts,
3. Änderungen des Staatsgebietes oder
der Ländergrenzen
4. Zugehörigkeit zu Militärbündnissen.
"Normale"
politische Entscheidungen sollten nicht durch Volksentscheide getroffen werden
wegen des Problems, dass eine schwach interessierte Mehrheit eine elementar
betroffene Minderheit überstimmt.
Wie man den Wählern einen direkten
Einfluss auf die Regierungsprogramme geben kann, weiß ich nicht. Die Parteien
vermeiden es, sich vor der Wahl auf eine Koalition fest zu legen. Sie versuchen
sich zu profilieren und möglichst viele Stimmen zu bekommen, um dadurch gestärkt
in die Koalitionsverhandlungen zu gehen. Dies hat eine gewisse Berechtigung,
weil ja nicht feststeht, ob eine beabsichtigte Koalition die Mehrheit im
Bundestag bekommen wird. Die Parteien wollen sich die Möglichkeit offen halten,
in diesem Fall die Koalitionsfrage neu zu stellen.
Vielleicht wäre es
Aufgabe einer unabhängigen Presse, die Programmatik bzw. Nicht-Programmatik der
Parteien kritischer zu durchleuchten und genauer darüber zu informieren, in
welchen Punkten Regierungsparteien von ihrer Programmatik abgewichen sind, um
eine Koalition zu bilden.
Bei allen Verfassungsänderungen sollte man sehr
gründlich überlegen und eher zögerlich vorgehen. Diese grundlegenden Prinzipien
sollte man nicht alle paar Jahre umstoßen, meint
Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Chewbacca am 2007-05-06, 12:13 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Muhaaaaaa... schmeiss mich weg ....Muuuuhaaaa
änderung der verfassung?
bis wo sson kleiner fascho? immer gleich die verfassung ändern und ihren
scheiß machen diese fuzzis
bissu kotzeblöd oder bissu so einer?
Muuuuhaaaaaa....
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi
am 2007-05-06, 12:33 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Wieviel Joints hast du heute schon gequalmt?
Hauptsache man fühlt sich
wohl dabei.
hedgi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi
am 2007-05-06, 13:08 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi Eberhard,
ich bin auch der Meinung, dass das Volk nur in wichtigen
Angelegenheiten befragt werden sollte. Es ist aber von vornherein unmöglich die
Grenzen festzulegen, wann eine Volksbefragung anberaumt werden soll. Solche
Festschreibungen werden deshalb immer schwammig bleiben, schon deshalb weil
solch ein Gesetz so allgemein wie möglich gehalten werden sollte. Aber durch
eine Unterschriftensammlung sollte eine Volksbefragung erzwungen werden können.
In einigen Bundesländern ist es heute bereits möglich, falls genug
Unterschriften gesammelt wurden, oder nach einer Abstimmung im Parlament, eine
Volksbefragung anzuberaumen.
Egal welche Änderungen wir favorisieren,
wir werden immer Nachteile gegenüber der zurzeit gültigen Verfassung finden. Es
bleibt uns deshalb nur, die Vor- und Nachteile der verschiedenen Systeme
gegenüberzustellen, um das unserer Meinung nach best geeignete System zu
favorisieren.
Ein Pressegesetz, das für eine ausgewogene
Presselandschaft sorgt, ist für eine Demokratie lebenswichtig. Hier müssen die
Profitinteressen der Meinungsverbreiter vor dem Informationsbedürfnis des Volkes
zurücktreten. Das könnte durch steuerliche Vergünstigungen für Medien, die ihre
Unabhängigkeit von mächtigen Organisationen nachweisen können, geregelt werden.
Medienpäpste, wie wir sie heute kennen, sind für eine Demokratie, egal ob es
sich um eine Präsidial- oder parlamentarische Demokratie handelt, schädlich.
hedgi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-05-06, 13:38 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Ist auch schon ein Austrittsrecht bei euerem Staat fest eingeplant?
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Hanspeter am 2007-05-06, 16:40 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo,
mir ist eigentlich immer noch nicht klar, warum Hedgi und Eberhard
gegenüber Volksbefragungen so skeptisch sind. Misstraut ihr dem Volk? Haltet ihr
es für zu blöd, vernünftige Entscheidungen zu treffen? Gut, so der eine oder
andere Philtalkbeitrag mag euch in dieser Vermutung bestärken, aber im Moment
wüsste ich kein Beispiel eines eklatanten Volks-Fehlurteils.
Die
Unterscheidung zwischen wichtigen und wenig wichtigen Gesetzen ist in der Tat
fragwürdig. Vor allem aber sollte man Referenden erst einmal per Gesetz auf
Bundeseben ermöglichen.
Ein Kriterium für Volksentscheide könnten auch
Meinungsumfagen sein. Wenn ein Gesetz im Widerspruch zu Meinungsumfragen steht,
sollte es einen Volksentscheid geben.
Gruß HP
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Hanspeter am 2007-05-06, 17:29 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Noch etwas. Ich habe den Eindruck, dass der Begriff Demokratie nicht hinreichend
geklärt ist.
Unter Demokratie versteht man weder die Herrschaft der Wahrheit,
der Weisheit oder der Gerechtigkeit, auch nicht die Herrschaft der Gutmenschen,
sondern die Herrschaft des Volkes. Wäre Demokratie die Herrschaft der
Erstgenannten, so müssten wir eine Wahrheits-, Weisheits- oder
Gerechtigkeitskommission schaffen, oder den Gutesten aller Gutmenschen bestimmen
und diesen Institutionen bzw. dieser Person die absolute Herrschaft übertragen.
So aber behaupten wir, wir seien Demokraten. Somit müssen wir akzeptieren,
dass das Volk herrscht, aber auch „Fehlentscheidungen“ trifft.
Ein System wie die Demokratie hat Risiken und Nebenwirkungen. Man kann sie
minimieren durch vielfältige und umfassende Information des Volkes, aber niemals
ausschließen. Mir persönlich sind aber diese Risiken und Nebenwirkungen lieber
als die Diktatur der Weisheit, Wahrheit, Gerechtigkeit oder der Gutmenschen.
Gruß HP
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-05-06, 17:56 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Was bedeutet denn nun wieder "Herrschaft des Volkes". Das kann doch nichts
anderes sein als Herrschaft der Mehrheit, also des Pöbels. Zwei Wölfe und ein
Schaf stimmen ab, ...
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-06, 21:15 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits. hallo Hanspeter,
Dir ist immer noch nicht klar, weshalb
ich Vorbehalte gegen Volksentscheiden als normales Mittel der
Entscheidungsfindung habe. Offenbar war die obige Darstellung vom 03.05. mittels
Tabellen doch zu ungewohnt.
Entscheidend ist die These, dass das
Mehrheitsprinzip zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, je nachdem ob die
Abstimmungen zusammengefasst werden oder nicht.
Man lässt z. B. über 10
Punkte zuerst einzeln abstimmen. Dann fasst man die 10 Punkte zusammen und lässt
über die entstehenden Alternativenbündel abstimmen.
Nun ergibt sich u. U.
ein ganz anderes Resultat. Es kann jetzt ein Bündel die Mehrheit erhalten, das
nicht aus den Resultaten der 10 Einzelabstimmungen besteht!
Der Grund
hierfür liegt daran, dass die einzelnen Entscheidungen für die Abstimmenden von
unterschiedlichem Gewicht sind.
Wenn das richtig ist, so bedeutet das
einen schwerwiegenden Einwand gegen punktuelle Abstimmungen. Noch sehe ich kein
wirkliches Gegenargument.
Es grüßt Euch Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-05-06, 23:05 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Wenn eine Gruppe X mit a abstimmt, kann eine Gruppe Y mit b abstimmen und die
Summe mit C.
Also was soll der ganze Quatsch mit dem Abstimmen?
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Hanspeter am 2007-05-07, 06:01 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo Eberhard,
deine Kritik am Abstimmungsprinzip ist höchst
problematisch.
Sicher ist, dass es zu solchen "Verwerfungen" führen kann.
Und zwar dann, wenn zB. im Punkt 10 Aspekte enthalten, die zwar Punkt A
betreffen, dort aber nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Generell gilt
aber, dass die Gesamtabstimmung über das Bündel aussagekräftiger ist als die
Einzelabstimmungen, weil im Falle der Bündelung eine umfassendere Würdigung und
Beurteilung eines Problems vorliegt.
Etwas anderes aber scheint mir
wichtiger. Ist dir klar, Eberhard, dass deine Kritik jegliche Art von
Abstimmung, auch die im Parlament betrifft? Deine Konsequenz müsste also die
Ein-Personen-Diktatur sein. Und das wirst du ja wohl nicht wollen.
Gruß
HP
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-07, 08:45 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo Hanspeter,
wenn Du meinst, ich sei gegen Abstimmungen nach dem
Mehrheitsprinzip, dann verstehst Du mich falsch. Ich sage nur: das
Mehrheitsprinzip führt bei einer Serie von Entscheidungen zu unterschiedlichen
Ergebnissen, je nachdem, wie man die einzelnen Entscheidungen bündelt. Ich
schlage vor, diese Eigenschaft als "Serienunbeständigkeit" zu bezeichnen.
Diese Serienunbeständigkeit hängt damit zusammen, dass die Mehrheitsregel
als Entscheidungsgrundlage nur die Präferenzordnungen der Abstimmenden
berücksichtig, also nur die wertbezogene Rangfolge der Alternativen für die
einzelnen Individuen.
Es wird nur erfasst, ob Alternative x für ein
Individuum besser ist Alternative y oder nicht. Es wird jedoch nicht erfasst, um
wieviel die Alternative x für das Individuum besser ist als y.
Der
wertmäßige Abstand zwischen den Alternativen bleibt unberücksichtigt.
Es
spielt deshalb für das Ergebnis einer Abstimmung keine Rolle, ob eine
Alternative x für den Abstimmenden nur unwesentlich besser ist als eine
Alternative y oder ob x ideal und y katastophal für das Individuum ist: in
beiden Fällen ergibt sich x > y.
Wenn man jedoch Serien von
Einzelentscheidungen zu einer Gesamtentscheidung bündelt, dann wirken sich die
subjektiven Wertabstände zwischen den Alternativen aus.
Weil bei einer
Bündelung der Einzelentscheidungen zu umfassenden Programmen berücksichtigt
wird, wie wichtig einem Individuum die einzelnen Punkte des Programms sind, ist
eine Entscheidung über solche Programme aussagekräftiger als isolierte
Abstimmungen über die einzelnen Punkten, bei denen dies nicht möglich ist.
Und eben das ist der Grund, warum ich grundsätzlich für eine
Parteiendemokratie bin und nicht für voneinander isolierte Abstimmungen zu den
einzelnen Punkten mit wechselnden Mehrheiten.
Das ist alles sehr
abstrakt, deshalb ein konkretes Beispiel.
Rentner A steht vor der
Entscheidung zwischen dem Wahlprogramm der Orange-Partei und dem Wahlprogramm
der Blau-Partei.
Am Programm der Orange-Partei gefallen Rentner A
mehrere Punkte nicht: 1. dass die Benzinsteuer erhöht werden soll, 2. dass
Schulgebühren eingeführt werden sollen und 3. dass im öffentlichen Dienst
Personal abgebaut werden soll.
Am Programm der Blau-Partei gefällt
Rentner A nur ein Punkt nicht, der besagt, dass die Rentenversicherung nicht
mehr aus Steuermitteln bezuschusst werden soll.
Da die Höhe der Rente für
A von elementarem Interesse ist während die andern 3 Punkte für A keine so große
Rolle spielen, wählt Rentner A trotzdem die Orange-Partei.
Dadurch
bekommen die Punkte Benzinsteuererhöhung, Schulgebührenerhöhung und
Personalabbau im öffentlichen Dienst die Stimme von Rentner A, die sie bei
Einzelabstimmungen niemals erhalten hätten.
Auf parlamentarischer Ebene
folgt daraus, dass die Abgeordneten der regierenden Koalitionsparteien auf das
gesamte Regierungsprogramm eingeschworen werden müssen und sich bei den
Abstimmungen zu den einzelnen Gesetzen an die Fraktions- und Koalitionsdisziplin
halten müssen.
Also von Gutmenschenherrschaft und Ein-Mann-Diktatur keine
Rede.
Es grüßt Dich und alle um theoretische Analyse der politischen
Institutionen und um ein besseres Demokratieverständnis Bemühten
Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-05-07, 09:26 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/07/07 um 08:45:05, Eberhard wrote:Hallo Hanspeter,
wenn Du
meinst, ich sei gegen Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip, dann verstehst Du
mich falsch.
[cheesy] Also schon mal abgestimmt. Die Abstimmerei
wird durch Abstimmen legitimiert.
Quote:Es grüßt Dich und alle um
theoretische Analyse der politischen Institutionen und um ein besseres
Demokratieverständnis Bemühten
Eberhard.
[nospeak]
[nohear] [nosee]
Das bessere Verständnis von Demokratie besteht darin,
dass es eine totalitäre Ideologie ist.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi
am 2007-05-07, 16:20 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi Eberhard und Hanspeter,
soweit ich die Meinungen zurückverfolgen kann,
stößt eine Bündelungen von Vorschlägen zur Abstimmung zu bringen nicht auf
Zustimmung. Vor Wahlen werden gewöhnlich gebündelte Arbeitsvorschläge für die
nächsten 4 Jahre vorgeschlagen. Nur dann ergibt es einen Sinn, denn der Wähler
möchte wissen, warum er seinen Kandidaten unterstützen soll. Dann wird jeder
Wähler seine eigenen Prioritäten bestimmen.
Ansonsten wird der
Gesetzesvorschlag A für den Bürger um kein bisschen interessanter, wenn er in
einer gebündelten Alternative eingebettet ist. Eine Bündelung von
Gesetzesvorschlägen wäre nur dann angebracht, wenn Gesetz C nicht ohne Anpassung
des Gesetzes D möglich wäre. Beispiel das Recht des Bürgers auf
Kinderkrippenplätze ohne einen Vorschlag einer Finanzierung. Es nützt dem Wähler
nichts, wenn er ein verbrieftes Recht auf einen Krippenplatz hat, und es gibt
keine freien Plätze, weil die Finanzierung nicht steht. Aber Gesetzesvorschläge,
die in keiner Abhängigkeit zueinander stehen, lassen das ganze
Abstimmungsverfahren nur undurchsichtig werden. Ein weiteres Beispiel, über die
europäische Verfassung kann auch ohne die Kopplung der Beitrittsfrage der Türkei
zur EU getrennt abgestimmt werden.
Wenn nun die Bündelung von
Gesetzesvorschlägen vom Tisch ist, können wir wieder und der Frage nach dem
Wahlrecht widmen. Auf welche Prioritätenreihenfolge wollen wir uns einigen?
Unabhängigkeit der Presse, keine Medienkartelle.
Keine
Abhängigkeit der Politiker von Fremdgeldgebern, auch keine versteckte.
Dadurch kommen Interessenkonflikte des Abgeordneten ins Spiel, die der Wähler
nicht mehr einschätzen kann.
Volksbefragungen,
das kommt der
Bedeutung des Begriffs Demokratie am nächsten.
Strikte Trennung von
Legislative und Exekutive,
Präsidialwahl, getrennte Wahl des Präsidenten und
des Parlamentes.
Dieses System favorisiere ich, weil dann die Korruption die
geringste Chance hat, sich auszubreiten. Es gibt schließlich das Parlament als
Kontrollorgan.
Verhältniswahlrecht, Koalitionen sind unwahrscheinlich
Neben Volksbefragungen wird es auch Abstimmungen wegen der Vielzahl der
Abstimmungsanträge im Parlament geben.
hedgi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-07, 20:50 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits,
Mir ging es darum, deutlich zu machen, dass bei lauter
isolierten Einzelentscheidungen die Gefahr besteht, dass elementar betroffene
Minderheiten ihre Interessen nicht hinreichend einbringen können.
Wenn
die Wähler zwischen Regierungsprogrammen für eine ganze Legislaturperiode wählen
können, können sie die relative Wichtigkeit der verschiedenen Punkte durch ihre
Wahlentscheidung zum Ausdruck bringen.
Ein anderes Mittel des
Minderheitenschutzes in der Demokratie sind bestimmte Grundrechte, die in der
Verfassung verankert sind.
In Bezug auf die Meinungsfreiheit sind wir
uns wohl einig. Sie ist die Bedingung informierte Entscheidungen der Wähler.
Aber wie ist es zum Beispiel mit den Eigentumsrecht? Inwieweit dürfen
Mehrheitsentscheidungen in das Eigentumsrecht eingreifen, sei es durch Vermögens
und Erbschaftssteuern, sei es durch Beschränkungen privaten Eigentums an
Straßen, Fabriken oder Patenten?
fragt Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
hhmoeller am 2007-05-07, 21:59 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Sehr interessantes Thema!
Ich denke, hier stellen sich zwei voneinander
unabhängige Fragen:
1. Ist es sinnvoll, Entscheidungen aufgrund der
Präferenzordnung der Stimmberechtigten zu fällen?
Hier stellt sich z.B.
die Frage, wer stimmberechtigt sein soll. Fragen der Kompetenz und
Manipulierbarkeit der Stimmberechtigten wurden schon angesprochen.
Ebenso
wichtig ist die Frage:
2. Ist es überhaupt möglich, die Präferenzordnung
der Stimmberechtigten durch ein Abstimmungsverfahren korrekt abzubilden?
Ich denke, daß das nicht möglich ist.
Schon bei der Wahl eines
Parlamentes führt die simple Tatsache, daß keine Bruchteile eines
Parlamentssitzes vergeben werden können, zu Problemen, wie sie in dem Buch
Mathematische Aspekte der Wahlverfahren
(http://www.amazon.de/Mathematische-Aspekte-Wahlverfahren-Mandatsverteilungen-Abstimmungen/dp/3411149019/ref=pd_bowtega_1/302-0967277-3390441?ie=UTF8&s=books&qid=1178564471&sr=1-1)
beschrieben werden. In speziellen Fällen kann das Wahlergebnis von Faktoren
abhängen, die nicht durch die Präferenzordnungen der Stimmberechtigten begründet
sind, z.B. das Alabama-Paradoxon
(http://de.wikipedia.org/wiki/Alabama-Paradoxon), oder das
Wählerzuwachsparadoxon
(http://de.wikipedia.org/wiki/W%C3%A4hlerzuwachsparadoxon). In unserem
Wahlsystem kann es zu Negativem Stimmgewicht
(http://de.wikipedia.org/wiki/Negatives_Stimmgewicht_bei_Wahlen) kommen.
Ich denke, das Haupziel der Demokratie kann daher nicht die Gerechtigkeit der
Entscheidungsverfahren sein. Es ist nur unvollkommen realisierbar. Ihr primäres
Ziel ist es eher, eine Konzentration der Macht zu vermeiden.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Hanspeter am 2007-05-07, 22:57 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo Eberhard,
in deinem Beitrag von Heute, 8:45, nennst du als Beispiel
eine Abstimmung über eine Partei. Ich verstehe nicht, weshalb du einerseits die
Bündelung als problematisch ansiehst (volle Zustimmung meinerseits) und
andererseits für eine Parteiendemokratie wirbst. Da eben hat der Wähler nur ein
Bündel von politischen Intentionen, für das er sich entscheiden kann.
Demgegenüber stehen Referenden, in denen normalerweise nur ein Problem zur
Entscheidung ansteht. Bündelungen sind dort nicht üblich.
Natürlich muss man
Volksentscheide mit Verstand durchführen und am besten bei jeder Entscheidung
die entsprechenden Konsequenzen angeben. Also, um das Beispiel Hedgis
aufzugreifen: "Sind Sie für ein verbrieftes Recht auf Kinderkrippen, wenn dafür
die MWST um sagen wir einen Punkt erhöht wird."
Zumindest wäre diese Regelung
in Ländern wie Deutschland notwendig, in denen die Bevölkerung keine Erfahrung
mit Referenden hat. Ansonsten, wenn es eine ausgewogene Medienlandschaft gibt,
werden die entsprechenden Pro's und Kontra's schon deutlich genug formuliert und
die Leute wissen, was die Wohltaten kosten.
Gruß HP
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-08, 18:03 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits, hallo hhmoeller,
Du schreibst: „Ist es überhaupt
möglich, die Präferenzordnung der Stimmberechtigten durch ein
Abstimmungsverfahren korrekt abzubilden? Ich denke, daß das nicht möglich ist.“
Meine Sicht der Dinge sieht folgendermaßen aus. (Ich hoffe, dass Du mich
nicht wieder missverstehst, Hanspeter)
Das Mehrheitsprinzip als Regel
einer kollektiven Entscheidung besagt, dass derjenige Vorschlag als angenommen
gilt, der bei einer paarweisen Abstimmung mit jedem anderen Vorschlag siegt.
(Wenn keine Mehrheitsalternative existiert, bleibt es Status quo.)
Nun
muss man ein derart aufwendiges Verfahren, bei dem jeder Vorschlag einzeln mit
jedem andern Vorschlag verglichen wird, zum Glück nicht tatsächlich durchführen,
denn es lässt sich zeigen, dass sich eine vorhandene Mehrheitsalternative in
jedem Abstimmungsverfahren durchsetzt, sofern die folgenden Bedingungen gegeben
sind:
1. Jeder Beteiligte hat ein gleiches Gewicht mit seiner Stimme
(bzw. mit seinen Stimmen).
2. Jeder Beteiligte kennen die Präferenzordnungen
der andern Beteiligten bezüglich der zur Abstimmung stehenden Vorschläge
3.
Die Beteiligten können sich untereinander darüber absprechen, wie sie stimmen
werden, und halten sich auch an diese Absprachen.
4. Jeder Beteiligte trifft
diejenigen Absprachen, die zu dem für ihn selbst bestmöglichen Ergebnis führt.
Unter diesen Bedingungen setzt sich eine vorhandene Mehrheitsalternative z.
B, auch bei einer Abstimmung durch, die nach der simplen Regel abläuft: „Der
Vorschlag, der die meisten Stimmen bekommt – also mehr Stimmen als irgendein
anderer - ,gilt als kollektiv gewählt.“
Wenn eine vorhandene
Mehrheitsalternative m nicht gewählt wird sondern irgendeine andere Alternative
y, dann hätten diejenigen, für die m besser ist als y, sich zusammentun können
und mit ihrer Mehrheit und ihrem Stimmgewicht die für sie bessere
Mehrheitsalternative m durchsetzen können.
Wenn man annehmen kann, dass
die Abstimmenden von der anstehenden Entscheidung in ihren Interessen annähernd
gleich stark betroffen sind, so gibt es gute Gründe dafür, dass die Befriedigung
der Interessen der Mehrheit Vorrang hat gegenüber der Befriedigung der
Interessen der Minderheit. Dies gilt umso mehr, je deutlicher die Mehrheit
ausfällt.
Das Mehrheitsprinzip kann jedoch auch dazu führen, dass eine
schwach interessierte Mehrheit eine elementar betroffene Minderheit überstimmt.
Dies ist umso problematischer, je knapper die Mehrheit dabei ausfällt. In
solchen Fällen sollte das Mehrheitsprinzip nicht angewendet werden. .
Was
ich in meinen vergangenen Beiträgen versucht habe deutlich zu machen war, dass
bei isolierten Abstimmungen über einzelne Probleme die Gefahr besteht, dass
Minderheiten in ihren elementaren Interessen überstimmt werden. (Ausgenommen
sind Abstimmungen über Verfassungsänderungen, die alle gleichermaßen angehen.)
Wenn dagegen über ganze Programme abgestimmt wird, die eine Bündelung
zahlreicher Vorschläge beinhalten, ist diese Gefahr gewöhnlich nicht gegeben,
weil die Abstimmenden die Bündel danach auswählen, ob diese in Bezug auf die für
sie entscheidenden Punkte in ihrem Sinne gestaltet sind und weil von der Politik
als ganzer alle gleichermaßen stark betroffen sind.
Dadurch, dass unter
den Bedingungen einer komplexen Großgesellschaft die Entscheidungen auf
Vertreter in Form von Abgeordneten und auf eine geschäftsführende Regierung
verlagert werden müssen, ergeben sich zusätzliche Probleme, die jedoch nicht das
Mehrheitsprinzip als solches betreffen.
Die von Dir, hhmoeller,
genannten Probleme beziehen sich alle auf Probleme der Repräsentation und sind
für die Beurteilung des Mehrheitsprinzips eher marginal, meint
Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi
am 2007-05-08, 22:21 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Als Wähler möchte ich, dass die Partei der ich meine Stimme gebe, sich an ihr
versprochenes Wahlprogramm hält. Ob ich diese Partei das nächste Mal wieder
wähle, hängt stark davon ab, wie sich das Wahlprogramm in der Arbeit einer
Wahlperiode widerspiegelt.
Ein Wähler setzt sich für seine Entscheidung
Prioritäten, und er wird die Teile des Wahlprogramms, die für ihn unrelevant
sind, auch nur uninteressiert verfolgen. Deshalb sollte eine Partei ein Gespür
dafür haben, was dem Wähler wichtig sein könnte.
Ein Beispiel, Herr
Kirchhoff warb bei der letzten Wahl für eine Besteuerung von 25% für alle
Bürger, und argumentierte, wenn der Staat alle Subventionen streicht, der Staat
mehr einnähme als zurzeit. Der Opposition gelang es, das Volk in Angst zu
versetzen, weil über die Kosten, die die Subventionen ausmachen, überhaupt nicht
mehr geredet wurde, und jeder fürchtete, wenn weniger Steuern eingenommen
würden, es den kleinen Mann träfe. Herr Kirchhoff versäumte es, seine Rechnung
dem Volk plausibel vorzurechnen. Es war der Erfolg der gegnerischen Partei,
durch Angstmacherei, eine vernünftige Diskussion über dieses Thema zu
unterbinden.
Es sollten keine willkürlichen Gesetzeszusammenfassungen
dem Parlament unterbreitet werden, sondern nur Vorschläge mit
Gesetzesänderungen, die notwendig sind, um sinnvolle Ergebnisse zu erzielen. Es
leuchtet ein, dass ein Gesetz eine Kette anderer Gesetzesänderungen nach sich
zieht, um Störungen des öffentlichen Lebens zu vermeiden. Auch deshalb sollte
man über Konsequenzen eines neuen Gesetzes schon reden.
Zum
Minderheitenproblem, wir sollten dem Bürger soviel Reife zutrauen, dass er, wenn
es vernünftig in der Presse erklärt bekommt, er nicht egoistisch stimmen wird.
Nun sind wir wieder bei der Vernunft und der Presse angelangt. Das Thema
Kopftuch und Türkeibeitritt zeigt unserer Presse, dass ihr an einer vernünftigen
Entscheidung des Bürgers nicht das Geringste gelegen ist. Was macht sie, sie
hetzt und aktiviert primitivste Instinkte.
Bei einer unabhängigen freien
Presse würden sich objektive Meinungen durchsetzen, und Hetzblätter würden keine
Chance an der Meinungsbildung teilzuhaben mehr haben.
hedgi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Hanspeter am 2007-05-09, 10:12 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo Hedgi,
im Prinzip ist es richtig, dass ein Partei sich gemäß ihrem
Programm orientiert. Und im Prinzip machen das die Parteien ja auch, weshalb die
Programme so schwammig formuliert wurden, dass sie für jeden akzeptabel
erscheinen. Und unter der Verwendung der entsprechenden Rabulistik passen
Programm und Realität stets zusammen.
Zu deinem Lieblingsthema: Freie
Presse. Die kann und wird es nie geben. Das wäre nur möglich, wenn irgendjemand
sie selbstlos finanzieren würde. Aber das gibt es nur im Märchen.
Zum
Thema Kirchhoff. So machtlos ist die CDU/CSU auch wieder nicht, dass sie dessen
Steuerideen nicht ins richtige Licht hätten setzen können. Aber eine Idee, die
kaum jemand will, hat es eben schwer.
Gruß HP
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-09, 17:59 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits,
hallo hedgi,
das Problem der Manipulation der
öffentlichen Meinung durch die Medien verdient eine eigene Runde. In Bezug auf
das Mehrheitsprinzip genügt es festzuhalten, dass das Resultat einer Abstimmung
nach dem Mehrheitsprinzip nicht besser sein kann, als die individuellen
Meinungen, die dem Abstimmungsverhalten der Einzelnen zugrunde liegen.
Zum Mehrheitsprinzip noch einige Anmerkungen.
Es erfüllt verschiedene
wünschenswerte Bedingungen:
Es erfüllt zum einen die Bedingung der
Anonymität in Bezug auf die Abstimmenden. Es spielt keine Rolle, um wessen
Präferenzen es sich handelt. Die Stimmzettel können deshalb geheim und
ausgefüllt werden, ohne die Identität des betreffenden Individuums zu erfassen.
Weiterhin erfüllt das Mehrheitsprinzip die Bedingung der Neutralität
gegenüber den zur Entscheidung stehenden Alternativen. Das heißt, dass kein
Vorschlag gegenüber den anderen Vorschlägen irgendwie bevorzugt oder
benachteiligt wird.
Natürlich erfüllt das Mehrheitsprinzip auch die
Bedingung der Nicht-Diktatur. Das heißt dass kein Individuum mit seinen
Präferenzen entscheidend ist.
Schließlich erfüllt das Mehrheitsprinzip
auch noch die Bedingung der positiven Berücksichtigung der individuellen
Präferenzen. Es verarbeitet die individuellen Interessen gewissermaßen
„wohlwollend“.
Auf einen Aspekt will ich in diesem Zusammenhang noch
aufmerksam machen.
Das Mehrheitsprinzip ist ein reines
Entscheidungsverfahren. Es erzeugt aus sich heraus noch keinerlei Motivation zur
Realisierung der mehrheitlichen Beschlüsse. Deshalb kommt nach manch glorreichen
Mehrheitsbeschluss für Verbesserungen aller Art im örtlichen Verein oft die
peinliche Frage auf: „Und wer macht es nun? Wer führt den Beschluss aus?“ Im
politischen Bereich entspricht das der Frage: „Und wie soll das finanziert
werden?“
Hier unterscheiden sich Abstimmungsverfahren stark von Märkten.
Bei letzteren ist durch den Inhalt des Vertrages klar, wer was zu leisten hat,
und es gibt bei den Vertragspartnern die Motivation zur Erfüllung des Vertrages,
weil sonst der Vertragspartner seine Verpflichtung auch nicht erfüllt.
Zum Mehrheitsprinzip als Entscheidungsregel gehört deshalb immer eine Exekutive,
die mit den nötigen Mitteln zur Durchsetzung bzw. Durchführung der Beschlüsse
ausgestattet ist. Dies ist in Großkollektiven wie den Staaten gewöhnlich ein
„öffentlicher Dienst“, also eine Bürokratie, die durch Abgaben der Staatsbürger
finanziert wird, und deren Mitglieder zu diesem „Dienst“ im Sinne der
mehrheitlichen Beschlüsse motiviert werden müssen.
Dies ist einer der
Gründe, warum Versuche zur „Demokratisierung der Wirtschaft“ mit großen
Problemen belastet sind. Man kann ehrgeizige Wirtschaftspläne aufstellen, aber
wie werden die Menschen motiviert, diese Pläne zu erfüllen. Lenin hatte als
Vorbild die deutsche Reichspost. Entsprechend erfolglos war auch die sowjetische
Planbürokratie, wo es darum ging, neue Produkte, neue Vertriebsformen und neue
Produktionsverfahren zu entwickeln, die das A und O einer modernen Wirtschaft
sind.
Mir scheint, dass bei uns der meiste Unmut am politischen System
nicht auf das Mehrheitsprinzip als solches bezogen ist, sondern auf die
Mehrstufigkeit des Verfahrens, auf die Probleme der wirklichen Vertretung der
Bürger durch Berufspolitiker.
Die Politiker sind ja Menschen, die ihre
eigenen Interessen haben und verfolgen und es bedarf erheblicher Anstrengungen,
um deren Interessen mit den Interessen derjenigen, die sie vertreten sollen,
einigermaßen zur Deckung zu bringen. Die Frage ist: Wird in dieser Hinsicht
genug getan? Welche zusätzlichen Anreize und Kontrollen können zu einer
Verbesserung der Repräsentation der Bürger in der repräsentativen Demokratie
führen?
Verschiedene Vorschläge sind ja schon gekommen. Ich nenne
stichwortartig z. B. die Schaffung von Volksbegehren und Volksentscheiden, die
Offenlegung aller Einkünfte, Beschäftigungsverhältnisse und Mitgliedschaften der
Repräsentanten, die Abwählbarkeit von Repräsentanten.
Meiner Ansicht
nach haben die Medien hier eine besondere Aufgabe, die sich auch im Berufsethos
des Journalisten ausdrücken müsste.
Die Journalisten haben nicht die
Aufgabe, selber Politik zu machen zugunsten dieser oder jener Partei und
Richtung, sondern sie haben die Aufgabe, die gewöhnlich internen politischen
Vorgänge in den Parteien, Parlamenten und Ministerien öffentlich zu machen, die
Tätigkeiten der Politiker zu beobachten, ihre Beziehungen zu Repräsentanten der
Wirtschaft oder der großen Verbände offenzulegen.
Dies kann durch eigene
Recherchen oder durch Zusammenarbeit mit forschenden Wissenschaftlern und
sachkundigen Insidern geschehen. Medien, die sich im Eigentum einzelner Personen
oder Gruppen befinden, können dies nur bedingt leisten.
Nicht der
Tendenzjournalismus linker oder rechter politischer Überzeugungen ist gefragt,
sondern die generelle Aufdeckung von verschwiegenen Fakten, von verdrängten
Problemen und von unangenehmen Wahrheiten.
Hier könnte der deutsche
Journalismus von der BBC noch manches lernen, meint
Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-05-09, 20:19 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/09/07 um 17:59:29, Eberhard wrote:Zum Mehrheitsprinzip noch einige
Anmerkungen.
Es erfüllt verschiedene wünschenswerte Bedingungen:
Es erfüllt zum einen die Bedingung der Anonymität in Bezug auf die Abstimmenden.
Es spielt keine Rolle, um wessen Präferenzen es sich handelt. Die Stimmzettel
können deshalb geheim und ausgefüllt werden, ohne die Identität des betreffenden
Individuums zu erfassen.
Geheim, damit auch jeder VollTrottel
ungestraft seinen Mist wählen kann.
Quote:Weiterhin erfüllt das
Mehrheitsprinzip die Bedingung der Neutralität gegenüber den zur Entscheidung
stehenden Alternativen. Das heißt, dass kein Vorschlag gegenüber den anderen
Vorschlägen irgendwie bevorzugt oder benachteiligt wird.
Du
meinst wohl das Ergebnis der Abstimmung sei fair gegenüber allen Beiteiligten.
Natürlich Blödsinn!
Quote:Natürlich erfüllt das Mehrheitsprinzip
auch die Bedingung der Nicht-Diktatur. Das heißt dass kein Individuum mit seinen
Präferenzen entscheidend ist.
Auch Blödsinn. Man kann sich auch
was Schönreden. In der Demokratie ist jeder Wähler ein kleiner Diktator, der den
anderen seinen Willen aufdrücken will. In einer Monarchie kann das zwar nur
einer, aber das hat auch Vorteile.
Quote:Schließlich erfüllt das
Mehrheitsprinzip auch noch die Bedingung der positiven Berücksichtigung der
individuellen Präferenzen. Es verarbeitet die individuellen Interessen
gewissermaßen „wohlwollend“.
So ein Quatsch! Demokratie ist
Kollektivismus und kein Individualismus.
Quote:Auf einen Aspekt
will ich in diesem Zusammenhang noch aufmerksam machen.
Das
Mehrheitsprinzip ist ein reines Entscheidungsverfahren. Es erzeugt aus sich
heraus noch keinerlei Motivation zur Realisierung der mehrheitlichen Beschlüsse.
Deshalb kommt nach manch glorreichen Mehrheitsbeschluss für Verbesserungen aller
Art im örtlichen Verein oft die peinliche Frage auf: „Und wer macht es nun? Wer
führt den Beschluss aus?“ Im politischen Bereich entspricht das der Frage: „Und
wie soll das finanziert werden?“
Hier unterscheiden sich
Abstimmungsverfahren stark von Märkten. Bei letzteren ist durch den Inhalt des
Vertrages klar, wer was zu leisten hat, und es gibt bei den Vertragspartnern die
Motivation zur Erfüllung des Vertrages, weil sonst der Vertragspartner seine
Verpflichtung auch nicht erfüllt.
Zum Mehrheitsprinzip als
Entscheidungsregel gehört deshalb immer eine Exekutive, die mit den nötigen
Mitteln zur Durchsetzung bzw. Durchführung der Beschlüsse ausgestattet ist.
Aha. Hier kommen wir der eigentlichen Sache endlich näher. "Nötige
Mittel zur Durchsetzung", d.h. Initiierung von Gewalt.
Quote:Dies
ist in Großkollektiven wie den Staaten gewöhnlich ein „öffentlicher Dienst“,
also eine Bürokratie, die durch Abgaben der Staatsbürger finanziert wird, und
deren Mitglieder zu diesem „Dienst“ im Sinne der mehrheitlichen Beschlüsse
motiviert werden müssen.
Dies ist einer der Gründe, warum Versuche zur
„Demokratisierung der Wirtschaft“ mit großen Problemen belastet sind. Man kann
ehrgeizige Wirtschaftspläne aufstellen, aber wie werden die Menschen motiviert,
diese Pläne zu erfüllen. Lenin hatte als Vorbild die deutsche Reichspost.
Entsprechend erfolglos war auch die sowjetische Planbürokratie, wo es darum
ging, neue Produkte, neue Vertriebsformen und neue Produktionsverfahren zu
entwickeln, die das A und O einer modernen Wirtschaft sind.
Mir scheint,
dass bei uns der meiste Unmut am politischen System nicht auf das
Mehrheitsprinzip als solches bezogen ist, sondern auf die Mehrstufigkeit des
Verfahrens, auf die Probleme der wirklichen Vertretung der Bürger durch
Berufspolitiker.
Unmut ist eine Sache. Gründe eine andere.
Quote:Die Politiker sind ja Menschen, die ihre eigenen Interessen
haben und verfolgen und es bedarf erheblicher Anstrengungen, um deren Interessen
mit den Interessen derjenigen, die sie vertreten sollen, einigermaßen zur
Deckung zu bringen. Die Frage ist: Wird in dieser Hinsicht genug getan?
Die Frage sollte eher lauten: Wie kann weniger Quatsch getan werden?
Quote:Welche zusätzlichen Anreize und Kontrollen können zu einer
Verbesserung der Repräsentation der Bürger in der repräsentativen Demokratie
führen?
Um Gottes Willen!
Quote:Verschiedene
Vorschläge sind ja schon gekommen. Ich nenne stichwortartig z. B. die Schaffung
von Volksbegehren und Volksentscheiden, die Offenlegung aller Einkünfte,
Beschäftigungsverhältnisse und Mitgliedschaften der Repräsentanten, die
Abwählbarkeit von Repräsentanten.
Austrittsrecht vergessen?
Quote:Meiner Ansicht nach haben die Medien hier eine besondere
Aufgabe, die sich auch im Berufsethos des Journalisten ausdrücken müsste.
Frommer Wunsch!
Quote:Die Journalisten haben nicht die
Aufgabe, selber Politik zu machen zugunsten dieser oder jener Partei und
Richtung, sondern sie haben die Aufgabe, die gewöhnlich internen politischen
Vorgänge in den Parteien, Parlamenten und Ministerien öffentlich zu machen, die
Tätigkeiten der Politiker zu beobachten, ihre Beziehungen zu Repräsentanten der
Wirtschaft oder der großen Verbände offenzulegen.
Nee, die haben
die Aufgabe Auflagen und Einschaltquoten zu machen, sonst sind sie weg vom
Fenster.
Quote:Dies kann durch eigene Recherchen oder durch
Zusammenarbeit mit forschenden Wissenschaftlern und sachkundigen Insidern
geschehen. Medien, die sich im Eigentum einzelner Personen oder Gruppen
befinden, können dies nur bedingt leisten.
Nicht der Tendenzjournalismus
linker oder rechter politischer Überzeugungen ist gefragt, sondern die generelle
Aufdeckung von verschwiegenen Fakten, von verdrängten Problemen und von
unangenehmen Wahrheiten.
Hier könnte der deutsche Journalismus von der
BBC noch manches lernen, meint
Eberhard.
Lernen muss
hier erst mal wer anders.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-10, 09:13 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo Maulwurf,
Maulwürfe können mit ihrem Maul gut Erde aufwerfen. Zum
argumentieren scheint ihr Maul eher ungeeignet, weil Argumente gewöhnlich aus
einer logischen Abfolge mehrerer ganzer Sätze bestehen.
Grüße an die
Unterirdischen - insbesondere an Ragnar - von
Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-05-10, 09:30 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/10/07 um 09:13:28, Eberhard wrote:Hallo Maulwurf,
Maulwürfe
können mit ihrem Maul gut Erde aufwerfen. Zum argumentieren scheint ihr Maul
eher ungeeignet, weil Argumente gewöhnlich aus einer logischen Abfolge mehrerer
ganzer Sätze bestehen.
Grüße an die Unterirdischen - insbesondere an
Ragnar - von
Eberhard.
Bei Dir reichen kurze
Einwürfe um die "Logik" zu entkräften.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Hanspeter am 2007-05-10, 14:03 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo Eberhard,
ich stimme deinen Ausführungen im Wesentlichen zu. Doch
sie nennen nicht die eigentlichen Probleme.
Unser Problem ist
1.
schlicht und einfach die Tatsache, dass die deutsche Bevölkerung keine
Möglichkeiten hat, auf das politische Geschehen nennenswert Einfluss zu nehmen,
außer dass es in 4 Jahren (incl. Landtagswahlen in zweien) einmal die
Möglichkeit hat, zwischen den gegebenen 5 Parteien die Präferenzen ein bisschen
zu verschieben.
Und zweitens schon auch der Journalismus, nicht aber in
dem Sinn, dass er von der Regierung an die Kandare gelegt wird, sondern vielmehr
darin, dass nur willfährige Journalisten an die Top-Quellen herangelassen werden
und auch von den Polit-Privilegien profitieren können. Ob das in Merry Old
England so viel anders ist, weiß ich nicht.
Dass unser politisches System
aber von den meisten Bundesbürgern als Demokratie bezeichnet wird, ist übrigens
ein schönes Zeichen dafür, wie eine konzertierte Aktion aus Politikern und
Journalisten die Bevölkerung einnebeln kann.
Gruß HP
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-10, 17:41 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits,
hallo Hanspeter,
ich teile Deine sehr negative
Wertung der politischen Institutionen und ihres Funktionierens in Deutschland
nicht. Im Großen und Ganzen entspricht die Politik, die von den Parteien
propagiert und von der Regierung gemacht wird, der Verteilung der politischen
Ansichten in der Bevölkerung.
Der Einfluss der Bevölkerung auf die
Politik erschöpft sich nicht im Ausfüllen des Wahlzettels. Über die
Meinungsumfragen werden die Politiker mit den vorhandenen Ansichten konfrontiert
und sie werden sich hüten, diese vorherrschenden Meinungen zu politischen Fragen
zu ignorieren. Im Gegenteil: manche werfen den Politikern auch "Populismus" und
mangelnde Meinungsführerschaft vor.
Außerdem gibt es zahlreiche
Möglichkeiten, sich politisch zu engagieren: Man kann Parteien beitreten oder
auch selber Wählervereinigungen gründen, um seine Vorstellungen als
Wahlalternative einzubringen, man kann Organisationen mit politisch relevanten
Zielsetzungenen wie Umweltschutzverbänden, beruflichen Interessenverbänden, oder
lokalen Bürgerinitiativen beitreten, man kann an politischen Demonstrationen
teilnehmen, Leserbriefe schreiben, den Abgeordeten des eigenen Wahlkreises
ansprechen oder im Internet politische Aufklärung betreiben.
Das klingt
alles klingt nicht so großartig, aber die Summe all dieser Aktivitäten macht
eine demokratische politische Kultur aus.
Ich glaube nicht, dass diese
Möglichkeiten in Deutschland mit der nötigen Selbstverständlichkeit wahrgenommen
werden. Bei der Politik hört offenbar für viele das nüchterne Denken auf und
stattdessen finden sich dort unpolitisches "Ohne-mich"-Denken oder aber
unbelehrbarer Fanatismus gepaart mit Verschwörungstheorien.
Es fällt oft
nicht leicht, von unterschiedlichen politischen Ansichten aus sachlich
miteinander zu diskutieren. Allzuschnell wird dem Andersdenkenden aus seiner
Position ein Vorwurf gemacht. Nicht selten gibt es auch einen Gruppendruck, wo
es einen gewissen Mut erfordert, der Gruppenmeinung zu widersprechen und
selbstkritische Fragen zu stellen.
Ein geradezu erschreckendes Beispiel
für die Abhängigleit unseres Denkens von der sozialen Umgebung und für das
Einknicken der Einzelnen und ihrer rationalen Argumente vor der Gruppenmeinung
war die Art, wie auf die Rinderseuche BSE reagiert wurde.
Obwohl sich
die Gefahrenlage seit der hysterischen Reaktion vor ein-zwei Jahren mit völligem
Verzicht auf den Verzehr von Rindfleisch nicht wesentlich verändert hat, wird
heute reichlich Rindfleisch konsumiert, ein völlig irrationales Verhalten.
Das zeigt, wie schwach der Einzelne gegenüber Massenhysterie und Panikmache
in seinem Denken und Handeln auch jetzt noch ist - und dass dies nicht nur ein
Problem der Weimarer Republik war.
Wenn hier etwas mehr Zivilcourage der
Einzelnen vorhanden wäre, stünde es um die politische Kultur in unserm Lande
besser, meint
Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-05-10, 22:23 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/10/07 um 17:41:31, Eberhard wrote:Außerdem gibt es zahlreiche
Möglichkeiten, sich politisch zu engagieren: Man kann Parteien beitreten oder
auch selber Wählervereinigungen gründen, um seine Vorstellungen als
Wahlalternative einzubringen, man kann Organisationen mit politisch relevanten
Zielsetzungenen wie Umweltschutzverbänden, beruflichen Interessenverbänden, oder
lokalen Bürgerinitiativen beitreten, man kann an politischen Demonstrationen
teilnehmen, Leserbriefe schreiben, den Abgeordeten des eigenen Wahlkreises
ansprechen oder im Internet politische Aufklärung betreiben.
Warum trittst Du denn nicht (mit "gutem Beispiel" voran) einer der so gelobten
politischen Parteien bei, anstatt ein relativ unpolitisches Philosophieforum mit
Deinem totalitären DemokratenZeugs vollzulullen?
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Hanspeter am 2007-05-10, 23:43 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo Eberhard,
es ist ja sehr schön, dass es so staatstragende Menschen
wie dich gibt. Du läufst sicher nie Gefahr, dass Schäubles Mannen deinen
Computer beschlagnahmen. [cheesy]
Es ist richtig, dass die meisten
Menschen hierzulande gegen die herrschende Politik nicht nennenswert opponieren,
einfach deshalb, weil es ihnen wirtschaftlich gut geht. Als es ihnen unter
Hitler wirtschaftlich gut, vor allem aber wirtschaftlich besser als früher ging,
haben sie ja auch nicht opponiert. Ein satter Deutscher opponiert nicht.
Der Einfluss von Meinungsumfragen zieht nur dann, wenn eine der herrschenden
Parteien besser oder schlechter dabei wegkommt als die andere. Attackieren aber
Meinungsumfragen die beiden großen Parteien gleichermaßen, dann werden sie
ignoriert.
Übrigens, ich weiß nicht, wieviele Menschen jemals ihre
Meinung im Rahmen einer Meinungsumfrage kundgetan haben. Obwohl ich schon
ziemlich lang in diesem Land lebe, mich hat noch nie jemand gefragt.
Dein Beispiel BSE überzeugt mich übrigens nicht. Die anfängliche Hysterie war
die Reaktion auf zum Teil sehr widersprüchliche Presseveröffentlichungen.
Mittlerweile hat sich die Lage beruhigt, also auch das Verbraucherverhalten.
Hier hat die Politik das Problem ja offenbar in den Griff gekriegt.
Gruß
HP
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-11, 09:47 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits,
hallo Hanspeter,
Du schreibst etwas sarkastisch:
"Ein satter Deutscher opponiert nicht." Ganz so unpolitisch sind die Deutschen
nun wiederum auch nicht. Ein Gegenbeispiel ist die Studentenbewegung der 60er
Jahre, die auch ein Abschnitt meiner politischen Entwicklung war. Ich war damals
nicht unterernährt, was die Kalorien betrifft, aber ich war unzufrieden. Ich
wollte das, für das die Generation unserer Eltern nicht die Verantwortung
übernommen hatte, offen legen, um es produktiv verarbeiten zu können, und ich
wollte alle überkommenen Autoritäten auf ihre Berechtigung hinterfragen, um
Platz für neue Entwicklungen zu schaffen.
Es kommt meines Erachtens im
politischen Leben einer Gesellschaft nicht darauf an, dass alle gewissermaßen in
einer politischen Dauermobilisierung verharren, sondern es kommt darauf an, dass
man dann, wenn Gefahren heraufziehen, rechtzeitig dagegen aktiv wird. In
politischen Krisenzeiten müssen die Bürger die Bereitschaft zum demokratischen
Engagement haben, während bei "normalem" Ablauf der Dinge es genügt, sich zu
informieren und die Dinge aufmerksam zu beobachten.
Die damalige
Aufbruchsstimmung und Experimentierfreude hat den geistigen Mief der Ära
Adenauer (man denke nur an den damaligen Bundespräsidenten Lübke) weggeblasen
und den Weg freigemacht für moderne, weltoffene Entwicklungen auf vielen
Gebieten. Sie hat allerdings auch manchen Fehlentwicklungen die Tür geöffnet -
vom Maoismus über die RAF bis hin zur Drogenszene und der Gleichsetzung von
ethischen Normen mit "Repression".
Die für Dich erstaunliche Tatsache,
dass Du noch nie in einer politische Meinungsumfrage befragt wurdest, lässt sich
aufklären. Die Statistiker haben die Theorie der Zufallsstichprobe entwickelt.
Das bedeutet, dass aus der zu untersuchenden Grundgesamtheit nach einem
Zufallsverfahren eine bestimmte Anzahl einzelner Elemente ausgewählt wird.
Wichtig ist, dass jedes Element der Grundgesamtheit die gleiche Chance hat, in
die Stichprobe zu gelangen. (Ein bekanntes Beispiel für eine Zufallsauswahl ist
die Ziehung der Lottozahlen.)
Man kann nun zeigen, dass auch bei
riesigen Gesamtheiten mit vielen Millionen von Elementen eine Zufallsstichprobe
von ca. 1500 Elementen ausreicht, um mit einer geringen
Irrtumswahrscheinlichkeit von den Eigenschaften der Stichprobe auf die
Eigenschaften der Grundgesamtheit zu schließen.
Das heißt z. B., dass
der Anteil der Akademiker in der Zufallsstichprobe mit geringfügigen
Abweichungen dem Anteil der Akademiker in der zu untersuchenden Grundgesamtheit
entspricht. Man kann deshalb von der relativ kleinen Stichprobe auf die gesamte
Bevölkerung "hochrechnen".
Grüße von Eberhard.
p.s.: Hallo
Maulwurf! Kennst Du das Lied: "Wer schmeißt denn da mit Lehm ..."?
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-05-11, 11:15 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Aha, Eberhardt ist also ein verklärter Alt-68er, der noch an die
Selbstheilungskräfte der Demokratie glaubt (wenn alle nur brav mitmachen) und
die Jugend zum rechten politischen Bewußtsein und zur Aufmerksamkeit erziehen
will.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo
am 2007-05-11, 11:55 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi Eberhard,
Quote:Außerdem gibt es zahlreiche Möglichkeiten, sich
politisch zu engagieren: Man kann Parteien beitreten oder auch selber
Wählervereinigungen gründen, um seine Vorstellungen als Wahlalternative
einzubringen, man kann Organisationen mit politisch relevanten Zielsetzungenen
wie Umweltschutzverbänden, beruflichen Interessenverbänden, oder lokalen
Bürgerinitiativen beitreten, man kann an politischen Demonstrationen teilnehmen,
Leserbriefe schreiben, den Abgeordeten des eigenen Wahlkreises ansprechen oder
im Internet politische Aufklärung betreiben.
Als langjähriges
Parteimitglied, das auch nicht vorhat, auszutreten, sehe ich ein Problem, dessen
Ursache ich noch nicht befriedigend analysieren konnte.
Es ist eine Art
Lähmung der politischen Aktivität, die keineswegs mich allein erfasst hat,
sondern die meisten, die ich kenne, und auch öffentlich allgemein beklagt wird.
Es gibt auch andere, allerdings ist das die Minderheit, die sehr aktiv sind,
Anträge machen, Einfluss nehmen, mitarbeiten. Ich sehe dies durchaus positiv,
jedoch lauert bei mir im Untergrund immer der Verdacht sinnloser
Gschaftlhuberei. Zur Befriedigung der Bürgerwünsche wird an den Symptomen
herumkuriert, durchaus ernsthaft und aufrichtig, doch die Fehlentwicklung im
System bleibt und führt zu immer gewaltigeren und am Ende unlösbar erscheinenden
negativen Symptomen.
Die Lähmung erfasst vor allem die klassischen
Regionen, in der die Partei - die SPD - seit fast 200 Jahre die durchaus
kämpferische Interessenvertretung der kleinen Leute war. Heute jedoch ist die
Aktivität übergegangen auf die gutbürgerlichen Stadtteile, in denen die
Mitgliedschaft vorwiegend aus wohl situierten, liberalen Bildungsbürgern
besteht. Während die klassische Klientel verstummt ist. Nicht aus Unvermögen,
sondern aus einem Gefühl der Sinnlosigkeit heraus.
Oft habe ich von ihnen
den Kommentar gehört, die Politiktreibenden seien so abgehoben vom Volk, dass
sie gar nicht mehr wüssten, wie seine Lage sei. Ich kenne natürlich viele
Politiker. Und es gibt viele, die ich menschlich sehr schätze. Ihr Engagement
ist ehrlich. Die machen und tun und schuften und reiben sich auf, aber der
Abstand wird größer und größer. Wie gesagt, ich habe noch nicht befriedigend
analysieren können, woran das liegt. Es muss auf jeden Fall in der Art des
Denkens liegen.
Im Alltäglichen, Banalen zeigt sich die Lebensfremdheit.
Da ist in einem Stadtteil ein Schwimmbad. Das ist marode.
Sanierung
kostet etliche Millionen. Doch die Architektur wird dadurch nicht neuer. Das
Ergebnis bliebe ein langweiliges Nutzbad, wie man es heute fast nicht mehr
gewohnt ist. Trauen die Kommunalpolitiker sich gar nicht, den Bürgern für so
viel Geld so wenig zu bieten.
Den Bürgern zu bieten. Für mich ein ganz
wichtiger Punkt der Denkweise.
Also ist es vernünftiger, das Bad ganz
dicht zu machen und statt dessen das bestehende im Nachbarstadtteil besser
auszubauen: bessere Rutschen, eine zusätzliche Sportbahn und ein beheiztes
Außenschwimmbecken. Argument: in Nachbarstädten gibt es die tollsten
Schwimmbäder, da zieht es die Leute hin.
Ja, ja, nur: die
Verkehrsverbindungen zum Nachbarstadtteil sind schlecht. Man braucht eine halbe
Stunde, um dort hinzukommen, wenn man kein Auto hat. Was machen die Schulen?
Was machen die Leute, die mal eben morgens vor der Arbeit ne Runde Schwimmen
gehen?
Spaßbäder sind teuer. Was ist mit den Schülern, die in den Ferien das
nicht ausgebaute Schwimmbad füllen? Was mit den Familien mit kleinem Einkommen?
Einen Besuch im Zoo z.B. können die sich schon lange nicht mehr leisten. Für 2
Erwachsene und 2 Kinder sind 38 Euro fälllig. Davon kann man beim Aldi ein Kind
einkleiden.
Diejenigen, die tagtäglich die unmodernen, nahe gelegenen
Schwimmbäder füllen, sind allerdings nicht dieselben, die mit Kind und Kegel zum
Schwimmen in die benachbarten Gemeinden fahren; wird übrigens auch noch Fahrgeld
fällig.
Man konkurriert. Aber wer konkurriert - und um wen?
Man
konkurriert. Um die besten Schwimmbäder. Die besten Schulen. Die besten
Wohnungen. Die besten Anlagen. Und reibt sich entsetzt die Augen, wenn die
Statistiker einem um die Ohren hauen, dass die erfolgreiche Konkurrenz an der
Mehrheit der Bevölkerung vorbei geht, die fällt einfach raus, wie durch ein
Sieb, dessen Löcher immer größer werden. Und während die im Sieb verbliebenen
sich abspaddeln, müssen die Herausgefallenen irgendwie zusehen, ihr Leben in der
Gemeinschaft der Herausgefallenen neu zu organisieren.
Ein Systemfehler,
Eberhard. Produziert durch einen Denkfehler. Was ist Demokratie, wenn ein
Großteil der Bevölkerung aus dem Sieb gefallen ist?
Gruß
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-05-11, 12:59 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/11/07 um 11:55:48, Abrazo wrote:... sehe ich ein Problem, dessen
Ursache ich noch nicht befriedigend analysieren konnte.
Das ist
ziemlich einfach zu analysieren. Mit Politik sollen Gesetze, also
allgemeingültige Regeln gemacht werden. Es werden also keine Empehlungen
erarbeitet und die Bevölkerung lebt danach, weil es ihr nützt, sondern der Zweck
von Politik besteht darin Normen mittels Gewaltmonopol gegen den Willen vieler
durchzusetzen. Das ist das Mittel, das der Staat besitzt; und da diejenigen die
Politik machen es nicht anders nutzen können als mit Gesetzen gegen den Willen
vieler, machen sie auch keine Vorschläge wie man es nicht gegen den Willen
vieler machen kann, sondern wie man Vorschläge mächtig macht, damit man sie mit
Gewalt durchsetzen kann. Das kann gar nicht anders enden als in einer nationalen
Kakophonie, in der jeder versucht auf Kosten des anderen zu leben und in der
jeder jeden misstrauen muss.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo
am 2007-05-11, 13:29 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Entschuldige, aber das ist doch dämlich.
Die Politik ist ebensowenig eine
Person, die bestimmen und Macht haben könnte, wie der Staat. Denken und
entscheiden können nur Menschen, und nur nach ihrer Denkweise kann man sinnvoll
fragen.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-05-11, 14:37 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/11/07 um 13:29:53, Abrazo wrote:Entschuldige, aber das ist doch
dämlich.
Die Politik ist ebensowenig eine Person, die bestimmen und Macht
haben könnte, wie der Staat. Denken und entscheiden können nur Menschen, und nur
nach ihrer Denkweise kann man sinnvoll fragen.
Ich habe nichts
von einer Politik als "Person" gesagt. Aber ein politisches System findet ein
Eigenleben darin, wie sich Menschen entscheiden. Damit beschäftigt sich unter
anderem die Public Choice School.
Unbegründete Anwürfe von wegen dämlich
fallen immer auf den Verfasser zurück.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo
am 2007-05-11, 15:40 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Die Public Choice Theorie ist m.E. eine Ideologie, deren Grundvoraussetzungen
nicht belegte, genauer gesagt, problemlos widerlegbare, Glaubensannahmen sind.
Philosophisch ist dies vollkommen wertlos.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi
am 2007-05-11, 15:50 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi Eberhard und Hanspeter
Prinzipiell kann jede Demokratie Gerechtigkeit
garantieren, egal ob wir eine parlamentarische oder Präsidialdemokratie mit
Mehrheits- oder Verhältniswahlrecht haben, ein besonderer Status und ein Schutz
für Journalisten wäre vonnöten, der sie in die Lage versetzt ihre
Aufklärungstätigkeit unbehelligt zu tätigen. Außerdem bräuchten wir
Pressegesetze, die Kartellbildungen und sonstige Abhängigkeiten verhindern. Die
Probleme durch eine gleichgeschaltete Presse sollten für jeden offen
zutagetreten. Nicht umsonst machten wir genügend schlechte Erfahrungen mit der
Manipulation (http://www.philtalk.de/msg/1138920246-15.htm#24) durch die Medien.
Denn gegen die Gefahren durch eine verhexte Sprache ist der Bürger wehrlos.
Für Maulwurf: das Austrittsrecht ist bei uns unangetastet. Es könnte
höchstens Probleme mit den Aufnahmeanträgen in einen anderen Staat geben. Der
Staat der seinen Bürgern ein Austrittsrecht verweigerte war die DDR. Versuche
dieses Recht zu erzwingen wurden für gewöhnlich mit einer mehrjährigen
Gefängnisstrafe geahndet.
hedgi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-05-11, 16:08 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/11/07 um 15:40:04, Abrazo wrote:Die Public Choice Theorie ist m.E.
eine Ideologie, deren Grundvoraussetzungen nicht belegte, genauer gesagt,
problemlos widerlegbare, Glaubensannahmen sind.
Philosophisch ist dies
vollkommen wertlos.
Eine bzw. sogar eine ganze Ansammlung von
Ideologien, deren ökonomische und ethische Grundlagen unbewiesen sind, ist der
Demokratismus, dem Du anhängst.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-05-11, 16:20 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/11/07 um 15:50:12, hedgi wrote:Hi Eberhard und Hanspeter
Prinzipiell kann jede Demokratie Gerechtigkeit garantieren, egal ob wir eine
parlamentarische oder Präsidialdemokratie mit Mehrheits- oder
Verhältniswahlrecht haben, ein besonderer Status und ein Schutz für Journalisten
wäre vonnöten, der sie in die Lage versetzt ihre Aufklärungstätigkeit
unbehelligt zu tätigen. Außerdem bräuchten wir Pressegesetze, die
Kartellbildungen und sonstige Abhängigkeiten verhindern. Die Probleme durch eine
gleichgeschaltete Presse sollten für jeden offen zutagetreten. Nicht umsonst
machten wir genügend schlechte Erfahrungen mit der Manipulation
(http://www.philtalk.de/msg/1138920246-15.htm#24) durch die Medien. Denn gegen
die Gefahren durch eine verhexte Sprache ist der Bürger wehrlos.
Für
Maulwurf: das Austrittsrecht ist bei uns unangetastet. Es könnte höchstens
Probleme mit den Aufnahmeanträgen in einen anderen Staat geben. Der Staat der
seinen Bürgern ein Austrittsrecht verweigerte war die DDR. Versuche dieses Recht
zu erzwingen wurden für gewöhnlich mit einer mehrjährigen Gefängnisstrafe
geahndet.
hedgi
Erstens kann ein Staat nix garantieren,
sondern höchstens konstituieren.
Zweitens weiß ich nicht wovon Du redest.
Es gibt in keinem Staat ein anerkanntes Sezessionsrecht. Der Anspruch dessen
erzeugt sofort das Einschreiten zentralistischer Gewalt.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo
am 2007-05-11, 17:00 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Quote:Eine bzw. sogar eine ganze Ansammlung von Ideologien, deren
ökonomische und ethische Grundlagen unbewiesen sind, ist der Demokratismus, dem
Du anhängst.
Mensch in der Vielzahl unterscheidet sich von
Mensch in der Einzahl u.a. dadurch, dass individuelle subjektive Irrtümer durch
die anderen in der Regel erheblich relativiert werden. Von daher ist, was
richtige Entscheidungen betrifft, die Vielzahl auf jeden Fall zuverlässiger als
die Einzahl. Aber auch zuverlässiger als spezielle Gruppen, die sich aufgrund in
etwa gleicher Weltbilder gebildet haben; weil das, was an diesen gleichen
Weltbildern fehlerhaft ist, von der Gruppe, die sie vertritt, gar nicht erkannt
werden kann.
Dieses Prinzip (Konsensprinzip) kann nur außer Kraft gesetzt
werden, wenn eine Gesellschaft nach mehr und weniger Mensch unterscheidet, das
Menschsein also quantitativ wertet. Und genau das finden wir bei allen
Diktaturen und Oligarchien: einem Teil der Gesellschaft wird die Fähigkeit der
Beurteilung und Entscheidung oder gleich der Wert als Mensch abgesprochen.
Rein juristisch widerspricht damit eine Diktatur oder Oligarchie der in
unserem Grundgesetz verankerten Menschenwürde.
Über die ethische
Verankerung der Menschenwürde zu sprechen, dazu habe ich hier keine Lust. Wer
hier widerspricht, kann sich ja erst mal z.B. mit Kant befassen.
Und die
ökonomischen Grundlagen der Demokratie interessieren in diesem Zusammenhang
keinen Schwanz.
Gruß
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-05-11, 18:09 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/11/07 um 17:00:24, Abrazo wrote:Mensch in der Vielzahl unterscheidet
sich von Mensch in der Einzahl u.a. dadurch, dass individuelle subjektive
Irrtümer durch die anderen in der Regel erheblich relativiert werden. Von daher
ist, was richtige Entscheidungen betrifft, die Vielzahl auf jeden Fall
zuverlässiger als die Einzahl.
Da kann ich nur lachen. Welcher
Philosoph behauptet denn das?
Quote:Aber auch zuverlässiger als
spezielle Gruppen, die sich aufgrund in etwa gleicher Weltbilder gebildet haben;
weil das, was an diesen gleichen Weltbildern fehlerhaft ist, von der Gruppe, die
sie vertritt, gar nicht erkannt werden kann.
Was denn? Und wieso
hat das mit einem Weltbild zu tun? Es kann ja eine unterdrückte Minderheit
geben, z.B. die Hanf-Raucher. Ist das automatisch zu verurteilen, was die
Hanf-Raucher tun, nur weil eine Mehrheit eine andere Meinung hat?
Quote:Dieses Prinzip (Konsensprinzip) kann nur außer Kraft gesetzt werden,
wenn eine Gesellschaft nach mehr und weniger Mensch unterscheidet, das
Menschsein also quantitativ wertet. Und genau das finden wir bei allen
Diktaturen und Oligarchien: einem Teil der Gesellschaft wird die Fähigkeit der
Beurteilung und Entscheidung oder gleich der Wert als Mensch abgesprochen.
Kann man nicht unbedingt sagen, dass eine Monarchie weniger
Entscheidungsfreiheit läßt. Klar ist das ungerecht, wenn ein Monarch sich ein
Wampe anfressen darf, aber deswegen führt dies nicht zwingend zu mehr Unrecht.
Quote:Rein juristisch widerspricht damit eine Diktatur oder
Oligarchie der in unserem Grundgesetz verankerten Menschenwürde.
Über die
ethische Verankerung der Menschenwürde zu sprechen, dazu habe ich hier keine
Lust. Wer hier widerspricht, kann sich ja erst mal z.B. mit Kant befassen.
Und die ökonomischen Grundlagen der Demokratie interessieren in diesem
Zusammenhang keinen Schwanz.
Gruß
Über was gedenkt der
Herr denn zu diskutieren? Ich bin ja nicht für Diktatur und gegen Kant oder
Menschenwürde.
Im Gegenteil! Der Kat. Imperativ ist auch kein Freischein für
Demokratie. Und die Menschenwürde ist erst mal ein Grundrecht für die Freiheit
und nicht für das Gesetz.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi
am 2007-05-11, 20:20 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Maulwurfs abtwort auf #105:
Quote:Erstens kann ein Staat nix garantieren,
sondern höchstens konstituieren.
Zweitens weiß ich nicht wovon Du
redest. Es gibt in keinem Staat ein anerkanntes Sezessionsrecht. Der Anspruch
dessen erzeugt sofort das Einschreiten zentralistischer Gewalt.
Du hast
an anderer Stelle gefragt
Quote:Austrittsrecht vergessen?
Dich
hindert niemand an der Ausreise, die dich von weiteren Steuerzahlungen und
Sozialkostenbeiträgen entbindet.
Provinzen haben bei uns noch nie für
einen Austritt gestimmt, aber für einen Beitritt zur BRD Deutschland. Wenn man
beitreten kann, kann man auch austreten.
Um den Bürgern Gerechtigkeit zu
garantieren brauchen wir keine neuen Institutionen zu konstituieren. Für
Gerechtigkeit könnten Gesetze sorgen. Natürlich kann Gerechtigkeit nur über ein
Gewaltmonopol einer demokratisch gewählten Regierung garantiert werden.
Ich setze voraus, dass für dich ebenfalls die allgemein anerkannten Werte
gelten, was bei den meisten normal veranlagten Menschen der Fall sein dürfte.
hedgi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-11, 20:40 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits,
hallo Abrazo,
Du zeichnest ein bedrückendes Bild von
der Situation an der sozialdemokratischen Basis, das wohl die Lage richtig
wiedergibt. Nicht umsonst hat es eine linke Abspaltung von der Partei gegeben.
Ursache hierfür sind reale Probleme, mit denen sich unsere Gesellschaft
konfrontiert sieht.
1. Die Vergreisung.
Stark verlängerte
Lebenserwartungen erhöhen den Anteil der Rentner an der gesamten Bevölkerung und
erfordern mehr Geld für die Rentenkassen.
Geburtendefizite verschieben
das Verhältnis zwischen der Anzahl der Arbeitenden und der Anzahl der Rentner
zugunsten der Rentner.
Das gestiegene Durchschnittsalter geht mit mehr
gesundheitlichen Problemen einher und erfordert mehr Mittel für die Gesundheit.
2. Die Globalisierung.
Durch die stark verbesserte
Telekommunikation und die Entwicklung der Transportmöglichkeiten konkurrieren
die Produktionsstätten in Deutschland immer direkter mit Produktionsstätten in
Asien und Osteuropa, in denen die Löhne, die Sozialabgaben und die
Umweltbestimmungen weitaus weniger Kosten verursachen. Damit werden ganze
Branchen in Deutschland unrentabel.
Die großen Kapitaleigner planen
multinational und sind weniger an die alten „Heimatländer“ gebunden. So wird
ohne Zögern ein Standort im Inland aufgegeben und dafür im Ausland produziert.
3. Die Staatsverschuldung
In vielen Ländern haben die Politiker zu
lange den bequemsten und geräuschlosesten Weg gewählt, um Probleme zu
überdecken: das Ausgeben von geliehenem Geld.
Die verantwortlichen
Politiker waren meist nur 5 bis 8 Jahre im Amt, die Schulden, die sie
hinterließen, waren aber noch weitere 20 bis 30 Jahre abzutragen.
Diese
unverantwortliche Politik wurde der Öffentlichkeit als Problem erst voll
bewusst, als die Wachstumsraten gegen Null gingen.
Angesichts dieser
realen Probleme sind Wahlen und Neuwahlen keine Allheilmittel. Mit diesen
Problemen hat jede Regierungsmehrheit - gleich welcher Couleur - zu kämpfen.
Deshalb ist Enttäuschung über die mangelnden Erfolge der amtierenden Regierung
oder gar über die Demokratie als solche häufig unangebracht.
Entscheidend ist, ob die Probleme realistisch gesehen werden und die richtigen -
wenn auch nur langfristig wirksamen - Gegenmaßnahmen energisch eingeleitet
wurden.
Im Augenblick sind in der Politik wohl keine Blumentöpfe zu
gewinnen, befürchtet
Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Hanspeter am 2007-05-11, 21:39 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo,
@hedgi. Ein unabhängiger Journalismus ist sicher eine
wünschenswerte Sache. Doch wer garantiert, dass uns nicht auch die Journalisten
manipulieren wollen. Vielfach zeichnet sie eine klar fixierte Ideologie aus, die
zu proparieren ihnen wichtiger ist, als der Wahrheit zu dienen.
@Eberhard.
Die Vergreisung der Gesellschaft als Problem darzustellen, ist
schon recht merkwürdig. Da bemühen sich unsere Halbgötter in Weiß, unser Leben
immer mehr zu verlängern und dann ...
Ja, sollen sie es auch noch schaffen,
dass wir mit 80 so agil sind wie mit 40?
Und, wer war es denn, der uns so
ein idiotisches Rentensystem aufgedrückt hat, uns einen "Generationenvertrag"
suggerierte, den nie jemand unterzeichnet hat? Das waren die "Volksvertreter",
die nur eins damit erreichten, den Leuten Wahlgeschenke zu verpassen, damit sie
diese Lügner auch wieder wählt.
Das selbe gilt auch für die
Staatsverschuldung.
Und die Globalisierung? Die hat sich die Industrie,
nach Zahlung entsprechender Spenden, von der Politik durchpauken lassen. Die
Bevölkerung fragte niemand, wohl wissend, dass sie zB einem Beitritt von Polen,
Tschechien und den anderen Oststaaten nicht zugestimmt hätten.
Gruß HP
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-05-11, 21:45 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/11/07 um 20:20:28, hedgi wrote:Maulwurfs abtwort auf #105:
Du hast
an anderer Stelle gefragt
Dich hindert niemand an der Ausreise, die dich von
weiteren Steuerzahlungen und Sozialkostenbeiträgen entbindet.
Provinzen
haben bei uns noch nie für einen Austritt gestimmt, aber für einen Beitritt zur
BRD Deutschland. Wenn man beitreten kann, kann man auch austreten.
Um
den Bürgern Gerechtigkeit zu garantieren brauchen wir keine neuen Institutionen
zu konstituieren. Für Gerechtigkeit könnten Gesetze sorgen. Natürlich kann
Gerechtigkeit nur über ein Gewaltmonopol einer demokratisch gewählten Regierung
garantiert werden.
Ich setze voraus, dass für dich ebenfalls die
allgemein anerkannten Werte gelten, was bei den meisten normal veranlagten
Menschen der Fall sein dürfte.
hedgi
> Maulwurfs
abtwort auf #105: Zitat:
>
>Erstens kann ein Staat nix garantieren,
sondern höchstens
>konstituieren.
>
>Zweitens weiß ich nicht wovon
Du redest. Es gibt in keinem
>Staat ein anerkanntes Sezessionsrecht. Der
Anspruch dessen
>erzeugt sofort das Einschreiten zentralistischer Gewalt.
>Du hast an anderer Stelle gefragt Zitat:
>Austrittsrecht vergessen?
>Dich hindert niemand an der Ausreise, die dich von weiteren
>Steuerzahlungen und Sozialkostenbeiträgen entbindet.
Dich hindert auch
nix daran Euren Unrechtssataat woanders zu gründen, also ohne mich.
>Provinzen haben bei uns noch nie für einen Austritt gestimmt,
>aber für
einen Beitritt zur BRD Deutschland. Wenn man beitreten
>kann, kann man auch
austreten.
Bayern hat noch nie für den Eintritt gestimmt. Abstimmungen
für einen Austriitt waren noch nie legitimiert.
Aber vor allem ist das
Quatsch eine Demokratie über Abstimmung zu gründen. Das ist methodisch so als
würde die Diktatur durch den Monarchen begründet oder die UdSSR durch Beschluss
des Obersten Sowjets.
>Um den Bürgern Gerechtigkeit zu garantieren
Du kannst nix garantieren.
> brauchen wir keine neuen Institutionen
zu konstituieren. Für Gerechtigkeit könnten Gesetze sorgen.
Wessen
Gerechtigkeit? Wessen Gesetze?
>Natürlich kann Gerechtigkeit nur über ein
Gewaltmonopol einer demokratisch gewählten Regierung garantiert werden.
Wetten das nicht.
> Ich setze voraus dass für dich ebenfalls die
allgemeine anerkannten Werte gelten, was bei den meisten normal veranlagten
Menschen der Fall sein dürfte.
Keine Ahnung welche Werte Du meinst, aber
die Initiierung von Gewalt ist bei Dir auf jeden Fall dabei, bei mir aber nicht.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-11, 23:39 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo Maulwurf,
Ist der Auschluss eines Menschen von der Nutzung eines
Gutes keine Gewalt? Wer verbietet das? Der Eigentümer? Wer sagt denn, dass es
überhaupt privates Eigentum gibt? Wer hat denn das Eigentumsrecht erfunden?
fragt Dich Eberhard.
p.s.: Bitte inhaltliche Argumente und keine
Literaturverweise!
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo
am 2007-05-12, 00:22 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi Eberhard,
nein, das ist es nicht.
Quote:Deshalb ist
Enttäuschung über die mangelnden Erfolge der amtierenden Regierung oder gar über
die Demokratie als solche häufig unangebracht.
Die Enttäuschung
über die Demokratie kannste einem eingefleischten Demokraten wie mir nicht
anhängen. Und auch nicht den vielen anderen - wie soll ich sie nennen,
Unzufriedenen? - die die Demokratie jederzeit mit Zähnen und Klauen verteidigen
würden. Die Kritik kommt nicht aus den Reihen der labilen Demokraten, die im
Zweifel nach dem starken Mann oder zumindest nach dem starken Team rufen, das
alles regeln soll, sie kommt aus den Reihen der in der Wolle gefärbten
Demokraten. Es ist keine Kritik am Prinzip der Demokratie, sondern an ihrer
gegenwärtigen praktischen Ausgestaltung, eine Gegenwart, die schon ein paar
Jahre anhält.
Aber ich denke, ein Element, das de facto zum Widerwillen,
sich an der Politik zu beteiligen führte, kann ich damit schon einmal freilegen:
die Angst der sich als verantwortliche Kaste begreifenden Politiker vor dem
Volk. Auch Du hast anscheinend die politische Horrorvision verinnerlicht, das
Volk könne sich von der Demokratie abwenden, wenn man ihm nicht genug Zuckerln
gibt. Ist gewiss eine Spezialität unserer Geschichte.
Die Trennung
zwischen Politikern und Volk ist eine merkwürdige Sache, und ich weiß nicht, ob
das in anderen Kulturen genau so ist. Wobei ich jetzt nicht auf die, meist
jüngeren oder eher am Rand der Gesellschaft stehenden, reflektiere, die ohnehin
jeden, der ein bisschen was zu sagen hat, und sei es der Amtsleiter vom
örtlichen Sozialamt, als Bonzen bezeichnen und grundsätzlich alles nur aus der
Froschperspektive betrachten und insofern fern jeder Vorstellung demokratischer
Möglichkeiten sind. Ich rede von der wirklich lächerlichen Trennung, die seit
Jahrzehnten schon diejenigen machen, die sich, selbst unten an der Basis, mit
Politik befassen. Da ist notorisch die Rede vom Volk, das dieses oder jenes
nicht versteht, das man also erst einmal aufklären müsse. Im Grunde sagst Du das
ja auch:
Quote:Diese unverantwortliche Politik wurde der Öffentlichkeit
als Problem erst voll bewusst, als die Wachstumsraten gegen Null gingen.
Der Öffentlichkeit war das nicht bewusst. Sag, kannst Du das beweisen?
Denk an das, was ich oben gesagt habe: die Zuckerln, mit denen man das Volk
demokratisch bei der Stange hält. Hat das Volk denn diese Zuckerln tatsächlich
eingefordert? Klar, wenn man sie kriegt, nimmt man sie mit und klagt nicht. Aber
wo hat denn das Volk die Regierung zwecks Geldausgeben unter Druck gesetzt?
Trennung von Politik und Volk. Schau Dir die Parteibasis an. Wenige
Facharbeiter, die große Masse besteht aus kleinen und mittleren Angestellten,
und dann natürlich die unvermeidlichen Lehrer und Juristen. Denn ein Jurist
sollte immer ein Parteibuch haben. Mit Anwälten kann man die Straße pflastern
und an die begehrten Gehaltsjobs kommt man nur mit Parteibuch. Und sie alle sind
der Meinung, dass sie nun das Volk aufklären müssten (vielleicht eins der
unguten Erbteile der '68, als die Studenten morgens am Fabriktor standen, um die
Arbeiter aufzuklären). Dass sie selbst das Volk sein könnten, kam ihnen gar
nicht in den Sinn. Dass das Volk ihnen weit überlegen sein könnte, weil es aus
etlichen Millionen Lebenserfahrenen, Experten, bis hin zu den hochkarätigen
Intellektuellen besteht, alles Volk, kamen sie gar nicht drauf. Das Volk sind
nicht wir, das Volk sind die anderen. Die sind dumm und höchstens labile
Demokraten, die man mit Zuckerln ruhig stellen muss, damit die uns in der
internationalen Öffentlichkeit nicht blamieren. Fängt an an der untersten Basis
und geht hoch bis in die Regierung. Und mit dieser Einstelllung wurde
jahrzehntelang Politik gemacht.
Und jetzt, wo kein Geld mehr da ist,
braucht man die Politik der harten Hand, und die ist denen gegenüber, die
ohnehin immer nicht allzu viel hatten, verdammt hart, da muss man eben durch,
ja, das Volk kann sich radikalisieren, wenn es die gewohnten Zuckerln nicht mehr
bekommen kann, also muss man Stärke zeigen. Gegen wen? Gegen das Volk. Warum? Um
die Demokratie nicht zu gefährden.
Hä?
Wie soll ich diese Politik
nennen? Politikmarketing, mit dem Ziel, das Volk durch Sonderaktionen an die
Marke Demokratie zu binden? Denn ab und an ein Zuckerl, das überlegen sie sich
immer noch. Wie das ausgebaute Spaßbad. Um dessentwillen leider ein anderes,
bürgernahes altes Bad dichtgemacht werden soll. Weil, soviel Geld ist nun auch
wieder nicht da.
Problem: eine solche Politik ist nicht demokratisch.
Ich könnte auch sagen: die Deutschland AG plant notorisch am tatsächlichen
Bedarf vorbei.
Die Basis hat das inzwischen gemerkt. Da läuft was schief.
Die wissen nicht mehr wie es, nein, jetzt ist es nicht mehr das Volk, wie es uns
geht. Denn auf einmal haben die vergreisten Omas und Opas ihre längst
erwachsenen Kinder am Hals, die keine Arbeit finden, mit der sie ihre Familien
ausreichend ernähren können, und die Omas und Opas machen sich Sorgen: was wird,
wenn wir sterben und unsere gute Rente wegfällt, mit der wir immer noch
zubuttern können? Heimlich, damit bloß das Arbeitsamt nichts merkt, weil es das,
was wir ihnen geben, sofort wieder als Einkommen vom Hartz IV abzieht, das
hinten und vorne nicht reicht? Wir dürfen keine Pflegefälle werden, denn das
kostet unser kleines Vermögen, und das brauchen die Kinder, weil die niemals
genug Rente kriegen werden. Du sprichst vom Problem der Vergreisung. Vielleicht
wird das mal ein Problem. Jetzt jedenfalls ist es keins. Es ist nicht das
Problem der siebzigjährigen Parteimitglieder mit den vierzigjährigen Kindern,
die, weil schon zu alt, keinen Arbeitsplatz mehr finden.
Überleg Dir das
mal. Auch die alte Tante SPD ist vergreist (wenn auch komischerweise anscheinend
die meisten Jungen ausgerechnet zu den ältesten, lahmsten Haufen kommen und sich
da offenbar sauwohl fühlen). Aber wer sind diese ollen Sechzig-, Siebzig-,
Achtzigjährigen? Wir haben da sogar noch Leute, die sich daran erinnern, wie der
Vater schnell die Mitgliederlisten in die Parteikasse gepackt und im
Schrebergarten vergraben hat, als die Nazis kamen. Das ist Urgestein. Ein ganzes
Leben als treuer, engagierter Parteisoldat. Die haben halbe Nächte durchgetagt,
Plakate geklebt, sich auf Veranstaltungen die Beine in den Bauch gestanden, die
kannten jeden im Viertel, waren Institutionen, an die man sich mit jedem Problem
wenden konnte, Viertel, da hieß es, da kannste nen rot angestrichenen Besenstiel
hinstellen und der wird gewählt. Staatstreue Demokraten bis ins Mark. Und genau
diese Leute helfen ihren Angehörigen, Freunden und Bekannten mit ihrem in langen
Jahren erworbenen Wissen dabei, den Staat nach Strich und Faden zu bescheißen.
Warum? Weil die anders nicht mehr zurecht kommen. Weil das nicht mehr ihr Staat
ist. Und genau diesen Satz habe ich von einem alten, kreuzbraven, schon
kleinbürgerlich-konservativen Parteigenossen gehört. Sein Sohn hat die
Familientradition gebrochen und ist voller Zorn ausgetreten. Der Vater hat ihn
verstanden.
Quote:Wir leben in Zeiten, da in der Not auch der
einzelne das wird nehmen dürfen, was er zur Erhaltung seines Lebens und seiner
Gesundheit notwendig hat, wenn er es auf andere Weise, durch seine Arbeit oder
durch Bitten, nicht erlangen kann.
(Joseph Kardinal Frings, 31.12.1946
Nein, Kohlenklauen gehen sie natürlich nicht. Aber von der Mentalität
her geht es doch in diese Richtung.
"Politik machen für die Bürger".
Der Teufel steckt im "für", Eberhard. Denn wer für die Bürger was tut, sieht
sich selbst nicht als Bürger an.
Abschließend - sieh mir die Länge nach,
aber ich bin nun mal ein eingefleischter Demokrat, die Sache liegt mir am Herzen
- noch ein praktisches Beispiel.
Karl Lauterbach, Gesundheitspolitiker,
informierte über die Gesundheitsreform. Ich wies darauf hin, mit den ganzen
Quoten und Berechnungen sei das Gesetz doch viel zu kompliziert, das könne kein
Arzt, kein Lohnbuchhalter und erst recht kein Normalbürger lesen und verstehen.
Seine Antwort: "Die Bürger brauchen keine Gesetze zu lesen. Die sollen sie
befolgen." Du kannst Dir gewiss vorstellen, dass Abrazo mit dieser Antwort nicht
einverstanden war, und auch, dass ein Donnerwetter tief aus Abrazos zornigem
Herzen heraus nicht von schlechten Eltern ist [cheesy].
Dazu ist zu
sagen, der Lauterbach ist ein wirklich anständiger Kerl. An seinem aufrichtigen,
kämpferischen Engagement für soziale Gerechtigkeit ist kein Zweifel. Dennoch
sagt er mit flappsiger Selbstverständlichkeit so einen Satz, merkt gar nicht,
was er da sagt (allerdings hatte ich vor paar Wochen den Eindruck, dass bei ihm
zwischenzeitlich was geklingelt hat). Und das zeigt die Mentalität der Politik
für die Bürger. Man analysiert, was - nach eigener Meinung - der Bürger gerne
hätte und was er braucht, gleicht das ab mit dem, was unter den gegenwärtigen
Bedingungen möglich ist, streitet mit den anderen Fraktionen, die meinen, dass
der Bürger etwas anderes gerne hätte und etwas anderes braucht, streitet auch,
welche Richtung die Entwicklung der Gesellschaft nehmen sollte, heißt, wie ihre
Bürger sich in Zukunft verhalten, was sie lernen, was sie denken sollten, und
einigt sich dann auf einen Vertrag, der hier Gesetz genannt wird, dessen
Vertragspartner die im Parlament vertretenen Parteien und auch die betroffenen
Institutionen (Krankenkassen, Konzerne, Behörden) sind - und in dem die Bürger
als Vertragsgegenstände zu funktionieren haben. In der Tat, Vertragsgegenstände
brauchen die Verträge nicht zu verstehen, sie haben sich ihnen nur zu fügen.
Gruß
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo
am 2007-05-12, 08:41 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
P.S.:
Schau Dir den "lupenreinen Demokraten" Putin an, der argwöhnisch die
Demokratie bewacht und sie schützt - vor dem russischen Volk.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-05-12, 10:02 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/11/07 um 23:39:05, Eberhard wrote:Hallo Maulwurf,
Ist der
Auschluss eines Menschen von der Nutzung eines Gutes keine Gewalt? Wer verbietet
das? Der Eigentümer? Wer sagt denn, dass es überhaupt privates Eigentum gibt?
Wer hat denn das Eigentumsrecht erfunden?
fragt Dich Eberhard.
p.s.: Bitte inhaltliche Argumente und keine Literaturverweise!
Hast Du kein Eigentum? Nein?! Prima, dann komme ich bei Gelegenheit vorbei
und hole das herrenlose Zeugs ab, was Du untergestellt hast.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-12, 11:13 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Bitte beeil Dich, damit Du noch vor der Müllabfuhr da bist!
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-05-12, 11:29 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Das Notebook nehm ich auch mit. [applause]
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-12, 13:46 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits,
hallo Abrazo,
Du kritisierst die Kaste der
Politiker, die sich „dem Volk“ entfremdet haben.
Ich habe als einen
Grund hierfür genannt, dass - wegen des geltenden Wahlverfahrens - für die
Regierungsbildung in der Regel Koalitionen erforderlich sind. Dies bedeutet,
dass das Regierungsprogramm erst nach der Wahl ausgehandelt wird, ohne dass die
Wähler darüber noch einmal befinden können.
Wenn dagegen das
Wahlverfahren direkt zur Mehrheit einer Partei führt, wird der Wille der Wähler
direkter in Politik umgesetzt. Dann hat eine Mehrheit diese Politik gewählt.
In Deutschland kommt gegenwärtig verschärfend hinzu, dass eine große
Koalition regiert, die sich auf eine komfortable Mehrheit im Parlament stützen
kann. Das verführt die Regierenden natürlich in verstärktem Maße dazu, ihren
Stiefel durchzuziehen und sich nicht viel um Kritiker und die Stimmung in der
Bevölkerung zu kümmern.
Aber ich will von der aktuellen politischen
Diskussion noch mal zur theoretischen Analyse und Bewertung des
Mehrheitsprinzips zurückkehren.
Im Mehrheitsprinzip haben alle
Beteiligten das gleiche Stimmrecht. D.h., dass ihre Interessen gleichgewichtig
in die kollektive Entscheidung eingehen. Man könnte annehmen, dass dadurch die
Vormachtstellung bestimmter Gruppen unmöglich gemacht wird.
Dies ist
jedoch ein Irrtum.
Demokratie kann ohne weiteres einhergehen mit der
Vorherrschaft einzelner Gruppen.
Wenn in einer gegebenen Wahlsituation
eine bestimmte Gruppe Machtpositionen innehat, so kann sie diese Machtposition
zur Beeinflussung des Abstimmungsergebnisses benutzen.
Sie kann dies auf
zweierlei Wegen tun.
Erstens kann sie mit ihren besonderen Mitteln auf
die Meinungsbildung Einfluss nehmen.
Zum andern kann sie ihre
Machtposition auch dazu gebrauchen, dass es bei einem für sie ungünstigen
Wahlergebnis, zu Folgewirkungen kommt, die für eine Mehrheit der Wähler sehr
negativ sind. Da die Wähler dies wissen, verzichten sie von vornherein auf ein
Votum, das die mächtige Gruppe beeinträchtigen würde.
Ein Beispiele für
diesen Mechanismus ist das Problem der Kapital- und Steuerflucht. Wenn
mehrheitlich eine Politik beschlossen würde, die die Interessen der Vermögenden
angreift, so wären Kapitalflucht und Steuerflucht die Folge. Dies würde zu
erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten führen.
Es ist also im
Interesse der Wähler, dass ein solcher Fall nicht eintritt.
Wie ist so
etwas möglich, wo doch die Wahlentscheidung aller Beteiligten geheim bleibt und
frei von Sanktionen und Sanktionsdrohungen ist?
Durch ihre
Machtpositionen können die Mächtigen die zur Verfügung stehenden Alternativen
einschränken. Dies kann völlig legal sein und stellt insofern keine unzulässige
Erpressung dar.
Dass es bei der Einführung einer drastischen
Vermögenssteuer zu einer Kapital- und Steuerflucht ins Ausland kommt, ist
allerdings kein Naturgesetz sondern beruht auf menschlichen Entscheidungen und
Handlungen.
Das heißt: Eine eigentlich vorhandene Alternative (Die
Vermögenssteuer wird erhöht, die Vermögen bleiben im Lande und die erhöhten
Abgaben werden gezahlt) ist nicht verfügbar, weil die Vermögenden in einer
bestimmten Weise auf einen für sie nachteiligen Mehrheitsbeschluss reagieren.
Entsprechendes gilt für andere Machtpositionen. Etwa wenn zum Zeitpunkt der
Wahl das Militär eine Machtposition einnimmt und im Falle eines Wahlerfolges
einer radikalen Partei, deren Ziele sie nicht billigen, per Staatsstreich die
Macht übernimmt.
Um dies zu vermeiden, verzichten viele Wähle dann von
vornherein auf die Wahl der radikalen Partei.
Durch die Machtposition
wird die äußerlich freie Wahlentscheidung insofern verändert, als der Bereich
der verfügbaren Alternativen eingeschränkt wird. Die eigentlich mögliche
Alternative: „Die radikale Partei erhält die Mehrheit und das Militär hält
still“ ist damit nicht mehr verfügbar.
Damit werden die Wähler in ihrer
Wahlfreiheit jedoch auf eine schwer zu fassende Weise eingeschränkt. Auch in
dieser Hinsicht ist die Anwendung des Mehrheitsprinzips also kein Allheilmittel.
Grüße an alle Interessierten von
Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Hanspeter am 2007-05-12, 22:23 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo Eberhard,
du schreibst:
"Demokratie kann ohne weiteres
einhergehen mit der Vorherrschaft einzelner Gruppen."
Richtig. Und
dagegen muss man prinzipiell nichts haben. Dass größere Gruppen einflussreicher
sind als kleine ist nun einmal das Wesen der Demokratie.
Zu deinen
Überlegungen zum Thema Kapitalflucht.
Die BRD hat wesentliche Teile ihrer
politischen Macht an ausländische Institutionen abgegeben, wie etwa an die EU,
an die UNO, an die WTO usw. Daraus folgt: Die prinzipiell möglichen Maßnahmen
gegen Kapitalflucht funktionieren nicht mehr.
Damit ist die BRD nur noch
bedingt handlungsfähig und damit ist eine Demokratie in Deutschland nur noch
bedingt möglich.
Gruß HP
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi
am 2007-05-13, 13:03 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi Hanspeter,
eine Abgabe von Aufgaben an übernationale Gremien, muss
nicht von vornherein eine Kontrolle privater Organisationen mit
Heuschreckeneigenschaften erschweren.
Es kann durchaus sinnvoll sein,
wollen wir ein Europäische Union vergleichbar mit der USA, Aufgaben europäischen
Gremien zu überklassen, weil bestimmte Pflichten einer Regierung zentral besser
erledigt werden können. Wegen der Wichtigkeit für den Bürger, wäre auf jeden
Fall eine Billigung der Verfassung durch das Volk unverzichtbar. Nur so kann
Missbrauch durch lobbyistische Gruppen verhindert werden. Natürlich würde eine
vor einer Volksbefragung vorangehende Aufklärungskampagne mehr Kosten
verursachen, als wenn Regeln still und heimlich durch die Gremien gepeitscht
würden. Aber in einer Demokratie lässt es sich nun einmal nicht so bequem
regieren, wie in einer diktatorisch geführten Republik.
Du hast in einem
vorangegangenen Text, auf die Probleme einer freien unabhängigen Presse
hingewiesen. Wenn es uns gelänge eine Gleichschaltung der Presse zu verhindern,
könnten sich unabhängig unterschiedliche Meinungen etablieren. Der Bürger kann
nur durch Vergleiche zu einem unabhängigen Urteil kommen. Auch für einen
Journalisten ist es schwierig, wenn andere Zeitungen auf Denkfehler hinweisen,
diesen Weg durchzuhalten.
Weil in der Presseberichterstattung Defizite
nicht mehr zu übersehen sind, besteht meiner Ansicht nach, dringend
Handlungsbedarf.
hedgi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Hanspeter am 2007-05-13, 18:37 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo Hedgi,
du schreibst: "eine Abgabe von Aufgaben an übernationale
Gremien, muss nicht von vornherein eine Kontrolle privater Organisationen mit
Heuschreckeneigenschaften erschweren."
Muss nicht, aber de facto
erschwert es doch, weil nun Gesetze schwerer durchzusetzen sind.
Und im
EU-Raum ist es fast unmöglich, die Kapitalflucht einzuschränken. Wenn zB.
Österreich keine Erbschaftssteuer verlangt, dann ist es für Deutschland kaum
möglich, sie einzuführen. Und natürlich neigt jedes Unternehmen dazu, seinen
Sitz in das Land zu verlagern, das die günstigsten Steuersätze bietet.
Zur Pressefreiheit. Wie könnte man deiner Ansicht nach die Gleichschaltung der
Presse verhindern?
Gruß HP
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi
am 2007-05-13, 22:14 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi Hanspeter,
ein gemeinsames Europa halte ich nur für sinnvoll, wenn wir
in wichtigen Fragen eine einheitliche Gesetzgebung haben. Da eine einheitliche
Steuerpolitik dazu führt, dass für alle, die in Europa ihren Lebensunterhalt
verdienen müssen, unter den gleichen Vorraussetzungen leben können. Wenn überall
in Europa die gleichen Steuern gezahlt werden, werden sich auch die
Lebensunterhaltskosten auf einem gleichen Niveau einpendeln. Es muss nicht alles
angepasst werden. Aber wichtig ist eine gemeinsamen Politik nach außen, eine
gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik, wichtig ist auch eine grobe
Abstimmung in der Bildungspolitik, wobei regionale Unterschiede durchaus
wünschenswert sein können. Den Folgen der Globalisierung werden wir eher hilflos
gegenüberstehen, wenn es uns nicht gelingt, Ungleichbehandlungen in Steuerfragen
innerhalb Europas abzubauen.
Die Medien zu reformieren halte ich für
eine bedeutend größre Herausforderung. Im Interesse des Bürgers kann eine
Zeitung nicht ihre Hauptaufgabe im Geldverdienen sehen. Deshalb sollten sich
keine starken Geldgeber in Zeitungen einkaufen können. Auch politische Parteien
sollten sich nicht an Zeitungen beteiligen, es genügt, wenn sie ihre eigene
Parteizeitung herausgeben. Jedes Blatt sollte sich eigenständig verwalten. Es
ist nicht notwendig, dass ein Konzern wie Springer für unterschiedliche
Schichten eine eigene Zeitung herausgibt. Z. B. die Bild und die Welt
unterscheiden sich dermaßen, dass sie ohnehin eine unterschiedliche Klientel
bedienen. Ein Journalist muss unter einem besonderen Schutz stehen, sodass er
seiner Informationspflicht ohne Repressalien zu befürchten, nachkommen kann. Wie
gesagt, Meinungsvielfalt sollte Vorrang vor Gewinnerwirtschaftung haben. Es gibt
eben Felder, deren Allgemeininteresse nicht von einer freien Marktwirtschaft
beherrscht werden kann. Das trifft auch auf die Gesundheitspolitik zu. Eine
allgemeine Versicherungspflicht lässt eben keine freie Marktwirtschaft zu.
hedgi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo
am 2007-05-13, 22:47 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi Eberhard,
das ist mir zu einfach gedacht.
Zunächst, das Wort
vom Vorsitzenden der Deutschland AG hat, wenn ich mich recht erinnere, Schröder
geprägt, und der regierte in einer Koalition mit den Grünen.
Zum zweiten:
der springende Punkt ist imho, dass es gar nicht irgendwelche egoistische
Mächtige sind, die beschließen, ätsch, wir wandern jetzt ab, sondern dass sie
sich dazu gezwungen sehen, von den Verhältnissen, von der Wirtschaft. Die
Hauptmacht haben keine einzelnen Gruppierungen, die Hauptmacht hat ein Begriff.
Es ist ein Begriff, der Menschen gegen ihren Willen dazu zwingt, so zu
entscheiden, wie sie entscheiden. Das ist absurd, und es muss erst einmal ins
Bewußtsein gelangen, dass dies eine Absurdität ist.
Gruß
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-14, 10:42 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits,
die Wahl des Landesparlaments in Bremen ist ein Anlass,
einige von uns diskutierte Punkte des Mehrheitsprinzips daran festzumachen, und
auf Aspekte zu verweisen, die bisher nicht zur Sprache kamen.
Zuerst noch
mal das Ergebnis anhand der Sitze in der Bremer Bürgerschaft.
SPD 33 /
CDU 23 / Grüne 14 / Linke 7 / FDP 5 / DVU 1
Es gibt also insgesamt 83
Sitze. Für die Wahl der Landesregierung wird somit eine Mehrheit von 42 Sitzen
benötigt.
Rein rechnerisch erreichen folgende 5 Koalitionen 42 Sitze und
könnten damit theoretisch regieren:
SPD + CDU = 56
SPD + Grüne = 47
SPD + Linke + FDP = 45
CDU + Grüne + FDP = 42
CDU + Grüne + Linke = 44
Dies ist eine gewisse Bestätigung für die These, dass die eigentliche Wahl
der Bürger keine direkte Entscheidung über die Politik der nächsten Jahre
darstellt. Die Regierungskoalition und das Regierungsprogramm ergeben sich erst
aus den Verhandlungen der Parteien, die hinter verschlossenen Türen geführt
werden.
Aufgrund der unterschiedlich großen Differenzen zwischen den
politischen Positionen der Parteien scheiden davon einige rechnerisch mögliche
Koalitionen als unwahrscheinlich aus.
Wenn man versucht, die Parteien
auf einer politischen Links-Rechts-Dimension anzuordnen, ergibt sich
wahrscheinlich folgendes Bild:
….Linke….Grüne………......……SPD…..…….....…FDP….....…CDU….….DVU
…..===….======….===============.....==….=========….=
..……7……….14…………….....….33…......…………..5……..….23……..……1
Bei dieser
Anordnung besetzt die SPD die Mitte. Jede Koalition gegen die SPD wäre instabil,
sodass als mögliche Koalitionen nur die Kombinationen SPD + CDU und SPD + Grüne
in Frage kommen. Aber bei dieser Entscheidung hat der Wähler nichts mitzureden.
Wenn man jedoch die SPD links von den Grünen einordnet und die FDP rechts
von der CDU, so ergibt sich folgendes Bild:
.…….Linke….………SPD….................Grüne……......CDU…......FDP...DVU
……..===….===============….======….=========….===….=
.....….7……………....33…………….....…...14………….....23……..….…5….…1
In diesem Fall
besetzen die Grünen die Mitte und hätten die Wahl zwischen einer Koalition mit
der SPD und einer Koalition mit CDU und FDP.
Gegenwärtig erscheint dies
aber als ausgeschlossen. Außerdem wäre die Mehrheit in der Bürgerschaft mit 42
Sitzen denkbar knapp, wenn man die zu erwartende Zerreißprobe bei den Grünen im
Falle einer Koalition mit der CDU und der FDP berücksichtigt. Wenn nur ein
Grüner deshalb zur SPD wechseln würde, so wäre die Mehrheit bereits dahin.
Die Wahl hat weiterhin gezeigt, dass das parlamentarische System das
Aufkommen neuer Parteien nicht prinzipiell verhindert.
Das große Problem
bei dieser Wahl sind allerdings die 43 % der Wahlberechtigten, die gar nicht zur
Wahl gegangen sind, meint
Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-05-14, 15:18 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/14/07 um 10:42:24, Eberhard wrote:Das große Problem bei dieser Wahl
sind allerdings die 43 % der Wahlberechtigten, die gar nicht zur Wahl gegangen
sind, meint
Eberhard.
Das sehe ich genau umgekehrt. Die
57%, die zur Wahl gegengen sind, sind das große Problem.
Was ist
eigentlich, wenn die Wahlbeteiligung unter 50% sinkt? Ist dann die Demokratur
abgewählt? LOL
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi
am 2007-05-14, 19:09 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi allerseits,
das Mehrheitswahlrecht lässt meistens kein regieren
außerhalb geschlossener Koalitionen zu. Nur Bayern scheint hier eine Ausnahme zu
sein.
Wenn wir die Fernsehberichte uns noch einmal in Erinnerung rufen,
dann ist zu mindest die Arithmetik auf den Kopf gestellt.
Über
Stimmenverluste dürfte sich keine Partei freuen können. Die Verlustliste wird
von der SPD gefolgt von der CDU angeführt. Aber die SPD frohlockte wie ein
Sieger. Die CDU schien es der SPD übel zu nehmen, dass sie sich nicht mit ihr
als gemeinsamer Verlierer solidarisierte. Für uns stellt sich nun die Frage, wie
sollen wir den Sieger festmachen? Wenn die Zahlen nicht mehr zählen, dann das
Stimmungsbarometer. Danach ist die SPD der Sieger dieser Wahl.
Als
Wähler würde ich von meiner gewählten Partei erwarten, dass sie sich einen
Koalitionspartner wählt, dessen Wahlprogramm dem der eigenen Partei am nächsten
kommt. Da Dreierbündnisse bisher noch nie lange hielten, in Bremen wurde das
schon einmal zwischen SPD FDP und Grün versucht, brauchen wir nur mögliche
Zweierkoalitionen zu betrachten. In der alten Koalition könnten beide Parteien
so weiterregieren wie bisher, und die Erwartungen der Wähler dürften nicht
enttäuscht werden. Es wird weiter gewurstelt. Als Schuldner führt Bremen bereits
die Schuldnerliste an, weiter nach vorn geht nicht. Die Grünen dürften für die
SPD ein bequemer Partner sein, da sie ihren Wählern nichts versprochen haben,
was sie nach der Wahl einhalten müssten. Sie wollen sich für den Klimaschutz
einsetzen, aber damit hat Bremen nichts mit zu tun. Also sind keine
Schwierigkeiten in den kommenden Verhandlungen zu erwarten, mehr Senatorenposten
als die CDU besetzt hatte werden die Grünen nicht verlangen. Außerdem haben sie
sich in der Bundespolitik als bequemer Partner erwiesen, denn sie haben alles
mitgetragen was Schröder von ihnen verlangte. Der stärkste Bremsklotz in
Koalitionsverhandlungen ist wenn ein Verhandlungspartner seine eigene Identität
aufs Spiel setzen muss.
hedgi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-15, 06:39 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits,
durch die Zweistufigkeit wird das Mehrheitsprinzip in
seinem Funktionieren schwer überschaubar.
Stufe 1: Die Wähler wählen das
Parlament, das entsprechend den Stimmenverhältnissen für die Parteien
zusammengesetzt wird (Verhältniswahlrecht).
Stufe 2: Das Parlament wählt
mit der Mehrheit der Abgeordneten eine Regierung.
Wenn keine Partei eine
absolute Mehrheit (d.h. mehr als die Hälfte der Abgeordneten) erhält, müssen
Koalitionen gebildet werden. Über die Koalitionen entscheiden nur die
Abgeordneten. Die Wahl eines Regierungschefs, die gewöhnlich in geheimer
Abstimmung erfolgt, kann durch einen einzigen, anonym bleibenden Abgeordneten
verhindert werden, wie bei der letzten Regierungsbildung in Schleswig-Holstein
geschehen.
Eine derartige Verselbständigung von Vertretern gegenüber
denen, die vertreten werden sollen, ist in anderen gesellschaftlichen Bereichen
nicht üblich. Nach § 168 des Bürgerlichen Gesetzbuches kann derjenige, der eine
Vertretungsvollmacht erteilt hat, diese auch jederzeit widerrufen.
Durch
das Verhältniswahlrecht kommen jedoch viele Abgeordnete nicht durch Direktwahl
in einem Wahlkreis in das Parlament sondern über Listenplätze, d.h. über
Parteibeschlüsse. Sie repräsentieren nicht eine bestimmte Gruppe von Wählern,
sondern nach § 38 des Grundgesetzes sind die Abgeordneten Vertreter des ganzen
Volkes. Sie sind nicht an Weisungen oder Aufträge gebunden sondern nur ihrem
Gewissen verantwortlich.
In dieser Formulierung bleibt unklar, ob der
Passus: „Sie sind Vertreter des ganzen Volkes“ bedeutet, dass alle Abgeordneten
zusammen das ganze Volk vertreten sollen, oder ob jeder einzelne Abgeordnete das
ganze Volk vertreten soll.
In dieser Konstruktion haben die Bürger ihre
Entscheidungsgewalt tatsächlich unwiderruflich für die Dauer der
Legislaturperiode an die Abgeordneten abgetreten.
Wenn man die
Formulierung „Sie sind Vertreter des ganzen Volkes" so versteht, dass das
Parlament als Ganzes das ganze Volk vertreten soll, dann wäre das Parlament eine
Art verkleinertes Modell der Wählerschaft, das nun an Stelle der Gesamtheit der
Wähler die politischen Entscheidungen erzeugt.
Die Frage ist, ob sich
das Parlament als Modell analog zur Gesamtheit der Wähler verhält.
Um
nur ein Problem einer solchen Repräsentationstheorie zu nennen: Wo sind im
Parlament diejenigen repräsentiert, die ihr Wahlrecht nicht ausgeübt haben? Wie
Bremen zeigt, können die Nichtwähler ja einen großen Prozentsatz der Bevölkerung
ausmachen. Müsste es deshalb nicht konsequenter Weise eine Wahlpflicht geben,
wie in Belgien, um die Repräsentativität des Parlamentes in dieser Hinsicht zu
sichern?
Vielleicht gibt es unter uns Kenner des Staatsrechts, die mir
hier auf die Sprünge helfen können, hofft
Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi
am 2007-05-15, 13:36 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi allerseits,
der §168 des BGS greift bei der Wahl nicht, da eine
abgegebene Stimme aus technischen Gründen nicht mehr widerrufen werden kann.
Prinzipiell spielt die Direktwahl keine Rolle, da ein Abgeordneter sich immer
dem Fraktionszwang unterordnen wird, weil er in der folgenden Wahlperiode seine
Aufstellung im Wahlkreis und seinen Listenplatz nicht verlieren möchte.
Ein Wähler entscheidet nach dem Parteiprogramm und nicht nach dem Sympathiewert
des Abgeordneten. Kein Kandidat kann dem Programm widersprechende Versprechungen
abgeben, da er in diesem Fall jede Glaubwürdigkeit verlöre. Der Fall Heinrich
der SPD ist ein Beispiel, bei dem sich der Wähler fragen müsste, warum ist Herr
Heinrich noch Mitglied dieser Partei.
Berücksichtigen wir die Tatsache
des Fraktionszwanges, würde die Abgabe der zweiten Stimme völlig ausreichen. Das
Parteiprogramm ist das, für was der Wähler sich entscheidet. Wenn der Wähler
sich für ein Wahlprogramm entscheidet, müssen wir uns allen Ernstes fragen, ob
unser Mehrheitswahlsystem das Richtige für uns ist. Ein Verhältniswahlrecht nach
englischem Muster oder eine Präsidialdemokratie würde eher den Willen des
Wählers abbilden.
Wenn wir nun Minderheitsrechte mit berücksichtigen
wollten, dann müssten wir das ganze Wahlsystem ändern. Dann müssten wir dem
Wähler von einem dafür qualifizierten Institut einen Fragebogen ausfüllen
lassen, und das Institut wählt aus der Auswertung der Fragebögen die Partei oder
Koalition aus, die am besten den Mehrheitswillen der Bevölkerung widerspiegelt.
Eine Auswertung des Fragebogens würde bereits den Durchschnittsbürger
überfordern.
Nun ein Wahlzwang wäre Gewaltausübung gegen den Wähler,
oder Beleidigung des Wählers, weil er indirekt für unmündig erklärt würde. Wir
können voraussetzen, dass der Nichtwähler sich etwas dabei denkt, wenn er sich
der Stimmenabgabe verweigert. Zwängen wir ihn, könnte er seine Ablehnung durch
eine ungültige Stimmenabgabe kundtun. Nur noch durch eine elektronische
Stimmenabgabe ließe sich die Teilnahme kontrollieren und auf Gültigkeit hin
testen, dann bestände aber die Gefahr der personengebundenen Registrierung der
Stimmenabgabe.
Daraus lässt sich erkennen, wir sollten uns über die
Motive der Wahlverweigerung Gedanken machen.
hedgi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Hanspeter am 2007-05-16, 07:39 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo Hedgi,
das Problem der Minderheitenrechte stellt sich bei uns
normalerweise nicht. ZB. stehen SPD-Wähler in Bayern auf der Roten Liste der zu
schützenden Arten und genießen entsprechende Zuwendung. ;-).
Schön wäre
es, wenn wenigstens die Wünsche der Mehrheit von den Politikern stets
entsprechend berücksichtigt würden.
Die Motive der Wahlverweigerung sind
sehr einfach. Wenn jemand die Wahl zwischen Pest, Cholera, Typhus, Aids und
Syphilis hat, tendiert er nun einmal zur Wahlverweigerung.
Gruß HP
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo
am 2007-05-17, 09:47 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi,
Quote:Müsste es deshalb nicht konsequenter Weise eine Wahlpflicht
geben, wie in Belgien, um die Repräsentativität des Parlamentes in dieser
Hinsicht zu sichern?
Es gibt dafür eine einleuchtende Begründung,
ich hab sie allerdings vergessen.
Was ich hier in vielen Postings sehe,
ist die eingewachsene und de facto undemokratische Vorstellung, Volk und
Parlament bzw. Regierung seien prinzipiell zwei scharf voneinander getrennte
Sachen. In der Praxis ist das nicht der Fall. In der Praxis kommt diese Trennung
durch mangelhaftes politisches Engagement der Bürger zustande. Nun hat jeder
Bürger das Recht, sich um Politik nicht zu kümmern. Hieraus jedoch den Schluss
zu ziehen, er könne sich grundsätzlich nicht um Politik kümmern und keinen
Einfluss nehmen, ist falsch.
Für die Kandidatenkür, die durch die
Parteien erfolgt - wer keiner Partei angehört oder von ihr getragen wird, hat
auch keine Chance, gewählt zu werden, der normalerweise nicht politisch
engagierte und entsprechend bekannte Einzelbürger findet noch nicht mal die für
die Aufstellung nötigen Unterstützerunterschriften, wenn er sich auf den
Marktplatz stellt und sagt: "wählt mich!" - gibt es zwei Wege:
Der
Regelfall ist die Ochsentour. Jemand tritt in eine Partei ein, engagiert sich,
redet mit, und zwar gut, nimmt an Schulungen teil, wird also zum Politiker
ausgebildet, wandert per Wahl seitens der ihn stützenden Parteimitglieder durch
die Gremien in eine Spitzenposition, und wird schließlich für geeignet befunden,
die mehrheitliche Auffassung seiner Basis in den Parlamenten (da gibts ja
mehrere, Kommune, Land, Bund und Europa) zu vertreten. Man kennt ihn also, man
schätzt ihn, man traut ihm, man ist bereit, sich im Wahlkampf für ihn als
eigenen Kandidaten abzurackern. Ist ja auch ein Problem: ohne Parteibasis ist
kein Wahlkampf zu machen, die ganze ehrenamtliche Arbeit, die da zu tun ist,
kann keine Partei bezahlen.
Seltener ist der Fall, dass von den
Spitzengremien der Partei einer, der zwar Parteimitglied ist (ist noch
selteneren Fällen muss sogar das nicht sein), aber ansonsten mit der
Parteiarbeit an der Basis nicht viel zu tun hatte, wegen seiner Fähigkeiten und
seines Wissens zum Kandidaten gekürt wird. Z.B. einer, der hohe Kompetenz in der
Gesundheitspolitik hat. Oder in Sachen Migration. Sagt die Parteispitze, den
brauchen wir unbedingt, denn wir brauchen für diesen Bereich nen
Fachmann/Fachfrau. Denn die Hauptparlamentsarbeit wird in den Ausschüssen
gemacht. Wie aber will einer, der nicht weiß, was Krankenkassensätze sind, wie
die Bevölkerung sich entwickelt, wie die Verbreitung welcher Krankheiten in
welchen Gegenden/Schichten/Altersgruppen sich verteilt, Gesundheitspolitik
machen? Wie will ein netter Mensch mit großen, gläubigen Idealistenaugen
berüchtigt-ausgefuchsten Vertretern der Pharmaindustrie entgegentreten? So einen
machen die rettungslos alle. Sollte man auch bedenken. Für manche politische
Aufgaben braucht man gemeine Schweinehunde.
Nu hat man den Kandidaten.
Für den braucht man nen Wahlkreis. Einen, der gerade mal frei ist, wo also der
alte Mandatsträger aufhört. Problem: aufstellen tut den die Basis. Und die sagt
im Zweifel: "wie, unser Kandidat? Wat soll dat? Wir haben uns schon selber einen
ausgeguckt." Und der möchte das natürlich auch gerne machen. Im Zweifel endet
das trotz aller Werbe- und Überzeugungsmaßnahmen in einer Kampfabstimmung.
Wer ist nun die Parteibasis? Ein Stück Volk (auch wenn etliche absurderweise
meinen, mit dem Parteieintritt seien sie nicht mehr gemeines Volk). Bevor also
einer überhaupt zum Kandidaten gekürt ist, hat er schon reichlich Bekanntschaft
mit dem gemacht, was Demokratie ist.
Als Mandatsträger kann sich das
verlieren, und zwar dann, wenn das 'übrige Volk' nicht demokratisch denkt. Wenn
es Politiker als Sonderkaste betrachtet, die mit dem Volk nichts zu tun haben,
wenn es sie als 'die da oben' ansieht, deren Überlegungen und Entscheidungen man
hinnehmen müsse wie weiland die Überlegungen und Entscheidungen der Regierung
seiner Majestät Kaiser Wilhelm. Damit spricht man bei den Brüdern das an, was
man niedere Instinkte nennt, die die natürlich genau so haben, wie jeder andere
Mensch auch (Philosophen vielleicht weniger, aber die taugen dafür nicht als
Politiker [cheesy] ). Konkret: die Eitelkeit. Hau einem Menschen nur oft genug
um die Ohren, er sei was Außergewöhnliches, was Besonderes, was Großartiges, und
er glaubt das und verhält sich entsprechend.
Altbekanntes Fazit (lange
Rede, kurzer Sinn): jedes Volk hat die Politiker, die es verdient. Kein Wunder,
sind ja Marke Eigenbau des Volkes.
Gruß
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Meisterdieb am 2007-05-17, 20:43 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
[cool]
Wir Feinde des allgemeinen Wahlrechtes hören nicht auf, uns über
den Enthusiasmus zu wundern, den die Wahl einer Handvoll Unfähiger durch einen
Haufen Inkompetenter weckt.
Anders als die im Dienste staatsbürgerlicher
Gesinnungsertüchtigung verbreitete Meinung, daß eine niedrige Wahlbeteiligung
politisch höchst bedenklich sei, ist gerade der Prozentsatz der Wahlenthaltungen
ein Gradmesser der Freiheit.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo
am 2007-05-17, 21:05 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi Meisterdieb,
Quote:Wir Feinde des allgemeinen Wahlrechtes hören
nicht auf, uns über den Enthusiasmus zu wundern, den die Wahl einer Handvoll
Unfähiger durch einen Haufen Inkompetenter weckt.
Und Du und
Deinesgleichen, Ihr seid also fähig und kompetent?
Sag mal: wodurch hast Du
das unter Beweis gestellt?
Was hast Du in Sachen Gemeinwohl getan?
Hat's
funktioniert?
Sag: wo hattest Du Erfolg?
Wer bittet Dich um Hilfe? Wer
erzählt Dir, was ihm konkret gegen den Strich geht? Mit welchen Ämtern prügelst
Du Dich so für andere Leute?
Denn Gerede allein reicht nicht als Beweis.
Gruß
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Meisterdieb am 2007-05-17, 22:24 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
[cool]
Guten Abend Hundeliebhaberin,
die Politiker sind kompetent,
wenn es um Machtpolitik geht. Leider wird der Machtpolitik alles untergeordnet.
Beispiel SPD. Schröder sollte schlicht die Wahl gewinnen. Anschließend vertrat
er in einem Ausmaß Kapitalinteressen, daß Genossen zu tausenden aus dem Verein
austraten.
Nun zur Wählerseite. Schröder verkaufte sich dem Wahlvolk bei
der nächsten Wahl als Kriegsgegner, um wiederum gewählt zu werden. Ein etwas
durchsichtiges Manöver, jedoch von Erfolg gekrönt. Schließlich rief er nach zwei
Jahren Neuwahlen aus, um der Macht willen.
Also: Politik = Machtgewinn,
Machterhalt
P.S.: Ausziehleinen sind gefährlicher als Stolperdraht
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo
am 2007-05-17, 23:04 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Gemach, gemach, Meisterdieb, um unseren Abgeordneten Konkurrenz zu machen,
solltest Du erst mal üben. Z.B. in der Kommunalpolitik. Wat haste denn da bisher
so gemacht?
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-05-17, 23:52 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/17/07 um 23:04:43, Abrazo wrote:Gemach, gemach, Meisterdieb, um
unseren Abgeordneten Konkurrenz zu machen, solltest Du erst mal üben. Z.B. in
der Kommunalpolitik. Wat haste denn da bisher so gemacht?
Was
soll die blöde Frage?! Politik ist organisierte Kriminalität.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-18, 18:50 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Damit ist das unterste Niveau von Diskussion wohl erreicht. Gratuliere!
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo
am 2007-05-18, 23:33 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Tja, Eberhard,
unten is, wo Patrik is. Der meint auch, Abrazo sei ein
Verbrecher, weil er der Firma Weil den Nick gestohlen habe. [cheesy]
Nun sagt
auch noch der Maulwurf, Abrazo sei ein Verbrecher, weil er hier und da mal in
der Politik die Klappe aufreißt.
Was sagt Abrazo dazu?
Viel Feind,
viel Ehr.
[grin]
Gruß
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi
am 2007-05-19, 00:01 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi allerseits
Warum Koalitionen unter Berücksichtigung der
Mehrheitsinteressen der Wähler in der Sache wie in Antw. #48
(http://www.philtalk.de/msg/1177161139-45.htm#48) von Eberhard beschrieben,
reine Illusion sind, ist in der Juni-Ausgabe der bwd unter dem Titel, Mehr
Vorurteil als Verstand erklärt.
In diesem Artikel wird behauptet, unsere
Politiker handeln ohne nachzudenken. Begründet wird das mit der Tatsache, dass,
je wichtiger eine Entscheidung für einen Menschen emotional ist, desto eher
versucht er Fakten schön zu färben.
Rationales denken findet im
präfrontalen Kortex des linken oberen Lappens statt. Bei Testpersonen, bei denen
Emotionen ins Spiel kamen, tat sich in diesem Bereich nichts. Das heißt, das
rationale Denken war lahm gelegt. Aktiv waren dagegen Regionen, die mit der
Regulierung der Emotionen und der Lösung von Konflikten beschäftigt sind. Dieses
motivierte Denken führt zu einem anderen Ergebnis als es rationales Denken
würde. Dieses motivierte Denken soll in erster Linie zu einem guten Gefühl
führen. Negative Emotionen werden herunterreguliert, und die so getroffene
Entscheidung aktiviert das Belohnungszentrum im Gehirn.
Diese Studie
beweist uns, wenn unsere Spitzenpolitiker schon nicht mit dem Kopf bei der Sache
sind, so sind sie es doch mit dem Herzen.
hedgi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-05-19, 00:25 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/18/07 um 18:50:04, Eberhard wrote:Damit ist das unterste Niveau von
Diskussion wohl erreicht. Gratuliere!
Bisher warst Du immer noch
für eine Erniedrigung gut. Nur zu!
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-19, 17:00 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits,
ich denke, wir beenden diese Runde, da zum
Mehrheitsprinzip nichts neues mehr kommt. Dank an alle, die Argumente
beigesteuert haben! Wichtige Fragen bleiben:
Wie wird aus einer Politik
im Namen des Volkes auch eine Politik nach den Interessen der Bevölkerung?
Wie kann die Information der Bevölkerung durch die Medien verbessert werden?
Welche Rolle kann das Internet dabei spielen?
Tschüs, bis demnächst mal
wieder, sagt
Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am 2007-05-19, 21:17 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/19/07 um 17:00:41, Eberhard wrote:Wie wird aus einer Politik im Namen
des Volkes auch eine Politik nach den Interessen der Bevölkerung?
Tja, wie wird aus einer Mafia ein Sicherheitsunternehmen?
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am 2007-05-19, 23:58 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo Philtaker,
wer so wie Maulwurf bar jeder zusammenhängenden
Argumentation die - auch von mir - frei gewählten Abgeordneten pauschal als
"Verbrecher" und "Mafia" beschimpft und mit Dreck bewirft, der ist für mich kein
radikaler Kritiker unserer Gesellschaftsordnung sondern er ist jemand, der
politischen Schaden anrichtet, indem er kostbare Rechte wie z. B. das
allgemeine, gleiche, freie Wahlrecht zu beschädigen versucht.
Hier hat
für mich die Toleranz ein Ende, ich schaue nicht einfach zu, wenn - auch meine -
politische Freiheit verbal demontiert wird.
Wer nicht Argumentieren will
sondern nur Beschimpfen und Verunglimpfen will, hat bei PhilTalk nichts
verloren, meint
Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo
am Vorgestern, 00:55 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Bäh, Eberhard, reg Dich nich auf.
Zur Entspannung empfehle ich
Aristophanes: die Frösche.
"Breckeckeckeckes-koax-koax" - die haben schon
Dionysos in der Unterwelt zum Wahnsinn getrieben, aber nur, weil er dachte, sie
hätten was Literarisches zu sagen, und nicht merkte, dat die einfach nur
quakten.
Hilfsweise Wilhelm Busch: die Geschichte von dem Frosch, der den
Finken mit seinem wunderbaren Froschgequake übertönen wollte. Als der Fink die
Nase voll hatte und auf einen Baum flog, kletterte der Frosch mühselig hinterher
und begann eben dort zu quaken. Als der Fink endgültig die Nase voll hatte und
davon flog, meinte der Frosch, auch das zu können und flog hinterher - leider
landete er platt wie eine Flunder auf der Erde und war in Ermangelung von Leben
des Quakens nicht mehr mächtig.
Den Fröschen im Teich ist es
gleichgültig, welches politische System um ihren Teich herum besteht. Ob
Diktatur, Oligarchie, Feudalismus oder Demokratie, sie quaken jedes
gleichermaßen an. Es ist der ewig gleiche, unpolitische biedermeierliche
Spießbürger, der hier Laut gibt, der in seiner heimeligen Gartenlaube sitzt und
über die Schlechtigkeit der Welt sinniert, die Gott sei Dank außerhalb seines
Jägerzaunes stattfindet.
gruß
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
doc_rudi am Vorgestern, 07:17 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo,
sehe hier nur das Ende - typisch.
Habt Ihr eigentlich mal dei
Grundlage unseres Wahlrechts kritisch angesehen: jeder Wahlberechtigte hat 1
Stimme.
Es gab Zeiten, da hatte der Reiche mehr Stimmen als der Arme.
Bisweilen hat der Mann 1 Stimme und die Frau 0 Stimmen.
Aber eins war
immer gleich und ist auch heute so:
Der Dumme hat 1 Stimme und der Kluge
hat 1 Stimme.
Frage: zu welchem Ergebnis muss das führen?
Gruß
rudi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Sheelina am Vorgestern, 08:32 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Grüß dich Eberhard!
Wäre es für dich eine vorstellbare Lösung, anstatt
dem Mehrheitsprinzip zu folgen einem von innen her, in dem jeder Bürger gefragt
ist, und seine Ansicht und Meinung im Rahmen von Mitwirkungsrechten Einfluss
finden muss, ausgehendem Prinzip, wobei die auf die Punkte der Mitwirkung hin
begründete Konsequenz der zu tragen hat, der die letztliche
Entscheidungsbefugnis hat, aber somit immer auch von der Mitwirkung selbst
mitgetragen wird? Die Bundesrepublik Deutschland ist ja ein föderalistischer
Staat. (Bundes-, Landes-, Kommunal-, auch Verfassungsebene.)
liebe Grüße
Sheelina
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am Vorgestern, 09:59 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits,
hallo Abrazo,
wahrscheinlich muss man manche
Diskussionsbeiträge unter „Gequake“ ablegen. Andererseits halte ich es für
problematisch, wenn die politischen Prinzipien, die für uns nach den schlimmen
Erfahrungen mit autoritären Regimen einen hohen Wert besitzen, systematisch mit
Schimpfworten belegt werden. Ich glaube übrigens nicht, dass in alten
Demokratien wie in Großbritannien oder der Schweiz so ein Verhalten möglich
wäre.
hallo doc_rudi,
Du siehst den Fehler beim Mehrheitsprinzip
darin, dass der Kluge und der Dumme in gleicher Weise eine Stimme haben, und
fragst: Wohin soll das führen?
Ich weiß nicht, ob Du die Diskussion
verfolgt hast, aber wenn man die politische Abstimmung nicht als Urteil über die
für alle beste Politik versteht sondern als Ausdruck des eigenen Interesses
(Jeder wählt die Partei, deren politische Absichten mit dem, was er selber will,
am ehesten übereinstimmen), dann spielt die Klugheit keine entscheidende Rolle.
Zu erkennen, ob eine Politik im Interesse eines Wählers ist, das kann
auch ein weniger kluger Wähler selber in der Regel am besten. Oder weißt Du
jemanden, der die Interessen des Wählers besser kennt als er selbst und deshalb
die Stimme für ihn abgeben sollte?
Hallo Sheelina,
ich weiß nicht,
ob ich Dich richtig verstanden habe. Zu Deiner Frage nur soviel: Um verbindliche
Entscheidungen für ein Kollektiv zu treffen, ist das Mehrheitsprinzip m. E. am
besten geeignet, weil alle anderen Verfahren entweder das Vetorecht kleiner
Gruppen beinhalten (wie die Einstimmigkeitsregel mit Beibehaltung des Status
quo, wenn keine Einstimmigkeit erzielt wird) oder aber sich von den Interessen
der Einzelnen abkoppeln können (wie z. B. die Einparteienherrschaft einer
Avantgarde mit der entsprechenden Rechtfertigungs-Ideologie).
Allerdings
halte ich das Mehrheitsprinzip nur deshalb für notwendig, weil die rationale
Argumentation (der herrschaftsfreie Diskurs, der Streit der Gelehrten) nicht zu
einem definitiven Resultat in Form eines allgemeinen Konsenses führen muss.
Je größer in einer Gesellschaft jedoch der Bereich des allgemein
einsichtigen Konsenses ist, desto besser für diese Gesellschaft.
Das
Mehrheitsprinzip ist ein praktikables Normsetzungsverfahren, das sich allerdings
daran messen lassen muss, wie nahe seine Resultate einem argumentativ bestimmten
Gemeinwohl oder Gesamtinteresse kommen. Dass es unter bestimmten Bedingungen
daran hapert, lässt sich leicht zeigen.
Bei Einzelabstimmungen nach dem
Mehrheitsprinzip spielen nur die Rangfolgen der Alternativen eine Rolle. Wie
stark die Einzelnen von einer Entscheidung betroffen sind, wird nicht erfasst.
Dadurch stellt im Mehrheits-System der „mittlere“ bzw. mediane Wähler den
Gleichgewichtspunkt dar, zu dem alle Wahlabsprachen und Koalitionen hin
tendieren.
Nehmen wir ein fiktives Beispiel. Es geht um die Höhe der
Bezinsteuer pro Liter. Wir haben 5 Individuen, die jeweils pro Liter den
folgenden Steuerbetrag befürworten:
A - 10 c ------- B - 20 c ------- C -
70 c ------- D - 80 c ------- E - 100 c
C ist hier der „mittlere“
Wähler, d. h. es gibt genau so viele Individuen, die eine niedrigere Steuer
wünschen als C sie wünscht, wie es Individuen gibt, die eine höhere Steuer
wünschen als C. Es sind jeweils 2.
Die 70 c stellen damit die
Mehrheitsalternative dar. Bei einer paarweisen Abstimmung „Jeder gegen Jeden“
bekommt die Alternative 70 c immer eine Mehrheit. Wenn alle Beteiligten so
abstimmen, dass für sie das beste Ergebnis herauskommt, setzt sich bei allen
Wahlverfahren, bei denen die Wähler gleiches Gewicht haben und Koalitionen
möglich sind, diese Mehrheitsalternative durch.
Angenommen nun, die
Interessenlage von A und B würde sich verändern und wir hätten jetzt folgendes
„Meinungsbild“:
A - 60 c ------- B - 60 c ------- C - 70 c ------- D - 80
c ------- E - 100 c
Trotz dieser Veränderung der Meinungen – immerhin
treten jetzt mehr als 2 Drittel der Beteiligten für eine sehr viel höhere
Benzinsteuer ein als zuvor – ändert sich am Resultat einer Abstimmung nach dem
Mehrheitsprinzip nichts, denn C bleibt weiterhin der mediane Wähler.
Hier sieht man, wie grob im Mehrheitssystem die Interessen der Beteiligten
erfasst werden. Das Mehrheitsprinzip ist insofern nicht sakrosankt, sondern es
muss nach sozialethischen normativen Kriterien geprüft werden, wo seine
Anwendung sinnvoll ist und wo nicht.
Es hofft, dass das Ganze nicht zu
politologisch war und dass die politische Philosophie sich solcher Fragen
zukünftig stärker annimmt,
Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am Vorgestern, 11:21 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/19/07 um 23:58:55, Eberhard wrote:Hallo Piltaker,
wer so wie
Maulwurf bar jeder zusammwnhängenden Argumentation die - auch von mir - frei
gewählten Abgeordneten pauschal als "Verbrecher" und "Mafia" beschimpft und mit
Dreck bewirft, der ist für mich kein radiakeler Kritiker unserer
Gesellschaftsordnung sondern er ist jemand, der politischen Schaden anrichtet,
indem er kostbare Rechte wie z. B. das allgemeine, gleiche, freie Wahlrecht zu
beschädigen versucht.
LOL, endlich mal klare Worte. Aber
hier verwechselt Du Wahlrecht mit Recht. Es kann moralisch kein Recht geben dem
Pöbel die Verantwortung über ein ganzes Land anzuvertrauen, damit es freie,
friedfertige und fleißige Menschen nach Belieben beherrschen, ausplündern und
ausbeuten kann.
Nichts anderes ist das "Wahlrecht". Es ist nur kostbares
Privileg für die zahlreichen Plünderer in einem Land. Aber es ist kein kostbares
"Recht".
Wenn man an dieser "Politik"
oder dieser "Diktatur des
Proletariats" -wie es die Kommunisten damals noch frei raus nannten-
Schaden
üben kann, dann ist das heute nur dringend gebotenes Naturrecht.
Quote:Hier hat für mich die Toleranz ein Ende, ich schaue nicht einfach zu,
wenn - auch meine - politische Freiheit verbal demontiert wird.
Der Herr meint, er habe die Freiheit diverse öffentliche und zwangsfinanzierte
Pöbeleinrichtungen zu legitimieren und auf Dritte zu hetzen?
Was ist denn
mit der Freiheit anderer? Es scheint so, als hätte Eberhart bestimmte
Grundprinzipien der Ethik nicht verstanden (wie z.B. der Universalität )
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am Vorgestern, 11:30 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/20/07 um 09:59:12, Eberhard wrote:Andererseits halte ich es für
problematisch, wenn die politischen Prinzipien, die für uns nach den schlimmen
Erfahrungen mit autoritären Regimen einen hohen Wert besitzen, systematisch mit
Schimpfworten belegt werden. Ich glaube übrigens nicht, dass in alten
Demokratien wie in Großbritannien oder der Schweiz so ein Verhalten möglich
wäre.
Ist das ein Nazi-Vergleich?
Die Nazis sind auch
ein typisches Ergebnis der Demokratie.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
doc_rudi am Vorgestern, 11:30 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo Eberhard,
Du: "Zu erkennen, ob eine Politik im Interesse eines Wählers
ist, das kann auch ein weniger kluger Wähler selber in der Regel am besten. Oder
weißt Du jemanden, der die Interessen des Wählers besser kennt als er selbst und
deshalb die Stimme für ihn abgeben sollte?"
Da kenne ich viele, die das
meinen und die dem Wähler das verklickern wollen.
Sollte man nicht alle
werbenden Anteile aus der Wahlwerbung verbannen und nur sachliche Informationen
zulassen? Diese können ja auch die Vorteile für den einen oder anderen Wähler in
den Vordergrund stellen.
Im übrigen kann und soll der Wähler doch auch
gar keine Entscheidung im Sinne seiner persönlichen Interessen treffen, sondern
er soll eine Entscheidung darüber treffen, was besser für das System höherer
Ordnung sein soll.
Zur Durchsetzung seiner persönlichen Interessen (z.B.
Gehaltserhöhung, weniger Steuern oder deren Verwendung nur für bestimmte Zwecke
usw.) steht ihn ja gar keine Partei zur Wahl.
Gruß
rudi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo
am Vorgestern, 11:31 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi Eberhard,
Quote:Ich weiß nicht, ob Du die Diskussion verfolgt
hast, aber wenn man die politische Abstimmung nicht als Urteil über die für alle
beste Politik versteht sondern als Ausdruck des eigenen Interesses (Jeder wählt
die Partei, deren politische Absichten mit dem, was er selber will, am ehesten
übereinstimmen), dann spielt die Klugheit keine entscheidende Rolle.
Zu
erkennen, ob eine Politik im Interesse eines Wählers ist, das kann auch ein
weniger kluger Wähler selber in der Regel am besten. Oder weißt Du jemanden, der
die Interessen des Wählers besser kennt als er selbst und deshalb die Stimme für
ihn abgeben sollte?
Damit sprichts Du m.E. das Problem an, das
das große Unbehagen an Politik und Demokratie erzeugt: die Definition des
Wählerwillens über die Interessen. Das hat aus meiner Sicht folgende, durchaus
praktisch sichtbare, Konsequenzen:
1. Da Interessen sich je nach
Lebenslage desjenigen, der sie hat, recht schnell ändern können (das Interesse
des festangestellten Lohnsteuerzahlers ist in aller Regel nicht gleich dem
Interesse, das er hat, wenn er entlassen wurde und ihm Hartz IV droht), wird
sich auch eine Politik der ad hoc Entscheidungen zuungunsten langfristiger
Zielsetzungen durchsetzen (wie wir ja selbst sehen).
2. Interessen,
utilitaristisch verstanden (und das dürfte die gängige Auffassung sein) sind
berechenbar. Insofern lassen sich politische Entscheidungen fällen, die den
vorausberechneten Interessen der Bürger, durchaus aufgegliedert nach
Interessengruppen, entgegen kommen. Nun behaupte ich allerdings, dass sich immer
wieder durchaus auch starke gesellschaftliche Gruppen finden, die ihren nicht
utilitaristisch begründbaren Willen auch gegen ihre eigenen utilitaristisch
verstandenen Interessen stellen.
Beispiel: Aufnahme christlicher Grundsätze
in eine europäischen Verfassung. Utilitaristisch begründbar ist dies m.E. nicht
(es wundert mich nicht, wenn Soziologen und Politologen mit erstaunten
Kinderaugen vor solchen Phänomenen stehen, die so gar nicht mit den erlernten
Kausalitäten zu erfassen sind). Dieses Unternehmen wurde (zunächst einmal?) aus
Einsicht aufgegeben, aber nicht aus Einsicht, dass hier widerstreitende
Interessen entgegen stehen (da würde man argumentieren, ggf missionieren,
kampfabstimmen), sondern aus Einsicht, dass aufgrund der unterschiedlichen
Verfassungen der einzelnen Staaten (Frankreich) hierüber ein nötiger Konsens
unmöglich wäre.
Wer die so verstandenen Interessen zum Maßstab nimmt, kann
ohne weiteres eine Politik machen, die zwar den berechenbaren Bürgerinteressen
entspricht, nicht jedoch dem nicht berechenbaren Bürgerwillen.
Hier
erinnere ich an meine These: aus der Reflexion über die eigenen Interessen
ergibt sich logisch zwingend die Möglichkeit, auch anders zu entscheiden, und
genau diese Fähigkeit ist das spezifisch Menschliche.
3. Legt man die
utilitaristische Interessendefinition zugrunde, so ist eine Wahldemokratie im
Grunde nicht nötig. Es würde genügen, das Parlament durch eine
Soziologenvereinigung zu ersetzen, die die Interessen der unterschiedlichen
gesellschaftlichen Gruppen feststellt und anhand statistischer Berechnungen die
Vorgaben für Gesetze stellt, die eine Verwaltung dann zu beschließen hätte. Ich
habe den Verdacht, dass etliche dies tatsächlich auch so sehen und die Wahlen
quasi als Kontrollinstrument nach Art einer Volkszählung sehen um zu prüfen, ob
die Berechnungen auch korrekt sind. Was mit der Zeit notwendigerweise in's Auge
gehen muss, da Wählerinteresse und Wählerwillen nicht notwendigerweise
deckungsgleich sind. Und nur beim - soverstandenen - Wählerwillen weiß einzig
der Wähler über sich selbst Bescheid. Folgt: Politik kann nicht dem Prinzip der
Berechenbarkeit des Wählers folgen.
4. Die Kontrolle utilitaristischer
Politik ist das Grundgesetz. Bei einer idealen Interessenpolitik müsste es
abgeschafft werden.
Als Beispiel verweise ich auf Art. 6 GG "(1) Ehe und
Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung."
In
einer überalterten Gesellschaft von Singles ist es ohne weiteres denkbar, dass
die Mehrheitsinteressen dagegen stehen. In dem Sinne, wie heute schon oft
gehört, dass es das Problem des Einzelnen sei, ob er sich den Luxus Kind zulege
oder nicht, etwa wie es das Problem jedes Einzelnen sei, ob er sich einen Hund
zulegt oder nicht, ein Luxus, den er dann aber auch selbst finanziell und
organisatorisch zu tragen hätte. Hier kommt hinzu, dass dies dermaßen den
Auffassungen der 'Familienmenschen' von einer humanen Gesellschaft widersprechen
dürfte, dass eine Spaltung die Folge wäre, in der letztlich die
individualistischen Singles, trotz Mehrheit, untergehen würden, da die
'Familienmenschen', zusammengesetzt aus Kindern, Eltern und - nicht zu
vergessen, die gehören wesentlich dazu! - Großeltern aufgrund enger sozialer
Organisation die weit mächtigere Position einnehmen würden. Gerade an der
Großelterngeneration der 'Familienmenschen' zeigt sich der Gegensatz zwischen
utilitaristischen Interessen und Bürgerwillen, denn ich behaupte aus meiner
praktischen Erfahrung heraus, dass die Mehrheit der Familienomas und -opas im
Zweifel stets auf ihre eigenen Interessen zugunsten der Bedürfnisse des
Nachwuchses verzichtet; und da aus innerfamiliärer Solidarität die meisten Alten
von ihren Angehörigen gepflegt werden, haben diese Alten auch den
Alleinstehenden gegenüber eine viel stärkere Machtposition. Selbst im Pflegeheim
wird der häufig besuchte Familienalte in der Regel besser behandelt als der
Alleinstehende, zum einen macht die Familie Ärger, wenn was nicht richtig läuft,
zum anderen hat man mehr Zeit für die Pflege, weil das Psychosoziale von der
Familie geleistet wird.
Gruß
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
chizmata am Vorgestern, 11:37 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/20/07 um 11:21:28, Maulwurf wrote:LOL, endlich mal klare Worte. Aber
hier verwechselt Du Wahlrecht mit Recht. Es kann moralisch kein Recht geben dem
Pöbel die Verantwortung über ein ganzes Land anzuvertrauen, damit es freie,
friedfertige und fleißige Menschen nach Belieben beherrschen, ausplündern und
ausbeuten kann.
Nichts anderes ist das "Wahlrecht". Es ist nur kostbares
Privileg für die zahlreichen Plünderer in einem Land. Aber es ist kein kostbares
"Recht".
Wenn man an dieser "Politik"
oder dieser "Diktatur des
Proletariats" -wie es die Kommunisten damals noch frei raus nannten-
Schaden
üben kann, dann ist das heute nur dringend gebotenes Naturrecht.
Ähm...ist das dein ernst?
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi
am Vorgestern, 11:37 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi Eberhard,
so lässt sich ein Wahlkampf auch führen.
Wenn ihr
die extrem Außen wählt, geht es eich noch schlechter, als wenn ihr mich wählt.
Ich zocke euch nur ein wenig ab, denn meine reichen Feunde sind sauer, weil ihr
am Geld klebt und nichts zum Wohle einer Minderheit beitragen wollt. So in etwa
haben Schröder, seine Minister und Anhänger in verschlüsselter Sprache Wahlkampf
betrieben.
Ich würde sagen,
Quote:Nehmen wir ein fiktives Beispiel.
Es geht um die Höhe der Bezinsteuer pro Liter. Wir haben 5 Individuen, die
jeweils pro Liter den folgenden Steuerbetrag befürworten:
A - 10 c
------- B - 20 c ------- C - 70 c ------- D - 80 c ------- E - 100 c
C
ist hier der „mittlere“ Wähler, d. h. es gibt genau so viele Individuen, die
eine niedrigere Steuer wünschen als C sie wünscht, wie es Individuen gibt, die
eine höhere Steuer wünschen als C. Es sind jeweils 2. ,
ist eine
pharisäische Argumentation. 70c zu zahlen, ist nur einer von fünfen bereit. Das
heißt, 80% der Wähler wären mit dem Ergebnis unzufrieden. Würden wir deinem
Beispiel folgen, würde eine Minderheit demokratisch bestimmen, was die Mehrheit
zu tun hat. So sieht leider die traurige Wirklichkeit aus, Koalitionen werden
nach anderen Gesetzen (http://www.philtalk.de/msg/1177161139-135.htm#140)
geschlossen, nur nicht danach, was im Wahlprogramm geschrieben steht, sondern
man redet ganz ungeniert von Kompromissen. Entscheidend sind nach der Wahl nur
noch taktische Gesichtspunkte.
In der Politologie als Wissenschaft,
sollte es nicht darum gehen, wie rede ich dem Volk ein System ein, das zwar eine
Minderheit unterstützt, dafür aber einen Lehrstuhl mit zusätzlichern Mitteln
sponsern kann. Es sollte auch für Politologen zu einer Selbstverständlichkeit
werden, dasselbe was für Philosophen eine Selbstverständlichkeit ist, nicht mit
der Suche nach der Wahrheit um des eigenen Vorteils willen aufzuhören.
Was spricht denn dagegen, meinem Vorschlag, einen Fragebogen
(http://www.philtalk.de/msg/1177161139-120.htm#130) mit Punkten aus den
Wahlprogrammen der konkurrierenden Parteien ausfüllen zu lassen, um daraus die
Koalition zu ermitteln, die den Meinungsquerschnitt der Fragen am besten
abdeckt?
hedgi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am Vorgestern, 11:43 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/20/07 um 11:37:21, chizmata wrote:Ähm...ist das dein ernst?
Ist die Pöbelkratie Dein ernst?
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
chizmata am Vorgestern, 11:47 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/20/07 um 11:43:53, Maulwurf wrote:Ist die Pöbelkratie Dein ernst?
Kommt drauf an wie du pöbel definierst. Und auf welches naturrecht
beziehst du dich?
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am Vorgestern, 12:16 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/20/07 um 11:47:00, chizmata wrote:Kommt drauf an wie du pöbel
definierst. Und auf welches naturrecht beziehst du dich?
Ich
gebe Dir mal was zu lesen aus
http://www.wienerzeitung.at/DesktopDefault.aspx?TabID=3946&Alias=wzo&cob=207741:
Sie halten die Demokratie gewissermaßen für absurd. Wieso?
Alle wichtigen Lebensbereiche kommen ohne Demokratie aus, es gibt sie nicht in
der Kirche, nicht in der Wirtschaft, nicht in der Wissenschaft und natürlich
auch nicht in der Familie. Die Idee der Demokratie ist eigentlich von Anbeginn
der politischen Theorien an, von Platon bis in die Gegenwart, als eine völlig
absurde Idee abgelehnt worden. Selbst Jean-Jacques Rousseau hat sich Demokratie
nur in ganz kleinen Gemeinden vorstellen können, weil es in ganz kleinen
Gemeinden eine sehr hohe soziale Kontrolle gibt, die es mehr oder weniger
unmöglich macht, dass man sich das Eigentum anderer Leute durch den Stimmzettel
aneignen kann.
Wenn man große Gesellschaften von mehreren Millionen
Leuten hat, wo alles anonymisiert ist, haben die Leute nicht die geringsten
Hemmungen, sich das Eigentum anderer anzueignen.
Lassen Sie mich ein
drastisches Beispiel geben, das deutlich zeigt, was unter demokratischen
Bedingungen eigentlich stattfindet. Nehmen wir an, wir hätten eine
Weltregierung, eine Stimme pro Mann, pro Frau auf Weltebene. Wir hätten dann
höchstwahrscheinlich eine indisch-chinesische Koalitionsregierung. Was würde
diese indisch-chinesische Regierung für eine Politik zementieren, um in der
nächsten Legislaturperiode wieder gewählt zu werden? Man muss nicht besonders
erfindungsreich sein, um vorauszusagen, dass diese Regierung natürlich finden
würde, dass die westliche Welt und Amerika viel zu viel Ressourcen haben und sie
selbst viel zu wenig und dass aus diesem Grund eine systematische
Einkommensverteilung vom Westen zum Osten angebracht sei. Ich denke das Beispiel
ist deutlich genug.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
chizmata am Vorgestern, 12:35 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
1. Du hast meine fragen nicht beantwortet.
2. Anscheinend kann man in las
vegas auch professorentitel gewinnen.
Wenn man sich mit der geschichte
der demokratischen idee bzw ihrer verwirklichung beschäftigt, sieht man, dass
sie genau darum entstanden ist, weil die von diesem mann beschriebenen
verhältnisse nur zu ungerechtigkeit, ausbeutung und unterdrückung geführt haben.
Der mit dem grössten privatbesitz in diesem modell hat monarchische macht, und
niemand garantiert für seine korrektheit.
Unsere demokratie ist sicher
nicht die beste, aber was dieser typ redet ist eine katastrophe, die die letzten
1000 jahre politischer geschichte ignoriert.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am Vorgestern, 13:00 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/20/07 um 12:35:43, chizmata wrote:1. Du hast meine fragen nicht
beantwortet.
2. Anscheinend kann man in las vegas auch professorentitel
gewinnen.
Wenn man sich mit der geschichte der demokratischen idee bzw
ihrer verwirklichung beschäftigt, sieht man, dass sie genau darum entstanden
ist, weil die von diesem mann beschriebenen verhältnisse nur zu ungerechtigkeit,
ausbeutung und unterdrückung geführt haben. Der mit dem grössten privatbesitz in
diesem modell hat monarchische macht, und niemand garantiert für seine
korrektheit.
Unsere demokratie ist sicher nicht die beste, aber was
dieser typ redet ist eine katastrophe, die die letzten 1000 jahre politischer
geschichte ignoriert.
Ich glaube, dass "dieser typ" Dir in jeder
Hinsicht dreifach überlegen ist und ich glaube, dass Du die 200 Mill. Opfer
deines Systems als Kollateralschaden definierst.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
chizmata am Vorgestern, 13:27 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/20/07 um 13:00:52, Maulwurf wrote:Ich glaube, dass "dieser typ" Dir in
jeder Hinsicht dreifach überlegen ist und ich glaube, dass Du die 200 Mill.
Opfer deines Systems als Kollateralschaden definierst.
Glauben hilft
dir nicht viel, argumentieren wäre besser.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am Vorgestern, 14:02 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/20/07 um 13:27:34, chizmata wrote:Glauben hilft dir nicht viel,
argumentieren wäre besser.
Du willst doch nur trollen!
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
chizmata am Vorgestern, 14:12 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/20/07 um 14:02:49, Maulwurf wrote:Du willst doch nur trollen!
Trollen ist das was du hier die meiste zeit betreibst, nämlich ohne weitere
argumente irgendwelche provokativen statements in den raum zu schmeissen.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo
am Vorgestern, 14:57 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi,
Interessant, der Hoppe, denn siehe, er bestätigt meine sämtlichen
Prognosen darüber, in welche Richtung ein Denken geht, das die Existenz der
Ethik und damit des spezifisch Menschlichen ignoriert. Insofern solltest Du,
Eberhard, diesen Artikel sorgfältig studieren, und etliche andere auch.
Ethik ist die alternative Entscheidungsmöglichkeit zum biologisch-physiologisch
programmierten Verhalten. Durch unsere Fähigkeit, zu reflektieren, was wir -
biologisch programmiert - tun, erwächst logisch zwingend die Möglichkeit, es
auch anders zu tun und damit die Notwendigkeit der Entscheidung.
Negieren
wir also die Ethik und damit die spezifisch menschliche
Entscheidungsmöglichkeit, also das Humanum, so bleibt das biologisch
programmierte Verhalten übrig.
Die Frage ist nicht, ob das geht, ob
Menschen damit leben können. Selbstverständlich können sie das. Das Viehzeug
macht es vor, es lebt damit mindestens so lange wie wir. Die Frage ist, ob
Menschen das wollen.
Ein Blick auf die Geschichte, nicht nur auf die
jüngere, sondern auf die Geschichte, seit wir überhaupt auf menschliches
Verhalten schließen können, zeigt, dass Menschen dies offenkundig nicht wollen.
Zumindest nicht diejenigen, die sich auf das Humanum berufen, und die haben
nachweislich letztendlich die größere Macht, und zwar eine Macht, die nicht aus
den Gewehren kommt, sondern aus dem einleuchtenden Wort.
Die Negation der
Ethik ist der Kern des nationalsozialistischen Denkens. Hoppes Ansicht bestätigt
m.E., dass der Nationalsozialismus in Deutschland eine avantgardistische
Bewegung war, die zwar scheiterte, jedoch jederzeit andernorts in anderem Gewand
wieder auftauchen kann. Bei Hoppe ist der Nationalsozialismus um den Sozialismus
gekürzt. Was einsichtig ist, denn 'Naturrecht' und Sozialismus sind de facto
nicht miteinander vereinbar. Von daher ist es einsehbar, dass die deutschen
Wirtschaftsführer dem Nationalsozialismus durchaus positiv gegenüber standen;
den Sozialismus daran nahmen sie nicht ernst, und er war auch nicht ernst zu
nehmen.
Quote:Das Primäre sei der Einzelne und sein Eigentum, der
Einzelne und seine Familie, der Einzelne und seine Freunde, sagt Hans-Hermann
Hoppe
In der Tat, das Lebewesen Mensch ist ein soziales, ein
Rudeltier. Prähistorische Funde deuten darauf hin, dass z.B. die
Australopithecinen vorwiegend in familiären Kleingruppen unterwegs waren. Selbst
wenn es möglich wäre, Gesellschaften wieder zu diesem ursprünglichen Status
zurückzuführen - der Kölner mit seinem ausgeprägten städtischen
Gemeinschaftsgefühl würde ihm was husten - so würde dies aufgrund der
ungebremsten Expansion starker Kleingruppen über Verbände, Sippschaften, Stämme
und Kommunen nur die jahrtausende alte Menschheitsentwicklung wiederholen. An
dieser Stelle scheint es mir geraten, zu Adam und Eva zurückzukehren - fast,
nämlich zu Kain und Abel, eine symbolische Überlieferung aus Sicht der
Viehnomaden. Denn das war Abel, Kain hingegen sesshafter Bauer. Die Interessen
eines Viehnomaden sind mit den Interessen eines sesshaften Bauern unvereinbar.
Wer also seine Interessen wahren will, muss den Kontrahenten erschlagen. Sofern
die Ethik negiert wird, ist dagegen auch nichts zu sagen, denn das ist Natur.
Quote:Je mehr Aufgaben der Staat übernimmt, umso mehr lässt die private
Spendentätigkeit nach und umgekehrt. Das ist eine Aufgabe, die Kirchen und
karitative Einrichtungen übernehmen werden. Ich sehe da keinerlei Probleme.
An dieser Stelle wieder einmal der Hinweis auf unterschiedliche
Menschenbilder.
Es erscheint uns hier in Europa, insbesondere - wegen des
Grundgesetzes - in Deutschland, selbstverständlich, von der Menschenwürde
auszugehen. Dabei ist dies keineswegs selbstverständlich; in den puritanisch
geprägten USA ist das nämlich nicht der Fall.
Die Puritaner übertrugen
das jüdische Auserwähltheitsdenken auf das Christentum. Das auserwählte Volk
waren ihrer Ansicht nach mit dem durch Jesus geschlossenen 'Neuen Bund' nicht
mehr die Juden, sondern die Christen. Sie übertrugen also das stammesgöttliche
Denken auf ihre Sekte. Dies führte zum einen zu der Überzeugung, dass alle mit
Gott begründeten Gemeinschaftsrechte nur für die Anhänger der eigenen
Glaubensgemeinschaft galten (der fromme Puritaner Cromwell führte einen
barbarischen Krieg gegen die katholischen Iren), teilweise auch für die
potentiell zu missionierenden 'Novizen', zum anderen zum hemmungslosen Streben
nach Wohlstand, denn damit würde Gott sein auserwähltes Volk vor allen anderen
segnen und auszeichnen. Damit ist Armut ein Zeichen für falsches Leben und
falschen Glauben, also prinzipiell selbst verschuldet, und damit der
Barmherzigkeit und Willkür der wahren Gläubigen unterworfen.
Genau diesen
caritativen Gedanken lehnt die europäische Denkweise ab. Nach europäischem
Denken ist es kein Akt von Gnade und Barmherzigkeit, Armut zu bekämpfen, sondern
sich aus der Menschenwürde herleitende Pflicht (hier übrigens eine
Übereinstimmung mit dem islamischen Denken; auch da gilt "der Zehnte"). Diese
Pflicht führt notwendig zu staatlicher Fürsorge. Die staatliche Fürsorge ist
doppelt begründet: säkular durch die Menschenwürde, religiös eben durch den
Zehnten (beides begründet sich aus dem letztlich gleichen Denksystem), wobei der
Zehnte in der Alten Welt (also islamische Regionen eingeschlossen) eine Steuer
ist, die unabhängig von caritativen Almosen zu zahlen ist.
Das
unterschiedliche soziale Denken ist m.E. eine der prinzipiellen Divergenzen,
aufgrund derer eine Globalisierung im US-amerikanischen wirtschaftsliberalen
Sinne mir ausgeschlossen erscheint und letztlich nur zu blutigen Konflikten
führen kann, so man es versucht.
Gruß
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am Vorgestern, 15:29 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/20/07 um 14:12:20, chizmata wrote:Trollen ist das was du hier die
meiste zeit betreibst, nämlich ohne weitere argumente irgendwelche provokativen
statements in den raum zu schmeissen.
Keine Sorge!
Aber
Du willst doch wohl nicht damit andeuten, dass Du Dich von "gegnerischen"
Argumenten überzeugen läßt?
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am Vorgestern, 15:44 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/20/07 um 14:57:53, Abrazo wrote:Genau diesen caritativen Gedanken
lehnt die europäische Denkweise ab. Nach europäischem Denken ist es kein Akt von
Gnade und Barmherzigkeit, Armut zu bekämpfen, sondern sich aus der Menschenwürde
herleitende Pflicht (hier übrigens eine Übereinstimmung mit dem islamischen
Denken; auch da gilt "der Zehnte"). Diese Pflicht führt notwendig zu staatlicher
Fürsorge.
Das würde mich jetzt interesssieren.
Wo kann
ich das nachlesen, wie diese Ableitung von Menschenwürde auf staatliche Fürsorge
funktioniert?
Mit der Bibel ist staatliche Umverteilung und Demokratie
jedenfalls nicht vereinbar.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
chizmata am Vorgestern, 15:58 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/20/07 um 15:29:30, Maulwurf wrote:Keine Sorge!
Aber Du willst
doch wohl nicht damit andeuten, dass Du Dich von "gegnerischen" Argumenten
überzeugen läßt?
Aha du bist ja nen ganz geschickter, und
arrogant noch dazu. Leider habe ich von die noch nichts als heisse luft gehört.
Wenn du jetzt nicht mal irgendein argument hören lässt oder meine fragen
beantwortest ist diese "diskussion" für mich beendet.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo
am Vorgestern, 16:31 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Quote:Wo kann ich das nachlesen, wie diese Ableitung von Menschenwürde auf
staatliche Fürsorge funktioniert?
Quote:GG Art 1
(1)
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist
Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt
sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage
jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt
und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
Quote:SGB I § 1 Aufgaben des Sozialgesetzbuchs
(1) Das Recht des
Sozialgesetzbuchs soll zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer
Sicherheit Sozialleistungen einschließlich sozialer und erzieherischer Hilfen
gestalten. Es soll dazu beitragen,
ein menschenwürdiges Dasein zu
sichern,
gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit,
insbesondere auch für junge Menschen, zu schaffen,
die Familie zu schützen
und zu fördern,
den Erwerb des Lebensunterhalts durch eine frei gewählte
Tätigkeit zu ermöglichen und
besondere Belastungen des Lebens, auch durch
Hilfe zur Selbsthilfe, abzuwenden oder auszugleichen.
(2) Das Recht des
Sozialgesetzbuchs soll auch dazu beitragen, daß die zur Erfüllung der in Absatz
1 genannten Aufgaben erforderlichen sozialen Dienste und Einrichtungen
rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen.
Für
weitergehende Erläuterungen empfehle ich Kant.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am Vorgestern, 16:43 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/20/07 um 16:31:57, Abrazo wrote:Zitat: Wo kann ich das nachlesen, wie
diese Ableitung von
Menschenwürde auf staatliche Fürsorge funktioniert?
GG Art 1
SGB I § 1 Aufgaben des Sozialgesetzbuchs
Naja
gut, wenn Du Dich unbedingt (Zusatz: auch noch) lächerlich machen willst.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Alltag
am Vorgestern, 16:57 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/20/07 um 09:59:12, Eberhard wrote:...
wahrscheinlich muss man
manche Diskussionsbeiträge unter „Gequake“ ablegen. Andererseits halte ich es
für problematisch, wenn die politischen Prinzipien, die für uns nach den
schlimmen Erfahrungen mit autoritären Regimen einen hohen Wert besitzen,
systematisch mit Schimpfworten belegt werden. Ich glaube übrigens nicht, dass in
alten Demokratien wie in Großbritannien oder der Schweiz so ein Verhalten
möglich wäre.
:-) Hallo Eberhard,
Sooo alt ist die
Demokratie in der Schweiz nun auch wieder nicht: Bedenke, die Frauen haben auf
eidgenössischer Eben erst seit etwa 35 Jahren "1 Stimme" und es brauchte einen
Bundesgerichtsentscheid (vor etwa 15 Jahren), damit auch hinter den Bergen bei
den Zwergen die Frauen auf kantonaler und komunaler Ebene an die Urne gehen
dürfen.
Ganz bewusst sage ich an die Urne gehen. Zur Urne gehen die
Eidgenossen einerseits bei Wahlen von Parteien und/oder Personen, anderseits bei
Abstimmungen über Sachgeschäfte
, wie Steuererhöhungen,
Milliarden-Geschäfte für z.B. den Gotthard-Basistunnel oder für die sogenannte
Osthlife an die neuen Staaten der EU (15 plus Rumänien & Bulgarien), etc.
Bei den Sachgeschäften gilt die "Einheit der Materie", d.h. einerseits,
dass der Entscheid immer auch die Kosten umfasst, anderseits nicht
offensichtlich Äpfel mit Rüben vermischt sein dürfen (was allerdings niemand
daran hindert von Obst zu reden!)
Ganz bewusst sage ich Entscheide! Im
Unterschied dazu steht das Würfeln, die Evaluation oder das Auswählen, welche
Drei sich dadurch auszeichnen, dass die Grundgesamtheit bekannt ist. Entscheide
trifft man immer in Unkenntnis der genauen Lage und Auswirkung. Mangelnde
Kenntnis ist also bei Abstimmungen kein Selbstverschulden der Urnengänger/innen,
sondern inhärent: trotzdem oder (gerade) daher wagen in der Regel nicht mehr als
50% den Gang zur Urne.
Ein Phänomen der Abstimmungen muss unbedingt noch
kurz erwähnt werden: nach dem Volksentscheid ist parktisch jede/r immer schon
für genau das eingetroffene Ergebnis gewesen.
Der Volksentscheid über
Sachgeschäfte stutzt meiner Meinung nach die hochfliegenden Träume der Parteien
und politischen Einzelpersonen wesentlich: Nicht nur am Wahltag ist Zahltag!
Liebe Philtalker, es nützt meiner Meinung nach nichts bei der Diskussion des
Mehrheitsprinzips, so zu tun als ob die Wahrheit bekannt sei! Ideale und
Wahrheiten sind im Hinblick auf künftige Auswirkungen schlechte Ratgeber, weil
die Ideale so oder so nicht eintreffen und weil nicht selten die Wahrheiten sich
als "sogenannte Wahrheit" oder "schlechte Wahrheit" erweisen. Und gerade weil
dies so ist, unterlassen die Urnengänger gern mal das quacken und machen statt
dessen die Faust im Sack bis zum nächsten Zahltag/Urnengang!
Danke &
Gruss
Ihr Alltag
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
chizmata am Vorgestern, 16:59 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/20/07 um 16:43:40, Maulwurf wrote:Naja gut, wenn Du Dich unbedingt
(Zusatz: auch noch) lächerlich machen willst.
Lol du hast ja
echt n rad ab du birne. Geh mal zu deiner mama und lass dir die windeln
wechseln, dann gehts vielleicht wieder. Oder is die grad zu besoffen?
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi
am Vorgestern, 17:43 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi allerseits,
abrazo ist der Meinung, dass mit Kant sich alle Probleme
dieser Welt lösen lassen. Es könnte so sein, wenn sich nur irgendjemand daran
hielte. Mit der Philosophie verhält es sich genauso wie mit der Theologie,
werden gewisse Lehrsätze und seien sie bei ruhiger Betrachtungsweise noch so
einleuchtend, immer wieder monoton heruntergebetet, so wie es in
Religionsgemeinschaften gehandhabt wird, verkommen sie zu nichts sagenden
Aussagen. Inzwischen sind wir soweit, dass wir eine Entwicklung in den
Gesellschaften sehen können, weil andere Philosophen nach der Kantära uns den
Weg aus unserer Sackgasse wiesen.
Ich denke an Hegel als einen
Aufsatzpunkt, der mir geeignet scheint, eine funktionsfähige Staatstheorie zu
entwickeln. Einige marxistische Elemente lassen sich durchaus übernehmen. Wir
müssen nicht den Fehler wiederholen und die Begrenztheit der Ressourcen unseres
Planeten vergessen. Es ist natürlich in Zeiten der Suche nach einem Ausweg aus
unserer scheinbaren Ausweglosigkeit, dass einige Irrläufern nachhängen, wie das
bei Maulwurfs Anarchie der Wiener Schule der Fall zu sein scheint. Auch zu Karl
Marx großer Zeit gab es genügend Utopisten, die sehr schnell verschwanden.
Poppers experimentelle Philosophie, ich nenne sie so, weil nach ihm die
Metaphysik, so wie wir sie kennen, durch Laborversuche, sofern es möglich ist,
sich abzulösen scheinen. So nähern sich die Methoden der Geisteswissenschaften
sich den Methoden der Naturwissenschaften an.
hedgi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo
am Vorgestern, 18:11 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hi,
Alltag, das scheinen mir sehr gewichtige Argumente zu sein. Aber im
Zuge der Arbeitsteilung (man kann es natürlich auch Faulheit nennen) lasse ich
erst einmal Eberhard darüber nachdenken.
Hedgi, mit Kant lassen sich
mitnichten die Probleme der Welt lösen. Allerdings zu den in unserem Staatsrecht
festgeschriebenen Prinzipien Subjektsqualität des Individuums, der Mensch als
Zweck, niemals jedoch als Mittel und die berühmte goldene Regel gibt es m.E. nun
einmal nach Kant nicht mehr viel eigenes zu sagen.
Nichts gegen
Staatstheorien, doch das ist nicht meine Baustelle. Man kann nicht alles machen.
Sollen andere sich damit beschäftigen. Ich erinnere allerdings daran, dass Marx
Junghegelianer war. Insofern klingt Deine Äußerung von wegen Übernahme von Marx
in Hegel etwas seltsam.
Zu Popper möchte ich bemerken: Wittgenstein
konnte sich einst nur durch umgehende Flucht dem dringenden Bedürfnis entziehen,
Popper einen Schürhaken über den Schädel zu ziehen.
Wittgenstein hat mein
Verständnis.
Gruß
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am Vorgestern, 20:52 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits,
hallo maulwurf,
da sich diesmal immerhin 2
zusammenhängende Sätze in dem Beitrag von maulwurf finden, lohnt es sich
vielleicht, inhaltlich darauf einzugehen.
Du stützt Dich in Deinem
Beitrag wie selbstverständlich auf ein bestimmtes „moralisches Recht“ bzw.
„Naturrecht“, dessen Kenntnis und Anerkennung Du offenbar bei den andern
Diskussionsteilnehmern voraussetzt. Zumindest für meine Person kannst Du diese
Voraussetzung nicht machen, weshalb Deine Prämissen für mich in der Luft hängen.
Wohl unter Bezug auf die Inhalte dieser Moral bzw. dieses Naturrechts
behauptest Du nun:
„Es kann kein Recht geben, dem Pöbel die
Verantwortung für ein ganzes Land zu geben.“
Es wurde bereits gefragt,
was oder wen Du mit dem Wort „Pöbel“ meinst.
Wenn ich in meinem alten
Sprach-Brockhaus nachsehe, so finde ich unter „Pöbel“ die Erläuterung:
„gemeines, rohes Volk, niedere Masse“ und unter „pöbelhaft“ die Erläuterung:
„gemein, gewöhnlich, frech“
Da Du schreibst, dass das allgemeine
Wahlrecht nichts anderes ist als dem Pöbel das Recht zu bestimmten Handlungen zu
geben, ergibt sich, dass Du mit dem Wort „Pöbel“ die Gesamtheit der
Wahlberechtigten eines Landes bezeichnest.
Deine Behauptung lässt sich
demnach folgendermaßen formulieren:
„Es kann kein Recht geben, den
Wahlberechtigten die Verantwortung über ein ganzes Land anzuvertrauen.“
Damit wird mir allerdings noch schleierhafter, aus welcher Moral und welchem
Naturrecht sich diese Behauptung ergibt.
Du könntest einwenden: „Ich
habe nicht umsonst vom Pöbel gesprochen und nicht von den Wahlberechtigten.
Indem ich die Wahlberechtigten als „Pöbel“ bezeichne, sage ich ja etwas über
diese Wahlberechtigten aus. Sie sind eine niedere Masse, ein gemeines und rohes
Volk.“
Dann würde ich an Dich die Frage stellen, was Du mit den Wörtern
„gemein“, „roh“ oder „niedrig“ wohl meinst.
Im Sprach-Brockhaus finde
ich unter „gemein“ die Erläuterung „1.) gewöhnlich, verbreitet, und 2.) niedrig
gesinnt, grob, boshaft“ und unter „niedrig“ steht „1.) nicht hoch, flach, 2.)
geringen Standes, 3.) gemein“ . Für unseren Kontext kommt wohl nur die Bedeutung
unter 3.) in Frage, womit sich die Erläuterungen im Kreise drehen:
Wie
jeder leicht merken kann, haben diese Wörter einen minimalen empirischen Gehalt
aber einen eindeutig negativ wertenden Gehalt.
Dass Du die
Wahlberechtigten als “gemein“ bewertest und deren Gesinnung als „niedrig“,
stellt ein Werturteil dar, das völlig unbegründet im Raum steht. Offenbar setzt
Du voraus, dass dies Werturteil von den Diskussionsteilnehmern geteilt wird.
Auch hier muss ich sagen: Zumindest für meine Person kannst Du diese
Voraussetzung nicht machen, weshalb auch Deine Wertprämissen völlig in der Luft
hängen.
Du behauptest weiterhin, mit dem allgemeinen Wahlrecht werde den
Wahlberechtigten die Verantwortung für ein Land anvertraut, damit es freie,
friedfertige und fleißige Menschen nach Belieben beherrschen, ausplündern und
ausbeuten kann.
Die Frage ist, wen Du mit den „freien, friedfertigen und
fleißigen Menschen“ meinst.
Da das allgemeine Wahlrecht die Grundlage
bildet und die daraus resultierende Gesetzgebung gemeint ist, kann es sich bei
den „freien Menschen“ nur um die Bevölkerung desselben Landes handeln, denn nur
für diese sind die von der Mehrheit gemachten Gesetze bindend.
Damit
sind wir bei dem skurrilen Ergebnis angelangt, dass die Wahlberechtigten gemein
und von niederer Gesinnung sind, während die Bevölkerung freie, friedfertige und
fleißige Menschen sind. Da sich beide Gruppen weithin decken und aus den
gleichen Individuen bestehen, sind Deine Behauptungen zumindest überraschend,
wenn nicht sogar widersprüchlich.
Du behauptest nun, durch das allgemeine
Wahlrecht werde den Wahlberechtigten die Macht gegeben, damit sie die
Bevölkerung beherrschen und ausplündern können.
Dem kann ich nicht
folgen. Das Wort „damit“ kennzeichnet den Zweck. Wenn man sagt: „Person A tut
das, damit …“, dann folgt hinter dem Wort „damit“ der Zweck, den Person A mit
diesem Tun verfolgt.
Es stellt sich bei Deiner Behauptung sofort die
Frage, wer denn diesen Zweck mit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts
verbindet. Und weiterhin stellt sich die Frage, wie eine derartige
Motivunterstellung nachprüfbar begründet werden kann. Auf beide Fragen findet
sich bei Dir keine Antwort. So stehen auch diese Behauptungen völlig unbegründet
im Raum.
Unabhängig von dieser Motivunterstellung behauptest Du, dass
die Wahlberechtigten tatsächlich in Deutschland die Bevölkerung ausplündern,
denn hier gibt es ja das allgemeine Wahlrecht.
Es stellt sich die Frage,
was Du mit „ausplündern“ meinst. Der Brockhaus erläutert „plündern“ mit
„ausrauben“. Wenn Du z. B. das Erheben von Steuern damit meinst, so handelt es
sich dabei nicht um „Raub“ im rechtlichen Sinne. Ich vermute deshalb, dass es
sich auch hier um Ausflüsse einer von Dir nicht näher begründeten
Moralkonzeption handelt.
Was bleibt von den starken Worten übrig? Heiße
Luft, wie schon andere bemerkten.
Es braucht niemand zu befürchten, dass
ich jetzt öfter mit dieser Ausführlichkeit auf substanzlose Beiträge eingehe.
Mir ging es hier nur um die Demonstration einer möglichen Kritik an derartigen
Beiträgen.
Es grüßt Euch Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am Vorgestern, 21:19 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/20/07 um 20:52:30, Eberhard wrote:Es braucht niemand zu befürchten,
dass ich jetzt öfter mit dieser Ausführlichkeit auf substanzlose Beiträge
eingehe. Mir ging es hier nur um die Demonstration einer möglichen Kritik an
derartigen Beiträgen.
LOL
Ich werde mir natürlich auch
nicht die Arbeit machen auf Deine Sinnentstellungen einzugehen. Es reicht völlig
aus zu betonen, dass Deine demokratische Ideologie die Initiierung von Gewalt
voraussetzt, was Dir selbstverständlich klar sein muss.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am Gestern, 06:39 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Das Mehrheitsprinzip schafft keine Gewalt, sondern vermeidet Gewalt, dort wo
Einmütigkeit nicht, nicht rechtzeitig oder nur unter nicht vertretbaren Kosten
erzielt werden kann und wo die konservative Lösung "Wenn man sich nicht einigen
kann, bleilbt alles so wie es ist" keine akzepbable Lösung ist, sondern nur
Ausfluss der Iedologie von der Souveränität der Eigentümer und der Freiheit
ihrer Verträge, meint
Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
chizmata am Gestern, 10:09 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Eberhard schrieb:
-------------------------------
Mir ging es nur um die
demonstration einer möglichen kritik an solchen beiträgen.
-------------------------------
Gut gemeinter versuch eberhardt, aber wie
du siehst ist dieser typ nicht für sachliche argumente zugänglich. Manchmal
hilft eben einfach nur draufhauen, dann isser wenigstens ruhig.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi
am Gestern, 10:45 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Solange Eberhard und anderen einschließlich mir nichts einfällt, wie unser
demokratisches System, das wir freiheitlich nennen, zu retten ist, ist es Zeit
sich mit etwas Theorie zu beschäftigen.
Abrazo schrieb:
Quote:Ich
erinnere allerdings daran, dass Marx Junghegelianer war. Insofern klingt Deine
Äußerung von wegen Übernahme von Marx in Hegel etwas seltsam.
Ja,
Marx entwickelte seine Philosophie unter Hegels Einfluss. Er hat sich aber
ziemlich schnell gelöst und seine Philosophie entwickelt, die die Welt in Atem
hielt. Immerhin war der Kommunismus von K. Marx stark genug dem Kapitalismus 100
Jahre eine echte Konkurrenz zu sein. Wer weiß, ob wir sonst die angenehmen
Seiten des Kapitalismus jemals kennen gelernt hätten. Das eigentliche Wesen des
Kapitalismus fängt jetzt an durchzuschimmern, nachdem die kapitalistische
Gesellschaftsordnung ohne Gegenalternative dasteht. So etwas gab es schon
öfters, wenn das Kräftegewicht zusammenbricht, weil eine Macht kollabierte,
pervertiert das ganze System.
Was lernen wir daraus, ohne einen
richtigen Feind können wir nicht auskommen.
1968 konnte die marxistische
Ideologie ohne große Änderungen übernommen werden. Der seit der Stalinära
pervertierte Kommunismus konnte die 68-er nicht gefährden, da es damals leicht
fiel zu erklären, was besser als in der Diktatur der SU laufen könnte.
Die nächste Bewegung wird mit neuen Ideen aufwarten müssen. Wir leben jetzt in
einer Übergangszeit, in der die Widersprüche der alten Gesellschaft
offensichtlich werden, die für den Druck sorgen, um das alte System explodieren
zu lassen. Das Zündmaterial sind die Ideen der Philosophen, die von keinem
Dichtmaterial aufgehalten werden können. Wir müssen uns nicht an die vier
Stadien, so wie sie von Marx und Engels beschrieben sind festklammern. Aber
eines scheint sich bestätigt zu haben, unsere Gesellschaft befindet sich in
einem dauerhaften Prozess der Veränderung, der sich mit Hegels verbesserter
Dialektik ziemlich genau beschreiben lässt. auch qualitative Sprünge lassen sich
in Hegels Gerüst unterbringen.
Ich meine es ist das Naturrecht eines
jeden einzelnen, wenn das alte System zusammenbricht am schnellst möglichen
Übergang zur neuen Gesellschaft mitzuwirken. Das wussten die alten Griechen
bereits, nicht umsonst haben sie den Tyrannenmord nicht nur als ethisch
vertretbar, sondern sogar für moralisch geboten gehalten, wenn der Tyrann nur
nicht mehr das Wohl seines ihm anvertrauten Volkes im Auge hatte.
--------------------------------------------------------------------------------
Mein Gründe auf Hegel zurückzugreifen und nur Teile von marxistischen
Philosophie zu übernehmen, um eine Gesellschaftstheorie zu entwickeln, ergeben
sich aus Beobachtungen der Evolution. Der Marxismus ist bereits sehr
spezialisiert, das ist beim Hegelianismus anders, er befindet sich noch im
Stadium der reinen Theorie und ist dementsprechend verformungsfähig.
Wenn wir in die Geschichte der Evolution zurückblicken, konnten in stabilen
Zeiten einige Lebewesen sich mächtige Waffen zulegen und ihre Umwelt
beherrschen, aber während stattfindender Katastrophen, konnten sich gerade die
hoch spezialisierten Lebewesen nicht an neue Bedingungen anpassen. Es war der
hilflose Mensch dessen Stärke gerade in seiner Schwäche bestand, die es ihm
ermöglichte, sich an neue Bedingungen anzupassen.
hedgi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am Gestern, 11:08 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/21/07 um 06:39:35, Eberhard wrote:Das Mehrheitsprinzip schafft keine
Gewalt, sondern vermeidet Gewalt,
Das kann man dann von der
Mafia auch behaupten, wenn man brav das Schutzgeld bezahlt.
Quote:dort wo Einmütigkeit nicht, nicht rechtzeitig oder nur unter nicht
vertretbaren Kosten erzielt werden kann und wo die konservative Lösung "Wenn man
sich nicht einigen kann, bleilbt alles so wie es ist" keine akzepbable Lösung
ist, sondern nur Ausfluss der Iedologie von der Souveränität der Eigentümer und
der Freiheit ihrer Verträge, meint
Eberhard.
Wer
definiert denn, was nicht rechtzeitig oder nicht unter vertretbaren Kosten
erzielt werden könne oder nicht akzeptabel sei?
Das ist dann immer die
Mehrheit, die sich ein Recht auf Initiierung von Gewalt verschafft, damit sie
ihren Willen (heuchlerisch "Gemeinwohl" genannt) ohne Konsensnormen durchsetzen
kann.
Und da in einer solchen Gesellschaft alle wissen, dass sich
jederzeit eine Mehrheit (also der Pöbel oder seine Regentschaft) gegen einen
selbst begehren kann, verhalten sich auch alle so, damit dass nicht zu sehr
passiert.
Dies wusste Bastiat bereits vor 150 Jahren:
Man kann auch versichern, dass sich - wenn der Staat nicht in die privaten
Angelegenheiten eingreift - die Bedürfnisse und Befriedigungen in natürlicher
Weise entwickeln würden. Man würde keine armen Familien nach literarischer
Unterrichtung streben sehen, bevor sie Brot haben. Man würde nicht die Stadt
sich auf Kosten des Landes oder das Land sich auf Kosten der Städte bevölkern
sehen. Man würde nicht diese großen Fehlleitungen von Kapital, von Arbeit, von
Bevölkerung sehen, die durch gesetzliche Maßnahmen hervorgerufen werden,
Fehlleitungen, die selbst die lebenswichtige Versorgung so unsicher, so heikel
machen und dadurch die Regierungen mit so außerordentlich schwerer Verantwortung
belasten.
Unglücklicherweise hat sich das Gesetz nicht auf seine Rolle
beschränkt. Es hat sich davon nicht einmal nur in neutraler und diskutabler
Absicht entfernt. Es hat Schlimmeres getan: Es hat seinem eigenen Zweck entgegen
gehandelt; es hat sein eigentliches Ziel zerstört; es hat sich verwenden lassen,
die Gerechtigkeit zu verweigern, die es zur Geltung bringen sollte, jene Grenze
zwischen den Rechten auszulöschen, der es Respekt verschaffen sollte; es hat die
kollektiven Gewalt denen dienstbar gemacht, die ohne Risiko und ohne Skrupel die
Person, die Freiheit oder das Eigentum der anderen ausbeuten wollen; es hat den
Raub in Recht verwandelt, um ihn zu schützen, und die legitime Verteidigung in
ein Verbrechen, um es zu bestrafen.
Bis heute hat sich an diesen
kollektiven Verwerfungen prinzipiell nichts geändert und wird sich auch nicht
ändern.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo
am Gestern, 12:07 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Mein Plagiat an F. Bastiat
Geschrieben um den 11. Juli 1868 von Karl
Marx.
Nach der Handschrift.
|312| In ........... |in der Handschrift
freigelassener Platz für den Titel "Vierteljahrschrift für Volkswirthschaft und
Kulturgeschichte"| entdeckt ein Bastiatit, daß ich die Bestimmung der Wertgröße
der Waren durch die zu ihrer Produktion "gesellschaftlich notwendige
Arbeitszeit" dem F. Bastiat abstibitzt habe, und noch dazu in verballhornter
Form. Ich könnte mir dies Quiproquo schon gefallen lassen. Wenn nämlich dieser
Bastiatit Nr. I Bastiats und meine Wertbestimmungen der Sache nach identisch
findet, erklärt ein Bastiatit Nr. II ziemlich gleichzeitig in dem Leipziger
"Literarischen Centralblatt" vom ........................ |in der Handschrift
freigelassener Platz für das Datum - 4. Juli 1868 - und folgendes Zitat: "Die
Zurückweisung der Werttheorie ist die einzige Aufgabe desjenigen, der Marx
bekämpft; denn wenn das Axiom zugegeben ist, muß man Marx die mit strengster
Logik gezogenen Konsequenzen fast alle zugestehen."|
Durch Addition von
Bastiatit Nr. I zu Bastiatit Nr. II ergäbe sich also das Fazit, daß das ganze
Heer der Bastiatiten jetzt in mein Lager übergehn und meine Entwicklungen über
das Kapital in Bausch und Bogen annehmen müßte. Man begreift, daß ich nur nach
hartem Seelenkampf auf solche Annexationsfreuden verzichte.
Die in meiner
Schrift "Das Kapital", 1867, enthaltene Wertbestimmung findet sich schon 2
Dezennien früher in meiner Schrift gegen Proudhon: "Misère de la Philosophie",
Paris 1847. (p. 49 seqq.) Bastiats Wertweisheit kam erst einige Jahre später auf
die Welt. Ich konnte daher nicht den Bastiat abschreiben, wohl aber der Bastiat
mich.
Jedoch gibt Bastiat in der Tat gar keine Analyse des Werts. Er
tritt nur begriffslose Vorstellungen breit, zum tröstlichen Nachweis, daß "die
Welt voll großer, trefflicher, täglicher Dienst" ist. Die deutschen |313|
Bastiatiten sind bekanntlich alle nationalliberal. Ich leiste ihnen also auch
"großen, trefflichen Dienst" durch einen Fingerzeig auf den spezifisch
preußischen Ursprung des Bastiatschen Weisheitsfundes. Der alte Schmalz war
nämlich preußischer Regierungsrat, wenn ich nicht irre, sogar geh. pr.
Regierungsrat. Er war außerdem Demagogenriecher. Dieser alte Schmalz also
veröffentlichte 1818 zu Berlin ein "Handbuch der Staatswirthschaftslehre". Die
französische Übersetzung seines Handbuchs erschien 1826 zu Paris unter dem
Titel: "Économie Politique". Der Übersetzer, Henri Jouffroy, figurierte auf dem
Titel als "Conseiller au Service de Prusse" |"Preußischer Regierungsrat"|. In
folgendem Zitat wird man die Bastiatsche Wertvorstellung nicht nur dem Inhalt,
sondern selbst dem Wortlaut nach quintessenzlich vorfinden:
"Le travail
d'autrui en général ne produit jamais pour nous qu'une économie de temps, et
[que] cette économie de temps est tout ce qui constitue sa valeur et son prix.
Le menuisier, par exemple, qui me fait une table, et le domestique qui porte mes
lettres a la poste, qui bat mes habits, ou qui cherche pour moi les choses qui
me sont nécessaires, me rendent l'un et l'autre un service absolument de même
nature; l'un et l'autre m'épargne et le temps que je serais oblige d'employer
moi-même a ces occupations, et celui qu'il m'aurait fallu consacrer a acquérir
l'aptitude et les talents qu'elles exigent." (Schmalz, l.c. t. I, p. 304.)
|"Die Arbeit anderer bringt uns überhaupt nur eine Zeitersparnis, und diese
Zeitersparnis ist alles, was ihren Wert und ihren Preis ausmacht. Der Tischler,
welcher mir einen Tisch verfertigt, und der Bediente, welcher mir Briefe auf die
Post trägt, meine Kleider reinigt und die mir nötigen Dinge holt, beide tun mir
ganz gleichen Dienst; sie ersparen mir die Zeit, und zwar zwiefache Zeit; die
erste die, welche ich jetzt aufwenden müßte, um das selbst zu tun; die zweite
die, welche ich hätte anwenden müssen, um mir die Geschicklichkeit dazu zu
erwerben."|
Man weiß also jetzt, wo Bastiat sein Fett, ich wollte sagen,
sein Schmalz hergeholt hat.
[grin]
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo
am Gestern, 12:12 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Quote:Man würde keine armen Familien nach literarischer Unterrichtung
streben sehen, bevor sie Brot haben.
Es war ja auch eine
Ungeheuerlichkeit, dass im preussischen Kaiserreich mit seinen wohlgeordneten
drei Ständen der 3. Stand doch tatsächlich das Wahlrecht verlangte! Der Arbeiter
braucht keine Bildung. Der soll das Maul halten und arbeiten.
Scheiss
Sozialisten!
(Es wäre vielleicht einiges anders gekommen, hätte nicht
Bismarck den Kulturkampf in Rheinland und Ruhrgebiet so jämmerlich verloren.)
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am Gestern, 12:22 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Schöne Polemik und wo ist jetzt der konstruktive Teil der Kritik?
Ach so,
ich vergaß. Trollen ist angesagt.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
chizmata am Gestern, 12:54 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/21/07 um 12:22:45, Maulwurf wrote:Schöne Polemik und wo ist jetzt der
konstruktive Teil der Kritik?
Ach so, ich vergaß. Trollen ist angesagt.
Du hast die sache mit der umverteilung noch nicht ganz
verstanden (der "diebstahl"; als würden ein reicher mit 100% und ein armer mit
0% am ende bei 50/50 rauskommen...). Ausserdem pickst du den kleinen polemischen
teil von abrazo heraus und geht auf seinen ellenlangen post nichtmal ein, nur um
ihn wie mich vorher als das darzustellen was du selber bist: ein troll, der
nichts als heisse luft fabriziert.
Keine ahnung ob du wirklich so blöd bist
oder einfach nur provozieren willst. Hast wahrscheinlich keine freunde oder so,
würde mich nicht wundern.
Deine meinung ist für jeden hier ganz
offensichtlich als schwachsinn erkennbar, und trotzdem wird dir mehrfach die
diskussion angeboten. Du reagierst darauf indem du andere als trolle oder
befürworter von völkermord beschimpfst. Wahrscheinlich hast du psychische
probleme oder so aber das ist mir egal. Ich hab in meiner freizeit besseres zu
tun als mich mit solchen vollidioten wie dir rumzuschlagen. Würdest du mir
gegenüberstehen hättest du schon längst meine faust im gesicht. Also tu mir
einen gefallen und verpiss dich aus diesem forum du arsch!
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am Gestern, 15:45 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Vielen Dank für die deutliche Darstellung des Begriffes "Pöbel".
Wir
kommen langsam doch noch in der Diskussion voran.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
chizmata am Gestern, 15:57 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/21/07 um 15:45:27, Maulwurf wrote:Vielen Dank für die deutliche
Darstellung des Begriffes "Pöbel".
Wir kommen langsam doch noch in der
Diskussion voran.
Deine meinung is ja echt herrlich. So nach dem
motto "mal von den eltern gehört und nie mehr drüber nachgedacht", aber
hauptsache mal drauflosplappern. Da steckt ja in meinen beleidigungen mehr hirn.
Ich erzähl dir lieber nicht was ich in meinem leben mache sonst erschütter ich
noch dein weltbild.
Achso, und noch was: hatte ich dir nicht gesagt du sollst
aus diesem forum verschwinden?
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Eberhard am Gestern, 19:45 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Hallo allerseits,
hallo Abrazo,
Du erhebst einen grundlegenden Einwand
gegen eine Interpretation des Mehrheits-Prinzips als eine Methode zur
Zusammenfassung von Interessen. Du weist darauf hin, dass das, was Menschen
wollen, nicht nur von ihren Interessen bestimmt wird, sondern auch von ihren
Werten bzw. Idealen.
Ich stimme Dir hierin zu und muss zugleich sagen,
dass auch für mich das Verhältnis zwischen Interessen und Werten keineswegs
geklärt ist. Die Tatsache, dass ein Individuum die Alternative x der Alternative
y vorzieht, sagt noch nichts darüber aus, ob diese Präferenz seine
Interessenlage oder seine Werthaltungen ausdrückt.
Richtig ist, dass die
Werte, die ein Mensch vertritt, nicht völlig durch seine Interessenlage bestimmt
sind. Zwar bestimmt das gesellschaftliche Sein in starkem Maße auch das
Bewusstsein in Form von Werthaltungen und Einstellungen. Die meisten
Sozialhilfe-Empfänger werden gegen die Kürzung von Sozialleistungen sein und
dies auch mit moralisch/politischen Werten vertreten, und die meisten Millionäre
werden gegen eine höhere Vermögenssteuer sein und dies ebenfalls mit
moralisch/politischen Werten verteidigen.
Aber als Menschen können wir
auch versuchen, einen unparteiischen Standpunkt einzunehmen und für andere
nachvollziehbar zu argumentieren. Wir können versuchen, intersubjektiv
nachvollziehbare und allgemeingültige Antworten auf unsere Fragen zu finden.
Werte und Ideale sind nach meinem Verständnis im Bereich des
Allgemeingültigen angesiedelt. Sie beanspruchen allgemeine Zustimmung, sie
wollen dauerhaft geteilt werden. Über Werte und Ideale stimmt man nicht ab,
sondern sie werden argumentativ begründet oder kritisch hinterfragt. Oder auch:
Man hat sie eben und steht zu ihnen, gleichgültig, ob andere diese Werte teilen
oder nicht. Deshalb werden Wertentscheidungen auch durch Bündnisse nicht
„richtiger“.
Interessen dagegen ändern sich je nach Lebenslage und
sozialer Position.
Wertfragen wie: „Sind der Schwangerschaftsabbruch oder
das Experimentieren mit Stammzellen moralisch verwerflich?“ können nicht durch
Abstimmungen entschieden werden, sondern nur durch Argumentation.
Diese
(vorläufige) Antwort befriedigt mich auch selber nicht. Hier bleibt noch viel zu
klären.
Soviel zur Rolle der Werte und Ideale.
Zum Verhältnis von
Einzelinteresse und Gesamtinteresse bei Abstimmungen noch eine Klarstellung.
Die von mir vertretene Analyse und Interpretation des Mehrheitsprinzips
fordert jeden Wähler auf, so zu wählen, dass das für ihn subjektiv beste
Ergebnis herauskommt. Dabei kommt es automatisch zu Wahlabsprachen und
Wahlbündnissen.
Diese Freisetzung des „(Gruppen-)Egoismus“ erscheint auf
den ersten Blick unverständlich und falsch. Um doc rudi zu zitieren: „soll der
Wähler … keine Entscheidung im Sinne seiner persönlichen Interessen treffen,
sondern er soll eine Entscheidung darüber treffen, was besser für das System
höherer Ordnung sein soll.“
Der Witz bei Abstimmungen nach dem
Mehrheitsprinzip ist nun der, dass gerade das eigeninteressierte Verhalten der
Beteiligten zur Durchsetzung der Mehrheitsalternative führt, also derjenigen
Alternative, die im Paarvergleich „jeder gegen jeden“ immer die Mehrheit der
Stimmen gewinnt.
Es wirkt hier eine Art „invisible hand“ wie in einer
Konkurrenzwirtschaft. Gerade weil die Unternehmer möglichst hohe Profite machen
wollen, fließt Kapital in Branchen mit hohen Gewinnspannen. Durch das damit
entstehende höhere Angebot sinken jedoch die Preise und die Gewinnspannen
gleichen sich dem Durchschnitt an. Gerade das eigeninteressierte Verhalten der
Einzelnen führt also unter Konkurrenzbedingungen zu allgemein erwünschten
Ergebnissen.
In analoger Weise führt im politischen Bereich gerade die
Orientierung an den eigenen Interessen zur Durchsetzung der Mehrheitsalternative
und damit zu einem Resultat, das – abgesehen von den bereits angesprochenen
Ausnahmen – auch unter dem Gesichtspunkt des Gemeinwohls akzeptabel ist.
Soviel erstmal von
Eberhard.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
Maulwurf am Gestern, 20:08 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Das "Gemeinwohl" ist die dreckige Bedeutungsverbesserung vom gemeinen Interesse
des Pöbels, der mit Gewalt seinen Willen durchsetzen will.
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi
am Gestern, 20:23 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Quote:Die von mir vertretene Analyse und Interpretation des
Mehrheitsprinzips fordert jeden Wähler auf, so zu wählen, dass das für ihn
subjektiv beste Ergebnis herauskommt. Dabei kommt es automatisch zu
Wahlabsprachen und Wahlbündnissen.
Bei Abstimmungen nach dem
Mehrheitsprinzip ist das eigeninteressierte Verhalten der Beteiligten zur
Durchsetzung der Mehrheitsalternative führt, die immer die Mehrheit der Stimmen
gewinnt.
Jetzt fehlt immer noch deine Aussage, wie das
Mehrheitsprinzip realisiert werden soll. Meinst du es soll so weitergehen wie
bisher. Der Wähler macht sein Kreuz hinter der Partei, von der er glaubt, sie
sei die beste für ihn.
Nach dem Mehrheitsprinzip bilden zwei oder mehrere
Parteien ihre Koalition, und sagen dem ab der Wahl von allen Entscheidungen
abgekoppelten Wähler, das musst du ganz demokratisch schlucken, weil wir das so
ganz demokratisch im stillen Kämmerlein in deinem Namen bestimmt haben, denn da
würdest du nur stören. Denn was die Mehrheit will, das wissen nur wir.
Das kannst du uns doch nicht im Ernst unterjubeln?
--------------------------------------------------------------------------------
Sinn kann überhaupt nur eine Gegenüberstellung der verschiedenen uns bekannten
Wahlsysteme machen, vielleicht noch eine Variante über die noch nie diskutiert
wurde.
Mehrheitswahlrecht in parlamentarischen Demokratien. Nehmen mehr
als 2 Parteien teil, kommt es mit großer Wahrscheinlichkeit zu Koalitionen, auf
die der Wähler bedauerlicherweise keinen Einfluss mehr nehmen kann.
Verhältniswahlrecht, wer die meisten Wahlkreise gewinnt, stellt den
Regierungschef. Allerdings sind Manipulationen an der Aufteilung der Wahlkreise
vorprogrammiert. Vorteil der Regierungschef hat tatsächlich mehr Stimmen und
kann sich nicht mit Kompromissen herausreden.
Präsidialdemokratie,
Regierungschef und Parlament als Kontrollorgan werden getrennt gewählt.
Egal welches System favorisiert wird, Volksbefragungen in wichtigen Fragen und
eine nicht nur dem Namen nach freie Presse als echtes Kontrollorgan der
Regierung, bleiben für eine Demokratie ein unverzichtbares Mittel ihrem Namen
gerecht zu werden.
Unter freie Presse verstehe ich nicht, eine Kette von
Zeitungsunternehmen, die über Großaktionäre miteinander verschwägert sind.
Der mündige Bürger ist auf mehrere unabhängige Meinungen angewiesen, um
durch Abwägung sich ein Urteil bilden zu können.
hedgi
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Alltag
am Gestern, 22:22 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Dem Mehrheitsprinzip liegt das Miteinander wesentlich zu Grunde. Mit dem
Mehrheitsprinzip wird die schlechte Subjektivität abgelegt!
"Schlecht"
ist die Subjektivtiät in mindestens zweifacher Hinsicht: Erstens, weil die
Subjektivität mangels ausreichend Gscheiten unzureichend ist für die Findung von
wirklich schwierigen und tragfähigen Entscheiden. Zweitens, weil die
Subjektivität (philosophisch) völlig unklar definiert ist; das Subjekt ist nie
abgekapselt und allein, sondern immer auch mit Andern, immer in einem Umfeld.
Die Entscheidungsfindung geht über mindestens zwei Stufen: In einem
Schritt werden (in Wahlen) die Personen bestimmt, die in einem andern Schritt
entscheidungsträchtige und tragfähige Inhalte ausmarken.
Solcherlei ist
im Geist des Erfinders des Mehrheitsprinzip. Dass Mancherlei sonst noch
mitschwingt, ist die Lebenspraxis. Aber will man deshalb das Bad mit dem Kind
ausschütten?
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von
chizmata am Gestern, 23:48 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
on 05/21/07 um 20:08:02, Maulwurf wrote:Das "Gemeinwohl" ist die dreckige
Bedeutungsverbesserung vom gemeinen Interesse des Pöbels, der mit Gewalt seinen
Willen durchsetzen will.
Hast dus immer noch nicht kapiert?
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von art am
Heute, 00:14 Uhr
--------------------------------------------------------------------------------
Das "Gemeinwohl" ist die dreckige Bedeutungsverbesserung vom gemeinen Interesse
des Pöbels, der mit Gewalt seinen Willen durchsetzen will.
Ich ergänze: Pöbel
ist dann gegeben, wenn sich keiner mehr verantwortlich fühlt, weil immer noch
zehn andere da sind denen man im Zweifel die Schuld geben kann. Mehrheitsprinzip
ist das Alibi für gewaltsame "Beglückung" des Einzelnen im Namen aller.
--------------------------------------------------------------------------------
PhilTalk Philosophieforen
-->Übersicht
-->Alphabetische Liste aller Texte
-->Info zu dieser Website
-->Lexikon
-->Startseite
zum Anfang
Ethik-Werkstatt: Ende der Seite "Das Mehrheitsprinzip - Rechtfertigung und
Kritik" / Letzte Bearbeitung
siehe Beiträge / Eberhard Wesche u. a.