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Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
(Thema begonnen von:
Eberhard am 05.
Nov. 2005, 14:48 Uhr)
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Titel: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 05. Nov.
2005, 14:48 Uhr
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Hallo allerseits,
dies ist die Fortsetzung der Diskussionsrunde über
"Gemeinwohl und Wohl der Individuen I" (aufzurufen unter
www.philtalk.de/msg/1129452049.htm)
Ich hoffe, dass weiterhin so
sachbezogen und produktiv diskutiert wird wie im Teil I.
Allen
Diskusssionsteilnehmern meinen Dank (ausgenommen h.s.)!
Eine spannende
und kontroverse Diskussion wünscht allen Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 05.
Nov. 2005, 14:53 Uhr
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Hallo allerseits, hallo urs,
Du fragst: „Ist jede Art von Gemeinschaft
nur zu legitimieren, wenn sie auf die Interessen der Individuen zurückzuführen
ist?“
Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, wie man das
Interesse eines Individuums definiert.
Wenn man unter dem „Interesse
eines Individuums“ nur diejenigen Bestrebungen des Individuums versteht, die
sich direkt auf sein eigenes Wohlergehen richten, so muss man wohl die Frage
verneinen. Dies würde unter anderem bedeuten, dass überall nur nach dem Prinzip
„Nach mir die Sintflut!“ gehandelt würde, und dass es deswegen z.B. schnurzpiepe
ist, was in 80 Jahren ist, denn dann ist jeder von uns mausetot und sieht sich
den Rasen von unten an.
Eine nach diesen Prinzipien arbeitende
Wegwerfgesellschaft wäre dann das Einzige, was legitimiert werden könnte, was
schwerlich akzeptabel wäre.
Ist deshalb der Ausgangspunkt von den
Interessen der Individuen ein Irrtum?
Ich denke nicht. Der Fehler der
obigen Konstruktion liegt darin, dass die Interessen der Individuen in
Wirklichkeit nicht nur im engeren Sinne eigennützig sind, sondern dass sie weit
über ihr eigenes individuelles Leben hinausgehen. Menschen haben Interesse
daran, dass über ihr individuelles Dasein hinaus die von ihnen geschätzte
Gesellschaft samt ihrer Kultur fortbesteht.
Deshalb wünschen sich die
Individuen Nachkommen, fördern sie die nachwachsenden Generationen, machen
Vermächtnisse und Stiftungen über ihren Tod hinaus oder opfern sich für die
Gemeinschaft auf.
Menschen sind nicht so borniert individualistisch und
egozentrisch. Ein Hinweis darauf gibt bereits die Biologie des Menschen: Jedes
Individuum trägt in sich einen zweiten Satz Gene, die er an seine
Nachkommenschaft vererbt, ohne dass diese Gene bei ihm selber zur Wirkung
gekommen wären und ihn geprägt hätten.
Wenn man dies berücksichtigt und
den Begriff des Interesses nicht unzulässig verengt, dann sehe ich keine
Probleme, Deine obige Frage zu bejahen.
Es grüßt Dich und alle an
altmodischen Begriffen wie „Gemeinwohl“ Interessierten Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 05.
Nov. 2005, 15:24 Uhr
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Hi, Eberhard,
ich denke, das ist eine sehr gute Synthese, mit der man
leben kann und die mit realem menschlichem Entscheiden und Handeln und seinen
Motiven begründet ist.
Ein junger, mehr oder minder legaler Einwanderer
aus armen Gegenden kommt zu uns in der Hoffnung, hier besser leben zu können.
Aber dazu kommt die Hoffnung, dass er hier eine eigene Familie gründen kann, die
eine bessere Zukunft hat als in seiner Heimat. Und dazu kommt die Hoffnung,
seine daheim gebliebene Familie finanziell unterstützen zu können, damit die
besser leben kann. Und weil das so ist, wird die Reise, wenn irgend möglich, von
seiner daheim gebliebenen Familie mitfinanziert. Menschen handeln und
entscheiden nun mal so.
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Alltag am 05.
Nov. 2005, 18:22 Uhr
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:-) Hallo Allseits,
das geht ja in einem Affentempo weiter!
@ Abrazo
(zu #148),
danke für die Zustimmung, dass die Vertragstheorie für das
Zusammenwirken zwischen Individuum und Gemeinschaft nicht haltbar ist, weil das
Individuum beiden Parteien zugehört (meinem #147).
Deine Bedenken, dass
jeglichem Rechtfertigungszweck die Richtung "Ideologie" anhaftet, kann ich
nachvollziehen. Ich stimme Dir zu, dass trotzdem der Problematik nachgegangen
werden darf, die du wie folgt zusammenfasst: <Man kann der Ethik nicht
entfliehen. Und das ist auch zwangsläufig so.>
@ Eberhard (zu #152),
Deine Kritik <Das ist nicht schlüssig> an Abrazo (#148) zielt darauf ab, dass Du
Abrazo sagst: "Es gibt doch noch andere Begründungen!" Da magst Du ja recht
haben, aber ich bin der Auffassung, dass Abrazos Überlegung doch noch gewürdigt
werden sollte! Und zwar wie folgt: "Eine letzte Begründung, die in der
wahrnehmbaren Welt liegt" ist hinreichend! Wobei das logische <Hinreichend>
gemeint ist, das bekanntlich stärker ist als das logische <Notwendig>. Da sich
Deine Argumente um das logisch schwächere drehen, gehe ich nicht darauf ein.
Denn:
Falls es also gelingen sollte, eine Begründung in der
wahrnehmbaren Welt zu finden, ist das Feld gedüngt (sprich: der Mist geführt)
und mit etwas Geduld und Ausdauer wird's auch was zu ernten geben! Diesen
Gedankengang verfolgte ich in den Beiträgen in denen ich die arrogante Kurzform
<Fundamental-Ethik> kreiert habe. In der Meinung, dass gemeinsame Erlebnisse ein
gutes Fundament sind für einen gemeinsamen Willen, habe ich versucht
aufzuzeigen, dass solche gemeinsame Erlebnisse in der wahrnehmbaren Welt nicht
ausgeschlossen sind. (siehe #115,#121, #123)
@Urs, (zu #151)
Danke
für Deine Ausführungen. Ich schnuppere da an persönlichem Bildungsneuland.
Danke & Gruss --- Euer Alltag
p.s.: Abrazo, was heisst <imho>? Habe
da offensichtlich eine Bildungslücke!
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Urs_meinte_Euch
am 06. Nov. 2005, 02:42 Uhr
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Hallo Abrazo!
Quote:Wenn du, Urs, das Wort Ethik im Sinne von
Ethos = Sitte verwendest, fragt sich, welches Wort du dann für die Grundnormen
(z.B. nicht töten, nicht lügen, nicht stehlen) nehmen willst.
Nach meinem Verständnis wäre eine „Grundnorm“ ein ethisches Prinzip (ein
„Grundsatz“), dessen Funktion nur darin besteht, alle einzelnen Normen
systematisch miteinander zu verbinden. Berühmtestes Beispiel: Kants
kategorischer Imperativ. Die Grundnorm kann einerseits „entfaltet“ werden, indem
man daraus weitere regionale Prinzipien ableitet (so gewinnt Kant sein
Rechtsprinzip aus einer Anwendung des kategorischen Imperativs auf „äußere
Handlungen“), es kann aber auch umgekehrt dazu dienen, vorkommende Normen zu
beurteilen.
In einem weniger strengen Sinne besteht auch z.B. unser
Grundgesetz aus „Grundnormen“. Ich kann nicht beurteilen, ob seine verschiedenen
Paragraphen alle so konsistent sind, dass sie sich aus einem Prinzip ableiten
lassen. Aber jedenfalls dient das Grundgesetz bei uns wirklich als Kriterium für
die Normenkontrolle.
Die Imperative, die Du als Beispiel für Grundnormen
anführst, würde ich keine echten Normen – also „Scheinnormen“ - nennen. Wir
haben diesen Punkt schon berührt, als wir über solche Sätze diskutierten wie
„Man soll vor der Ehe keinen Sex haben.“ Damals habe ich gemeint, dass eine
echte Norm sich an einen bestimmten Kreis von Adressaten wenden muss. Inzwischen
(durch Lektüre belehrt) würde ich noch hinzufügen, dass eine Norm sich auch auf
eine eindeutige, aber wiederkehrende Situation – ein Situationsschema - beziehen
muss.
(Fingiertes, aber realitätsnahes) Beispiel: „Unmittelbare
Vorgesetzte und Inhaber höherer Dienstgrade sind militärisch zu grüßen.“ Aus
dieser knappen Formel ergibt sich, dass jeder Soldat die (anderswo normierte)
Grußformel aussprechen und die dazugehörige Körperhaltung einnehmen soll, wann
immer er einem seiner unmittelbaren Vorgesetzen oder einem sonstigen
höherrangigen Soldaten - im Dienst - begegnet. Jeder Soldat – gleichgültig,
welchen Rang er selbst einnimmt – hat und kennt seine Vorgesetzten und weiß
auch, welche Dienstgrade über dem seinen rangieren. Somit ist diese Norm für
jeden Soldaten eindeutig verständlich und anwendbar.
Das gilt für „Du
sollst nicht töten!“ keineswegs. Für Soldaten im Ernstfall oder für bestimmte
Justizbeamte in manchen Bundesstaaten der USA z.B. gehört das Töten zu den
Dienstpflichten. Sollen sie sich von diesem Gebot aus dem Dekalog angesprochen
fühlen oder nicht? Gelten die Zehn Gebote nur für gläubige Juden und Christen?
Unter allen Umständen? Aber auch Israel hat eine Armee. Und in die
Koppelschlösser der Wehrmachtssoldaten war eingeprägt: „Gott mit uns!“
Was Du gegen mein Verständnis von „Ethos“ hast, verstehe ich nicht recht -
zumal Du selbst immer wieder betonst, dass wir keine isolierten Individuen sind,
sondern immer in historisch entstandene und sich verändernde Lebensformen
hineingeboren und in ihrem Sinne erzogen werden.
Quote:Denn jede
letzte Begründung kann immer nur in der wahrnehmbaren Welt liegen. Was anderes
haben wir nicht. Irgendwo müssen also die Begründungen für unsere Werte aufhören
und im Hinweis auf eine Tatsache enden, die nicht erdacht werden kann, sondern
die sich zeigt: eben der humane ethische Willen in bestimmten konkreten
Situationen. Davon kann man alles mögliche ableiten und abstrahieren, er selbst
aber ist nicht ableitbar und abstrahierbar.
Eberhard hat dazu
schon Kritisches geschrieben, das ich unterstütze. –
Aber es wäre
hinzuzufügen: Zwar sind Normen insofern etwas Faktisches, als es an jedem Ort
auf der Erde und zu jedem Zeitpunkt irgendwelche anerkannte Normen gibt. Aber
die Normen selbst beziehen sich nicht auf Fakten, sondern auf zukünftige
Handlungen. Ihre Funktion besteht darin, künftige Handlungen an die bisherige
Praxis anzuschließen, also Ordnungsstrukturen in die Zukunft „fortzuschreiben“.
Werden Normen geändert - siehe die Gesetzgebung -, so soll mit einer bestehenden
Ordnung an bestimmten Punkten ausdrücklich gebrochen werden.
Nun finde
ich ziemlich klar, dass eine solche angestrebte Veränderung nicht einfach aus
der „wahrnehmbaren Welt“ begründet werden kann, sondern aus menschlichen
Bewertungen der Welt, wie sie (bisher) ist. Und das macht darauf aufmerksam,
dass auch die bestehende Ordnung nicht „einfach so ist, wie sie ist“, sondern
stets in irgendeiner Weise eine gewollte oder nicht gewollte Ordnung ist. Nur
erfahren wir bei eingespielten, eingewöhnten Lebensformen nicht immerzu unseren
ausdrücklichen Willen oder unsere Bejahung. Es wäre ein absurdes, völlig
verkrampftes Leben, wenn wir uns bei jeder noch so kleinen Routinehandlung neu
entschieden und uns fragten, ob wir sie „wirklich wollen“. Entscheidung und
„Wille“ treten nur auf, wo wir entweder über keine Routine verfügen oder wo wir
mit einer Routine nicht einverstanden sind. Und es ist wohl zuzugeben, dass
jederzeit der Fall eintreten kann, dass wir mit einer gängigen Praxis nicht
einverstanden sind.
Die Gründe für unser Einverständnis oder unsere
abweichende Bewertung können vielfältig und schwer durchschaubar sein, aber sie
lassen sich nicht schlichtweg aus der „wahrnehmbaren Welt“ ableiten.
So, hier muss ich einfach abbrechen. Ich gehöre ins Bett.
Es grüßt
Dich
Urs
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 06.
Nov. 2005, 11:31 Uhr
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Hallo abrazo,
in Deiner Kritik an den vertragstheoretischen Kriterien für
legitime soziale Ordnungen(Hätten freie Individuen im Urzustand einer solchen
Ordnung zugestimmt? bzw. Hätte eine solche Ordnung aus einer vertraglichen
Übereinkunft freier Individuen hervorgehen können?) schreibst Du:
“Was
ist das Gemeinsame zwischen beiden Annahmen? Der Konjunktiv. Das heißt,
argumentiert wird mit einer fiktiven Situation. Was begründet eine fiktive
Situation? Das Denken. Wer denkt? Ein Subjekt. Also ist eine fiktive Situation
immer subjektiv; ich könnte auch sagen: sie entspricht dem Wunschdenken. Damit
etwas zu begründen halte ich nun mal für unsauber.“
Diesen Gedankengang
kann ich nicht nachvollziehen. Richtig ist, dass eine fiktive Situation etwas
von einem Subjekt Erdachtes ist. Aber dass eine erdachte Situation immer dem
Wunschdenken entspricht, folgt daraus keineswegs.
Ein Gegenbeispiel kann
dies vielleicht am besten demonstrieren.
Wenn ich überlege, ob ich mir
für das letzte Geld in meinem Portemonnaie lieber eine Kinokarte oder eine Pizza
kaufen soll, dann denke ich mir fiktive Situationen aus, die im Konjunktiv
formuliert sind, wie z.B.: „Wenn ich die Kinokarte kaufen würde, dann würde ich
erst kurz vor Mitternacht aus dem Kino kommen und hätte inzwischen einen
ziemlichen Hunger“ und dergleichen.
Solche Erwägungen verschiedener
Möglichkeiten im Konjunktiv sind keineswegs Wunschdenken und ihre Verwendung im
Rahmen einer Argumentation führt keineswegs zu logisch unsauberen Begründungen.
Zu der Frage, ob sich die Gleichheit vor dem Gesetz aus der Konstruktion
eines freiwilligen Vertragsabschlusses ableiten lässt, schreibst Du:
„Im
Rudel verlangt der Mitläufer selbstverständlich nicht die gleichen Rechte wie
der Anführer. Er folgt - und dafür erhält er Sicherheit. Willst du behaupten,
dass diese Alternative nicht tatsächlich oft gewählt wird?“
Ich halte es
ebenfalls für fraglich, ob sich die Gleichheit vor dem Gesetz
vertragstheoretisch herleiten lässt. Die Begründung für diesen Zweifel hatte ich
ja bereits mit dem Hinweis auf die möglicherweise ungleiche Verhandlungsmacht
gegeben.
Denken wir uns mal in die Fabelwelt hinein und nehmen an, dass
die Tiere, vom Löwen über den Hirsch bis hin zum Hasen und der Maus, ihren
rechtlosen Zustand durch einen Gesellschaftsvertrag beenden wollen. Für den
Hasen wäre es sicher eine Verbesserung seiner Lage, wenn er sich gegenüber
Wölfen, Hunden u.a. unter den Schutz des Löwen begeben könnte, selbst wenn er
dann nicht rechtlich dem Löwen gleichgestellt ist.
Deshalb kann für mich
der Vertrag auch nicht der Ursprung allgemeingültiger Normen sein.
Diese
Kritik gilt m.E. jedoch nicht für die diskurstheoretische Normenbegründung, zu
der ich neige. Bei der Suche nach einem zwangfreien Konsens kann der Löwe seine
überlegene Kraft nicht als Argument für Sonderrechte einbringen, denn der Löwe
hat ja kein bereits bestehendes Recht, diese Kraft einzusetzen. Auch über den
Einsatz seiner Kraft wäre ja ein rein argumentativer, zwangloser Konsens
herzustellen.
Deshalb ergibt sich für mich aus der Orientierung aller an
einem zwangfreien Konsens die Schlussfolgerung, dass nur solche Normen
konsensfähig sind, bei denen die Interessen aller Beteiligten unparteiisch
berücksichtigt werden.
Ich ordne solche theoretischen Konstruktionen
nicht unter die Rubrik: Was-wäre-wenn Spielchen ein. Du schreibst:
“Was
sind einsichtige Argumente, die einer zwanglos nachvollziehen kann? Argumente,
die unmittelbar auf die wahrnehmbare Welt verweisen. Tatsachen. … Nicht, wie
Mensch und
Welt sein sollen, zählt, sondern wie sie ist.“
Ich sehe
die Beziehung zwischen Tatsachen und Normen etwas anders. Für mich ist die
Erforschung der Welt, wie sie ist, Aufgabe der empirischen Wissenschaften und
hat sich an den Methoden zu orientieren, die für diese Art von Fragen entwickelt
wurden. Hier ist nüchterner Realismus angesagt.
Aber aus noch so vielen
Tatsachen lässt sich logisch keine einzige Norm ableiten.
Und es gibt
zahlreiche Arten von Argumenten, die keine Verweise auf Tatsachen sind. In der
gesamten Logik und Mathematik kommen z.B. keine empirischen Argumente vor.
Mit diesen Worten zum Sonntag seid alle gegrüßt von Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Urs_meinte_Euch
am 06. Nov. 2005, 13:35 Uhr
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Hallo Alltag, hallo Eberhard!
Alltag hat m.E. hiermit durchaus auf
etwas Wichtiges hingewiesen:
Quote:Da jedes Individuum auch Teil der
Gemeinschaft ist, besteht doch im voraus bereits ein Abhängigkeitsverhältnis.
Dieses (von Natur aus bestehende) Abhängigkeitsverhältnis ist doch stärker als
die Bindung, die erst infolge eines Vertrages entsteht. Daher ist doch zu
Fragen, ob das Model "Vertrag" dem Problem Gemein- und Individualwohl qualitativ
angemessen ist?
Eberhards Antwort darauf ist m.E. auch richtig:
Quote:Dein Argument gegen die vertragstheoretische Begründung der
Rechtsordnung trifft nicht, denn die gemeinschaftliche Ordnung wird dort ja erst
durch die vertragliche Übereinkunft der Einzelnen hergestellt. Deshalb kann die
wechselseitige Abhängigkeit der Individuen in der Gemeinschaft kein Argument
gegen die unabhängige Entscheidung der Individuen für den Gesellschaftsvertrag
sein.
Aber: Wechselseitige Abhängigkeit besteht zwischen den
Individuen nicht erst im Rechtszustand. Die wechselseitige Abhängigkeit
innerhalb der Rechtsordnung ist eine Abhängigkeit zwischen Rechtspersonen. Aber
wir sind eben nicht nur Rechtspersonen. Um uneingeschränkt geschäftsfähige
Rechtspersonen zu werden, sind wir auf viele Voraussetzungen angewiesen, die die
Rechtsordnung selbst nicht erschaffen kann. Ich hatte das schon so formuliert,
dass das Recht „nicht autark“ sei. Es ist auf Formen der Gemeinschaft
angewiesen, die nicht nach dem Modell des freiwilligen Vertrags geformt und
entstanden sind.
Zwar zieht ein Rechtsstaat jede Form von Gemeinschaft
an sich, schützt oder regelt sie, wenn erforderlich. So bekommen auch
ursprünglich nicht „auf dem Rechtsweg“ entstandene Gemeinschaften einen
Stellenwert in der Rechtsordnung. So steht nicht nur das unmündige Kind unter
rechtlichem Schutz, sondern auch die Familie, Partnerschaften, regionale
Lebensformen, Glaubensgemeinschaften, politische Parteien, Gewerkschaften,
„Interessengemeinschaften“ usw. Alle diese Zusammenschlüsse haben inzwischen
auch eine Rechtsform, aber diese Rechtsform macht nicht ihr „Wesen“ aus, d.h.
ist nicht das, was sie entstehen lässt und zusammenhält, sondern nur das, was
sie mit der rechtsstaatlichen Ordnung insgesamt verträglich macht. Dass der
Staat hier überall regelnd oder schützend eingreifen darf, ist Ausdruck seiner
„Souveränität“. Aber ich denke, es ist leicht zu sehen, dass diese Souveränität
nicht mit Autarkie verwechselt werden kann, dass also das Recht nur ein
gesellschaftliches „System“ neben anderen gesellschaftlichen Systemen ist.
Außerdem gibt es zwischen verschiedenen Staaten, die alle nach dem Modell
„Republik“ geordnet sind, doch erhebliche Unterschiede. Unsere föderale
„Bundesrepublik“ etwa nimmt sehr stark Rücksicht auf die historisch entstandenen
„Länder“, erkennt den Ländern ausdrücklich die „Kulturhoheit“ zu, während
Frankreich wegen seiner ganz anders verlaufenen Geschichte viel
„zentralistischer“ verfasst ist usw. - Kurz, eine Rechtsordnung ist immer eine
Ordnung von etwas, das selbst nicht wieder aus Recht besteht oder aus dem Recht
hervorgegangen ist. Oder systemtheoretisch ausgedrückt: Das ausdifferenzierte
Rechtssystem kann nur bestehen in Abhängigkeit von und in Beziehung auf eine
„Umwelt“, und zwar eine Umwelt, in der es auch andersartige Systeme gibt – wobei
diese Systeme keineswegs durch die (räumlichen und rechtlichen) Grenzen der
Staaten eingeschränkt sind.
Was bedeutet es, wenn der Staat
schützend oder regelnd in gesellschaftliche Prozesse eingreift? Was wird da
jeweils „geschützt“ – und wogegen? Doch offenbar nicht nur die Interessen
einzelner Individuen, sondern auch die von „Interessengemeinschaften“. Und sie
werden dagegen geschützt, dass die Abhängigkeiten, in denen sie sich jeweils
befinden, von anderen ausgenutzt werden – damit sie ihre gemeinschaftlichen
Interessen ungestört weiter verfolgen können. - So werden nicht nur Kinder gegen
ihre Eltern geschützt, sondern auch Betriebsräte gegen die
Unternehmensleitungen. Oder es werden Minderheiten (z.B. religiöse) gegen
Diskriminierung geschützt oder Mehrheiten gegen die Übermächtigung durch
ökonomisch starke Minderheiten.
Fazit: Die Rechtsordnung selbst
erkennt an, dass es Gemeinschaften gibt, die jeweils ein eigenständiges „Gut“
anstreben und dabei auch eigenständig verfasst sind, also eigenständige Normen
und Bewertungsmaßstäbe haben. Unser „Pluralismus“ ist eben ganz wesentlich ein
Pluralismus von Gemeinschaften und Gemeinschaftsformen. Allerdings ist es in
unseren „westlichen“ Republiken in der Tat so, dass den Individuen gewisse
allgemeine und unveräußerliche Rechte zugestanden werden, die dann im „Konzert“
der Lebensformen letztlich immer Vorrang haben, wenn es zum Konflikt kommt.
Also, ich plädiere ganz entschieden dafür, den Gemeinwohlbegriff so
differenziert zu verstehen, dass er sich auf den Pluralismus der Gemeinschaften
anwenden lässt. Es kann nicht genügen, nur das Rechtsmodell im Blick zu haben
und es zu generalisieren. – Diese Differenzierung verhindert dann allerdings,
dass man eine für alle Gemeinschaften gültige „Formel“ aufstellt, nach der sich
das Gemeinwohl immer bestimmen lässt.
Es grüßt Euch
Urs
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 06.
Nov. 2005, 15:10 Uhr
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Bezug: #4
Hi, Urs,
ich weiß, dass diese Ansicht weit verbreitet
ist, vielleicht sogar die herrschende ist, ich halte sie trotzdem für falsch.
Ich behaupte: jede Begründungskette hat irgendwo ein Ende und das Ende ist
eine Tatsache in der wahrnehmbaren Welt. Das gilt genau so für die Ethik.
Wenn ich von Herrn Hund rede, kannst du fragen: was meinst du? Dann kann ich
dir den Herrn mit allen Äußerlichkeiten und Verhaltensweisen beschreiben.
Kannste fragen, ob es denn das, was ich beschreibe, überhaupt gibt. Die Fragen
kannst du weiter führen bis zu dem Punkt, woher wir denn wissen können, dass es
die Welt gibt. Dann sage ich dir, das ist Unsinn, was du da sagst, denn du
kannst nicht fragen, ob es die Welt gibt ohne vorauszusetzen, dass es sie gibt.
Wenn es die Welt nicht gäbe, könntest du an ihrer Existenz nicht zweifeln. Gut.
Aber damit kannst du immer noch an der Existenz von Hunden zweifeln. Wie löst
man diesen Zweifel? Nicht, indem man argumentiert, sondern indem man zeigt:
siehst du das Objekt da? - Ja. - Das ist ein Hund. Das Ende der Begründungen ist
also das, was sich zeigt.
Entsprechend sage ich: das Ende der
Begründungen unserer Normen ist das, was sich zeigt, und das nenne ich die
Ethik.
Wer an Gott/Götter glaubt, hat damit kein Problem. Denn der sagt,
das Ende der Begründungen unserer Normen ist das göttliche Gebot, auf irgend
eine Weise an seine Kinder / Diener / Priester / Propheten übermittelt. Problem
gelöst.
Wer aber die Existenz eines Göttlichen bezweifelt oder einen
Kommunikationsweg, muss sich mit der Begründung der Normen befassen.
Üblich ist, die Normen qua Vernunft zu begründen oder über unsere
gesellschaftliche Entwicklung. Das funktioniert aber nur so lange, wie wir
unsere Zivilisation als selbstverständlich und als einzige Möglichkeit
menschlichen Zusammenlebens voraussetzen. Sobald wir andere Möglichkeiten sehen,
funktioniert das nicht mehr. Es funktioniert spätestens nicht mehr, seit es den
Nationalsozialismus gibt, denn der ist eine Alternative.
Der
Nationalsozialismus gründet letztlich auf der Biologie, also auf den
biologischen Steuerungen, den Gefühlen, und die sind evident. Die kann man
wahrnehmen. Den ganzen Bereich Humanität / Ethik / Moral erklärt er zu einer
Lüge, insinuiert von den Juden zwecks Selbsterhalt einer ansonsten unterlegenen,
nur durch Schmarotzen an anderen Völkern überlebensfähigen Menschenabart. Du
sollst nicht töten heißt danach, du sollst die nicht töten, die dich aussaugen
und von dir leben. Ein egoistisches Zweckgebot derjenigen, die auf sich gestellt
nicht überlebensfähig sind und dazu noch die Weiterentwicklung der Fähigen
verhindert, auf dass sie nicht so stark werden, dass sie sich doch über die
'Humanitätslüge' hinwegsetzen können.
Wie gesagt, hier enden die
Begründungen in Evidenzen. Evidenzen sind stärker und einleuchtender als Glauben
und Vernunft.
Der Schwachpunkt dieser Theorie ist, ist die Humanität eine
Lüge oder nicht. Darauf mit der Vernunft, z.B. Kant zu antworten, zieht nicht.
Denn die Frage ist, warum soll ich der Vernunft folgen, wenn meine Natur etwas
anderes sagt. Also warum soll ich den Kerl nicht umbringen, wenn ich vom Gefühl
her der Auffassung bin, dass für uns beide kein Platz auf dieser Erde ist. Ist
für den Täter, das Individuum, kein Problem. Wohl aber für die Beobachter. Die
reagieren nämlich auf das Ergebnis mit Abscheu und sehen deswegen zu, den Täter
dingfest zu machen. Dieser Abscheu aber ist weder logisch noch vernünftig
herleitbar, der ist. Der zeigt sich. Der ist evident. Dass er sich zeigt,
scheint mir nicht zu einigen Kulturen zu gehören, sondern es scheint mir doch
eine allgemein menschliche Eigenart zu sein.
Wenn du nun GG Art. 2 (2)
nimmst: "jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit" und mich
fragst, wie willste dat begründen, würde ich dir entgegnen, weil wir das so
wollen. Und wir wollen es deswegen so, weil das zu unserem Wesen als Menschen
gehört. Kannste zeigen.
Mir scheint, wir haben mit der Ethik, also den
Grundnormen, immer dann ein Problem, wenn wir das Individuum betrachten. Hier
verweise ich auf unsere Diskussion über Möglichkeiten: das Individuum hat zwar
die Möglichkeit, zwischen Alternativen zu wählen, aber warum soll es die
vernünftige oder die menschliche Alternative wählen, wenn es zur biologischen
viel mehr Lust hat und die für ihn auch von Vorteil ist. Wenn er aber diese
Alternative wählt, tritt er damit aus der humanen Gemeinschaft aus, denn die
lehnt das ab. Das Problem ist also für den Täter nicht die Tat, sondern die
Isolation, durch die er auf genau den reinen Individualzustand geworfen wird,
von dem manche Moraltheorien überhaupt erst ausgehen. Was mich nun zu der Frage
bringt: ist deren Ansatz überhaupt richtig? Ist es überhaupt möglich, Ethik,
Moral, Normen zu begründen, ohne den Menschen als vergesellschaftetes Wesen zu
betrachten, nicht, weil er sich so entwickelt hat, sondern weil das nun mal zu
seinem Wesen gehört?
Die These lautet: Ethik ist eine Eigenart der
Menschheit, sie ist evident und zeigt sich in den Situationen, in denen ein
Individuum (oder eine Gruppe) davon abweicht. Woraus folgt, je mehr ein
Individuum sich als Teil der Menschheit begreift, desto mehr wird es sich im
Konfliktfall für die ethische Alternative entscheiden.
Rechtssysteme
(codifizierte Normen) werden letztlich aus den ethischen Evidenzen abgeleitet
und durch sie begründet. Dass es dabei auch zu Differenzen und Fehlern kommen
kann, ist klar - aber vom sozialen Aspekt aus betrachtet zeigt es auch, warum
sie notwendig sind. Denn was ethisch verwerflich ist, ist zwar den Zeugen qua
Evidenz klar, nicht aber notwendigerweise dem handelnden Individuum. Weswegen
man ihm vorher beibringt, was es darf und was nicht.
Wenn wir nun die
Gemeinschaft als das Primäre sehen, dann ist sie es, die das Wohl des
Individuums einigermaßen garantiert - über die von ihr geschaffenen Normen,
begründet letztlich durch die Ethik. Individuen, die dagegen verstoßen, werden
von der Gemeinschaft - je nach Schwere der Tat - 'rausgeschmissen. Das würde,
unabhängig von dem, was als solches definiert wird, bedeuten, dass auch
Individuen oder gar Gruppen, die gegen das Gemeinwohl verstoßen (was immer das
Wohl anderer Individuen ist), Gefahr laufen, von der Gemeinschaft abgestoßen zu
werden; das könnte dem Interesse solcher Individuen oder Gruppen durchaus
widersprechen.
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Alltag am 06.
Nov. 2005, 17:51 Uhr
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:-) Hallo Allseits,
Lieber Urs danke, dass Du den Gedanken, betreffs des
Abhängigkeitsverhältnisses von Individuum und Gemeinschaft, nochmals aufnimmst
und zugleich eingehst auf Eberhards Gegenargument.
Lieber Eberhard, ich
bin auf Dein (soeben angesprochenes) Gegenargument noch nicht eingegangen, weil
ich es ganz einfach noch nicht verstanden hatte. Die Erörterungen von Urs
bringen mich aber weiter.
@All,
Vielleicht hilft uns ein
einschlägiges Beispiel für ein eigenständiges, schützenswertes "Gut" weiter. Ich
denke an <Treu und Glaube>. Es ist ein Gut, das sowohl dem Gemeinwohl als auch
dem Individualwohl angehört: siehe /1/! <Treu und Glaube> ist also das Fundament
für dauerhaftes Zusammenleben.
Nach meinem Verständnis ist <Treu und
Glaube> jedoch keine Norm. Denn es wird nicht weiter definiert oder erörtert,
sondern als selbsterklärend stehen gelassen. Obwohl oder weil es damit sehr
schwammig bleibt, ist es in juristischen Prozessen eines der schlagkräftigsten
Argumente. - Ich denke wir können an diesem beispielhaften Bezug zur Praxis,
unsere Erwartungshaltung beim Problem <Gemein- und Individualwohl> messen.
Lieber Abrazo, der Bezug zur Praxis ist Teil der wahrnehmbaren Welt, oder?
In Treu und Glaube --- Euer Alltag :-)
/1/ In der CH Verfassung
heisst es in:
Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns
1 Grundlage und
Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2 Staatliches Handeln muss im
öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig
sein.
3 Staatliche
Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4 Bund und Kantone beachten
das Völkerrecht.
Art. 9 Schutz vor Willkür und Wahrung von Treu und
Glauben
Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne
Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Urs_meinte_Euch
am 06. Nov. 2005, 19:08 Uhr
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Hallo Abrazo!
Tut mir leid, manche Deiner Ansichten sind in meinen Augen
so verquer, dass ich an ein paar grundsätzlichen Erläuterungen nicht vorbei
komme.
Quote:Das Ende der Begründungen ist also das, was sich
zeigt.
Das ist richtig. Aber erstens muss es, damit etwas „sich
zeigt“, jemanden geben, dem es sich zeigt. Und zweitens muss das, was „sich
zeigt“, keineswegs eine „Tatsache in der sinnlich wahrnehmbaren Welt“ sein. Es
kann auch – wie Eberhard schon sagte - ein abstrakter Sachverhalt sein.
Darum stelle ich richtig: Das Ende der Begründung ist die unmittelbare Einsicht,
dass sich etwas so und so verhält.
Wer braucht „Begründungen“ dafür,
dass etwas sich so und nicht anders verhält? Jemand, der einen behaupteten
Sachverhalt nicht einsieht. Wie hilft man ihm, den Sachverhalt einzusehen? Indem
man ihn von einer Einsicht, die er hat, schrittweise zu dem fraglichen
Sachverhalt hinführt.
Beispiel: Jemand findet „evident“, dass 1 + 1 = 2,
aber nicht, dass 2 + 2 = 4. Wie kann man ihm zeigen, dass auch dieser zweite
Satz „evident“ ist? Nun, man sagt z.B.: 1 + 1 = 2; 2 + 1 = 3; 3 + 1 = 4. Hier
wird ihm also zuerst gezeigt, wie man durch wiederholte Addition von 1 bis zur 4
kommt. Und nun kann er den Schluss nachvollziehen: „Wenn 1 + 1 = 2 und 2 + 1 + 1
= 4, dann gilt auch 2 + 2 = 4.“
So hat man also den nicht evidenten
Sachverhalt 2 + 2 = 4 schrittweise auf den evidenten Sachverhalt 1 + 1 = 2
„zurückgeführt“. Nun „zeigt sich“, dass 2 + 2 = 4.
Halten wir fest:
1. „Evident“ ist ein Sachverhalt nicht „an sich“, sondern immer für
jemanden. „Evidenz“ ist also ein Wort für eine Relation zwischen einem
Sachverhalt und einem „Subjekt“.
2. Eine Begründung braucht zwar nur
derjenige, der etwas nicht unmittelbar einsieht. Aber die Begründung, die man
ihm gibt, ist nicht nur für ihn persönlich gültig. Sondern diese Schrittfolge
kann jeder nachvollziehen. Darum findet eine Begründung nur dann statt, wenn die
„Evidenz“, in der sie endet, eine Evidenz für jedermann ist.
3.
„Tatsachen in der sinnlich wahrnehmbaren Welt“ haben einen kleinen Haken. Denn
sinnliche Wahrnehmungen sind immer individuelle Wahrnehmungen, werden also von
diesem oder jenem Individuum gemacht, folglich immer mit gewissen Varianzen.
Außerdem sind sie flüchtig. Dass ein Blitz da und da eingeschlagen hat, kann ich
allein dadurch verpassen, dass ich für eine Sekunde die Augen geschlossen halte.
– Was heißt das für das Begründungsproblem? Dass sinnliche Wahrnehmungen nur
dann in für jedermann gültige Begründungen eingehen können, wenn sie von
jedermann höchstpersönlich nachvollzogen werden könnten. Diese
Nachvollziehbarkeit muss unbedingt sichergestellt sein, weil man sonst gar nicht
wissen kann, ob etwas eine „Tatsache in der sinnlich wahrnehmbaren Welt“ ist.
Die Vorkehrungen, die getroffen werden müssen, um die
Nachvollziehbarkeit der sinnlichen Wahrnehmung zu sichern, gehören
offensichtlich nicht zu den wahrgenommenen Sachverhalten selbst. Diese
Vorkehrungen müssen die erkennenden Subjekte leisten und - untereinander
verabreden. Erst wenn sie erfolgreich getroffen sind und wenn alle, die es
angeht, sich über den Sachverhalt verständigt haben, dann kann man sagen: „So
isses einfach.“ – „Das ist eine Tatsache“. – „Das und das zeigt sich.“ Also:
Wenn eine Tatsache „sich zeigt“, dann bedeutet das: sie zeigt sich unter
gleichen Bedingungen jedermann immer gleich.
Wenn dies eine
zutreffende Erläuterung von „Begründung“ im Allgemeinen ist, dann muss sie auch
für die Begründung von Normen gelten.
Nun sagst Du:
Quote:Entsprechend sage ich: das Ende der Begründungen unserer Normen ist das,
was sich zeigt, und das nenne ich die Ethik.
Wenn Du meine
Erläuterung von „Begründung“ akzeptierst, müsstest Du auch akzeptieren: Eine
Norm kann dann als begründet gelten, wenn ihre Begründung von jedem eingesehen
werden kann.
Eine Norm gilt ja, wie gesagt, nicht nur für eine einzelne
Person, sondern für bestimmte Personen in einer typischen Situation. (Z.B. eine
bestimmte Verkehrsregel für das Linksabbiegen: Sie gilt für jeden
Verkehrsteilnehmer, der irgendwo links abbiegen will.) Und folglich muss die
Begründung mindestens so allgemein sein, dass jeder, der von der Norm betroffen
ist, sie nachvollziehen könnte.
Und jene theoretischen Vorkehrungen, die
man zu einer solchen allgemeinen Begründung von Normen treffen müsste, würden
dann zusammengenommen den Bereich der Philosophie ausmachen, den man gemeinhin
„Ethik“ nennt.
Sicher: Normen müssen nicht notwendigerweise
philosophisch begründet sein. Sie können ganz unbegründet sein und trotzdem
befolgt werden. (Begründungen brauchen ja, wie oben gesagt, immer nur die
Uneinsichtigen.) Normen können auch durch göttliche Gebote begründet sein –
zumindest für diejenigen, denen ein „Gott will es so.“ genügt. Sie können auch
willkürliche Diktate von Tyrannen sein, die mit Gewalt durchgesetzt werden. Und
sicher sind Kerker, Folter, Tod sehr nachvollziehbare „Argumente“ für den
Gehorsam. Aber es sind nicht die Art von Argumenten, mit denen die Philosophie
Normen begründet.
Übrigens „zeigt sich“ ja gerade in diktatorischen
Regimes immer wieder, dass viele Menschen sich auch von der Drohung mit Kerker,
Folter, Tod nicht zum Gehorsam pressen lassen. Zwar sagt das Regime: „Das ist
hier geltendes Gesetz – Vogel friss oder stirb!“, aber die Uneinsichtigen lassen
sich von diesem „So ist es einfach!“ offenbar nicht beeindrucken. Ihnen beweist
das nix.
Und das macht uns einmal mehr darauf aufmerksam, dass schiere
Fakten niemals etwas begründen, sondern immer nur die Einsicht. Und Einsicht
lässt sich nicht erzwingen, sie ist immer „spontan“.
Das ist das Schöne
an der „vernünftigen Einsicht“. Allerdings ist es immer wieder auch eine Quelle
der Frustration, wenn man diskutiert. Man kann sich „den Mund fusselig“ reden –
der andere will es einfach nicht einsehen. Dagegen ist man machtlos...
Es grüßt Dich
Urs
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 06.
Nov. 2005, 19:56 Uhr
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Bezug: #5
Hi,
Eberhard, deine Analogie hinkt insofern, als dass du
noch Geld im Portmonee hast. So, wie wir in einer organisierten Gesellschaft
leben. Das, was ich in meinem Kontext meinte, war, welche Überlegungen würdest
du denn anstellen, wenn du kein Geld im Portmonee hättest. Dann merkt man, wie
unsinnig solche Überlegungen sind - denn du bist nun mal nicht in der Situation,
und alle Überlegungen, wie du denn jetzt, wo du nicht in dieser Situation
wärest, entscheiden würdest, wenn du in dieser Situation wärest, sind nun
wirklich fiktiv, da du dir die Situation, über die du nachdenkst, vielleicht
noch nicht einmal realistisch vorstellen kannst.
Die Tatsachen zu
erforschen ist zweifellos Aufgabe der empirischen Wissenschaften. Aber kann eine
Philosophie eine brauchbare und überzeugende Theorie entwickeln, ohne die
Ergebnisse der Empirie zur Kenntnis zu nehmen, sie teils kritisch zu
durchleuchten, teils, wenn sie der Kritik stand halten, aufzunehmen, auf
gemeinsame Prinzipien zurück zu führen bzw. Prinzipien aus ihnen zu entwickeln?
Und ist es nicht auch Aufgabe der Philosophie zu prüfen, ob Theorien insofern
wahr sind, als dass sie Tatsachen nicht widersprechen?
Wir leben in einer
komplizierten organisierten Gesellschaft. Und wir könnten gar nicht leben, weil
wir mit nichts zu Potte kämen, wenn wir jede einzelne Handlung daraufhin
überdenken würden, was wir denn nun wirklich wollen; mal abgesehen davon, dass
das Subjekt, das Individuum sich dabei durchaus irren kann, entweder, indem es
die Situation verkennt, oder indem es kurzsichtig seinen persönlichen oder
natürlichen Impulsen folgt. Da stimme ich dir also zu. Ich lehne also ganz und
gar nicht ab, dass wir Normen im Diskurs und im Konsens entwickeln müssen, im
Gegenteil. Ich will aber, dass ein solcher Diskurs auf wahren, evident wahren
Grundaussagen aufbaut. Sonst wäre er nämlich sinnlos, weil zum einen eine
mögliche Norm tatsachenfremd, irreal wäre, zum anderen dürfte dann wohl kaum ein
Konsens erzielt werden können; es könnte immer nur ein Konsens derjenigen sein,
die sich die Welt und die Menschen so wünschen, während der, der unter anderen
Verhältnissen lebt, ihn als unmöglich und unsinnig ablehnt.
Darum weise
ich als Basis eines solchen Diskurses auf zwei imho (= in my humble opinion ;-))
evidente Aussagen hin.
1. Unwahr ist, dass der Mensch von Natur aus frei
ist. Er ist den Zwängen unterworfen, die die Biologie zwecks Erhalt seines
Lebens vorgibt. Der Mensch ist nur potentiell frei, weil er ein
reflexionsfähiges Wesen ist. Wer den freien Menschen will, und das heißt, den
Menschen, der zwischen verschiedenen Möglichkeiten wählen kann, muss dafür
sorgen, dass er seine Grundbedürfnisse so befriedigen kann, dass er überhaupt
die Muße hat, Entscheidungen kritisch zu überdenken. Wenn das für unsere
Verhältnisse nicht zutrifft, so gibt es doch Verhältnisse, in denen die
potentielle Freiheit des Menschen keineswegs verwirklicht ist. Wobei mit
derartig unfreien Menschen kein freier Konsens zu erzielen ist - will sagen, die
werden den Teufel tun, sich an entsprechende Vereinbarungen zu halten. Weil sie
das aufgrund biologischer Zwänge gar nicht können.
2. Es gibt eine humane
Ethik, die dazu führt, dass bestimmtes individuelles Verhalten von Menschen
allgemein rigoros abgelehnt wird. Hier können wir sogar mit den Religiösen in
einen Konsens kommen, denn auch wenn Menschen glauben, dass dieses Verhalten
aufgrund göttlichen Gebotes abgelehnt wird, so müssen sie doch zugeben, dass
Menschen diese Gebote erst einmal für wahr halten müssen, bevor eine Religion
entstehen kann - und das liegt nun mal am Menschen. Überhaupt möchte ich hier
bei den Religionen wildern: eine Handlung, durch die ein Individuum sich wegen
der rigorosen Ablehnung von der menschlichen Gemeinschaft trennt, können wir
Sünde nennen.
Mir scheint, was Menschen rigoros ablehnen, ist das Zufügen
von Leid, das grundlose Vernichten und Vertrauensbruch (Liste erhebt keinen
Anspruch auf Vollständigkeit). Wir akzeptieren z.B. nicht, wenn ein Tier
stückweise bei lebendigem Leib gefressen wird, wir akzeptieren nicht, wenn aus
Spaß am Feuerchen ein Wald in Brand gesetzt wird und wir akzeptieren es nicht,
wenn gelogen, betrogen, bestohlen oder gar hinterrücks gemordet wird (merke den
Unterschied zwischen Mord und Totschlag, der meines Wissens auch in allen
Kulturen bekannt ist). Dass das Opfer das nicht akzeptiert, ist klar; aber
maßgebend sind die unbeteiligten Zeugen des Geschehens, und die akzeptieren das
auch nicht. Daraus folgt, im Diskurs zu entwickelnde Normen dürfen diesen sich
aus ethischen Entscheidungen bzw. Urteilen ergebenden ethischen Prinzipien nicht
widersprechen, widrigenfalls - werden sie nicht akzeptiert.
Und eine
staatliche Ordnung, besonders das staatliche Gewaltmonopol, wird nur dann
akzeptiert, wenn es diese Normen übernimmt. Eine Exekutive, die Betrug,
Diebstahl und Mord je nach Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe nur verfolgt,
wenn Betroffene Opfer, nicht aber, wenn sie Täter sind, wird von anderen
sozialen Gruppen nicht als rechtmäßige Exekutive anerkannt.
Es ist
offensichtlich, dass der Hinweis auf diese beiden Grundaussagen einen Diskurs
über moralische Normen nun wirklich nicht überflüssig macht.
:-)
Du
schreibst:
Deshalb ergibt sich für mich aus der Orientierung aller an einem
zwangfreien Konsens die Schlussfolgerung, dass nur solche Normen konsensfähig
sind, bei denen die Interessen aller Beteiligten unparteiisch berücksichtigt
werden.
Ich halte dagegen, konsensfähig sind nur solche Normen, die die
anscheinend zum menschlichen Wesen gehörende Ethik berücksichtigen. Ich könnte
mir vorstellen, dass die unparteiische Berücksichtigung der Interessen aller
Beteiligten sich aus der Ethik ergeben könnte, denn die Ethik ist zwar keine
Angelegenheit des sündhaft handelnden Individuums, sondern der dieses Handeln
(bzw. dessen Ergebnis) beobachtenden Gemeinschaft, deren Urteil über diese
Handlung aber offensichtlich dem Schutz jedes potentiell als Opfer betroffenen
Individuums dient.
Daraus folgt aber auch, dass Versuche, das Gemeinwohl
rücksichtslos über das individuelle Wohl zu stellen, dauerhaft zum Scheitern
verurteilt sind, weil sie der humanen Ethik widersprechen, die genau dieses
Individuum schützt (sofern es nicht selbst sündhaft handelt).
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 07.
Nov. 2005, 00:59 Uhr
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Hi, Urs,
offenbar meinen wir auch mit dem Wort Evidenz unterschiedliches.
Dass 1+1=2 ist, ist für mich ebenso wenig evident, wie dass 2+2=4 ist. Es
sind Zeichen, die folglich für etwas stehen, und dass 2+2=4 ist erfasse ich
nicht aufgrund der Evidenz, sondern weil ich eine Regel verstanden habe.
Was evident ist, ist, dass zwei Eier anders aussehen als ein Ei. Es ist auch
evident, dass 1 anders aussieht als 2, aber wenn ich das feststelle, habe ich
damit überhaupt nichts zu dem gesagt, was 1 und 2 bedeuten. Ich muss es noch
nicht einmal wissen. Aber dass sie anders aussehen, ist nicht bezweifelbar.
Eine Argumentation kann mir einleuchten. Wenn ich die Reihe 0;1;3;6;10 habe,
dann leuchtet mir ein, dass die 15 als nächste Zahl richtig ist, weil ich die
Regel verstanden haben, nach der diese Reihe gebildet ist. Aber wir wissen, dass
so etwas keineswegs zweifelsfrei ist. Wir können uns nämlich auch in der Regel
irren - und dann leuchtet uns eben eine andere Zahl als Fortsetzung ein. Die
dann natürlich falsch ist.
Als evident bezeichne ich etwas nur dann, wenn
es zweifelsfrei ist.
Was ich wahrnehme, ist zweifelsfrei (nicht
zweifelsfrei sind allerdings die damit verbundenen Zusammenhänge; die sind
erdacht, also Irrtum möglich). Allerdings ist es subjektiv evident. Von einer
objektiven Evidenz kann ich nur ausgehen, wenn etwas intersubjektiv evident ist.
Es gibt intersubjektive Evidenzen, sonst könnten wir nicht sprechen.
Mit dem Satz 'Wasser hat die Formel H2O' könnte ich nichts anfangen, wenn ich
nicht wüsste, was mit Wasser gemeint ist. Was eine Formel ist, kann man
erklären, was H und O sind, kann man erklären - aber irgendwo sind die
Erklärungen zuende, dann ist eine weitere Erklärung nicht mehr möglich, dann
muss man zeigen, was man meint.
Mit der Ethik läuft das genau so. Du
kannst Normen vernünftig herleiten und begründen, die gut sind. Aber du kannst
nicht vernünftig begründen, was gut ist. Du kannst Gegenstände oder Taten
nennen, die gut sind, du kannst begründen, warum sie deiner Ansicht nach gut
sind, aber du kannst nicht sagen, was gut ist. Die böse Wespe hat dich
gestochen, der gute Weihnachtsmann bringt Geschenke - so lernt man gut und böse,
wobei man aus dem Kontext weiß, nicht die äußere Beschreibung, sondern die
eigene urteilende Empfindung ist gemeint. Und alles andere kommt erst danach.
Auch die Kritik am erlernten - z.B. dass die Wespe gar nicht böse ist. Dafür
vielleicht die eine oder andere Sache, die einem als gut begebracht wurde.
So weit erst mal.
Nur noch ne kleine Anmerkung: ich kann durchaus
einsehen, dass und wie eine Norm begründet ist. Damit muss ich sie aber noch
lange nicht akzeptieren. Auch bösartige Normen können vernünftige Begründungen
haben, die auch manchem einleuchten.
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von homo_sapiens am
07. Nov. 2005, 09:53 Uhr
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> Du fragst: „Ist jede Art von Gemeinschaft nur zu legitimieren, wenn sie auf
die Interessen der Individuen zurückzuführen ist?“
........ raubtier
rudel
in symbiose mit un menschen in sg menschen sied lungen ......
wartend nur darauf menschen beissen zu können
auf jeden fall immer eine im
manente be drohung dar stellend
kann auf jeden fall keine ver fassungs
ge mäße ordnung dar stellen !
sondern pure menschen ver achtende macht
haberei !
und das staat lich lizenzierte !
die durch das zwingende
kreieren
von quasi wolfs kindern
weiter hin ihre macht habereien end
los per petieren kann .........
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Urs_meinte_Euch
am 07. Nov. 2005, 10:33 Uhr
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Hallo Eberhard!
Du machst die Beantwortung der Frage, ob Gemeinschaft
nur durch Rückgang auf die Interessen der Individuen zu legitimieren sei, davon
abhängig, wie man das Interesse des Individuums definiert. Werde mit
„individuelles Interesse“ nur das eigene Wohlergehen des Individuums gemeint,
dann müsse man die Frage verneinen. Aber so strikt eigennützig seien Individuen
in Wirklichkeit gar nicht:
Quote:Der Fehler der obigen Konstruktion
liegt darin, dass die Interessen der Individuen in Wirklichkeit nicht nur im
engeren Sinne eigennützig sind, sondern dass sie weit über ihr eigenes
individuelles Leben hinausgehen. Menschen haben Interesse daran, dass über ihr
individuelles Dasein hinaus die von ihnen geschätzte Gesellschaft samt ihrer
Kultur fortbesteht.
Deshalb wünschen sich die Individuen Nachkommen, fördern
sie die nachwachsenden Generationen, machen Vermächtnisse und Stiftungen über
ihren Tod hinaus oder opfern sich für die Gemeinschaft auf.
Menschen sind
nicht so borniert individualistisch und egozentrisch. Einen Hinweis darauf gibt
bereits die Biologie des Menschen.
Liegt darin aber nicht eine
Rückkehr zum aristotelischen Verständnis des Menschen als „zoon politikon“ und
zu einer teleologischen Naturauffassung? Der Mensch ist faktisch ein
Gemeinschaftswesen, und deshalb streben die menschlichen Individuen von Natur
aus die Gemeinschaft als das größere Gut an. Das Ziel („telos“) der
Gemeinschaftsbildung ist ihnen von der Natur einbeschrieben (modern gesprochen:
ist ihr genetisches Programm). Sie streben also eigentlich immer das Gute an,
nur können sie sich fallweise über ihr wahres Interesse irren, und dieser Irrtum
ist die Quelle des Bösen, der Sünde, des Streits...
Ich habe ja auch
verschiedentlich darauf hingewiesen, dass Menschen Gemeinschaftswesen sind, und
genau mit diesem Argument die Hobbes’schen anthropologischen Voraussetzungen
über den Menschen im Naturzustand kritisiert. Und ich denke auch, das
„aufgeklärte Eigeninteresse“ der Individuen schließt die Einsicht mit ein, dass
es auf die Gemeinschaft zum schieren Überleben und zu seiner persönlichen
Selbstverwirklichung angewiesen ist.
Mir scheint aber, dass man an
diesem Punkt vorsichtig sein muss, wenn man die neuzeitliche (liberale)
Würdigung des Individuums nicht wieder verspielen will. Es ist klar: Irgendwie
muss jede Legitimation von Gemeinschaft und Gemeinwohl (und damit implizit auch
von allgemein gültigen Normen) zeigen, wie individuelle Interessen mit den
Forderungen der Gemeinschaft vermittelt sind. Dem Individuum muss gezeigt werden
können, dass die Gemeinschaft nicht „das Andere“, das Fremde, der Zwang, die
Unfreiheit ist.
Aber m.E. kommt es hier darauf an, diese Vermittlung
nicht sozusagen hinter dem Rücken der Individuen stattfinden zu lassen. Und
genau das wäre der Fall, wenn man sie in die Natur verlegt. Dann genügte als
Legitimation von Gemeinschaftsforderungen an das Individuum, dass ein Experte
ihm sagte: „Mein Guter, was regst du dich auf? Komm schon, eigentlich willst du
es doch auch. Es liegt in deinen Genen.“
Das kann es ja wohl nicht sein.
Vielmehr besteht das, was wir gesellschaftliche „Freiheit“ nennen, doch darin,
dass die Vermittlung von individuellen Interessen und Gemeinschaftsforderungen
im Gemeinschaftsleben selbst vollzogen wird. D.h. dass die Individuen mit ihren
unterschiedlichen und abweichenden Meinungen daran kompetent beteiligt sein
müssen, was bedeutet, dass man ihnen zutraut zu wissen, was für sie persönlich
das Gute ist. Und es bedeutet auch, dass diese dauernde Vermittlung in gewisser
Weise ergebnisoffen sein muss, so dass die Anpassung nicht immer nur vom
Individuum gefordert wird, sondern umgekehrt die Form der Gemeinschaft auch vom
Willen der Individuen abhängt, die sie bilden. Und das hätte zur Folge, dass es
viele verschiedene Formen von Gemeinschaft gäbe, je nachdem, welche Individuen
sich wie zusammenschlössen und wie sie sich gemeinsam weiterentwickelten.
Aus diesen Überlegungen heraus halte ich gerade den Pluralismus der
Gemeinschaftsformen für einen (vermittelten) Ausdruck – und für einen Garanten -
von individueller Freiheit.
Es grüßt Dich
Urs
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von metin_oztaskin
am 07. Nov. 2005, 12:00 Uhr
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on 11/05/05 um 14:53:55, Eberhard wrote:Hallo allerseits, hallo urs,
Du fragst: „Ist jede Art von Gemeinschaft nur zu legitimieren, wenn sie auf die
Interessen der Individuen zurückzuführen ist?“
Ich denke, die
Annahmen, dass einer Gemeinschaft nur dann Legitimation, wenn es im Interesse
das Individuum ist, ist berechtigt. Da das Individuum die Basis eine
Gemeinschaft bildet. Wenn sich das Individuum Wohl fühlt, dann sind die
Voraussetzung für den frieden erfüllt und die Gemeinschaft kann
weiterexistieren. Das ist irgendwie sehr einleuchten
Ich denke auch, die
Tatsache, das es falsche Verständnis, wenn dass Interesse des Individuums so
interpretier, dass sie auf persönliche Wohlergeben wert lege und dass es ihnen
gleichgültig ist, was nach ihnen geschieht würde gut dargestellten.
Ich
möchte dem, noch ein hinzufügen. Wenn das Verständnis, dass sie auf persönliche
Wohlergeben wert lege und dass es ihnen gleichgültig ist, was nach ihnen
geschieht, richtig währe, dann würde die Menschen auf die Erziehung der
Nachkommen nicht soviel Wert lege. Eine gute Erziehung ist wichtig. Ohne gute
Erziehung könnte die Menschen der Wert der Zivilisation nicht erkennen. Doch
eine gute Erziehung ist nicht einfach, sondern ziemlicht anstrengt und
kostspielig. Aber Investition auf eine gute Erziehung ist lohendes Geschäft.
Wie wichtig eine gute Erziehung ist, kann man erkennen, wenn man den
Drogenmissbrauch vergegenwärtig. Die meisten Menschen konsumieren, haben keine
halt. Sie greifen zur Drogen, weil die Anforderungen des Alltags nicht gewachsen
sind und deshalb unglücklich sind. Sie greifen zur Drogen, um die unglücklichen
Situation besser zu bewältigen.
Nach meiner Auffassung ist die Interesse nur
auf das persönlichen Wohl beschränkt, wenn sich in eine Situation befinden, in
dem sich nicht wohl fühlen. In solche Situation ist schwierig umfassend zu
denken und der pflichte für die nachkommende Generation bewusst zu werden. In
solchen Situation haben die Menschen Fluchtgefühle. Das heiß sie sind daran
interessiert aus der unsicheren Situation raus zu kommen.
Mit freundlichen
Grüßen
Metin Öztaskin
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von homo_sapiens am
07. Nov. 2005, 12:05 Uhr
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.... das wohl eines wesen
kann immer nur dann be rück sichtigt
.........
wenn es sich um ein ver ant wort liches wesen handelt !
solches aber auf dieser welt
ich nirgends finden ..........
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 07.
Nov. 2005, 12:22 Uhr
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Hallo allerseits,
Hallo Urs,
es wäre ein Missverständnis, wenn meine
Ausführungen zu den nicht nur egozentrischen Interessen der Individuen als eine
Bestimmung der individuellen Interessen hinter dem Rücken dieser Individuen oder
über deren Köpfe hinweg verstanden würde.
Die Bestimmung der Interessen
bestimmter Individuen bleibt immer an das Kriterium der allgemeinen
Konsensfähigkeit gebunden, und damit an die Zustimmung der betreffenden
Individuen. Wer meine Interessen zu formulieren beansprucht, ohne dass ich diese
Formulierung einsehen und teilen kann, der verkündet ein Dogma und verlässt
damit die Ebene von Argumentation und rationaler Wahrheitsfindung.
Hallo
abrazo,
die intuitionistische Ethik-Konzeption, die Du vertrittst, ist mit
einer diskurstheoretischen Konzeption vereinbar. Wenn es einen gemeinsamen Satz
von intuitiven ethischen Prinzipien gibt, der in der Motivation aller Menschen
verankert ist, dann kommt das einer am zwangfreien Konsens orientierten
diskurstheoretischen Konzeption entgegen, denn es ist in diesem Fall einfacher,
zu einem einsichtig begründeten Konsens über die Normen des Umgangs miteinander
kommen. Das, was alle am ehesten gemeinsam wollen können, wäre dann leichter zu
ermitteln.
Wenn es diesen allgemeinmenschlichen ethischen Willen gibt,
dann müsste er beim Diskurs über Normen des Handelns zum Vorschein kommen, so
dass ein praktischer Konflikt zwischen beiden Ansätzen eigentlich ausgeschlossen
scheint.
Noch eine Anmerkung zu der Frage, welchen Stellenwert das
Individuum in der Verfassung der Bundesrepublik besitzt. Es gibt zwar im
Grundgesetz nicht die Formulierung wie in der Erklärung der Menschenrechte, dass
jeder das Recht hat, sein eigenes Glück zu verfolgen, aber es gibt im
Grundgesetz stattdessen den § 2, der mit dem Satz beginnt: „Jeder hat das Recht
auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“, der den Interessen der
Individuen ebenfalls einen hohen Rang einräumt.
In der von alltag
dankenswerter Weise eingebrachten Schweizer Verfassung heißt es: „Staatliches
Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen.“ Mir scheint, dass die
Eidgenossen den Begriff des „öffentlichen Interesses“ viel selbstverständlicher
gebrauchen als die Bundesdeutschen. Im angelsächsischen Raum ist der Begriff des
„public interest“ ebenfalls ganz selbstverständlich.
Zum besseren
gegenseitigen Verständnis will ich abschließend noch einmal kurz skizzieren,
welche Funktion der Begriff des Gemeinwohls für mich hat.
Der Begriff
„Gemeinwohl“ (bzw. „Gesamtinteresse“) dient der Anleitung von Entscheidungen und
Handlungen im Namen der Gemeinschaft sowie der Orientierung bei der Gestaltung
der Verfahren der Normsetzung.
1. Entscheidungen im Namen der
Gemeinschaft (z.B. des Regierungschefs eines Staates), sollten sich am
Gemeinwohl orientieren.
2. Die Institutionen zur Setzung verbindlicher
Normen (z.B. Wahl- und Abstimmungsverfahren, Gerichte, Wirtschaftsordnung)
sollten so gestaltet werden, dass deren Resultate dem Gemeinwohl möglichst
entsprechen.
Der Begriff hat also seinen Platz innerhalb einer normativen
politischen Philosophie.
Da er dort eine zentrale Stellung einnimmt, hat
die Art und Weise seiner inhaltlichen Bestimmung erhebliche Konsequenzen.
Dieser begriffliche Bezugsrahmen enthält noch keinerlei Voraussetzungen über
die Struktur der Gemeinschaft, die Art der Beziehungen zwischen den Individuen
und Gruppen sowie die Art der Sozialisierung des Individuums. Er ist z.B. auch
auf nicht-kapitalistische Gesellschaften oder Landkommunen anwendbar.
Wenn man davon ausgeht, dass die Gemeinschaft dem Wohl der Individuen zu dienen
hat, dann lässt sich das Gemeinwohl nur auf der Grundlage des Wohls der
Individuen bestimmen.
Dies ist vielleicht eine individualistische jedoch
noch keine liberale Konzeption.
Dazu gelangt man erst, wenn man weiterhin
festlegt, dass die Individuen ihre Interessen selbst formulieren (Mündigkeit),
und wenn man Bereiche bestimmt, die den einzelnen Individuen zugeordnet sind und
über die sie allein verfügen dürfen (Eigentumsordnung mit Vertragsfreiheit, also
Marktwirtschaft).
Wenn man die gemeinsame Gestaltung der Rechtsordnung
der gleichgewichtigen Entscheidung der als mündig angesehenen erwachsenen
Individuen überlässt, kommt man zu demokratischen Mehrheitsentscheidungen. Dies
Verfahren ist nicht dem politischen Liberalismus entsprungen ist, der historisch
immer Gegner des allgemeinen gleichen Wahlrechts war.
Es grüßt Euch
Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von metin_oztaskin
am 07. Nov. 2005, 13:21 Uhr
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on 11/07/05 um 10:33:30, Urs_meinte_Euch wrote:
Aus diesen
Überlegungen heraus halte ich gerade den Pluralismus der Gemeinschaftsformen für
einen (vermittelten) Ausdruck – und für einen Garanten - von individueller
Freiheit.
Es grüßt Dich
Urs
Hallo Urs,
wie soll
man diesen Satze verstehen? Meinst du vielleicht, dass es viele
Gemeinschaftsformen nebeneinander existieren sollte, damit die individuelle
Freiheit garantiert. Wenn du das so meinst, wie ich in der Frage ausgedruckt
habe, dann muss ich dir vollkommen recht geben. In eine Gesellschaft müssen
mehre Gemeinschaftsformen existieren könnte. Wenn das nicht der Fall ist, dann
ist der Frieden in der Gesellschaft gefährde. In diesem Fall traute den
Individuum nicht zu, das aussuchen, was für sie das besten ist.
Wenn im
Zusammenleben die Individuen nicht frei sein können, hatte ein solches
Zusammenleben keine Existenzrecht. Es ist klar, dass die Menschen nicht allein
leben können, aber die Freiheit des einzelne darf nicht unnötige einschränkt
werden. Das heiß, wenn man friedliche Zusammenleben, dann wird die Freiheit auf
jeden Fall eingeschränkt, da man auf die Andere Rücksicht nehmen muss. Doch
dieser Einschränkung können die Menschen akzeptieren, weil sie Einsicht ist. Sie
können jedoch nicht akzeptieren, wenn ihnen in jeden Lebensbereiche hinein
diktiert.
Deswegen ist Meinungspluralismus eine wichtig Voraussetzung für das
friedliche Zusammenleben Ohne Meinungsvielfalt gibt es keine Frieden im
Zusammenleben.
Mit freundlichen Grüßen
Metin Öztaskin
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 07.
Nov. 2005, 20:50 Uhr
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Hallo allerseits,
zum Verhältnis von Gemeinwohl und Wohl der Individuen.
Ich frage mich, welche Konsequenzen es hat, wenn das Gemeinwohl nicht
universal verstanden wird, sondern partikular, z.B. auf einen bestimmten Staat
beschränkt
Auch wenn abrazo mit Gedankenexperimenten (was wäre wenn)
seine Probleme hat, will ich mal modellhaft etwas durchspielen.
Nehmen
wir an, die Menschheit ist in verschiedenen souveränen Staaten organisiert, die
alle das Bestreben haben, sich auszudehnen und deshalb immer wieder Krieg
gegeneinander führen. Der jeweilige Sieger vernichtet oder versklavt die
Bevölkerung des besiegten Staates.
Dann hängt Wohl und Wehe der
Individuen eines bestimmten Staates entscheidend von dessen militärischer Stärke
ab.
Wahrscheinlich würde unter diesen Bedingungen Nationalismus,
Patriotismus, Heldentod fürs Vaterland vorherrschende Einstellungen sein und man
würde nicht auf das Wohl der Individuen schauen, wenn man das Gemeinwohl
bestimmen wollte, sondern auf die Bewaffnung und Stärke des Militärs.
Ich
frage mich, ob das Verhältnis von Gemeinwohl und Individualwohl tatsächlich in
der Weise von außenpolitischen Bedingungen abhängt, wie es hier scheint?
Grüße an alle von Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von homo_sapiens am
08. Nov. 2005, 09:33 Uhr
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> Die Bestimmung der Interessen bestimmter Individuen bleibt immer an das
Kriterium der allgemeinen Konsensfähigkeit gebunden, und damit an die Zustimmung
der betreffenden Individuen. Wer meine Interessen zu formulieren beansprucht,
ohne dass ich diese Formulierung einsehen und teilen kann, der verkündet ein
Dogma und verlässt damit die Ebene von Argumentation und rationaler
Wahrheitsfindung.
........ wenn nur wenigstens er kannt würde
dass es nicht um konsens gehen kann
sondern um wahr heit !
weil vor 70
jahren gab es auch konsens
vor 400
vor 2000 ....
nur wenn die
wahr heit ge hört
kann es eine menschen würde
eine zu kunft geben !
alles andere ist nur katastrophen wieder holung .......
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von philoschall am
08. Nov. 2005, 10:24 Uhr
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Hallo,
"Ich frage mich, welche Konsequenzen es hat, wenn das Gemeinwohl
nicht universal verstanden wird, sondern partikular, z.B. auf einen bestimmten
Staat beschränkt." Eberhard
Das Verhältnis europäischen Gemeinwohl sowie
Individualwohl war, seitdem westeuropäische Staaten aussenpolitisch
chauvinistisch-militärisch auftraten, nationalistisch gestimmt. Angenommen, in
der sogenannten Globalisierungs-Zeit erscheinen Völkern europäische Staaten
aussenpolitisch nicht mehr einseitig-militärisch, innenpolitisch nicht mehr
vaterländisch, sondern, im Gegenteil, völkerverbindend. Das besagte Verhältnis
besteht auch dann weiterhin, ist auch weiterhin aussenpolitisch bedingt, nun
jedoch nicht mehr mit nationalstaatlicher Kriegsorganisation ... , sondern u.a.
von global-völkerbindenen Inhalten bestimmt. Nicht mehr soldatisches Heldentum,
nationale Kriegswirtschaft ... vielmehr Verständnis und Solidarität mit den
Völkern, die den Wohlstand der Industriestaatlichkeit mangeln, könnte die
Zielrichtung abgeben, von dem das Verhältnis europäischen Gemeinwohl und
Individualwohl bestimmt wird.
Gruß
philoschall
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Urs_meinte_Euch
am 08. Nov. 2005, 13:59 Uhr
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Hallo Eberhard!
Quote:Ich frage mich, welche Konsequenzen es hat,
wenn das Gemeinwohl nicht universal verstanden wird, sondern partikular, z.B.
auf einen bestimmten Staat beschränkt
Der Begriff des
Gemeinwohls kann sich m.E. auf jede Form von Gemeinschaft beziehen, in die
Menschen faktisch eingebunden sind. Das schließt eine globale Anwendung des
Begriffs ein, aber es schließt seine universalistische Begründung aus.
Das Problem der universalistischen Normenbegründung liegt darin, dass sie von
den konkreten Individuen methodisch abstrahiert. Das wird an Rawls’ „Schleier
des Nichtwissens“ besonders anschaulich. Die Individuen müssen so tun, als ob
sie nicht wüssten, wer sie im Unterschied zu den anderen sind. Diese
Unterschiede dürfen keine Rolle spielen.
Auch die diskurstheoretische
Begründung von Normen, die Du favorisierst, hat dieses Problem. Zugelassen sind
ja nur Argumente, die jeder vertreten könnte, die, wie Du sagst, „allgemein
konsensfähig“ wären. Der faktische Konsens zwischen faktischen Betroffenen
spielt keine Rolle. „Konsensfähigkeit“ ist eine normative Idee, die jeder
Beteiligte beim Argumentieren anstreben soll, ohne jemals überprüfen zu können,
ob seine faktischen Äußerungen, gerichtet an faktische Gesprächspartner,
wirklich allgemein konsensfähig sind.
Bei der Begründung von
intersubjektiv geltenden Tatsachenaussagen stellt sich das Problem der
Individualität bei den Erfahrungen. Aber hier kommen ganz entscheidend die
technischen Fähigkeiten ins Spiel, Erfahrungen so zu manipulieren, dass sie
unter gleichen Bedingungen faktisch immer gleich sind. Eine technische
Erzwingung von Gleichheit unter menschlichen Individuen ist aber, wo es um eine
zwanglose Verständigung gehen soll, weder sinnvoll noch wünschenswert.
Das Mittel, mit dem Individuen gleiches Handeln unter gleichen Bedingungen
ermöglichen, sind Normen. Normen können unter Zwang befolgt werden, aber auch
mehr oder weniger freiwillig. Freiwillig normenkonform ist Handeln, wenn der
Handelnde die Norm für sich akzeptiert – aus welchen Gründen auch immer.
Nun sollen, nach dem Credo der Philosophen, die eine universalistische
Normenbegrünung vertreten, Normen nur dann eine „moralische“ Qualität aufweisen,
wenn sie mit solchen Gründen gestützt werden können, die ausnahmslos jeder
einsehen müsste. Nun ist aber Einsicht nicht erzwingbar. Und somit tritt an
dieser Stelle mit systematischer Zwangsläufigkeit das Problem auf, dass jemand
„logisch zwingend“ argumentiert, aber die Einsicht des anderen ausbleibt.
Bei Dir, Eberhard, wird in einer ziemlich krassen Weise deutlich, dass Du
aus der logischen Zwangsläufigkeit von Argumenten auch die Berechtigung ableiten
willst, andere zum konformen Handeln zu zwingen (siehe die Fußnote). Wenn der
andere die Begründung der Norm nicht freiwillig einsieht, obwohl das Argument
formal korrekt (und somit „wahr“) ist, so ist der Einsatz von Gewalt legitim und
geboten.
Hier schlägt die Liberalität, der doch die Freiheit und das
Wohl der Individuen so am Herzen liegt, in Zwangsherrschaft über die
uneinsichtigen Individuen um. Mir ist klar, dass das Rechtssystem so verfährt,
und ich sehe auch ein, dass es vernünftig ist, so zu verfahren. Große
Zusammenschlüsse von Individuen, mit reicher Binnendifferenzierung, kommen ohne
ein zwangsbewehrtes Recht nicht aus.
Aber ich bestreite energisch, dass das
für das Recht charakteristische Verfahren geeignet sei, Moralität schlechthin zu
begründen.
Moralisches Handeln – d.h. gemeinschaftsorientiertes Handeln
– kommt zustande durch Bildungsprozesse, in denen die Individuen lernen, ihr
Handeln und ihre Ansprüche mit dem Handeln und den Ansprüchen der andern
abzustimmen. Auch in diesen Lernprozessen spielt Zwang immer wieder eine Rolle,
und jeder kennt die Widerstände derjenigen, die lernen sollen, sich zu
disziplinieren. Aber immer wieder dreht es sich in diesen Lernprozessen darum,
dem Lernenden zur freiwilligen Einsicht zu verhelfen – mit Druck, mit Lockungen
und Belohnungen, mit List (Hegel sprach von der „List der Vernunft“), und immer:
mit möglichst viel „Spielraum“, mit persönlicher Anteilnahme und Anerkennung der
Persönlichkeit des Lernenden.
Mit dem Verständnis dieser Prozesse fängt
für mich Moralphilosophie eigentlich erst an - also dort, wo sie für Dich schon
aufgehört hat. [1]
Freie Einsicht kommt nur zustande in faktischen
Beziehungen zwischen Individuen, und zwar solchen Beziehungen, die den
Individuen möglichst viel faktischen Spielraum lassen, sich zu entfalten.
Spielraum wofür? Für ihre Eigenheiten. Denn es ist doch plausibel, dass sich
Individuen auch im normenkonformen Handeln dann frei fühlen, wenn sie dabei „sie
selbst“ bleiben, wenn sie ihre Eigenheiten „einbringen“ und diese auch anerkannt
werden.
Ein Begriff von Gleichheit, der sich auf die Abstraktion vom
Individuellen gründet, ist dieser Realität nicht angemessen.
(Ich wollte ursprünglich auf das Gemeinwohl zurück kommen, aber der Beitrag ist
so schon sehr lang. Ein andermal.)
Es grüßt Dich
Urs
[1] So schreibst Du im Thread „Darf man sich zugrunde richten?“ im Beitrag Nr.
93:
Quote:Für die Moralphilosophie stellt der nicht Konsenswillige
kein theoretisches Problem dar, weil er seine Normen ohne den Anspruch auf
nachvollziehbare Begründbarkeit vertritt, womit sie wissenschaftlich irrelevant
sind. (Was jedoch nicht ausschließt, dass der nicht Konsenswillige weiterhin ein
großes praktisches Problem darstellt.)
Die Aufgabe der Moralphilosophie
ist erfüllt, wenn sie den nicht Konsenswilligen als solchen identifiziert. Seine
Bekämpfung kann nicht mit Argumenten erfolgen sondern bedarf anderer Mittel.
Die „Bekämpfung“ des nicht Konsenswilligen... Das sind Worte, die in
einem Zusammenhang mit Moral m.E. nichts zu suchen haben. Hier wird ganz
deutlich, dass Dein Verständnis von Moral sich ausschließlich am zwangsbewehrten
Recht orientiert.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Urs_meinte_Euch
am 08. Nov. 2005, 15:13 Uhr
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Hallo Metin!
Ich glaube, Du hast ziemlich genau verstanden, was ich
meinte. Du sagst in Deinen Worten etwas Ähnliches.
Was in unseren
europäischen Staaten die Freiheit ganz wesentlich ausmacht, ist der Pluralismus.
Und damit meine ich nicht nur einen Pluralismus der Meinungen (jeder darf
öffentlich sagen, was er für richtig hält), sondern auch den Pluralismus der
verschiedenen Lebensformen.
In einem Rechtsstaat sind alle Individuen
vor dem Gesetz gleich. Naja, zumindest sollte es so sein, in Wirklichkeit stimmt
das nicht immer.
Z.B. wäre wahrscheinlich jeder normale Bürger in Beugehaft
genommen worden, der sich wie Helmut Kohl geweigert hätte, eine Zeugenaussage
über kriminelle Handlungen ihm bekannter Personen zu machen. Aber Helmut Kohl
ist eben Helmut Kohl, klarer Fall.
Auch die Vorgänge um den ehemaligen
Münchener Staatsanwalt, der die Steuerhinterziehung von Max Strauß (Sohn von
Franz-Josef Strauß) konsequent verfolgte, zeigen, dass nicht immer gleiches
Recht für alle gilt. Denn dieser aufrechte Staatsanwalt erfuhr Druck von
politischer Seite, Mobbing von seinen Kollegen und wurde schließlich
strafversetzt. Er hat inzwischen eine Initiative von Juristen gegründet, die
sich für mehr Unabhängigkeit der Staatsanwälte von politischen Instanzen
einsetzt.
Nun gut, in einem Rechtsstaat sind – im Prinzip – alle
Individuen vor dem Gesetz gleich. Aber deswegen bleiben sie trotzdem Individuen
mit ihren Eigenheiten und Ansprüchen. Und nur, wenn sie diese Eigenheiten auch
ausleben dürfen, können sie sich frei fühlen. Ja, ein Rechtsstaat muss auch die
vielfältigen Lebensformen seiner Bürger als ein schützenswertes Gut anerkennen.
Außerdem denke ich, dass es gerade das pluralistische „Konzert“ der
gesellschaftlichen Lebensformen ist, aus dem freiheitlich und zugleich
verantwortlich denkende Staatsbürger hervorgehen. Ein Staat lebt eben nicht vom
Recht allein. Er braucht als Staatsbürger solche Individuen, die auch im Sinne
des Ganzen denken und handeln können. Und solches Denken und Handeln lernt man
nicht in Gerichtsverhandlungen, wo jeder nur um sein persönliches Recht kämpft.
Aber auch nicht in einem ökonomischen Handeln, bei dem jeder nur seinen
persönlichen Vorteil sucht...
Es grüßt Dich
Urs
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 08.
Nov. 2005, 17:45 Uhr
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Hallo Urs,
Du siehst im diskurstheoretischen Ansatz bestimmte Probleme,
auf die die ich später eingehen werde.
Zuvor möchte ich jedoch noch
deutlich machen, dass ich mit Deiner Interpretation meiner Position nicht
einverstanden bin.
Du schreibst:
“Bei Dir, Eberhard, wird in
einer ziemlich krassen Weise deutlich, dass Du aus der logischen
Zwangsläufigkeit von Argumenten auch die Berechtigung ableiten willst, andere
zum konformen Handeln zu zwingen (siehe die Fußnote). Wenn der andere die
Begründung der Norm nicht freiwillig einsieht, obwohl das Argument formal
korrekt (und somit „wahr“) ist, so ist der Einsatz von Gewalt legitim und
geboten.“
Die Fußnote, auf die Du diese Einschätzung stützt, enthält das
folgende Zitat von mir:
„Die Aufgabe der Moralphilosophie ist erfüllt,
wenn sie den nicht Konsenswilligen als solchen identifiziert. Seine Bekämpfung
kann nicht mit Argumenten erfolgen sondern bedarf anderer Mittel.“
Wenn
man diesen Satz isoliert betrachtet, liegt tatsächlich die Interpretation nahe,
dass der Nicht-Konsenswillige bekämpft werden müsse (obwohl dies nicht gemeint
ist und auch so nicht explizit ausgesagt wird).
Dass eine solche
Interpretation falsch ist, geht zweifelsfrei aus der folgenden Passage hervor,
die kurz vor dem von Dir herangezogenen Satz steht. Dort schreibe ich:
„Wer sich nicht zwangfrei einigen will, der gehört für mich nicht zu den
‚Menschen guten Willens’, Vor ihm muss ich mich in Acht nehmen.
Das
bedeutet noch nicht, dass ich ihn als Feind betrachte, den ich unschädlich
machen muss. Ich kann aus meiner Sicht seine Interessen mit berücksichtigen und
ihm seine Rechte erhalten in der Hoffnung, dass er doch noch einsichtig wird.
Diesen Prozess kann ich mit pädagogischen oder therapeutischen Mitteln
unterstützen.“
Ich beziehe den schwierigen Weg hin zur
konsensorientierten Argumentation hier ausdrücklich mit ein. Dazu gehört z.B.
das Erlernen der nötigen Begriffe, die Anwendung der Logik und die Beseitigung
von Vorurteilen und emotional verankerten Denkblockaden. Ich erwähne
ausdrücklich das pädagogische und das therapeutische Verhältnis zum nicht
Konsenswilligen.
Um zukünftige Missverständnis zu vermeiden, werde ich
den anstößigen Satz folgendermaßen umformulieren: „Die Aufgabe der
Moralphilosophie ist erfüllt, wenn sie den nicht Konsenswilligen als solchen
identifiziert. Die weitere Auseinandersetzung mit ihm kann nicht mehr auf der
Ebene der Argumentation erfolgen sondern erfordert praktisches Handeln.“
Dies erstmal vorweg, damit sich hier nichts Falsches verfestigen kann von
Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 09.
Nov. 2005, 00:18 Uhr
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Hi zusammen,
Moralisches Handeln – d.h. gemeinschaftsorientiertes Handeln
– kommt zustande durch Bildungsprozesse, in denen die Individuen lernen, ihr
Handeln und ihre Ansprüche mit dem Handeln und den Ansprüchen der andern
abzustimmen.
Bedeutet das, dass unsere Normen sich in gegenseitiger
Abstimmung der Individuen untereinander von der Steinzeit bis jetzt entwickelt
haben? Dann frage ich allerdings, warum sie sich so etnwickelt haben und nicht
anders und warum wir gesellschaftliche Entwicklungen, die uns für uns selbst
nicht so geeignet erscheinen (Pol Pot) nicht als Entwicklung in gegenseitiger
Abstimmung von Individuen von Gesellschaften ansehen, die nicht unserer Kultur
angehören und die man deshalb so lassen sollte wie sie sind.
Wenn aber
unsere Normen nicht oder nicht ausschließlich Ergebnis solcher Entwicklungen
sind (und warum sonst sollte man sich um Normen bemühen?), dann kannst du doch
nicht sagen:
Mit dem Verständnis dieser Prozesse fängt für mich
Moralphilosophie eigentlich erst an
Denn was ist es, was da vor sich geht?
Und was wäre die Konsequenz?
Wenn ein achtjähriges Mädchen in der Szene ihrer
Mutter beim Haschischdealen hilft, dann lernt sie die Normen dieser Szene, wie
du es beschreibst. Aber - da kommt eben wieder die alte Frage: wollen wir das?
Und wenn wir es nicht wollen: warum nicht?
Ich stimme Eberhards Bemühen
um einen diskurstheoretischen Konsens zu - wenn mir auch dein
individualistischer Ansatz nicht so recht gefällt. Aber das mag vielleicht daran
liegen, dass ich mehr Vertrauen in den Willen von Gemeinschaften habe, das
Individuum zu schützen. Deswegen habe ich wohl weniger Sorge um Totalitarismus.
Er ist schlimm genug, aber in meinen Augen eine staatliche Organisationsform,
die sich nicht bis in die menschlichen Gemeinschaften hinein durchsetzt.
Ich stimme zu, weil ich nicht sehe, wie man sonst Normen entwickeln und
etablieren will. Ist nicht unser Rechtssystem auf einen Grundkonsens angewiesen?
Und weicht es nicht überall da auf, wo dieser Grundkonsens nicht mehr gilt, sei
es in Subkulturen, sei es aber auch, wo ich im Moment entsprechende Tendenzen
sehe, im Konflikt zwischen Wohlhabenden und sehr Wohlhabenden, die sich zur
Mehrung ihres Besitzes bei Strafe des Gefressen Werdens von anderen, wenn sie
das nicht tun, über bisher geltende Normen hinwegsetzen, und Arbeitslosen,
insbesondere Hartz IV-Empfängern, die die ihnen gesetzten Normen nicht mehr als
rechtmäßig empfinden und deswegen offenbar vielfach zu torpedieren trachten?
Normen sind doch nur dann Normen, wenn man sich allgemein daran hält. Wenn
allgemein anerkannt wird, dass sie richtig sind. Ist das nicht der Fall, dann
sind es nur papierne Normen, die nur ein Teil der Gesellschaft lebt, wenn
überhaupt. Welche Möglichkeit gäbe es denn, eine allgemeine Gültigkeit zu
erreichen, außer dem Konsens?
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Urs_meinte_Euch
am 09. Nov. 2005, 02:00 Uhr
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Hallo Abrazo!
Quote:Bedeutet das, dass unsere Normen sich in
gegenseitiger Abstimmung der Individuen untereinander von der Steinzeit bis
jetzt entwickelt haben? Dann frage ich allerdings, warum sie sich so entwickelt
haben und nicht anders und warum wir gesellschaftliche Entwicklungen, die uns
für uns selbst nicht so geeignet erscheinen (Pol Pot) nicht als Entwicklung in
gegenseitiger Abstimmung von Individuen von Gesellschaften ansehen, die nicht
unserer Kultur angehören und die man deshalb so lassen sollte wie sie sind.
Ich wüsste nicht, wie sich unsere Normen anders als durch eine Art
von „trial and error“ im Laufe der Geschichte sollten entwickelt haben. Es
wurden ja eine Menge von Lebensformen entwickelt, viele sind wieder
untergegangen, teils durch äußere Einwirkung, teils wegen innerer Brüchigkeit.
Und da „wir“ nun mal Lebewesen mit Vernunft sind, haben immer auch Reflexion,
Vernunft und gezielter Gestaltungswille ein Wörtchen mitgesprochen bei diesen
Entwicklungen.
Über Pol Pot weiß ich nicht viel. Aber er scheint ja, wie
die meisten Unglücksbringer unter der Sonne, im Namen einer Idee gehandelt zu
haben. Hitler und die Seinen wollten ja auch nur das Beste für das deutsche
Volk. Ich glaube, es gab überhaupt nur sehr wenige Tyrannen, die das Böse taten,
weil sie das Böse wollten.
Tiere haben, ihren Artgenossen gegenüber,
eine natürliche Tötungshemmung. Menschen haben sie eigentlich auch, aber sie ist
überwindbar. Und zwar, wie uns die Sozialpsychologen gezeigt haben, durch Ideen,
namentlich durch die feste Überzeugung, im Auftrag des Guten zu handeln. Diese
Überzeugung scheint uns zu beflügeln und zu einer besonderen Konsequenz im
Umgang mit dem Bösen anzuhalten...
Im Übrigen finde ich es
schwer, Deine Position zu verstehen. Einerseits sprichst Du Dich im Namen des
Glaubens vehement gegen vernünftige moralische Prinzipien aus, andererseits
stimmst Du Eberhard zu, dem es nun ganz ausgeprägt um den Zusammenhang von
Wahrheit – Vernunft – Normen geht, und der mit religiösen Autoritäten („Dogma“)
nichts anfangen kann. Er setzt auf die Wissenschaft.
Einerseits betonst Du
die Vielfalt der verschiedenen Gemeinschaften (z.B. Köln), andererseits siehst
Du den erforderlichen Grundkonsens durch „Subkulturen“ gefährdet.
Was
mich angeht, so bin ich nicht gegen Konsens. Ich bin nur gegen die Idee eines
Konsenses, der die Individualität der Individuen nicht zu integrieren vermag.
Ich bin gegen das „abstrakte Allgemeine“, das sich in die Wirklichkeit nur gegen
die bzw. auf Kosten der Individualität umsetzen lässt. Diese Linie habe ich von
Anfang an verfolgt.
Ich habe in fast jedem Beitrag irgendetwas
Zustimmendes zum modernen Rechtsstaat und seiner (im Prinzip) egalitären
Begründung gesagt. Aber ich habe immer betont, dass dieses (im Prinzip)
egalitäre Recht nicht die einzige Form menschlicher Vergesellschaftung ist und
sein kann.
I can’t help it – wir Menschen sind eine Art, die sich
aufgrund ihrer art-allgemeinen Anlagen durch eine besondere Individualisierung
des Handelns auszeichnet. Und ich bestehe hartnäckig darauf, dass DIESES
Allgemeine, das sich IM Individuellen realisiert, nicht durch untaugliche
philosophische Konzepte unter den Teppich gekehrt wird. Es gilt, das KONKRETE
ALLGEMEINE zu verstehen und anzuerkennen, das jeder von uns auf seine
unverwechselbare Weise ist. Dies anerkennen ist für mich gleichbedeutend mit
„Humanität“.
Die universalistische Normenbegründung dagegen muss schon
wegen ihres Ansatzes vor einem großen Teil der menschlichen Wirklichkeit die
Augen verschließen. Diese Vielfalt, die nicht auf allgemeine Begriffe zu bringen
ist, geht sie nichts mehr an. Wie könnte das deutlicher ausgedrückt werden als
durch Rawls’ „veil of ignorance“? Oder durch Eberhards Satz, die Aufgabe der
Moralphilosophie sei da beendet, wo der nicht Konsenswillige identifiziert sei?
Es grüßt Dich
Urs
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Urs_meinte_Euch
am 09. Nov. 2005, 02:10 Uhr
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PS.
Zur Erinnerung zitiere ich mal, wie Du damals auf Ebehards Beitrag
geantwortet hast, aus dem ich oben zitiert habe:
Quote:(Eberhard)
Die Aufgabe der Moralphilosophie ist erfüllt, wenn sie den nicht Konsenswilligen
als solchen identifiziert
(Abrazo) Um Himmels willen, Eberhard, denk mal
daran, was du da sagst!
Wir dürften nicht den jeweiligen Kontext aus den
Augen verlieren. Es gibt die nicht konsenswillige Einzelperson und die nicht
konsenswillige Subkultur innerhalb einer geschlossenen Gesellschaft. Es gibt
aber auch andere nicht konsenswillige, Gruppen, die Millionen Menschen umfassen,
nämlich Angehörige anderer Kulturen und Staaten. Soll es die Konsequenz der
Moralphilosophie sein, zu ihnen Kontakte abzubrechen, ggf. Kriege zu führen? Das
kann dann keine Moralphilosophie sein.
In der Theorie klingt das alles
ja recht nett. Auch die Sache mit dem Verzichten auf eigene Interessen. Aber wie
sieht das bitte in der Praxis aus?
Es ist wirklich nicht
einfach, Deine Position zu verstehen...
:-)
Es grüßt Dich
Urs
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von homo_sapiens am
09. Nov. 2005, 09:57 Uhr
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....... warum wohl ....... ?
propagiert ihr immer jede krank heit
........ ?
aber keine weis heit ?
>>>> weil ihr alle ......
für
die massen krank heit un be zahl bare kranke !
wie euere vor fahren vor 70
jahren auch !
damals wurde auch die größte krank heit
zum an führer er
nannt !
wie heute auch ..........
wurde der krankeste arzt
in
die höchsten ränge er hoben !
wie heute auch .........
es ist also
nicht
dass ihr nicht weise !
auch nicht
dass ihr keinerlei krank
heits empfinden !
ihr habt eine richtige ein bildung
auf euer massen
krank sein .........
und deshalb ver steht einen homo sapiens nicht !
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 09.
Nov. 2005, 11:53 Uhr
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Hallo Urs,
Du schreibst:
“Wir Menschen sind eine Art, die sich
aufgrund ihrer art-allgemeinen Anlagen durch eine besondere Individualisierung
des Handelns auszeichnet. Und ich bestehe hartnäckig darauf, dass DIESES
Allgemeine, das sich IM Individuellen realisiert, nicht durch untaugliche
philosophische Konzepte unter den Teppich gekehrt wird. Es gilt, das KONKRETE
ALLGEMEINE zu verstehen und anzuerkennen, das jeder von uns auf seine
unverwechselbare Weise ist. Dies anerkennen ist für mich gleichbedeutend mit
„Humanität“.
Die universalistische Normenbegründung dagegen muss schon
wegen ihres Ansatzes vor einem großen Teil der menschlichen Wirklichkeit die
Augen verschließen. Diese Vielfalt, die nicht auf allgemeine Begriffe zu bringen
ist, geht sie nichts mehr an.“
Mit diesen Sätzen erweckst den Eindruck
einer unzulässigen Gleichmacherei durch Ansätze wie z.B. die Diskurstheorie.
Dabei erscheint es so, als wollten derartige Konzeptionen die
unverwechselbare Individualität der Menschen verschwinden lassen („unter den
Teppich kehren“).
Dazu sind zwei Richtigstellungen nötig.
Zum
einen ist nicht das ganze Leben durchmoralisiert und durchnormiert. Moral und
Recht betreffen nur einen begrenzten Ausschnitt unseres Lebens. Weite Bereiche
sind – zum Glück – fern aller Pflichten und Rechte. Der ganz individuelle Reiz
von Leonardos Mona Lisa, die Freude an einem lustigen persönlichen Erlebnis,
mein besonderes Verhältnis zu meinen Eltern, die Charakteristika meiner
persönlichen Handschrift usw. usf. all diese inviduelle Vielfalt, die nicht auf
allgemeine Begriffe zu bringen ist, wird von der Moral und damit auch von der
Moralphilosophie überhaupt nicht tangiert und kann folglich auch nicht durch
diese beeinträchtigt werden. Ins Blickfeld der Moralphilosophie können nur
moralisch relevante Eigenheiten der Individuen gelangen, und das sind m.E. vor
allem solche, die zu Konflikten mit anderen führen können.
Zum Zweiten.
Es ist in der Tat so, dass moralische und rechtliche Normen gewöhnlich von der
spezifischen Identität der Individuen abstrahieren:
- In der christlichen
Moral ist ganz allgemein vom „Nächsten“ die Rede,
- Kants Kategorischer
Imperativ richtet sich an jedes beliebige Individuum,
- die Menschenrechte
sollen für alle Menschen gelten,
- dem Utilitarismus geht es nur um das
größte Glück als solchem, unabhängig davon, wessen Glück das ist usw.
Dies ist nun kein Zufall sondern ergibt sich aus dem Zweck, dem diese Normen
dienen sollen, nämlich eine allgemein akzeptable Regelung des Umgangs
miteinander zu schaffen.
Dieser Zweck kann meines Erachtens nur dann
erreicht werden, wenn diese Regelungen unabhängig davon formuliert und
angewendet werden, um welche Person oder Gruppe es gerade geht. Damit Normen
allgemein akzeptabel sein können, müssen sie deshalb „personunabhängig“
formuliert sein.
Umgekehrt schafft eine singuläre Norm (also eine
Vorschrift, die nur einen bestimmten individuellen Fall regelt) ein „Präjudiz“
für alle anderen, gleich gelagerten Fälle.
Wer die
Einzelfallentscheidung billigt, der muss auch für alle andern Fälle, auf die
dieselbe Beschreibung zutrifft wie auf den Einzelfall (also gleichartige Fälle),
eine entsprechende Entscheidung billigen.
Abschließend noch zwei Punkte:
Die Herstellung einer Situation der Ungewissheit als Mittel zur
Verhinderung eigeninteressierten Urteilens und Handelns und damit zur
Erleichterung eines Konsens, ist keineswegs ein Mittel zur Gleichmacherei der
Individuen. Diese Konstruktion kann man z.B. praktisch anwenden, wenn es um die
Aufteilung eines Erbes auf 3 gleichberechtigte Erben geht. Man bildet zuerst
einvernehmlich 3 möglichst gleichwertige Teile und lost erst danach diese Teile
unter den 3 Erben aus.
Außerdem möchte ich den mir zugeschriebenen Satz:
„die Aufgabe der Moralphilosophie sei da beendet, wo der nicht Konsenswillige
identifiziert sei“ in seinen argumentativen Zusammenhang stellen, damit hier
keine Missverständnisse entstehen (z.B. dass dies die einzige Aufgabe sei o.ä.).
Der zitierte Satz bezieht sich auf das Problem der Auseinandersetzung
mit jemandem, der für die von ihm vertretene Norm allgemeine Geltung und
Befolgung verlangt und der sich dabei auf intersubjektiv nicht nachvollziehbare
Argumente stützt.
Die vorrangige Aufgabe der Philosophie als
Wissenschaft ist es in diesem Fall, die behauptete fehlende intersubjektive
Nachvollziehbarkeit (und damit Konsensfähigkeit) einer solchen Position
nachvollziehbar zu begründen. Mehr zu verlangen, etwa die Widerlegung seiner
Ansichten oder gar die Herbeiführung der Einsicht des Betreffenden in die
Falschheit seiner Ansichten, wäre der Situation nicht angemessen.
Die
daran anschließenden Fragen, wie man psychologisch, pädagogisch, therapeutisch,
taktisch oder politisch mit einem nicht Konsenswilligen umgeht, der seine Norm
dogmatisch vertritt und Befolgung verlangt, überschreiten die Grenzen der
Moralphilosophie. Dazu muss man z.B. die sozialpsychologischen Forschungen zu
Vorurteilen, Einstellungsänderungen, Verinnerlichung von Normen etc.
heranziehen.
In der Hoffnung, möglichen Missverständnissen zumindest
etwas entgegengewirkt zu haben, grüßt Dich und alle Interessierten Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Urs_meinte_Euch
am 09. Nov. 2005, 13:41 Uhr
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Hallo Eberhard!
Wir haben unterschiedliche Auffassungen von der
Aufgabe der philosophischen Ethik.
Du beschränkst Ethik auf normative
Ethik, wobei Normen Dich interessieren als Regelungen für mögliche Konflikte.
Mich interessieren die „Bedingungen der Möglichkeit“ von moralischem Handeln
insgesamt. Es geht mir also nicht nur um die Frage, wie Menschen handeln sollen,
sondern wie sie gemeinschaftlich handeln können, ohne dabei ihre individuelle
Freiheit einzubüßen.
Denn was nützt es zu wissen, wie Menschen handeln
müssten, um für Gerechtigkeit auf der Welt zu sorgen, wenn man nicht weiß, ob
und wie die Verwirklichung möglich ist, und was Menschen – Gruppen oder
Individuen – konkret dazu beitragen können.
Quote:All diese
individuelle Vielfalt, die nicht auf allgemeine Begriffe zu bringen ist, wird
von der Moral und damit auch von der Moralphilosophie überhaupt nicht tangiert
und kann folglich auch nicht durch diese beeinträchtigt werden. Ins Blickfeld
der Moralphilosophie können nur moralisch relevante Eigenheiten der Individuen
gelangen, und das sind m.E. vor allem solche, die zu Konflikten mit anderen
führen können.
Es kann der Philosophie in der Tat nicht darum
gehen, die ganze individuelle Vielfalt auf Begriffe zu bringen. Wohl aber kann
sie nach den allgemeinen Bedingungen fragen, unter denen Individuen moralisch
handeln. Und sie kann, über Analyse und Begründung hinaus, auch jene
„praktischen Probleme“ ins Auge fassen, die eine rein normative Ethik
ausklammert.
Quote:Dieser Zweck [= eine allgemein akzeptable
Regelung des Umgangs miteinander zu schaffen] kann meines Erachtens nur dann
erreicht werden, wenn diese Regelungen unabhängig davon formuliert und
angewendet werden, um welche Person oder Gruppe es gerade geht. Damit Normen
allgemein akzeptabel sein können, müssen sie deshalb „personunabhängig“
formuliert sein.
Normen müssen „allgemein akzeptabel“ sein, ja.
Und sie müssen so weit unabhängig von den Personen formuliert sein, dass sie für
jede Person in einer bestimmten typischen Situation gelten können.
Es
fragt sich aber, wie weit man hier die Allgemeinheit versteht. Meine Antwort: Es
genügt die Allgemeinheit der faktisch Betroffenen. Es ist unnötig – und auch gar
nicht zweckdienlich -, jede Norm universell begründen zu wollen. Die Gründe
müssen einsichtig sein für jeden, der von einer Norm betroffen sein kann.
Wenn die Heiratsregeln bei den Kwakiutl vom Ehemann verlangen, dass er
einen Brautpreis an die Eltern zu entrichten hat, so bin ich davon nur
betroffen, wenn ich eine Kwakiutl heiraten will. Und sollte dies der Fall sein
(man weiß ja nie, was alles passieren kann), werde ich nicht anfangen, mit den
Eltern meiner Braut über die rationale Begründung dieser Norm zu diskutieren,
sondern ich werde diesen Brauch respektieren oder – sollte der Preis mein
Vermögen übersteigen – die Braut bei Nacht und Nebel entführen (ihr
Einverständnis und ihre leidenschaftliche Liebe vorausgesetzt). Da aber
Heiratsregeln keine Regeln zur Verhinderung von Heiraten sind, werden die Eltern
schon keinen Preis verlangen, den kein Mensch bezahlen kann...
Es würde mich
auch keine Verbiegung meiner selbst kosten, diesen Brauch zu respektieren. Alle
liebenden Eltern auf der Welt möchten sicher sein, dass der künftige Mann ihre
Tochter nicht unglücklich macht. Sie möchten als Eltern respektiert werden, sie
möchten auch spüren, dass mir viel an ihrer Tochter liegt – lauter
nachvollziehbare Motive, die hinter so einer Regel stehen mögen. Für mich, der
ihre Tochter liebt, ist sie wie ein Geschenk; warum sollte ich den Eltern nicht
ein Gegengeschenk machen?
Ich habe dieses Beispiel ausgewalzt, um zu
zeigen: Wenn man sich auf Menschen handelnd einlässt, mit ihnen kommuniziert,
sich in ihre Lage versetzt – dann wird ihr Handeln verständlich, dann lässt sich
in der Regel (nicht immer, ich weiß) ein gemeinsamer Weg finden. – Diese
faktische Kommunikation ist etwas ganz anderes als die Beurteilung einer
kuriosen Heiratsregel nach universellen Prinzipien, die ein Philosoph fernab und
unbeteiligt am Schreibtisch vornehmen mag.
Und nach allem, was wir über
Konflikte zwischen Menschen und Völkern wissen, ist es in der Regel so, dass
Abstraktionen - wie Vorurteile, Entdifferenzierungen, Generalisierungen -
Konflikte auslösen oder verschärfen. Jeder Streit nimmt sofort an Schärfe zu,
wenn es nicht nur um die Bereinigung der konkreten Sache geht, sondern „ums
Prinzip“.
Die treibende Kraft moralischen Handelns liegt also darin,
dass Menschen konkret miteinander umgehen, sich streiten und einigen, nicht in
der Verordnung universeller Normen, die präventiv jeden Streit vermeiden sollen.
Das ist eine Einsicht der praktischen Menschenkenntnis, die von
wissenschaftlichen Generalisierungen nicht aufgewogen werden kann. Und da es in
der Ethik um das konkrete Handeln konkreter Individuen geht, verfehlt die Ethik
ihre Aufgabe, wenn sie sich auf Prinzipien zurückzieht.
Es grüßt
Dich
Urs
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 09.
Nov. 2005, 17:04 Uhr
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Hallo allerseits, hallo urs,
Du schreibst:
„Es ist unnötig – und
auch gar nicht zweckdienlich -, jede Norm universell begründen zu wollen. Die
Gründe müssen einsichtig sein für jeden, der von einer Norm betroffen sein
kann.“
Da bin ich mit Dir einer Meinung. Eine Norm muss erstmal nur für
diejenigen konsensfähig sein, von denen die Befolgung der Norm verlangt wird.
Wenn irgendwelche Individuen oder Gruppen sich selber bestimmte Verhaltensregeln
geben, so habe ich damit solange kein Problem, als diese Regeln nicht auch von
mir befolgt und akzeptiert werden sollen. Insofern bin auch ich kein Anhänger
universalistischer Prinzipien.
Deine Formulierung geht über den Kreis
der Adressaten einer Norm noch hinaus und verlangt die Konsensfähigkeit der von
einer Norm Betroffenen.
Dies ist insofern richtig, als eine Norm zwar
für die Adressaten akzeptabel sein kann, aber nicht für Dritte, die von der
Befolgung der Norm betroffen sind. Ein extremes Beispiel wären z.B. die Normen
einer Mafia, die nur für deren Mitglieder gelten („Zeugen sind sofort für immer
zum Schweigen zu bringen“).
Die potentiellen Zeugen wollen keineswegs
erschossen werden, so dass durch die Befolgung der internen Norm ein Konflikt
mit Außenstehenden geschaffen wird.
Die internen Normen stellen keine
akzeptable Lösung dieses Konfliktes dar, im Gegenteil, sie erzeugen ihn erst.
Wenn es um die inhaltliche Richtigkeit einer Norm geht, die einen bestimmen
Konflikt regeln soll, so müssen alle am Konflikt Beteiligten zustimmen können
Abschließend noch einige Klarstellungen zum „moralischen Diskurs“ also zur
Rolle der konsensorientierten, zwangfreien Argumentation bei der Beantwortung
normativer Fragen (Wie soll ich handeln?).
Neben der Ebene des von
praktischen Handlungszwängen entlasteten wissenschaftlichen Streits der
Gelehrten um inhaltlich richtige Normen muss es noch die Ebene der verbindlich
gesetzten Normen geben, wenn eine soziale Kooperation und Koordination erfolgen
soll.
Warum reicht die Ebene der inhaltlichen Diskussion um das Für und
Wider der normativen Alternativen nicht aus?
Die Diskussion darüber,
welches die am ehesten gemeinsam akzeptierbare Normalternative ist, muss kein
definitives Resultat haben. Selbst wenn es einen „ausdiskutierten Konsens“ gibt,
so kann dieser mit neuen Argumenten jederzeit wieder in Frage gestellt werden.
(Insofern ist die Befürchtung unbegründet, dass aus dem Diskurs
Philosophen-Könige hervorgehen könnten, die sich „im Besitze der Wahrheit“
wähnen und ein Zwangsregime errichten.)
Weil der an inhaltlicher
Richtigkeit orientierte Diskurs kein praktikables Verfahren der Normsetzung ist
(er muss kein definitives Resultat erbringen, er berücksichtigt weder
Termindruck noch Entscheidungskosten), bedarf es daneben der ausdrücklichen
Normsetzung. Dies kann durch die konkrete Auslegung einer heiligen Schrift oder
der überlieferten Traditionen durch einen autorisierten Priester geschehen, dies
kann auch durch eine Abstimmung in einer gesetzgebenden Versammlung geschehen.
Dabei entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen beiden Ebenen, die nicht
zugunsten einer Ebene entschieden werden kann: Der Mehrheitsbeschluss ist zwar
inhaltlich falsch aber er bleibt nichtsdestoweniger verbindlich.
Meines
Erachtens ist die Berücksichtigung dieser beiden Ebenen (einerseits die durch
Argumente begründete inhaltliche Richtigkeit einer Norm und andererseits die
durch Verfahren - also institutionell - erzeugte Verbindlichkeit einer Norm)
außerordentlich wichtig für das Verständnis des gemeinschaftlichen
Zusammenlebens.
Damit schließt Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von delfi am 09.
Nov. 2005, 17:17 Uhr
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Urs:
Quote:Und nach allem, was wir über Konflikte zwischen Menschen und
Völkern wissen, ist es in der Regel so, dass Abstraktionen - wie Vorurteile,
Entdifferenzierungen, Generalisierungen - Konflikte auslösen oder verschärfen.
Jeder Streit nimmt sofort an Schärfe zu, wenn es nicht nur um die Bereinigung
der konkreten Sache geht, sondern „ums Prinzip“.
Genau so ist es,
bravo Urs, dies gilt auch für die Freiheit "als Prinzip"
Moral und Freiheit
sind immer relativ.
Aber täuschen wir uns nicht, welche unglaublichen
Handlungen und Baudenkmäler (Dom) hat der Mensch nur auf Grund seiner irrealen
Hirngespinste vollbracht.
Salve
[skater]
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 09.
Nov. 2005, 23:21 Uhr
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Hi,
wie wäre es, theoretische Überlegungen zur Normenfindung mal an einem
praktischen Beispiel auszuprobieren (geklaut aus einer anderen Diskussion)?
Problem:
Das BVerfG hat heute über § 14 Abs. 3 Luftsicherheitsgesetz
verhandelt, also über die Befugnis der Bundeswehr, entführte Flugzeuge, von
denen man ausgehen muss, dass sie "gegen das Leben von Menschen eingesetzt"
werden sollen, auch dann abzuschießen, wenn sich darin (unschuldige)
Besatzungsmitglieder und Passagiere befinden. Die Bf. (ua Burkhard Hirsch und
Gerhart Baum) argumentieren zum einen, dass Leben nicht gegen Leben abgewogen
werden dürfe (obwohl Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ja unter einfachem Vorbehalt steht)
und dass die Tötung Unschuldiger auch zur Rettung anderer die Menschenwürde
verletze, weil die Unschuldigen zu bloßen Objekten staatlicher Opportunität
gemacht würden. Die Bf. gehen wohl davon aus, dass eine Tötung Unschuldiger in
Friedenszeiten immer menschenwürdewidrig sei. Aber auch sie erkennen an, dass
die Täter selbst getötet werden dürfen. Auch sie meinen also, dass das
Lebensrecht über die Menschenwürde hinausreiche, wenn auch nicht weit. Der
Bundesinnenminister hat unter anderem argumentiert, dass die Unschuldigen im
Flugzeug ja ohnehin bald tot seien. Gleichzeitig hat er bestritten, dass in
dieser Erwägung ein Abwägen von Leben gegen Leben liege.
Antwort:
Der
Erste Senat des BVerfG hat bereits in seinem Urteil vom 25. Februar 1975 -- 1
BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 -- ausdrücklich klargestellt, dass folgende (jeglicher
militärischen Gewalt zugrunde liegende) Denk- und Handlungsweise mit der
Verfassung nicht vereinbar sei:
"Die pauschale Abwägung von Leben gegen
Leben, die zur Freigabe der Vernichtung der vermeintlich geringeren Zahl im
Interesse der Erhaltung der angeblich größeren Zahl führt, ist nicht vereinbar
mit der Verpflichtung zum individuellen Schutz jedes einzelnen konkreten Lebens.
"
BVerfGE 39, 1 ff - Dem kann man nur zustimmen und fragt sich, wie dann
noch militärische Gewalt in staatlichem Auftrag zulässig sein soll.
Wer
nachliest, findet des Rätsels Lösung: Es ging um die Verfassungsmäßigkeit der
Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs.
Gemeinwohl, Individualwohl,
Ethik, alles drin.
Und nu?
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Urs_meinte_Euch
am 10. Nov. 2005, 02:27 Uhr
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Hallo Eberhard!
Ein wichtiger Punkt meiner Kritik an einer rein
normativen Ethik ist der Umstand, dass Normensysteme nicht „autark“ sind.
Normen, deren Aufgabe in der Regelung von Konflikten besteht, setzen offenbar
ein gesellschaftliches Zusammenleben voraus. Und damit es Individuen gibt, die
überhaupt imstande sind, ihre Interessen mit „allgemein konsensfähigen
Argumenten“ zu vertreten, ist eine gewisse, nicht ganz anspruchslose
Sozialisation der Individuen nötig. Denn argumentierende Subjekte fallen nicht
vom Himmel, wenn sie gerade für einen Normendiskurs gebraucht werden, es muss
sie schon geben. Und mir scheint, dass eine Morallehre, die im Namen der
Vernunft auftritt, die Bedingungen ihrer eigenen Möglichkeit reflektieren
sollte.
Das Recht begrenzt und schützt seinem Wesen nach
Freiheitsspielräume, es sorgt für die Verträglichkeit individueller oder
gemeinschaftlicher Interessen mit den Interessen anderer. Wie die rechtlich
begrenzten Freiheitsspielräume genutzt werden, dazu schweigt das Recht. Wie
Menschen die Kompetenz erwerben, ihre Freiheitsspielräume sinnvoll zu nutzen,
ohne dabei mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten, lässt sich aus Gesetzbüchern
so wenig lernen wie aus Büchern über diskurstheoretische Normenbegründung.
Dabei liegt es im Interesse des Rechtssystems, dass es von den Bürgern nicht
zu stark beansprucht wird. Wenn nämlich jeder kleine Nachbarschaftskonflikt,
jeder Streit zwischen Mietern und Vermietern vor Gericht ausgetragen würde,
würde das System zusammenbrechen. Es ist aber in Deutschland schon seit
Jahrzehnten so, dass die Justizbehörden von der schieren Masse der zu
bearbeitenden Fälle erdrückt werden. Die Gefängnisse sind überfüllt. Das macht
deutlich: Das Rechtssystem ist keine Institution zur Erziehung von
Staatsbürgern, im Gegenteil, wer erst einmal im Gefängnis angekommen ist, der
wird dort allenfalls für eine Kriminellenlaufbahn „sozialisiert“.
(Gleichzeitig klagen die staatlichen Schulen über die zunehmenden
Sozialisationsdefizite bei den Schülern. Und immer wieder wird gesagt, dass die
Schulen keine elementare Erziehung leisten können.)
Ein Blick auf
Frankreich und die dort ausgebrochenen Jugendkrawalle sollte ebenfalls deutlich
machen, dass Normensysteme für den Konfliktfall nicht genügen, um ein
friedliches und befriedigendes Zusammenleben der Bürger zu ermöglichen. Die
Menschen, die da nun ihrer Frustration, ihrer Hoffnungslosigkeit gewaltsam
Ausdruck verleihen, wurden vom Staat buchstäblich an den Rand gedrängt und sich
dort selbst überlassen. Man hat sich mehr für die Ausbildung der Eliten
interessiert. Und ein Innenminister, der dieses Problem in Kategorien der
Hygiene (konkret: Reinigung der Straßen vom Abschaum) formuliert und es nur mit
staatlicher Zwangsgewalt bekämpft, zeigt doch, wie ohnmächtig im Grunde ein
Denken in rein rechtlichen Kategorien hier ist.
(Auch dieser
Innenminister hat gewiss die "nicht Konsenswilligen als solche identifiziert".
Es ist ja auch nicht so schwer, Gewalttätige als solche zu erkennen. Frage ist
aber: Wie bekommt man konsenswillige Bürger, die argumentieren und friedlich
protestieren statt durch Gewalt auf sich aufmerksam zu machen?)
Kurz:
Normen für den Konfliktfall kommen eigentlich immer zu spät.
Die Frage
nach dem Gemeinwohl weist nach meinem Verständnis in die Richtung, aus der die
Defizite einer rein normativen Ethik ausgeglichen werden könnten. Denn das
„Wohl“ der Individuen oder der Gemeinschaft ist ein positiver Begriff. Er
bezieht sich gerade auf das, was von der normativen Ethik ausgespart wird –
nämlich auf das gute Leben der Individuen und Gemeinschaften sowie die
Voraussetzungen, die sie dazu brauchen.
Es grüßt Dich
Urs
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von homo_sapiens am
10. Nov. 2005, 09:54 Uhr
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> “Wir Menschen sind eine Art, die sich aufgrund ihrer art-allgemeinen Anlagen
durch eine besondere Individualisierung des Handelns auszeichnet.
.... auch mafiosie sind sehr unter schied lich !
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Urs_meinte_Euch
am 10. Nov. 2005, 13:35 Uhr
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Hallo Eberhard!
Ich komme zur weiteren Verdeutlichung noch einmal auf
diese Deine Sätze zurück:
Quote:Zum einen ist nicht das ganze Leben
durchmoralisiert und durchnormiert. Moral und Recht betreffen nur einen
begrenzten Ausschnitt unseres Lebens. Weite Bereiche sind – zum Glück – fern
aller Pflichten und Rechte. (...) All diese individuelle Vielfalt, die nicht auf
allgemeine Begriffe zu bringen ist, wird von der Moral und damit auch von der
Moralphilosophie überhaupt nicht tangiert und kann folglich auch nicht durch
diese beeinträchtigt werden.
Nun hatte ich zuvor gesagt, ich sei
gegen die „Idee eines Konsenses, der die Individualität der Individuen nicht zu
integrieren vermag.“ Und ich denke: Weite Bereiche „nicht tangieren“ und „nicht
beeinträchtigen“ – also nicht berücksichtigen oder sich selbst überlassen – ist
etwas anderes als sie „integrieren“.
Deine Sätze beschreiben sehr
treffend die Funktionsweise des liberalen Rechts: Es eröffnet und begrenzt
Freiheitsspielräume, die von den Rechtspersonen in eigener Verantwortung genutzt
werden können. Es schreibt nicht vor, wie die Bürger ihre Freiheit nutzen
sollen, sondern zeigt nur negativ die Grenzen ihrer Freiheit auf und droht für
den Fall der Grenzüberschreitung mit Zwang.
Dieses Modell – ich lege
hiermit ein weiteres Bekenntnis zum Rechtsstaat ab („...und aus dem Keller drang
das dumpfe Dröhnen der Bartaufwickelmaschine...“) – dieses Modell hat seine
unbestreitbaren Vorzüge, die keiner von uns mehr missen möchte oder könnte. Nur,
es basiert auf Voraussetzungen, die es selbst nicht schaffen kann. Es rechnet
nämlich mit Bürgern, die ihre Freiheit aktiv wahrnehmen und die Verantwortung
für ihr Handeln tragen können – also mit selbständigen Subjekten, die ein
gewisses Maß an Normen schon verinnerlicht haben müssen und ihr Leben friedlich
und befriedigend gestalten können.
Mit Massen von abhängigen
Proletariern, Arbeitslosen, Drogen- oder Konsumsüchtigen und unmündig Gläubigen
ist kein liberaler Staat zu machen. Dieser Gedanke stand ja hinter der
sozialdemokratischen Idee des Sozialstaats und der Arbeiterbildung: Man sah ein:
Die Staatsbürger, die selbständig für ihre Rechte eintreten und ihre gewonnene
Freiheit zum eigenen Wohl nutzen können, müssen erst noch herangebildet werden.
Und dieser Gedanke ist bis heute wahr, wenn auch in der Politik gegenwärtig
nicht „en vogue“. Man predigt „Deregulierung“ und „Selbstverantwortung“ und
verkleidet mit diesen schönen Begriffen: „Jeder möge selbst sehen, wo er bleibe,
und wer steht, dass er nicht falle.“ Die Konsequenzen, die dieses politische
Denken mittelfristig haben wird, zeichnen sich z.B. gerade in Frankreich ab oder
an den Stacheldrahtzäunen, die Spanien um seine afrikanischen Enklaven
hochgezogen hat oder ...
Eine normative Ethik, wie Du sie
favorisierst, fasst dies alles unter „praktische Probleme“ zusammen, die
bestenfalls einen Anhang zur eigentlichen Aufgabe bilden. Dagegen behaupte ich,
dass eine so begrenzte Moralphilosophie sich blind macht für die notwendigen
Voraussetzungen ihres Funktionierens. Der Umstand, dass diese Voraussetzungen
reale sind – nämlich aus dem faktischen, historischen Zusammenleben von Menschen
bestehen -, ist ein Problem nur dann, wenn man keine Kategorien ausbildet, die
differenziert genug sind, um diese Voraussetzungen theoretisch zu erfassen. Ohne
solche Differenzierung fallen in der Tat Begriffe/Normen/Prinzipien einerseits
und die kontingente Wirklichkeit andererseits schroff auseinander.
Dass
eine vernünftige - und mit dem liberalen Rechtsstaat sehr wohl vereinbare -
Ethik möglich ist, die allgemeine Normen oder Prinzipien mit der kontingenten,
historischen Wirklichkeit zusammenbringt, dafür gibt es Beispiele von
Aristoteles bis zu Charles Taylor (oder noch jüngeren Philosophen).
Es
grüßt Dich
Urs
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von metin_oztaskin
am 10. Nov. 2005, 15:12 Uhr
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on 11/06/05 um 19:56:48, Abrazo wrote:Bezug: #5
Hi,
Eberhard, deine Analogie hinkt insofern, als dass du noch Geld im Portmonee
hast. So, wie wir in einer organisierten Gesellschaft leben. Das, was ich in
meinem Kontext meinte, war, welche Überlegungen würdest du denn anstellen, wenn
du kein Geld im Portmonee hättest. Dann merkt man, wie unsinnig solche
Überlegungen sind - denn du bist nun mal nicht in der Situation, und alle
Überlegungen, wie du denn jetzt, wo du nicht in dieser Situation wärest,
entscheiden würdest, wenn du in dieser Situation wärest, sind nun wirklich
fiktiv, da du dir die Situation, über die du nachdenkst, vielleicht noch nicht
einmal realistisch vorstellen kannst.
Die Tatsachen zu erforschen ist
zweifellos Aufgabe der empirischen Wissenschaften. Aber kann eine Philosophie
eine brauchbare und überzeugende Theorie entwickeln, ohne die Ergebnisse der
Empirie zur Kenntnis zu nehmen, sie teils kritisch….
Wie soll
man die Aussage dieses Abschnitt verstehen. Das es schwierige ist bzw. unmöglich
ist, denjenigen zu verstehen, die kein Geld haben. Ich denke, an dieser
Feststellung ist etwas wahr dran. Die Möglichkeit der Empathie ist begrenzt, das
heiß, man kann nicht ganz in dem Empfindungen des Armen versetzen. Wenn es
nicht, das also die Möglichkeit der Empathie nicht begrenzt wäre, dann währe der
Frieden im Zusammenleben noch sicher. Der Frieden zu Zusammenleben wird deshalb
ständig bedroht, weil es gegenseitigem Verständnis mangelt bzw. fehlt. Die
Möglichkeit die Empathie wird noch durch die Tatsache vermindert, weil die
Menschen keine gemeinsamen Ziele haben. Also solche Ziele, dessen Verwirklichung
die meisten Menschen wollen. Wenn die Menschen gemeinsame Ziele hätten, dann ist
die Möglichkeit sich in die Lage der Anderen, das Fremde zu versetzen. Dieser
These wird durch die Erfahrung bestätige, dass sich die Menschen solidarisieren,
wenn es zur einer Naturkatastrophe gekommen ist. Das fand damals als es in Iran
als zur einen Erdebeben gekommen ist, da hat die USA sofort geholfen. Obwohl
Iran und USA im politische Leben verfeinden sind. Oder neulich als in Pakistan
Erdebeben war, da hat Indien zur Hilfe gegriffen. Ich will mit diesem Aussagen
deutliche machen, dass sich die Mensche eher vertragen können, wenn sie
gemeinsam Ziele.
Im nächsten abschnitt kommen die Feststellung „Die Tatsachen
zu erforschen ist zweifellos Aufgabe der empirischen Wissenschaften. Aber kann
eine Philosophie eine brauchbare und überzeugende Theorie entwickeln, ohne die
Ergebnisse der Empirie zur Kenntnis zu nehmen, sie teils kritisch zu
durchleuchten, teils, wenn sie der Kritik standhalten“.
Welche Tatsache soll
die empirische Wissenschaft erforschen? Ich währe dir dankbar, wenn du mir
dieser Sätze erläutert würdest!
Quote:Wir leben in einer
komplizierten organisierten Gesellschaft. Und wir könnten gar nicht leben, weil
wir mit nichts zu Potte kämen, wenn wir jede einzelne Handlung daraufhin
überdenken würden, was wir denn nun wirklich wollen; mal abgesehen davon, dass
das Subjekt, das Individuum sich dabei durchaus irren kann, entweder, indem es
die Situation verkennt, oder indem es kurzsichtig seinen persönlichen oder
natürlichen Impulsen folgt.
.
Es ist für mich sehr
einleuchten, dass man gar nicht weitere kommt, wenn man jeden einzelne Schritt
überdenken kann. In einer komplizierten Gesellschaft, in der wir leben, ist
Routine notwendige. Durch die Routine wird das leben in der komplizierten
Gesellschaft erleichtert. Schaffen frei Räume für andere Entscheidung, die für
das Zusammenleben wichtige sind. Aber man muss aufpassen, dass durch die Routine
das zusammenleben erstarte wird
Es ist auch sehr einleuchten, das sich die
Menschen irren können. Aber hier stelle sich für mich die Frage, in welche
Situation die Menschen sich Irren können, also in sicheren oder bedrohten
Situation. Ich meinen in bedrohte Situation neigen die Menschen zur Irrtum, weil
ihr Horizont darauf beschränkt, die eigene Haut zu retten.
Habe ich dich
richtige verstanden, dass du die Normen an hand einer Diskussion ermittelt
willst, aber mit der Bedingung, dass die Aussage evident sein muss. Auch dieser
Forderung ist einleuchten. Wenn dieser Forderung nicht erfüllt ist, dann sind
die entwickelten Normen tatsachenfremde(wirklichkeitsfremd). Und solche
Einleuchtenderweise nicht befolgte
Quote:1. Unwahr ist, dass der
Mensch von Natur aus frei ist. Er ist den Zwängen unterworfen, die die Biologie
zwecks Erhalt seines Lebens vorgibt. Der Mensch ist nur potentiell frei, weil er
ein reflexionsfähiges Wesen ist. Wer den freien Menschen will, und das heißt,
den Menschen, der zwischen verschiedenen Möglichkeiten wählen kann, muss dafür
sorgen, dass er seine Grundbedürfnisse so befriedigen kann, dass er überhaupt
die Muße hat, Entscheidungen kritisch zu überdenken.
.
.
Im
nächsten Anschnitt schreibst du, die Aussage „die Menschen sind frei“ unwahr. Es
ist schwer dieser Tatsache zu akzeptieren, weil es gegen die allgemeine
Vorstellung sprechen. Doch nach deiner Schilderung wird deutlich, wie du zur
dieser Feststellung kommt. Es ist währe, die Menschen haben die Möglichkeit zur
frei handeln, aber können nicht immer frei handeln. Sie können nur dann frei
handeln, wenn ihre Grundbedürfnisse erfüllt sind. Das heiß also, sie können
solche Verhältnisse nicht stimmen, in den die Grundbedürfnisse nicht
gewährleisten ist. Wenn die Menschen solche Verhältnisse, wie sie gerade
beschrieben sind, zu stimme würde, dann würde sie wahrscheinlich gegen ihre
Natur sprechen. Ohne die Erfüllung der Grundbedürfnisse können die Menschen
nicht Leben und das spricht gegen die Natur. So weit ich weiß, ist in der Natur
darauf gerichtet, sich zur erhalten. Das ist wahrscheinlich der biologische
Grund für die Schmerzen, wenn die Familie keine Nachwuchs bekommen, weil sie die
Anforderung der Naturgesetze haben. Doch das wird den meisten, die von diesem
Schicksal betroffen sind, nicht bewusst.
Die Feststellung, dass die Menschen
frei sind, unwahr ist wird klar, wenn man sich die Tatsache im einzelne
überlegt.
Quote:2. Es gibt eine humane Ethik, die dazu führt, dass
bestimmtes individuelles Verhalten von Menschen allgemein rigoros abgelehnt
wird. Hier können wir sogar mit den Religiösen in einen Konsens kommen, denn
auch wenn Menschen glauben, dass dieses Verhalten aufgrund göttlichen Gebotes
abgelehnt wird, so müssen sie doch zugeben, dass Menschen diese Gebote erst
einmal für wahr halten müssen, bevor eine Religion entstehen kann - und das
liegt nun mal am Menschen.
Einige individuelle verhalten
werden rigoros, also ohne Annahmen, abgelehnt, weil sie gegen den ethischen
Empfinden stoßen. Hier bringst du zum Ausdruck, das man in diesen Punkt eine
religiösen Konsens erzielen. Ich möchte dieser Feststellung umkehren und fragen,
ist eine Glaubensanschauung bzw. Weltanschauung zu verwirklichen, die sich gegen
die Natur des Menschen richtet? Ich denke, diese Frage ist ziemlich
theoretische, denn solche Anschauungen, wie sind oben erwähnen sind, nicht zu
verwirklichen, weil solche Anschauungen gegen die Natur sprechen
Kann man aus
der Tatsache, dass alle individuelle verhalten(Morde und Lüge und grundlosen
Vernichten der Natur) abgelehnt werden, erschließen, dass die Menschen ihren
Wesen gut sind. Solche Verhalten, die ohne Ausnahmen abgelehnt, werden
verursache, weil die Menschen ihre Wesen vergessen. Das heiß, die Bedingungen
fehlen, die notwendige sind, damit sich die Menschen ihre Wesen gerecht zu
verhalten, sprich friedlich sein.
Abrazo, ich habe mich intensive mit deine
Beitrag auseinander gesetzt, und einige Überlegung bzw. Fragen dazu geschrieben.
Ich würde mich freuen, wenn du mir sagen könntest, ob ich deine Beitrag richtige
interpretiert habe.
Mit lieben Grüssen
Metin Öztaskin
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 10.
Nov. 2005, 17:15 Uhr
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Hallo allerseits,
vorweg zu abrazo: mir scheint es an dieser Stelle
wichtiger, die Kontroverse über das Verständnis von Moralphilosophie
fortzusetzen. Ich bitte da um Dein Verständnis.
Urs, Du bemängelst
Defizite einer (normativen) Ethik, die sich auf die Frage konzentriert, wie
Menschen handeln sollen bzw. welche Institutionen der Normsetzung angewendet
werden sollen.
Eine solche Theorie setze vieles voraus. Z.B. setze die
diskurstheoretische Begründung voraus, dass es Individuen gibt, die
konsensorientiert argumentieren können. Diese Voraussetzungen, die den Diskurs
erst möglich machen, müssten als "Bedingungen der Möglichkeit", die Theorie
anzuwenden, mitreflektiert werden.
Da ich derartiger Kritik immer wieder
begegne, will ich etwas grundsätzlicher darauf eingehen.
Niemand kann
alle Fragen beantworten und schon gar nicht auf einmal. Insofern muss jeder eine
Auswahl der Fragen treffen, die er beantworten will.
Deshalb ist die
bloße Feststellung, jemand habe diese oder jene Frage vernachlässigt, zur Kritik
untauglich.
Erst wenn man zeigen kann, dass die gestellte Frage nicht
richtig beantwortet werden kann, wenn nicht zuvor eine bestimmte andere Frage
beantwortet ist, stellt die Nicht-Behandlung einer solchen Frage einen
methodischen Fehler dar. (So ist z.B. für die Beantwortung der Frage, wie man
eine irrationale heftige Angst vor dem Benutzen von Fahrstühlen beseitigen kann,
vorweg die Beantwortung der Frage notwendig, in welcher Situation diese Angst
zum ersten Mal aufgetreten ist.)
Ein Kritiker müsste also aufzeigen,
dass es bei meinem Vorgehen zu falschen Ergebnissen kommt, weil bestimmte Fragen
nicht mit einbezogen wurden. Eine derart konkretisierte Kritik sehe ich noch
nicht.
Dabei möchte ich noch einmal betonen, dass es mir nicht nur um
rechtsförmige Normen geht, sondern um die Möglichkeit, inhaltlich für oder gegen
vorgeschlagene Normen zu argumentieren.
Dass eine Gesellschaftsordnung
auf der Angst vor rechtlichen Sanktionen nicht dauerhaft aufgebaut werden kann,
sondern dass die Mehrheit der Menschen auch von der Richtigkeit dieser Ordnung
überzeugt sein muss, ist unbestritten. Man kann nicht hinter jeden Menschen
einen Polizisten stellen. Und selbst wenn man dies könnte: Wen soll man hinter
den Polizisten stellen?
Urs, Du schreibst:
"Das 'Wohl' der
Individuen oder der Gemeinschaft ist ein positiver Begriff. Er bezieht sich
gerade auf das, was von der normativen Ethik ausgespart wird – nämlich auf das
gute Leben der Individuen und Gemeinschaften sowie die Voraussetzungen, die sie
dazu brauchen."
Ich sehe keinen Grund, warum diese Fragestellung nicht
verfolgt werden könnte. Eine normative ethische Theorie ist da keineswegs ein
Hindernis. Umgekehrt wird eine solche Ethik wahrscheinlich bald gebraucht
werden, nämlich dann, wenn man sich uneinig ist, worin denn ein "gutes" Leben
der Gemeinschaften besteht.
Es grüßt Dich und alle Interessierten
Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Urs_meinte_Euch
am 10. Nov. 2005, 18:24 Uhr
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Hallo Eberhard!
Quote:Niemand kann alle Fragen beantworten und
schon gar nicht auf einmal. Insofern muss jeder eine Auswahl der Fragen treffen,
die er beantworten will.
Deshalb ist die bloße Feststellung, jemand habe
diese oder jene Frage vernachlässigt, zur Kritik untauglich. Erst wenn man
zeigen kann, dass die gestellte Frage nicht richtig beantwortet werden kann,
wenn nicht zuvor eine bestimmte andere Frage beantwortet ist, stellt die
Nicht-Behandlung einer solchen Frage einen methodischen Fehler dar.
Ein
Kritiker müsste also aufzeigen, dass es bei meinem Vorgehen zu falschen
Ergebnissen kommt, weil bestimmte Fragen nicht mit einbezogen wurden. Eine
derart konkretisierte Kritik sehe ich noch nicht.
Meine Kritik
ist keine Kritik an Deiner Methode, sondern eine an Deiner eingegrenzten
Fragestellung. Und selbstverständlich kann man Fragestellungen kritisieren –
z.B. als unangemessen oder zu eingegrenzt. Natürlich ist es Dir - wie jedermann
- unbenommen, nur die Fragen zu stellen, die Du wichtig findest. Aber wenn unser
Thema das Wohl der Individuen und das Wohl der Gemeinschaft ist, dann kann im
Rahmen einer solchen Diskussion doch diskutiert werden, mit welchen
Fragestellungen man dem sachlichen Problem beikommt.
Niemand verlangt
von Dir, Deine Fragestellungen zu rechtfertigen. Niemand verlangt von Dir, einem
Diskussionspartner Rede und Antwort zu stehen. Und selbstverständlich wäre es
auch ein Ergebnis der Diskussion, wenn einfach zwei verschiedene Auffassungen
von Moralphilosophie nebeneinander vertreten werden.
Quote:Ich sehe keinen Grund, warum diese Fragestellung nicht verfolgt werden
könnte. Eine normative ethische Theorie ist da keineswegs ein Hindernis.
Dass eine normative Theorie ein Hindernis für eine Ethik des „guten
Lebens“ sei, habe ich auch nicht behauptet. Ich sprach nur davon, dass die
Beschränkung auf eine normative Ethik unzureichend sei, und zwar im Hinblick auf
die realen gesellschaftlichen Probleme, bei deren Bewältigung philosophische
Ethik und Sozialphilosophie helfen sollten (wie begrenzt ihre Möglichkeiten
dabei auch immer sein mögen).
Quote:Umgekehrt wird eine
solche Ethik wahrscheinlich bald gebraucht werden, nämlich dann, wenn man sich
uneinig ist, worin denn ein "gutes" Leben der Gemeinschaften besteht.
Das kann gut sein. Allerdings lässt uns das Recht – wie Du selbst sagst
- ja große Spielräume, innerhalb derer viele verschiedene Formen von
Gemeinschaft – als Ausdruck gemeinsam genutzter Freiheit – möglich sind. Das
geht von der Familie über den Sportverein, den Weltladen, das Technische
Hilfswerk... bis zur Religionsgemeinschaft und zur politischen Partei. Alle
diese Gemeinschaften streben ein je eigenes gemeinsames Gut an, dessen
Verwirklichung auch zum „guten Leben“ der Mitglieder beiträgt. Auch erfüllen
solche Gemeinschaften eine wichtige sozialintegrative Funktion – besonders bei
Jugendlichen.
Selbstverständlich wären Gemeinschaften zur Förderung des
Frauenhandels und der Prostitution mit dem Recht nicht vereinbar; auch könnte
man nur sehr bedingt von einem „guten Leben“ der Beteiligten sprechen...
Es Grüßt Dich
Urs
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 10.
Nov. 2005, 23:01 Uhr
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Hallo Urs,
was Du eine Ethik des guten Lebens nennst, würde ich wohl
unter dem Titel: Theorie der menschlichen Bedürfnisse abhandeln.
Eine
solche Bedürfnistheorie wird z.B. dann benötigt, wenn die Interessen von
Menschen nicht von ihnen selbst formuliert werden können, sondern
stellvertretend rekonstruiert werden müssen. Die Frage:_ Was ist ein "gutes"
bzw. "bedürfnisgerechtes" Leben? verdient eine eigene Diskussionsrunde.
Es grüßt Dich und alle andern Eberhard.
p.s.: Ich werde wegen einer Reise
in den nächsten Tagen nur begrenzt aktiv sein können.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 10.
Nov. 2005, 23:16 Uhr
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Hi, Metin,
krasses Beispiel: einer hat ein Kind. Und überlegt nun, wie
hätte ich meinen letzten Urlaub verbracht, wenn ich kein Kind hätte. Wie kann er
das wissen? Dann hätte er ganz andere Interessen, würde anders denken und fühlen
- und hätte ein ganz anderes Leben geführt. Wie also will er diese Frage auch
nur einigermaßen richtig beantworten können?
Das beantwortet auch gleich
die Frage nach der Empathie. Die ist m.E. nur begrenzt möglich. Ich kann nicht
sagen, wie einer denkt und fühlt, der in einer anderen Gesellschaft, in einer
anderen Umgebung, in einem anderen Klima und mit einer anderen Sprache
aufgewachsen ist. Weil ich dies alles nicht kenne. Ist aber nicht so schlimm,
denn ich kann mit ihm reden und er kann es mir sagen, bzw. wir können im
Gespräch versuchen, uns gegenseitig zu verstehen.
Für sehr wichtig halte
ich dein Argument von den gemeinsamen Zielen. Mit deiner Beobachtung hast du
meiner Ansicht nach recht. Das ist etwas, was wir vielleicht in unserer
Normendiskussion vernachlässigt haben. Verlangen gemeinsame Normen nicht, dass
wir gemeinsame Ziele haben? Müsste man also, bevor man über Normen diskutiert,
sich nicht erst einmal über die Ziele einig werden?
Ich beziehe das mal
auf die Flugzeugabschussdiskussion. Wenn unsere Gesellschaft die Verfassung
akzeptiert und deswegen das Ziel hat, wesentliche Inhalte und Sinn zu erhalten,
dann könnten wir uns auf eine Norm einigen, die dieses Ziel erfüllt - und darauf
hin arbeiten. Denken wir aber nicht an ein gemeinsames Ziel, dann sind wir
geneigt, nach unseren privaten Zielen zu entscheiden - und die dürften
verschieden sein.
Welche Tatsache soll die empirische Wissenschaft
erforschen
Die empirischen Wissenschaften = die Erfahrungswissenschaften.
Z.B. Physik, Biologie, Soziologie. Solche Forschungen sind natürlich nicht
Aufgabe der Philosophie. Aber sie wäre doch in lächerlicher Weise weltfremd,
wenn die Ergebnisse solcher Forschungen sie nicht kümmern würden!
die
Normen an hand einer Diskussion ermittelt willst, aber mit der Bedingung, dass
die Aussage evident sein muss.
Evident ist für mich nur das, was unmittelbar
einleuchtet, also letztlich die Daten, die ich wahrnehme (auch die inneren
Wahrnehmungen). Normen müssen nicht evident sein, sonst bräuchten wir sie ja gar
nicht zu entwickeln, denn dann wüssten wir, was in dieser oder jener Situation
zu tun wäre. Was ich meine ist, dass solche entwickelte Normen stringent, also
lückenlos auf Evidentes, und damit meine ich den ethischen Willen, rückführbar
sein müssen. Gut, bei schlichten Spielregeln, wie Stopp-Zeichen in roter oder
blauer Farbe, ist das nicht nötig. Aber bei allen moralischen Normen meine ich
schon, sonst überzeugen sie nicht und wir bekommen keinen Konsens. Und schon gar
nicht dürfen Normen dieser grundlegenden Ethik widersprechen. Auch hierfür das
Beispiel Flugzeugabschuss: die Verfassungsklage hat ja die Begründung, dass das
beanstandete Gesetz unserem Grundgesetz widerspricht, wenn man es analysiert.
ist eine Glaubensanschauung bzw. Weltanschauung zu verwirklichen, die sich
gegen die Natur des Menschen richtet?
Setze statt Natur Wesen ein. Denn
Natur ist Biologie, und die Biologie hat nichts dagegen, z.B. eine Frau zu
vergewaltigen, wenn Mann gerade Lust hat und sie haben will. Der humane Mensch
hat etwas dagegen, der ist es, der sich das selbst verbietet.
Ich denke
nicht, dass Religionen, die dem Wesen des Menschen entgegen standen, zu
Massenbewegungen geworden sind. Sie wurden eben nicht geglaubt oder nur von sehr
wenigen. Die Menschen früher werden so viel dümmer als wir heute nicht gewesen
sein. Und wir belächeln ja auch die zahllosen neuen 'Propheten' mit ihren
selbstgebastelten Religionen, die häufig sehr hübsch romantisch klingen, aber
bei genauerer Betrachtung ganz erhebliche Schwächen in der Ethik aufweisen. Die
dürften früher auch belächelt worden sein. Religionen, die zu Massenbewegungen
wurden, müssen schon was anderes aufgewiesen haben als hübsche (oder, je
nachdem, grauslige) Geschichtchen.
Ich hoffe, ich konnte deine Fragen
damit beantworten bzw. deine Überlegungen bestätigen.
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von delfi am 11.
Nov. 2005, 00:54 Uhr
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Normativ oder nicht normativ,
das war hier die Frage.
Wenn sich alle
an den einfachen Satz halten könnten:
"Was du nicht willst, das man dir
tut, das füg auch keinem andren zu"
wären keine dicken Gesetzesbücher
notwendig.
Sie sind aber notwendig.
Und da das Leben so vielschichtig
ist, scheint mir jede Suche nach einer normativen Ethik suspekt und im Sinne von
Urs eben auch einschränkend.
Diese normative Ethik a la Kant ist es doch, die
die nach Freiheit schreiende Jugend Ethik sofort mit Altruismus gleichsetzen und
ablehnen lässt, weil sie sich in ihr nicht glaubt ausreichend entfalten zu
können.
Gerade die Verschiedenheit der Interessen macht einen strikten
Kanon ethischen Verhaltens gleich einem Küchenrezept, wie bei vielen Religionen,
immer unbefriedigend.
So hat denn unser lieber Aristoteles ganz auf einen
solchen Kanon verzichtet und vereinigt statt dessen ethisches Verhalten mit
persönlichem Glücksstreben!
Wie überaus aktuell,
das nenne ich einen
grossen Geist.
Salve
[skater]
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von JustEndlessWaves
am 11. Nov. 2005, 01:23 Uhr
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on 11/10/05 um 17:15:37, Eberhard wrote:Hallo allerseits,
Da ich
derartiger Kritik immer wieder begegne, will ich etwas grundsätzlicher darauf
eingehen.
Niemand kann alle Fragen beantworten und schon gar nicht auf
einmal. Insofern muss jeder eine Auswahl der Fragen treffen, die er beantworten
will.
Deshalb ist die bloße Feststellung, jemand habe diese oder jene
Frage vernachlässigt, zur Kritik untauglich.
Erst wenn man zeigen kann,
dass die gestellte Frage nicht richtig beantwortet werden kann, wenn nicht zuvor
eine bestimmte andere Frage beantwortet ist, stellt die Nicht-Behandlung einer
solchen Frage einen methodischen Fehler dar. (So ist z.B. für die Beantwortung
der Frage, wie man eine irrationale heftige Angst vor dem Benutzen von
Fahrstühlen beseitigen kann, vorweg die Beantwortung der Frage notwendig, in
welcher Situation diese Angst zum ersten Mal aufgetreten ist.)
Ein
Kritiker müsste also aufzeigen, dass es bei meinem Vorgehen zu falschen
Ergebnissen kommt, weil bestimmte Fragen nicht mit einbezogen wurden. Eine
derart konkretisierte Kritik sehe ich noch nicht.
Dabei möchte ich noch
einmal betonen, dass es mir nicht nur um rechtsförmige Normen geht, sondern um
die Möglichkeit, inhaltlich für oder gegen vorgeschlagene Normen zu
argumentieren.
Dass eine Gesellschaftsordnung auf der Angst vor
rechtlichen Sanktionen nicht dauerhaft aufgebaut werden kann, sondern dass die
Mehrheit der Menschen auch von der Richtigkeit dieser Ordnung überzeugt sein
muss, ist unbestritten.
Hallo Eberhard, [user]
ich bin
mir nicht sicher, ob ich das Geschriebene von dir angemessen interpretiere. Fast
scheint es, als strebtest du eine Vermittlung antiker Glückstheorien mit der
habermasschen Diskursethik an. Allerdings könnte ich mich dahingehend auch
täuschen. [ruffle]
Dein Beispiel mit den "Polizisten", das ich jetzt hier aus
Übersichtsgründen nicht zitiere, lässt vermuten, dass die "Diskurse der Macht"
anderen ethischen Vorstellungen unterworfen sind als der Idealzustand eines
herrschaftsfreien Diskurses. Vielleicht wäre ja auch einmal zu überdenken, in
welchen diskursiven Zusammenhängen eine "Konsensfähigkeit" gegeben ist?
Gruß,[balloon]
Just
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von homo_sapiens am
11. Nov. 2005, 09:47 Uhr
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..... also konsens beim homo catastrophicus ?
ist so ähn lich wie
bei den stech mücken !
die würden auch nie im traum
mit mir
diskutieren wollen .........
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Urs_meinte_Euch
am 11. Nov. 2005, 13:31 Uhr
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Hallo Eberhard!
Quote:Hallo Urs,
was Du eine Ethik des guten
Lebens nennst, würde ich wohl unter dem Titel: Theorie der menschlichen
Bedürfnisse abhandeln.
Eine solche Bedürfnistheorie wird z.B. dann benötigt,
wenn die Interessen von Menschen nicht von ihnen selbst formuliert werden
können, sondern stellvertretend rekonstruiert werden müssen. Die Frage:_ Was ist
ein "gutes" bzw. "bedürfnisgerechtes" Leben? verdient eine eigene
Diskussionsrunde.
Meinen unwirschen Ausfall bitte ich zu
entschuldigen. Ich nehme ihn zurück (und habe ihn also gelöscht). Im Sinne einer
produktiven Fortsetzung der Diskussion ist es wohl besser, ich erkläre kurz, was
ich - im Anschluss an die aristotelische Ethiktradition - mit einer Ethik des
"guten Lebens" meine. (Kommt später)
Sicher verdiente die
Gegenübsterstellung von normativer Ethik und ("eudaimonistischer") Strebensethik
einen eigenen Thread. Aber da das Gemeinwohl-Problem damit eng zusammenhängt,
können wir diesen Punkt nicht aussparen.
Mit Bitte um Entschuldigung
grüßt Dich
Urs
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Urs_meinte_Euch
am 11. Nov. 2005, 14:47 Uhr
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Hallo Eberhard!
Quote:Hallo Urs,
was Du eine Ethik des guten
Lebens nennst, würde ich wohl unter dem Titel: Theorie der menschlichen
Bedürfnisse abhandeln.
Eine solche Bedürfnistheorie wird z.B. dann benötigt,
wenn die Interessen von Menschen nicht von ihnen selbst formuliert werden
können, sondern stellvertretend rekonstruiert werden müssen.
Das
ist ein Missverständnis. Denn eine Ethik des „guten Lebens“ will ja gerade die
Fähigkeit des Menschen befördern, seine Bedürfnisse nicht nur zu befriedigen,
sondern sie auch zu beherrschen. Diese aktive Fähigkeit der Selbstbeherrschung
und Selbstbestimmung ist es im Grunde, was Aristoles die menschliche „arete“
nennt, und was mit „Tugend“ nur missverständlich auf Deutsch wiedergegeben wird.
Die „eudaimonia“ – ebenfalls mit „Glück“ nur missverständlich zu übersetzen –
ist die dauerhafte „Wohlgestimmtheit“ oder „Verfassung“ desjenigen Menschen, der
seine verschiedenen Bedürfnisse und Bestrebungen zu einer gewissen harmonischen
Einheit integriert hat und diese Einheit auch gegenüber den Wechselfällen des
Lebens aufrecht erhalten kann – der sich also von glücklichen und unglücklichen
Umständen bis zu einem gewissen Grade unabhängig zu machen weiß. Dass eine
solche, auf eigener Leistung beruhende „Wohlgestimmtheit“ auch von dem Gefühl
der Freude oder lustvollen Erfüllung begleitet wird, ist klar. Aber diese
„Glücksgefühle“ sind eben nicht das Wesentliche. Vielmehr ist derjenige, der
unkontrolliert und gierig nur nach immer neuen Glücksgefühlen strebt, alles
andere als „sittlich vortrefflich“ und „glücklich“ im Sinne eines guten,
gelingenden Lebens.
Das Missverständnis, dem die „eudämonistsche“ Ethik
heute oft ausgesetzt ist, geht auf Kant zurück und hängt mit dem gewandelten
Naturverständnis der Neuzeit eng zusammen.
Aristoteles hatte ein von der
Biologie geprägtes Naturverständnis, in dessen Mittelpunkt die Entwicklung des
Lebewesens und seine funktionale „Ganzheit“ („Organismus“) steht. Und im Sinne
einer solchen, sich entwickelnden „Ganzheit“ und „Integration“ betrachtet er
auch das erfüllte Leben des Menschen. Da der Mensch rationale „Seelenteile“ hat,
die ihn spezifisch von Tieren und Pflanzen unterscheiden, kann das Leben des
einzelnen Menschen nur dann „naturgemäß“ und für ihn selbst „erfüllend“ sein,
wenn darin die rationalen Seelenteile dauerhaft die Führung über die anderen
Teile haben. („Führung über“ ist allerdings gemeint als sinnvolle Anordnung und
Integration, nicht als tyrannische Diktatur oder gewaltsame Unterdrückung durch
Askese.) Ein Mensch, der das zustandebringt, ist selbstbestimmt und „glücklich“,
sprich er ist ein „Mensch“ im vollen Sinne.
In der Neuzeit wurde die
Physik zu einer Wissenschaft von der unbelebten Natur. Zielstrebige Entwicklung,
organische Integration sind in ihren mechanistischen Kategorien nicht mehr
denkbar. Und das wirkt sich radikal z.B. in Hobbes’ Anthropologie und der
Schilderung des Menschen im „Naturzustand“ aus. Menschen werden als isolierte
Individuen (= „Atome“) angesetzt, die von Natur aus nur auf nackte
Selbsterhaltung und Bedürfnisbefriedigung aus sind – nicht auf die Entfaltung
eines kohärenten, in sich stimmigen Lebens. Ihre rationalen Anlagen entfalten
dabei eher fatale Wirkung. Denn die Fähigkeit der Umsicht und Voraussicht löst
beim Individuum eine dauernde Besorgnis um seine Zukunft aus. Den Menschen macht
daher, wie Hobbes treffend sagt, schon sein zukünftiger Hunger hungrig. Diese
Sorge entfesselt und entgrenzt also das Streben nach Macht und Vermögen, so dass
das menschliche Individuum im Naturzustand eine gierige, getriebene Bestie ist.
Sie kann nur durch äußere Gewalt – die souveräne „Staatsgewalt“ und ihre Normen
eben – in Schach gehalten werden...
Das mag als Skizze genügen.
Ich finde es offensichtlich, dass der aristotelische Ethik-Ansatz nach wie
vor aktuell ist. Denn jedem Menschen stellt sich die Aufgabe des gelingenden
Lebens – also einer in sich stimmigen Lebensführung, die mit den individuellen
Anlagen und gesellschaftlichen Gegebenheiten gestalterisch umgehen kann und das
Beste daraus zu machen weiß. Diese Fähigkeit der Selbstbestimmung und
„Selbstverwirklichung“ wird von einer rein normativen Ethik, die sich nur um
sozialverträgliche Freiheitsspielräume kümmert, nicht gelehrt, sondern einfach
vorausgesetzt. Aber ein Blick auf unsere Gesellschaft zeigt, dass sie keineswegs
einfach vorausgesetzt werden kann, sondern immer wieder aufs Neue erworben
werden muss. Und offenbar kann der Einzelne diese Fähigkeit auch nicht allein
erwerben, er ist dabei auf die Unterstützung der Gemeinschaft angewiesen, in der
er lebt.
Es grüßt Dich
Urs
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 12.
Nov. 2005, 00:18 Uhr
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Hi,
was ist hier eigentlich die Norm?
Wir werden in eine
Gemeinschaft hinein geboren und wachsen in ihr auf. Unser ganzes Leben ist auf
das Leben in einer Gemeinschaft hin ausgerichtet; wir haben eine Sprache und die
wäre völlig unnötig, wenn wir primär allein lebende Individuen wären. Zu sagen,
die Individuen hätten einen Gesellschaftsvertrag abgeschlossen, ist also schon
deswegen falsch, weil sie einen solchen Vertrag ohne Sprache gar nicht hätten
abschließen können. Der Mensch ist also dem Wesen nach tatsächlich ein zoon
politikon.
Wenn wir nun von Individuen ausgehen bei unseren Überlegungen,
dann gehen wir nicht von dem aus, was ist, sondern von dem, was sein soll. Wir
machen das Dasein des Individuums zu einer Norm. Und weil wir diesen Fehler
machen, uns von den Tatsachen zu lösen, bekommen wir mit unseren Überlegungen
Schwierigkeiten. Denn wie sollen wir von einem tatsächlich nicht bestehenden
Zustand aus - nämlich, dass der Mensch primär ein Individuum sei - einen
tatsächlich bestehenden Zustand - nämlich, dass der Mensch ein zoon politikon
ist - begründen?
Wir haben die Sorge, dass, wenn es um das Gemeinwohl
geht, Willen und Bedürfnisse des Individuums hintan gestellt werden könnten. Ist
öfter mal vorgekommen, die Sorge ist also berechtigt.
Allerdings: wieso
interessieren die Bedürfnisse des Individuums überhaupt, wenn der Mensch doch
ein zoon politikon ist?
Wenn wir uns die grundlegenden Prinzipien der
Moral anschauen, also das, was ich den evidenten ethischen Willen nenne (z.B.
nicht töten, nicht lügen, nicht stehlen), stellen wir fest, dass die sich alle
auf ein Individuum beziehen. Ich brauche kein Gebot, mich nicht zu töten, mich
nicht zu belügen, mich nicht zu bestehlen; das wäre unsinnig. Hier geht es immer
um den anderen. Also behaupte ich: es ist nicht das Individuum, das seine Rechte
und seine Freiheit garantiert, sie eventuell in einen Vertrag einbringt, sondern
es ist die Gemeinschaft, die sie garantiert.
Daraus folgt, eine
Gemeinschaft, die so verfasst wäre, dass sie die individuellen Bedürfnisse und
Rechte nicht garantiert, widerspricht der humanen Ethik. Weil das der Fall ist,
kann es hier zu keinem Konsens kommen, denn Normen, die der humanen Ethik
widersprechen, sind nicht konsensfähig.
Das Gemeinwohl kann also aus
ethischen Gründen nur so bestimmt werden, dass es das Wohl aller zu ihr
gehörenden Individuen ist. Andernfalls ist der Konsens ausgeschlossen.
Wenn wir vom Individuum ausgehen, müssen wir uns auch Gedanken darüber machen,
wie denn das Individuum leben will oder leben soll. Wir müssen dies positiv
definieren. Gehen wir von der Gemeinschaft aus, müssen wir uns nur Gedanken um
die negative Definition machen, d.h. wie darf das Individuum nicht leben, weil
dies der Gemeinschaft schaden würde. Alles andere überlassen wir ihm selbst.
Urs beschreibt nun den Begriff glückliches Leben im Zusammenhang mit dem
Individuum. Hm. Mir würde so ein Leben nicht gefallen. Es wäre mir zu privat.
Und außerdem kommt die Gemeinschaft, mit der ich leben will, gar nicht darin
vor, höchstens als eine Art Bedrohung, vor der ich mich schützen muss. Ist dir,
Urs, aufgefallen, dass in deinem Modell selbst die Gruppen privat sind? Selbst
die Parteien in sich abgeschlossene soziale Gruppen, in denen man seinen
gemeinsamen Neigungen fröhnt? Und wo ist die Regierung? Wo das Parlament? Wo das
politische Engagement, die Einflussnahme, die Mitbestimmung? Es sieht mir danach
aus, als ob das alles auf einer anderen Ebene wäre, mit der das private
Individuum gar nichts zu tun hat. Aber wer ist dann derjenige, der über Staat
und Gesellschaft bestimmt?
Aber etwas anderes beschreibt er damit für das
Individuum: nämlich ein Ziel. Sein Lebensziel sei ein glückliches Leben. Könnte
aber auch die Gemeinschaft ein Ziel haben? Oder wäre eine primär aus Individuen
bestehende Gemeinschaft überhaupt in der Lage, sich ein Ziel zu setzen?
Und wer soll denn dem Individuum seine Freiheitsrechte garantieren? Die Normen?
Nun, wer die Freiheitsrechte des Individuums abschaffen will, schafft auch diese
beiseite.
Diese Fähigkeit der Selbstbestimmung und „Selbstverwirklichung“
wird von einer rein normativen Ethik, die sich nur um sozialverträgliche
Freiheitsspielräume kümmert, nicht gelehrt, sondern einfach vorausgesetzt.
Das stimmt, Urs. Nur dass ich da nichts Negatives bei finde. Wenn du aber eine
Norm setzen willst, wie das glückliche Leben des Individuums sein soll, dann
lässt du ihm doch im Endeffekt weniger Freiheit als der, der es voraussetzt.
Das heißt: lässt (!) nicht eine normative Ethik, die sich auf das Gemeinwohl
beschränkt und die auf den Prinzipien der humanen Ethik basiert, dem Individuum
letztlich mehr Freiheit?
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von homo_sapiens am
12. Nov. 2005, 09:45 Uhr
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... wie könnte ein mit glied ....... ?
eines raub tier rudels
über das wohl er gehen einer menschen ge mein schafft
disktutieren
können ?
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Alltag am 12.
Nov. 2005, 12:49 Uhr
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:-) Hallo Allseits,
Zurückschauend, kann man mit Fug und Recht sagen: Die
Fülle der Beiträge hier sind ein Brainstorming. Heutzutage steht in aller Regel
ein Brainstorming am Anfang eines Projekts. Ich möchte ausnahmsweise beim
Neudeutsch bleiben und damit einige weitere Mosaiksteinchen beisteuern. Gemäss
dem Projektmanagement folgt dem Brainstorming die Ausformulierung der Vision,
der Fernziele und des Auftrags sowie die Erörterung der Mittel, der
Randbedingungen usw. Dann geht es von der Konzeptphase über zur Planung und
Umsetzung usw.
Bevor man sich aber dieser Arbeitsflut hingibt, schaut
man sich besser noch kurz um: Es könnte ja sein, dass bereits was
Pfannenfertiges vorliegt, das man sich, obwohl der Hunger dadurch nicht gestillt
wird, als Zwischenverpflegung zu Gemüte führen kann. Daher Frage ich: Was ist
denn beim Thema/Projekt <Gemein- und Individualwohl> Vision, Fernziel, Auftrag?
Auf der Zunge liegt mir jedoch eine noch drängendere Frage: An wen
richtet sich denn das Produkt, das Ergebnis des Projekts <Gemein- und
Individualwohl>? Ich mein da gibt es nur eine Antwort: An alle Mündigen! Und da
sich das Brainstorming immer auch um Staat und Gesetz drehte, sind damit gewiss
die Wähler und Wählerinnen gemeint, respektive die Abstimmenden, falls zu
Sachgeschäften Stellung zu nehmen ist. Aber auch die übrigen Einwohner. Das
Produkt, das ja nichts anderes sein kann als ein Text, muss also von jedermann
konsumiert werden können! Das bedeutet, dass der Text selbsterklärend,
verständlich und attraktiv sein muss. Der härteste Test ist (wie könnte ich bei
meiner Herkunft etwas anderes behaupten) die Volksabstimmung!
So und nun
kehre ich zurück zur Frage am Ende des zweiten Abschnitts: Was ist denn Vision,
Fernziel, Auftrag? Als Antwort schlage ich vor, die Präambel der Verfassung oder
des Grundgesetzes als Vision, Fernziel und Auftrag zu lesen. Beispielsweise:
Präambel
Im Namen Gottes des Allmächtigen!
Das ....volk und die
Kantone,
in der Verantwortung gegenüber der Schöpfung,
im Bestreben, den
Bund zu erneuern, um Freiheit und Demokratie, Unabhängigkeit und Frieden in
Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt zu stärken,
im Willen, in
gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung ihre Vielfalt in der Einheit zu leben,
im Bewusstsein der gemeinsamen Errungenschaften und der Verantwortung gegenüber
den künftigen Generationen,
gewiss, dass frei nur ist, wer seine Freiheit
gebraucht,
und dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen,
geben sich folgende Verfassung
.......
Mit dem fett Gedruckten wollte
ich deutlich machen, dass es hier offensichtlich um Auftrag und Fernziele geht,
sowie insgesamt um eine Vision, also um den fernen Stern, der angepeilt wird.
Übrigens mit dem ersten Satz der Präambel wird meiner Meinung nach einzig und
allein deutlich gemacht, dass Mensch Grenzen anerkennt, z.B.: DIE Wahrheit nicht
für sich gepachtet zu haben.
Danke & Gruss --- Euer alltägliches
Mosaiksteinchen ;-) ;-) ;-)
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Urs_meinte_Euch
am 12. Nov. 2005, 13:42 Uhr
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Hallo Abrazo!
Quote:Wenn wir vom Individuum ausgehen, müssen wir uns
auch Gedanken darüber machen, wie denn das Individuum leben will oder leben
soll. Wir müssen dies positiv definieren. Gehen wir von der Gemeinschaft aus,
müssen wir uns nur Gedanken um die negative Definition machen, d.h. wie darf das
Individuum nicht leben, weil dies der Gemeinschaft schaden würde. Alles andere
überlassen wir ihm selbst.
Diese beiden Perspektiven, denke ich,
schließen einander nicht aus, sondern sie ergänzen sich Und das liegt daran,
dass zu den persönlichen Zielen des Individuums auch solche gehören, die es mit
anderen Individuen teilt, die also schon gemeinschaftliche Ziele sind. Und was
einer Gemeinschaft schadet, hängt jeweils auch vom Selbstverständnis dieser
Gemeinschaft ab, d.h. davon, welche Ziele diese Gemeinschaft als Gemeinschaft
anstrebt.
Eine universalistische normative Ethik wie die von Eberhard
vertretene lässt jedoch die Frage nach den individuellen oder gemeinschaftlichen
Zielen („Werten“, „Gütern“) insgesamt außen vor. Sie befasst sich nur mit der
Form des Verfahrens, durch das Normen im Fall des Zielkonflikts von den
Betroffenen gefunden werden sollen. Sie ist also eigentlich eine „Meta-Ethik“.
Meine These hierzu ist, dass der Begriff des Gemeinwohls sich gar nicht
auf die Ebene der Form bezieht, sondern auf die Ebene der gemeinschaftlichen
Ziele. Er meint also das, was eine Gemeinschaft als Gemeinschaft anstrebt und
was sich von einem isolierten Individuum gar nicht verwirklichen ließe.
Grundsätzlich müssten sich also eine Ethik der Ziele und eine Meta-Ethik nicht
ins Gehege kommen. Was ich an Eberhards Konzept kritisiere, ist die Beschränkung
von Ethik auf Meta-Ethik. Eine Meta-Ethik bekommt m.E. ein – so und so
bestimmtes – Gemeinwohl gar nicht erst in den Blick. Ihr Universalismus ist eben
erkauft durch ihren Formalismus.
Einer der Gründe, den ich gegen diese
Beschränkung einwende, ist dieser: Die Meta-Ethik beansprucht, unparteilich zu
sein, und zwar gerade deshalb, weil sie sich mit keinem bestimmten Ziel – sei es
eines Individuums, sei es einer Gemeinschaft – identifiziert. Die Anwendung des
von der Meta-Ethik postulierten Verfahrens aber, behaupte ich, wird faktisch
niemals unparteilich sein können. Sie ist gewissermaßen ein Verfahren für Wesen
aus einer anderen Welt, nicht für die wirklich existierenden Menschen.
Quote:Ist dir, Urs, aufgefallen, dass in deinem Modell selbst die
Gruppen privat sind? Selbst die Parteien in sich abgeschlossene soziale Gruppen,
in denen man seinen gemeinsamen Neigungen frönt? Und wo ist die Regierung? Wo
das Parlament? Wo das politische Engagement, die Einflussnahme, die
Mitbestimmung? Es sieht mir danach aus, als ob das alles auf einer anderen Ebene
wäre, mit der das private Individuum gar nichts zu tun hat. Aber wer ist dann
derjenige, der über Staat und Gesellschaft bestimmt?
Was
verstehst Du unter „privat“? Ein gemeinnütziger Verein oder gar eine Partei
gestalten doch gewisse Teile des gesellschaftlichen Lebens, d.h. sie bestimmen
aktiv darüber mit, wie das Leben der Gesellschaft ist und sein soll. Sicher, es
sind Zusammenschlüsse von „Privatleuten“, aber durch den Zusammenschluss hören
diese doch auf, nur Privatleute zu sein.
Die Mitglieder eines Vereins
mögen ganz verschiedenen Berufen angehören und für sich und ihre Familien
jeweils unterschiedliche Interessen verfolgen. Wenn aber ein Vereinsmitglied als
Vereinsmitglied spricht, spricht er eben im Interesse des Vereins, d.h. aller
Vereinsmitglieder. Die Vereinigung im Namen eines gemeinsamen Interesses zieht
also gewissermaßen eine neue Ebene in der komplexen Interessenstruktur jedes
einzelnen Mitglieds ein, und diese ist für jedes Mitglied gleich. Die
Mitgliedschaft in der Gemeinschaft macht also die „Privatleute“ in einer
bestimmten Hinsicht gleich. Und wirkt so auf die Individuen zurück und verändert
ihr Leben, ihre Ansichten, ihre Ziele.
Die Gemeinschaft greift also
zunächst einmal schon gestaltend in das Leben ihrer Mitglieder ein und kann, je
nachdem, sich darüber hinaus auch zum Ziel machen, über ihre Grenzen hinweg
Einfluss zu nehmen – durch Anwerbung neuer Mitglieder, durch öffentliche
Verbreitung ihres Programms, durch tätige Hilfe usw.
Da wir alle in der
einen oder anderen Weise „Mitglied“ sind, ist die Vorstellung eines völligen
Privatlebens eigentlich unrealistisch.
Wenn Du fragst: „Und wo ist der
Staat?“ dann verhältst Du Dich gewissermaßen wie der Oxford-Besucher in Gilbert
Ryles Beispiel (Du erinnerst Dich an den „Ich, Person, Subjekt“-Thread): Man
zeigt ihm verschiedene Colleges, Bibliotheken, Verwaltungsgebäude, bis er
irgendwann ungeduldig fragt: „Schön und gut, aber wo ist jetzt die Universität?
Warum zeigt man mir nicht endlich die Universität?“
:-)
Quote:(Urs) Diese Fähigkeit der Selbstbestimmung und „Selbstverwirklichung“ wird
von einer rein normativen Ethik, die sich nur um sozialverträgliche
Freiheitsspielräume kümmert, nicht gelehrt, sondern einfach vorausgesetzt.
(Abrazo)Das stimmt, Urs. Nur dass ich da nichts Negatives bei finde. Wenn du
aber eine Norm setzen willst, wie das glückliche Leben des Individuums sein
soll, dann lässt du ihm doch im Endeffekt weniger Freiheit als der, der es
voraussetzt.
Das heißt: lässt (!) nicht eine normative Ethik, die sich auf
das Gemeinwohl beschränkt und die auf den Prinzipien der humanen Ethik basiert,
dem Individuum letztlich mehr Freiheit?
Natürlich macht eine
Ethik des „guten Lebens“ keine inhaltlichen Vorschriften darüber, welche Ziele
die Menschen anstreben sollen. Aber sie nimmt die Probleme des Zusammenlebens
aus der Perspektive des handelnden Individuums in den Blick, das bestimmte Ziele
– wichtigere und langfristigere oder unwichtigere und kurzfristige – verfolgt.
Die dabei auftretenden Probleme sind nun nicht unabsehbar verschieden, sondern
haben eine gewisse Typik, die sich aus der Struktur des Lebens jedes Einzelnen
ergeben.
Und so ermöglicht diese Art von Ethik es ihrem Adressaten, mit
diesen bekannten „Klippen“ umzugehen, sich darauf einzustellen – kurz: aus der
Erfahrung anderer zu lernen. Diese Ethik verfolgt somit einen „Bildungsauftrag“,
sie greift unterstützend ein in den Prozess der „Sozialisation“, den jedes in
Gemeinschaften lebendes Individuum ohnehin durchlaufen muss, wenn es seine
Interessen verfolgt bzw. sein Lebensglück sucht. Sie hilft ihm also dabei, die
Perspektive der Gemeinschaft in die eigene Perspektive zu integrieren.
Begrenzt eine solche Hilfe beim Durchschauen praktischer Problemfelder die
Freiheit des Individuums? Ich würde eher sagen, ihr Sinn liegt gerade darin, ihm
seine Freiheitsspielräume vor Augen zu führen und sie im Sinne seiner
fundamentalen Interessen („Lebensglück“) zu nutzen.
Es grüßt Dich
Urs
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 12.
Nov. 2005, 23:54 Uhr
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Hi, Urs,
dass zu den persönlichen Zielen des Individuums auch solche
gehören, die es mit anderen Individuen teilt, die also schon gemeinschaftliche
Ziele sind.
Ist es nicht so, dass die persönlichen Ziele des Individuums
zumeist von der/den Gruppen, denen es angehört, bestimmt sind?
Und was
einer Gemeinschaft schadet, hängt jeweils auch vom Selbstverständnis dieser
Gemeinschaft ab, d.h. davon, welche Ziele diese Gemeinschaft als Gemeinschaft
anstrebt.
Zustimmung. Dat is relativ.
Eine universalistische
normative Ethik wie die von Eberhard vertretene lässt jedoch die Frage nach den
individuellen oder gemeinschaftlichen Zielen („Werten“, „Gütern“) insgesamt
außen vor. Sie befasst sich nur mit der Form des Verfahrens, durch das Normen im
Fall des Zielkonflikts von den Betroffenen gefunden werden sollen. Sie ist also
eigentlich eine „Meta-Ethik“.
Meine These hierzu ist, dass der Begriff
des Gemeinwohls sich gar nicht auf die Ebene der Form bezieht, sondern auf die
Ebene der gemeinschaftlichen Ziele. Er meint also das, was eine Gemeinschaft als
Gemeinschaft anstrebt und was sich von einem isolierten Individuum gar nicht
verwirklichen ließe.
Das ist ein schwieriges Kapitel. Die Bestimmung
der Verfahrensform halte ich durchaus für wichtig. Es ist die Frage, wie müssen
Normen überhaupt beschaffen sein, damit sie konsensfähig sind. Nehmen wir die
Pazifismus-Norm. Keine Gewalt, auch im Falle kriegerischer Aggression soll man
gewaltlos Widerstand leisten. Diese Norm ist nicht konsensfähig, weil sie einer
in einer bestimmten Kultur gewachsenen Überzeugung universale Gültigkeit
verschaffen will - was mit dem heiligen Verteidigungskrieg der Moslems
kollidiert. Woraus folgt, dass solche universalen Normen auf etwas anderem
basieren müssen als auf einer speziellen Kultur. Und das macht die 'Meta-Ethik'
wiederum wichtig und interessant, nämlich mit der Frage, worauf könnten sie dann
basieren.
Gehören nicht die gemeinschaftlichen Ziele ebenfalls, was die
Frage betrifft, welche überhaupt möglich sind, zur 'Meta-Ethik'?
Die
Meta-Ethik beansprucht, unparteilich zu sein, und zwar gerade deshalb, weil sie
sich mit keinem bestimmten Ziel – sei es eines Individuums, sei es einer
Gemeinschaft – identifiziert.
Die Frage nach den Zielen ist
problematisch. Einerseits stimme ich Metin zu: eine Gruppe kann sich
konstituieren, aber auch renovieren und erheblich festigen und stärken durch das
gemeinsame Ziel. Andererseits, wenn wir uns mit universalen Normen befassen
wollen, das wären dann Menschheitsnormen. Und welches Ziel hat die Menschheit?
Hier würde ich eine Diskussion verweigern und sagen, beschränken wir uns erst
mal darauf, das Beständige zu sichern, also das, was Menschen zu allen Zeiten
und an jedem Ort brauchen und wollen (und damit meine ich auch kulturelles).
Dann liegt das Ziel in den gegenwärtigen menschlichen Möglichkeiten - wobei die
Ethik sich natürlich auch damit auseinander setzen müsste, welche Möglichkeiten
sind akzeptabel und welche nicht.
Die Anwendung des von der Meta-Ethik
postulierten Verfahrens aber, behaupte ich, wird faktisch niemals unparteilich
sein können. Sie ist gewissermaßen ein Verfahren für Wesen aus einer anderen
Welt, nicht für die wirklich existierenden Menschen.
Berechtigter
Einwand. Ist aber letztlich die Frage, ob es eine zum Wesen des Menschen
gehörende allgemeine Ethik gibt. Wenn ja, wäre ein solches Verfahren imho auch
möglich. Natürlich würde eine solche Ethik nicht die kulturspezifischen
Eigenarten berühren.
So, und der Rest kommt morgen - ich geh jetzt ins
Bett.
Ciao!
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 13.
Nov. 2005, 23:21 Uhr
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Hi Urs,
zweiter Teil.
Du hast geschrieben:
Allerdings lässt
uns das Recht – wie Du selbst sagst - ja große Spielräume, innerhalb derer viele
verschiedene Formen von Gemeinschaft – als Ausdruck gemeinsam genutzter Freiheit
– möglich sind. Das geht von der Familie über den Sportverein, den Weltladen,
das Technische Hilfswerk... bis zur Religionsgemeinschaft und zur politischen
Partei. Alle diese Gemeinschaften streben ein je eigenes gemeinsames Gut an,
dessen Verwirklichung auch zum „guten Leben“ der Mitglieder beiträgt. Auch
erfüllen solche Gemeinschaften eine wichtige sozialintegrative Funktion –
besonders bei Jugendlichen.
Das klingt mir zu privat. Wo bleibt da die
Politik? Die Frage nach dem Gemeinwohl ist ja eine politische Frage - und es ist
eine Frage, bei der das Privatwohl des Parteimitgliedes durchaus auch in den
Hintergrund treten kann. Nach meiner Erfahrung gibt es gar nicht mal so wenige
einfache Parteimitglieder, die feststellen, dass es ihnen so gut geht, dass sie
eigentlich noch etwas abgeben könnten.
Auch die ehrenamtlichen
Tätigkeiten sollte man nicht unterschätzen. Es gibt nicht wenige, die gerne ihre
Privatinteressen dafür zurückstellen. Natürlich haben sie Freude an ihrer
Tätigkeit. Aber die Freude schöpft daraus, dass sie anderen helfen, nützlich
sein, bei ihnen etwas verbessern können (ich habe gerade eine einfache Frau im
Kopf, die irgendwie per Zufall dazu gekommen ist, sich in einem Krankenhaus
ehrenamtlich um allein stehende Schwerkranke zu kümmern). Also ist nicht nur der
Mensch ein zoon politikon, auch seine individuellen Interessen können durchaus
auf das Gemeinwohl hin ausgerichtet sein - so dass ich mich frage, ob die
derzeitige extreme Individualisierung in der Gesellschaft tatsächlich
'artgerecht' ist, oder ob sie nicht eher einer Ideologie folgt, nach der das
räuberische Individuum sowohl als Arbeitskraft als auch als Konsument die besten
Gewinne verspricht (was will man auch wirtschaftlich mit einem Individuum
anfangen, dass sozial gebunden, also immobil ist und kostenlose Arbeit für
andere leistet).
für sich und ihre Familien jeweils unterschiedliche
Interessen verfolgen.
Wenn ich mir vergegenwärtige, wie Menschen in
meiner Umgebung handeln, dann kann ich nicht finden, dass sie dabei ständig die
Interessen für sich und ihre Familien verfolgen. Es ist nicht so, dass die
sozialen Gruppen in unserer Gesellschaft ausschließlich Interessenverbände sind,
die sich zusammen geschlossen haben, um gemeinsam ihre Privatinteressen besser
vertreten zu können. Ich behaupte: es gibt durchaus eine interessierte Basis in
der Gesellschaft, die an Eberhards Normendiskurs teilnehmen würde.
Wenn
Du fragst: „Und wo ist der Staat?“
Ich denke hierbei aber an etwas
anderes. Ich denke an zahllose Bürger, die "den Staat" als Gegner ansehen, als
aufgeblähten Fresssack, mit dem sie überhaupt nichts zu tun haben, der ihnen
immer nur Geld weg nimmt und seinen Protagonisten zuschanzt, ohne das Geld im
Sinne des Gemeinwohles auszugeben und zu verteilen. An "den Staat" der "Bonzen",
in dem man zwar ab und zu mal wählen gehen kann, aber doch irgendwie nicht so
richtig. An Bürger, die Staat und Gemeinwohl nicht zur Deckung bringen wollen
und können.
Diese Ethik verfolgt somit einen „Bildungsauftrag“, sie
greift unterstützend ein in den Prozess der „Sozialisation“, den jedes in
Gemeinschaften lebendes Individuum ohnehin durchlaufen muss, wenn es seine
Interessen verfolgt bzw. sein Lebensglück sucht.
Und hier wiederum, Urs,
dieses 'Lebensglück' muss erst einmal möglich sein. Ist das möglich bei Kindern
aus Problemfamilien? Ich bestreite das. Das einzige, was ihnen möglich ist, ist,
sich kurzzeitig ein paar Krümel vom Kuchen widerrechtlich anzueignen. Z.B. indem
sie einem Gleichaltrigen aus besseren Verhältnissen die Jacke oder das Handy
abziehen.
Erziehung, Bildung, gute Sozialisation sind eine feine Sache.
Aber hier halte ich die universalistische normative Ethik insofern für
überlegen, als dass solche universalen Normen überhaupt erst die Voraussetzung
dafür schaffen, dass Erziehung, Bildung und Sozialisation allgemein möglich
sind. Was nützt dir denn das Ziel des guten Lebens, wenn es für viele aufgrund
ihrer Lebensbedingungen gar nicht zu erreichen möglich ist?
Wie sie das
gute Leben jeweils sehen, das kann man mit unterschiedlichen Gruppen diskutieren
und wird jeweils zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Aber es muss doch erst
mal die Basis dafür geschaffen werden, dass solche Diskussionen überhaupt
möglich sind - und dazu gehören die materiellen Voraussetzungen ebenso wie die
Grenzziehung zwischen den unterschiedliche Gruppen, von denen jede im
Zweifelsfalle behauptet, allein das richtige gute Leben verwirklichen zu wollen.
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von homo_sapiens am
14. Nov. 2005, 09:44 Uhr
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> Gemäss dem Projektmanagement folgt dem Brainstorming die Ausformulierung der
Vision, der Fernziele und des Auftrags sowie die Erörterung der Mittel, der
Randbedingungen usw.
..... das ist doch kinder leicht alles vor
her zu sagen !
eine katastrophe wird mit der andern katastrophe
konkurieren
die katastrophen gruppierung zu ver herr lichen ..........
konsens !
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 14.
Nov. 2005, 19:50 Uhr
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Hallo Urs,
Nach einigen Tagen Abwesenheit versuche ich den – inzwischen
erheblich weitergesponnenen – Faden wieder aufzunehmen. Du schreibst (am 11.11.)
:
"Eine Ethik des 'guten Lebens' will … die Fähigkeit des Menschen
befördern, seine Bedürfnisse nicht nur zu befriedigen, sondern sie auch zu
beherrschen." Ziel ist ein Mensch, "der seine verschiedenen Bedürfnisse und
Bestrebungen zu einer gewissen harmonischen Einheit integriert hat und diese
Einheit auch gegenüber den Wechselfällen des Lebens aufrecht erhalten kann – der
sich also von glücklichen und unglücklichen Umständen bis zu einem gewissen
Grade unabhängig zu machen weiß."
Wenn ich dich richtig verstehe, so geht
es in dieser Passage um spezielle Interessen des Individuums, die sich auf die
Formung seiner eigenen Person richten, also um Ziele der Selbsterziehung. Das
heißt, dass das Individuum, um dessen Wohl es geht, in seiner Persönlichkeit
nicht als gegeben angesehen wird, sondern selber etwas Veränderliches darstellt.
Diesen Punkt halte ich für wichtig, weil er die spezifisch menschliche
Fähigkeit zum Bezug auf sich selbst einbringt. Allerdings können die Ziele der
Selbsterziehung dem Individuum nicht als fertige Ideale vorgegeben werden. Diese
Ziele müssen vom Individuum selber gewollt werden. Das Individuum muss selber
ein Interesse an dieser Entwicklung haben. Nur unter dieser Bedingung wird durch
den Erwerb dieser Fähigkeiten sein Wohl auch wirklich gefördert.
Es
stellt sich die Frage: Wie ist das mit den Fähigkeiten, die vorhanden sein
müssen, damit ein Individuum überhaupt seine "echten" Interessen (einschließlich
seiner Interessen an der Entwicklung und Reifung der eigenen Persönlichkeit)
erkennen kann? Kann man das Interesse an der Fähigkeit zur klugen, fehlerfreien
Bestimmung der eigenen Interessen immer voraussetzen? Muss dieses Interesse
immer als gegeben angenommen werden? Oder speist sich die Motivation zur
Rationalität aus den schlechten Erfahrungen mit unreflektierter
Bedürfnisbefriedigung?
Gewöhnlich wird das Interesse an der eigenen
Rationalität offenbar vorausgesetzt. Wenn einem Individuum dies Interesse fehlt,
so wird es für unmündig erklärt und das Verhältnis zu ihm wird offen als ein
(fürsorgliches) Herrschaftsverhältnis verstanden.
Soviel erstmal von
Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Alltag am 14.
Nov. 2005, 21:34 Uhr
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Zitat: Eine Katastrophe wird mit der andern Katastrophe konkurieren die
Katastrophengruppierung zu verherrlichen. /homo_sapiens, 14.11.05 09:44 Uhr/
:-) Lieber homo_sapiens,
Es ist doch nicht die Frage, ob es Katastrophen
gibt - Es gibt solche, da sind wir uns einig -, sondern Frage ist, wie mit
Katastrophen umzugehen ist.
Manchmal ist das kinderleicht: In
katastrophenträchtigen Situationen soll man nicht nur kein Öl ins Feuer werfen,
sondern womöglich Energie entziehen.
Zitat: Und hier wiederum,
... dieses 'Lebensglück' muss erst einmal möglich sein. Ist das möglich bei
Kindern aus Problemfamilien? Ich bestreite das. /Abrazo, 13.11.05 23:21 Uhr/
:-) Hallo Abrazo,
mit viel Geduld ist es nicht selten, doch möglich,
meist indem man Energie herausnimmt.
Zitat: Wenn ich dich richtig
verstehe, so geht es in dieser Passage um spezielle Interessen des Individuums,
die sich auf die Formung seiner eigenen Person richten, .... /Eberhard, 14.11.05
19:50 Uhr/
:-) Hallo Eberhard,
Ich möchte Deinen Gedanken noch etwas
zuspitzen: Was ist das Ziel der Erziehung? Angesichts dieser Frage, verwirft man
schnell die Hände und wendet sich ab. Ich meine auf diese Frage eine
zustimmungsfähige Antwort geben zu können: Das Ziel der Erziehung ist es,
jemanden so zu erziehen, dass er sich selbst erziehen kann.
Für viele
darf das nur eine Teilantwort sein, weil für sie die Richtung fehlt. Aber genau
damit hat so manche Individualkatastrophe angefangen.
Du fragst: <Kann
man das Interesse an der Fähigkeit zur klugen, fehlerfreien Bestimmung der
eigenen Interessen immer voraussetzen? Muss .... ? Oder speist sich ....?> Und
ich denke: Ach wie sind diese Fragen doch normenträchtig! Um alles in der Welt!
Wie und wann soll einer etwas lernen, ohne "Versuch und Irrtum".
Danke &
Gruss --- Euer fürsorglicher Alltag
P.S.: Irgendwie hat doch das noch mit
dem Thema zu tun, oder?
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von metin_oztaskin
am 15. Nov. 2005, 00:53 Uhr
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Dieser ist eine Reaktion auf die Antworten #22
Hallo Urs,
ich möchte
mich für deine Reaktion bedanke. Ich habe mich habe darüber sehr gefreute, dass
ich deine Worten richtig verstanden habe. Ich finde, es sollte
selbstverständliche sein, dass mehr Lebensformen friedlich nebeneinander
existieren. Es sollte deshalb selbstverständliche sein, weil die Menschen großen
Wert auf ihre Individuelle legen. Staatsformen, die auf dieser Realität nicht
achten, sind zum scheitern verurteilt. Wenn die Menschen ihren Leben nach eigene
Vorstellung nicht gestalten können, dann sind sie mit ihren Situation nicht
zufrieden. Solche Menschen, die mit ihrer Situation unzufrieden sind, neigen
extremen Verhaltens. Mit anderen Worten, wenn man den Freiheitsanspruch unnötige
einschränkten, neigen die Menschen zur extremen Verhalten, also zu solche
verhalten, ohne darüber nachzudenken, ob sie mit solchen verhalten das
erwünschten Ziele erreichen können. Ähnliche sie nach meiner Auffassung mit der
Meinungsfreiheit aus.
Ich denke auch, wenn man den Menschen vertraut und
ihnen die notwendige Freiheit gewähren, nach werden sie nicht zur extremen
Verhalten neigen, also zur solchen verhalten, die die friedliche Koexistenz
bedrohen. Ich komme zur eine solchen Meinung, weil ich denke, die meisten
Menschen wissen, dass sie nicht ohne die Gemeinschaft nicht existieren können,
Es kommt hinzu, das die Menschen mit der gegenwärtigen Situation zufrieden sind,
können einige Opfer bringen. Menschen, die mit der Situation unzufrieden sind,
können nicht verantwortliche handeln, das heißt gemeinschaftsorientiertes
handeln. Die Sätze kannst du vielleicht als Reaktion auf die folgende Aussage
betrachtet. Ein Staat lebt eben nicht vom Recht allein. Er braucht als
Staatsbürger solche Individuen, die auch im Sinne des Ganzen denken und handeln
können. Und solches Denken und Handeln lernt man
Das heißt die Individuum
können nur dann Ganzheitliche denke und handeln, wenn sie mit herrschende
Situation zufrieden sind. Die Menschen handeln nur dann unverantwortliche und
neigen zur extremen Verhalten, wenn die herrschende unerträglich ist, wie oben
zum Ausdruckt gebrach.
Ich finde, es ist ebenso wichtig, dass jedes
Individuum in Rechtstaat vor dem Gesetze gleich ist. Also jeder sollte für eine
Straftat gleiche Strafe bekommen. Keine Mensch dürfe bevorzug werden. Ich denke,
dieser Tatsache das jedes Individuum in Rechtstaat vor dem Gesetze gleich sind,
ist etwas Fundamentales für friedliches Zusammenleben. Das ohne die Gleichheit
friedliches Zusammenleben auf dauert nicht funktionieren.
Es ist im Prinzip
auch richtig dass die Person, der sich durch seine Tätigkeit am Staat verdienst
erworben hat (im unseren Fall Helmut Kohl und Beugehaft), auch nach gleichen
Gesetzen urteilte werde,
aber die Menschen urteilen subjektiv. Will sagen,
sie gehen bei dem Urteile nicht strengen nach dem Gesetze, obwohl es so sein
müsste, sondern berücksichtigen bei ihrer urteilenden Tätigkeit seine
Verdienste. Es stellt sich die Frage, wem die Last zu rechten, dem Urteilende
und den Verurteilen? Ich würde dieser Last der Urteilenden zu rechten, weil der
Urteilende nicht objektiv ist. Dieser Last würde nur dann den Verurteilten
fallen, wenn er Privilege beanspruche würde.
Obwohl das Verhalten beider
Parteien Menschliche ist. Welche Richter könnten einen Mensch, der sich durch
seine Leistung an der Gemeinschaft viele Verdienst erworben hat, gleich wie
Dieb, der dem Staat nur zu last gefallen, verurteilen. So eine Richter würde
total unmenschliche wird. Und welcher Mensch auf seine Privilege verzichtet, die
er durch seine Leistung am Staat erworben hat.
Mit lieben Grüssen
Metin Öztaskin
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von homo_sapiens am
15. Nov. 2005, 09:28 Uhr
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> Lieber homo_sapiens,
Es ist doch nicht die Frage, ob es Katastrophen gibt -
Es gibt solche, da sind wir uns einig -, sondern Frage ist, wie mit Katastrophen
umzugehen ist.
Manchmal ist das kinderleicht: In katastrophenträchtigen
Situationen soll man nicht nur kein Öl ins Feuer werfen, sondern womöglich
Energie entziehen
........ warum dann ?
macht ihr noch so treu
propaganda
für euere katastrophen ver einigung ?
anstatt end lich mit
der realität kontakt auf zu nehmen !
>>>>>> weil ihr im sumpfe ver sunken
noch nicht ein mal mehr hand lungs fähig !
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 15.
Nov. 2005, 11:43 Uhr
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Hi zusammen,
es scheint mir angebracht zu sein, sich erst einmal darauf
zu besinnen, was ein Gemeinwesen überhaupt ist. Wodurch wird es umschlossen? Da
haben wir bei einem Verein die Mitgliederschaft. Die Mitglieder sind im
Vereinsregister eingetragen und können sich meist auch als solche ausweisen. Es
handelt sich also um eine klar definierte und begrenzte Menge. Das gleiche gilt
für eine Gesellschaft, die einen Staat bildet. Ihr Mitgliedsausweis ist der
Personalausweis.
In jedem Verein gibt es eine Minderheit, die sich
engagiert oder die mit dem Verein bestimmte Privatinteressen durchzusetzen
trachtet. Die Mehrheit zählt zu den Mitläufern oder gar Karteileichen. Sie
gehören dem Verein zwar an, weil sie ihn wichtig finden, ihn unterstützen
möchten oder sich im Notfall Vorteile durch die Unterstützung des Vereins
erhoffen, beschränken sich aber ansonsten auf die Zahlung der Mitgliedsbeiträge.
Üblicherweise dominieren die Engagierten. Sie bilden Flügel und Parteien,
raufen sich miteinander und sind auch wissensmäßig, sowohl was Sachthemen
betrifft, als auch, was Informationen über Interna betrifft, allen anderen
Mitgliedern weit überlegen.
Den übrigen Vereinsmitgliedern macht das nach
dem Motto 'lass andere arbeiten' so lange nichts aus, wie ihre Interessen nicht
vernachlässigt werden, ja, so lange, wie sie überhaupt noch als vorhanden
wahrgenommen werden. Denn es kann vorkommen, dass die Dominierenden gar nicht
mehr merken, dass es da auch noch andere Vereinsmitglieder gibt. Was nicht
selten dazu führt, dass der Verein zerbricht.
Beziehen wir das auf den
Staat. Auch da gibt es zweifellos dominierende Gruppen, die zumeist der
bürgerlichen Lebensform angehören. Wenn ich mir einige Äußerungen hier anhöre,
habe ich den Verdacht, dass es da noch andere, nicht bürgerliche
Vereinsmitglieder gibt, wird übersehen. Das zeigt sich, wenn vom Thema Erziehung
und Enkulturation die Rede ist. Die liberalen bürgerlichen Erziehungsmaßstäbe
werden absolut gesetzt. Es wird nicht beachtet, dass die keineswegs allgemein
als richtig anerkannt sind. Schon in kleinbürgerlichen Kreisen kann man mit
Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung nicht viel anfangen; gefragt ist
Anpassung, und zwar bis hinein in die unmittelbare persönliche Umgebung, und das
Erziehungsziel ist ganz klar, dem Nachwuchs durch eben diese Anpassung zu
ermöglichen, ein Leben auf möglichst sicherer materieller Grundlage zu führen.
Hier ist eine Erziehung zur Selbsterziehung nicht gefragt, denn diese bietet die
Gefahr, dass zum Einen das Individuum die Sicherheit aufgibt, die die materielle
Grundlage bietet, dass das Individuum sich zum anderen von den sozialen
Verpflichtungen löst, die den Lebensverlauf in seiner sozialen Gruppe bestimmt
und von deren Einhaltung alle abhängig sind. Das Ergebnis eines solchen
Verhaltens wäre wahrscheinlich Rausschmiss und Diskriminierung.
Wir
können also von denen, die nicht die sichere materielle Basis des Bürgertums
haben, nicht erwarten, dass sie sich für das Ziel der Verwirklichung
bürgerlicher Freiheiten überhaupt interessieren. Ich komme eben immer wieder
darauf zurück, dass die materielle Lebenswirklichkeit die Basis für die
Humanisierung des Menschen ist. Das heißt, wenn in einer Gemeinwohldiskussion
Konsens über die Förderung der Humanität bestehen sollte, dann folgt daraus
notwendig, dass es im Sinne des Gemeinwohls ist, die materiellen Voraussetzungen
dafür zu schaffen und dass es sinnlos ist, ohne die Schaffung der materiellen
Voraussetzungen Humanität zu predigen und damit ein hehres Ziel an die Decke zu
hängen, das mangels Vorhandensein von Leitern der größte Teil derer, die im
Predigtsaal versammelt sind, auch nicht ansatzweise erreichen können.
Was
folgt daraus, wenn man auf die herrlichen Geschenke weist, die jedermanns Ziel
sein sollten - und übersieht, dass nur die ihrer habhaft werden können, die sich
eine Leiter beschaffen können? Die anderen werden die Leitern zerbrechen. Und
zwar schon dann, wenn sie merken, dass sie von den tollen Sachen nur ein paar
Brosamen nach Gusto der Besitzenden abkriegen. Dies wird um so eher der Fall
sein, wenn die Leiterbesitzer gar nicht mehr sehen, dass da unten etliche Leute
herum krauchen, von denen sie behaupten, dass die leider nicht wollen, während
sie in Wirklichkeit nicht können.
Fazit: wenn wir von Gemeinwohl reden
wollen, müssen wir erst einmal feststellen, von welcher Gemeinde wir überhaupt
reden - und wer alles dazu gehört. Sonst brauchen wir nämlich gar nicht erst mit
einem Bemühen um einen Konsens anzufangen, denn unsere Vorschläge werden
möglicherweise gar nicht konsensfähig sein. Vorstellungen von dem, was für das
Individuum gut und richtig ist, werden in den meisten Fällen nicht konsensfähig
sein, denn wenn die Gemeinde nicht definiert ist, ist die Wahrscheinlichkeit
hoch, dass es sich hierbei um den Vorschlag handelt, eigenen Gruppennormen zur
Allgemeingültigkeit zu verhelfen; als solche sieht man sie an, weil man gar
nicht zur Kenntnis genommen hat, dass die Gemeinde nicht nur aus der eigenen
Gruppe besteht.
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 15.
Nov. 2005, 17:10 Uhr
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Hallo allerseits,
Ich will noch einmal darlegen, in welchen
Zusammenhängen ich die Fragen nach dem Wohl der Individuen und dem Gemeinwohl
sehe.
Die Theorie der rationalen Entscheidung bemüht sich um die
Beantwortung der Frage, welche Handlungen eines Subjektes dessen Wohl am besten
verwirklichen. Es wird nach einer „klugen“ Entscheidung gesucht, die das Subjekt
nicht bereuen muss.
Die Ermittlung der in diesem Sinne besten
Entscheidung stellt an das Subjekt (bzw. dessen Ratgeber) folgende
Anforderungen:
- es muss in der Lage sein, empirische Daten zu erfassen,
um die Ausgangssituation in ihren entscheidungsrelevanten Aspekten richtig und
möglichst vollständig zu beschreiben,
- es muss Wissen über empirische
Regelmäßigkeiten besitzen, um die zu erwartenden Konsequenzen der möglichen
Handlungsstrategien zu erkennen,
- es muss die Wahrscheinlichkeiten der
zu erwartenden Konsequenzen abschätzen und bei der Entscheidung berücksichtigen
können,
- es muss sich seiner verschiedenen Ziele bewusst sein und diese
Ziele gewichten können, um die zu erwartenden Konsequenzen nach diesen Kriterien
bewerten zu können.
Weil eine nach diesen Kriterien durchdachte
Entscheidung einen Aufwand erfordert, der je nach Zeithorizont und
Detailliertheit der Berechnungen auch sehr hoch sein kann, bedarf es
gleichzeitig eines Überblicks über die Angemessenheit des betriebenen
Entscheidungsaufwands.
Wenn ich ein Auto kaufe ist z.B. ein höherer
Aufwand bei der Entscheidungsfindung gerechtfertigt als beim Kauf eines
Rasierapparates.
Die Entscheidungskosten sind auch einer der Gründe,
warum Individuen für wiederkehrende Typen von Situationen und Entscheidungen
bestimmte Grundsätze oder Prinzipien ausbilden, nach denen sie gewohnheitsmäßig
handeln. Die einmal gefundenen Entscheidungen gelten dann nicht nur für eine
bestimmte Situation sondern für eine ganze Klasse gleichartiger
Entscheidungssituationen.
Insofern das Subjekt in einer Welt mit anderen
Akteuren lebt, die ebenfalls ihre Ziele verfolgen, muss es deren Handeln in
seine Überlegungen mit einbeziehen. Das Handeln mehrerer Akteure, die unabhängig
voneinander ihre Interessen verfolgen, wird modellhaft von der Spieltheorie
untersucht. Das Resultat dieser Analysen sind Empfehlungen hinsichtlich der für
einen Akteur besten Handlungsstrategie.
Die Frage, die ich stelle,
unterscheidet sich von dieser Perspektive insofern, als ich voraussetze, dass
die Individuen eine gemeinsame Entscheidung finden wollen. Sie wollen als
Gemeinschaft handeln und stehen damit vor der Frage: Was ist die für uns alle
beste Entscheidung? Welche Entscheidung entspricht am besten dem allgemeinen
Wohl?
Dies beantwortet auch die Frage von Abrazo: Die Theorie des
Gemeinwohls bezieht sich auf alle Kollektive, die in bestimmten Bereichen
einheitlich handeln und die für alle Einzelnen, aus denen sich das Kollektiv
zusammensetzt, geltende Normen aufstellen.
Mir geht es also um die
Beantwortung der Frage, welche Entscheidungen, Normen und Handlungen das
Gemeinwohl verwirklichen, wobei ich unter "Gemeinwohl" etwas verstehe, das von
allen Mitgliedern einer Gemeinschaft trotz unterschiedlicher und miteinander im
Konflikt befindlicher Interessen akzeptiert und gemeinsam gewollt werden kann.
Abschließend noch ein Wort zur Begrifflichkeit: Ich würde in Bezug auf die
skizzierte Fragestellung nicht von "Meta-Ethik" sprechen, da unter Metaethik
üblicherweise die sprachanalytische Untersuchung ethischer Aussagen verstanden
wird. Die Metaethik untersucht normative Sätze, sie behauptet selber aber keine
Normen. Im Unterschied dazu dient die skizzierte Theorie des Gemeinwohls der
normativen Regelung des Handelns angesichts unterschiedlicher Interessen der
Individuen.
Es grüßt alle an normativen sozialen Fragen Interessierte
Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von homo_sapiens am
16. Nov. 2005, 09:49 Uhr
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> es scheint mir angebracht zu sein, sich erst einmal darauf zu besinnen, was
ein Gemeinwesen überhaupt ist. Wodurch wird es umschlossen?
........ von einem ring von raub tieren ?
wird eine ge meine schafft um
schloßen !
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von philoschall am
16. Nov. 2005, 11:04 Uhr
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Hallo zusammen,
" ... wenn wir von Gemeinwohl reden wollen, müssen wir
erst einmal feststellen, von welcher Gemeinde wir überhaupt reden - und wer
alles dazu gehört. Sonst brauchen wir nämlich gar nicht erst mit einem Bemühen
um einen Konsens anzufangen, denn unsere Vorschläge werden möglicherweise gar
nicht konsensfähig sein." Abrazo & Hund
Wenn das nicht auf provinzieller
Vereinsebene verbleiben soll, scheint mir wichtig, nicht nur die Gruppen, mit
denen sich Gemeinwohl und Individualwohl entfaltet, sondern auch die jeweiligen
Strukturen dieser Gruppen zu berücksichtigen und herauszustellen. In welchem
Verhältnis stehen etwa gesellschaftliche Gruppen die religiös strukturiert sind,
zu gesellschaftlichen Gruppen die ihre praktischen Regeln nicht über Religion
finden, für die Religion nicht das Entscheidene ist? Was bedeutet das, etwa für
den Begriff des Allgemeinwohles? Einleitend, dazu:
Nach Fukuyama ist mit
der weltweiten Durchsetzung der liberalen Demokratie die Geschichte an ihren
Endpunkt angekommen. Die Entfaltung von Naturwissenschaft und Technologie, in
Verbund mit Ökonomie, führe notwendigerweise zu liberaler Demokratie. Die
Rationalität der Weltgesellschaft "basiere auf den Prinzipien technologischer
Funktionalität und ökonomischer Effizens ebenso wie auf dem politischen Diskurs
freier, mit Selbstbewusstsein ausgestatteter Bürger."
Dagegen liesse sich
fragen, ob nicht auch die in Europa wurzelnde Demokratie mit dem Scheitern des
Kommunismus und dem politischen Umbruch in Osteuropa zu ihren Ende gekommen ist?
Und wenn ja, ob dann nicht ebenfalls abendländische Metaphysik, monotheistische
Religion und die damit manifestierenden Moralen zu ihren Ende gekommen? Wenn
nicht, welche Aufgabe übernehmen diese im favorisierten Rahmen der Rationalität
der Weltgesellschaft. Was bedeuten dann Metaphysik, Philosophie ... bei der
Definition des Allgemeinwolhes? Die seit 1789 institualisierte Demokratie, Volk
und Nationalstaat, geben jedenfalls seit der weltweiten Durchsetzung der
liberalen Demokratie nicht mehr den Rahmen der ökonomischen Unternehmungen
Europas ab, an dem sich europäische Bürger orientieren. Westeuropäische Bürger
finden ihre Freiheit nicht mehr mit ihren angestammten politischen
Ordnungsgefüge; europäische Nationen werden, süd- mittel- und nahosteuropäische
Innenpolitik wird nicht mehr von jener Nationalstaatlichkeit begrenzt und
entgrenzt, die sich mit der kapitalistischen Expansion Westeuropas
(Kolonialisierung, Weltriege) entfaltete. Die Bürger der liberalen
Weltdemokratie "seien lediglich juristische Personen mit Rechten und Pflichten.
Sie befinden sich in einem abstrakten Raum mit zunehmend ungewissen
territorialen Grenzen. ... Es wird unerheblich sein, ob Privatunternehmen oder
Verwaltungsbeamte eine Norm durchsetzen. Die Norm wird nicht mehr Ausdruck der
Souveränität (etwa Religion, Metaphysik, p.) sein, sondern einfach ein Faktor,
der Ungewissheit reduziert, ein Mittel zur Senkung der Transaktionskosten, indem
sie die Transparenz der sozialen Interaktionen erhöht." Recht wird "reduziert
auf einen Regelkodex und nur durch den täglich erbrachten Beweis seiner
Funktionsfähigkeit legitimiert." Diese sozioökonomische Abstraktheit ist jene
des Pragmatismus, da diese aus allem anderen resultiert, jedoch nicht, etwa aus
monotheistischer Religion oder aus, weniger aktuell, Institutionen territiol
begrenzter Staatlichkeit. Unterschiede somit Identität manifestieren sich nicht
mit der Rationalen Norm us-amerikanischer und europäischer
ökonomisch-kapitalischer Expansion, sondern mit jenem Bereich der beispielsweise
als Glauben auftritt, d.h. mit Religionen (weltweit als Polytheismus) und
entsprechenden Moralen. Dieser Bereich bietet Prinzipien, welche die, etwa von
abendländischer Metaphysik, Kant ... entgrenzte Rationale Logik
gesellschaftlicher Vernetzung somit auch liberale Demokratie nicht hergibt.
Nach Huntigton "eroberte der Westen die Welt nicht durch die Überlegenheit
seiner Werte oder seiner Religion, ... sondern durch seine Überlegenheit in der
Anwendung organisierter Gewalt ... Um die Kultur des Westens bei schrumpfender
Macht des Westens zu bewahren, sei es ... unter anderem nötig, die
technologische und militärische Überlegenheit des Westens über andere Kulturen
zu behaupten. ... weil sie das mächtigste Land des Westens sind, falle diese
Aufgabe überwiegend den USA zu."
Das Gesellschaft Zusammenhaltene ist
nach Fukuyama und Huntigton also nicht Religion, abendländische Metaphysik sowie
die damit auftretenden Moralen und Diskurse, auch nicht europäische
Nationalstaatlichkeit, sondern die Rationalität liberaler Weltgesellschaft. Mit
den "Prinzipien technologischer Funktionalität und ökonomischer Effizens"
auftretend übernehme die liberale Weltdemokratie jene Sinnstiftung, die bisher
in Europa monotheistische Religion, Metaphysik ..., aber auch
Nationalstaatlichkeit, Patriotismus ... für sich in Anspruch nahm, Normen der
Gesellschaft zu favorisieren. Sollten derartige Veränderungen struktureller
Zusammenhänge nicht ebenfalls berücksichtigt werden, wenn die Frage nach dem
Verhältnis Gemeinwohl sowie Individualwohl diskutiert wird? Wenn sich Identität
von gesellschaftlichen Gruppen etwa über Religion und nicht über liberale
Demokratie verzeitigt, sollte bei der Behandlung der Frage nicht vernachlässigt
werden, die Strukturen dieser Gruppen näher zu bestimmen? Denn die mit der
liberalen Demokratie expandierende Normativität findet ihre Begrenzung mit jenen
gesellschaftlichen Gruppen, denen nicht institualisierte Diskurse der Maßstab
der Freiheit sind. Das gilt ebenso für die Innen- wie auch der Aussenpolitik
verschlankter Staatlichkeit im sogenannten globalen Zeitalter.
"Mir geht
es also um die Beantwortung der Frage, welche Entscheidungen, Normen und
Handlungen das Gemeinwohl verwirklichen, wobei ich unter "Gemeinwohl" etwas
verstehe, das von allen Mitgliedern einer Gemeinschaft trotz unterschiedlicher
und miteinander im Konflikt befindlicher Interessen akzeptiert und gemeinsam
gewollt werden kann." Eberhard
Was akzeptieren denn die unterschiedlichen
Mitglieder einer Gesellschaft die, religiöse Identität und liberale Normativität
favorisieren, als Gemeinwohl? Was ist denn überhaupt das Gemeinwohl der von
diesen Ausrichtungen geprägten Gesellschaft im sogenannten globalisierten
Kapitalismus? Sollte nicht erst diese Frage behandelt werden, bevor von
Entscheidungen, Normen und Handlungen, mit denen Gemeinwohl verwirklicht werden
soll, die Rede sein kann?
Gruß
philoschall
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 16.
Nov. 2005, 11:57 Uhr
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Hallo allerseits,
Ich will meine Skizze zur Funktion des Begriffs
"Gemeinwohl" noch etwas detaillierter ausführen.
Mehrere Einzelne, die
eine Gemeinschaft bilden und gemeinsam handeln, stehen vor der Frage: Was ist
die für uns alle gemeinsam beste Entscheidung? Oder kürzer: Welche Entscheidung
entspricht dem allgemeinen Wohl?
Diese Frage wird gestellt unter der
Annahme, dass diejenige Entscheidung, die dem allgemeinen Wohl entspricht, für
alle Einzelnen normativ gilt und von diesen zu respektieren ist.
Wenn
dies für den Einzelnen jedoch mehr sein soll als eine Forderung nach Gehorsam
und Unterordnung, so muss das allgemeine Wohl so bestimmt werden, dass es auch
allgemein konsensfähig ist.
An diesem letzten Satz scheiden sich
gewöhnlich die Geister und ich gebe zu, dass der Begriff der „allgemeinen
Konsensfähigkeit“ eine Reihe zum Teil noch unbefriedigend beantworteter Fragen
aufwirft.
Zum einen handelt es sich um einen Möglichkeitsbegriff: die
Zustimmung aller Einzelnen muss möglich sein, sie muss nicht tatsächlich
stattgefunden haben.
Dagegen wird der Einwand erhoben, dass dies kein
brauchbares Kriterium ist, denn man kann praktisch allem zustimmen, wenn die
Zustimmung darin besteht, bei einer bestimmten Frage ja zu sagen, die Hand zu
heben oder auf einem Zettel etwas anzukreuzen.
Dieser Beliebigkeit stehen
jedoch bestimmte allgemeine Annahmen über den Menschen entgegen, die meist nicht
explizit gemacht werden sondern stillschweigend vorausgesetzt werden. So wird
angenommen, dass kein Individuum einer Alternative zustimmt, zu der es andere
verfügbare Alternativen gibt, die für das betreffende Individuum besser sind,
die also seinem individuellen Wohl mehr entsprechen.
Die tatsächliche
Zustimmung kann sinnvoller Weise kein Kriterium dafür sein, ob eine bestimmte
Alternative dem Allgemeinwohl entspricht oder nicht. Wenn Individuum A sich aus
Zeitmangel, aus Desinteresse oder weil es die ganze Argumentation nicht versteht
noch gar nicht die Frage vorgelegt hat, ob es der Alternative x zustimmt oder
nicht, dann kann die fehlende Zustimmung von A kein inhaltliches Argument gegen
dagegen sein, dass Alternative x dem Gemeinwohl entspricht.
Wie man
sieht, ist die Konsensusfähigkeit, um die es hier geht, nicht dasselbe wie ein
Abstimmungsverfahren nach dem Prinzip der Einstimmigkeit.
Aus der
Argumentation über das allgemeine Beste ergeben sich Überzeugungen der
Individuen hinsichtlich des Gemeinwohls, jedoch bewegen sich diese Überzeugungen
auf der Ebene der inhaltlichen Richtigkeit.
Dies ist noch nicht
automatisch auch das sozial Verbindliche. Dazu bedarf es besonderer
institutioneller Aktivitäten.
So können die Überzeugungen der Individuen
unterschiedlich bleiben, weil z.B. mehrere Ansichten zum Gemeinwohl rational
vertretbar sind aufgrund unterschiedlicher empirischer Annahmen über die
Auswirkungen bestimmter Handlungen.
Die inhaltliche Diskussion darüber,
ob eine bestimmte Norm dem Gemeinwohl entspricht, kann deshalb auch
stellvertretend geführt werden, indem man in Bezug auf die Interessenlage von
Einzelnen oder Gruppen bestimmte Annahmen macht.
Dies entschärft etwas
die von Abrazo betonte Problematik, dass es Lebensverhältnisse gibt, unter denen
sich ein Mensch derartige Fragen weder stellen will noch kann.
Es grüßt
Euch Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 16.
Nov. 2005, 21:38 Uhr
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Hallo allerseits,
ich hatte geschrieben, dass der Begriff des allgemeinen
Wohls eine normative Bedeutung für das Handeln der Einzelnen hat. Das, was dem
allgemeinen Wohl dient, ist grundsätzlich zu verwirklichen, auch wenn es dem
Einzelnen keinen Vorteil bringt sondern für ihn eine Einschränkung bedeutet.
Ich hatte jedoch die Unterscheidung zwischen zwei Ebenen gemacht:
Erstens der Ebene der inhaltlichen Richtigkeit.
Hier ist der inhaltliche
argumentative Streit angesiedelt, ob ein bestimmtes gemeinsames Handeln dem
allgemeinen Wohl dient oder nicht. Dabei treten all die Probleme auf, die auch
bei der Entscheidungsfindung zum eigenen Wohl eine Rolle spielen (Prognose von
Folgewirkungen, Abschätzung von Wahrscheinlichkeiten, Bestimmung des Bereichs
der verfügbaren Alternativen, Gewichtung und Abwägung von Interessen u.a.m.).
Hinzu kommen die besonderen Probleme einer kollektiven Entscheidung,
insbesondere die interpersonale Gewichtung und Abwägung von Vor- und Nachteilen
für die Einzelnen.
Zweitens der Ebene der sozialen Verbindlichkeit.
Hier wird der „endlose Streit der Gelehrten“ verlassen und es werden „Nägel
mit Köpfen“ gemacht. Angesichts eines konkreten Problems wird eine einzelne
Entscheidung oder eine generelle Norm als verbindlich „gesetzt“. Dazu müssen
Verfahren der Normsetzung institutionalisiert werden (Regierungen, Gerichte,
Eigentumsrechte, Befehlsbefugnisse, Entscheidungsgremien, Verträge etc.). Die
Verfahren der Normsetzung greifen dabei auf die inhaltlichen
Diskussionsergebnisse zurück und stehen weiterhin unter dem Anspruch der
Gemeinwohlorientierung.
Die Bestimmung des Gemeinwohls geschieht nach
diesem Verständnis auf der Ebene der inhaltlichen Richtigkeit. Die Probleme des
praktischen Handelns (Zeitdruck, beschränkte Ressourcen, Informations- und
Entscheidungskosten) spielen keine Rolle. Die theoretische Diskussion geschieht
also „handlungsentlastet“.
Das Gemeinwohl ist zwar der
Orientierungspunkt des individuellen Handelns und der verfahrensmäßigen
Normsetzung, aber den Überzeugungen der Einzelnen vom Gemeinwohl kommt keine
unmittelbare Verbindlichkeit für das Handeln zu. Dazu bedarf es eines
kollektiven Entschlusses.
Ohne die Unterscheidung zwischen den zwei
Ebenen der inhaltlichen Richtigkeit und der sozial gesetzte Verbindlichkeit und
ohne Analyse des Spannungsverhältnisses zwischen beiden Ebenen kann m.E. keine
brauchbare normative Theorie des Gemeinwohls entwickelt werden.
Ich bitte
um Nachsicht für diese zugegebenermaßen recht abstrakt geratenen theoretischen
Erörterungen und hoffe auf eine Konkretisierung anhand von Beispielen.
Bis dann grüßt Euch Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von homo_sapiens am
17. Nov. 2005, 10:29 Uhr
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> Mehrere Einzelne, die eine Gemeinschaft bilden und gemeinsam handeln, stehen
vor der Frage: Was ist die für uns alle gemeinsam beste Entscheidung? Oder
kürzer: Welche Entscheidung entspricht dem allgemeinen Wohl?
........ zum be ant worten dieser ..........
müßtet ihr zu erst wahr
heits fähig sein !
und nicht dumm zertifiziert
wie es ver langt über
all ............
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 18.
Nov. 2005, 10:53 Uhr
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Hallo allerseits,
ich gehe einmal von einer Gemeinschaft aus, die im
Sinne des Gemeinwohls handeln will.
Angenommen, es würde innerhalb dieser
Gemeinschaft immer wieder zu Konflikten kommen, weil sich Mitglieder der
Gemeinschaft durch Lärm in ihrer Nachtruhe gestört fühlen.
Weiterhin sei
angenommen, dass allen Mitgliedern ein ungestörter Nachtschlaf wichtiger ist als
die Möglichkeit, zu nächtlicher Zeit Tätigkeit nachzugehen, die mit lauten
Geräuschen verbunden sind. Das heißt, dass es für alle besser wäre, wenn die
nächtliche Ruhe eingehalten würde.
In diesem einfach gelagerten Fall
könnte man sagen, dass die Einhaltung einer solchen Norm dem Gemeinwohl
entspricht, weil sie für alle besser ist als der ungeregelte Zustand.
Da
die Menschen zwar verschieden sind, aber da es auch vieles gibt, was allen
Menschen gemeinsam ist, gibt es zahlreiche Regelungen, die für alle einzelnen
vorteilhaft sind. In diesem Fall – auch nur in diesem Fall – lässt sich das
Gemeinwohl durch die Anwendung der Goldenen Regel bestimmen: „Was du nicht
willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu!“
Diese
Regelungen, die unter normalen Bedingungen und in der ganz überwiegenden Zahl
der Fälle dem Wohle aller Einzelnen und folglich auch dem Wohle der
Allgemeinheit dienten, machen den Grundbestand der üblichen, von Generation zu
Generation weitergegebenen Moral aus. In traditionellen Gesellschaften, in denen
der Einzelne noch abhängiger war von seiner sozialen Umgebung, reichte für die
Durchsetzung solcher Normen die moralische Verachtung der Mitmenschen gegenüber
demjenigen, der diese Normen verletzte. Ein besonderer Apparat von Polizei,
Gerichten und Strafvollzugsanstalten war dort nicht nötig, wo jeder jeden kannte
und wo jeder auf sein soziales Ansehen achten musste, weil davon sehr viel für
ihn abhing.
Es grüßt Euch Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von homo_sapiens am
18. Nov. 2005, 11:23 Uhr
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> ich gehe einmal von einer Gemeinschaft aus, die im Sinne des Gemeinwohls
handeln will.
......... diese welt ist aber eine ge meine schafft
wo es um das ge meine wohl geht !
wie unten be schrieben >>>>>>>>>
da frau gar nicht menschen würdig leben will
und dahin gehend mit mann co
operieren
sondern ein arbeits lager trottel
mit dem andern konkurieren
ihren jahr tausend lang ver wöhnten wahn sinn
zu be glücken !
und ein quasi kgb agent mit dem andern konkurieren
damit ja keine menschen
würde auf kommt
deshalb es keine öffent lich wahr heit
keine wirkliche
philosophie
keine sinn volle zukunfts ge staltung geben ........
nur
end loses perpetieren ihres wahn sinns
also eine einzige katastrophe !
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 18.
Nov. 2005, 23:11 Uhr
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Hi zusammen,
Eberhards #58 stimme ich zu.
Philoschall, die Thesen
Huntingdons und Fukuyamas kann man imho getrost auf den Müll werfen. Nach
wenigen Jahren hat sich erwiesen, dass die USA das meist gehasste Land der Erde
sind, als Kultur ein Negativbeispiel für eine Entwicklung, die man auf keinen
Fall einschlagen möchte - und auch die Fähigkeit, sich mit Gewalt durchzusetzen,
hat sich als äußerst begrenzt erwiesen. Mit anderen Worten: eine Seifenblase.
die Zustimmung aller Einzelnen muss möglich sein
Dieser kleine
Halbsatz erscheint mir sehr wichtig. Was heißt, die Zustimmung muss möglich
sein?
Nehmen wir als Beispiel unser Grundgesetz. Es ist von einer
kleinen Gruppe entwickelt und niedergeschrieben worden und von einer weiteren
kleinen Gruppe beschlossen worden. Ich habe bisher noch niemanden getroffen, der
dem Grundgesetz nicht zugestimmt hätte. Einwände kamen stets aus formalistischer
Richtung: es sei nicht in einer Volksabstimmung abgesegnet worden. Nie aber
inhaltlicher Art. Das Grundgesetz war also zum Zeitpunkt, als es
niedergeschrieben wurde, offenbar ein Normenkatalog, zu dem Zustimmung möglich
war. Das hat eine Konsequenz: eine Ablehnung im Konsens erscheint mir unmöglich.
Vergleichen wir das mit Huntingdon und Fukuyama, oder auch mit dem
islamischen Staatsideal. Ich will nicht ausschließen, dass die Zustimmung zu
diesen Vorstellungen in einer Gesellschaft möglich ist. Global aber ist sie
unmöglich. Global könnte eine 'Zustimmung' nur mit Gewalt erreicht werden, doch
auch das ist so gut wie ausgeschlossen.
Daraus folgt die These, dass ein
entwickelter Normenkatalog nur dann das Papier wert ist, auf dem er steht, wenn
die Zustimmung zu diesem Normenkatalog in der sozialen Gruppe, für die er gelten
soll, grundsätzlich möglich ist. Die Möglichkeit der Zustimmung kann man aber
m.E. nicht von den individuellen Interessen abhängig machen (jedenfalls nicht
bei größeren sozialen Gruppen), vielmehr ist sie abhängig von der Vereinbarkeit
eines solchen Normenkataloges mit den im Zustimmungsbereich als gültig oder wahr
angesehenen bestehenden Normen und Werten.
So wird angenommen, dass kein
Individuum einer Alternative zustimmt, zu der es andere verfügbare Alternativen
gibt, die für das betreffende Individuum besser sind, die also seinem
individuellen Wohl mehr entsprechen.
Setzt diese Auffassung nicht
voraus, dass das Individuum keine Gemeinschaftsinteressen hat - und ist nicht
diese Auffassung falsch? Läuft nicht der politische Streit eher in die Richtung,
welche Alternative besser für die Gemeinschaft ist und ist nicht das
individuelle Interesse daran relativ unbeteiligt, taucht nur auf in der
Berücksichtigung der Interessen aller unter dem behandelten Aspekt gleichartiger
Individuen?
Ich bitte um Nachsicht für diese zugegebenermaßen recht
abstrakt geratenen theoretischen Erörterungen und hoffe auf eine Konkretisierung
anhand von Beispielen.
Nö. Wieso? Is doch auch so klar.
Ich sehe
allerdings Probleme in dem Spannungsverhältnis zwischen inhaltlicher Richtigkeit
(hm) und sozialer Verbindlichkeit. Denn: wie kann diese inhaltliche Richtigkeit
behauptet werden?
Denken wir mal an den Ausdruck 'politisch nicht
durchsetzbar'. Gemeint ist damit eine Norm, die als inhaltlich richtig erkannt
ist, die aber nicht befolgt wird. Woraus ich schließe, dass sie weder
konsensfähig noch richtig ist.
Jetzt doch ein praktisches Beispiel: das
Hundegesetz. Wird bei uns in weiten Teilen nicht befolgt. Das heißt, die
Junkie-Hunde sind weiterhin leinenlos in Gesellschaft ihrer Herrschaft auf der
Domplatte anzutreffen, in den Vororten laufen Herr und Hund weiterhin ohne Leine
über die Bürgersteigen und in Grünanlagen und Stadtwald läuft kaum ein Hund
angeleint herum. Das zu unterbinden ist aussichtslos. So viele Kontrolleure kann
die Stadt gar nicht einstellen - und Anzeigen aus der Bevölkerung gibt's so gut
wie gar nicht, weil es die nicht stört. Wir haben hier also eine von einer
Vielzahl Experten als inhaltlich richtig entwickelte Norm, die in etlichen
Teilen mangels Zustimmung nicht durchsetzbar ist. Man sollte sich also keine
Illusionen machen: eine theoretische inhaltliche Richtigkeit muss nicht
notwendigerweise auch praktisch als inhaltlich richtig anerkannt sein. Dann
nämlich, wenn die Prinzipien, aufgrund derer die Normen entwickelt wurden (hier:
größere Hunde sind potentiell gefährlich), in der Gesellschaft für falsch
befunden werden (Quatsch, der is nich gefährlich, den kennen wir doch).
Also weitere These: es ist nur sinnvoll, Normen zu entwickeln, die bereits auf
allgemein anerkannten Prinzipien beruhen (womit wir im Grunde wieder bei meiner
Behauptung des Vorhandenseins eines zum Wesen des Menschen gehörenden ethischen
Willens wären - gut, betrifft nicht notwendigerweise die Hunde :-), wohl aber
etliche andere Normenkomplexe).
Diese Regelungen, die unter normalen
Bedingungen und in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle dem Wohle aller
Einzelnen und folglich auch dem Wohle der Allgemeinheit dienten, machen den
Grundbestand der üblichen, von Generation zu Generation weitergegebenen Moral
aus.
Hier möchte ich ein Problem nur andeuten: sind diese Regelungen, die
dem Wohl der Allgemeinheit dienten, nicht abhängig von der Lebensform der
Allgemeinheit? Ich denke hier an die alle-Jahre-wieder-kehrende Diskussion, ob
und warum an Karfreitag und Allerheiligen die Discos geschlossen sein müssen -
noch vor paar Jahrzehnten eine völlig undenkbare Diskussion.
Grüße
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von homo_sapiens am
19. Nov. 2005, 09:49 Uhr
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> Mit anderen Worten: eine Seifenblase.
...... und europa hat noch
nicht ein mal seifen blasen !
es hat absolut gar nichts
wie nur von
jeder weis heit emanzipierte xx
die total den ver stand ver loren !
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von philoschall am
19. Nov. 2005, 20:29 Uhr
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Hallo zusammen,
"Philoschall, die Thesen Huntingdons und Fukuyamas kann
man imho getrost auf den Müll werfen. Nach wenigen Jahren hat sich erwiesen,
dass die USA das meist gehasste Land der Erde sind, als Kultur ein
Negativbeispiel für eine Entwicklung, die man auf keinen Fall einschlagen möchte
- und auch die Fähigkeit, sich mit Gewalt durchzusetzen, hat sich als äußerst
begrenzt erwiesen. Mit anderen Worten: eine Seifenblase." Abrazo & Hund
Abrazo, leider stellst Du das Unwichtigste aus meinem Beitrag - mit einer
Wertung auf die ich nicht eingehen werde - heraus. Wichtiger, und das versuchte
mein letzter Beitrag, ist die von Eberhard gestellte Frage nach Gemeinwohl und
Individualwohl in Zusammenhänge zu bringen, die von Dir hier bereits
angesprochen worden.
"Hier möchte ich ein Problem nur andeuten: sind
diese Regelungen, die dem Wohl der Allgemeinheit dienten, nicht abhängig von der
Lebensform der Allgemeinheit?" Abrazo & Hund
"Lebensform der
Allgemeinheit?" ?
Die Zusammenführungen von Menschen unterschiedlicher
Herkunft auf staatsrechtlich begrenzter Räumlichkeit, deren unterschiedlich
strukturierte Lebensausrichtungen nicht mehr ausschließlich durch
Nationalstaatlichkeit organisiert werden, bedingt einen gravierenden
Begriffswandel des Politischen, der auch bei der Behandlung des Gemeinwohles
berücksichtigt werden kann. Theorie, demokratisches Ideal: Politische
Repräsentanten transnationalen Staatsgefüges sowie deren "nationale"
Wählerschaften sind Träger jener transnationalen Gesetzlichkeit, mit der das
herausgestellt wird, was allen Menschen ihr Gemeinsames ist. Transnationale
Gesetzlichkeit, d.h. nicht mehr (nur) im Rahmen des Nationalstaates auftretende
Gesetzlichkeit gibt die Regel gesellschaftlicher Handlungen her. Politische
Repräsentanten, da diese nicht mehr kulturelle Unterschiede zum Maß
gesellschaftlicher Handlungen erheben, setzen sich ins Vermögen, Recht auf
veränderter Grundlage zu definieren und zu praktizieren: Transnationales Recht
sowie das "nationale" Handeln ist stimmig, wenn nicht mehr die kulturellen
Unterschiede der Zusammengeführten das Auschlaggebende darstellen. Dass den
"nationalen" Repräsentanten Gemeinsame, eben dass die Gleichheit verbürgende
transnationale Recht, gibt die Richtlinie "nationalen" Handels ab. - Die Frage
nach dem Allgemeinwohl verschiebt sich; auschliesslich im Rahmen von
Nationalstaatlichkeit kann diese nicht mehr beantwortet werden. Dass von
kultureller Vielfalt, dass von bisheriger bürgerlicher Nationalstaatlichkeit
abstrahierte, d.h. das transnationale Recht soll jene Rechtsordnung darstellen,
mit der "nationale" Gesellschaft geformt wird.
Der Alltag,
gesellschaftliche Lebenspraxis, lehrt das genaue Gegenteil: Unterschiede der auf
staatlich begrenzter Räumlichkeit sich "begegnenden" Lebensweisen werden von
ihren Trägern herausgestellt; die Zusammengeführten entfalten sich nicht in
jenem globalen Rahmen bürgerlich verschlankter Staatsgesetzlichkeit, mit dem die
rechtliche Gleichheit der Menschen jenseits von "nationalen" 'Eigenschaften'
favorisiert wird. Folge des nicht von diesen Trägern mitgetragenen globalen
Ideals: Mit einem Schlagwort bezeichnet; gesellschaftliche Parallelwelten
entstehen, denen mit von transnationaler Gesetzlichkeit bedingter, d.h.
verschlankter Staatlichkeit, etwa mit Bildungsprogrammen, begegnet wird. Dass
Interesse jener gesellschaftlichen Gruppen erreicht nicht mehr jene
liberal-global ausgegebene Gleichheit, die bereits seit Jahrhunderten
staatsrechtlich-formal, jedoch im Rahmen der Nationalstaatlichkeit ausgegeben
und jene Interessen vermochte zu integrieren, bezw. nationalstaatlich
auszugrenzen. Jede dieser gesellschaftlichen Gruppen erhebt den Anspruch, ihr
Interesse sei das Richtige, mit dem Allgemeinwohl favorisiert wird. Solange
derart strukturierte gesellschaftliche Gruppen liberale Gesetzlichkeit - und im
sogenannten globalen Zeitaler wird das nicht mehr gelingen - nicht auf die Ebene
ihres absolutgesetzten Individualwohles heruntergezogen, solange wird dieses
Einzelinteresse auch nicht als rechtlich-verbindliches Gemeinwohl umgesetzt und
praktiziert. Dass Verabsolutieren des Individualwohles wird jedoch auch dann
praktiziert, wenn deren Träger das von ihnen favorisierte Gemeinwohl weder im
Rahmen des "nationalen", noch im Rahmen des globalen Rechts vermögen
durchsetzen. Die im "Nationalen" verbleibende mannigfaltige Konstruierung zwecks
Ab- und Ausgrenzung, die nationalistische Herabsetzung des Menschen zum
"Anderen" verbleibt innerhalb des Alltäglich-Moralischen, d.h. die Macht die
hier gesellschaftlich geübt wird, vermag nicht mehr die "national-verbindliche"
Rechtstaatlichkeit - da diese verschlankt auftritt - erreichen, dass Naturrecht
vermag auch nicht - und diesen schon gar nicht - den Handlungsspielraum globaler
Rechtsordnung erreichen.
Dass zeigt, dass Gemeinwohl ohne der Lebensform
der Allgemeinheit, Theorie bleibt. Zeigt aber auch, dass, wenn verabsolutierte
Einzelinteresse herrschen, wenn Naturrecht herrscht, kein Allgemeinwohl
umgesetzt wird. Allgemeinwohl wird in der repräsentativen Demokratie umgesetzt,
da die von unterschiedlichen Interessengruppen getragenen demokratischen
Parteien aufgetreten. Dieser bürgerlich-demokratische Staatsaufbau vermag, da
hier unterschiedlich ausgerichtete gesellschaftliche Gruppen beteiligt sind,
Allgemeinwohl organisieren. Die bürgerliche Volks-Parteien-Praxis somit das
damit demokratisch sich manifestierende Allgemeinwohl (deren staatliche
Institutionen ... ) wird ausser Kraft gesetzt, wenn verschlankte Staatlichkeit
bezw. wenn globales Recht aufgetreten, bezw. wenn das (gegen politische Theorie
ala Abrazo - Hund kann nichts dafür) was als Volk ausgegeben wird, ethisiert
wird.
Bürgerliches Staatswesen, mit in Wählerschaften verankerten
Volksparteien auftretend, vermag sich demokratisch legitimieren, vermag jedoch
Wandlungen vollziehen, mit der demokratische Rechtsstaatlichkeit - wie bereits
in Deutschland von 1933 bis 1945 vollzogen - ausser Kraft gesetzt wird. Die Rede
vom Gemeinwohl tritt als Schein, als repräsentative Demokratie zersetzendes
Gerede auf: Das ausgegebene Individualwohl, nicht mehr ausschließlich über
Nationalstaatliches, etwa Parteiwesen formiert, wird an jenes globale Ideal
gekoppelt, deren Inhalt sich des Politischen entledigt zeigt, dass
Welt-Marktgesetzlich strukturiert, "nationale" Handlungen regelt.
Gruß
philoschall
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 19.
Nov. 2005, 21:27 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Abrazo,
vorweg eine Anmerkung: Soviel ich weiß,
haben 1949 im Parlamentarischen Rat die Vertreter der Kommunisten und der
Bayernpartei dem Grundgesetz nicht zugestimmt.
Zu Deinen Einwänden: Ich
halte daran fest, dass eine Norm nur dann „richtig“ (und das heißt: richtig für
alle) sein kann, wenn auch alle dies einsehen können. Dabei darf nicht vergessen
werden, dass die Individuen nicht nur „egoistische“ Interessen haben.
Ich will dies jedoch hier nicht weiter vertiefen, in der Hoffnung, dass das, was
ich meine, im Folgenden noch etwas klarer wird.
In meinem letzten Beitrag
hatte ich den Fall (Schutz der Nachtruhe) erörtert, bei dem die Einhaltung einer
Norm für alle Mitglieder besser ist als ein nicht geregeltes Verhalten. Das
Gemeinwohl entspricht in diesem Fall dem Wohl aller Einzelnen (weil sich alle in
einer annähernd gleichen Lage befinden und alle annähernd gleiche Interessen
haben).
Eine Regelung kann nach meinem Verständnis jedoch auch dann dem
Gemeinwohl entsprechen, wenn diese Regelung nicht für alle Einzelnen mit einer
Steigerung ihres Wohlergehens verbunden ist, sondern für bestimmte Einzelne auch
eine Verringerung ihres Wohlergehens bedeutet.
Es lassen sich hier die
verschiedensten Regelungen denken: Z.B. ist das allgemeine Recht, private PKWs
zu fahren, für Menschen, die kein Auto besitzen, eher nachteilig. Ähnliches gilt
für das allgemeine Recht, Hunde zu halten.
Ich will als Beispiel die
Entscheidung über den Standort einer Mülldeponie nehmen, die für die Anwohner
immer mit Lärm- und Geruchsbelästigung verbunden ist. Dabei nehme ich einmal an,
dass eine zentrale Mülldeponie grundsätzlich für alle besser ist als die
Entsorgung des Mülls durch die einzelnen Haushalte. Aber für diejenigen, in
deren unmittelbarer Nachbarschaft die zentrale Deponie errichtet wird, bedeutet
dies eine Verschlechterung ihres Wohlergehens.
Welcher Standort
entspricht nun am ehesten dem Gemeinwohl? Eine Antwort hierauf könnte lauten:
Derjenige Standort für die Mülldeponie entspricht am ehesten dem Gemeinwohl, bei
dem möglichst wenig Menschen von deren unerwünschten Auswirkungen betroffen
sind.
Ich will hier nicht auf alle denkbaren Komplikationen einer solchen
Entscheidung eingehen. Ich will nur demonstrieren, dass im Sinne des Gemeinwohls
auch eine Abwägung zwischen Vorteilen für bestimmte Individuen und Nachteilen
für andere Individuen erforderlich sein kann.
Über die methodischen
Probleme einer solchen Abwägung (u. a. ist dazu ein interpersonaler
Nutzenvergleich nötig) bin ich mir im Klaren. Trotzdem halte ich eine solche
Anwendung des Gemeinwohlbegriffs für sinnvoll und unverzichtbar.
Es grüßt
Dich und alle Interessierten Eberhard.
p.s.: Hallo Philoschall, da ich
größte Schwierigkeiten habe, Dich und insbesondere Deine Kritik an meinen
Vorstellungen zu verstehen, sehe ich mich auch außerstande, auf Deinen Beitrag
sinnvoll einzugehen. Schade.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von delfi am 20.
Nov. 2005, 00:03 Uhr
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hallo Philoschall
Salve!
Quote:Dass Interesse einer
gesellschaftlichen Gruppe setzt sich verabsolutierend über jene liberale
Gleichheit, die bereits staatsrechtlich-formal ausgegeben wurde und wird. Jede
dieser Gruppen erhebt den Anspruch, ihr Interesse sei das Richtige, sie vertrete
DIE Wahrheit - wenn dieser Anspruch noch erhoben wird - mit dem Allgemeinwohl
favorisiert wird.
das ist soweit ja noch in Ordnung, solange man
sich, der erlaubten Durchsetzungsmittel bedient. Demokratisches Mehrheitsrecht
ergibt zwangsläufig auch Ablehnung von Minderheitswillen.
Quote:Diese
Verabsolutierung von Einzelinteressen wird jedoch auch dann praktiziert, wenn
deren Träger das von ihnen favorisierte Gemeinwohl nicht als allgemeines, d.h.
als verstaatlichtes Recht durchsetzen können.
genau das ist
undemokratisches Verhalten und genau hier ist die Wurzel der jahrelangen
berechtigten Einwanderungsdebatten. Demokratie muss wehrhaft bleiben und auf
ihrem staatlichen Gewaltmonopol beharren. Das Ideal einer multikulturellen
Toleranz führt zu ihrem Gegenteil, nämlich zur Einschränkung der persönlichen
Freiheit. "Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen
Nachbarn nicht gefällt".
Quote:vermag jedoch jene Wandlung ins
niedrig Dämonische vollziehen, mit der nicht mehr liberale Rechtsstaatlichkeit,
sondern Unrecht - welches Unrecht nicht als dieses, da im Gewand der Moral ...
des "Allgemeinwohles" verkörpernd auftretend - ins "Recht" gesetzt wird. Die
Rede vom Gemeinwohl tritt als Schein, als bürgerliche Demokratie zersetzendes
Gerede auf.
Der Spruch: "der Klügere gibt nach" begründet ja
u.U. die Herrschaft der Dummheit, nach der Emanzipation der Doofen erfolgt ja
die Emanzipation der Bösen und man wundert sich schon gelegentlich dass gegen
allgegenwärtige Maffia weniger unternommen wird als gegen den Falschparker.
Du sprichst hier vom gesetzlichen Minderheitsschutz ohne den jede Demokratie
sicher wertlos ist. Rechtstaatlichkeit im Sinne der Gewaltenteilung ist das
einzige was mir hierfür einfällt.
Ich sehe die Integration von Minderheiten
allerdings als bewältigungsbares Problem an, die Geschichte hat es vielfach
gelehrt.
Ich bin fest überzeugt, dass militärische Kriege prinzipiell
überlebt sind und von ökonomischer Macht ganz abgelöst werden.
Gruss
[skater]
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 20.
Nov. 2005, 10:17 Uhr
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Hallo allerseits,
ich habe diese Diskussionsrunde bewusst unter der
Rubrik „Politische Philosophie“ angesiedelt und nicht unter der Rubrik „Ethik“.
Es geht mir hier um das Gemeinwesen, das Gemeinwohl, den Gemeinsinn – alles
Worte, die etwas angestaubt klingen, die aber ein höchst zeitgemäßes Problem
ansprechen: das Verhältnis der Einzelnen mit ihren spezifischen Interessen zur
Allgemeinheit und den Institutionen, die diese Allgemeinheit verkörpern.
Dabei könnte der Eindruck entstehen, als sei das Wohl eines Menschen allein von
äußeren Gegebenheiten abhängig, vom Handeln der anderen und von der Verfügung
über Sachen.
Dieser Ansicht bin ich jedoch nicht. Meiner Meinung nach
hängt die Zufriedenheit eines Menschen zum großen Teil von ihm selber, oder
genauer, von seinem Verhältnis zu sich selber ab. Es gibt Menschen, die
praktisch alles haben, was man sich so wünschen kann, und die trotzdem
griesgrämig und ewig unzufrieden durchs Leben gehen. Und es gibt Menschen, die
von schweren Schicksalsschlägen getroffen sind oder denen es nach üblichen
Maßstäben „schlecht geht“, und die trotzdem nicht verlernt haben, sich an den
schönen Dingen unserer Welt zu freuen.
Dabei spielen die grundlegenden
Einstellungen zu sich selber und zu den Mitmenschen eine wichtige Rolle.
Unzufrieden und unglücklich bleibt derjenige, der sich Ziele setzt (oder
sich von andern setzen lässt), die er niemals erreichen kann, der von sich auf
Gebieten besondere Leistungen erwartet, wo seine Fähigkeiten und Begabungen eng
begrenzt sind, und der sich keine Ziele setzt und keine Projekte verfolgt, die
seinem Leben Sinn geben und ihm eine innere Befriedigung vermitteln können.
Unzufrieden und unglücklich bleibt derjenige, der mit tief sitzenden Schuld-
und Minderwertigkeitsgefühlen herumläuft, deren frühkindliche Herkunft aus
mangelnder Mutterliebe oder Vaterliebe er nie bewusst aufarbeiten konnte.
Unzufrieden und unglücklich bleibt derjenige, der aufgrund böser Erfahrungen
mit Menschen in einen misstrauischen Egoismus flüchtet.
Solche
Deformationen der eigenen Person tauchen alles in ein freudloses Grau.
Wenn es einem Menschen dann gut geht, wenn sein Leben so ist, wie er es sich
wünscht, so kann dies Wohlergehen nicht nur durch die Befriedigung der
vorhandenen Wünsche verbessern.
Man kann dies Ziel auch dadurch
erreichen, dass man sich mit diesen Wünschen auseinandersetzt, sie auf ihre
Entstehung hin überdenkt, sie daraufhin prüft, ob die damit assoziierten
Befriedigungen tatsächlich eintreten, ob man sich damit nicht neue Probleme
schafft etc. Wer sich so von manchen Eitelkeiten und fixen Ideen frei gemacht
hat, lebt zufriedener und ist weniger abhängig von anderen und von den
Wechselfällen des Lebens.
Auch wenn diese Bedingungen eines zufriedenen
Lebens nicht im Mittelpunkt dieser Diskussionsrunde stehen, sollte man sie im
Hinterkopf behalten.
In der Hoffnung, dass die Sonne das Novembergrau
noch durchbricht, grüßt Euch Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 20.
Nov. 2005, 23:27 Uhr
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Äh - Philoschall, würdest du mal bitte versuchen, das einem Iraner, einem
Araber, einem Kolumbianer oder z.B. einem Vietnamesen zu erklären?
aber
sag mir bitte auch, was die geantwortet haben
Philoschall, ich bin nicht
interessiert an einer politischen Philosophie, die sich ausschließlich auf das
Abendland oder gar auf Deutschland hin orientiert.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von delfi am 21.
Nov. 2005, 01:14 Uhr
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on 11/20/05 um 23:27:29, Abrazo wrote:Äh - Philoschall, würdest du mal bitte
versuchen, das einem Iraner, einem Araber, einem Kolumbianer oder z.B. einem
Vietnamesen zu erklären?
aber sag mir bitte auch, was die geantwortet
haben
Philoschall, ich bin nicht interessiert an einer politischen
Philosophie, die sich ausschließlich auf das Abendland oder gar auf Deutschland
hin orientiert.
Äh - ich aber, wir leben nun mal hier in
Deutschland.
Philoschall ist der beste!
si tacuisses.......
Salve
[skater]
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von homo_sapiens am
21. Nov. 2005, 10:07 Uhr
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> "Hier möchte ich ein Problem nur andeuten: sind diese Regelungen, die dem Wohl
der Allgemeinheit dienten, nicht abhängig von der Lebensform der Allgemeinheit?"
........ weil wenn sie nur ge mein ........
dann ist eine er
hebung zum konsens
zur besseren organzation
das schlimmste
das
dieser welt passieren kann !
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von MultiVista am
21. Nov. 2005, 16:01 Uhr
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Statt Euphemismus - (gr. »Schönrederei«), der: beschönigender, dabei oft
irreführender Ausdruck. – Berühmte Euphemismen sind z.B. »verscheiden« für
»sterben«, »Friedenstruppe« für »übermächtige Invasionsarmee« oder »Endlösung
der Judenfrage« für »systematische Ermordung möglichst aller Juden«. Oft
verfolgt der Gebrauch von Euphemismen propagandistische Ziele...
sollte
das Streben des Einzelnen und das der GEMEINSCHAFT zu einem Ziel erklärt
werden... > GLÜCK!
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 21.
Nov. 2005, 22:30 Uhr
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Hi,
es gibt zwei Dinge, die mir in dieser Diskussion nicht gefallen.
A: die Beschränkung auf die deutsche/europäische/abendländische Sicht, die
dann automatisch auf die ganze Menschheit bezogen wird, als könnten wir
voraussetzen, dass unsere Lebens- und Denkart für alle Menschen verbindlich sei.
Das ist m.E. unphilosophisch. Tatsache ist, dass Menschen in unterschiedlichen
Kulturen und Lebensformen leben und dass unsere Kultur und Lebensform nur die
einer Minderheit ist, eine unter vielen, die sich selbstverständlich dem
kritischen Dialog mit anderen Kulturen und Lebensformen zu stellen hat und dabei
auch in Kauf nehmen muss, dass nicht alles so wahnsinnig toll und vorbildlich
ist, wie manche es sehen, dass es durchaus auch berechtigte Kritik geben kann.
Wer dazu nicht bereit ist, verweigert den Diskurs mit dem Ziel, einen
friedlichen Konsens zu erreichen.
B: der extreme Individualismus, der
zwar von vielen Abendländern als großartige Errungenschaft hoch geprisen wird,
den ich aber dennoch durchaus für kritikwürdig halte. Extremer Individualismus
heißt, es wird ignoriert, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, das außer
seinem persönlichen Wohlergehen noch jede Menge anderer Wünsche, Ziele und
Interessen hat. Wer dies ignoriert, ignoriert einen wesentlichen Teil
menschlichen Wollens und Strebens.
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Du, Eberhard,
sprichst von der Nachtruhe als Norm. Aber warum soll sie eine Norm sein? Das ist
doch wohl nur dann nötig, wenn unsere Lebensform dies begründet. Wenn wir
tagsüber arbeiten, nachts schlafen und am Wochenende frei haben, dann sind es
letztlich diese Bedingungen, die die Norm sachlich begründen. In Kulturen, in
denen ein Großteil der Aktivitäten bis in die späte Nacht verlegt werden,
müssten die Normen ganz anders aussehen. Und auf Schichtarbeiter wird, da sie
(noch) in der Minderheit sind, auch nicht viel Rücksicht genommen; geht auch gar
nicht, weil man dann nicht mehr die Waschmaschine laufen lassen oder seinen
Rasen mähen könnte.
Daraus folgt: die Voraussetzung für das Abfassen
einer Norm ist der Wille, eine Norm zu errichten. Wie die dann ausgestaltet
wird, folgt eher sachlichen Gründen. Die philosophische Frage - und das ist die
Frage nach dem Gemeinwohl - ist doch die, warum wir überhaupt solche Normen
wollen sollten. Da kommen wir, fürchte ich, mit dem Individualismus letztlich
nicht unendlich weiter. Denn denkbar wäre auch zu sagen, wir brauchen keine
solche Norm, wen der Krach stört, der soll sich doch auf eigene Kosten die
Wohnung schallisolieren. Dann haben wir das sich von sozialen Bindungen und
Verantwortungen isolierende Individuum, das Soziales nur noch als individuelles,
von Fall zu Fall zu befriedigendes Bedürfnis begreift und auf das Gemeinwohl
pfeift - sofern es sich nicht auf übergreifende Verwaltungsaufgaben beschränkt,
wie die Ausgabe von Personalausweisen und die Instandhaltung von Autobahnen. Die
Frage ist, ob wir das wollen.
Die Frage nach der interpersonellen
Nutzenabwägung ist demgegenüber zweitrangig. Nicht, weil sie unwichtig wäre - im
Gegenteil, ich denke, auch damit sollte sich die Philosophie befassen - sondern
weil sie nur dann sinnvoll ist, wenn man sich erst mal für das Vorhandensein von
Gemeinwohldenken und Gemeinwohlzielen entschieden hat.
Das Thema
Zufriedenheit würde ich gerne vertagen. Ich bin mir nicht sicher, ob sie
tatsächlich so große Bedeutung für das Individuum hat. Hier erinnere ich an
Faust, der eine Ahnung von möglicher Zufriedenheit erst bekam, als er an die
eventuelle Trockenlegung eines Sumpfes dachte, während die Lemuren sein Grab
gruben - und deswegen dem Mephisto doch noch abgeluchst wurde. Ist auch
deutsches Denken, allerdings aus einer anderen Zeit, und das war vielleicht
nicht die schlechteste.
"Ach, sprach er, die größte Freud ist doch die
Zufriedenheit." Das stammt wieder aus einer anderen Zeit, dem Biedermeier, und
Wilhelm Busch ließ es Lehrer Lämpel sagen, kurz bevor - rumms - seine Pfeife los
ging.
Auch das Ziel Zufriedenheit erscheint mir also hinterfragenswert.
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Urs_meinte_Euch
am 22. Nov. 2005, 00:59 Uhr
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Hallo miteienander!
Nicht Desinteresse, sondern das "wirklich wahre
Leben" hat mich abrupt aus dieser Diskussion gerissen. Mal sehen, ob ich mich
wieder hineinarbeiten kann. Allerdings wird meine Zeit zum Philosophieren in den
nächsten Wochen begrenzt sein, es gibt viel zu tun - u.a. so etwas Kafkaeskes
wie "Umzugsvorbereitungen auf dem Lande"...
:-)
Grüß Euch!
Urs
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von homo_sapiens am
22. Nov. 2005, 10:32 Uhr
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..... was tun ?
wenn andere bürger nicht menschen würdig leben wollen
sondern raub tierisch ..........
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 23.
Nov. 2005, 09:56 Uhr
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Hallo Abrazo,
zu Deinen Kritikpunkten:
Woran machst Du die
unzulässige Übertragung unserer Denkweise auf die ganze Menschheit fest? Ich
lasse mich gerne von Menschen anderen Kulturen belehren, aber deswegen muss ich
nicht von vornherein meine eigenen begründeten Ansichten aufgeben.
Deiner
Ansicht, „dass der Mensch ein soziales Wesen ist, das außer seinem persönlichen
Wohlergehen noch jede Menge anderer Wünsche, Ziele und Interessen hat“ kann ich
nur zustimmen und habe ich selber ausgeführt.
Die Diskussion über die
Belastung zukünftiger Generationen durch unsere heutige Lebensweise geht zum
Beispiel über diesen individuellen Egoismus hinaus.
Das Gebot der
Nachtruhe war für mich nur ein für jedermann zugängliches Bespiel, um ein
bestimmtes Verhältnis zwischen Gemeinwohl und individuellem Wohl zu diskutieren.
Dass es Lebensformen geben kann, in denen eine andere Regelung des
Schlafbedürfnisses im Interesse der Menschen liegt, ist unbestritten.
Die
Frage nach dem Gemeinwohl ist Deiner Meinung nach die, warum wir überhaupt
solche Normen wollen sollten.
Wenn die Frage gestellt wird: „Soll die
Nachruhe geschützt werden?“, so ist die Antwort: „Wir brauchen keine solche
Norm! Wen es stört, der soll sich selber vor Lärm schützen“ selber eine Norm,
denn was nicht verboten ist, ist erlaubt. Jeder kann dann um Mitternacht zu
seinem Geburtstag Böller und Raketen anzünden so viel er will.
Warum
sollten wir dies nun verbieten?
Meine Antwort: Die Freude der Wenigen am
Feuerwerk wiegt die Schlafstörungen (trotz Ohrstopfen) der Vielen nicht auf,
insbesondere wenn praktisch jeden Tag jemand aus dem Wohnblock Geburtstag hat.
Die Freigabe ist keine Norm, die dem allgemeinen Wohl entspricht.
Warum
soll man überhaupt nach dem Gemeinwohl fragen und die Regeln des Zusammenlebens
danach gestalten?
Meine Antwort: Weil wir - ob wir es wollen oder nicht
– uns immer gegenseitig in die Quere kommen werden (schon als sexuelle Wesen mit
starken Interessen am andern Geschlecht) und weil es mir besser erscheint, nicht
per Fausthieb oder per Furcht vor dem drohenden Fausthieb zu entscheiden, wer
jeweils bestimmt, wo es lang geht und wer zuerst geht.
Es grüßt Dich und
alle Interessierten Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von philoschall am
24. Nov. 2005, 22:12 Uhr
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"Äh - Philoschall, würdest du mal bitte versuchen, das einem Iraner, einem
Araber, einem Kolumbianer oder z.B. einem Vietnamesen zu erklären?" Abrazo &
Hund
"das" ? Wovon redest du?
"Philoschall, ich bin nicht
interessiert an einer politischen Philosophie, die sich ausschließlich auf das
Abendland oder gar auf Deutschland hin orientiert." Abrazo & Hund
Nein?
Wenn das nicht eine leere Behauptung bleiben soll, bitte jene politische
Philosophie, die nicht "ausschließlich auf das Abendland oder gar auf
Deutschland hin orientiert" ist, darstellen. Vielleicht ist es möglich, diesen
Gedankengang dabei zu berücksichtigen?: "B: der extreme Individualismus, der
zwar von vielen Abendländern als großartige Errungenschaft hoch geprisen wird,
den ich aber dennoch durchaus für kritikwürdig halte." Dass wird sicherlich der
Diskussion "Gemeinwohl und Wohl der Individuen" förderlich sein.
Gruß
philoschall
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von philoschall am
25. Nov. 2005, 13:59 Uhr
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Hallo zusammen,
" ... ich aber, wir leben nun mal hier in Deutschland."
delfi
Die Verabsolutierung von gesellschaftlichen Einzelinteressen im
Rahmen liberaler Rechtsstaatlichkeit zeigte sich in Deutschland bereits in den
Jahren 1933 -1945 mit dem Nationalsozialismus. In dieser Zeit manifestierte sich
eine Problematik, die auch heute noch gegeben ist und, die u.a. wichtig bei der
Behandlung des Allgemeinwohles ist. Die seit 1918 in Deutschland ausgegebene
Politik gewährte die formal-rechtliche Gleichheit der Staatsbürger. Dass
Interesse der unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessengruppen entfaltete
sich jedoch nicht im Rahmen der gesellschaftlichen Praktizierung des
formalen-Rechtes der Liberalen Demokratie. 1933 wurde jenes Einzelinteresse ins
"Staatsrecht" gesetzt, dass, auf Antidemokratisches, etwa Rassentheorie,
Einheitspartei ...sich stützend, vermochte als Allgemeininteresse des deutschen
Volkes aufzutreten. Bis 1945 wurde die deutsche Gesellschaft als
"Volksgemeinschaft" ausgebaut, in der jene gesellschaftlichen Interessengruppen
"rechtlich" ausgegliedert wurden, die auf der Ebene des Weimarer
Parlamentarismus versuchten Politik durchzusetzen, die bis 1918, da die
monarchistische Staatsform herrschte, nicht praktiziert werden konnte.
Politische Parteien sind personell und inhaltlich von den jeweiligen Interessen
bestimmt. Pauschal formuliert: Diejenigen, welche die privatwirtschaftliche
Eigentumsordnung, da diese besitzend, verteidigen (lassen). Diejenigen, welche
an den Einrichtungen der Privaten Eigentumsordnung, etwa dem Parlamentarismus,
als Gestaltende mit dem Anspruch teilnehmen, die Ausgestaltung der Gesellschaft
nicht auschließlich den Kräften des Marktes zu überlassen, sondern Gesellschaft
als soziales Gemeinwesen auszubauen. Parteibildungen, deren Programatik nicht
aus dem Haben und der parlamentarischen Teilnahme an diesem Ordnungsgefüge
resultiert, sondern aus dem Begehren daran teilzunehmen bezw. diese Ordnung zu
stürzen und in ihrem Interesse zu formen. Erstere Parteibildung ist die
liberale, zweitere die Sozialdemokratische, in der dritten werden sich jene
finden, die als Opposition auftreten.
Politische Theorie, die mit dem
Anspruch auftritt, nicht nur "auf das Abendland oder gar auf Deutschland hin
orientiert" zu sein, könnte sich beispielsweise von der Frage bewegen lassen, in
welchen Allgemeinformen gesellschaftliche Interessen sich organisieren, deren
Leitbild nicht der bürgerliche Individualismus ist.
Gruß
philoschall
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von delfi am 25.
Nov. 2005, 20:30 Uhr
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on 11/25/05 um 13:59:22, philoschall wrote:......Diejenigen, welche die
privatwirtschaftliche Eigentumsordnung, da diese besitzend, verteidigen
(lassen).
(=liberal)......
Diejenigen, welche an den Einrichtungen der
Privaten Eigentumsordnung, etwa dem Parlamentarismus, als Gestaltende mit dem
Anspruch teilnehmen, die Ausgestaltung der Gesellschaft nicht auschließlich den
Kräften des Marktes zu überlassen, sondern Gesellschaft als soziales Gemeinwesen
auszubauen.
(=sozialdemokratisch)
hi, philoschall, ich
vermisse eine Wertung deiner politischen Analyse:
die Einteilung in besitzend
und nicht besitzend ist mir einfach zu klassenkämpferisch, sie wird der Realität
unserer extrem arbeitsteiligen Gesellschaft nicht gerecht. Diese Arbeitsteilung
ist gleichzeitig auch eine Wissensaufteilung, -aufspaltung (Fachidioten). Keiner
weis mehr alles, was jedoch das Selbstbewusstsein von Politikern in ihrem
Nichtwissen nicht entschuldigt. Die Arbeitsteilung ist andererseits der
deutlichste Ausdruck von Abhängigkeit und kollektivem Charakter des Spezies
Mensch. Für mich ist es schwer nachvollziehbar dass dieser abhängige Teil im
geäusserten Selbstverständnis des westlichen Bürgers (Individualismus) gerade zu
geleugnet, ausgeklammert und verdrängt wird. Im Streben zur Selbstverwirklichung
oder Emanzipation von allem und jedem wird das unabhängige Individuum
verherrlicht, das nicht existiert.
Alle idealen Vorstellungen von extremem
Liberalismus müssen vor dem Hintergrund dieser Begrenztheit individuellen
Wissens und der damit verbundenen realen Abhängigkeiten scheitern.
Ich sehe
ganz pragmatisch die völlig unverzichtbare Notwendigkeit einer staatlichen
Ordnungsmacht (egal ob "rechts- oder links-orientiert") in der Aufstellung und
Überwachung von Regeln, die verhindert, dass das Ende der "Produktionskette"
also der Kunde oder Privatbürger nicht beschädigt wird. Das hört sich vielleicht
etwas "technisch" an, aber der augenblickliche "Fleischskandal" zeigt was ich
meine. Staatliche Ordnungsmacht meint hier weniger aktuelle Politik, die wird in
ihrer Bedeutung m.E. stark überschätzt, sondern der ganze Unterbau mit
sinnvollen Regeln etwa des Nahrungsmittel- Arzneimittel- und
Produkt-Haftungsrechtes. Ein völlig freier Markt würde zu massenhafter
Vergiftung und anderem des "Konsumenten" führen, der ja gar nicht mehr alleine
wissen kann was gut oder schlecht für ihn ist.
Die Sicherheit, die der
anonyme Staat dem einzelnen gewähren muss und auch gewährt, ist wiederum in
seiner notwendig generalisierenden Betrachtung immer lückenhaft und es ist ja
oft wie ein Hase und Igel-Spiel wenn der (schlechte) Gesetzgeber seiner mit
heisser Nadel gestrickten neuen Gesetzte wegen unvorhergesehenen "Nebenwirkung"
ständig nachbessern muss.
Es ist daher die technologisch fortgeschrittene
Industriegesellschaft alleine, die eine sehr kompetente staatliche Ordnungsmacht
erfordert. In weniger entwickelnder Ländern ist diese ins Detail gehende
Regelung zunehmend entbehrlich, weshalb möglicherweise Überlebenshilfe noch
stärker in kleinen Gemeinschaften, insbesondere im Familienverbund zu leisten
ist.
Man könnte aus dieser Sicht beim modernen Industriestaat von einem
Übergang familiärer Gemeinschaftsfunktionen auf den anonymen Staat sprechen. Ich
sehe in dieser soziokulturellen Diskrepanz die Hauptschwierigkeit einer
allumfassenden globalen Verhaltensethik. Mit der Feststellung "wir leben nun mal
hier in Deutschland" meine ich also mehr den strukturellen kulturtechnischen
Differenzierungsgrad als "nationale Charaktereigenschaften", die es sicher noch
zusätzlich gibt.
Ich erinnere mich gerne an die letzte hier in Deutschland
stattfindende Weltausstellung "Expo 2000" in Hannover.
Was mich hier
fasziniert hat, war ausschliesslich der ferne Osten mit einer viel weniger
individualistischen Selbstdarstellung trotz reichlichem Einsatz moderner
Technologie. Sie erschienen mir viel glücklicher. Dies spricht für meine
Bevorzugung für stärkere menschliche Bindungsbereitschaft. Aber ich weiss, dass
ich damit hoffnungslos ausserhalb des "Trends" liege.
Salve
[skater]
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von philoschall am
26. Nov. 2005, 20:15 Uhr
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Hallo delfi und Interessierte,
" ... die Einteilung in besitzend und
nicht besitzend ist mir einfach zu klassenkämpferisch, sie wird der Realität
unserer extrem arbeitsteiligen Gesellschaft nicht gerecht." delfi
Die von
mir hier vorgetragene Einteilung wird erst dann klassenkämpferisch ausgedeutet,
wenn das Interesse derjenigen politischen Interessengruppe, welche den gegebenen
Zustand revolutionär stürzen will, favorisiert wird. Diese Ausdeutung der
parteipolitischen Sphäre ist lediglich eine von mehreren, die diese Einteilung
ermöglicht. Realität ist, dass die Produktionsmittel privatwirtschaftlich
organisiert sind, dass die vom Lohnabhängigen geleistete Arbeit entsprechend
geregelt wird. Mit den Parteiengefüge vollzieht sich Politik im öffentlichen
Raum der Medien ..., - die Organisation der Wirtschaft dagegen bleibt diesem
Raum entzogen.
"Für mich ist es schwer nachvollziehbar dass dieser
abhängige Teil im geäusserten Selbstverständnis des westlichen Bürgers
(Individualismus) gerade zu geleugnet, ausgeklammert und verdrängt wird. Im
Streben zur Selbstverwirklichung oder Emanzipation von allem und jedem wird das
unabhängige Individuum verherrlicht, das nicht existiert."
Die von Dir
sogennannte "Abhängigkeit" wird nicht "geleugnet, ausgeklammert und verdrängt."
Diese ist vielmehr die materialistische Grundlage der Dynamik der Demokratie,
mit der auch die Anhänger liberaler Demokratie auftreten, denen die von ihnen
ausgegebenen Abhängigkeiten gar keine sind. Dass bürgerlich-verabsolutierte
Individuum ist die theoretische Ausrichtung - der Ausgangs und Endpunkt, der
Dreh- und Angelpunkt der bürgerlichen Emanzipation von der mittelalterlichen
Feudalherrschaft bis heute - mit der die Praxis der Privatwirtschaftsordnung
einhergeht. Mit dieser Ausrichtung werden immer noch Ideen favorisiert, die der
von dieser Privatwirtschaftsordnung geschaffenen Wirklichkeit der Alltagspraxis,
etwa des Staatsbürgers als Konsument des Warenmarktes, entgegenstehen. Die
Annahme, dass jeder Staatsbürger im Sinne des liberal ausgegebenen sich
tatsächlich verwirklichen soll, beruht auf der weitverbreiteten
Fehleinschätzung, deren Ideengehalt im Politischen für bare Münze zunehmen. Die
Einlösung der verabsolutierten Idee des bürgerlichen Individualismus wäre nicht
nur die Besiegelung der Abschaffung der politischen Parteien. Klappern gehört
zum Handwerk.
Der von Dir angeführte freie Markt und deren angedeuteten
Wirkungen auf den Staatsbürger als Konsument lässt sich im Sinne des
Verbrauchers nur regeln, wenn der Staat einen "Unterbau mit sinnvollen Regeln
etwa des Nahrungsmittel- Arzneimittel- und Produkt-Haftungsrechtes."
organisiert. Dass sind Züge jener postmodernen Industriestaatlichkeit, der einer
Politik geblieben ist die vor dem Umbau der Wirtschaft resignierend, den
industriell-vergesellschafteten Staatsbürger als Konsumenten favorisiert -
darauf reduziert? Diese Verbraucher-Staatspolitik ist eine postmoderne Spielart
mit der die parteipolitischen Interessen von Volksparteien und
Oppositionsparteien so bedingt werden, dass diese ausser Gefecht gesetzt werden.
Nicht parteipolitische Einzelinteressen tragen zur Ausgestaltung der
Gesellschaft bei, diese werden von Marktgesetzlichkeit sowie "verschlanker
Staatlichkeit" ausgeblendet.
"Es ist daher die technologisch
fortgeschrittene Industriegesellschaft alleine, die eine sehr kompetente
staatliche Ordnungsmacht erfordert. In weniger entwickelnder Ländern ist diese
ins Detail gehende Regelung zunehmend entbehrlich, weshalb möglicherweise
Überlebenshilfe noch stärker in kleinen Gemeinschaften, insbesondere im
Familienverbund zu leisten ist." delfi
Global auftretende Konzerne lassen
sich die Grundlagen für die Umsetzung ihrer privatwirtschaftlichen Interessen in
den Industriegesellschaften mittels "verschlankter Politik" schaffen. In weniger
industriell entwickelten Gesellschaften wird der im Westen weiterhin ausgebenene
verabsolutierte Individualismus ebenfalls favorisiert. Die praktische Aufgabe,
die diese Idee im Politischen erfüllt ist jene, die im Abendland seit der
bürgerlichen Revolution favorisiert wird: nicht-bürgerliche Lebensweisen im
Namen der Gleichheit ..., getragen von priviligierten Gesellschaftsschichten,
aufzulösen. Abendländische Postmoderne versucht das in aussereuropäischen
Ländern einzuholen, damit die Kolonialisierung überholend, was bereits im
Abendland seit Jahrunderten staatspolitisch praktiziert wird:
nicht-demokratisierte Gesellschaft im Sinne der Privatwirtschaft umzubauen.
"Man könnte aus dieser Sicht beim modernen Industriestaat von einem Übergang
familiärer Gemeinschaftsfunktionen auf den anonymen Staat sprechen. Ich sehe in
dieser soziokulturellen Diskrepanz die Hauptschwierigkeit einer allumfassenden
globalen Verhaltensethik."
Ist aussereuropäisch das umgesetzt, was
bereits mit dem verabsolutierten Individualismus in den Industriegesellschaften
seit Jahrhunderten demokratisch praktiziert wird, würde dort ebenfalls die oben
vorgetragene Einteilung gesellschaftlicher Interessen und deren
parteipolitischer Organisierung greifen. Weder die Wirtschaftsorganisierung in
USA noch Asien weisen jedoch die gesellschaftlichen Muster auf, die etwa mit dem
abendländisch-individualisierten Parteiengefüge aufgetreten. Nicht
auszuschliessen, dass die seit der Neuzeit im Abendland aufgetretene
Wirtschaftsorganisierung den öffentlichen Raum der Industrievergesellschaftung
so ausgestalten lässt, dass der Staat im Rahmen globaler Marktgesetzlichkeit
bereits entindivudalisierte Züge praktizierte. Die ALLTÄGLICHE LEBENSPRAXIS DER
VIELEN - in der der theoretisch verabsolutierte Individualismus eine andere
Funktion erfüllt, als dieser für deren Wenigen Protagonisten erfüllt - wurde in
Deutschland bereits von 1933 bis 1945 entindividualisiert. Die
ENTINDIVIDUALISIERUNG DER VIELEN wird bereits in den Industriegesellschaften
seit längerem mit dem Rückbau der sozialen Marktwirtschaft praktiziert. Mit der
Demontage die dem öffentlichen Gemeinwesen dienenden staatlichen Strukturen,
geht die Entindividualisierung süd- und mitteleuropäischer
Massen-Vergesellschaftung einher. Die süd- und mitteleuropäische Annäherung an
jene aussereuropäischen Vielen und nahosteuropäischen Vielen des
EU-Wirtschaftsraumes deren "Bindungsfähigkeit" nicht aus Parteiengefüge
resultiert, deren individuelle Entfaltung mit der repräsentativen Demokratie
sich nicht manifestiert, ist auf dem Weg gebracht. Die "Bindungsfähigkeit" der
süd- und mitteleuropäischen Vielen wurde bereits nachhaltig umgepolt: diese
resultiert zunehmend aus der von der Sozialstaatlichkeit entkernten
Wirtschaftsorganisierung, die den Gewendeten nun als Glied der von dieser
Wirtschaftsordnung bedingten Schicksalsgemeinschaft erscheinen lässt.
Öffentliche Normen sozialen Gemeinwesens, in der weite Gesellschaftsschichten
sich wiederfanden, werden im Sinne der Privatisierung demontiert; industrielle
Gesellschaften werden entindividualisiert, wenn deren öffentliche
Strukturierungen privatisiert werden, wenn staatliche Regelung auf den
"Nachtwächterstaat" reduziert wird, der im Inneren die Ruhe und Ordnung
organisierend, auftritt. Wäre die "Hauptschwierigkeit einer allumfassenden
globalen Verhaltensethik" - jedenfalls von der Seite des EU-Wirtschaftsraumes! -
überwunden, wenn der Industriestaatlichkeit gelungen, die süd-, mittel- und
mitteleuropäischen Vielen so mitzunehmen, dass diese Mitträger des
"verschlankten Staates" geworden? Mit diesem praktischen
Entindividualisierungsprozess Süd- und Mitteleuropas geht der Liberalismus
bereits jenen Weg der Annäherung, der für die Vielen des EU-Wirtschaftsraumes
die Ankoppelung an den nicht erst zu entindividualierenden Gesellschaftsraum
aussereuropäischer Wirtschaftsstandorte, etwa jenes Chinas, bedingt.
Gruß
philoschall
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 27.
Nov. 2005, 00:14 Uhr
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Hi, Eberhard,
also, ich hab doch extra für dich einen dicken Strich
zwischen meine allgemeinen Bemerkungen und meine Bemerkungen auf dein Posting
gemacht! :-)
Irgendwie scheinen wir an einem toten Punkt angekommen zu
sein. Ich kann sagen, wir leben in einer bestimmten Lebensform, die, damit sie
funktioniert, bestimmte Sachzwänge zur Folge hat, wie die ungestörte Nachtruhe.
Das kann jeder vernünftige Mensch einsehen - nur, ist das ein Thema der
Philosophie?
Die Sache lässt mich unbefriedigt zurück. Vielleicht
verstehe ich auch nicht richtig, was du willst.
Aber vielleicht führt das
Stichwort Sachzwang weiter. Lassen wir uns vielleicht von Sachen zwingen, die
wir selbst geschaffen haben und die uns eigentlich gar nicht zwingen können?
Könnte es eventuell sein, dass der Sachzwang das Gemeinwohl ersetzt, so dass es
deswegen - scheinbar - unmodern geworden ist?
Sachzwang ist eine Frage
der Notwendigkeit. Gemeinwohl eine Frage des Willens. Wenn ich mich Sachzwängen
unterworfen sehe, ist mein Willen belanglos.
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von karobra am 27.
Nov. 2005, 12:59 Uhr
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[quote author=Abrazo
Sachzwang ist eine Frage der Notwendigkeit. Gemeinwohl
eine Frage des Willens. Wenn ich mich Sachzwängen unterworfen sehe, ist mein
Willen belanglos.
Gruß[/quote]
Hallo Abrazo!
Könnte es nicht
auch genau umgekehrt sein? Denn: Sachen haben keinen Willen, wohl aber Personen.
Sachzwänge entstehen also nicht von selbst, sondern werden von Personen -
durchweg bewusst und willentlich - hergestellt. Wenn solche Sachzwänge viele
oder alle betreffen, muss über sie in einem demokratischen Rechtsstaat Konsens
vorhanden sein. Unrechtmäßiger Zwang ist nicht akzeptabel.
Daher gibt es
"Sachzwänge", denen man sich widersetzen kann und muss, z.B. durch Wahrnehmung
des Petitionsrechts. Fazit: Sachzwang ist keineswegs immer eine "Frage der
Notwendigkeit".
Und Gemeinwohl ist nicht nur eine "Frage des Willens". Wenn
alle nur noch auf ihr eigenes Wohl bedacht sind, geht das Gemeinwohl zum Teufel,
wird wieder der Mensch zum Wolf des Menschen ("homo homini lupus"), gibt es gar
keinen
Rechtszustand mehr.
Folglich ist es eine zwingende Notwendigkeit,
sich nicht nur um das eigene Wohl, sondern auch um das der Gemeinschaft (auch
z.B. der Gemeinschaft der Völker) zu kümmern. Dabei ist der Wille des Einzelnen
nicht immer unbedingt förderlich. Denn der Mensch ist nun mal ein egoistisches
Wesen, das allerdings nicht umhin kann, irgend eine Balance von Egoismus und
Altruismus (und sei es aus egoistischen Gründen!) herzustellen bzw. zu
akzeptieren. Welche Probleme damit verbunden sein können, habe ich dargestellt
in:
www.information-philosophie.de/philosophie/robraethik.html
MfG
k.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 27.
Nov. 2005, 13:49 Uhr
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Hi karoba,
Sachzwänge entstehen also nicht von selbst, sondern werden von
Personen - durchweg bewusst und willentlich - hergestellt.
Das kann man
generell nicht sagen (Flüssigkeit aufnehmen zu müssen ist ein Sachzwang, der
aber weder bewusst noch willentlich hergestellt wurde), aber sehr oft. Das
Problem, auf das ich abziele ist, den natürlicherweise bestehenden Sachzwang vom
hergestellten zu unterscheiden.
Wenn ich sage, in unserer Lebensform wird
tagsüber gearbeitet, dann ist die Einhaltung der Nachtruhe ein Sachzwang. Dass
sie das ist hängt aber ab von der Lebensform. Andere Lebensformen ziehen andere
Sachzwänge nach sich; im Verhältnis zur Lebensform ist der Sachzwang hier also
eine abhängige Variable.
Problematisch wird die Sache dann, wenn eine
Gesellschaft abhängige und unabhängige Variable verwechselt. Dies ist imho bei
Wirtschaftsfragen der Fall. Die Wirtschaft wird oft als quasi vom Menschen
unabhängige Wesenheit begriffen, deren Sachzwängen der Mensch unterworfen ist
wie dem Wetter.
Ich halte nicht viel davon sich zu überlegen, wie es
denn sein sollte, ohne erst mal zu prüfen, wie es denn ist. Was ist, sind
vielfach Denkfehler. Dinge, die für selbstverständlich gehalten werden (wir
müssen uns wirtschaftlichen Zwängen unterwerfen), die gar nicht
selbstverständlich sind, sondern von bewussten oder unbewussten (tradierten)
Willensentscheidungen abhängig sind, die man erst mal ans Tageslicht befördern
muss. Tut man das nicht, muss man nämlich mit der Reaktion rechnen, is ja ganz
nett, was du da sagst, bloß, die Verhältnisse, die sind nicht so.
In
diesem Zusammenhang ist imho auch der extreme Individualismus zu sehen; da sehe
ich mich gar nicht so weit entfernt von Philoschall. Humankapital besteht aus
einer Menge von Individuen, die mehr oder minder beliebig zwecks Produktivität
einsetzbar sind. Tatsächlich sind sie das nicht, weil sie in einen sozialen
Kontext eingebunden sind. Hier dem wirtschaftlichen Sachzwang Priorität
einzuräumen führt zu nicht-artgerechter Menschenhaltung.
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von karobra am 27.
Nov. 2005, 22:44 Uhr
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[quote author=Abrazo link=board=politik;num=1131198516;start=75#86 date=11/27/05
um 13:49:44]Hi karoba,
Sachzwänge entstehen also nicht von selbst,
sondern werden von Personen - durchweg bewusst und willentlich - hergestellt.
Das kann man generell nicht sagen (Flüssigkeit aufnehmen zu müssen ist ein
Sachzwang, der aber weder bewusst noch willentlich hergestellt wurde), aber sehr
oft. Das Problem, auf das ich abziele ist, den natürlicherweise bestehenden
Sachzwang vom hergestellten zu unterscheiden. ... <
Einverstanden! Aber:
Was sind denn nun die "natürlicherweise bestehenden Sachzwänge"? Die
Notwendigkeit der Flüssigkeitsaufnahme halte ich nicht für einen "Sachzwang",
sondern für einen Trieb, der einem elementaren körperlichen Bedürfnis des
Menschen entspricht. Ein Trieb ist nicht einfach eine "Sache". Ob die Natur
überhaupt "Zwang" ausübt, wage ich zu bezweifeln. Die Natur ist, wie sie ist,
d.h. wie sie sich in Jahrmilliarden der Evolution entwickelt hat. Hier den eher
bürokratischen Terminus "Sachzwang" zu verwenden, halte ich nicht für adäquat,
auch wenn gelegentlich z.B. statt vom 'Harndrang' vom 'Harnzwang' die Rede
ist... [grin]
Im Übrigen, wie gesagt, durchweg (d.h.: größtenteils)
einverstanden!
MfG
k.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 27.
Nov. 2005, 23:17 Uhr
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Hallo Abrazo,
Ist die Nachtruhe ein philosophisches Thema? Wohl kaum,
aber es ist ein philosophisches Thema, wenn es um die Frage geht, wie man für
oder gegen eine bestimmte Regelung oder auch Nicht-Regelung zum Schutz der
Nachtruhe argumentieren kann.
Ich habe ja Dein Beispiel aufgegriffen. Du
hattest jahrelang unter dem fröhlichen Treiben in der Mensa nebenan zu leiden.
Die Studenten hatten Spaß an ihren Feten und Du wolltest schlafen.
Es gab
einen Widerspruch zwischen dem, was für die Studenten gut war, und dem, was für
Dich gut war. Die philosophische Frage ist: Wie können Menschen mit dem (guten)
Willen zur Einigung in einem solchen Fall argumentieren?
Was ist
angesichts der miteinander nicht zu vereinbarenden Willensinhalte das gemeinsame
Interesse? Welche Lösung des Konflikts entspricht einem Gemeinwohl, das auch
allgemein akzeptabel, also konsensfähig sein sollte?
Es grüßt Dich und
die ganze Runde Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 27.
Nov. 2005, 23:47 Uhr
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Hi, Eberhard,
Die philosophische Frage ist: Wie können Menschen mit dem
(guten) Willen zur Einigung in einem solchen Fall argumentieren?
Vielleicht müssten wir noch mal auf den guten Willen zurück gehen. Wenn einer
sagt, ich bin für Liberalität, jeder hat die Freiheit, seine Behausung
schalldicht zu machen und jeder hat das Recht, zu lärmen wie er will: können wir
dann tatsächlich von mangelndem guten Willen zur Einigung sprechen? Wenn einer
sagt: will ich nicht, mag ich nicht, gefällt mir nicht, ok. Aber wenn einer
sagt, ich vertrete andere Grundprinzipien?
Was ist angesichts der
miteinander nicht zu vereinbarenden Willensinhalte das gemeinsame Interesse?
Unter welchen Voraussetzungen können wir überhaupt davon ausgehen, dass es bei
nicht zu vereinbarenden Willensinhalten ein gemeinsames Interesse gibt?
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 28.
Nov. 2005, 00:40 Uhr
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Hi, karoba,
Die Notwendigkeit der Flüssigkeitsaufnahme halte ich nicht
für einen "Sachzwang", sondern für einen Trieb, der einem elementaren
körperlichen Bedürfnis des Menschen entspricht.
Ist m.E. eine Frage der
Perspektive. Für das dürstende Individuum ist Durst ein Gefühl, der Drang zu
trinken Trieb oder was auch immer.
Für das Wasserwerk ist die Beschaffung von
Trinkwasser ein Sachzwang, der z.B. dazu führt, dass der Betrieb nicht ohne Not
und Ersatz liquidiert werden kann.
Ebenso ist die Beschaffung von Wasser für
einen Staat ein Sachzwang, dem er sich nicht entziehen kann.
Die Natur
zwingt nicht? Insofern nicht, als dass sie keine selbständig agierende Wesenheit
ist. Aber die lebensnotwendigen Bedürfnisse sind Zwänge, und zwar die stärksten,
die es für Menschen überhaupt gibt - denn wenn man ihnen nicht folgt, folgt der
Tod. Und ich halte es für ausgesprochen nützlich, wenn man alle anderen
tatsächlichen oder scheinbaren Zwänge an diesen natürlichen Zwängen misst; das
relativiert nämlich.
Auf Literatur und Poesie nehme ich in der
Philosophie keine Rücksicht. Wir nennen etwas so und ich gucke mir an, was das
ist, das wir so nennen. Wenn ich dabei feststelle, etwas ist gleich, dann weise
ich auch mit dem gleichen Namen auf die Gleichheit hin.
Woraus sich dann
die nicht uninteressante Frage ergibt, wieso wird die 'Freisetzung' von
Arbeitskräften ebenso zwingend genannt wie die Beschaffung von Zelten für
Pakistan?
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 28.
Nov. 2005, 11:24 Uhr
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Hallo Abrazo,
wenn jemand eine Position vertritt hinsichtlich der Frage,
wie ein bestimmter Konflikt zu regeln ist, und
wenn er diese Position
gegenüber beliebigen anderen –also allgemein – vertritt, und
wenn er
diese Position nicht nur behauptet sondern sich dem Anspruch stellt, diese
Behauptung durch intersubjektiv nachvollziehbare und übernehmbare Argumente
einzulösen (was bedeutet, dass er für die von ihm behauptete Position Gründe
hat, die er den andern mitteilen kann und die für die andern ebenfalls Gründe
sind),
dann kann man ihm den „guten Willen“, den Willen zur zwangfreien
Einigung, zum argumentativen Konsens nicht absprechen.
Aus diesem Willen
zur Einigung, zur Orientierung auf den Konsens lassen sich nun Kriterien für die
Güte der Argumente gewinnen, indem man jeweils fragt: Kann dies Argument dazu
beitragen, den Konsens zu erreichen oder bekräftigt es nur den Konflikt?
Beispiele für konsensuntaugliche Argumente der Feten-Befürworter wären z.
B.:
“Der alte Griesgram gönnt uns ja nur nicht unseren Spaß“
(Motivunterstellungen gehen auf die Argumente des andern nicht ein, sondern
„unterlaufen“ sie),
“Uns bringt die Fete Spaß – und das ist für uns das
Entscheidende“ (Egozentrische Prinzipien verhindern einen Konsens),
Beispiele für konsensorientierte und deshalb geeignete Argumente der
Feten-Befürworter wären:
“Solche Feste bedeuten uns sehr viel. Hier kann
man sich kennen lernen und es sind zugleich die festlichen Höhepunkte des
Uni-Lebens. Zum Beginn und zum Abschluss eines Semesters, also vier Mal im Laufe
eines Jahres müsste das deshalb für die Anwohner zumutbar sein.“
“Denken
Sie doch mal zurück, wie das war, als sie selber jung waren! Dann verstehen sie
uns vielleicht etwas besser. Wir machen das doch nicht, um zu provozieren oder
um Sie zu ärgern. Wenn man tanzen will, dann muss die Musik schon eine gewisse
Lautstärke haben.“
Während sich diese Argumente auf der Ebene der
inhaltlichen Richtigkeit bewegen, gibt es andere Argumente, die sich auf diesen
inhaltlichen Streit nicht einlassen, sondern die auf der Ebene der
Verbindlichkeit von Normen argumentieren, die von anerkannten Institutionen
gesetzt sind.
Ein Beispiel für diese Art der Argumentation wäre:
„ Sie
wissen doch, dass gemäß geltender Lärmschutzverordnung nach 22:00 Uhr Uhr
ruhestörender Lärm zu unterlassen ist.“
Ein solches Argument setzt die
Anerkennung der bestehenden Verfahren der Normsetzung voraus.
Gegen ein
solches Argument, das sich auf der Ebene verbindlich gesetzte Normen bewegt, ist
es deshalb auch unzulässig, rein inhaltlich von den Interessen der Beteiligten
her zu argumentieren und zu fragen, ob es in diesem speziellen Fall richtig ist,
die Fortsetzung der Fete zu gestatten oder nicht.
Normsetzende Verfahren
sind gerade deswegen notwendig, weil der inhaltliche Konsens häufig nicht – oder
zumindest nicht rechtzeitig – erreicht wird.
Deshalb kann man die
Verletzung einer verbindlich gesetzten Norm auch nicht mit dem Argument
rechtfertigen, dass man diese Norm für inhaltlich (sachlich) falsch halte.
Allerdings kann man die Verfahren der Normsetzung, also die Verfassung der
Gesellschaft, ebenfalls in Frage stellen. Dabei muss man sich jedoch darüber
klar sein, dass eine solche Haltung erheblich Konsequenzen hat, die letztlich
bis zum offenen Bürgerkrieg gehen können.
Mit Grüßen an die Runde
Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von philoschall am
28. Nov. 2005, 11:50 Uhr
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Hallo Abrazo und Interessierte,
"Ich halte nicht viel davon sich zu
überlegen, wie es denn sein sollte, ohne erst mal zu prüfen, wie es denn ist.
... In diesem Zusammenhang ist imho auch der extreme Individualismus zu sehen;
da sehe ich mich gar nicht so weit entfernt von Philoschall. Humankapital
besteht aus einer Menge von Individuen, die mehr oder minder beliebig zwecks
Produktivität einsetzbar sind. Tatsächlich sind sie das nicht, weil sie in einen
sozialen Kontext eingebunden sind. Hier dem wirtschaftlichen Sachzwang Priorität
einzuräumen führt zu nicht-artgerechter Menschenhaltung." Abrazo
Das
wirtschaftliche Interesse ist das Auschlaggebende; dieses Interesse gibt seit
der bürgerlichen Revolution die, u.a. politisch-theoretischen Vorgaben für die
gesellschaftlichen Felder ab, auf dem auch die Frage nach Sachzwang sowie
menschlichen Willen - solange nicht, etwa in philosophisch-theoretischen
Diskursen der Willensfreiheit verblieben wird - zum Austrag kommt. Mit der
Entfaltung abendländischer Naturwissenschaft, der damit verbundenen
Technisierung auch der Arbeitswelt wird die industriale Ausgestaltung der
betreffenden Gesellschaften praktiziert, deren (soziologische) Ausgestaltung
beispielsweise mit der Anwendung oben angeführter Einteilung greif- somit
begreifbar wird.
Wirtschaftliches Interesse ist nicht daran orientiert,
soziale Kontexte in ihrem jeweiligen Dasein zu belassen und zu akzpetieren - das
ist aufgrund der bürgerlich-technischen Expansion und des
abendländisch-politisch-theoretischen Ideengehaltes, des in mannigfaltigen
Formen auftretetenden verabsultierten Individualismus, ausgeschlossen. Ausser-
sowie Innereuropäische Lebensweisen, die nicht der bürgerlichen Existenz
entsprechen, werden, u.a. mit politisch-theoretischen Vorgaben - deren Ideen
stets um den verabsolutierten Individualismus kreisen - so geformt, dass diese,
da in dem Sog des wirtschaftlichen Interesses gezogen, verwertbar werden.
Liberale Demokratie ist die politische Ausgabe derjenigen wirtschaftlichen
Interessengruppe, die, auch mit vom Geist in Politik herabgezogenen Ideen
auftretend, jene gesellschaftlichen Veränderungen verschleiert-kultiviert, die
mit den technischen Anwendungen industrial sich verzeitigen.
Der von
Abrazo angeführte Begriff des Sachzwanges trifft die Sache - wie ich meine -
nicht genau genug. Den wirtschaftlichen Interessengruppen ist das, dass anderen
gesellschaftlichen Interessengruppen als Sachzwang (Ohnmacht) erscheinen vermag,
alles andere als Notwendigkeit: die Verfügbarkeit über die Produktionsmittel,
der damit gegebene Gestaltungsspielraum (Macht), lässt den menschlichen Willen -
jedenfalls in der ökonomisch-soziologischen Sphäre - als Relativen auftreten.
Bürgerliche Gesellschaft wäre nicht, wenn Menschen - um Abrazos Begriff
aufzunehmen - artgerecht vermögen zu leben.
"Aber die lebensnotwendigen
Bedürfnisse sind Zwänge, und zwar die stärksten, die es für Menschen überhaupt
gibt - denn wenn man ihnen nicht folgt, folgt der Tod. Und ich halte es für
ausgesprochen nützlich, wenn man alle anderen tatsächlichen oder scheinbaren
Zwänge an diesen natürlichen Zwängen misst; das relativiert nämlich." Abrazo
Ja! Jedoch, diese Nützlichkeit ausgeben, bleibt ohne Einsicht in die
Lebensnotwendigkeit somit auch ohne Erkenntnis und Wissen, etwa von
Selbstverständlichkeiten wie den westlichen Verabsolutierungen des Denkens sowie
des Handelns als menschlich-grandiose Irrtümer, lediglich Schall und Rauch. Aber
immerhin, die Richtung stimmt - philosophische Rodungsarbeiten sind hier zu
favorisieren.
Gruß
philoschall
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Urs_meinte_Euch
am 28. Nov. 2005, 16:04 Uhr
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Hallo Abrazo!
Kurze, aber elementare Überlegung zum Begriff des „Zwangs“.
Du schreibst:
Quote:Aber die lebensnotwendigen Bedürfnisse sind
Zwänge, und zwar die stärksten, die es für Menschen überhaupt gibt - denn wenn
man ihnen nicht folgt, folgt der Tod.
Das leuchtet mir nur
bedingt ein. Denn nur in extremen Lagen wird die Befriedigung elementarer
Bedürfnisse zum„Zwang“. So z.B. die Nahrungszufuhr während einer Hungersnot oder
für einen Menschen im Hungerstreik oder einen Magersüchtigen. Normalerweise aber
ist das Essen kein Zwang, sondern eine Lust. Selbst eine Sucht kann, wenn sie
sich in einem kontrollierbaren Rahmen hält, als Lust erfahren werden. Siehe den
Werbespruch „Ich rauche gern“ - den ich übrigens voll unterschreiben könnte,
obwohl ich mir keine Illusionen über meine Nikotinabhängigkeit mache.
Aber ich bin ja auch „nahrungssüchtig“ und – seit der Entfernung meiner
Schilddrüse vor vielen Jahren – „süchtig“ nach einer täglichen Dosis von 125
Mikrogramm Thyroxin. Außerdem bin ich ein totaler „Junkie“, was grünen Tee
angeht; schon oft hab ich morgens, mit der ersten dampfenden Tasse „Temple of
Heaven“ in der Hand, gebrummelt: „Ohne Tee ist das ganze Leben ein Dreck!“
:-)
Ist das Wachstum für eine dem Sonnenlicht entgegenwachsende
Pflanze ein Zwang? Ist es für heranwachsende Kinder ein Zwang, „groß“ zu werden?
Nein, es ist ihr eigener, sehr starker Wunsch und Antrieb.
Ist es für den
Radfahrer ein Zwang, das Gleichgewicht zu halten? Nur für den Anfänger, der es
noch nicht richtig kann. Sind Grammatikregeln Zwänge? Nur für den, der sie nicht
beherrscht. Ist das Verbot des Diebstahls ein Zwang? Nur für den, der nie
gelernt hat, das Eigentum anderer Menschen zu achten. Ist es für den Autofahrer
ein Zwang, auf der rechten Fahrbahn zu fahren, um den Zusammenstoß mit dem
Gegenverkehr zu vermeiden? Wohl nur für einen schwachsinnigen oder betrunkenen
Fahrer...
Und so weiter.
Es hängt also offenbar vom Standpunkt
bzw. vom Bezugssystem ab, ob die Einwirkung einer Kraft, ob ein Bedürfnis oder
eine Regel als „Zwang“ bestimmt werden kann oder nicht. D.h. es gibt hier eine
wichtige Pluralität von möglichen Standpunkten.
Welchen von den
verschiedenen möglichen Standpunkten nimmst nun Du ein, wenn Du lebensnotwendige
Bedürfnisse grundsätzlich als Zwänge einordnest?
Es grüßt Dich
Urs
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 29.
Nov. 2005, 22:28 Uhr
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Hi zusammen,
soweit so gut, Eberhard, aber:
Kann dies Argument
dazu beitragen, den Konsens zu erreichen oder bekräftigt es nur den Konflikt?
Setzt dies nicht etwas voraus, nämlich einen wie immer gearteten
gemeinsamen Hintergrund? Ein gemeinsames Weltbild?
Nimm ein anderes Beispiel.
Nimm den Karfreitag. Der ist bei uns im heiligen Köln ein stiller Feiertag, das
heißt, es gibt keine Kneipe, keine Disco und kaum was anderes als Parzival in
der Oper. Sind viele natürlich nicht mit einverstanden. Wie willst du da
argumentieren? Als Gegenargument kommt letztlich immer nur heilig, heilig, das
heißt, das ist Glaubenssache. Kann man einem Gläubigen wirklich
Konsensunwilligkeit unterstellen? Er sieht die Sache eben so. Und meint, seine
Sicht sei wahr und alles andere falsch.
intersubjektiv nachvollziehbare
und übernehmbare Argumente
Da sagt dir der Evangelikale, du musst dein Herz
für Jesus öffnen, dann erkennst du die Wahrheit genau so wie ich und meine
Glaubensbrüder.
In Sachen Notwendigkeit von Normen stimme ich dir zu.
Allerdings:
Deshalb kann man die Verletzung einer verbindlich gesetzten Norm
auch nicht mit dem Argument rechtfertigen, dass man diese Norm für inhaltlich
(sachlich) falsch halte.
Das stimmt nun nicht so ganz. Wenn es so wäre,
gäbe es heute immer noch den Schwulenparagrafen. Man kann gegen Normen genau so
mit vernünftigen Argumenten angehen wie gegen jede andere Behauptung auch (fragt
sich natürlich, je nach Gesellschaftsform, wie einem das bekommt).
Und
auch Verfassungen und Staatsformen sind im Laufe der Geschichte veränderlich. Es
gibt da nichts stabiles. Auch deswegen sage ich ja, vor einer Diskussion über
spezielle Normen müsste eruiert werden, ob es nicht kultur- und
geschichtsunabhängige allgemeine Normen der Humanität gibt.
Was alles die
Notwendigkeit von Normen nicht in Frage stellt.
Mir ist nur die Basis
nicht tragfähig genug. Wenn wir für unsere Gesellschaft Normen entwickeln
wollen, auf der Basis von dem, was uns selbstverständlich und richtig erscheint,
dann geht das natürlich. Aber diese Normen gelten dann eben nur für unsere
Gesellschaft. Sie sind also beliebige, keine absoluten Normen. Die praktische
Gefahr, die ich sehe ist, dass wir dazu neigen, solche im
innergesellschaftlichen Diskurs gefundenen Normen absolut zu setzen - und das
gibt erst recht Konflikte.
Deswegen sage ich auch, auf der Basis unserer
Verfassung wollen wir das so. Mag sein, dass andere Gesellschaften das anders
wollen, ist ihr gutes Recht, aber wir wollen das nun mal so.
Das ist zwar
praktikabel, aber unbefriedigend. Nimm die Todesstrafe. Sagen wir, bei uns ist
die abgeschafft, die USA sehen das anders, ist ihr gutes Recht, kann man
ebensogut auch so machen?
Oder würde eine islamische Gesellschaft sagen,
in Deutschland ist die Prostitution als Beruf legalisiert worden, wir in unserer
Gesellschaft wollen das nicht, aber man kann das ebenso gut auch anders machen?
Und damit zurück zum Liberalismus. Würden wir sagen: heute noch verbieten
wir das nächtliche Lärmen, aber man kann das ebensogut auch anders machen und
jeden seinen eigenen Lärmschutz zahlen lassen, wenn wir mal mehrheitlich liberal
werden?
Ich denke, da steckt noch ein Konfliktpotential drin, das man
erst mal klären müsste.
Denn der Weg der Normenfindung im Diskurs selbst,
da kann ich im Moment keine Probleme erkennen.
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 29.
Nov. 2005, 22:56 Uhr
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Hi Philoschall,
gegen deine Analyse habe ich kaum etwas einzuwenden.
Allerdings mahne ich, auf die innewohnende Gefahr zu achten:
Marx war
kein Ethiker. In dem Sinne, dass er sich mit Ethik nicht befasste; er setzte
eine bestehende allgemeine humane Ethik voraus. Was seine missratenen Epigonen
dazu brachte, sich ebenfalls nicht mit Ethik zu befassen und dabei den gleichen
Weg gingen, wie alle Orthodoxen und Esoteriker: die Theorie verselbständigt sich
zu einer inhumanen Ideologie. Sein muss das nicht.
Setzt man allerdings,
wie er, die humane Ethik voraus und kritisiert von dieser Basis aus die
bürgerlichen Ideologien, so ist dies m.E. eine sehr wertvolle und klärende
Sicht.
Den wirtschaftlichen Interessengruppen ist das, dass anderen
gesellschaftlichen Interessengruppen als Sachzwang (Ohnmacht) erscheinen vermag,
alles andere als Notwendigkeit
Das sehe ich nicht so. Unternehmer, die ihre
Mitarbeiter entlassen, tun das nicht selten mit sehr ungutem Gefühl, sehen sich
aber von der wirtschaftlichen Lage gezwungen. Der Wesenheit Wirtschaft (die ja
tatsächlich keine Wesenheit, sondern menschliches Handeln ist) fühlen sie sich
genau so unterworfen wie ihre entlassenen Opfer. Es ist m.E. ein Fehler zu
denken, Ideologien würden gemacht, produziert. Das kann in Grenzen manchmal
sein, aber im Kern werden sie nicht gemacht, sondern entstehen - als
Fortentwicklung angenommener Selbstverständlichkeiten. Nicht: der Mensch soll
ein unabhängiges, mobiles Individuum werden, sondern der Mensch wird ein
unabhängiges mobiles Individuum. Das ist der evolutionäre Lauf der Dinge. Ist
natürlich Ideologie - wird aber als Wissenschaft gesehen.
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 29.
Nov. 2005, 23:15 Uhr
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Hi, Urs,
Denn nur in extremen Lagen wird die Befriedigung elementarer
Bedürfnisse zum"Zwang".
Dass es uns hier in Deutschland (zumeist) gut genug
geht, dass wir diesen Zwang nicht spüren, heißt nicht, dass er nicht besteht. Er
kann jederzeit wieder auftreten - teilweise ist er das beim Schneefall und
Stromausfall im Bergischen. Da wird die Notwendigkeit von Wärme für das
Überleben durchaus schon wieder als Zwang erlebt.
Ist es für
heranwachsende Kinder ein Zwang, „groß“ zu werden? Nein, es ist ihr eigener,
sehr starker Wunsch und Antrieb.
Da sind wir schon fast beim Problem
Willensfreiheit. Werden sie groß, weil es ihr Wille ist, oder haben sie den
Willen, weil sie darauf programmiert sind, groß zu werden?
Es hängt also
offenbar vom Standpunkt bzw. vom Bezugssystem ab, ob die Einwirkung einer Kraft,
ob ein Bedürfnis oder eine Regel als „Zwang“ bestimmt werden kann oder nicht.
D.h. es gibt hier eine wichtige Pluralität von möglichen Standpunkten.
Ist es nicht so, dass ich (mal vom Fahrradbeispiel abgesehen, da würde ich doch
lieber von Lernen sprechen) etwas nur dann als Zwang empfinde, wenn es meinem
Willen entgegen steht? Aufs Klo zu müssen empfinde ich nur dann als Zwang, wenn
ich von der Veranstaltung nichts verpassen will. Arbeiten um Geld zu verdienen
ist dann ein Zwang, wenn ich lieber etwas anderes machen möchte. Und atmen
betrachte ich dann als Zwang, wenn ich lieber tauchen möchte.
Ebenso
verhält es sich mit gesellschaftlichen Zwängen. Kopftuchtragen betrachten wir
als Zwang - etliche Musliminnen machen das aber gewollt und freiwillig.
Ich bin dafür, Zwang oder nicht Zwang lieber von objektiven Gründen abhängig zu
machen als vom subjektiven Empfinden.
Womit ich nicht sage, dass es nicht
eine hoch interessante Frage ist, was man unter welchen Bedingungen als Zwang
empfindet und was nicht - interessant auch für unsere Fragestellung nach Normen
im Zusammenhang mit dem Gemeinwohl.
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 30.
Nov. 2005, 11:02 Uhr
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ich komme wohl nicht umhin, mich mit Deiner Art zu formulieren etwas genauer
auseinanderzusetzen, denn ich finde es reichlich anstrengend, immer wieder - und
oft vergeblich, nach dem genauen Sinn Deiner zum Teil sehr umfangreichen
Beiträge zu suchen.
Ich nehme mal eine zentrale Passage aus Deinem
letzten Beitrag.
Dort schreibst Du:
“Liberale Demokratie ist die
politische Ausgabe derjenigen wirtschaftlichen Interessengruppe, die, auch mit
vom Geist in Politik herabgezogenen Ideen auftretend, jene gesellschaftlichen
Veränderungen verschleiert-kultiviert, die mit den technischen Anwendungen
industrial sich verzeitigen.“
Ich kann mit diesen kunstvoll verschrobenen
Sätzen leider wenig anfangen und ich frage mich, wie es anderen dabei geht. Ich
habe von der zitierten Passage zwar den atmosphärischen Eindruck, dass darin
irgendeine Kritik an der liberalen Demokratie steckt, aber was genau mit diesen
Sätzen gesagt wird, bleibt mir unklar.
Fangen wir mit der „liberalen
Demokratie“ an. Was verstehst Du darunter? Was versteht man darunter? Meine
Frage an Dich: Bedeutet „liberale Demokratie“ für Dich ein politisches System,
in dem es ein allgemeines gleiches Wahlrecht gibt? Ich vermute, dass dem so ist.
Dem steht aber entgegen, dass das allgemeine gleiche Wahlrecht nicht auf dem
Programm der Liberalen gestanden hat, sondern vor allem von den Sozialdemokraten
(für die Arbeiter) und den Frauenrechtlerinnen (für die Frauen) erkämpft wurde
und deshalb in Deutschland erst 1918 und gerade nicht von einer liberalen Partei
eingeführt wurde.
Die liberale Demokratie ist nun bei Dir „die Ausgabe
einer wirtschaftlichen Interessengruppe“. Was das heißen soll, ist mir unklar.
Ich kenne zwar die Ausgabe einer Zeitung („ .. in der gestrigen Ausgabe der
Süddeutschen Zeitung konnten man lesen …“), aber dass politische Programme wie
die liberale Demokratie „ausgegeben“ werden, erscheint mir sprachlich etwas
eigenwillig und nicht sehr geglückt.
Mit der „wirtschaftlichen
Interessengruppe“ meinst Du wohl die „Kapitaleigner“ und „Unternehmer“, also
diejenigen, die Marx als „Bourgeoisie“ oder „Kapitalistenklasse“ bezeichnet und
die umgangssprachlich als „Fabrikbesitzer“ bezeichnet werden.
Diese
Begriffe sind für mich wesentlich aussagekräftiger, denn eine „wirtschaftliche
Interessengruppe“ sind auch die Gewerkschaften oder die Bauernverbände, aber die
meinst Du offenbar nicht.
Entsprechendes gilt für Deinen Begriff des
„wirtschaftlichen Interesses“, womit du offenbar auch nur das Interesse der
Kapitalisten/Unternehmer meinst, obwohl die Beschäftigten bzw. die Lohnarbeiter
natürlich ebenfalls wirtschaftliche Interessen haben.
Du nennst die
Interessengruppe nicht direkt, sondern bezeichnest sie als diejenige Gruppe,
„die jene gesellschaftlichen Veränderungen verschleiert-kultiviert.“
Mit
„jenen Veränderungen“ ist offenbar die weiter oben angesprochene „Technisierung
der Arbeitswelt“ und die „industriale Ausgestaltung der betreffenden
Gesellschaften“ gemeint,
Aber „verschleiern“ die Fabrikbesitzer die
Technisierung? Eher zeigen sie doch voll Stolz ihre Maschinen, mit denen so viel
schneller und billiger produziert werden kann.
Haben die Fabrikbesitzer
die Technisierung der Arbeitswelt und die industrielle Ausgestaltung der
Gesellschaft „kultiviert“?
Die Fabrikbesitzer können eigentlich auch
nicht gemeint sein, denn denen geht es vorrangig nicht um die Kultivierung der
Maschinerie sondern um deren Rentabilität.
Außerdem soll die
wirtschaftliche Interessengruppe „auch mit vom Geist in Politik herabgezogenen
Ideen auftreten“. Was kann damit gemeint sein? Welche Ideen werden da in die
Politik herabgezogen? Handelt es sich bei dem Geist oberhalb der Politik um die
Philosophie?
Schließlich sprichst du davon, dass die gesellschaftlichen
Veränderungen "mit den technischen Anwendungen industrial sich verzeitigen“.
Dabei meinst Du mit „industrial“ offenbar „industriell“ und mit „verzeitigen“
vielleicht „verwirklichen“ oder „verbreiten“, vielleicht aber auch etwas
anderes.
Da all diese Fragen nach der genauen Bedeutung offen bleiben,
kann ich mich nur unter Schwierigkeiten mit Deinen Beiträgen auseinandersetzen.
Sie zeigen zwar eine deutliche politische Richtung, aber es mangelt nach meinem
Eindruck bei allem stilistischen Anspruch an begrifflicher Klarheit und
logischer Stringenz der Argumente. Und das ist schade
meint Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 30.
Nov. 2005, 12:18 Uhr
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Hallo Abrazo,
vorweg: Ich finde es immer schade, wenn Philosophen an der
Wirksamkeit vernünftiger Argumente zweifeln oder darauf verzichten, an deren
besserer Wirksamkeit zu arbeiten. Wer sonst als die Philosophen wäre eher für
diese Aufgabe zuständig?
Auf meine Aufforderung, nach intersubjektiv
nachvollziehbaren und übernehmbaren Argumenten zu suchen, entgegnest du: „Da
sagt dir der Evangelikale, du musst dein Herz für Jesus öffnen, dann erkennst du
die Wahrheit genau so wie ich und meine Glaubensbrüder.“
Willst Du diese
Pseudoargumentation auf eine Stufe stellen zum Beispiel mit den
Intersubjektivitätskriterien der Erfahrungswissenschaften, wo genau angegeben
wird, welche Wahrnehmungen man macht, wenn man eine bestimmte Versuchsanordnung
durchführt oder wenn man sich an einen zeiträumlich bestimmten Ort begibt?
Als rational denkender Mensch muss ich den Evangelikalen doch zurückfragen:
„Was meinst Du denn mit der Bildersprache ,das Herz für Jesus öffnen’?“
Wenn er den Anspruch auf eine intersubjektiv nachvollziehbare Begründung erhebt,
dann muss der Evangelikale Handlungen angeben, deren Ausführung jedem möglich
ist und deren Ausführung sich unabhängig vom behaupteten Resultat (dass der
Betreffende die christliche Wahrheit erkennt) intersubjektiv übereinstimmend
feststellen lässt.
Andernfalls handelt es sich um ein Pseudoargument.
Denn wenn man zum Ergebnis kommt: „Ich kann die christliche Wahrheit
nicht erkennen“, dann sagt der Schlaumeier: „Dann hast Du eben Dein Herz noch
nicht genügend weit für Jesus geöffnet.“
Nach diesem Muster lassen sich
beliebig abstruse und einander widersprechende Theorien „begründen“, was zur
Konsequenz hat, dass es sich eben um keine Begründung von Erkenntnis handeln
kann. Denn beliebige Antworten sind gar keine Antwort.
Außerdem darf der
Evangelikale dabei selbstverständlich nicht dasjenige bereits zur Voraussetzung
machen, was gerade strittig ist (die Überzeugung von der Wahrheit der
christlichen Lehre).
(Fortsetzung folgt.)
Erstmal tschüs sagt
Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 30.
Nov. 2005, 21:46 Uhr
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Hi, Eberhard,
Ich finde es immer schade, wenn Philosophen an der
Wirksamkeit vernünftiger Argumente zweifeln
Ich zweifle aber daran. Ich bin
gezwungen, daran zu zweifeln, weil mich das die Lebenspraxis gelehrt hat.
oder darauf verzichten, an deren besserer Wirksamkeit zu arbeiten.
Das
folgt nicht. Aber daran arbeiten heißt erst mal zu erkennen, dass ich da mit
meinen üblichen rationalen Argumenten nicht durch komme. Und dann muss ich
überlegen, welche anderen Wege vielleicht möglich wären. Ich neige dazu zu
sagen, sie interpretieren meine Worte nach ihrem Weltbild. Wenn ich verstanden
werden will, muss ich ihr Weltbild ändern. Ein Weltbild kann ich aber nicht im
Diskurs ändern, das kann ich nur dann ändern, wenn ich auf Widersprüche zeige,
auf Widersprüche in den Daten, wo etwas anders geglaubt wird, als es tatsächlich
und nicht ignorierbar ist - wenn man darauf hingewiesen wird. Ich kann ihm den
Widerspruch nicht erklären, das nützt nichts. Er muss sich ihm zeigen. Das geht
nicht von jetzt auf gleich.
Argumente im Diskurs haben dann keinen Sinn,
wenn sie auf Daten basieren, die der andere nicht oder so nicht hat. Das ist für
mich das Hauptproblem, auf das ich in dieser oder jener Form immer wieder
zurückkommen muss.
Als rational denkender Mensch muss ich den
Evangelikalen doch zurückfragen: „Was meinst Du denn mit der Bildersprache ,das
Herz für Jesus öffnen’?“
Dat darfste nich machen. Dann kriegste ne
endlose Predigt, in die er sich bis zur totalen Kommunikationsunfähigkeit hinein
steigert.
Andernfalls handelt es sich um ein Pseudoargument.
Und?
Eberhard? Auf wievielen Pseudoargumenten basierten kollektiver Mord und
Totschlag?
Ich habe nicht das geringste gegen vernünftige Argumente
einzuwenden. Auch nicht das geringste gegen deine Methoden, deren Klarheit ich
schätze. Aber ich sage, schau dir die Lebenspraxis an: das reicht nicht. Es
reicht mir und es reicht dir und allen vernünftigen Leuten, mit denen man so zu
tun hat.
Aber das ist im Zweifelsfalle nicht die Mehrheit.
Zu meinen
Lieblingsmetaphern gehört der den Vögeln predigende Franz von Assisi. Das war ja
nicht Tierliebe. Das war eine Demonstration dafür, dass er genau so gut den
Vögeln predigen könne wie seinen Landsleuten; die seien genau so wenig in der
Lage, zuzuhören und zu verstehen.
Was nützt es, wenn alles, was du
sagst, vollkommen richtig ist, aber niemand versteht es? Nicht von den Worten
und Verknüpfungen, sondern von der Bedeutung, vom Sinn her?
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von philoschall am
30. Nov. 2005, 22:38 Uhr
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Hallo Eberhard,
"Meine Frage an Dich: Bedeutet „liberale Demokratie“ für
Dich ..." Eberhard
Auch noch den Letzten auf dem Planeten Erde zum Wählen
mobilisieren, damit dieser demokratisiertes Glied privatwirtschaftlicher
Grossunternehmung wird.
"Dem steht aber entgegen, dass das allgemeine
gleiche Wahlrecht nicht auf dem Programm der Liberalen gestanden hat, sondern
vor allem von den Sozialdemokraten (für die Arbeiter) und den
Frauenrechtlerinnen (für die Frauen) erkämpft wurde und deshalb in Deutschland
erst 1918 und gerade nicht von einer liberalen Partei eingeführt wurde."
Eberhard
Bis 1914 waren in Deutschland Träger dieser Forderungen nicht,
oder nur unwesentlich an der Regierungsbildung, an der politischen Ausgestaltung
der deutschen Gesellschaft beteiligt. Die grossbürgerlichen und die junkerlichen
Kräfte in Deutschland verhinderten dieses bis 1918, als auch in Deutschland
demokratischer Liberalismus eingeführt wurde. Die u.a. während des Bestehens des
Preussenstaates geformte Parteiprogramatik der Sozialdemokratie Deutschlands
sowie Ideen des bereits ausserhalb Deutschlands praktizierten Liberalismus
schliessen sich nicht aus.
"Die liberale Demokratie ist nun bei Dir „die
Ausgabe einer wirtschaftlichen Interessengruppe“." Eberhard
Wie die
Sozialdemokratie im Rahmen bürgerlicher Expansion auftauchende Ideen -manchmal,
wie in Deutschland von 1871-1918 auf Umwegen- auf ihre Fahne geschrieben, so
weisen andere politische Parteien ebenfalls typische Merkmale auf, mit denen
parteipolitische Unterschiede gegeben sind. Parteibildungen in Europa sind
(noch) der Ausdruck dafür, dass deren aktiven Träger im Namen gesellschaftlicher
Einzelinteressen auftreten, die im Sinne ihrer jeweiligen Parteiprogramatik auf
der Ebene der Parlamente versuchen Gesellschaft auszugestalten. Wie das Beispiel
von 1918 zeigt, gab erst die liberalistische Favorisierung den politischen Boden
in Deutschland ab, auf dem deutsche Bürger vermochten
demokratisch-parteipolitisch-parlamentarisch aufzutreten. Nicht nur das
antipluralistische deutsche Bürgertum musste sich jedoch von jenen
antidemokratisch-junkerlichen Kräften lösen, die mit Beendigung des ersten
Weltkrieges kapitulierten, mit denen dasselbe Bürgertum zuvor Deutschland als
innere Schicksalsgemeinschaft formierte dessen Wohl von einer imperalistischen
Aussenpolitik der militärischen Eroberung von geographischen Gebieten abhängig
sei, die westliche Wirtschaftsinteressengruppen bereits kolonialistisch
eroberten. Der Auflösung der zum imperialistischen Militarismus
heruntergewirtschaften deutschen Monarchie (unter Kaiser Wilhem II) folgte
jedoch beispielsweise nicht, dass das deutsche Volk zusammen mit der deutschen
Sozialdemokratie sich seine politischen Formen gab. Jenes politische System,
d.h. die liberale Demokratie wurde in Deutschland eingeführt, mit der
amerikanische sowie französische und englische Wirtschaftsinteressen bereits
ihre Globalunternehmungen beispielsweise auf europäischen Boden, nach innen,
d.h. innenpolitisch europäisch-nationalistisch sowie aussereuropäisch, d.h.
aussenpolitisch-kolonialistisch praktizierten. Deutsches Großbürgertum, von 1871
bis 1918 mit den antidemokratischen Junkern im Verbund, deutsches Großbürgertum
1918 mit der Einführung der westlich liberalen Demokratie in Deutschland nicht
nur von der Einflußnahme des Wirtschaftsinteresses Westeuropas und den USA
unmittelbar, sondern auch von der nun auf der Ebene des Weimarer
Parlamentarismus auftretenden in der deutschen Sozialdemokratie organisierten
Arbeiterschaft konfrontiert, ließ die deutsche Gesellschaft seit 1918 abermals
zu einer, nun antibolschewistischen Schicksalsgemeinschaft formieren, die ab
1933 politisch von der NSDAP geführt wurde .............
"Du nennst die
Interessengruppe nicht direkt, sondern bezeichnest sie als diejenige Gruppe,
„die jene gesellschaftlichen Veränderungen verschleiert-kultiviert.“ ... Aber
„verschleiern“ die Fabrikbesitzer die Technisierung? ... Haben die
Fabrikbesitzer die Technisierung der Arbeitswelt und die industrielle
Ausgestaltung der Gesellschaft „kultiviert“? ... Die Fabrikbesitzer können
eigentlich auch nicht gemeint sein, denn denen geht es vorrangig nicht um die
Kultivierung der Maschinerie sondern um deren Rentabilität." Eberhard
Mit
der Anwendung neuzeitlicher Technik, mit der seit der bürgerlichen Revolution
sich vollziehenden privatwirtschaftlichen Aneignung der Produktionsmittel
vollzog sich jener Umbau westlicher Gesellschaften, der sich auch dadurch
kennzeichnen lässt, dass die Arbeitskraft des abendländischen Menschen aus dem
feudalherrschaftlichen Ordnungsgefüge des religiös ausgerichteten Mittelalter
genommen wurde: um Arbeitskraft industriell ... zu verwerten. Mit diesem
Produktionsumbau verändern sich nicht nur die Arbeitsverhältnisse; die
Staatspraxis passt sich ebenfalls dem mit der Expansion der Grossbürgerlichen
Unternehmung gegebenen gesellschaftlichen Umbau an. Staatlichkeit wird zum
Ordnungsgefüge jener bürgerlichen Kräfte, die bis heute im Besitz der
Produktionsmittel sind, welche bürgerliche Staatlichkeit den Parlamentarismus
abgibt, auf deren Bühne diejenigen auftreten, die den Besitzstand
parteipolitisch verteidigen (Liberale), die, mit Gesellschaftsreformen
auftretend, diesen Besitzstand unangetastet lassen (Volksparteien, demokratische
Oppositionparteien). Der bürgerliche Staat, politische Parteien treten mit Ideen
auf, mit denen die jeweiligen Wählerschaften umworben werden. Diese Ideen, mit
der bürgerlichen Expansion Westeuropas industriell ... seit 1918 auch in
Deutschland zur Wirkung kommend, können nationalistisch und/oder
internationalistisch ausgerichtet sein; diese Ideen werden favorisiert um die
Nicht-Besitzenden Bürger mit ihren jeweilig zugestandenen wirtschaftlichen
Interessen auf dem kapitalistischen Kurs "mitzunehmen". Mit in der
parteipolitischen Sphäre auftretenden Ideen wird Kultivierung jener
Gesellschaften betrieben, die vom privatwirtschaftlichen Einsatz der Technik
bedingt sind. Menschliche Handlungen vollziehen sich in der
bürgerlich-politischen Sphäre als zivilisierte; jene Bürger dürfen nun medial
glänzen, die verstehen, Einzelinteresse, etwa derjenigen die nicht über
Produktionsmittel verfügen, als Allgemeininteresse erscheinen zu lassen.
"Außerdem soll die wirtschaftliche Interessengruppe „auch mit vom Geist in
Politik herabgezogenen Ideen auftreten“. Was kann damit gemeint sein? Welche
Ideen werden da in die Politik herabgezogen? Handelt es sich bei dem Geist
oberhalb der Politik um die Philosophie?" Eberhard
Bürgerliche
Staatlichkeit tritt mit Verfassungen auf, in der Geistiges, etwa das vom
abstrahierenden Denken entworfene Ideal der praktischen Gleichheit der Menschen
vor dem Gesetz, verankert ist. In der Sphäre der praktischen Politik, und hier
besonders vollzieht sich menschliches Handeln jedoch so, dass dieses vom
abstrahierenden Denken selten bewegt wird. Dass Einzelinteresse, in dessen
Vermögen steht, als Allgemeininteresse zu erscheinen, bleibt, wenn
unterschiedliche politische Parteien vermögen aufzutreten, demokratischer
Faktor. Wird die praktisch-demokratische Ausrichtung zurückgenommen fällt das
parteipolitische Kräftespiel. Der Liberalismus verliert seine demokratische
Favorisierung die mit den unterschiedlichen sowie entgegengesetzten
Parteibildungen gegeben ist. Globalisierendes Besitzstandsinteresse setzt sich
ins Vermögen antidemokratisch aufzutreten; Staat als "Nachtwächterstaat", d.h.
im Inneren als Garanten der bürgerlichen Ruhe und Ordnung, aussenpolitisch als
Sicherung ihrer wirtschaftlichen Interessen auftreten zu lassen. Die auf dem
Papier vom geistiges Ideal inspirierte politische Verfassung, die
bürgerlich-formale Staatsrechtlichkeit als geistiger Hintergrund des
gesellschaftlichen Nicht-Zustandes, die bürgerliche Idee der politisch zu
verwirklichenden Gleichheit der unterschiedlichen Menschen vor dem Staatsgesetz
ist -wird menschliche Ungleichheit von jenem Globalverwertungsinteresse bedingt,
dessen Macht nicht aus demokratisch-parteipolitischen Kräftespiel resultiert-
ausser Kraft gesetzt. Dass vom philosophisch-abstrahierende Denken inspirierte
politische Sein vermag dem verabsolutierten kapitalistischen
Verwertungsinteresse der Postmoderne ebensowenig etwas entgegensetzen, wie
Denken dem verabsolutierten religiösen Wahn des europäischen Mittelalters
vermochte etwas entgegenzusetzen. Philosophie bleibt. Wandel wird sich in jener
praktischen Sphäre wieder vollziehen, in der geistige Grundlagen des
menschlichen Strebens stets vermischt mit verabsolutierten Intesssen auftreten.
Gruß
philoschall
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen IIEs ist m.
Beitrag von
philoschall am 01. Dez. 2005, 11:06 Uhr
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Hallo Abrazo,
ich teile den von Dir vorgetragenen Gedanken, dass statt
Ethik, wird Theorie des gesellschaftlichen Einzelinteresses absolut gesetzt
-etwa derjenigen welche den Begriff der Arbeiterklasse oder derjenigen welche
die privatwirtschaftlich angeeigneten Produktionsmittel verabsolutieren, gewinnt
dieses verabsolutierende Theoretisieren, gewinnt dieses Technik-Fetischisierte
Handeln Macht im Staatsbereich, verselbstständigt sich somit das gestalterische
Handlungsvermögen über Gesellschaft- alles andere favorisiert wird. Allerdings
gibts nicht nur Theorie-Fetischisten mit staatspolitischen Machtanspruch auf der
Linken, diese finden sich ebenso auf der politischen Rechten (Stichwort:
Konservative Revolutionäre, erstmals in der Weimarer Republik aufgetreten).
Gegenwärtige Politik tritt unter Rahmenbedingungen auf, die der späten Phase der
ersten Einführung liberaler Demokratie in Deutschland ähnlich sind: Verordnung
eines rigiden Sparkurses der öffentlichen Haushalte, Privatisierung zuvor
Staatlich Verwalteten, hohe Arbeitslosigkeit ... - in der davon geprägten
staatspolitischen Sphäre gewannen sogenannte konservative Revolutionäre Einfluss
auf die deutsche Gesellschaft, welcher Einfluss 1933 zur parlamentarischen
Demontage ihren Beitrag leistete.
"Es ist m.E. ein Fehler zu denken,
Ideologien würden gemacht, produziert. Das kann in Grenzen manchmal sein, aber
im Kern werden sie nicht gemacht, sondern entstehen - als Fortentwicklung
angenommener Selbstverständlichkeiten. Nicht: der Mensch soll ein unabhängiges,
mobiles Individuum werden, sondern der Mensch wird ein unabhängiges mobiles
Individuum. Das ist der evolutionäre Lauf der Dinge." Abrazo
Siehe hierzu
meine Ausführungen an Eberhard (Beitrag 100) Danke.
Gruß
philoschall
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 01.
Dez. 2005, 20:17 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Abrazo,
die zentrale Frage ist: Kann es eine
konsensfähige, am Allgemeinwohl orientierte Politik und Gesetzgebung geben
angesichts von Individuen und Gruppen mit unterschiedlichen Weltbildern,
Wertordnungen und Interessen?
Kann es eine gemeinsame, konsensfähige
Politik geben für Gesellschaften, die aus Katholiken und Protestanten, Christen
und Muslimen, Gottgläubigen und Atheisten, Iren und Schotten, Flamen und
Wallonen, Kapitaleignern und Lohnempfängern, aus Deutschstämmigen und
Türkischstämmigen, aus Weißen und Farbigen, aus Frauen und Männern, aus Jungen
und Alten besteht?
Wie weit reicht angesichts derartiger Unterschiede
oder Gegensätze eine „vernünftige“ Argumentation, die allgemein akzeptabel ist?
Nehmen wir das konkrete Beispiel von Abrazo: Wie können Christen und
Nichtchristen, die um einen Konsens im Sinne des Allgemeinwohls bemüht sind,
argumentieren, wenn es um die Öffnung von Diskotheken am Karfreitag geht, also
dem Tag, an dem die Christen der Hinrichtung Jesu gedenken und der als der
höchste Feiertag der Christenheit gilt.
Wie müssten Karl Fromm und Heinz
Gottlos argumentieren?
F: Diskotheken und ähnliches dürfen am Karfreitag
nicht öffnen, denn Tanzvergnügungen sind mit der Trauer um die Kreuzigung Jesu
nicht vereinbar, der als Gottes Sohn mit diesem Opfergang die Sünden der
Menschen auf sich genommen hat.
G: Das sind doch religiöse Phantasien,
die ich als nüchtern denkender Mensch nicht akzeptieren kann. Diese
Argumentation kann doch nur ein gläubiger Christ akzeptieren. Da wir hier aber
um einen Konsens zwischen Christen und Nichtchristen bemüht sind, sind
Argumente, die ein religiöses Glaubensbekenntnis zur Prämisse haben, ungeeignet.
F: Wollen Sie so tun, als gäbe es keine christliche Religion? Wollen Sie
alles ignorieren, was wir vom christlichen Glauben aus zu sagen haben? Das wäre
ja das Ende der freien Religionsausübung.
G: Das habe ich nicht gesagt.
Ich habe nur gesagt, dass Ihre Argumentation für Nicht-Christen nicht
nachvollziehbar ist und deshalb ungeeignet ist für die Bestimmung einer Politik,
die dem allgemeinen Wohl entspricht.
F: Sie vergessen, dass wir ein Land
mit abendländisch christlicher Kultur und Tradition sind, woraus folgt, dass die
christlichen Feiertage zu respektieren sind.
G: Es mag ja sein, dass in
der Vergangenheit das Christentum unsere Kultur geprägt hat und dass die
Christen auch heute noch die Mehrheit der Bevölkerung darstellen. Aber Sie
müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass es einen erheblichen Prozentsatz von
Nicht-Christen gibt, wie mich. Aber davon ganz abgesehen: die Frage, wie viele
Menschen einer bestimmten Weltanschauung anhängen, ist für die Lösung unseres
Problems nicht von entscheidender Bedeutung. Dadurch, dass sich die Christen in
der Mehrheit befinden, wird ihr Weltbild nicht richtiger. In anderen
Gesellschaften befinden sich die Christen z.B. in der Minderheit.
F: Soll
das heißen, dass der Charakter des Karfreitags, in dem die zahlreichen Christen
in diesem Land um das Leiden des Mensch gewordenen Gottessohns trauern, einfach
ignoriert werden kann, weil es keine wissenschaftliche Begründung des
christlichen Glaubens gibt?
G: Das folgt aus dem, was ich gesagt habe,
noch nicht. Ich sage nur, dass die Schließung der Diskotheken nicht für mich und
auch nicht für die Allgemeinheit auf diese Weise nachvollziehbar begründet
werden kann,
Ich bin mir wohl bewusst, dass es in diesem Land viele
Menschen gibt, die christlichen Glaubens sind. Aber es gibt eben auch
Nicht-Christen und für diese ist ihre Begründung nicht akzeptabel.
F: Sie
fordern also, dass die christlichen Gemeinden in ihrer Trauer und ihren
Gottesdiensten mit dem lautstarken Rummel von Rockkonzerten, Bundesligaspielen,
Straßenfesten, Flohmärkten oder Tanzveranstaltungen gestört und belästigt werden
dürfen? Von Respekt vor dem, was heilig ist, haben Sie wohl noch nie etwas
gehört!
G: Was Ihnen heilig ist, ist anderen vielleicht nicht heilig.
Aber ich teile Ihre Forderung, dass die Trauer und die Gefühle von Menschen
respektiert und nicht durch lärmende Fröhlichkeit gestört werden sollten. Und
dies gilt für religiöse Gefühle genauso wie für andere Gefühle. Dass derartige
Verletzungen von Gefühlen etwas Unerwünschtes sind, kann wohl von jedermann
nachvollzogen werden.
F: Na also, sie scheinen langsam zu begreifen!
G: Nicht zu voreilig. Für mich folgt daraus nur, dass den Christen eine
ungestörte Feier des Karfreitags zu gewähren ist. Das heißt aber zugleich, dass
Aktivitäten und Veranstaltungen, die niemanden stören, der dies nicht will,
zugelassen werden müssen, sei es ein Radiosender mit Tanzmusik, ein
Fernsehsender mit einer Komödie, sei es eine Diskothek fernab von der Stadt oder
ähnliches.
Mit diesem kleinen Beispiel konsensorientierter Argumentation
grüßt Euch Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 01.
Dez. 2005, 23:29 Uhr
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Hi, Philoschall,
konstruiere mir doch mal bitte diesen Satz nach den
üblichen grammatikalischen Regeln, denn ich bin dazu leider nicht in der Lage:
ich teile den von Dir vorgetragenen Gedanken, dass statt Ethik, wird Theorie
des gesellschaftlichen Einzelinteresses absolut gesetzt -etwa derjenigen welche
den Begriff der Arbeiterklasse oder derjenigen welche die privatwirtschaftlich
angeeigneten Produktionsmittel verabsolutieren, gewinnt dieses verabsolutierende
Theoretisieren, gewinnt dieses Technik-Fetischisierte Handeln Macht im
Staatsbereich, verselbstständigt sich somit das gestalterische Handlungsvermögen
über Gesellschaft- alles andere favorisiert wird.
Zum anderen
vermisse ich bei dir leider klare Aussagen über das Subjekt. Du beschreibst -
aus deiner Sicht - Vorgänge, oft mit Analogieschlüssen, die ich nicht akzeptiere
(wenn eine Katze mit dem Schwanz wedelt, ist sie kein Hund), machst aber keine
zumindest für mich erkennbaren Angaben darüber, wer der Urheber oder was die
Ursache dieser Vorgänge sein soll. Dadurch fehlt mir die Stringenz in deiner
Argumentation, sie erscheint mir wie zusammenhangloses Stückwerk. Und mit
irgendwelchen obskuren Mächten kann ich nichts anfangen. Also nenne doch bitte
Ross und Reiter: wen oder was meinst du mit den Mächten?
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 01.
Dez. 2005, 23:56 Uhr
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Hi Eberhard,
Da wir hier aber um einen Konsens zwischen Christen und
Nichtchristen bemüht sind, sind Argumente, die ein religiöses Glaubensbekenntnis
zur Prämisse haben, ungeeignet.
Darauf würde Herr Fromm antworten:
Selbstverständlich sind wir um einen Konsens zwischen Christen und Nichtchristen
bemüht. Wir sind immer diejenigen, die auf die Nichtchristen zugehen und mit
ihnen ins Gespräch zu kommen trachten. Wir wissen, dass Nichtchristen die
Bedeutung des Karfreitags nicht verstehen und bemühen uns darum und beten und
hoffen, dass sie das einmal begreifen. Aber Sie können von uns doch nicht
verlangen, dass wir tatenlos zusehen, wenn egoistische, einzig ihrem
persönlichen Vergnügen folgende Menschen die Mahnung und die Erinnerung an die
göttliche Wahrheit öffentlich in Vergessenheit zu bringen trachten!
Du
setzt einen Konsens zwischen unterschiedlichen Interessen von Individuen voraus.
Genau darum geht es solchen Leuten aber nicht. Es geht ihnen nicht darum, ihren
Glauben ungestört privat zu leben, sondern es geht ihnen darum, eine ihrer
Ansicht nach allgemeingültige Wahrheit zu achten und möglichst zu verbreiten,
die weit über individuellen Interessen steht, für die individuelle Interessen
überhaupt nicht relevant sind.
Wobei in politischen Strömungen oft genug
die gleichen Absichten zu finden sind.
Im Grunde handelt es sich hier um
eine Interpretation des Gemeinwohls, wonach das Gemeinwohl Vorrang hat vor den
jeweiligen individuellen Interessen, weil diese nur momentan, lustbetont und
ohne Blick auf Zukunft und Ziel des Ganzen wahrgenommen werden. Insofern sie
dies nicht sehen, sehen sie damit auch nicht ihre eigenen tatsächlichen
Interessen. Vulgo: das Individuum ist im Zweifelsfalle ein ahnungsloser, hin-
und hergeworfener Dummkopf, über dessen Aussagen man mit gütigem,
verständnisvollem Lächeln hinweg geht.
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 02.
Dez. 2005, 09:02 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Abrazo,
als Heinz Gottlos las, was Karl Fromm Dir
zum Karfreitag gesagt hat, schrieb er an Karl Fromm:
Sehr geehrter Herr
Fromm,
ich freue mich, dass Sie mit mir das Ziel teilen, einen Konsens
zwischen Christen und Nichtchristen in Bezug auf die Gestaltung des Karfreitags
zu erreichen.
Wenn man aber diese Einigung wirklich will, dann kann man
nicht für eine bestimmte Position allgemeine Geltung verlangen, ohne diese
allgemeine Geltung auch mit allgemein nachvollziehbaren Argumenten einsichtig
begründen zu können. Eine solche Argumentation ermöglicht keinen Konsens,
sondern verhindert ihn.
Wenn Sie folglich auf der allgemeinen Geltung
Ihrer christlichen Position bestehen, wenn diese Position auch für mich gelten
soll, obwohl es für diese Position keine allgemein nachvollziehbare und
überprüfbare Begründung gibt, dann war ihr anfängliches Bekenntnis zur
vernünftigen Einigung nur Augenwischerei, ein Lippenbekenntnis, das Sie nicht
ernsthaft gemeint haben.
Zum Vorschein kommt bei Ihnen ein nicht zu
begründendes autoritär gesetztes Dogma, dem sich alle unterzuordnen haben.
Eine Wahrheit, die nicht einsichtig ist, ist von der Unwahrheit nicht zu
unterscheiden.
Eine selbsternannte Rechtgläubigkeit schafft keinen
Konsens.
Solche Orthodoxie ist gegenüber den anders Denkenden nicht mehr
als eine Aufforderung zu gehorchen.
Wenn Sie das nicht wollen sondern
einen vernünftigen, auf nachvollziehbaren Argumenten aufgebauten Konsens, dann
überdenken Sie bitte Ihre Position in dieser Frage noch einmal.“
Hat
Heinz Gottlos damit Recht?
fragt Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von philoschall am
02. Dez. 2005, 12:47 Uhr
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Hallo zusammen,
Abrazo an Eberhard: "Was nützt es, wenn alles, was du
sagst, vollkommen richtig ist, aber niemand versteht es?"
Eberhard
an philoschall: "Du vermisst bei der Fragestellung den historischen Kontext und
Du befürchtest, dass ohne diesen Kontext die zentralen Begriffe im Dunkeln
bleiben müssen.
Diese Befürchtung teile ich nicht, denn Begriffe wie
Gemeinwohl, Wohl der Individuen, Gesamtinteresse oder Einzelinteresse haben
bereits umgangssprachlich eine mehr oder weniger bestimmte Bedeutung, und es
hindert uns niemand daran, diese Begriffe - falls nötig - noch schärfer zu
definieren." Eberhard (Teil 1, Antwort 2)
Dass erinnert mich an David
Hume: Es gab und wird keinen Staat geben der durch einen ursprünglichen Vertrag
des Volkes entstanden ist, bezw. entstehen wird. Nach Hume entsteht Staat - im
Zusammenhang mit dem Staat sind nicht nur Begriffe wie Gemeinwohl,
Einzelinteresse ... zu behandeln - durch physische Gewalt: diese zwinge das Volk
erst zur nachträglichen Anerkennung der Herrschaft. Diese nachträgliche
Anerkennung durch die (Volks)Menge nennt Hume "stillschweigende Zustimmung", die
er vom historisch verstandenen Vertrag (ich glaube Hume argumentiert gegen
Locke) unterscheidet. Nicht um die Legitimierung irgend eines Staates geht es
Hume, sondern um Favorisierung der Loyalität der Bürger, mit der die physische
Gewaltanwendung stabilisiert wird: Allgemeine Interessen und Bedürfnisse des
Volkes müssen berücksichtigt werden, und zwar hinsichtlich Reformen der
Verfassung des Staates. Vertragstheorie ist nicht historisch orientiert, die
Entstehungsgeschichte eines Staates sowie historisch orientierte Kritik wird
nicht favorisiert. Entscheidend ist hier (wie auch bei Kant) anderes: die
ideelle bezw. normative Komponente, mit der die Legitimität einer Rechts- und
Staatsauffassung öffentlich bestätigt werden soll. Diese ideelle Vertragstheorie
setzt den universalen Anspruch vorraus, dass jeder der Vertragsteilnehmer sein
Naturrecht aufgibt, dass er bei seiner Verfolgung des Zieles, seiner
Selbsterhaltung, die Rationalisierung seiner Interessen im Rahmen der
Staatsgesetze, der Insititutionen, praktiziert.
Diese normative
Vertragstheorie - ich geh hier mal davon aus, Eberhard ist ein Vertreter dieser
Theorie - arbeitet also mit einem Menschenbild, dass die Bürger nur dann
Vernünftige sind, wenn diese den Naturzustand aufgeben, damit diese ihren
Strebenszustand, den juridisch-politischen Zusammenhang rational erfassen. Wenn
das, was hier von Eberhard immer wieder vorgetragen wird, alles richtig sein
soll, dieses aber niemand versteht -ausser denen die dieses Menschenbild denken
und dieses favorisieren- kann hier wohl etwas nicht richtig sein. Ich meine,
dass dieser Rationalität ihre Grenzen von der Lebenspraxis aufgezeigt werden.
Nicht unwichtig wird sein, in welchem Verhältnis die Rationalität der normativen
Vertragstheorie sich zu Religion positioniert. Politische Theorie könnte bei der
Berücksichtigung der Lebenspraxis, dass Selbsterhaltung selten die vernünftige
Rationalisierung der Interessen aufweisst, davon ausgehen, die anthropologischen
Grundlagen der hier favorisierten Rationalität zu reflektieren. Angenommen, dass
Naturrecht ist identisch mit dem Gesetz der Natur. Naturrecht, nicht
Naturzustand!, d.h., nicht, beispielsweise "ein VORPOLITISCHER Kriegszustand
(Hobbes, p.), der mit der (Be-) Gründung eines juridisch-politischen Zustandes
aufgehoben wird." Dann gibt es "keine Spannung zwischen naturrechtlicher und
naturgesetzlicher Norm, freilich auch keine aufhebende Synthese beider. Eine
normative Dynamik, die jedes Individiuum zur spontanen Übertragung des
Naturrechtes verpflichten würde, ist also nicht zu finden."
Gruß
philoschall
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 03.
Dez. 2005, 00:05 Uhr
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Hi Eberhard,
da meine Antwort der Server gefressen hat, beschränke ich
mich auf das Zitat von Augustinus (Bekenntnisse):
Wie kannst du nur,
verführte Seele, deinem Fleische folgen? Kehre um, so wird es dir folgen. Was du
fleischlich wahrnimmst, ist Stückwerk. Das Ganze bleibt dir verborgen, an dessen
Teilen, die du allein vor Augen hast, du dich gleichwohl erfreust. Aber auch
wenn deines Fleisches Sinn imstande wäre, das Ganze zu fassen, wenn er nicht
selbst dir zur Strafe in einem Teil des Universums die ihm zukommende
beschränkte Rolle spielen müsste, würdest du wollen, dass das heute Gegenwärtige
vorüberginge und du am All um so größere Freude habest. Auch die Worte, die man
spricht, vernimmst du ja mit demselben Fleischessinn und willst nicht, dass die
Silben stehen bleiben, sondern dahin eilen und anderen Platz machen, damit du
das Ganze vernehmest. So ist's immer mit allen Teilen, daraus ein Ganzes
besteht. Die Teile, aus denen es besteht, können nicht alle zugleich sein. Alle
zusammen, wenn man sie in ihrer Gesamtheit wahrnehmen kann, erfreuen mehr als
die einzelnen. Aber hoch über ihnen steht, der sie alle gemacht hat, er selbst,
unser Gott, der nicht entweicht, weil nichts an seine Stelle treten kann.
Mit anderen Worten: Herr Fromm könnte damit argumentieren, dass du als
beschränkter Mensch gar nicht in der Lage bist zu erkennen und zu entscheiden,
was richtig, wahr und gut ist.
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 03.
Dez. 2005, 11:31 Uhr
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Hallo Abrazo,
Herr Fromm ist sehr gebildet, wie ich sehe. Er zitiert
sogar die Kirchenväter, um die Position des Herrn Gottlos anzugreifen. Der alles
zermalmende geistige Hammerschlag ist die Feststellung, dass Heinz Gottlos „als
beschränkter Mensch gar nicht in der Lage ist zu erkennen und zu entscheiden,
was richtig, wahr und gut ist“.
Kleiner Mann was nun?
Aber Heinz
Gottlos gibt sich noch keineswegs geschlagen, sondern sendet an die Adresse von
Karl Fromm folgende E-Mail:
“Sehr geehrter Herr Fromm,
dass Sie
meine Argumente mit dem Hinweis auf meine Beschränktheit entkräften wollen, habe
ich nicht ohne eine gewisse Betroffenheit zur Kenntnis genommen.
Ihnen
muss dabei doch klar sein, dass eine solche pauschale Unmündigkeitserklärung
kein Argument innerhalb einer konsensorientierten Diskussion sein kann, weil sie
gleichzeitig einer derartigen Diskussion die Grundlage entzieht.
Das
erklärte Ziel eines Konsenses ist damit aufgekündigt, denn jedes von mir
vorgebrachte Argument kann von Ihnen jetzt mit dem Hinweis entkräftet werden,
dass ich in meiner Beschränktheit nicht in der Lage sei, zu erkennen was wahr
und gut ist. Das ist natürlich das Ende jeder vernünftigen,
erkenntnisorientierten Diskussion.
Sie müssen sich also entscheiden:
Entweder Sie bleiben bei unserm gemeinsamen Ziel eines allein durch Argumente zu
erreichenden Konsenses oder Sie geben offen zu, dass es Ihnen nur um die
Durchsetzung Ihrer religiösen Vorschriften geht.
In diesem Fall
verlassen Sie die Ebene der argumentativen Auseinandersetzung und begeben sich
auf die Ebene der machtbezogenen Auseinandersetzung, wo nicht Argumente sondern
Druckmittel und Sanktionsmöglichkeiten zählen.
Ich hoffe, dass Sie, Herr
Fromm, unter diesem Gesichtspunkt Ihre Diskussionsstrategie noch einmal
überdenken und zu einer nachvollziehbaren Argumentation zurückkehren. Ansonsten
muss ich Ihre Berufung auf die allgemeingültige Wahrheit und Ihr Bekenntnis zum
Ziel eines Konsenses bezeichnen als das, was es ist: ein leeres Wortgeklingel,
dass die nackte Forderung auf Unterwerfung unter ein Dogma nur unvollkommen
verbergen kann.
Mit freundlichen Grüßen Ihr Heinz Gottlos.“
Soweit
die E-Mail an Herrn Fromm. Wie mir Herr Gottlos erzählte, ist ihm die Strategie
der pauschalen Unmündigkeitserklärung nicht nur von religiöser Seite bekannt.
Auch andere Weltanschauungen „argumentieren“ damit.
Ein Beispiel ist der
Marxismus („Als Teil der Bourgeoisie bist Du in Deinem Denken der Ideologie
Deiner Klasse verhaftet, denn das gesellschaftliche Sein bestimmt das
Bewusstsein. Dir muss das Verständnis für die Wahrheit des wissenschaftlichen
Sozialismus verschlossen bleiben!“. Auch die Psychoanalyse eignet sich für diese
Diskussionsstrategie. („Sie können mir über Ihre Motive erzählen, was sie
wollen. Entscheidend für ihr Handeln bleiben die in ihr Unterbewusstsein
verdrängten Triebmotive“.)
Mit Grüßen an alle Interessierten schließt
Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 03.
Dez. 2005, 14:30 Uhr
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Hi Eberhard,
In diesem Fall verlassen Sie die Ebene der argumentativen
Auseinandersetzung und begeben sich auf die Ebene der machtbezogenen
Auseinandersetzung, wo nicht Argumente sondern Druckmittel und
Sanktionsmöglichkeiten zählen.
Genau das wird Herr Fromm tun. So,
wie es seine Vorfahren getan haben und so, wie seine Verwandtschaft in aller
Welt, ob religiös oder nicht, auch da stimme ich dir zu, es heute noch tut.
Bekanntermaßen sind Argumente, die auf der Vernunft beruhen und den friedlichen
Konsens zum Ziel haben, dagegen wirkungslos. Vernünftige Argumente deswegen,
weil ja die Zuverlässigkeit der menschlichen Vernunft generell abgestritten
wird. Vgl. Paulus: und der Friede Gottes, welcher höher ist denn jede Vernunft
... der Friede ist das Ziel. Doch der Weg dorthin rechtfertigt das Gemetzel.
Ich war noch ein Kind, da faszinierte mich eine große Briefmarke aus der DDR
(damals noch Sowjetzone genannt), darauf ein tapferer Streiter mit dem üblichen
Blick in die weite Ferne; darunter: kämpft für den Frieden in der Welt. Ich
betrachtete das als Widerspruch: für den Frieden kann man nicht mit Streitzeug
in der Hand kämpfen.
Dieser Widerspruch zieht sich durch all diese
Ideologien. Vor dem hehren Ziel in ferner Zukunft wird das Leben in der
Gegenwart belanglos. Doch Leben findet in der Gegenwart statt. Das kann man
nicht nachholen. Vertrösten is nich. Tatsache.
Wir haben hier also
zunächst mal ein Zeitproblem.
Nehmen wir mal das psychologische Phänomen
der Rechthaberei an. Ich kann dir zwar nicht beweisen, dass ich Recht habe, aber
die Zukunft wird diese Beweise liefern, dessen bin ich gewiss - und für diese
Zukunft kömpfe ich. Die Gewissheit entstammt aber nicht der Zukunft. Sie
entstammt Vergangenheit und Gegenwart. Die Frage ist, welcher Vergangenheit und
welcher Gegenwart? Also: wie konstruiert sich so ein Weltbild?
Ich denke,
Marx liefert hier durchaus brauchbare Ansätze - vorausgesetzt, man entkleidet
ihn seiner missratenen Epigonen. Marx war Antiidealist und Antiideologe. Den
Arbeiter sah er deswegen als Motor des Fortschrittes an, weil gerade der keine
Ideologie habe und den wissenschaftlichen Materialismus betrachtete er als
ideologieunabhängige Alternative. "Das Sein bestimmt das Bewußtsein", dieser
Kernsatz zielt auf die Daten ab, die logisch zu einem zusammenhängenden Weltbild
konstruiert werden. Diese Weltbilder sind, je nach den von der jeweiligen
Lebensform bestimmten Daten, selbstverständlich verschieden. Und führen zu
verschiedenen Interpretationen neuer Daten und zu verschiedenen Entscheidungen.
Auch wenn Marx ein sehr früher Vogel war, der viel gemistet hat, die
Flugrichtung stimmt imho.
Wer ungefähr das gleiche Weltbild hat, wird
eine Konsensmöglichkeit finden. Bei stark unterschiedlichen Weltbildern aber
wird ein solcher Konsens schwierig bis unmöglich. Ein Problem, das nach einer
Lösung verlangt.
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 03.
Dez. 2005, 21:54 Uhr
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Hallo Abrazo,
offenbar sind Herrn Fromm die Argumente ausgegangen und
Herr Gottlos hat überzeugend demonstriert, dass die Position des Herrn Fromm
nicht allgemein einsichtig begründbar ist. Wenn Herr Fromm trotzdem für seine
Position allgemeine Geltung verlangt (und am Karfreitag kein Fernsehsender eine
Komödie bringen darf), dann fordert er Gehorsam, dann appelliert er nicht an
Einsicht.
Dies Ergebnis ist schon etwas wert, denn diejenigen, die sich
in einer Machtstellung befinden und ihre Normen den andern aufzwingen, hängen
sich dabei gerne ein Mäntelchen der Rechtfertigung um und stehen nicht gerne
nackt da (weshalb diese Machthaber besonders empfindlich gegen Kritikfreiheit
und Meinungsfreiheit sind). Keine Gewaltherrschaft mag gern als das erscheinen,
was sie ist.
Wenn Du schreibst, dass ein vernünftiger, auf Argumenten
beruhender Konsens umso leichter herzustellen ist, je ähnlicher die Weltbilder
sind, dann widerspreche ich Dir nicht. In einer Gruppe wird man umso leichter zu
einer gemeinsamen, von allen getragenen Entscheidung zum Wohle der Gruppe
kommen, je einiger sich die Gruppenmitglieder zumindest über die tatsächliche
Lage, in der sie sich befinden.
Worauf es mir ankommt ist die
Aussonderung von Scheinargumenten, die nur vortäuschen, dass es ihnen um das
geht, was allgemein gültig ist und deshalb auch allgemein einsichtig sein
sollte. Es kommt darauf an, diejenigen Argumente herauszuarbeiten, die uns dem
Konsens über das, was zum Wohle der Allgemeinheit ist, näher bringen.
Mit
einem Gruß zum 2. Advent schließt Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 03.
Dez. 2005, 23:37 Uhr
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Hi Eberhard,
Herr Fromm gibt auf?
Schau dir den Irak-Krieg mit
allem drum und dran an. Herr Fromm gibt mitnichten auf. Herr Fromm lässt dich am
ausgestreckten Arm verhungern.
Was nützt es dir, Herrn Fromm
nachzuweisen, dass seine Argumente aus deiner Sicht (!) Scheinargumente sind?
Das interessiert ihn nicht, weil er deine Sicht für falsch hält.
Keine
Gewaltherrschaft mag gern als das erscheinen, was sie ist.
Nun, sie will
sich als das darstellen, wofür sie sich hält: als Kampftruppe zur Durchsetzung
des Ideals des Guten in der Zukunft.
Es gibt ein rudimentäres gemeinsames
Weltbild. Begründet dadurch, dass wir als Menschen alle konstitutionell gleich
verfasst sind und alle in der gleichen Welt leben. Dahin müssen wir zurück. Nur
auf dieser Basis wird ein Grundkonsens möglich sein - und nur auf dieser Basis
wird es möglich sein, Scheinargumente auch als Scheinargumente einleuchtend
nachzuweisen.
Der ach so unmoderne Herr Descartes kann uns da weiter
helfen: und wenn ich nicht fähig wäre, auch nur einen Fitzel Wahrheit über die
Welt und ihre Zusammenhänge zu erkennen, wenn ich mich in allem täuschen, über
alles irren würde, so könnte ich mich darin nicht irren, dass ich bin. Und zwar
hier und jetzt. Gleich, welche Ideologie er anbetet, ich glaube nicht, dass hier
irgend einer dem Konsens widersprechen würde.
Ich werde morgen früh beim
Kerzenscheine einen zweiten Lebkuchen für dich mit verputzen! ;-)
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 04.
Dez. 2005, 11:03 Uhr
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Halllo Abrazo,
ich hoffe, die Lebkuchen haben gut geschmeckt.
Dass
Herr Fromm seine Absicht aufgibt, die eigene Position durchzusetzen, habe ich
auch nicht erwartet. Aber er hat offensichtlich aufgehört zu argumentieren, weil
er gemerkt hat (und andere haben es auch bemerkt), dass er seine Position
gegenüber Herrn Gottlos nicht begründen kann.
Du entgegnest:
“Was
nützt es dir, Herrn Fromm nachzuweisen, dass seine Argumente aus deiner Sicht
(!) Scheinargumente sind? Das interessiert ihn nicht, weil er deine Sicht für
falsch hält.“
Das erinnert mich an eine Situationen, die ich schon
häufiger erlebt habe. Nachdem ich ausführlich mit jemandem diskutiert habe und
nachdem sich dessen Position als völlig unhaltbar gezeigt hat, kommt als letztes
„Argument“ gegen meine Position schließlich der Satz: „Das ist DEINE Meinung!“,
so als hätte es die vorangegangene Diskussion überhaupt nicht gegeben.
Der Andere hat zwar recht damit, dass es sich um dabei um meine subjektive
Meinung handelt, aber es ist NICHT NUR meine Meinung, die ich vertrete, sondern
nach der abgelaufenen Diskussion habe ich auch gute Gründe, diese Meinung für
richtig zu halten und ich kann den Anspruch auf deren allgemeine Geltung
rechtfertigen. Darin besteht nach erfolgter Diskussion der entscheidende
Unterschied zwischen meiner und seiner Meinung. Mit dem Satz: „Das ist DEINE
Meinung“ versucht der Andere nun, diesen Unterschied wieder zu verwischen.
Die Situation stellt sich so dar. Jede Meinung ist die Meinung eines
Subjektes und insofern subjektiv. Jede Meinung enthält aber allein dadurch, dass
sie vom Betreffenden für richtig gehalten wird, den Anspruch auf allgemeine
Geltung. Das entscheidende Problem ist festzustellen, welche der verschiedenen
Meinungen diesen Anspruch zu recht enthält, welche Ansicht „allgemeingültig“
ist.
Die soziale Institution, auf der allgemeine Geltungsansprüche in
Bezug auf bestimmte Behauptungen geprüft werden, ist die Diskussion (Diskurs,
Streitgespräch, Disput, Erörterung etc.).
In einer Diskussion werden die
verfügbaren Argumente für und wider eine strittige Behauptung zusammengetragen
und auf ihre eigene Richtigkeit geprüft. Außerdem wird geprüft, inwiefern diese
Argumente den Anspruch auf allgemeine Geltung der strittigen Behauptung stützen
oder untergraben.
Zu den Grundregeln der Diskussion gehört, dass nur
solche Diskussionsbeiträge Argumente sein können, die auch für die andern
Diskussionsteilnehmer nachvollziehbar (teilbar, übernehmbar) sind.
Diese
Regeln der Argumentation, die man nicht bestreiten kann, ohne dass man sie dabei
bereits selber in Anspruch nimmt, stellen meiner Meinung nach einen allgemein
tragfähigen Ausgangspunkt unseres Denkens dar.
Aber ich schließe nicht
aus, dass man auf dem von Dir skizzierten Weg ebenfalls zu brauchbaren
Ergebnissen kommt.
Noch ein Letztes. Wenn Herr Fromm die Ebene der
Diskussion völlig verlässt und sich auf etwas beruft, das „höher ist denn alle
Vernunft“, dann argumentiert er nicht mehr, dann geht es ihm nicht mehr um
“allgemeingültig oder nicht“, sondern dann geht es nur noch um wirkungsvolle
„Menschenfischerei“. (In den Philtalk-Foren bewegen sich ja immer etliche dieser
Spezies, die etwas Höheres als Vernunft anzubieten haben und deren „Argumente“
dann auch entsprechend kläglich ausfallen.) Wenn diese Gurus und Apostel nach
ihrer Absage an die Vernunft dann noch von Wahrheit, Erkenntnis oder Wissen
reden, dann fällt das unter die Rubrik „Etikettenschwindel“.
Mit diesen
unchristlichen Gedanken verabschiedet sich Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von philoschall am
04. Dez. 2005, 12:04 Uhr
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Hallo zusammen,
"Es gibt ein rudimentäres gemeinsames Weltbild. Begründet
dadurch, dass wir als Menschen alle konstitutionell gleich verfasst sind und
alle in der gleichen Welt leben. Dahin müssen wir zurück. Nur auf dieser Basis
wird ein Grundkonsens möglich sein - und nur auf dieser Basis wird es möglich
sein, Scheinargumente auch als Scheinargumente einleuchtend nachzuweisen."
Abrazo
Alle Menschen werden aufbegehren, wenn sie zu einem Verhalten
gezwungen werden, dass mit dem Streben der Selbsterhaltung unverträglich ist.
Selbsterhaltung ist ein Prinzip, dass jedem Individuum seine Verhaltensweise
vorgibt. Da jedes Individuum in seinem Zustand strebt zu verharren, da sich die
Macht dieser Selbsterhaltung vollzieht BEVOR bestimmte individuelle Handlungen,
BEVOR bestimmte politische Maßnahmen gerechtfertigt werden, stellt dieses
Streben nur den "prinzipiellen Ansatz" dar - der jedoch missachtet wird, wenn
die im juridisch-politischen Zusammenhang praktizierte Vernunft sich zur
Unvernunft verkehrend vollzieht.
Was kann von einem Individuum verlangt
werden, ohne dass dieses Prinzip verletzt wird? Bezüglich jenen Vielen, denen
die konsequente Rationalisierung der Interessen hinsichtlich des Gemeinwohls
nicht gegeben ist, deren Strebenszustand nicht von der Vernunft, vielmehr von
ihrer Motivation, etwa Religion über den Staat zu stellen, geleitet ist. Diese
Vielen verharren ebenso im Strebenszustand wie die Wenigen, die absolutgesetzte,
etwa religiöse Ansprüche hinsichtlich des Staates, im Rahmen einer staatlichen
Rechtsordnung abweisen (lassen).
Heute wenig Zeit, bis später.
Gruß
philoschall
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Alltag am 04.
Dez. 2005, 14:56 Uhr
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on 12/03/05 um 23:37:03, Abrazo wrote:...
Es gibt ein rudimentäres
gemeinsames Weltbild. Begründet dadurch, dass wir als Menschen alle
konstitutionell gleich verfasst sind und alle in der gleichen Welt leben. Dahin
müssen wir zurück. Nur auf dieser Basis wird ein Grundkonsens möglich sein ...
:-) Hallo allseits,
Das ist noch nicht die ganze
Aufgabenstelleung. (Wie bei Differentialgleichungssystemen braucht es noch
Randbedingungen, sonst gibt es unendlich viele Lösungen). Welche Randbedingungen
muss die Lösung/Antwort erfüllen?
Danke & Gruss --- Euer sphärischer
Alltag
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 04.
Dez. 2005, 22:48 Uhr
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Hi zusammen,
klar haben die Lebkuchen geschmeckt. Aber auch nur, weil ich
aufgrund zunehmener räuberischer Überfälle inzwischen ein Blech pro Woche
kalkuliere - damit ich auch was abkriege [indifferent]
Zu den Grundregeln
der Diskussion gehört, dass nur solche Diskussionsbeiträge Argumente sein
können, die auch für die andern Diskussionsteilnehmer nachvollziehbar (teilbar,
übernehmbar) sind.
Frage: wann sind sie das?
Hier kommt das
rudimentäre gemeinsame Weltbild ins Spiel. Was aufgrund gleicher Konstitution
gleich erkennbar ist, ist auch gleich nachvollziehbar.
Gleich ist bei uns
allen die Fähigkeit der Wahrnehmung. Egal, was wir wie und mit welchem Sinn
wahrnehmen, wir nehmen nur das wahr, was sich von seinem Hintergrund
unterscheidet. Das wahrgenommene Objekt ist also ungleich seinem Hintergrund.
Ergebnis dieser Überlegung: die Logik.
Wer ihr widerspricht, spielt wie
mit Murmeln mit bedeutungslosen Sätzen herum, die deswegen eben nicht mehr
nachvollziehbar sind, steigt aus dem Dialog aus und monologisiert. Typisch
übrigens für unsere Esoteriker. Weswegen sie sich auch so relativ ungerne in
Esoterikforen aufhalten: wird auf Dauer irgendwie langweilig, wenn jeder für
sich so vor sich hin monologisiert; geht man lieber Philosophen nerven.
Das ist die Ebene der Verknüpfungen; gleich ist aber ebenfalls die Ebene der
Wahrnehmungsdaten.
Wenn ich sage, guck mal da, ein Baum, und du sagst,
ja, dann sind wir uns darüber einig, dass da ein Baum ist.
Wenn ich
frage: hast du den Baum vor dem Rathaus gesehen? Und du sagst: ja, dann sind wir
uns darüber einig, dass vor dem Rathaus ein Baum zumindest stand.
Wenn
ich aber sage, guck mal den Keim, da wächst ne Eiche und du sagst, ne, das wird
ein Walnussbaum, dann sind wir uns darüber nicht einig. Und wenn wir nicht in
der Lage sind, anhand wahrnehmbarer Tatsachen festzustellen, ob das nun ne Eiche
oder ein Walnussbaum wird, dann werden wir uns darüber auch nicht einigen.
So, wie wir uns nicht über Wiedergeburt und Jenseitsglaube einigen können.
Daten, über die wir uns einigen können, sind immer nur gegenwärtige oder - mit
Einschränkungen - vergangene, niemals aber zukünftige. Ereignisse in der Zukunft
können wir kalkulieren, anhand gegenwärtiger oder vergangener Daten und ihrer
logischen Verknüpfungen. Aber es bleiben immer erdachte und damit möglicherweise
irrige Prognosen, es sind keine Daten. Sie mit Daten gleich zu setzen, ist
unredlich. Hier ist ein Konsens im Zweifelsfalle nicht möglich.
Philoschall sagt:
Alle Menschen werden aufbegehren, wenn sie zu einem
Verhalten gezwungen werden, dass mit dem Streben der Selbsterhaltung
unverträglich ist. Selbsterhaltung ist ein Prinzip, dass jedem Individuum seine
Verhaltensweise vorgibt.
'werden aufbegehren' ist eine Prognose. Er
begründet sie mit dem Prinzip der Selbsterhaltung. Nun bin ich bereit, von
Sokrates über Pater Maximilian Kolbe über Selbstmordattentäter bis hin zum ganz
normalen Selbstmörder jede Menge Beispiele anzuführen, die nicht diesem Prinzip
folgen. Damit ist imho die Prognose nicht konsensfähig (nebenbei bemerkt: den
Ausdruck 'strebt zu verharren' verstehe ich als logischen Widerspruch).
Daraus folgt: wer den Konsens will, muss willens und bereit sein, seine
Kalkulation auf Wahrnehmbares logisch zurückzuführen. Klingt harmloser als es
ist - wenn wir an den Konstruktivismus denken.
Wenn wir Vernunft als
logische Folge und logisches Folgen dem biologisch programmierten Ziel Überleben
verstehen, dann gibt es etwas, was höher ist als die Vernunft: nämlich die
humane Ethik. Denn der ethische Wille bietet eine alternative
Enscheidungsmöglichkeit zur biologisch programmierten Entscheidung, und die ist
vernünftig. Allerdings ist der ethische Wille subjektiv wahrnehmbar. Und da es
im Laufe der Geschichte sehr viele Menschen gab, die diesen Willen offenbarten,
ist er intersubjektiv wahrnehmbar; nicht für alle, doch für mehr als einen. Da
er wahrnehmbar ist, ist er ein Datum, mit dem man wiederum logisch kalkulieren
kann. So stellt sich mir die Frage, was ist mit dem 'höher als jede Vernunft'
gemeint, wenn das von mir eben gesagte nicht gemeint ist, wie es ja offenbar der
Fall ist, wenn gesagt wird, der Mensch könne nichts Wahres erkennen. Denn
Wahrnehmungen sind immer wahr. Selbst der Schizophrene kann sich nicht darin
irren, dass er die Stimmen, die er hört, hört; irrig ist nur die von ihm
erdachte Zuordnung.
Damit erst mal Schluss.
Das imho nun folgende
Problem bezüglich der Normendiskussion wäre die Frage, inwieweit wir auf dieser
Basis zu einem Willenskonsens kommen könnten.
Gruß
P.S. @ Alltag:
was sind die Randbedingungen von Peanos Axiomen?
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von philoschall am
05. Dez. 2005, 13:06 Uhr
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Hallo zusammen,
Abrazo schreibt: "Nun bin ich bereit, von Sokrates über
Pater Maximilian Kolbe über Selbstmordattentäter bis hin zum ganz normalen
Selbstmörder jede Menge Beispiele anzuführen, die nicht diesem Prinzip folgen.
Damit ist imho die Prognose nicht konsensfähig."
Ein Beispiel steht hier
bereits für Viele. Die individuelle Handlung, etwa des Sokrates den
Schierlingsbecher zu trinken, verletzt dieses "Prinzip" nicht. Sokrates, seine
individuelle Handlung der Selbsttötung ist lediglich (ohnmächtiger)
Teil-Ausdruck des individuellen sowie gemeinsamen Selbsterhaltungsstrebens der
menschlichen Gattung. Die individuelle Handlung der Selbsttötung ist im
Zusammenhang der Biographie, des Umfeldes der Selbsttötung zu betrachten.
Sokrates beispielsweise besuchte Mitbürger unter freien Himmel, um mit ihnen auf
seine Art über die Dinge zu diskutieren, die ihm wichtig waren. Auch wenn ihm
zur Last gelegt wurde, dass er, da er seine Mitbürger verunsichere, dass er mit
öffentlichen Diskussionen gegen bestehende Staatsgesetze handelt, wird er davon
ausgegangen sein, im Sinne des griechischen Allgemeinwohls zu handeln. Wird das
eigene, als gerecht beurteilte Handeln von anderen vergesellschaften Individuuen
jedoch derart bestimmt, dass dieses in Selbsttötung umschlägt, bewirkt diese
individuelle Handlung nicht die Beendigung des Naturrechts: dass "Prinzip" des
menschlichen Selbsterhaltungsstreben bleibt unangetastet. Zugestanden, mehrere
Individuuen beschliessen ihre kollektive Selbsttötung, wie etwa von Sekten
vollzogen, deren Mitglieder in ihrer Handlung von inadäquaten Ideen bewegt,
beispielsweise den Zeitpunkt des Weltunterganges zu kennen - auch mit dieser
vergesellschafteten Handlung der Selbsttötung bleibt das Naturrecht der
menschlichen Gattung bestehen. Verhielte sich dieses anders, dass mit der
individuellen oder fanatisch-gemeinsamen Handlung der Selbsttötung dass
menschliches Selbsterhaltungsstreben ausser Kraft gesetzt wird, könnten wir
beispielsweise hier nicht schreiben.
Wie abwegig und absurd dein Hinweis
ist, zeigt sich schlagend, wenn er im juridisch-politischen Kontext, bei der
Behandlung der Frage nach Allgemeinwohl, betrachtet wird. Bei der (Be) Gründung
von Gemeinwohl vom Interesse der Selbsttötung ausgehen, steht derart der
Vernunft entgegen, dass die öffentliche Favorisierung dieses individuellen und
dieses fanatisch-gemeinsamen Handelns das Aufbegehren der nicht-fanatisierten
Menschen, d.h. denen die nicht völlig der Logik ledig, folgen wird. Wer diese
Logik nicht teilt, erweisst sich bei der (Be) Gründung der Frage nach Gemeinwohl
als nicht konsesfähig, da von ihm der Lebenspraxis Verkehrendes favorisiert
wird. Keine Regel ohne Ausnahme. Mit diesen ohnmächtig-individuellen und
ohnmächtig-fanatischen Gruppenverhalten zeigt sich lediglich die
vergesellschaftete Verkehrung des Selbsterhaltungstrebens der menschlichen
Gattung, deren Individualisierung, als vernünftige und/oder unvernünftige sich
vollziehend, vom empirischen Ausnahmefall der Selbsttötung nicht angetastet.
"Was aufgrund gleicher Konstitution gleich erkennbar ist, ist auch
gleich nachvollziehbar. Gleich ist bei uns allen die Fähigkeit der Wahrnehmung."
Abrazo
Zustimmung. Die Fähigkeit der Wahrnehmung ist Kennzeichen (nicht
nur) des menschlichen Selbsterhaltungsstrebens. Dass Denken des V o r g e s t e
l l t e n der Dinge, z.B. die Aussage, dass Haus A von Haus B 500 Meter entfernt
ist, entspricht nicht notwendigerweise dem Wissen von dieser Entfernung das mit
mathematischen Ordnungssystem gegeben ist, sondern (zunächst) der körperlichen,
d.h. des Menschen sinnlicher Auffassung der Objekte A und B und der damit
gegebenen sinnlichen Auffassung der Entfernung. Mit der in der Sinnenerfahrung
verbleibenden Urteilskraft ist jedoch nicht grundsätzlich das Urteil der
Falschheit gegeben. Irrtümer der Sinnenerfahrung beruhen beispielsweise darauf,
dass die Entfernung zwischen A und B nicht in ihrer, von den mannigfaltigen
Vorstellungen sich distanzierenden, etwa mathematischen Ordnungsgesetzlichkeit
erfasst werden. Irrtum ist der Mangel des adäquaten Denken wahrgenommener
Ausdehnung, d.h. Dinge. Die in der Sinnenwahrnehmung verbleibende Urteilskraft
kann von der Entfernung zwischen Objekt A und Objekt B, da Wahrgenommenes nicht
in das adäquat Gesetzliche Denken gekommen, keine vom inadäquaten Wissen völlig
bereinigte Aussage leisten.
Entscheidend ist jedoch nicht die von dir
angeführte Gleichheit. Entscheidend ist hier das Ordnungssystem, mit dem die mit
dem menschlichen Selbsterhaltungsstreben gefundenen und ins Denken erhobenen
Sinnesdaten zwecks Lebenspraxis geordnet wurden und werden. Und hier gibt es
gravierende (graduelle!) Unterschiede des menschlichen Selbsterhaltungsstrebens,
mit dem das innerhalb der westlichen Kultur zur Entfaltung gekommene
mathematisch-technische Ordnungssystem lediglich als eines von unterschiedlichen
sowie entgegengesetzten Ordnungssystemen aufgetreten. Bevor das mit dem
Globalanspruch aufgetretende us-amerikanische und westeuropäische Denken und
Handeln tiefgreifend Kulturen vermochte zu beeinflussen, leisteten bereits
Bezugssysteme Ordnung der mit dem menschlichen Körper gegebenen Sinnenerfahrung
zwecks Lebenspraxis, die mit, etwa theoretischer Auseinandersetzung von
Erkenntnistheorie gewonnenen Resultaten oder den industriell-vergesellschafteten
Resultaten von Naturwissenschaft nicht vergleichbar sind. Wird hier nicht
Bescheidenheit, die Verrelativierung des Verabsolutierten us-amerikanischer
sowie westeuropäischer Selbstverständlichkeiten geübt (was mit den Begriffen
Humane Ethik bezeichnet werden könnte), verkommt dann nicht die Rede,
beziehungsweise die Auseinandersetzung mit der mit dem menschlichen Körper
gegebenen Gleichheit als Voraussetzung der Behandlung von Gemeinwohl zum Gerede?
Gruß
philoschall
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Alltag am 05.
Dez. 2005, 21:54 Uhr
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on 12/04/05 um 22:48:44, Abrazo wrote:....was sind die Randbedingungen von
Peanos Axiomen?
:-) Hi Abrazo,
Zählen lernt man seit eh
und jeh und wo auch immer durch die widerholte und regelmässige Bewegung der
Finger. Diese Lebenspraxis ist die Randbedingung der Peanos Axiome, die in der
Sprache der Logik nichts anderes beschreiben als "zählen". Beim Lesen der Peanos
Axiome - ich habe sie im Duden Lexikon gefunden - lernt man nicht "zählen"
sondern die Sprache der Logik.
Die Logik fusst auf ein derartig
rudimentäre gemeinsame Lebenspraxis (Weltbild) und erfreut sich grosser
beliebtheit, weil wir als Menschen alle konstitutionell gleich verfasst sind und
alle in der gleichen Welt leben.
Führt uns die Logik deshalb zum
Gemeinwohl und Individualwohl? Ich denke, nein, denn es fehlt noch etwas: Die
Vorstellung, dass es eine Lösung geben muss, die transparent, nachvollziehbar,
konsistent, komplet und daher korrekt ist.
Du sagst "Dahin müssen wir
zurück." Ja! Zurück zu der Quelle aus der diese Vorstellung sprudelt. Wenn wir
diesen Quellort kennen, können wir vermutlich auch verstehen, dass die Bedingung
der Möglichkeit von Gemeinwohl (trotz Individualwohl) gegeben ist. Alsdann
können wir vermutlich die eigene Ideologie loslassen und uns auf die Basis des
Grundkonsens einlassen.
Können wir uns vorstellen, dass dieser Quellort
phänomenologischer Natur ist und beispielsweise durch (logisches) denken ortbar
ist? Und zwar für Jederman, in jedem Alter, allerorts und seit eh und jeh, /1/!
--- Danke & Gruss --- Euer randbedingte Alltag
/1/ Dieser Satzinhalt ist
die Randbedingung!
Post script: Die Wellengleichung ist unter den
komplizierten Differentialgleichung eine der bekannten und anschaulichen. Ihre
Lösungen sind Wellen. Ob Pfeiffton oder Geigenklang, Wasserwellen oder Tsunami,
Paukenschlag oder Erdbeben, wird einzig und allein durch die mathematisch zu
formulierenden Randbedingungen (inklusive Materialeigenschaften) bestimmt. ---
Übertragen auf die Philosophie (nicht die Esotherik) entsprechen die
Randbedingungen der Lebenspraxis (ohne sie ist Alpraum, Wahn usw. statt
Philosophie)
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 05.
Dez. 2005, 23:12 Uhr
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Hi zusammen,
Philoschall, du sollst Abrazo nicht interpretieren.
1.
Unbestritten ist Selbsterhalt eines der zentralen Prinzipien biologischer
Programmierung. Mensch hat aber die Möglichkeit, selbst dazu alternativ zu
entscheiden. Damit verbinde ich keine Bewertung, ich stelle nur fest, dass es so
ist.
Wer nun Selbsterhaltung als oberstes Prinzip für den Menschen
zementieren will, zementiert damit kein humanes, sondern ein biologisches
Prinzip. Das halte ich grundsätzlich für gefährlich.
2.
Wahrnehmen ist
nicht denken. Zwischen Wahrnehmen und Entfernungen feststellen liegen etliche
Schritte, angefangen damit, dass man erst einmal darüber nachdenken muss, was
eine Entfernung eigentlich ist und dass man sie mit anderen Entfernungen
vergleichen kann.
3.
'Ordnungssystem' ist mir ein zu schwammiger
Begriff. Wer ordnet was wonach?
Was die Kulturen betrifft, so mache ich
darauf aufmerksam, dass ihre Bedeutung verschieden ist.
Nach dem Niedergang
des Römischen Reiches kam in der alten Welt ne Zeit lang gar nichts, denn Europa
versank in mittelalterlicher christlicher wissensfeindlicher Dogmatik. Ab dem 7.
Jahrhundert kamen die Araber und die von ihnen eroberten und geprägten Regionen
zur Blüte und pflegten und entwickelten die Wissenschaften. Europa begann erst
im 13. und 14. Jahrhundert wieder zu erwachen, entscheidend dazu beigetragen hat
der Einfluss islamischer Kultur und Wissenschaft. Während die islamische Welt
langsam wieder einschlief, nicht zuletzt unter der religiösen Orthodoxie, die
sich verbreitete, begann Europa eben diese religiöse Orthodoxie abzuwerfen und
neu zu denken. Wie's weiter geht, weiß ich nicht - auf jeden Fall sind Momente
der Dekadenz wie weiland zu römischen Zeiten in der westlichen Welt (in diesem
Sinne ist Nordamerika ein Ableger Europas) schon lange zu beobachten. Auch aus
historischen Gründen halte ich den Eurozentrismus für fehlerhaft.
Und der
Begriff Gemeinwohl ist in anderen Kulturen noch sehr lebendig.
@ Alltag:
Zählen lernt man seit eh und jeh und wo auch immer durch die widerholte und
regelmässige Bewegung der Finger. Diese Lebenspraxis ist die Randbedingung der
Peanos Axiome, die in der Sprache der Logik nichts anderes beschreiben als
"zählen".
Ich fürchte, da wirst du eine Menge Mathematiker und Logiker gegen
dich haben. So einfach ist das nicht.
Die Logik fusst auf ein derartig
rudimentäre gemeinsame Lebenspraxis (Weltbild)
Umgekehrt wird ein Schuh
draus: unsere Weltbilder fußen auf der Logik. Denn die Logik ist keine
Erfindung, sondern eine Entdeckung.
Ohnehin bin ich der Ansicht, dass wir
nicht das, was entwickelt wurde (Differentialgleichung z.B.) auf das anwenden
können, woraus es sich entwickelt hat. Das Vorher-Nachher sollte man imho schon
unterscheiden.
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von philoschall am
06. Dez. 2005, 13:12 Uhr
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Hallo zusammen,
"1.
Unbestritten ist Selbsterhalt eines der zentralen
Prinzipien biologischer Programmierung. Mensch hat aber die Möglichkeit, selbst
dazu alternativ zu entscheiden. Damit verbinde ich keine Bewertung, ich stelle
nur fest, dass es so ist.
Wer nun Selbsterhaltung als oberstes Prinzip
für den Menschen zementieren will, zementiert damit kein humanes, sondern ein
biologisches Prinzip. Das halte ich grundsätzlich für gefährlich." Abrazo
Eberhard begrüsst hier öfters alle an Politischer Theorie Interessierten.
Ich grüsse heute mit folgenden Ausführungen zurück. Hume gelingt mit seiner
Kritik an historisch begründeter Vertragstheorie -es gibt keinen und wird keinen
Staat geben, der durch einen sogenannten ursprünglichen Vertrag des Volkes
entstanden und entstehen wird- den empirisch begründeten Nachweis, dass Staat
als Ausdruck physischer Gewalt vom Volk bereits vorgefunden wird, dass es darum
geht, dass Bürger, soll Staat nicht als pure Gewaltherrschaft auftreten, Staat
nachträglich, mit stillschweigender Zustimmung, anerkennen. Nicht die bereits
vorgefundene physische Gewalt, nicht bereits vorgefundener Staat soll
legitimiert werden, nicht diese mit physischer Gewalt gegebene Einrichtung soll
aufgrund von Moral, mit einem "neuen", gewaltfrei abzuschließenden
Gesellschaftsvertrag, aufgelöst werden. Die allgemeinen Interessen und
Bedürfnisse des Volkes sollen ausreichend berücksichtigt werden; dass Recht ist
weder auf die absolute Legitimierung des bestehenden Staates und seiner
Verfassung noch auf Revolution angewiesen. Hume favorisiert die ausreichende
Berücksichtigung der Interessen und Bedürfnisse des Volkes hinsichtlich R e f o
r m e n d e r V e r f a s s u n g. Auch Kant setzt auf d i e s e
Berücksichtigung: er favorisiert den Vertrag als normative I d e e. Die
jeweilige juridisch-politische Verfassung soll vermittels dieser I d e e ständig
zu Gunsten der Bürger verpflichtet werden; soziale Dynamik zur ständigen
Verbesserung des politischen Systems ohne Anspruch auf Revolutionen wird
favorisiert. Dass jeder Vertragsteilnehmer auf sein eigenes Naturrecht völlig
bezw. teilweise verzichtet, ist universale Vorraussetzung auch deutscher
ideeller Vertragstheorie. Hinsichtlich angelsächsischer Philosophie,
beispielsweise Hobbes: Im Naturzustand besitzt jeder Mensch Naturrecht, welches
bei ihm eine vorstaatlich-provisorische Rechtfertigung der Freiheit des Menschen
ist, zu seiner Selbsterhaltung alles zu tun, was dazu tauglich zu sein scheint.
Im Naturzustand entstehen aus dem menschlichen Selbsterhaltungsstreben nach
Hobbes jene Konflikte, die gelöst werden müssen: Die Lösung erfolgt dadurch,
dass die Menschen ihr Naturrecht suspendieren, dieses einer allen gemeinsamen
Autorität übertragen, mit der die Verhältnisse der Individuen zueinander
geregelt werden. Dass Ziel des menschlichen Selbsterhaltungsstreben ist nach
Hobbes die normative Bindung des Menschen, die dann gelungen ist, wenn er
konsequent Rational sich erhalten will. Dass Naturrecht des Menschen wird hier
gewissermaßen aufgehoben, wenn menschlichen Selbsterhaltungsstreben gelungen
Rational die Interessen zu verfolgen, wenn damit eine höherrangige Norm sich
herausgebildet.
Wenn die Selbsttötung, beispielsweise des Sokrates
ebensowenig Unrecht ist, wie die staatsrechtliche Auslegung seiner Ankläger
Recht ist - wenn also sowohl die individuelle Handlung, etwa die des Sokrates
wie auch das im Namen des Staatsrechtes begründete Urteil der Ankläger als
Ausdruck des Naturrechtes genommen werden - : wie kann dann, wenn also jeder
vergesellschaftete Mensch wie im Naturzustand soviel Recht besitzt wie er Macht
bezw. Ohnmacht besitzt, jene mit der ideellen Vertragstheorie favorisierte wie
auch mit der Hobbeschen Aufhebung favorisierte Vertragsgesetzlichkeit überhaupt
wird auftreten können, deren Rechtsbegriffe für sich beanspruchen im Gegensatz
zu dem Machtbegriff zu stehen? Doch wohl unter der Voraussetzung, dass Bürger,
bezüglich Hobbes, die konsequente Verfolgung der Rationalisierung der Interessen
praktizieren, dass Bürger, bezüglich Kant, die Interessen geleitet von
normativer Idee (Moral) praktizieren.
Und die alltägliche Lebenspraxis?
Was lehrt diese, berücksichtigend ideelle Vertragstheorie sowie Hobbescher
Aufhebung und Rationalität? Verfolgen die Bürger die Interessen denn wenigstens
Rational, d.h. plangemäß und konsequent oder, hinsichtlich ideeller
Vertragstheorie sogar mit normative Idee (Moral), mit der Höherrangige (!), die,
vom angenommenen Naturrecht des Menschen sich im Diesseits (er!)lösende
(Welt!)Gesellschaft sich manifestieren soll? Muss der Politischen Theorie
Westeuropas -hier Frankreich ausser Acht lassend- angesichts des alltäglichen
Strebenszustandes des sogenannten Volkes (in demokratisierten Gesellschaften
immerhin Souverän) ihre Unternehmung nicht selber als Seifenblase, als
Luftnummer, erscheinen? Wem nützen gebetsmühlenartig vorgetragene gut gemeinte
Appelle an jene die schlagend beweisen, dass Interessen nicht konsequent
Rational verfolgt werden. Diese Litanei wird sich auch nicht ändern, bevor die
alltägliche Praxis des Selbsterhaltungsstreben der politischen Theorie nicht als
jenes Streben begrifflich aufgegangen, dass vorallem anderen dem verhaftet
bleibt, dass von angeführter Politischer Theorie v ö l l i g unzureichend
berücksichtigt wurde und wird: dass mit dem menschlichen Selbsterhaltungsstreben
stets gegebene (Spannungs)Verhältnis Vernunft und Affektivität. Politische
Theorie, die s o z i a l e Dynamik der Affekte des menschlichen
Selbsterhaltungsstrebens im juridisch-politischen Zusammenhang hervorhebend,
vermag einen anderen Zugang zum Verständnis des vergesellschafteten Menschen
leisten. Dazu gehört jedoch (abermals) nicht nur theoretisch
Selbstverständlichstes, d.h. politischer Theorie wie auch Philosophie
betreffend, als nicht nur Unzureichendes, sondern als die Lebenspraxis
Verkehrendes zu begreifen.
philoschall
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 06.
Dez. 2005, 18:50 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Abrazo,
wann sind Argumente für andere (also
intersubjektiv) nachvollziehbar?
Behauptungen darüber, wie die Welt
beschaffen ist, können durch intersubjektiv übereinstimmende Wahrnehmungen der
Individuen – in Verbindung mit logischen Schlussfolgerungen - bestätigt werden.
Deshalb sind Sätze wie; „Ich sehe das Leuchten des Stoffes nicht nicht, das die
Theorie T voraussagt“ geeignete Argumente. Hier gilt Deine Feststellung: Wer den
Konsens will, muss willens und bereit sein, seine Kalkulation auf Wahrnehmbares
logisch zurückzuführen.
Für normative Behauptungen darüber, wie
Amtsinhaber handeln sollten, wenn sie dem Gemeinwohl verpflichtet sind, reicht
jedoch das Kriterium der logischen Widerspruchsfreiheit und der
übereinstimmenden Wahrnehmungen nicht aus.
Dazu müssen Willensinhalte
bzw. Interessen der Beteiligten, Urteile über die relative Größe der Vor- und
Nachteile für die verschiedenen Interessengruppen herangezogen werden, und die
sind nicht direkt beobachtbar oder empirisch messbar.
Hinzu kommt das
Prinzip der unparteiischen Berücksichtigung aller Betroffenen, ohne das kein
Konsens erreichbar ist.
Ich sehe eine Möglichkeit zur Einschätzung der
Interessenlage eines andern grundsätzlich dadurch gegeben, dass ich mich – wenn
es geht real, und wenn das nicht geht, zumindest vorstellungsmäßig - in die Lage
des andern hineinversetze und versuche, die Angelegenheit aus seiner Sicht zu
beurteilen.
Menschen haben diese Fähigkeit zum Nachempfinden, zur
Empathie, zur Identifkation mit anderen. Wäre dem nicht so, dann gäbe es keine
Belletristik und keine Schauspielkunst. Und die meistgestellte Frage in unserer
Gesellschaft (Wie geht es Dir?) wäre sinnlos.
Es grüßt Dich und alle
Interessierte Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am 06.
Dez. 2005, 23:34 Uhr
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Hi Eberhard,
on 12/06/05 um 18:50:17, Eberhard wrote:Ich sehe eine
Möglichkeit zur Einschätzung der Interessenlage eines andern grundsätzlich
dadurch gegeben, dass ich mich – wenn es geht real, und wenn das nicht geht,
zumindest vorstellungsmäßig - in die Lage des andern hineinversetze und
versuche, die Angelegenheit aus seiner Sicht zu beurteilen.
Menschen
haben diese Fähigkeit zum Nachempfinden, zur Empathie, zur Identifkation mit
anderen. Wäre dem nicht so, dann gäbe es keine Belletristik und keine
Schauspielkunst. Und die meistgestellte Frage in unserer Gesellschaft (Wie geht
es Dir?) wäre sinnlos.
Das funktioniert nicht. Vergiss es.
Um dir etwas vorstellen zu können, musst du es erlebt haben. Was du nie
erlebt hast, kannst du dir auch nicht vorstellen. So wie ein Blinder sich nicht
die Farbe vorstellen kann.
Ich kann mir nicht vorstellen, wie sich ein
Junkie ohne Stoff fühlt, nicht, wie sich einer fühlt, der gerade verhaftet wird,
nicht, wie eine Prostituierte sich bei der Arbeit fühlt. Und da dieses für ihr
Leben wesentlich ist, kann ich mir nicht vorstellen, wie ihr Leben ist.
Ich kann mich auch nicht in körperlich und geistig Behinderte hinein fühlen,
nicht in Hungernde, nicht in Erdbeben- und Tsunami-Opfer, nicht in Iraker und
Palästinenser, die mit Krieg leben müssen.
Ich denke es ist wichtiger zu
wissen, dass man genau das nicht kann: sich ein Leben vorstellen, von dem man
nichts kennt. Dann versucht man es nämlich gar nicht erst - und trifft dann auch
keine falschen Entscheidungen.
Auch viele Amerikaner haben sich
vorgestellt, wie sich die Iraker über ihren siegreichen Einmarsch freuen.
Wenn wir wissen wollen, wie andere Leute leben und was sie am dringendsten
brauchen, müssen wir sie fragen.
Und ansonsten bleibt das Übliche:
wahrnehmbare Tatsachen feststellen und logisch kombinieren.
Ich kann mir
nicht vorstellen, wie eine Familie im pakistanischen Erdbebengebiet lebt. Ich
weiß aber anhand der Tatsachen, dass sie schneegeschützte Unterkünfte brauchen.
Und wenn sie nicht in die Täler hinab, sondern in ihren Bergen bleiben wollen,
dann weiß ich, dass es sich als Menschen um vernunftbegabte Wesen handelt und
dass sie dafür möglicherweise vernünftige Gründe haben; welche, das muss ich
erfragen.
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am 07.
Dez. 2005, 17:13 Uhr
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Hallo Abrazo,
Deine rigorose Verneinung der Möglichkeit, sich in einen
andern Menschen vorstellungsmäßig hineinzuversetzen und so seine Interessenlage
nachzuvollziehen, erscheint mir etwas überzogen.
Wenn ich nicht nur auf
mein individuelles Wohl bedacht bin, sondern auch das Wohl der anderen mit
berücksichtigen will, so muss ich wissen, was dem andern wohl- oder wehtut, was
ihm größere Freude und was ihm geringere Freude macht, was ihm größere Schmerzen
und was ihm geringere Schmerzen bereitet.
Zum einen kann ich an seinen
Wahlhandlungen, seinen Präferenzen, ablesen, was ihm lieber ist: Ich sehe z. B.,
dass er sich lieber dort aufhält, wo es warm und trocken ist, als dort, wo es
kalt und nass ist. Natürlich kann ich ihn auch fragen, was ihm lieber ist,
welche Probleme ihn am meisten belasten oder die Erfüllung welcher Wünsche ihm
am wichtigsten ist.
Ich denke, dass keine unüberwindlichen Hindernisse
bestehen, über solche Feststellungen zum Wohlergehen eines Menschen zu einem
Konsens zu kommen.
Man kann auch Vergleichen zwischen dem Wohlergehen
eines Menschen zu verschiedenen Zeitpunkten anstellen indem man fragt: Wird
Person A durch eine bestimmte Veränderungen besser oder schlechter gestellt?
Durch die Beschreibung der jeweiligen Lebensbedingungen und anhand von
Äußerungen des Betreffenden über seine Lage gelangt man so zu intertemporalen
Vergleichen des Wohlergehens und Urteilen wie: Früher ist es mir einmal besser
ergangen als heute.
Schwieriger ist es schon, das Niveau des Wohlergehens
verschiedener Menschen oder Gruppen miteinander zu vergleichen, etwa wenn man
sagt: So gut wie du möchte ich es auch einmal haben! Oder: Den Beamten des
Öffentlichen Dienstes geht es wesentlich besser als den Beschäftigten in der
Privatwirtschaft.
Bei solchen interpersonalen Vergleichen zwischen dem
Wohlergehen verschiedener Individuen und Gruppen muss man abwägen zwischen
verschiedenen Gütern und deren Bedeutung für die betreffenden Menschen, wie etwa
Sicherheit des Arbeitsplatzes und Höhe des Arbeitseinkommens.
Aber muss
man selber schon einmal arbeitslos geworden sein, um einschätzen zu können, was
die Sicherheit des Arbeitsplatzes für einen Menschen bedeutet? Haben wir nur für
etwas Verständnis, wenn wir es selber einmal erlebt haben? Kann uns der Andere
nicht auch durch seine Schilderungen eine Vorstellung vermitteln von seiner Lage
und den daraus resultierenden Interessen (Zielen, Wünschen, Nöten, Problemen)?
Sehen wir es einem Menschen nicht an, ob er sich glücklich oder hundeelend
fühlt?
Gehört es nicht zu den wesentlichen Elementen der sozialen
Intelligenz, dass man abschätzen kann, wie einem andern zu Mute ist, wenn diesem
bestimmte Dinge widerfahren oder wenn man ihm bestimmte Dinge zumutet? Kann ich
Mitleid nur mit demjenigen haben, in dessen Lage ich mich selber schon einmal
befunden habe?
Dass man sich vor voreiligen Schlüssen von sich auf andere
hüten muss – insbesondere wenn es sich bei den andern um Angehörige eines andern
Kulturkreises handelt – ist davon unbenommen.
Es grüßt Dich und alle
Zaungäste dieser Runde Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am
Vorgestern, 21:55 Uhr
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Hallo allerseits,
bei der Untersuchung des Verhältnisses zwischen
allgemeinem Wohl und individuellem Wohl ist es wohl sinnvoll, zwischen zwei
Arten von Problemen zu unterscheiden:
Zum einen gibt es den Fall, dass
sich Individuen oder Gruppen in der Verfolgung ihrer Ziele behindern: die einen
wollen schlafen und die andern wollen feiern. Hier bedarf es m.E. einer Abwägung
zwischen den Interessen, die betroffen sind, um ein zugleich verpflichtendes und
akzeptables Gemeinwohl zu bestimmen.
Zum andern gibt es den Fall, dass
durch gemeinsame Anstrengungen Verhältnisse geschaffen werden, die allen zugute
kommen. Beispiele hierfür sind Deiche, die alle vor Sturmfluten schützen,
Impfungen, die für alle das Ansteckungsrisiko verringern, Polizei, die für alle
mehr Sicherheit vor Überfällen schafft, Erfindungen, die neue Arbeitsplätze für
alle bieten, eine Währung, deren stabile Kaufkraft allen zugute kommt usw. usf.
in der Ökonomie spricht man hier von „öffentlichen Gütern“, von deren
Nutzung niemand ausgeschlossen werden kann: wenn es einen Deich gibt, dann
schützt er alle, und nicht nur diejenigen, die ihn errichtet haben oder die
dafür bezahlt haben.
Vom individuellen Standpunkt aus ist es natürlich
am vorteilhaftesten, zwar den Schutz des Deiches in Anspruch zu nehmen, sich
aber um die Beteiligung an den Kosten seiner Erstellung zu drücken. Ein solches
Verhalten nennt man auch Trittbrett fahren oder härter Schmarotzen.
Hier
liegt es im allgemeinen Interesse, dass sich alle, die von der Erstellung eines
Gutes einen Vorteil haben, auch an den anfallenden Kosten beteiligen. Würde es
diese Verpflichtung nicht geben, so würde dies sicherlich nicht akzeptabel für
diejenigen sein, die sich für die andern mit abrackern.
Wenn man von
„Gemeinsinn“ spricht, ist häufig der zweite Fall der Beteiligung an den Kosten
öffentlicher Güter gemeint. Insofern hatte Urs Recht, wenn er betonte, dass
nicht nur der Konflikt zwischen Individuen mit nicht zu vereinbarenden Zielen
das Konzept eines Gemeinwohls erforderlich macht.
Es grüßt Euch Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am
Vorgestern, 23:19 Uhr
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Hi zusammen,
lasst mich zuerst auf Beitrag #122 eingehen.
Empathie
schreiben wir ja uns Menschen zu. Ich möchte das mal bisschen auseinander
pflücken.
Klar ist, dass wir empirisch feststellen, also zählen, messen,
wiegen können, wie die Bedürfnisse von Menschen befriedigt sind. Wenn Mensch
soundsoviel Kalorien zum Leben braucht, aber einiges weniger bekommt, dann
können wir feststellen, das ist zu wenig. So wird Mensch nicht auf Dauer
funktionsfähig bleiben. Ist klar, können wir abhaken.
Dann gibt es die
soziale Sorge. Ist nichts spezifisch menschliches, kennt das Viehzeug auch.
Katzen verteidigen ihre Jungen, Elefanten warten bei ihren Toten, ob die nicht
vielleicht doch wieder lebendig werden (vielleicht, bis sie anfangen zu stinken
und damit nicht mehr wie Elefant sind), und Herr Hund reagiert auf das Quäken
meines Handys nach Stromnachschub so aufgeregt sorgenvoll, dass er mich sogar
nachts um drei aus dem Bett schmeißt, wenn ich vergessen habe, es an die
Steckdose anzuschließen. Offenkundig betrachtet er das Quäken als Notruf eines
Lebewesens. Desgleichen Mütter von Kleinkindern. Wenn das Kleine hinfällt und
sich weh tut, wird nicht überlegt, da wird hoch gehoben und getröstet.
Allerdings betrifft diese soziale Sorge offenbar nur die eigenen Angehörigen (ob
Familie, Clan oder Rudel), die anderen sind ausgeschlossen. Und es ist wohl auch
nicht das, was wir mit Empathie meinen.
Ich denke, die spezifisch
menschliche Empathie hat die gleiche Ursache wie andere spezifisch menschliche
Phänomene: die Reflexion (ich komme immer wieder auf die Basisprinzipien zurück,
aber ich schließe daraus, dass sie wohl tragfähig sind, da letztlich alles
ineinander greift). Ich kann nicht nur reflektieren, was ich mache, sondern
auch, was ich fühle. Ich kann nicht nur Schmerz empfinden, ich kann auch sagen
"ich habe Schmerzen", das also reflektieren. Genau so kann ich reflektieren,
dass ich mich wohl fühle. Und mir Ursachen dafür ausdenken.
Wenn ich ein
Lachen höre, ist das ein Signal dafür, dass da etwas lustiges passiert. Geh'n
wir hin. Ich weiß aber, wie ich mich fühle, wenn ich lache, und was mein Lachen
auslöst, ein Witz, ein Scherz, eine lustige Situation. Mit diesem aus der
Reflexion gewonnenen Wissen geht das Lachen anderer über die Signalwirkung
hinaus: es hat für mich eine Bedeutung. Denn ich gehe davon aus, dass die sich
genau so fühlen und in etwa aus den gleichen Gründen lachen wie ich. Und damit
unterscheiden wir uns von den Tieren. Indem wir über unsere eigenen Gefühle
wissen und um ihre Ursachen, bekommen die uns bekannten Signale anderer Menschen
und Tiere eine Bedeutung. Wir können sie interpretieren. Damit können die von
außen erkennbaren Gefühle anderer zu unseren eigenen werden.
Berichte
über Hungerkatastrophen haben meist eher intellektuelle Bedeutung. Wir erkennen
qua Vernunft, dass da Mangel ist, der behoben werden sollte. Filmberichte aber
zeigen uns die von den betroffenen Menschen ausgehenden Signale, deren Bedeutung
wir interpretieren. Wir können sie nicht richtig interpretieren, denn wir haben
keine Ahnung, wie es sich anfühlt, wenn man verhungert. Also interpretieren wir
das hinein, was wir kennen: Angst, Sorge, Not, Schmerzen, Hilflosigkeit usw. Das
mag zwar so nicht ganz stimmen, geht aber in die richtige Richtung (und außerdem
is dat ejal, ob die Leute wissen, wie Verhungernde sich fühlen, Hauptsache, sie
spenden).
Daraus folgt aber, dass wir nur die Bedeutungen in Signale
hinein interpretieren können, die wir von uns selber kennen. Oder: in ein
fremdes Signal interpretieren wir uns Bekanntes hinein. Das kann schon mal zu
fatalen Irrtümern führen. In der Regel aber sind die Signale von Leid und
Wohlbefinden klar und eindeutig unterscheidbar.
Im Gegensatz zur sozialen
Sorge ist dieses Erkennen der Bedeutung von Signalen nicht auf die eigene Gruppe
beschränkt, sondern umfasst mindestens alles, was aussieht wie Mensch - wenn man
Mensch sein will. Denn offenbar ist es genau so gut möglich, sich auf die
soziale Sorge zu beschränken und sich alle Fremden gar nicht erst gründlich
anzugucken. Das scheint es aber auch in anderen Bereichen zu geben, z.B.
vernünftiges Denken gegen 'Bauchdenken'; ich vermute, zum Menschsein muss man
sich entscheiden.
Wenn das so wäre, hätten wir allerdings mit dem Konsens
ein Problem. Wenn ich im Winter nen vollgesoffenen Alki im Schnee liegen sehe,
sehe ich natürlich zu, ihn da wegzuschaffen; er könnte ja leicht erfrieren.
Zumindest muss er schwer auskühlen, auch wenn er das im Suff nicht merkt; ich
weiß nämlich, wie Kälte sich anfühlt. Wer aber biologisch denkt, kann problemlos
sagen: was geht mich der Kerl an? Hab ich nix mit zu tun und ihn liegen lassen.
Wie soll da ein Konsens möglich werden? Gut, wir haben eine Norm, die
unterlassene Hilfeleistung unter Strafe stellt. Aber die ist nicht im Konsens
entstanden.
Damit Schluss, damit ich die Argumentationen nicht zu stark
vermische.
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am
Gestern, 23:28 Uhr
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Hallo Abrazo,
Du schreibst, dass man spezifisch menschlich reagieren
kann (wozu es eines Entschlusses bedarf) und sich um den Hilflosen im Schnee
kümmert, oder dass man biologisch reagiert und sich nicht um den Hilflosen
kümmert. Du fragst, wie da ein Konsens möglich sein soll.
Ich denke, dass
eine moralische und sogar eine rechtliche Norm, die jeden angesichts einer
schweren akuten Notlage eines andern Mitglieds der Gesellschaft zur
Hilfeleistung verpflichtet, konsensfähig ist.
Eine solche Regel kostet
den Einzelnen gelegentlich vielleicht eine Stunde Zeit (Benachrichtigung des
Rettungswagens etc.) aber sie gibt ihm zugleich eine große Sicherheit, dass ihm
selber ebenfalls das Leben gerettet wird, wenn er einmal verunglückt – was ja
nicht auszuschließen ist.
Es grüßt Dich und alle an Problemen der
einsichtigen Begründung moralischer und rechtlicher Normen Interessierten
Eberhard.
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Abrazo am Heute,
00:53 Uhr
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Hi Eberhard,
nur scheinbar eine ganz einfache Sache.
Die
Möglichkeit eines freiwilligen umfassenden Konsenses in dieser Sache bestreite
ich. Es wird genügend Menschen geben, die der Auffassung sind, der hat sich
selber mutwillig in diese Notlage gebracht, der ist keiner Hilfe wert.
Was du dagegen anführst, sind Vernunftsgründe nach dem Prinzip do ut des. Was
ich mich nun frage ist, inwiefern die Vernunft so einen Konsens faktisch
erzwingen kann? Und inwieweit nicht vernünftige Menschen eben mit Hilfe der
Vernunft einen Konsens erzwingen, der frei nie zustande kommen würde? Und -
inwieweit dieser Zwang unverzichtbar ist?
Unangenehme Fragen, finde ich.
Ich denke an das Verbot der Todesstrafe im Grundgesetz. Es ist allgemein
bekannt, dass es nicht nur zu einem Konsens darüber nie kommen würde, sondern
auch, dass zumindest früher die Mehrheit wohl dieses Verbot abgelehnt hätte.
Sehr unangenehme Fragen, finde ich.
Gruß
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Titel: Re: Gemeinwohl und Wohl der Individuen II
Beitrag von Eberhard am
Heute, 10:41 Uhr
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Hallo Abrazo,
ich stimme Dir zu, dass es in Bezug auf den Alki im Schnee
Dissens geben kann. Eine unbedingte Pflicht zur Hilfeleistung ist wohl auch
nicht allgemein akzeptabel. Wenn jemand sich immer wieder in dieselbe Notlage
bringt, obwohl man ihm gesagt hat, wie er dies vermeiden kann, dann schwindet
die Bereitschaft zur Hilfeleistung zu Recht – es sei denn, der Betreffende ist
krank oder unmündig und insofern nicht verantwortlich. Im letzteren Fall ist das
Streben nach einem Konsens mit ihm sinnlos und als Möglichkeit bleibt nur die
fürsorgliche, zeitlich und anderweitig begrenzte Herrschaft.
Eine
Rechtfertigung dieser – u.U. auch mit Zwang verbundenen – Herrschaft kann es
nicht gegenüber dem Unmündigen oder dem Entmündigten geben, sondern höchstens
gegenüber Dritten oder eventuell zukünftig gegenüber dem erwachsen gewordenen
Kind oder dem von seiner Sucht befreiten Alki.
Generell zur allgemeinen
Konsensfähgkeit als Bedingung für die Allgemeingültigkeit von Normen:
Hier ist zu beachten, dass dieser Anspruch grundsätzlich immer besteht. Aber
dort, wo praktisch gehandelt werden muss (wo also z.B. der Hilflose schon lange
erfroren ist, bevor ausdiskutiert ist, ob man sich um ihn kümmern soll), muss
eine Entscheidung in Form einer verbindlich gesetzten Norm getroffen werden –
was natürlich das Risiko in sich birgt, dass diese verbindlich gesetzte Norm
inhaltlich falsch ist.
Die Wissenschaft soll zwar die Fragen, die ich als
real handelnder Mensch habe, beantworten, aber ich muss auch dann handeln, wenn
Fragen offen bleiben, wenn mehrere Antworten wissenschaftlich vertretbar
bleiben, wenn also meine Fragen nicht mit letzter Sicherheit beantwortet werden
können.
Der nur wissenschaftlich reflektierende Mensch hat nicht das
Problem des politisch handelnden Menschen, der nicht warten kann, bis auf jede
Frage eine allgemein überzeugende Antwort gefunden ist. Aber auch, wenn ich
politisch nur nach „bestem Wissen und Gewissen“ entscheiden und handeln kann,
bleibt die Frage berechtigt, ob die verbindlich gesetzte politische Entscheidung
auch inhaltlich konsensfähig ist.
Daraus ergibt sich ein
Spannungsverhältnis zwischen der Ebene der inhaltlichen Richtigkeit und der
Ebene der verfahrensmäßig gesetzten Verbindlichkeit von Normen.
Diese
beiden Ebenen – inhaltliche Richtigkeit und gesetzte Verbindlichkeit von Normen
– können in ihrem Spannungsverhältnis nicht aufgelöst werden. Ihre
Unterscheidung fällt nicht immer leicht und der Zustand „verbindlich aber
inhaltlich falsch“ oder „inhaltlich richtig aber nicht verbindlich“ ist
philosophisch unbefriedigend-
Dies hat in der Vergangenheit häufig dazu
geführt, dass die Kluft zwischen Verbindlichkeit und Richtigkeit zugunsten einer
der beiden Seiten entweder kognitivistisch („Normen sind wahr oder falsch“) oder
dezionistisch („Normen sind Setzungen“) einseitig überbrückt wurde.
Den
Konflikt zwischen der Verbindlichkeit einer getroffenen Mehrheitsentscheidung
und ihrer inhaltlichen Mangelhaftigkeit muss man als Demokrat aushalten, weil
das Kriterium der allgemeinen Konsensfähigkeit kein praktikables Verfahren der
sozialen Koordination darstellt. Dazu sind z.B. definitive Beschlüsse von
Gremien nötig.
Mit dem Ratschlag, sich nicht an den vorweihnachtlichen
Leckereien den Magen zu verrenken, grüßt Dich und alle andern Eberhard.
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