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Schulfach
Ethik
Eingriff in die Religionsfreiheit?
(Diskussion bei PhilTalk)
PhilTalk Philosophieforen Praktische
Philosophie >> Politische Philosophie, Rechtsphilosophie, Wirtschaftsphilosophie
>> Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
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(Thema begonnen von:
Eberhard
am 22. Apr. 2006, 14:37 Uhr)
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Titel: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von Eberhard am
22. Apr. 2006, 14:37 Uhr
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Hallo allerseits,
Im Land Berlin hat das Parlament die Einführung eines
für alle Schüler verpflichtenden Fachs „Ethik“ beschlossen.
Dagegen haben
jetzt einige betroffene Schüler das Bundesverfassungsgericht angerufen. Sie
fühlen sich durch einen nicht christlich gebundenen Ethikunterricht in ihrer
Religionsfreiheit beeinträchtigt.
Offenbar darf nach Auffassung der
Kläger Ethik nur von den jeweiligen Religionsgemeinschaften für die jeweiligen
Mitglieder dieser Religionsgemeinschaften erteilt werden.
Ich halte eine
solche Position aus folgenden Gründen für falsch.
1. Für jede
Gesellschaft ist es von zentraler Bedeutung, welche ethischen Normen gelehrt und
sanktioniert werden, denn in ihnen wird deutlich, wie die Menschen miteinander
umgehen.
2. In einer demokratischen Gesellschaft werden die Gesetze durch
ein aus allgemeinen, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangenes
Parlament beschlossen, wobei die Verfassung bestimmte Grundrechte aller Bürger
garantiert.
3. Der demokratische Gesetzgeber hat die Aufgabe, sich der
bestehenden Probleme anzunehmen, wie sie in den Meinungen der Wähler zum
Ausdruck kommen.
4. Ein wichtiges Problem ist die zunehmende moralische
Orientierungslosigkeit vieler Jugendlicher mit den Folgen zunehmender
Jugendkriminalität und wachsender Probleme bei der Durchführung eines geordneten
und lehrreichen Schulunterrichts.
5. In dieser Situation ist die
Einführung eines von allen Schülern zu besuchenden Unterrichtsfachs Ethik, in
dem die Begründungen für die Einhaltung bestimmter Verhaltensnormen vermittelt
und erörtert werden, grundsätzlich eine sinnvolle Maßnahme.
6. Das
Argument, dass dies den Religionsgemeinschaften vorbehalten bleiben müsse und
der Staat andernfalls in die Freiheit der Religionsausübung eingreife, ist nicht
begründet, denn durch den allgemeinen Ethik-Unterricht wird ja niemand
gehindert, seine eigene religiös begründete Auffassung von Ethik zu verbreiten
und seine besonderen religiösen Gebräuche zu pflegen.
Oder?
fragt
Eberhard.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von
Soulflyer777 am 22. Apr. 2006, 14:44 Uhr
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Moin Ebi,
Das fand ich auch hammerhart!
Mein erster Gedanke zu dem Thema
war"Na,welcher Kirchenverband sponsert diese Schüler wohl..."
Unglaublich...
Wie im Mittelalter...
Gruß,S.F
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von
Hanspeter am 22. Apr. 2006, 14:57 Uhr
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Ja, Leute, das liegt im Trend. Deutschland hat leider nie eine strikte Trennung
von Kirche und Staat vollzogen, wie das etwa in Frankreich der Fall ist. Und
seit wir Papst sind, haben die Religiösen wieder Oberwasser.
Die
Behauptung, ein Ethikunterricht beeinträchtige die Religionsfreiheit, halte ich
übrigens für völlig abwegig - was allerdings nicht heißt, dass die
Budesverfassungsrichter das auch so sehen. Schließlich verbietet der
Ethik-Unterricht ja nicht die Ausübung einer Religion.
Eine mögliche
Alternative wäre, den Religions/Ethik-Unterricht ganz zu streichen und in den
jeweiligen Fächern an gegebener Stelle direkt auf ethische Fragen einzugehen.
Also etwa die Frage der Abtreibung im Biologieunterricht, die Frage von Recht
und Gerechtigkeit im Sozialkundeunterricht usw. zu behandeln.
Gruß HP
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von Rothko
am 22. Apr. 2006, 17:24 Uhr
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Wenn ich was zusagen hätte, würde ich den Religionsuntericht sofort durch
Ethikuntericht ersetzen. Es müßten alle großen Religionen besprochen werden -
insbesondere die Wertvorstellungen im Vergleich.
Eine aktuelle Frage bei uns
in Deutschland ist doch:Kann ich mit Menschen grundsätzlich anderer
Wertvorstellung Tür an Tür leben? Beispiel:Steht Familienehre über dem Recht zu
Leben? Die Frage ist natürlich ob sich der fremde Nachbar dieses Recht selbst
geschaffen hat oder seine Religion ihm das vorschreibt.Wann sind Unterschiede
tolerierbar? Dazu müßte man Bescheid wissen. Ich hatte nur "Religion".
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von
doc_rudi am 22. Apr. 2006, 21:15 Uhr
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Religionen sind Mord-Ideologien, sie lehren, wie man mit gutem Gewissen
Andersgläubige umbringt. Es ist längst Zeit, derartige Ideologien aus der Schule
zu verbannen.
Gruß
rudi
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von
Hanspeter am 22. Apr. 2006, 21:53 Uhr
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Richtig, Rudi.
Nur sind Ideologien, die nicht auch das Töten
Andersdenkender zulassen, ausgesprochen rar. Im Kalten Krieg hat man uns die
"Vorwärtsverteidigung" beigebracht und wie man mit "Nichtdemokraten" verfährt,
kannst du ja bei Dschordsch Dabblju lernen.
Gruß HP
P.S. Mit dem
Buddhismus ist, soweit ich ihn überblicke, das Töten Andersdenkender nur schwer
zu begründen.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von Joy am
23. Apr. 2006, 06:04 Uhr
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on 04/22/06 um 21:53:04, Hanspeter wrote:Mit dem Buddhismus ist, soweit ich
ihn überblicke, das Töten Andersdenkender nur schwer zu begründen.
Selbst sogenannte Buddhisten töten... Wer niemals tötet, das ist die
LIEBE. LIEBE -im Sinne von Agape- ist allumfassende Akzeptanz und reicht Dir die
linke Wange, wenn Du ihr auf die rechte schlägst. LIEBE bekämpft nichts und
verteidigt nichts, sie ist reinstes Sein selbst - das, was Du in Deinem
"Wesenskern" selbst ewiglich bist. Du brauchst Dich nur zu erinnern, denn Du
bist sie selbst. Leid ist immer nur dort, wo die Liebe abwesend ist und durch
irgendwelchen "Stumpfsinn" kompensiert wird...
Gruß
Joy
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von
Hanspeter am 23. Apr. 2006, 07:03 Uhr
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Auch sogenannte Christen töte(te)n, und nicht gerade knapp. Wo doch das
Christentum die Religion der Liebe ist, wie uns der Papst soeben per Enzyklika
mitteilte.
Und wie sprach schon der Begründer der Liebe - Jesus?
"Und
diejenigen, die nicht wollen, dass ich König über sie sei, bringet sie zu mir
und erwürget sie vor meinen Augen." (Lk 19,27). Selbstverständlich in Liebe.
Nebenbei - kein Scherz - die Hexenverbrennungen wurden als Liebesdienst
theologisch begründet: Man wollte die gefallenen Seelen durch das Feuer
reinigen, um ihnen die Höllenqualen zu ersparen.
Die Ideologie der Liebe
- nein danke :-).
Übrigens, wenn Buddhisten töten, heißt das noch lange
nicht, dass man diese Tat durch die Lehren Buddhas begründen kann. Aggressives
Missionieren ist eigentlich nicht Sache des Buddhismus.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von
der-micha am 23. Apr. 2006, 07:14 Uhr
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ich finde religionsunterricht kann ganz abgeschafft werden, allerdings nicht mit
der alternation fach ethik, sondern mit einem fach zur berufsvorbereitung.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von Joy am
23. Apr. 2006, 07:48 Uhr
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on 04/23/06 um 07:03:04, Hanspeter wrote:Auch sogenannte Christen töte(te)n,
und nicht gerade knapp. Wo doch das Christentum die Religion der Liebe ist, wie
uns der Papst soeben per Enzyklika mitteilte.
Und wie sprach schon der
Begründer der Liebe - Jesus?
"Und diejenigen, die nicht wollen, dass ich
König über sie sei, bringet sie zu mir und erwürget sie vor meinen Augen." (Lk
19,27). Selbstverständlich in Liebe.
Nebenbei - kein Scherz - die
Hexenverbrennungen wurden als Liebesdienst theologisch begründet: Man wollte die
gefallenen Seelen durch das Feuer reinigen, um ihnen die Höllenqualen zu
ersparen.
Die Ideologie der Liebe - nein danke :-).
Übrigens,
wenn Buddhisten töten, heißt das noch lange nicht, dass man diese Tat durch die
Lehren Buddhas begründen kann. Aggressives Missionieren ist eigentlich nicht
Sache des Buddhismus.
Verstehen, lieber HP, wirst Du die
Christusworte erst dann, wenn Du die "Ebene" in Dir selbst erkennst, aus der
heraus sie gesprochen wurden. Und das "institutionalisierte Christentum" hat mit
LIEBE überhaupt nichts, gar nichts zu tun. Nicht Jesus Christus hat eine Kirche
oder das "Christentum" gegründet.
Wenn Du einmal selbst erkennst, dass
Du als "HP" selbst die (objektivierte) Ebene bist, die "Jesus" ist und dieser
Verschiedenheit von "HP" und "Jesus" der eine "Christusgeist" sozusagen zugrunde
liegt, dann wirst auch Du verstehen, was die Worte des Christus heissen: "Und
diejenigen, die nicht wollen, dass ich König über sie sei, bringet sie zu mir
und erwürget sie vor meinen Augen." Hier werden Illusionen erwürgt, hier sterben
gedanklich objektivierte "Ich's" (= Ego's), mentale Vorstellungen, die niemals
wirklich gelebt haben: Lasst die Toten ihre Toten begraben... Eben deswegen
heisst es auch im Buddhismus, dass wenn Du Buddha triffst, Du ihn totschlagen
sollst. Du musst tiefer "in Dich selbst" hineingehen, Dich selbst mit aller
Konsequenz hinterfragen, um diese verbalen Aussagen in ihrem wirklichen Kontext
zu verstehen, musst quasi "zwischen den Zeilen" lesen, um zu verstehen und nicht
nur "auf den Zeilen". Du musst erkennen, worauf diese Worte "in Dir" selbst
verweisen, denn nur um Dich allein geht es dort. DU, das was Du wirklich bist,
das ist dieser "Christus- bzw. Buddhageist", nach dem Du als HP in der Welt
suchst - ER ist das lebendige Erkennen, das totale Verstehen selbst, ist reine
LIEBE.
Und ich schreibe das hier deswegen, weil es ein Philosophie-Forum
ist (Philosophie = LIEBE + Weisheit, nicht aber logisches Denken + Wissen).
Gruß
Joy
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von
ludovico am 23. Apr. 2006, 11:22 Uhr
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Liebe als Ideologie? Auf was für einen Mangel will uns diese Aussage wohl
hinweisen?
L.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von Abrazo
am 23. Apr. 2006, 19:58 Uhr
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@ Joy:
1. wollen wir hier über das Problem Ethik ./. Religionsunterricht
reden,
2.
Und ich schreibe das hier deswegen, weil es ein
Philosophie-Forum ist (Philosophie = LIEBE + Weisheit, nicht aber logisches
Denken + Wissen).
Um das Forschungsgebiet einer 2.500 Jahre alten
Wissenschaft umzudefinieren bist Du zu klein.
So. @ all:
Ich
schlage vor, wir schauen uns erst einmal die Tatsachen an.
Schulsenator
Böger hatte ursprünglich den Plan, das Fach Ethik/Philosphie/Religionskunde
einzuführen, und zwar alternativ zum Religionsunterricht, so dass Schüler die
Wahl gehabt hätten, entweder zum Religionsunterricht oder zum Ethikunterricht zu
gehen - im Gegensatz zur jahrzehntealten Möglichkeit, sich mit 14 aus dem
Religionsunterricht abzumelden und die Freistunde zu genießen.
Die
Mehrheit der Berliner Stadtbezirke sprach sich gegen die Wahlmöglichkeit aus:
Ethikunterricht solle ungeachtet der Religionszugehörigkeit für alle verbindlich
sein.
Die Verfassungsklage dürfte mit dem bereits in Diskussionen
genannten Argument kommen, ein alleiniges staatliches Pflichtfach, ohne die
Möglichkeit als Alternative Religionsunterricht zu wählen, verstoße gegen die im
Grundgesetz garantierte positive Religionsfreiheit.
Es geht dabei um
Artikel 4 GG:
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die
Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
(3) Niemand
darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das
Nähere regelt ein Bundesgesetz.
Ich würde mal sagen, die Kläger
werden behaupten, niemand dürfe gegen sein Gewissen zur Teilnahme am
nicht-religiösen Ethik-Unterricht gezwungen werden.
Ich prognostiziere
mal, dass die Kläger damit durchkommen. Nicht, weil ich das für richtig halte,
sondern weil das so in unserer Verfassung steht.
Nun stimme ich Dir,
Eberhard, darin zu, dass die Werte der Verfassung für alle verbindlich sind
(obwohl sie nach juristischer Ansicht hauptsächlich für den Staat verbindlich
sind, ihn binden sie). Auf jeden Fall sind sie verbindlich für Religionslehrer,
denn, auch das steht im Grundgesetz, die Freiheit der Lehre entbindet nicht von
der Treue zur Verfassung. Und da der Staat das Recht hat, das zu kontrollieren,
sehe ich in dieser Hinsicht keine Gefahr.
Das Problem, das ich dabei
sehe, und das wird wohl auch der Hintergrund sein, warum die Kirchen sich gegen
einen für alle Schüler verbindlichen Ethikunterricht wehren, ist die Begründung
der Ethik. Und das ist in der Tat m.E. eine Schwachstelle. Denn die populäre
Begründung lautet, die ethischen Werte gelten weil, dat hammer so vereinbart.
Reflektieren also letztlich auf einen fiktiven Gesellschaftsvertrag. Dem kann
man entgegen halten: na jut, vereinbaren wir dat eben anders. Eigentum ist
Diebstahl, wer auf Hartz IV ist, bediene sich kostenlos aus dem Supermarkt. Dem
steht zwar die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes entgegen, aber, wie gesagt,
wenn das so vereinbart ist, dann kann man das auch anders vereinbaren.
Die Kirchen halten dagegen: das gilt wegen der 10 Gebote: du sollst nicht
stehlen. Das hat Gott so befohlen, also ist das auf ewig unabänderlich. Und
behaupten, Ethikunterricht sei im Grunde Quatsch, stabile Werte könne es nur mit
der Religion geben, vulgo, Gottesfurcht. Wer gegen die göttlichen Gebote
verstößt, wandert eben in die Hölle. Hätt sich dä Fall.
(Na ja, nich ganz.
Man muss das halt reuevoll je nach Bekenntnis Gott oder dem Priester beichten,
dann wäscht Jesu Blut die Sünde wieder ab. Was sich in den letzten paar hundert
Jahren als recht praktische Einrichtung erwiesen hat.)
Für die Kirchen
dürfte die Begründung der Werte eine der letzten Bastionen für die Behauptung
der menschlichen und gesellschaftlichen Notwendigkeiten der Religion sein. Sie
aufzugeben geht natürlich an die Substanz.
Und die Ethiklehrer müssen
sich auf die Frage vorbereiten: und wenn ich anderer Ansicht bin, was dann? Was,
wenn ich der Ansicht bin, es sei eine gute Tat, die Rasse natürlich rein zu
halten und Türken und Schwarze aus meinem Revier zu prügeln? Wenn ich damit
missionieren gehe? Jut, is verboten. Aber wer mit dieser Begründung kommt,
sollte besser Verfassung und Rechtskunde unterrichten. Was ich übrigens
bevorzugen würde. Auch da kann man Werte vermitteln - dann allerdings wirklich
neutral.
Bei uns in Köln läuft Ethik- und Religionsunterricht schon seit
als Wahlpflichtfach Jahren parallel. Wieso diese Lösung etlichen berliner
Stadtbezirken nicht gepasst hat, ist mir, ehrlich gesagt, nicht so ganz klar.
Grüße
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von Alltag
am 23. Apr. 2006, 20:25 Uhr
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:-) Hallo Allseits,
Das hat uns gerade noch gefehlt! Jetzt geht's noch
fünf Minuten bis in Mitteleuropa der x-te Religionskrieg ausbricht!
Gegebenenfalls bleibt nur noch zu hoffen, dass keiner hin geht.
Danke &
Gruss --- Euer gottgefällige Alltag
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von Abrazo
am 23. Apr. 2006, 21:06 Uhr
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Nicht bei uns im heiligen Köln.
:-)
Da hatte man allerdings einen etwas
profaneren Grund: warum sollen Schüler, die nicht am katholischen oder
evangelischen Religionsunterricht teilnehmen wollen, das Recht haben, statt
dessen im Kaufhof daddeln zu gehen? Nix da, die kriegen Ethikunterricht.
Und da der für die entschiedenen Nichtevangelen oder - katholen war, war der
tatsächlich neutral. Meine Tochter hat dran teilgenommen - war nichts dran
auszusetzen.
In Berlin, fürchte ich, wird man sich da eher um
preussisch-staatserhaltende Indoktrination bemühen. Das wäre erst recht nicht
nach meinem Geschmack.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von
Hanspeter am 23. Apr. 2006, 22:05 Uhr
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Schule ist nun einmal Ländersache und ich sehe keinen Grund, den Ländern zu
verbieten, den Religionsunterricht aus der Schule zu verbannen. Sogar in den USA
ist das so.
Ich sehe auch keinen Widerspruch zum §4 des Grundgesetzes.
Weder wird dadurch die Religionsausübung behindert - außerhalb der Schule können
sie ja machen was sie wollen - noch entnehme ich diesem Paragraphen eine Pflicht
des Staates, Religionslehrer zu bezahlen und auf die Kinder loszulassen.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von Abrazo
am 24. Apr. 2006, 00:03 Uhr
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Dann richte Deine Augen doch mal bitte auf den Ethik-Unterricht. Was soll er
vermitteln? Welche Inhalte soll er haben? Wie soll das, was vermittelt wird,
begründet sein?
Hier, nimm Artikel 2 GG:
(1) Jeder hat das Recht
auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte
anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das
Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche
Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf
nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Nu begründe mal
besonders die unterstrichene Passage. In einer Schulklasse, in der ein Teil es
vollkommen in Ordnung findet, die ungehorsame Schwester um die Ecke zu bringen,
der andere Teil in der Freizeit Ausländer klatschen möchte und wieder ein
anderer Teil überlegt, wer sich am besten als Opfer eignet, um das nächste
Gewaltvideo fürs Handy zu drehen. Wobei du wg Art. 4 GG Rücksicht auf die Kinder
nehmen musst die sagen, "ne, das hat doch der liebe Gott verboten."
Mach
mal Vorschlag.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von Joy am
24. Apr. 2006, 01:56 Uhr
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on 04/24/06 um 00:03:36, Abrazo wrote:Wobei du wg Art. 4 GG Rücksicht auf
die Kinder nehmen musst die sagen, "ne, das hat doch der liebe Gott verboten."
Der "liebe Gott" hat gar nichts verboten! Er hat nur
"geboten", sich soundso zu verhalten. Es sind "Gebote", keine "Verbote". LIEBE
kennt keine Verbote - der "Staat" hingegen ist nur eine intellektuelle
Machtkonstruktion und definiert sich wiederum nur aus "Verboten", welche er mit
Gewalt gegen jene durchsetzt, die der "Staat" letztlich selbst sind, denn einen
"Staat" ohne Menschen gibt es nicht. "Staat" ist das Prinzip "divide et impera",
die Abwendung, die Abwesenheit von "Gott", was nur ein anderer Begriff für
"LIEBE" ist. Der "Staat" definiert "Feindbilder", alles das, was es zu bekämpfen
gilt.
Die LIEBE sagt hingegen: Liebe deine Feinde, Deine Feindbilder.
Einem intellektuellen berechnenden noch blinden Geist erschliesst sich diese
Weisheit des Herzens (Herz = Geist) freilich nicht, denn ein intellektueller
Geist ist noch immer tief im Stadium der geistigen Pubertät befindlich, also
weitestgehend völlig unbewusst, denn für ihn ist das unterscheidende
begriffliche Denken die alleinige Wirklichkeit - er glaubt sogar, dass seine
intellektuellen Konzepte was mit Philosophie zu tun hätten...
Gruß
Joy
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von
Hanspeter am 24. Apr. 2006, 08:34 Uhr
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@Abrazo:
Dein Verweis auf das Grundgesetz zieht nicht. Kinder müssen erzogen
werden - man kann nicht Kinder einfach sich selbst überlassen und auf das
Grundgesetz verweisen. Ihre Persönlichkeit muss erst geformt werden - durch die
Eltern und eben auch durch die Schule = Gesellschaft. Oder willst du die
Erziehung lieber den Medien überlassen?
Im Ethik-Unterricht kann man:
a: Einen Überblick über die vorhandenen Religionen und sonstigen Ideologien
inkl. ihrer Moralvorstellungen vermitteln.
b: Real existierende Probleme (zB.
Erkenntnistheorie, soziale Fragen, Drogen, Abtreibung etc.) diskutieren und die
Ansichten der verschiedenen Moralen gegenüberstellen und vergleichen.
@Joy: Wenn du dich schon auf den Gott der Bibel berufst, solltest du dir auch
einmal die Mühe machen, diese Bibel zu lesen.
Es ist dort zwar von den 10
Geboten die Rede, aber in den unmittelbar anschließenden Ausführungsbestimmungen
heißt es ganz klar: Wer sich nicht an das Sabbatgebot hält, soll gesteinigt
werden. Und in der Bergpredigt lesen wir, wer seinem Bruder zürnt, soll dem
höllischen Feuer verfallen sein.
Ein göttliches Gebot ist also de facto das
Verbot des umgekehrten Vorgangs. Bei Zuwiderhandlungen meistens Todesstrafe.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von
Soulflyer777 am 24. Apr. 2006, 08:34 Uhr
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Moin Abrazo,
Genau darum geht es.
Substanzverlust.
Die Kirche hat
viele Lehrer,
und keine Schüler.
Die Schule hat viele Schüler,
und
keine Lehrer.
Welche Möglichkeiten hat die Kirche eigentlich noch,um ihr
Gesicht nicht völlig zu verlieren,frag ich mich grade...
Was würde diese
Institution für einen jungen Menschen wieder interessant machen?
Oder ist der
Zug ein für alle mal abgefahren?
Mit der Aktion die sie da grade gestartet
hat,erreicht sie jedenfalls genau das Gegenteil von dem,was sie eigentlich
erreichen will.
Gruß,S.F
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von Abrazo
am 24. Apr. 2006, 08:36 Uhr
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@ Joy:
Du bist hier im Forum politische Philosophie, Rechtsphilosophie,
Wirtschaftsphilosophie und das Thema lautet 'ist Ethik-Unterricht ein Eingriff
in die Religionsfreiheit'.
Das Thema lautet nicht, wie bringe ich Kindern
eine andere Religion bei. Allein schon aus dem Grund, weil es verfassungswidrig
ist, Kinder und Jugendliche im Ethikunterricht mit solchen Sermonen zu
traktieren: Eingriff in die Religionsfreiheit.
Bevor Du anderen was von
Liebe erzählen willst, übe sie bitte erst einmal praktisch, z.B. dadurch, dass
Du Philosophieinteressierte nicht mit Glaubenssätzen traktierst und ihren Thread
nicht mit Labereien zumüllst, die nichts mit dem Thema zu tun haben. Das ist
eine Frage von Rücksichtnahme, und wer dazu nicht in der Lage ist, braucht das
Wort Liebe gar nicht erst in den Mund zu nehmen, weil er durch seine Handlungen
seine Sätze selbst als leeres Gerede widerlegt.
Also trag was zum Thema
bei oder halt die Klappe.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von Abrazo
am 24. Apr. 2006, 09:18 Uhr
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Kinder müssen erzogen werden
Ich bin bekennende Antipädagogin. Seit
meiner Schulzeit, in der ein Pädagogikbuch den Unterschied zwischen Bildung und
Erziehung mit dem Bild zu verdeutlichen suchte vom Sokrates im Kreise seiner
Schüler und von Pestalozzi 'mit dem Kinde auf dem Arm'. Ich fand, wo ein
Sokrates sitzt, wird ein Pestalozzi nicht gebraucht. Mit dieser Ansicht bin ich
bisher hervorragend gefahren, nicht nur bei meiner eigenen Tochter, sondern auch
bei durchaus sozial problematischen Kindern und Jugendlichen, und wenn mich ein
Erziehungsfan gefragt hat, wie ich es denn angestellt hätte, meine Tochter so
gut zu erziehen, gab ich mit Hochgenuss die Antwort: ich hab sie gar nicht
erzogen.
Ich unterschreibe lieber den letzten Satz von Saint-Ex im Buch
'Wind, Sand und Sterne': Nur der Geist, wenn er den Lehm behaucht, kann den
MENSCHEN erschaffen. Wenn ich in die Geschichte schaue, stelle ich fest, das
Ergebnis einer Erziehung ohne Geist war mindestens so übel wie heute die
Nichterziehung ohne Geist. An der Frage Erziehung oder Nichterziehung liegts
imho nicht.
Im Ethik-Unterricht kann man:
a: Einen Überblick über die
vorhandenen Religionen und sonstigen Ideologien inkl. ihrer Moralvorstellungen
vermitteln.
Warum soll man das?
1. ist für alle mir bekannten
Religionen Gott der oberste Gesetzgeber und die theoretischen Moralauffassung
sind nicht gar so unterschiedlich;
2. garantiere ich Dir fast, dass unter den
älteren Schülern paar aufstehen und behaupten, so sei ihre Religion gar nicht,
das sei alles verfälscht (und dass fundamentalistische Christen es mal wieder,
wie in Paderborn, mit Schulboykott probieren).
3. und wo bleibt der
Unterricht für Atheisten? Denn der kann sich ja wohl nicht darin erschöpfen,
einen religiösen Wühltisch zum Aussuchen anzubieten. Oder willst Du
4.
zusätzlich Sowjetkommunismus, Nationalsozialismus, Manchesterkapitalismus usw.
in den Wühltisch geben?
Will sagen:
Real existierende Probleme
(zB. Erkenntnistheorie, soziale Fragen, Drogen, Abtreibung etc.) diskutieren und
die Ansichten der verschiedenen Moralen gegenüberstellen und vergleichen.
Ist der Wühltisch, die Beliebigkeit das Ziel oder besteht die Möglichkeit,
sich auf irgend etwas als gemeinsam zu einigen?
P.S.: Schon mal mit
Leuten diskutiert, die Cannabis für ein 'Heiliges Kraut' halten und verlangen,
der Konsum solle gleichberechtigt mit der Drogenproblematik besprochen werden?
Hypothese:
Unter den unterschiedlichen Religionen, Ideologien,
Weltanschauungen und Auffassungen ist ein neutraler Konsens nicht möglich.
Dieses Unmögliche zu versuchen führt notwendigerweise in die Beliebigkeit. Ist
Ethik beliebig?
Was würde diese Institution für einen jungen Menschen
wieder interessant machen?
Nicht bös sein, aber das ist mir ehrlich
gesagt egal. Sch-meine, ich achte Religionen, aber so was ist doch nun
theologisches Thema und kein philosophisches, oder? (höchstens inne
Religionsphilosophie).
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von
Soulflyer777 am 24. Apr. 2006, 09:30 Uhr
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Manchmal hab ich so den Eindruck das das Schlimmste was einem eingefleischtem
Philosophen passieren kann eine Lösung zu finden ist.
Auch nicht bös
gemeint,
S.F
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von Abrazo
am 24. Apr. 2006, 11:05 Uhr
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Längst nicht überall, wo Philosophie drauf steht, ist auch Philosophie drin.
Es ist z.B. da keine Philosophie drin, wo einer sagt, Meinungsfreiheit, mach
doch, was du willst. Denn da geht es um das, was einem aus subjektiven Gründen
schmeckt und nicht um das, was Sache ist, vor allem dann, wenn man das ganze
Problemfeld betrachtet und nicht nur den Quadratmeter Rüben, den man gerade vor
Augen hat und von dem sich wegzubewegen manchem viel zu mühsam erscheint.
Das Ergebnis ist das, was wir heute haben: eine zerfallende Gesellschaft,
die der Beliebigkeit huldigt - und der Auswahl qua Werbung.
Und alle
möglichen unappetitlichen Grüppchen und Sektierer, für die die Abkehr von der
Religion (der jeweils eigenen natürlich) die Ursache allen Übels ist, welches es
durch Missionierung bis hin zum Krieg gegen das Reich des Satans zu beseitigen
gilt.
Auch ne Lösung, aber keine philosophische - und ziemlich
gesundheitsschädlich.
Lösungen fallen auch in der Philosophie nicht vom
Himmel. Die muss man sich erarbeiten, und das ist hart und kann dauern.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von
Prometheus am 24. Apr. 2006, 15:34 Uhr
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Bitte???
Ethik soll ein Eingriff in die Religionsfreiheit sein?
Und Religion als Fach der Kirche nicht???
In einem säkulären Staat???
Da gibt man der Kirche eine Plattform, Mitglieder zu missionieren und ein
neutraler Unterricht wie Ethik/Philosophie ist ein Eingriff???
Vollkommen
wahnsinnig???
(Haben nicht 2 Mädchen dagegegen geklagt? Sollte ich
mal mit dem Fach Religion versuchen...)
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von Abrazo
am 24. Apr. 2006, 16:57 Uhr
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Die Frage, ob in Schulen Religionsunterricht erteilt wird, ist in der Verfassung
geklärt:
Art 7
(1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht
des Staates.
(2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die
Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.
(3) Der
Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der
bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen
Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den
Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen
Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.
Die
bekenntnisfreie Schule ist bisher nicht die Regelschule. Fraglich ist, ob das
Grundgesetz die Einführung der bekenntnisfreien Schule als Regelschule
gestattet, denn die bekenntnisfreie Schule hat offenbar den gleichen Status wie
eine Bekenntnisschule (also evangelische oder katholische).
Bekenntnisfrei ist nicht bekenntnisneutral. Insofern ist auch die
bekenntnisfreie Schule weltanschaulich geprägt und damit nicht neutral. In einer
bekenntnisfreien Schule gibt es ebensowenig Wahlmöglichkeit wie in einer
Bekenntnisschule - und genau um diese Wahlmöglichkeit geht es.
Und da in
diesem Unterricht nicht Wissen, sondern Werte vermittelt sollen, stellen die
Eltern wohl die Frage, ob es verfassungsgemäß ist, wenn ihren Kindern mangels
Alternative gezwungenermaßen nichtreligiöse Werte vermittelt werden sollen.
Womit ich wieder bei der Frage wäre, womit sollen denn die Werte begründet
werden, die den Schülern vermittelt werden sollen?
Die alte DDR-Schule
hatte damit kein Problem: die vermittelte die Werte des Marxismus-Leninismus.
Aber wie sieht die Sache bei uns aus?
Die Werte des Grundgesetzes? Wäre
ich sehr einverstanden mit. Nur wäre das dann kein Unterricht in Ethik,
Philosophie, Religionskunde, sondern Recht und Staatsbürgerkunde.
Wobei
ich mich frage, wieso werden denn diese offenbar als untauglich angesehen, um
Werte zu vermitteln?
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von
Eberhard am 24. Apr. 2006, 19:08 Uhr
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Hallo allerseits,
nachdem es zuerst den Anschein hatte, dass es nicht
viel zu diskutieren gibt, wurde nun doch eine Gegenposition bezogen. Nach
schöpferischer Pause kehrt Abrazo zurück, um bei Philtalk die philosophischen
Rodungsarbeiten wieder aufzunehmen.
Aber da es allerdings im Garten der
Philosophie nicht nur zu roden sondern auch zu pflegen gibt, liegt mir viel
daran, die einzelnen Streitpunkte und Argumente möglichst klar zu ordnen.
Mein Eröffnungsbeitrag bezieht sich allein auf die Frage, ob ein
Ethikunterricht für alle Schüler verfassungswidrig ist, weil der gegen das
Grundrecht der freien Religionsausübung verstößt.
Es geht also nicht um
die Frage, ob ein Wahlpflichtfach Religion bzw. Ethik besser wäre als ein
Pflichtfach Ethik mit freiwilligem Religionsunterricht.
Es geht auch
nicht um die Frage, ob es den Kirchen gefällt, wenn sich jetzt auch die
öffentlichen Schulen mit der Vermittlung moralischer Normen und Werte befassen,
was Jahrhunderte lang ihre ureigenste Domäne war.
Es geht auch nicht
darum, wie dieser Ethikunterricht inhaltlich zu gestalten ist, es sei denn, man
ist der extremen Meinung, dass es überhaupt keine Theorien gibt, die bestimmte
ethische Prinzipien und Normen formulieren und dies argumentativ zu begründen
versuchen.
Wir sollten also immer im Auge behalten, dass es – zumindest
vorerst – nur um die Frage geht: Ist ein Schulfach Ethik für alle Schüler mit
dem Grundgesetz zu vereinbaren?
Das Argument von Abrazo hierzu stützt
sich auf eine Analogie zwischen dem Ethikunterricht und der Wehrpflicht: So wie
niemand zum Dienst an der Waffe gezwungen werden dürfe, so dürfe auch niemand
zum Ethikunterricht gezwungen werden.
Diese Analogie leuchtet mir nun
überhaupt nicht ein. Inwiefern ist die Lektüre und Behandlung von Immanuel Kant
oder John Stuart Mill ein Gewissensproblem?
Ich sehe da eher eine
Analogie zwischen dem Ethikunterricht und dem Unterricht in „Politischer
Weltkunde“ (Sozialkunde, Gemeinschaftskunde, Gegenwartskunde).
Was die
theoretischen Grundlagen angeht, ist z.B. die Situation in der Demokratietheorie
keineswegs gefestigter als in der Ethik. Trotzdem verzichten wir nicht auf die
Vermittlung und Erörterung der theoretischen Grundlagen der Demokratie in der
Schule.
Dass die Begründung moralischer Normen nicht so beliebig ist,
wie Abrazo meint, hat sie sehr konkret selber demonstriert, als sie schrieb:
„Bevor Du anderen was von Liebe erzählen willst, übe sie bitte erst einmal
praktisch, z.B. dadurch, dass Du Philosophieinteressierte nicht mit
Glaubenssätzen traktierst und ihren Thread nicht mit Labereien zumüllst, die
nichts mit dem Thema zu tun haben. Das ist eine Frage von Rücksichtnahme, und
wer dazu nicht in der Lage ist, braucht das Wort Liebe gar nicht erst in den
Mund zu nehmen, weil er durch seine Handlungen seine Sätze selbst als leeres
Gerede widerlegt.“
Dieser Appell zur Rücksichtnahme gegenüber den
Interessen anderer bezieht sich auf ein ethisches Grundprinzip, das m.E. auch
ohne die Offenbarung eines göttlichen Willens erörtert und begründet werden
kann.
Wenn nur dies Prinzip gegenseitiger Rücksichtnahme jedem Kind, das
in unserer Gesellschaft heranwächst, in der Schule einsichtig vermittelt werden
könnte, dann wäre für unser Zusammenleben bereits viel gewonnen,
meint
Eberhard.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von
doc_rudi am 24. Apr. 2006, 19:19 Uhr
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Hallo,
wie schon gesagt, kann jeder außerhalb der Schule machen und glauben,
was er will, so dass die Abschaffung des Religionsunterrichts nicht gegen die
Religionsfreiheit verstoßen würde. Im Gegenteil: wenn die Religion A Unterricht
in der Schule geben darf, dann wollen natürlich die Religionen B, C, D, E usw.
das gleiche Recht. Da in Berlin minedstens 3 Religionen stark vertreten sind,
wollen die Moslems natürlich ihre Scheiße genau wie die Katholiken in der Schule
lehren. Und das ist in Berlin das Problem. Da beliebig viele Religionen denkbar
sind, könnte schließlich kein normaler Unterricht mehr stattfinden.
Nun sind
sie in Berlin auf die Ethik gekommen, was das Gleiche in grün ist. Statt schönen
Philosophieunterricht zu machen, in dem diskutiert werden kann, was Wahrheit
ist, wird die eigentliche Absicht, die Moslems rauszuhalten, mal wieder
verbrämt.
Es könnte neben Philosophie auch Gemeinschaftskunde unterrichtet
werden, weil nämlich das Zusammenleben in einer Gemeinschaft es erfordert, sich
an Regeln zu halten. Die Frage, warum Regeln und welche Regeln, wäre doch ein
gutes Unterrichtsthema, das man nicht mit Ethik oder Moral verbrämen sollte.
Vernünftiges Denken und entsprechendes Handeln mit Verzicht auf körperliche
Gewalt reicht doch. Also: Religionen, Moral und Ethik raus aus der Schule und
klare Regeln rein.
Nebenbei: das eigentliche Problem, nämlich was soll die
Gemeinschaft mit denen machen, die die Regeln nicht einhalten, haben die Schulen
in Berlin alle noch nicht gelöst, da ist die bekannte Neuköllner Schule kein
Einzelfall.
Gruß
rudi
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von
Hanspeter am 24. Apr. 2006, 22:17 Uhr
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Streng genommen sollte Ethik (im Gegensatz zur Moral) eine Wissenschaft sein,
die die verschiedenen Moralen der verschiedenen Ideologien, darunter auch die
der Religionen, beschreibt, vergleicht und wissenschaftlich untersucht, ohne
selbst ein Werturteil abzugeben.
Was gegen diese Wissensvermittlung
sprechen soll, weiß ich nicht.
Wenn aber Rudi meint: "Die Frage, warum
Regeln und welche Regeln, wäre doch ein gutes Unterrichtsthema, das man nicht
mit Ethik oder Moral verbrämen sollte." dann irrt er. Diese Regeln sind nämlich
nicht anderes als Moral. Und die in einer Gesellschaft gültige Moral muss man
eben erlernen. Sonst nimmt sich die Gesellschaft das Recht, entsprechende
Sanktionen zu verhängen. Zu Recht, wie ich meine.
Daraus folgt: In einem
guten Ethikunterricht sollten und werden die verschiedenen Religionen ebenso
behandelt, wie die derzeit gültige Staatsmoral.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von Abrazo
am 24. Apr. 2006, 22:24 Uhr
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Hi, zusammen, hi Eberhard,
so einfach, wie Du das behauptest, sehe ich
die Sache ganz und gar nicht.
Dieser Appell zur Rücksichtnahme gegenüber
den Interessen anderer bezieht sich auf ein ethisches Grundprinzip, das m.E.
auch ohne die Offenbarung eines göttlichen Willens erörtert und begründet werden
kann.
Nun, dann begründe doch mal!
Denn Du solltest nicht
übersehen, dass ich keineswegs zur Rücksichtnahme als allgemeines ethisches
Prinzip appelliert habe, sondern darauf hingewiesen habe, dass einer, der ein
bestimmtes Prinzip für sich als grundlegend in Anspruch nimmt, unglaubwürdig
ist, wenn er sich in seinem Handeln nicht selbst danach richtet.
Das
heißt: man kann ohne weiteres sagen, wer dies als ethisches Prinzip behauptet,
muss das tun, sonst ist er nicht seriös. Der Knackpunkt ist aber der, dass man
eben durchaus unterschiedliche ethische Prinzipien als für einen selbst
vorrangig behaupten kann. Wenn man einen neutralen Ethik-Unterricht geben will:
welches sind denn die neutralen ethischen Prinzipien?
Demokratie ist das
Organisationsprinzip unseres Staates. Dat jilt et hier. Folglich kann man die
demokratischen Prinzipien lehren, ohne sie begründen zu müssen. So, wie man eben
Recht und Staatsbürgerkunde allgemein lehren kann, ohne sie ethisch begründen zu
müssen; dieses Recht gilt hier, hätt sich dä Fall.
Willst Du hingegen
Demokratie als ethischen Wert begründen und so vermitteln, kommst Du damit
gewaltig in die Bredouille. Ist Dir aufgefallen, dass unsere egozentrischen
Solipsisten so gut wie nie etwas für Demokratie übrig haben? Was auch völlig
normal ist, denn was, bitte schön, will ein Egozentriker mit
Mehrheitsentscheidungen? Du siehst, Du brauchst noch nicht mal die bekannten
politischen Ideologien zu bemühen.
Ist ein Schulfach Ethik für alle
Schüler mit dem Grundgesetz zu vereinbaren?
Die Voraussetzung dafür wäre,
dass eine für Schüler verständliche Wertevermittlung ohne weltanschaulichem
Hintergrund möglich wäre. Wie zum Beispiel? Da ich da noch gewissen
Arbeitsbedarf für Ethiker sehe, hätte ich dafür schon gerne konkrete Beispiele.
Inwiefern ist die Lektüre und Behandlung von Immanuel Kant oder John Stuart
Mill ein Gewissensproblem?
In der Grund-, Haupt- und Realschule?
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von Gordon
am Vorgestern, 08:01 Uhr
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Dass der Staat weltanschaulich neutral zu sein habe, ist eine nahezu
unbestrittene Auffassung. Jetzt fängt er an, weltanschauliche Erziehung zur
staatlichen Aufgabe zu erklären, jedenfalls in Brandenburg und Berlin und
bekommt dafür Beifall. Warum? Weil man sich darüber freut, dass es gegen die
Kirchen geht, die den Ersatz des Religionsunterrichts durch die sogenannte LER
ablehnen. Im Osten ist man eh gewohnt, weil der Staat bis 1989 genau das gemacht
hat.
Es gibt keinen neutralen Ethikunterricht. Kinder wollen wissen, wie
der Lehrer selbst für sich ethische Fragen beantwortet. Wenn er sich entzieht
wirkt er unglaubwürdig. Darum kann es auch keinen neutralen Religionsunterricht
geben.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von
Soulflyer777 am Vorgestern, 09:19 Uhr
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on 04/24/06 um 22:17:59, Hanspeter wrote:Streng genommen sollte Ethik (im
Gegensatz zur Moral) eine Wissenschaft sein, die die verschiedenen Moralen der
verschiedenen Ideologien, darunter auch die der Religionen, beschreibt,
vergleicht und wissenschaftlich untersucht, ohne selbst ein Werturteil
abzugeben.
Was gegen diese Wissensvermittlung sprechen soll, weiß ich
nicht.
Wenn aber Rudi meint: "Die Frage, warum Regeln und welche Regeln,
wäre doch ein gutes Unterrichtsthema, das man nicht mit Ethik oder Moral
verbrämen sollte." dann irrt er. Diese Regeln sind nämlich nicht anderes als
Moral. Und die in einer Gesellschaft gültige Moral muss man eben erlernen. Sonst
nimmt sich die Gesellschaft das Recht, entsprechende Sanktionen zu verhängen. Zu
Recht, wie ich meine.
Daraus folgt: In einem guten Ethikunterricht
sollten und werden die verschiedenen Religionen ebenso behandelt, wie die
derzeit gültige Staatsmoral.
Moin H.P,
So seh ich das auch.
Die in einer Gesellschaft gültige Moral,muß man erlernen.
Gruß,S.F
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von Abrazo
am Vorgestern, 09:41 Uhr
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Jetzt fängt er an, weltanschauliche Erziehung zur staatlichen Aufgabe zu
erklären
Genau das ist das Problem. Übersehen wird der wesentliche
Unterschied zwischen Wissensvermittlung (die selbstverständlich verfassungsgemäß
ist, begründet letztlich durch die Freiheit der Wissenschaft) und
Wertevermittlung. Und darüber hat der Staat nun mal nicht zu befinden, sofern
die zu vermittelnden Werte nicht mit der Verfassung kollidieren. Hier gilt
nämlich Art. 4 GG Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit.
Terminus
des Bundesverfassungsgerichtes (BVG): wertorientierter Unterricht.
Darum
kann es auch keinen neutralen Religionsunterricht geben.
Das sowieso
nicht.
Zieht man die Sache allerdings auf das Thema Weltanschauung, dann
muss man den überzeugten Atheismus mit der Religion, egal welche, in eine Reihe
stellen. Hier kommt die bekenntnisfreie Schule ins Spiel: sie ist genau so
berechtigt, wie jede andere Schule auch, ist aber auch keine neutrale Schule,
sondern eine weltanschaulich geprägte Schule. Einer der wesentlichen
Kritikpunkte ist ja der, dass so die bekenntnisfreie Schule zur Regelschule
gemacht wird, und das dürfte vom Grundgesetz her nicht zulässig sein.
Anders sähe die Sache aus, gäbe es formulierte allgemein anerkannte ethische
Prinzipien. Gibt es die? Oder könnte es eventuell sein, dass daran noch
gearbeitet wird?
Und damit zu Deinem Eingangsthread, Eberhard, denn Deine
Kritik weise ich zurück:
Offenbar darf nach Auffassung der Kläger Ethik
nur von den jeweiligen Religionsgemeinschaften für die jeweiligen Mitglieder
dieser Religionsgemeinschaften erteilt werden.
Unpräzise. Die Kläger
verlangen nicht, dass wertorientierter Unterricht nur von
Religionsgemeinschaften erteilt werden darf (das würde mit Blick auf die
gleichwertigen Rechte der Bekenntnisfreien gegen unsere Verfassung verstoßen),
sondern sie verlangen, dass weltanschaulich Gebundene wertorientierten
Unterricht von Lehrkräften erhalten, die an die gleiche Weltanschauung gebunden
sind, mit der Begründung, dass es einen weltanschaulich neutralen
wertorientierten Unterricht nicht gibt, was zur Folge hätte, dass ihnen mit der
Pflichtteilnahme an einem angeblich neutralen Unterricht die Werte einer
Anschauung zwangsweise vermittelt werden soll, die sie ablehnen.
Dieses
Argument ist nur widerlegbar, wenn man den Klägern allgemein gültige ethische
Prinzipien nennt, die, und nur die, vermittelt werden sollen. Ist das möglich?
1. Für jede Gesellschaft ist es von zentraler Bedeutung, welche ethischen
Normen gelehrt und sanktioniert werden, denn in ihnen wird deutlich, wie die
Menschen miteinander umgehen.
Unpräzise. Ethische Normen werden nicht
sanktioniert. Sanktioniert wird die Verletzung von Rechtsnormen oder - durch
soziale Kontrolle - von Moralen. Diese sind aber auch in einer Gesellschaft
verschieden. Das Anzeigen eines Drogenhändlers gilt in Kifferkreisen als
unmoralisch und wird entsprechend sanktioniert.
3. Der demokratische
Gesetzgeber hat die Aufgabe, sich der bestehenden Probleme anzunehmen, wie sie
in den Meinungen der Wähler zum Ausdruck kommen.
Bei der Erfüllung
dieser Aufgabe ist der Gesetzgeber an die Verfassung gebunden. Und die
garantiert nun einmal die Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit, zu der
gehört, dass niemandem vom Staat ein Bekenntnis aufgezwungen werden darf, das
nicht das Seine ist.
In der Praxis hat das BVG einen
Vermittlungsvorschlag bei der Auseinandersetzung um L.E.R. gemacht, der die
folgenden m.E. wesentlichen Elemente enthält:
Die Regelungen über das
Fach Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde in § 11 Abs. 2 bis 4 des
Brandenburgischen Schulgesetzes bleiben unberührt. Außer dem Unterricht in
diesem Fach kann Religionsunterricht gemäß § 9 Abs. 2 dieses Gesetzes in allen
Schulformen und Schulstufen erteilt werden. Ergänzend werden für die beiden
Unterrichtsfächer Regelungen entsprechend § 2 dieser Vereinbarung getroffen.
7. Schülerinnen und Schüler, deren Eltern gegenüber der Schule erklären,
dass ihr Kind [i]wertorientierten Unterricht zu den Gegenstandsbereichen des
Faches Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde allein in Form des
Religionsunterrichts erhalten soll, und den Besuch eines solchen Unterrichts
nachweisen, sind von der Verpflichtung zur Teilnahme am Unterricht in dem Fach
Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde befreit. Bei Schülerinnen und Schülern,
die das 14. Lebensjahr vollendet haben, tritt die eigene Erklärung an die Stelle
der Erklärung der Eltern. [/i]
Dies ist ein Vermittlungsvorschlag des
BVG, betreffend Land Brandenburg.
http://www.oefre.unibe.ch/law/dfr/bv104305.html
Ich schlage vor, wir
halten uns mal daran bei der Frage, worum es eigentlich geht. Denn von
wirklichkeitsfremdem Philosophieren, das sich auf fiktive Umstände und Normen
bezieht, halte ich nicht allzu viel.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von
Hanspeter am Vorgestern, 12:31 Uhr
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Es geht hier nicht um die Frage, ob Jesus auferstanden oder Mohammed der Prophet
Allahs ist.
Sondern es geht darum, dass die Werte, die das Grundgesetz
definiert, zum Erziehungsziel in der Schule gemacht wird. Und zwar auf breiter
Basis, die im Sozialkundeunterricht nicht möglich ist.
Dass man zB jungen
Leuten klar macht, dass Meinungsverschiedenheiten nicht per Faustschlag
entschieden werden, dass in unserem Land Mann und Frau gleichberechtigt sind,
Heiraten nicht erzwungen werden dürfen etc.
Ich halte es für
unerträglich, dass man zB. "Ehrenmorde" damit abtut, dass dies unter die
"Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit" fällt.
Wo sollen junge
Menschen lernen, welche Moral in unserer Gesellschaft gilt? In der Schule, im
Fernsehen, im Knast??
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von
Eberhard am Vorgestern, 21:32 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Abrazo,
die Fragestellung, mit der ich diese
Diskussionsrunde eröffnet habe, lautet: Ist ein Ethikunterricht für alle Schüler
mit dem Grundgesetz vereinbar?
Ich habe die Meinung vertreten, dass dies
der Fall ist.
Die Begründung hierfür lautet: Es gibt unter den
Heranwachsenden eine zunehmende moralische Orientierungslosigkeit.
Wenn
der Gesetzgeber mit Mehrheit beschließt, dies Problem auch durch einen
allgemeinen Ethikunterricht für alle Schüler anzugehen, so bewegt er sich damit
im Rahmen seiner verfassungsmäßigen Aufgaben und Rechte.
Die Freiheit der
Religionsausübung wird dadurch nicht eingeschränkt.
Der Verweis auf die
unumstößlichen religiösen Begründungen der Moral bringt keine Lösung des
Problems. Es spricht vieles dafür, dass der Prozess der Säkularisierung
weitergehen wird und dass die religiösen Weltbilder weiterhin an Glaubwürdigkeit
verlieren werden.
Eine Position, die auf alle Fragen nach den Gründen
für moralische Regeln nichts inhaltliches zu sagen weiß sondern nur auf die
Autorität des göttlichen Gesetzgebers verweisen kann, erscheint mir nicht sehr
wirksam.
Die Vorstellung, man könne demokratisches und rechtsstaatliches
Bewusstsein wecken ohne Begründungen der jeweiligen Normen, nur als Information
über das was faktisch gilt, erscheint mir unrealistisch.
Wenn die
Befürchtungen vor mangelnder weltanschaulicher Neutralität beim Ethikunterricht
so schwerwiegend sind, wie kann es dann einen Deutschunterricht geben, in dem
die Werke von Bertolt Brecht oder Heinrich Böll behandelt werden? Und wie kann
es dann einen Biologieunterricht geben, in dem die Genetik behandelt wird?
Haben mehr als 2000 Jahre philosophischer Bemühungen um die Bestimmung des
guten Handelns nichts erbracht, was möglichst viele kennen und verstehen
sollten? Müssen sich die Philosophen wirklich ein solches Armutszeugnis
ausstellen lassen?
Ist die nazistische Rassentheorie wirklich genau so
gut oder schlecht begründet wie etwa die Theorie der Gewaltenteilung?
Sollte nicht jedes Kind sich einmal Gedanken gemacht haben über Regeln wie: „Was
Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu“ oder „Quäle nie
ein Tier zum Scherz, denn es fühlt wie Du den Schmerz“? Oder können Kinder nicht
ihre Ansichten diskutieren über gerechte und ungerechte Behandlung der Schüler
durch den Lehrer?
Über Hilfsbereitschaft und Rücksichtnahme?
fragt
Eberhard.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von Gordon
am Vorgestern, 21:54 Uhr
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Etwas überrascht stelle ich fest, dass Eberhard einfach Familie und Eltern
ignoriert. Sie kommen einfach nicht vor. wer die beiden Sprüche nicht von seinen
Eltern gehört hat, für den kommt die Schule vielleicht schon zu spät. Erziehung
ist vor allem das Recht der Eltern und auf gar keinen Fall das des Staates. Nur
nebenbei: Aus dem Reliunterricht können Eltern und dann die Schüler selbst sich
jederzeit abmelden, von im Berlin geplanten LER nicht.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von
Hanspeter am Vorgestern, 22:33 Uhr
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Eberhard tut gut daran, die Eltern nicht zu erwähnen. Denn im Ethikunterricht
geht es nicht darum, ein irgendwie geartetes Elternbild zu vermitteln, sondern
die Moral, die in der Basis in unserem Grundgesetz verankert ist.
Wenn
die Eltern ihre Kindern im Sinne unserer Gesellschaft und unserer Rechtsordnung
erzogen haben, dann ist ja alles ok. Haben sie ihre Kinder aber falsch erzogen -
zb. im rechts- oder linksextremen Sinn, gemäß den Vorstellungen radikaler
Islamisten oder im Sinn von Kulturen, die mit der unsrigen nicht übereinstimmen
- dann wird es höchste Zeit, den Kindern das im Ethikunterricht beizubringen.
Deshalb ist es konsequent, diesen Unterricht verpflichtend zu gestalten. Und
die Eltern, die ihre Kinder aus dem Ethikunterricht abmelden möchten, sollten
sich dann auch aus unserer Gesellschaft abmelden bzw. abgemeldet werden.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von Abrazo
am Vorgestern, 23:02 Uhr
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Hi, zusammen,
tja, ich bin versucht zu sagen, da kochen doch hier und da
missionarische Gefühle hoch.
Es ist leider ein Irrtum zu glauben, das
Grundgesetz habe Verbindlichkeit für das deutsche Individuum. Es bindet den
Staat, nicht den Bürger. Das heißt, der Staat schreibt den Bürgern nicht vor,
was sie zu glauben, zu meinen und zu denken haben.
Beweis: das
Grundgesetz.
Art 1
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie
zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt
(2)
Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen
Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und
der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden
Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes
Recht.
Das Deutsche Volk bekennt sich zu den Menschenrechten. Die
könnte man vermitteln. Aber welches sind die? Denn, das gilt es zu bedenken, die
Menschenrechte sind kulturunabhängig. Und außerdem handelt es sich auch hier um
Rechte und nicht um Werte. Es wird angenommen, dass dahinter von allen Menschen
erkannte Werte stecken. Aber welche?
Sondern es geht darum, dass die
Werte, die das Grundgesetz definiert, zum Erziehungsziel in der Schule gemacht
wird
Welche Werte definiert denn das Grundgesetz? Und es ist schlicht und
einfach verfassungswidrig, wenn der Staat zu seinen Werten erzieht.
Ich
halte es für unerträglich, dass man zB. "Ehrenmorde" damit abtut, dass dies
unter die "Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit" fällt.
Hier
wäre in der Tat aufklärender Unterricht angebracht, denn diese Ansicht ist
schlicht und einfach falsch. Für die kürzlich verhängten 9 Jahre Gefängnis hatte
man in der Türkei kein Verständnis. Den Türken galt die Strafe als viel zu
gering; erst gestern habe ich gehört, bei denen gab es in einem vergleichbaren
Fall 16 Jahre. Du wirst auch keinen islamischen Theologen finden, der erklärt,
hier handle es sich um Religion. Tatsächlich ist es archaisches Brauchtum von,
nun, sagen wir, etwas verwahrlosten Gesellschaften, wie es die kurdische in
türkisch-Anatolien ist (bei den iranischen und irakischen Kurden ist von derlei
Bräuchen nichts bekannt). Folge von Armut, mangelnder Bildung und Entrechtung.
Die Freiheit der Religionsausübung wird dadurch nicht eingeschränkt.
Es geht aber nicht um die Freiheit der Religionsausübung, also z.B. des
Kirchganges, sondern um die Freiheit des Glaubens.
Es spricht vieles
dafür, dass der Prozess der Säkularisierung weitergehen wird und dass die
religiösen Weltbilder weiterhin an Glaubwürdigkeit verlieren werden.
Ich
würde sagen, dafür spricht sehr wenig. In den USA lehnen 53% der Staatsbürger
die Evolutionstheorie ab, in islamischen Ländern bis weit nach Schwarzafrika
hinein erringen religiöse Parteien in demokratischen Wahlen Mehrheiten und, nun,
der Weltjugendtreff in Köln letztes Jahr sah auch nicht gerade nach
Säkularisierung aus. Ich sehe eher, dass die säkularen Weltbilder mehr und mehr
an Glaubwürdigkeit verlieren. Da sollte sich die Philosophie den Schuh anziehen,
dass sie da vielleicht zu lange zu schweigsam war - oder sich mit Problemen
beschäftigt hat, die Normalmensch nicht die Spur interessieren.
Grundsätzlich gilt: unser Staat verbietet sich qua Verfassung das Recht, Kinder
zu seinen Werten hin zu erziehen. Das ist ein ganz wesentlicher Unterschied zu
den 'Gottesstaaten', aber auch z.B. zur ehemaligen DDR, ebenso jedoch zum
wilhelminischen Untertanenstaat; für die war es nämlich selbstverständlich, dass
der Staat den wertorientierten Unterricht in eigener Regie bestimmt. So etwas
ist bei uns nicht verfassungsgemäß. Muss man sich erst mal klar machen.
Die wertorientierte Erziehung der Kinder, da bewegt sich Gordon vollkommen auf
dem Boden unserer Verfassung, wird von den Eltern bestimmt und nicht vom Staat.
Mit Berufung auf die Menschenrechte ist es zwar ohne weiteres möglich, einen
werteorientierten Unterricht zu geben; aber eben nicht gegen den Willen der
Eltern.
Die Philosophie hat sehr viel erreicht. Aber man sollte dabei
nicht vergessen, dass die Philosophie auch kaum zu unterschätzenden Einfluss auf
die Theologien hatte. Auch da hat die Philosophie viel erreicht. Nur kann man
leider dem Normalmenschen nicht Kant ans Herz legen, weil er davon nur Bahnhof
versteht. Und es ist auch ganz und gar nicht so, dass Philosophie grundsätzlich
areligiös war und ist. Also wird man den Konflikt auch innerhalb der Philosophie
finden.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von Joy am
Vorgestern, 23:19 Uhr
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on 04/25/06 um 22:33:20, Hanspeter wrote:Eberhard tut gut daran, die Eltern
nicht zu erwähnen. Denn im Ethikunterricht geht es nicht darum, ein irgendwie
geartetes Elternbild zu vermitteln, sondern die Moral, die in der Basis in
unserem Grundgesetz verankert ist.
Wenn die Eltern ihre Kindern im Sinne
unserer Gesellschaft und unserer Rechtsordnung erzogen haben, dann ist ja alles
ok. Haben sie ihre Kinder aber falsch erzogen - zb. im rechts- oder
linksextremen Sinn, gemäß den Vorstellungen radikaler Islamisten oder im Sinn
von Kulturen, die mit der unsrigen nicht übereinstimmen - dann wird es höchste
Zeit, den Kindern das im Ethikunterricht beizubringen.
Meinst Du hier mit "unserer Kultur" die allgegenwärtige Anbetung des Mammon?
Milliarden von Rüstungsausgaben? Profit als das Mass aller Dinge? Jedem mit
gnadenloser massiver Gewalt zu drohen, wenn er sich diesem Irr- und Wahnsinn
verweigert und sich an dem Idiotenspiel nicht erfreuen kann? Nennst Du das
"Kultur"? Das kann doch nicht Dein Ernst sein, oder doch?
Ganz nebenbei:
Es geht hier im Forum um PHILOSOPHIE (= LIEBE + WEISHEIT). Politik (= rationale
Berechnung) ist alles andere als Philosophie. Politik ist jenes Pharisäertum,
welches Wasser predigt und Wein säuft.
Niemand wird unsere Kinder per
Gesetz verändern können, denn sie sind nur der Spiegel von uns selbst. Sie
machen nach, was ihnen vorgelebt, nicht was ihnen vorgepredigt wird.
Die
ganze Diskussion geht am eigentlich Wesentlichen -wie gewohnt- völlig vorbei und
es wird sich solange nichts wirklich verändern, solange Diskussionen auf dem
Niveau dieser Scheinheiligkeit geführt werden. Nach §§ schreien immer nur die
Dummen...
Gruß
Joy
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von Joy am
Gestern, 00:20 Uhr
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on 04/25/06 um 23:02:37, Abrazo wrote:Hi, zusammen,
tja, ich bin
versucht zu sagen, da kochen doch hier und da missionarische Gefühle hoch.
Es ist leider ein Irrtum zu glauben, das Grundgesetz habe Verbindlichkeit
für das deutsche Individuum. Es bindet den Staat, nicht den Bürger. Das heißt,
der Staat schreibt den Bürgern nicht vor, was sie zu glauben, zu meinen und zu
denken haben.
Beweis: das Grundgesetz.
Art 1
(1) Die Würde
des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung
aller staatlichen Gewalt
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu
unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder
menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt
und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
Das Deutsche Volk
bekennt sich zu den Menschenrechten. Die könnte man vermitteln. Aber welches
sind die? Denn, das gilt es zu bedenken, die Menschenrechte sind
kulturunabhängig. Und außerdem handelt es sich auch hier um Rechte und nicht um
Werte. Es wird angenommen, dass dahinter von allen Menschen erkannte Werte
stecken. Aber welche?
Hallo Abrazo,
Du weisst aber
auch, dass es sich bei all diesen §§ um pure Scheinheiligkeit handelt und dass
Papier geduldig ist. Nicht "das Deutsche Volk" (was nur eine Abstraktion, aber
keine Realität ist!) bekennt sich zu diesem oder jenen, sondern ein kleiner
Zirkel hat dies ohne das Volk je zu fragen, einfach so in dessen Namen
aufgeschrieben und zwar ohne es dabei überhaupt zu fragen, wozu es sich
angeblich bekennt. Ein "Volk" kann sich zudem gar nicht bekennen - bekennen kann
sich immer nur ein Mensch, ein geistiges Individuum!
Diese
aufgeschriebenen Gesetze, was sind sie bitte anderes als "Vergewaltigungen"? Was
ist Politik bitte anderes als Schaumschlägerei? Jedes Gericht urteilt -in
welchen Belangen auch immer- "im Namen des Volkes", in Wirklichkeit aber nur in
Anwendung von §§, zu deren Erlass das "Volk" niemals auch nur gefragt wurde.
Hier herrscht Heuchelei pur und diese Herrschaftsstrukturen sollen nun nach
Möglichkeit bereits dem kindlichen Geist -am liebsten ab Geburt- per
Indoktrination gesetzlich verschrieben werden wie eine Pockenimpfung, nur um
diese irr- und wahnsinnige Herrschaftsstruktur, ausgerichtet und orientiert am
alleinigen Interesse des Mammon, möglichst langfristig abzusichern. Läge dies im
Interesse des "Volkes", wie von einem kleinen Zirkel behauptet, bedürfte es doch
gar keiner Zwangs-§§. Aber eben weil dies nicht der Fall ist, bedarf es eben der
§§, welche stets gegen das Volk gerichtet sind... Das Individuum sieht doch im
"Staat" nicht seinen Vertreter, sondern nur seinen Gegner, der es gnadenlos
abschöpfen will und das auch noch angeblich in seinem eigenen Namen...
Und weil Du an anderer Stelle Dich auf Marx berufst, er schreibt: "Die Praxis
ist das Kriterium der Wahrheit." Rein auf "die Welt" bezogen, die weltliche
Realität, ist Marx einer der besten Philosophen überhaupt, da reicht ihm kaum
einer das Wasser. Wer Marx's Schriften kennt, der kommt kaum daran vorbei, ihn
fast schon als einen "Propheten" zu betrachten, denn was er über den
Kapitalismus schreibt, über die "Fratze des Kapitalismus", das ist heutige
Alltagsrealität in der kapitalistischen Welt, in der der Mammon alles gilt, der
einzige Massstab überhaupt ist, der jede Menschlichkeit ignoriert und stets von
der "Kostenfrage" aus die Welt betrachtet.
In diesen Belangen, welche
dieses Threadthema angeht, stimme ich Dir sogar weitestgehend zu und bin mit Dir
eins. Schaue ich aber "tiefer", dann divergieren wir völlig, denn Philosophie
betrachtet oder sucht zumindest nach einer Betrachtung des GANZEN - während
zumeist nur die "Hälfte", nämlich der materielle Aspekt des SEINS, als
vermeintliches GANZES betrachtet wird und dann landet der menschliche "Geist"
immer im Irrtum, denn er glaubt, dass -jetzt sinnbildlich gesprochen- die
Vorderseite der Münze die GANZHEIT der Münze sei und blendet die Rückseite
völlig aus. Und genau an dieser Ausblendung krankt sozusagen das, was wir
sprachlich als "Welt" bezeichnen und eben deswegen wird das Leid nicht geringer,
sondern nimmt permanent weiter zu. Wer davor die Augen verschliesst, der kann
daher sehr wohl als "noch blind" bezeichnet werden... (Eberhard -an seinen
Beiträgen hier im Forum betrachtet, zähle ich zu diesen (noch-)Blinden und meine
das dabei kein bisschen wertend, denn das, was er wirklich-ist, das ist quasi
schon immer sehend.)
Gruß
Joy
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von
Hanspeter am Gestern, 07:07 Uhr
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@abrazo
Mit den Menschenrechten meint das Grundgesetz die Allgemeinen
Menschenrechte, die 1948 formuliert und zwischenzeitlich ergänzt wurden. Ich
weiß, dass es auch Versuche von islamischer und buddhistischer Seite gab und
gibt, eine Alternative zu diesen Menschenrechten zu erstellen. Hier in unser
westlichen Kultur gelten aber erstgenannte Menschenrechte. Und die enthalten
sehr wohl Werte, denn Rechte beschreiben stets irgendwelche Werte.
Abrazo
schreibt zum Thema Ehrenmorde: "Für die kürzlich verhängten 9 Jahre Gefängnis
hatte man in der Türkei kein Verständnis."
Hat man sehr wohl. Sicher
nicht unter den westlich gebildeten Türken. Und auch nicht dann, wenn westliche
Journalisten danach fragen. Aber unter den "Grauen Wölfen" in Berlin wird das
ganz anders gesehen.
Abrazo schreibt weiter: "Grundsätzlich gilt: unser
Staat verbietet sich qua Verfassung das Recht, Kinder zu seinen Werten hin zu
erziehen."
Das ist falsch. Die Werte eines Staates sind in seinen
Gesetzen verankert. Und der Staat verpflichtet seine Bürger zur Einhaltung und
Achtung dieser Gesetze. Dies zu erreichen ist unter anderem ein Ziel des
Ethikunterrichts.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von Abrazo
am Gestern, 10:32 Uhr
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Die Werte eines Staates sind in seinen Gesetzen verankert. Und der Staat
verpflichtet seine Bürger zur Einhaltung und Achtung dieser Gesetze.
Welcher Wert ist hier verankert - und wieweit verpflichtet der Staat damit die
Bürger?
Art 13 GG
(1) Die Wohnung ist unverletzlich.
(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch
durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der
dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.
(3) Begründen bestimmte
Tatsachen den Verdacht, daß jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders
schwere Straftat begangen hat, so dürfen zur Verfolgung der Tat auf Grund
richterlicher Anordnung technische Mittel zur akustischen Überwachung von
Wohnungen, in denen der Beschuldigte sich vermutlich aufhält, eingesetzt werden,
wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig
erschwert oder aussichtslos wäre. Die Maßnahme ist zu befristen. Die Anordnung
erfolgt durch einen mit drei Richtern besetzten Spruchkörper. Bei Gefahr im
Verzuge kann sie auch durch einen einzelnen Richter getroffen werden.
(4)
Zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere
einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, dürfen technische Mittel zur
Überwachung von Wohnungen nur auf Grund richterlicher Anordnung eingesetzt
werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme auch durch eine andere
gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden; eine richterliche Entscheidung
ist unverzüglich nachzuholen.
(5) Sind technische Mittel ausschließlich
zum Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen, kann
die Maßnahme durch eine gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden. Eine
anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Erkenntnisse ist nur zum Zwecke
der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr und nur zulässig, wenn zuvor die
Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzuge
ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.
(6) Die
Bundesregierung unterrichtet den Bundestag jährlich über den nach Absatz 3 sowie
über den im Zuständigkeitsbereich des Bundes nach Absatz 4 und, soweit
richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 5 erfolgten Einsatz technischer
Mittel. Ein vom Bundestag gewähltes Gremium übt auf der Grundlage dieses
Berichts die parlamentarische Kontrolle aus. Die Länder gewährleisten eine
gleichwertige parlamentarische Kontrolle.
(7) Eingriffe und
Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer
Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung
dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur
Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze
gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.
Die Vorstellung davon,
was im Grundgesetz steht könnte und das, was tatsächlich drin steht, ist
durchaus verschieden. Ich empfehle, es mal zu lesen.
Z.B. auch, was darin
zum Thema Erziehung steht:
Art 6 GG
(1) Ehe und Familie stehen
unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
(2) Pflege und
Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst
ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche
Gemeinschaft.
Folgt: es ist definitiv nicht das Recht des Staates.
Eingreifen darf der Staat nur dann, wenn die Kinder offenkundig Schaden
nehmen. Und das muss selbstverständlich - so ist das bei Rechtsangelegenheiten -
bewiesen werden.
Aber unter den "Grauen Wölfen" in Berlin wird das ganz
anders gesehen.
Die Grauen Wölfe sind aber keine religiöse, sondern eine
türkisch-nationalistische politische Gruppierung.
Und der Staat
verpflichtet seine Bürger zur Einhaltung und Achtung dieser Gesetze. Dies zu
erreichen ist unter anderem ein Ziel des Ethikunterrichts.
Da gibt es
einen feinen, aber wichtigen Unterschied, der den pluralistische demokratischen
Staat vom totalitären Staat trennt.
Ich verweise auf den Urheber
christlich-abendländischen totalitären Denkens, Kirchenvater Augustinus. Weil
das auch so schön zeigt, wie christlich das Denken etlicher angeblich vollkommen
Säkularer tatsächlich geprägt ist.
Für Augustinus gab es einen göttlichen
Schöpfungsplan, zu dessen Verwirklichung der Staat verpflichtet war: den
Gottesstaat als Endziel der Geschichte, in dem sich staatliche Gewalt auflöst
(ja, ja, auch Marx war insofern ein christlicher Denker). Der Staat (bzw. der
Papst) hatte also entsprechend Einfluss auf die Entwicklung seiner Untertanen zu
nehmen.
Der demokratische Staat kehrt sich davon ab. Er verfolgt nicht
nur kein Ziel, das ist ihm sogar verboten. Denn die Entwicklung einer
Gesellschaft wird einzig und allein von dieser Gesellschaft bestimmt, sie ergibt
sich aus dem innergesellschaftlichen Diskurs. In diesem Diskurs haben alle, die
sich beteiligen, das gleiche Gewicht. Auch Philosophen haben in ihm nur dann
etwas zu melden, wenn sie mit ihren Argumenten überzeugen können.
Aufgabe
des Staates ist es dafür zu sorgen, dass die Freiheit des gleichberechtigten
Diskurses erhalten wird. Von daher sind seine Gesetze Spielregeln; ethische
Positionen zu beziehen ist seine Sache nicht. Natürlich beziehen Parteien und
Regierungen mehr oder minder ethische Positionen; die aber wurden gewählt bzw.
bestehen aus Bürgern, die bestimmte ethische Positionen gemeinsam beziehen.
Sofern diese Parteien die Regierung bilden, ist es ihr Recht, ihren ethischen
Grundwerten gemäß zu entscheiden. Allerdings nur bis zu einer Grenze, die
letztlich das Grundgesetz bestimmt und über deren Einhaltung das BVG wacht: der
gleichberechtigte Diskurs darf von einer Regierung nicht beschränkt werden.
Und der Staat hat die Aufgabe auch darüber zu wachen, dass die Bürger sich
im gleichberechtigten Diskurs nicht gegenseitig beschränken, dass sie also die
demokratischen Spielregeln einhalten. Und kein Staatsmodell propagieren und zu
verbreiten suchen, das den gleichberechtigten Diskurs abschaffen will.
Von daher sind alle an den Staat heran getragenen Wünsche, er möge seine Kinder
in eine bestimmte Richtung erziehen, verfassungswidrig. Nicht verfassungswidrig
ist selbstverständlich die Wissensvermittlung, also die Bildung - im Gegenteil,
dafür zu sorgen ist staatliche Pflicht - und, was dazu gehört, die Vermittlung
der hier geltenden Spielregeln. Eben deswegen sage ich: Recht und
Staatsbürgerkunde. Was den pluralistischen, auch ethischen Diskurs ja eher
fördert denn einschränkt. Man denke an Art. 2:
(1) Jeder hat das
Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte
anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das
Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche
Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf
nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Wer will behaupten,
dass die Präsentation und Diskussion über diesen GG-Artikel einer kritischen
Betrachtung von Gewalt an Schulen und in der Freizeit nicht förderlich wäre?
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von
Eberhard am Gestern, 11:21 Uhr
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Hallo allerseits,
es geht um die Frage, ob die Einführung eines Fachs
Ethik für alle Schüler mit dem Grundgesetz und der darin garantierten
Glaubensfreiheit vereinbar ist.
Aus der Fragestellung ergibt sich
zwangsläufig, dass die Rolle der Eltern bei der Vermittlung moralischer
Einstellungen hier nicht im Mittelpunkt steht.
Aus der Fragestellung
ergibt sich weiterhin, dass Positionen, wonach es sich bei den Bestimmungen
unserer Verfassung um „pure Scheinheiligkeit“ handelt, die „stets gegen das Volk
gerichtet sind“, nichts zur Beantwortung der hier gestellten Frage beitragen
können.
Die Frage ist, ob die Thematisierung von Moral und Ethik im
Schulunterricht zum verfassungsgemäßen Bildungsauftrag der Schulen gehört.
Dass unter nicht unerheblichen Teilen der Heranwachsenden ein Defizit an
moralischen Einstellungen besteht, ist wohl unstrittig. Ich nenne hier nur den
Vandalismus. So wurden In dem kleinen Park am Potsdamer Platz in Berlin immer
wieder die Lampen zerschlagen. Schließlich hat das Gemeinwesen kapituliert und
beschlossen, die zerstörten Lampen nicht mehr zu erneuern.
Der Einfluss
der Religionsgemeinschaften auf die Gesinnung der Heranwachsenden reicht
gegenwärtig offensichtlich nicht aus, um Vandalismus und Bandenkriminalität den
Nährboden zu entziehen.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein
erheblicher Anteil der Bevölkerung entweder überhaupt keiner
Religionsgemeinschaft angehört oder dort zu den „Karteileichen“ zählt, die
höchstens 1 bis 2 Mal im Jahr zum Gottesdienst gehen.
(1970 besuchten
von ca. 27 Millionen Katholiken der Bundesrepublik ca. 10 Millionen den
sonntäglichen Gottesdienst. 1999 waren es noch ca. 4,5 Millionen. Dies ist ein
Rückgang um mehr als die Hälfte.
Ca. ein Drittel der Bevölkerung gehört
weder der katholischen noch der evangelischen Kirche an.
Quelle:
Statistisches Bundesamt. Datenreport 2002.)
Es gibt also gute Gründe, die
Vermittlung moralischer Einstellungen nicht nur den Religionsgemeinschaften zu
überlassen.
Unsere Frage ist: Darf die Schule hier tätig werden?
Diese Frage wird verneint mit der folgenden Begründung:
1. Jeder
Ethikunterricht ist notwendigerweise wertorientiert, weil es keine allgemein
gültigen ethischen Prinzipien gibt.
2. Ein wertorientierter Unterricht
kann nicht weltanschaulich neutral sein.
3. Deshalb bedeutet die
Verpflichtung zur Teilnahme am Ethikunterricht die zwangsweise Vermittlung einer
fremden Wertorientierung und Weltanschauung.
Diese Argumentation muss
ernst genommen werden. Wenn man dieser Argumentation folgt, dann muss jeder
Schüler das Recht haben, anstelle des allgemeinen Ethikunterrichts einen
Ethikunterricht durch die je eigene weltanschauliche Richtung zu besuchen.
Meiner Ansicht nach muss jedoch der Ethikunterricht weltanschaulich nicht
weniger neutral sein als z.B. der Deutschunterricht . Dort werden Werke wie
„Emilia Galotti“ von Lessing, „Wilhelm Tell“ von Schiller, „Die Weber“ von
Hauptmann, „Mutter Courage“ von Brecht oder „Die Physiker“ von Dürrenmatt
behandelt. Dies sind alles keineswegs weltanschaulich neutrale Texte und auch
die einzelnen Lehrer haben dazu ihre persönliche Meinung. Trotzdem wird die
Behandlung solcher Texte im Rahmen des Deutschunterrichts nicht in Frage
gestellt.
Besteht nicht in entsprechender Weise die Möglichkeit, sich für
den Ethikunterricht auf weithin anerkannte Autoren und Texte zu einigen, die als
Teil der Allgemeinbildung gelten können? Kann man diese Texte (natürlich nur
nach altersgerechter didaktischer Bearbeitung) nicht gemeinsam lesen und
erörtern, ohne dass hier eine weltanschauliche Richtung in Form einer
staatlichen Moral vorgegeben wird?
Besteht mit einem Fach Ethik nicht
auch die Möglichkeit, die ununterbrochen im schulischen Alltag auftauchenden
moralischen Fragen zum Gegenstand des gemeinsamen Nachdenkens zu machen?
(Abschreiben und Abschreiben lassen, Schummeleien bei Tests, Stören durch
Zu-spät-Kommen oder private Unterhaltungen, Androhung und Einsatz von
körperlicher Gewalt, Behandlung von Außenseitern, Angeben mit Klamotten oder
Schuhen, Zivilcourage gegenüber Stärkeren und Hilfsbereitschaft gegenüber
Schwächeren, Anschwärzen von Mitschülern, ethnische Vorurteile etc. etc.)
Grüße an alle Interessierten von Eberhard.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von Abrazo
am Gestern, 12:11 Uhr
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Besteht nicht in entsprechender Weise die Möglichkeit, sich für den
Ethikunterricht auf weithin anerkannte Autoren und Texte zu einigen, die als
Teil der Allgemeinbildung gelten können? Kann man diese Texte (natürlich nur
nach altersgerechter didaktischer Bearbeitung) nicht gemeinsam lesen und
erörtern, ohne dass hier eine weltanschauliche Richtung in Form einer
staatlichen Moral vorgegeben wird?
Das ist Wissensvermittlung, also
Bildung, und damit kann es in unserem Staat keinerlei Probleme geben, wenn ich
auch aus praktischen Gründen angesichts etlicher deutscher Rabauken und Rabauken
aus Migrantenfamilien ausgewählte Grundgesetz- und Gesetzestexte (z.B. StGB,
Telekommunikationsgesetz und Urheberrecht, StPO, ZPO, selbstverständlich
aufbereitet, im Original sind die für Jugendliche unlesbar) Emilia Galotti
vorziehen würde.
Das Problem in Berlin kann in den Ausdruck
"werteorientierte Erziehung" gefasst werden. Das ist der Stein des Anstoßes.
Den Vergleich mit dem Philosophieunterricht (oder auch dem in Latein, der ja
schon mit Klasse 5 beginnen kann) sollte man heran ziehen. Inwiefern ist ein
solcher Unterricht werteorientiert? Er vermittelt Wissen, Weltbilder, Ansichten
und Überzeugungen unterschiedlicher Leute aus unterschiedlichen Epochen. Schon
in der 5. Klasse wird Lateinschülern vermittelt, wie der Römer dachte und welche
Werte er hatte. Und lässt sie darüber diskutieren. Aber das Ziel ist eben nicht,
Werte zu vermitteln. Was der Schüler davon hält, das zu entscheiden überlässt
man ihm selbst. Erfahrungsgemäß beschleunigt gerade dieses Wissen um
unterschiedliche Auffassungen und Entscheidungsmöglichkeiten die Reifung der
Persönlichkeit ganz erheblich.
Hab ich's hier schon erwähnt? Ich selbst
bin entschiedene Antipädagogin. Nach Lektüre eines Pädagogikbuches, in dem
Bildung und Erziehung mit dem Bild des Sokrates im Kreise seiner Schüler
(Bildung) und des Pestalozzi mit dem Kinde auf dem Arm (Erziehung) gezeichnet
wurden mit der Absicht, man möge hinnehmen, dass beides gleich notwendig sei,
kam ich zu dem Schluss, wo ein Sokrates sitzt, wird ein Pestalozzi nicht
gebraucht. Damit bin ich auch bei Asi-Kindern stets hervorragend zurecht
gekommen.
Zur kritischen Beleuchtung möglicher gesellschaftlicher
Ursachen einer Forderung nach werteorientierter Erziehung versus Bildung möchte
ich kurz aus einem Zeitungsartikel von Michael Hirz zitieren, Überschrift: Der
Bürger im Aufwind.
Eine Spaltung der Gesellschaft wird als unabänderlich
in Kauf genommen. Paul Nolte, der als Erster wieder freimütig von Unterschichten
sprach, die zivilisiert werden müssten, sieht ein deutliches Auseinanderdriften
der Gesellschaft: Einerseits eine größer werdende Unterschicht, die schon an
praktischen Fragen wie richtiger Ernährung, Erziehung und angemessendem sozialem
Verhalten scheitert. Und andererseits die Herausbildung einer neuen
Bürgerlichkeit, die klassische Formen wie beispielsweise die Salonkultur und das
gesellschaftliche Engagement wiederbelebt. ... Dieses Einverständnis mit
sozialer Ungleichheit ist die Achillesferse der Propagandisten einer neuen
Bürgerlichkeit.
Und nu nimm mal Pisa. Ist es ein Zufall, dass
Jugendkriminalität mit Bildungsmängeln einhergehen? Kann es eine Lösung sein,
die ungebildete Unterschicht staatlicherseits moralisch zu erziehen (was
erfahrungsgemäß nicht klappt - weil bürgerliche Moral in der Regel doppelt ist,
der Unterschicht aber immer nur eine Hälfte beigebracht wurde, was die alsbald
immer merkte) und die Bildung schleifen zu lassen mit dem Argument, zu mühsam
für die Lehrer, da die Schüler dazu eh keinen Bock hätten? Guckt da nicht durch
die Hintertür das Bild vom braven christlichen Arbeitsmann herein, der sich
seiner Inferiorität bewusst ist und deswegen tut, was die besseren Kreise im
sagen?
Um mal die Strukturen herauszupolken, denen solche Forderungen
auch entspringen könnten, die sich dann mit anderen Denkstrukturen und
Interessen treffen.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von
Hanspeter am Gestern, 12:46 Uhr
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Die Beiträge werden immer länger, die Inhalte aber nicht überzeugender.
@Abrazo schreibt auf meine Aussage: "Die Werte eines Staates sind in seinen
Gesetzen verankert. Und der Staat verpflichtet seine Bürger zur Einhaltung und
Achtung dieser Gesetze."
Welcher Wert ist hier verankert - und wieweit
verpflichtet der Staat damit die Bürger?
Ist das so schwer zu verstehen?
Wenn das Gesetz Mord mit einer hohen Freiheitsstrafe belegt, dann heißt das,
dass unsere Gesellschaft dem Erhalt des individuellen Lebens einen sehr hohen
Wert beimisst. Sie verpflichtet die Bürger, sich daran zu halten. Wenn nun ein
Islamist darauf verweist, dass im Koran das Töten der Ungläubigen befohlen wird,
dann mag er das zwar persönlich für richtig halten - Glaubensfreiheit - wenn er
aber andere dazu aufruft, wird die Gesellschaft dieses sanktionieren, weil er
damit gegen unsere Werteordnung verstößt.
Alles klar?
Die
Begründung, eine Antipädagogin zu sein, ist für sich allein nicht überzeugend.
Bereits bei Säugetieren und Vögeln ist es üblich, dass die Kinder von ihren
Eltern lernen. Diese Methode hat sich bewährt.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von Joy am
Gestern, 14:00 Uhr
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on 04/26/06 um 12:46:44, Hanspeter wrote:Wenn das Gesetz Mord mit einer
hohen Freiheitsstrafe belegt, dann heißt das, dass unsere Gesellschaft dem
Erhalt des individuellen Lebens einen sehr hohen Wert beimisst. Sie verpflichtet
die Bürger, sich daran zu halten. Wenn nun ein Islamist darauf verweist, dass im
Koran das Töten der Ungläubigen befohlen wird, dann mag er das zwar persönlich
für richtig halten - Glaubensfreiheit - wenn er aber andere dazu aufruft, wird
die Gesellschaft dieses sanktionieren, weil er damit gegen unsere Werteordnung
verstößt.
Wird ein religöser Text wie der Koran einer ist,
aus säkulärer Sicht betrachtet, dann wird er zwangsläufig missverstanden und
missinterpretiert. Den "Ungläubigen zu töten" bezieht sich nämlich nicht auf
"andere Menschen", sondern auf das illusionäre eigene Ego "in sich selbst".
on 04/26/06 um 12:46:44, Hanspeter wrote:Die Begründung, eine
Antipädagogin zu sein, ist für sich allein nicht überzeugend. Bereits bei
Säugetieren und Vögeln ist es üblich, dass die Kinder von ihren Eltern lernen.
Diese Methode hat sich bewährt.
Ich gehe ja sehr selten mit
Abrazo's hier geäusserten Ansichten einig. Aber hier bin ich mit ihr eins - z.B.
der Moral-Vermittlung, die nämlich immer eine "doppelte" ist. Im Gegensatz ist
Dein hier genanntes Vergleichs-Beispiel bezogen auf Säugetiere und Vögel nämlich
nicht doppelt. Hier "lernen" die Jungen, die Nachkommen ebenso durch das ihnen
vorleben der "Alten". Abrazo's Darlegung bezüglich eines "Antipädagogismus" geht
damit im Grunde konform, denn was sie diesbezüglich sagt, heisst doch nichts
anderes als das, was Anatole France in dem einen Satz zum Ausdruck bringt, wenn
er sagt: "Wir können aufhören unsere Kinder zu erziehen, denn sie machen uns
ohnehin alles nach." Die Psychologie z.B. erkennt dies in jenem Zusammenhang,
dass Menschen, welche als Kinder selbst "Opfer" von häuslicher Gewalt wurden,
dies als Erwachsene nur zu oft dann als "Täter" wiederholen, obwohl sie durchaus
wissen, wie sie einst als Kind selbst unter der Gewalt gelitten haben.
Was hier allein notwendig ist, ist eine höhere Bewusstheit, und diese kann durch
kein Gesetz oder Unterricht in der Welt herbeigeführt oder vermittelt werden,
sondern ist einzig und allein Angelegenheit des Individuums selbst. Wer seine
Kinder wirklich liebt - wird sie nicht zu irgendwas "erziehen", er lässt sie
entsprechend ihren individuellen Anlagen "frei gedeihen" und lebt ihnen die
Liebe damit selbst quasi aktiv vor.
Gruß
Joy
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von Abrazo
am Gestern, 15:37 Uhr
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Was Du sagst, stimmt leider nicht, Hanspeter.
Nehmen wir nochmal Art. 2
GG:
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die
Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines
Gesetzes eingegriffen werden.
Was steht da?
Da steht klipp und klar,
dass der Staat aufgrund eines Gesetzes in das Recht auf Leben eingreifen darf.
Gibt es dafür ein Beispiel? Oh ja. Nämlich das Luftsicherheitsgesetz.
Das
auf der unter Juristen weit verbreiteten Auffassung basierte, dass das Recht auf
Leben ein eingeschränktes Recht ist, kein absolutes, wie die Menschenwürde (die
tatsächlich gar kein Recht ist).
Erst das BVG hat in diesem Jahr (!) diese
Auffassung teilweise für verfassungswidrig erklärt, stark verkürzt gesagt mit
dem Argument, dass die Menschenwürde voraussetzt, dass Mensch lebt.
Der
einzige Wert im Grundgesetz ist die Menschenwürde. Alles andere sind weiter
nichts als Rechte, die in erster Linie der Bürger dem Staat gegenüber hat und
Pflichten, die der Staat der Gesellschaft und damit dem einzelnen Bürger
gegenüber hat. Zu den Pflichten des Staates gehört, des Bürgers Recht auf
Unversehrtheit zu schützen und bei Verletzung dagegen vorzugehen. Wer klagt in
diesem Falle an - der Bürger, der Opfer eines Verbrechens geworden ist? Nein.
Der Staatsanwalt.
Kein Gesetz darf im Widerspruch zum Wert Menschenwürde
stehen. Hier liegt der Ansatzpunkt für eine neutrale ethische Diskussion, auch
im Bildungsbereich: in welchem Zusammenhang stehen die Gesetze mit der
Menschenwürde?
Ferner rate ich zu überlegen: was ist strafbar?
Klare
Antwort: eine Handlung, auch die Planung einer Handlung.
Aber nur unter der
Voraussetzung von § 1 StGB:
Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die
Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.
Ohne
Gesetz keine Strafe.
Es gibt kein Gesetz, das einen Glauben oder eine
Gesinnung unter Strafe stellt. Folglich sind Glaube und Gesinnung nicht
strafbar. Fundamentalistische Evangelikale glauben, dass Homosexualität eine
verdammenswerte Sünde ist. Das dürfen sie. Sie dürfen auch darüber diskutieren.
Strafbar machen sie sich erst dann, wenn aus diesem Glauben eine Tat folgt: z.B.
Beleidigung und Volksverhetzung.
Folglich gilt:
Wenn nun ein
Islamist darauf verweist, dass im Koran das Töten der Ungläubigen befohlen wird,
dann mag er das zwar persönlich für richtig halten - Glaubensfreiheit - wenn er
aber andere dazu aufruft, wird die Gesellschaft dieses sanktionieren, weil er
damit gegen unsere Werteordnung verstößt.
Wird sie nicht. Sie wird ihn
bestrafen wg Volksverhetzung, Anleitung zu Straftaten, Belohnung und Billigung
von Straftaten oder wg einer Straftat, die er selbst begangen hat, aber nicht,
weil der das Töten von Ungläubigen für richtig hält. Und nicht deswegen, weil er
gegen unsere Werteordnung verstößt - das täte er bereits, wenn er das nur
glaubt, ohne zu handeln - sondern deswegen, weil er ein Gesetz bricht. So
nüchtern und prosaisch läuft das bei uns.
So, wie auch einer nicht
bestraft wird, wenn er es für richtig hält, alle Tierversuchslabore mit Gewalt
zu zerstören. Bestraft wird er erst dann, wenn er dazu aufruft oder plant, das
selber zu tun, die Tat also vorbereitet.
Es besteht ein gravierender
Unterschied zwischen Meinungsfreiheit und Handlungsfreiheit, den sehr viele
nicht begriffen haben.
Einer darf seine Auffassung, Heroin solle zum
Gebrauch freigegeben werden, ohne weiteres sagen und diskutieren. Aber aus
dieser Meinungsfreiheit folgt nicht, dass er deswegen auch straffrei mit Heroin
handeln darf.
Und im Übrigen - auch das ist eine Frage des Wissens,
nämlich von objektiven Abgrenzungskriterien - ist noch lange nicht überall, wo
Religion drauf steht, auch Religion drin (das koranische Tötungsgebot setzt
nämlich den Verteidigungsfall voraus. Den sich Einer natürlich zusammenspinnen
kann - was ich allerdings nicht mehr unter Religionsfreiheit setzen würde, da
Fachleute, also islamische Theologen z.B., seine Argumente problemlos mit
Berufung auf die gemeinsame Religion in den Klump hauen. So, wie nicht alles
Kunst und Wissenschaft ist, was das von sich behauptet, um die schier absolute
Freiheit von Kunst und Wissenschaft zu beanspruchen; normal lässt man das im
Zweifelsfalle von Künstlern und Wissenschaftlern entscheiden). Ein kritisches
Bewusstsein dafür entwickelt man mit Sicherheit nicht, wenn man alles, was auch
nur im Entferntesten nach Religion riecht, in Bausch und Bogen ablehnt.
Ceterum censo: ich plädiere für Unterricht in Recht und Staatsbürgerkunde.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von
Eberhard am Gestern, 16:50 Uhr
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Hallo allerseits,
ich sehe eine gewisse Annäherung der Positionen. Ich
stimme Abrazo zu, dass es nicht im Sinne des Grundgesetzes wäre, wenn die
staatlichen Schulen eine bestimmte Moral als die allein richtige lehren und
vermitteln würden.
Andererseits würde Abrazo offenbar ein Fach Ethik für
verfassungskonform halten, wenn dort die Kenntnis und das Verständnis
verschiedener ethischer Positionen – seien sie nun religiös oder anderweitig
begründet – im Mittelpunkt steht.
Ich bin ebenfalls der Meinung, dass
die Information über die Inhalte und Institutionen unserer Rechtsordnung sowie
die Kenntnis und Begründung rechtsstaatlicher Prinzipien im Rahmen des
Schulunterrichts zu kurz kommen.
Ein solcher Unterricht könnte die
Anfälligkeit für den Fundamentalismus jeglicher Richtung verringern. Die
Grundstruktur des fundamentalistischen Überzeugungstäters drückt sich in dem
Satz aus „Wir dürfen das, weil wir Recht haben“, während der Kern
rechtsstaatlichen Denkens in der Erkenntnis besteht, dass die Überzeugungen
unterschiedlich sein können und dass deshalb nicht die Überzeugungen das letzte
Wort haben dürfen, sondern die verfassungsmäßigen Verfahren der Normsetzung -
sofern man den sozialen Frieden will und nicht den Konfessionskrieg,
meint Eberhard.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von Abrazo
am Gestern, 17:52 Uhr
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Hi,
d'accord, bis auf das:
Die Grundstruktur des
fundamentalistischen Überzeugungstäters drückt sich in dem Satz aus „Wir dürfen
das, weil wir Recht haben“, während der Kern rechtsstaatlichen Denkens in der
Erkenntnis besteht, dass die Überzeugungen unterschiedlich sein können und dass
deshalb nicht die Überzeugungen das letzte Wort haben dürfen, sondern die
verfassungsmäßigen Verfahren der Normsetzung - sofern man den sozialen Frieden
will und nicht den Konfessionskrieg,
Die Grundstruktur des
fundamentalistischen Überzeugungstäters drückt sich nicht in dem Satz aus "wir
dürfen das, weil wir Recht haben." Diesen Satz kann ich auch problemlos jemandem
entgegenhalten, der mich im Hundefreilauf auffordert, meinen Hund an die Leine
zu nehmen: ich darf das, weil ich Recht habe.
Die Frage ist, wovon dieses
Recht abgeleitet wird.
Ich leite mein Recht davon ab, dass diese Fläche als
Hundefreilauf ausgewiesen ist.
Der Fundamentalist leitet sein Recht davon
ab, dass er für das Gute kämpft.
Welchen Weg schlägt nun der ein, der
eine staatliche werteorientierte Erziehung verlangt? Ist ein Wert nicht immer
das, was man als das Gute ansieht? Wird nicht das, was diesem Wert widerspricht,
als das Böse angesehen, das eben kein Recht mehr hat?
Ist nicht eine
staatliche werteorientierte Erziehung der erste Schritt zum Krieg? Nicht geplant
und wohl noch nicht einmal bewusst, führt auch keineswegs notwendigerweise zu
diesem Ergebnis - und dennoch eine Gefahr?
Tatsachenwissen, Akzeptanz der
Pluralität und Freiheit des Diskurses, wer den inneren und äußeren Frieden will,
muss diese verteidigen.
Und, nicht zuletzt mit dem Argument, dass wir uns
alle irren können, die Spielregeln. Vorläufig. Solange wir nämlich nicht mehr
Sätze gefunden haben, über die wir uns einigermaßen einig sind, wie den von der
Unantastbarkeit der Menschenwürde (wobei manch Tierschützer selbst den zur
Disposition stellt [hairstand])
(Wobei das Tatsachenwissen in seinem Wert
nicht unterschätzt werden darf: das fehlt Fundamentalisten erfahrungsgemäß.)
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von
Hanspeter am Gestern, 22:27 Uhr
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Eberhard schreibt: "Ich stimme Abrazo zu, dass es nicht im Sinne des
Grundgesetzes wäre, wenn die staatlichen Schulen eine bestimmte Moral als die
allein richtige lehren und vermitteln würden."
Das halte ich für falsch.
Moral ist die Bewertung einer menschlichen Handlung. Sie fragt, was ist "gut",
was ist "böse". Und diese Bewertung manifestiert sich in den Gesetzen. Auch wenn
es keinen Zweifel über die Relativität von Moralen gibt, muss eine gegebene
Gesellschaft sich für eine bestimmte Moral entscheiden und diese per
Staatsgewalt durchsetzen.
Sie kann nicht sagen, wir halten uns an die
Menschenrechte, aber wenn jemand der Meinung ist, die Scharja ist gottgegeben
und daher alleingültig, dann mag er das so sehen. Eine Gesellschaft, die ihre
eigenen Gesetze (und damit die dahinterstehende Moral) relativiert, ist dem
Untergang geweiht.
Das schließt natürlich nicht eine Diskussion auch über
geltende Gesetze aus. Aber solange die Diskussion nicht zu einer
Gesetzesänderung geführt hat, sind die geltenden Gesetze verbindlich.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von
Eberhard am Heute, 10:37 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo Abrazo,
mit dem fundamentalistischen
Überzeugungstäter, der nach dem Motto handelt, „Ich darf das, weil ich recht
habe“, ist nicht der Hundehalter gemeint, der auf geltendes Recht („Dies ist ein
Hundeauslaufgebiet“) verweist, sondern der Überzeugungstäter, der davon
überzeugt ist, dass das, was er tut, inhaltlich richtig ist, gleichgültig was
die Rechtsordnung bestimmt.
Du ziehst dann eine Parallele zwischen dem
Überzeugungstäter und demjenigen, der eine werteorientierte staatliche Erziehung
verlangt, insofern als beide das Gute verwirklichen wollen. Du fragst: „Ist
nicht eine staatliche werteorientierte Erziehung der erste Schritt zum Krieg?“
Hier kann ich Dir nicht folgen. Ich kann mir eine Politik oder Erziehung,
die nicht an Werten orientiert ist, nicht vorstellen. Dass ich bestimmte Werte
verfolge, impliziert nicht die Ansicht, dass diejenigen, die andere Werte
verfolgen, dazu kein Recht hätten.
Es grüßt Dich Eberhard.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von Abrazo
am Heute, 10:43 Uhr
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Moral ist die Bewertung einer menschlichen Handlung. Sie fragt, was ist "gut",
was ist "böse". Und diese Bewertung manifestiert sich in den Gesetzen.
Ist es moralisch, seine Schulden nicht bezahlen zu müssen? Die meisten werden
sagen: nein. Interessiert aber nicht, wenn es um die Verjährung geht. Wenn einer
aus 2002 50.000 ? Mietschulden hat und die Klage geht am 2. Januar 2006 ein,
dann kann der Schuldner die Einrede der Verjährung machen mit dem Ergebnis, dass
niemand ihn rechtmäßig dazu zwingen kann, seine Schulden zu bezahlen. Recht hat
nichts zu tun mit Moral. Da geht es um die gesellschaftlichen Spielregeln, sonst
nichts.
muss eine gegebene Gesellschaft sich für eine bestimmte Moral
entscheiden und diese per Staatsgewalt durchsetzen.
Ein nicht
geringer Teil unserer Gesetze stammt aus dem 19. Jahrhundert und leiten sich aus
Römerzeiten ab. Seither sind Preussentum, Wilhelminische Zeit, Revolution und
Weimarer Republik, Nazizeit, Nachkriegsrestauration und 1968 vorbei gegangen.
Paragrafen wurden gestrichen (z.B. Zechbetrug), andere eingefügt, paar wurden
geändert, doch im Wesentlichen sind sie gleich geblieben. Wo verkörpern unsere
Gesetze die Moral?
(Wenn von Scharia die Rede ist, sollte man übrigens
auch nicht übersehen, dass es allein in der Sunna 4 verschiedene Rechtsschulen
gibt mit unterschiedlichen Gesetzen, dazu noch die Schia. Und dass das
Hauptproblem gerade in der Liberalität besteht, die zur Folge hat, dass
regionaler Brauch und Sitte in den jeweils gültigen Rechtskanon aufgenommen
wurden. Und darin, dass jeder dahergelaufene Möchtegern-Heiliger ein
Rechtsgutachten erstellen und dafür werben kann, weil er meint das entspräche
der - ja wem denn wohl? Natürlich, der islamischen Moral! Was meinst Du denn,
warum anerkannte islamische Theologen zur Zeit an einer Fatwa arbeiten, nach der
nur anerkannte, akademisch ausgebildete Theologen Rechtsgutachten erstellen
dürfen?)
Sie kann nicht sagen, wir halten uns an die Menschenrechte, aber
wenn jemand der Meinung ist, die Scharja ist gottgegeben und daher alleingültig,
dann mag er das so sehen.
Doch, genau das sagt unsere Gesellschaft.
Und sie verbietet auch niemandem, nach der Scharia (bzw. dem, was er dafür
hält) zu leben.
Solange er in seinem Tun (!) nicht die Spielregeln
unserer Gesellschaft verletzt. Wenn er das tut, kann er sich nicht auf seinen
Glauben berufen, dann gibt's einen übergebraten.
Ein Brite kann
problemlos glauben, die einzig gute, richtige und anständige Weise, Auto zu
fahren, sei der Linksverkehr. Sobald er diesen Glauben aber in Deutschland auf
der Straße umsetzen will, wird er aus dem Verkehr gezogen und kriegt Fahrverbot
- denn bei uns gilt nun mal der Rechtsverkehr.
Was die Gültigkeit unserer
Gesetze betrifft, da haben wir also überhaupt kein Problem miteinander.
Problem ist, dass leider etliche aus Unkenntnis Gesetze immer mit Moral in einen
Topf rühren und dann natürlich meinen, ihre persönliche, subjektive Moral sei
der Maßstab dafür, wie ein Gesetz ausgelegt werden muss, und das ist schlicht
und einfach falsch. Die Rechtswissenschaft - jede, auch die islamische -
trachtet vielmehr danach, genau diese Subjektivität wenn irgend möglich zu
vermeiden und statt dessen objektive Kriterien in der Rechtssprechung
anzuwenden.
Und weil dies im Grundgesetz so für Recht erklärt ist und es
den Staat verpflichtet, dieses Recht auch einzuhalten, haben sich auch die
staatlichen Schulen danach zu richten.
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Titel: Re: Fach Ethik: Eingriff in die Religionsfreiheit?
Beitrag von
Eberhard am Heute, 11:25 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Hanspeter,
Du schreibst: < Moral ist die
Bewertung einer menschlichen Handlung. Sie fragt, was ist "gut", was ist "böse".
Und diese Bewertung manifestiert sich in den Gesetzen. Auch wenn es keinen
Zweifel über die Relativität von Moralen gibt, muss eine gegebene Gesellschaft
sich für eine bestimmte Moral entscheiden und diese per Staatsgewalt
durchsetzen. >
Hier geht es um die wichtige aber nicht gerade einfache
Frage des Verhältnisses zwischen Recht und Moral.
Ich stimme dir darin
zu, dass Recht etwas mit Moral zu tun hat und dass keine Rechtsordnung ohne
Moral auskommt.
Was wäre eine Rechtsordnung ohne die moralische
Überzeugung der Bürger, dass die Gesetze zu befolgen sind? Die Furcht vor der
Strafverfolgung durch Polizei und Gerichte als ausreichendes Motiv der
Gesetzestreue ist darauf keine Antwort, denn wenn die Polizisten und die Richter
keine Amtsmoral haben und sich nicht an ihre Amtspflichten halten, wer soll dann
diese sanktionieren?
Es ist zwar richtig, dass die Verbindlichkeit einer
Rechtsnorm nicht direkt von ihrer inhaltlichen Richtigkeit abhängt sondern von
ihrem verfassungsmäßigen Zustandekommen, aber das Recht ist von der
„Gerechtigkeit“ nicht völlig abgekoppelt.
Dies wird schon daran
deutlich, dass Gesetze im demokratischen Rechtsstaat ja nicht nur erlassen
werden, sondern dass sie vor der Beschlussfassung ausführlich und öffentlich
beraten werden müssen und damit immer eine Begründung besitzen.
Außerdem
bedürfen auch die Bestimmungen der Verfassung selber der inhaltlichen
Rechtfertigung. Diese Rechtfertigung kann nur darin liegen, dass die
betreffenden Verfahren der Normsetzung diejenigen sind, die am ehesten
inhaltliche richtige, „gerechte“ Gesetze hervorbringen.
Trotzdem bleibt
ein Spannungsverhältnis zwischen dem Ziel der inhaltlichen Richtigkeit
(„Gerechtigkeit“) der Rechtsnormen und dem Ziel der friedlichen und geordneten
sozialen Kooperation („Rechtssicherheit“) durch verbindliche Verfahren der
Normsetzung.
Als Demokrat beuge ich mich dem Mehrheitswillen, auch wenn
ich der Ansicht bin, dass meine - in der Minderheit gebliebene - Ansicht die
richtige ist.
Die von Dir angenommene Deckungsgleichheit zwischen Moral
und Recht lässt sich meines Erachtens nicht durchhalten. Aus der Tatsache, dass
in einer Gesellschaft ein bestimmtes Handeln unter Strafe gestellt ist, folgerst
Du, dass damit dies Handeln auch moralisch negativ bewertet werden muss.
Dies ist nicht unbedingt der Fall. Einer der Gründe hierfür liegt darin,
dass das Recht aufgrund seiner Bindung an verkündete Gesetze eine
verfahrensmäßige Schwerfälligkeit besitzt, die sich nicht für alle Bereiche der
Normgebung eignet. Vieles ist aus diesem und aus anderen Gründen nicht
„justiziabel“, obwohl es ohne weiteres moralisch bewertet werden kann.
So
muss das Recht mit relativ allgemeinen Beschreibungen von Tat, Täter, Situation
etc. arbeiten und kann dadurch nicht jedem Einzelfall gerecht werden.
Andernfalls wären die Gesetzestexte viel zu umfangreich und unübersichtlich.
In der Straßenverkehrsordnung steht z.B., dass ein Autofahrer bei rotem
Ampellicht halten muss. Es steht jedoch nicht darin, dass man das Ampellicht
nicht beachten muss, wenn man nachts um halb vier vor einer Ampel steht, die
durch einen technischen Defekt nicht mehr auf „Grün“ schaltet, und wenn weit und
breit kein anderer Verkehrsteilnehmer zu erblicken ist.
Aus dem Umstand,
dass ein bestimmtes Handeln - z.B. außerehelicher Sex - rechtlich nicht verboten
ist, kann man ebenfalls nicht folgern, dass dies Handeln auch moralisch nicht
verboten sondern erlaubt ist.
Ich habe aus diesem Grund Probleme mit der
von Dir vorgeschlagenen Ableitung einer staatlichen Wertordnung und Moral aus
den geltenden Rechtsnormen.
Es grüßt Dich und alle Interessierte
Eberhard.
p.s.: Ich möchte an dieser Stelle einmal meine Freude darüber
zum Ausdruck bringen, dass sich die Umgangsformen und der Diskussionsstil in den
Philtalk-Diskussionen gegenüber früher erheblich verbessert haben – was auch der
inhaltlichen Qualität zugute kommt. Achten wir darauf, dass es so bleibt!
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u. a.