Ethik-Werkstatt
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Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
PhilTalk Philosophieforen
Praktische Philosophie >> Ethik >> Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
(Thema begonnen von: Leviathan am 17. März 2003, 19:59 Uhr)
Titel: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Leviathan am 17. März
2003, 19:59 Uhr
[applause]Ethik ist erst im Zusammenleben der Menschen
möglich; der Mensch als Ur- Mensch, als Einzelgänger hat und braucht natürlich
keine Ethik. Aber wenn man sich heutzage das Leid in der Welt vor Augen führt
(dazu muss man lediglich den Fernseher anschalten oder die Tageszeitung
aufschlagen), stellt man sich immer wieder die Frage: Wie soll sich der Mensch
anderen gegenüber verhalten? Und vor allem: Gibt es ein universales Grungprinzip
des moralisch Guten, an das sich auch jeder Mensch zu halten bereit ist?
Seit
den Anfängen der Philosophie beschäftigen sich Denker mit dieser elementaren
Frage. Die Diskrepanz der ihnen als richtig erscheinenden Antwoeten lässt wenig
Hoffnung auf eine allgemeingültige Lösung. Jeder glaubt von sich, im Besitz der
Wahrheit zu sein, doch welche dieser Wahrheiten ist die tatsächliche Wahrheit?
Oder gibt es vielleicht gar keine Wahrheit? Damit wäre das moralisch Gute rein
subjektiv und die Ethik hätte ihren Sinn verloren: macht es denn Sinn, über eine
Frage zu diskutieren, auf die es keine Antwort gibt?
Oder gibt es doch eine
für alle Menschen verbindliche Moral? Wenn ja, wie ist diese zu erkennen bzw.
wer kann den Anspruch erheben , seine persönliche Meinung als solche
darzustellen? [applause]
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Asimov am 17. März 2003, 21:57 Uhr
hoi lev
das der Ur
-mensch ein Einzelgänger gewesen ist, damit magst du ja recht haben. Aber heut
zutage ist man auf die menschen um sich herum angewiesen nicht nur um In
materieler hinsicht zu überleben sondern auch um geistig leben zu Können, das
ist schon seid über zweihundert Jahren bekannnnnt.
Ein allgemein gültiges
Moralisches gut gibt es auch nicht.
Auch wenn es viele philosophen behauptet
haben, siehe Kant,
so versucht die modern Ethik auch nicht mehr so etwas
anzustreben.
Ethik in unsere Zeit versucht nach wissenschaftlichen Prinzipien
Moral zu analysieren, zu interpretierenund für bestimmte "teile" der
Gesellschaft regeln zu entwerfen, die in diesem Teil ein gültigkeit besitzen.
Ob du es glauben kannst oder nicht, die heutigen Probleme dieser Welt sind auch
auf [b][/b]ethische Wertevorstellungen zurückzuführe, Sprich die Ethik selbst
ist teil des Problems.
Diskusionen formen dich in deinen Ideen und
weltanschauunge und deinen Meinungen wenn du Tolerant genug bist und Los lassen
kannst.
Nicht die Ethik oder die Ideen sind das Problem sondern Dei
einstellungen mit denen die leut ansolche Probleme herangehen.
Mfg asimov
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von
Eberhard am
18. März 2003, 07:00 Uhr
Hallo Leviathan,
ich finde Asimovs Antwort
dikussionswürdig, würde Dir aber eine etwas andere Antwort geben. Deine Frage
„Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?“ halte ich für eine der wichtigsten
Fragen, mit deren Beantwortung sich Philosophen heute beschäftigen können. Und
Du stellst die Frage meiner Meinung nach auch in den richtigen Zusammenhang,
nämlich dem Leid, das sich die Menschen in ihren individuellen und kollektiven
Konflikten zufügen, von der kleinen verbalen Beleidigung über den tödlichen
Messerstich bis hin zum Abwurf einer Atombombe und dem Gasofen im KZ.
Wer
nicht will, dass Konflikte zwischen Menschen in dieser Weise durch Gewalt gelöst
werden, der muss nach Regeln bzw. Normen suchen, die alle am Konflikt
Beteiligten als gültig anerkennen. Dies muss man sich ganz klar machen. Diese
Alternative ist unausweichlich.
Deshalb stellst Du zu Recht die Frage:
„Gibt es ein universales Grundprinzip des moralisch Guten, an das sich auch
jeder Mensch zu halten bereit ist?“ Und angesichts des schier endlosen Streits
der verschiedenen ethischen Theorien fragst Du – nicht ganz unbegründet : „Oder
gibt es vielleicht gar keine Wahrheit? Damit wäre das moralisch Gute rein
subjektiv und die Ethik hätte ihren Sinn verloren: macht es denn Sinn, über eine
Frage zu diskutieren, auf die es keine Antwort gibt?“
Asimov hat auf
Deine Frage geantwortet: „Ein allgemein gültiges Moralisches gut gibt es auch
nicht.
Auch wenn es viele Philosophen behauptet haben, siehe Kant,
so
versucht die modern Ethik auch nicht mehr so etwas anzustreben."
Seine
Sicht ist angesichts des fehlenden Fortschritts auf dem Gebiet der Ethik und
angesichts des fortdauernden Streits zwischen miteinander unvereinbaren
ethischen Überzeugungen verständlich und weit verbreitet.
Sie beruht
jedoch auf einem grundsätzlich verkehrten Herangehen an das Problem. Das
Verkehrte daran ist, dass die Frage „Gibt es allgemeinverbindliche moralische
Normen?“ so gestellt wird, als gäbe es diese allgemeinverbindlichen Normen
irgendwo – so wie es den Stein der Weisen irgendwo gibt – und als ginge es nur
darum, diese Normen zu finden.
Meiner Meinung nach müssen wir anders an
das Problem herangehen, wir müssen diese allgemein anerkennbaren Normen nicht
FINDEN sondern WIR MÜSSEN SIE SELBER ERFINDEN!
Das heißt: wir müssen uns
auf die Frage konzentrieren: Was sind die Kriterien dafür, dass normative
Regelungen moralischer oder auch rechtlicher Art allgemeine Anerkennung finden
können? Welche ethischen Prinzipien sind eher konsensfähig als andere und warum?
Welche Begründungen für moralischen Normen sind nachvollziehbar und akzeptabel
und welche Art von Begründungen scheiden da von vornherein als ungeeignet aus?
Wenn wir in dieser Weise mit einem klaren Ziel vor Augen – der Formulierung
von allgemein anerkennbaren Normen - in die Diskussion gehen, werden sich sehr
rasch brauchbare Resultate einstellen.
Wenn wir aber weiterhin fragen:
„Hat Kant recht oder Bentham? Ist die Lehre des Moses wahr oder die Bergpredigt
des Jesus? Hat Mohammed recht oder Buddha oder Konfuzius?“ ohne zu wissen, was
„rechthaben“ und „Wahrheit“ in Bezug auf ethische Fragen überhaupt bedeuten
soll, so wird sich die philosophische Diskussion weiterhin im Kreise drehen –
und wir beschränken uns auf das Programm, das Asmov angibt: „Ethik in unsere
Zeit versucht nach wissenschaftlichen Prinzipien Moral zu analysieren, zu
interpretieren und für bestimmte ‚Teile’ der Gesellschaft Regeln zu entwerfen,
die in diesem Teil eine Gültigkeit besitzen.“
So viel für’s Erste Gruß
Eberhard.
(p.s. Bin auf Eure Reaktion gespannt.)
Titel:
Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 18. März
2003, 13:11 Uhr
Das Phillex definiert: "Ethik oder Moralphilosophie
befasst sich mit Aussagen über moralische Werte und moralische Handlungsnormen."
Ich persönlich würde Moral und Ethik unterscheiden. Als Moral definiere ich die
Bewertung der Handlung eines Individuums. Die Moral beantwortet die Frage: "Was
ist gut, was ist böse?" Da die Moral abhängig von der jeweiligen
Gesellschaftsordnung ist, gibt es viele Moralen (christliche, islamische,
buddhistische Moral usw.) Die Ethik ist der Oberbegriff, sie ist sozusagen die
Theorie zu den einzelnen Moralen. Es gibt also viele Moralen, aber nur eine
Ethik. (Die Unterscheidung ist aber nicht so wichtig, man könnte sie vergleichen
mit dem Unterschied zwischen Technik und Technologie.)
Daraus folgt: Moral
gab es nicht nur beim Urmenschen, sondern gibt es auch bei Tiersozietäten. Man
kann sich also immer fragen, ob die Handlung eines Lebewesens gut oder böse war.
Bliebe also noch die Frage, ob es Sinn macht, sich über die Moralen (bzw. das
ethische Verhalten, je nach Definition) Gedanken zu machen. Ich denke ja, und
ich denke, solange es denkende Menschen gibt, werden sie sich auch Gedanken über
die Moral machen. Die Frage bewerte ich etwa so, wie die Frage: Ist Physik ein
sinnloses Unterfangen?
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Asimov am 19. März 2003, 20:53 Uhr
Hoi,Hans
Wenn du schon Zitierst, dan solltest du die dinge nicht aus dem zusammmenhang
reißen. [unhappy]Ich habe nur den momentaqnen stand der Ethik erläutert und du
magst recht haben, das eine diskusion darüber welcher Philosoph recht hatte sehr
fragwürdig ist.
Aber du sagat trotzdem nicht genau wie der erfindungs prozes
von staten gehen soll.
Den wer "berechtigt" dich die absolute un
unverbindliche Ethik auf zustelllen Oder träumst du davon das es alle Menschen
zusammen erfinden ?????
Dei fragen nacheiner Universellen Ethischen Formell
ist nicht beantwortbar!!
Den bei der eigenen Morall findung fängt es schon
an.
Mfg Asimov
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 20. März 2003, 05:45 Uhr
Hallo Asimov,
zu
deiner Antwort
1. Ich diskutiere nicht darüber, welcher Philosoph Recht hat.
Diese Diskussion ist müßig. Je älter ein Philosoph ist, desto wahrscheinlicher
hat er uns nichts zu sagen, einfach weil ihm das heutige Wissen fehlt. Mit
Sicherheit hätte Kant, würde er heute leben, auch eine andere Philosophie
entwickelt.
2. Ich habe in meinem Beitrag keine neue Ethik, genauer gesagt
keine neue Moral, aufgestellt. Das zu tun ist nicht leicht und kann nicht in
einem Kurzbeitrag gelingen. Ich habe vielmehr festgestellt, dass es viele
verschiedene Moralen (von mir aus auch Ethiken) gibt. Das wirst da ja wohl nicht
leugnen.
3. Eine universelle Moral gibt es natürlich nicht, im Gegenteil,
man kann davon ausgehen, dass, genau betrachtet, jeder Mensch seine eigene Moral
hat. Damit gibt es derzeit 6 Milliarden + X Moralen.
Man kann sich allerdings
überlegen, wie eine universelle Moral in ihren Grundzügen aussehen sollte. Das
wäre ein interessantes Thema. Aber ich bin nicht so blauäugig zu glauben, dass,
selbst wenn wir hier in diesem Forum eine gefunden hätten, sie auch schon
allgemein gültig wäre.
Gruß Hanspeter.
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von doc_rudi am 20. März 2003, 15:37 Uhr
Hallo Moraltheoretiker,
die allgemeine Moral gibt`s bereits, sie lautet:
meine Moral ist die richtige und das berechtigt mich zur Eliminierung
derjenigen, die eine andere Moral haben.
Was der Einzelne in diesen
Moral-Eimer hineinschüttet, nämlich Christentum, Islam oder XYXY, ist völlig
nebensächlich, jeder kann da seine Exkremente hinein entleeren. Hauptsache,
diese Moral entlastet sein Gewissen bei der Befriedigung seiner Mordlust. Dann
hat sie ihre Aufgabe erfüllt und war nicht sinnlos.
Euer Philosoph lebender
Systeme
doc rudi
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 21. März 2003, 00:04 Uhr
Hallo
Rudi,
Sie haben leider vollkommen Recht. Aber man könnte ja so tun, als ob
einem etwas besseres einfiele.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von delfinium am 21. März 2003, 11:25 Uhr
@ HP,
du hast recht.
Und wir sollten nicht nur so tun, sondern damit
anfangen.
Die Tatsache, dass wir hier keine neue allgemeingültige
moralische Grundlage des Zusammenlebens entwerfen können,
entmutigt sie
euch?
Ich ziehe mal die 10 Gebote aus docs Plumpsklo. *g
Wären die ein
Ansatz?
grüße,
delfi
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 21. März 2003, 12:04 Uhr
Hallo
delfinium (= Rittersporn?),
danke für die Ermunterung. Mitmachen!
Die
Idee mit den 10 Geboten finde ich allerdings nicht so gut, sofern es sich um die
biblischen 10 Gebote handelt, die du da hervorkramen willst. Nehmen wir nur
einmal das 5. nach der biblischen Zählung (das 4. nach der katholischen =
lutherischen Zählung) "Du sollst Vater und Mutter ehren." Warum nicht auch die
Kinder? Oder Bruder und Schwester? Warum heißt es nicht: "Du sollst die
Mitglieder deiner Familie ehren." Natürlich kann ich mir denken, warum das so
steht. Weil die 10 Gebote nicht von Gott, sondern von Mose stammen. Und der
hatte keine Eltern mehr bei sich, aber aufsässige Kinder.
Nein, ich denke, da
muss man anders vorgehen. Sich nämlich fragen, was das Ziel einer Moral sein
soll und dann von der heutigen Situation ausgehen, nicht von der Situation eines
Hirtenvolks vor dreieinhalbtausend Jahren.
Gruß HP
Titel: Re: Ist
Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von doc_rudi am 21. März 2003, 15:35
Uhr
Gratulation,
entwerft mal eine neue allgemeine Moral, dann gibt
es noch eine mehr.
Allgemein kann doch nur eine Moral sein, an die sich alle
halten, oder eben jeder. Die Vorschlagsliste für eine allgemeine Moral zu
verlängern, ist verschwendete Zeit.
Wie wollt ihr den Rest der Menschen dazu
bringen, sich Eurer Moral anzuschließen?
doc rudi
Titel: Re: Ist Ethik
ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 21. März 2003, 16:17 Uhr
Hallo Dr. rudi
der Sinn, eine neue Moral zu entwerfen, ist nicht
der, die gesamte Menschheit auf die neue Wahrheit einzustimmen. Dass das nicht
geht, weiß ich. Der Sinn ist, durch einen solchen Entwurf und den daraus
resultierenden Diskussionen meine eigene Moral zu entwickeln, zu festigen und zu
überprüfen. Denn wenn ich in Sachen Moral keine Fragen mehr hätte, wäre ich
nicht in diesem Forum.
Ich hätte übrigens nichts dagegen, wenn Sie Ihre
Moral hier entwerfen und zur Diskussion stellen würden.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von delfinium am 22.
März 2003, 01:04 Uhr
Delfinium an den Filosofen lebender Systeme:
Na
klasse,
mit dieser Einstellung hab ich jedesmal kämpfen müssen, wenn es
darum ging,
sich für etwas einzusetzen oder Neues zu etablieren. [ohwe]
Nur weil ich nicht ALLES erreichen kann,
schlage ich nicht mal eine Richtung
ein?!
Nö, ich muß nichts erwarten, um einfach nachzudenken
und mir
gefällt, dass hier jemand mein Suchen/Unbehagen teilt.
Aber gut:
Dann
also hätte Ethik, hätte moralisches Handeln seinen Sinn verloren, die
Ausgangsfrage wäre beantwortet, richtig?
Und nun?
( Ich baue auf das
Vor-Leben, das Nicht-Resignieren,
das kann ich und jeder leisten.
Ich muß
nicht wissen, ob und wieviele sich mir anschließen und wie schnell sich die Welt
ändert.)
Zum Handeln wird man vom Leidensdruck gedrängt.
Ich würde
zuerst fragen,
worunter ich in dieser Gesellschaft leide,
ist das ein
besserer Ansatz?
Obwohl ich die Altvorderen nicht ausschließen würde-
unterm Strich waren das auch Menschen,
die menschliche Probleme in den Griff
zu bekommen suchten.
Schließe mich ansonsten HP an,
machma...*g
gruß
delfinium (Rittersporn, jep)
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am
22. März 2003, 06:01 Uhr
Hallo Delfinium,
also packen wir's an,
es gibt viel zu tun. Und je mehr mitmachen, desto besser.
Die erste
wichtige Frage, nämlich die, ob es einen Christen- (Juden-, Mohammedaner-) Gott
gibt, haben wir schon mit nein beantwortet, denn sonst wären wir ja nicht im
Forum Ethik. Ein Christ braucht sich schließlich nicht mit Ethik zu
beschäftigen, denn die entsprechenden Moralvorschriften sind bereits in der
Bibel, bzw., je nach Sichtweise in der Tradition, in den Katechismen usw.,
bereits festgelegt. Aktuelle Probleme sind dann nur noch eine Frage der
Schriftauslegung (Hermeneutik).
Da es also keinen Gott gibt, der uns
bereits ein moralisches System verabreicht hat, müssen wir uns selbst eines
zimmern. Wie macht man das? Ich denke, als erstes muss man ein Ziel vorgeben.
Die Beurteilung, ob eine Handlung gut oder böse ist, kann man nur treffen, wenn
man das Ziel der Handlung kennt. Folglich müssen wir zuerst klären, was der Sinn
unseres (des) menschlichen Lebens ist. Ich weiß nicht, ob das in diesem Forum
schon geklärt wurde, oder ob irgendwo eine von mir noch nicht entdeckte
Themenreihe läuft - egal, dann formulieren wir noch einmal das Ergebnis. Also,
was ist der Sinn des Lebens? Allgemein oder individuell.
Bitte um
Vorschläge.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 22. März 2003, 08:36 Uhr
Ach
herrje, ich muss mir selbst antworten! Dass das Thema "Sinn des Lebens" unter
der Rubrik "Alles, was nirgends hineinpasst" läuft, darauf bin ich vorher nicht
gekommen. 6 Seiten geballter philosophischer Erkenntnis! Ich habe sie aber nur
überflogen, nachdem ein 5-Sterne-Philosoph feststellte, dass der Begriff
"Sinn des Lebens" ein Semantikfehler ist. Da bin ich vermutlich auch
ein Semantikfehler.
Also versuche ich es selbst.
Mir ist
natürlich klar, dass jeder Mensch, bewusst oder unbewusst, den Sinn
(gleichbedeutend mit dem Ziel) seines Lebens individuell definiert: Anderen
Menschen zu helfen, seinem persönlichen Glück zu frönen, Menschen zu
missionieren, Geld zu raffen, einem geglaubten Gott zu dienen, Kinder zu
erziehen, wie auch immer die Gene es erlauben. Und er wird sein Lebensziel nicht
selten ändern. Wenn der Mensch seine Sinngebung nicht selbst herausfindet,
könnte man sie am Ende seines Lebens aufgrund seines Verhaltens ermitteln. Denn
es ist ja klar: Das Verhalten wird durch die Moral bestimmt, also kann man
umgekeht aus dem Verhalten die Moral und damit auf die Zielgebung schließen.
Nebenbei, ein Leben nach dem Tod kann ausgeschlossen werden, dafür gibt es weder
einen Beweis, noch einen plausiblen Hinweis.
Nun stellt sich die Frage,
ob es einen allgemein gültigen Sinn des Lebens gibt. Meine Antwort: Im Prinzip
Nein. Die Entstehung des Lebens beruht auf den Eigenschaften der Materie,
komplexe Moleküle zu bilden. Das Ende des Lebens findet spätestens in X
Milliarden Jahren statt, wenn die Sonne ihren Geist aufgibt und die Erde
atomisiert. Eine Verbreitung des Lebens von der Erde aus über unsere Galaxis zu
anderen Galaxien kann ausgeschlossen werden. Das Leben ist ein Spiel der
Materie, ohne erkennbaren Sinn.
Nun wird aber kein Lebewesen, auch nicht
der Mensch, sich in seinem Verhaltenskodex an Vorgängen orientieren, die in X
Milliarden stattfinden. Wie verhalten sich die uns bekannten höheren Lebewesen?
Vieles spricht dafür, dass ein wesentlicher Lebensinhalt die Fortpflanzung ist;
der Erhalt der Art oder der Gene. Art- (oder Gen-) Erhaltung ist zwar kein Sinn
des Lebens a priori. Arten und Gene sind ausgestorben und werden aussterben.
Aber für einen überschaubaren Zeitbereich kann sie als Sinn akzeptiert werden.
Auf die Frage nach dem Primat von Art- oder Generhaltung kann ich als
Nichtbiologe nicht tiefer eingehen; die Wissenschaft ist sich hierin wohl noch
nicht einig. Die Argumente für die Generhaltung sind stark, vermutlich ist sie
die treibende Kraft in der Biosphäre. Ich gebe aber derzeit der Arterhaltung den
Vorzug, weil sie weitergehend ist. Eine Art kann erhalten werden, auch wenn
bestimmte Gene geringfügig geändert sind. Umgekehrt, ist die Art weg, sind es
auch die Gene. Daraus folgt, eine Moral, deren Ziel es ist, eine Art zu
erhalten, impliziert auch den Erhalt des Genoms.
Damit wäre in meinen Augen
der Erhalt der Spezies Mensch die derzeit vernünftigste Sinngebung. Was spricht
dagegen?
Ich bitte um Kritik.
Gruß HP
Titel: Re: Ist
Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Bernd am 22. März 2003, 23:17
Uhr
Hallo Moralisten,
der Mensch erwirbt im Rahmen seiner
Sozialisierung seine Grenzen und die Regeln kennen, die es ihm erlaubt in der
Gemeinschaft zu existieren und zu überleben. Dazu ist die Familie, die
Erziehung, die Kultur und die eigene Erfahrung steuerndes Element des
Lernprozesses. Die zu erlernde Rücksichtnahme auf andere bildet die Moral, dort
wo eine nötig ist um o.g. Exisiteren zu ermöglichen. Das ist alles sehr
individuell und dennoch vergeistigt die Gesellschaft die sog. Grundwerte, die
beispielsweise unsere Gesetze widerspiegeln.
Eine mehr oder weniger
allgemeingültige Moral oder Ethik gibt es schon ein wenig, abhängig von der
Kultur. Was die Gebote angeht sehe ich hier das 11. Gebot im Vordergrund : Du
sollst Dich nicht erwischen lassen !
Gruß
Bernd
Titel: Re:
Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 23. März 2003,
07:14 Uhr
on 03/22/03 um 23:17:09, Bernd wrote:
Was die Gebote
angeht sehe ich hier das 11. Gebot im Vordergrund : Du sollst Dich nicht
erwischen lassen !
Gruß
Bernd
Hallo Bernd,
"Du
sollst Dich nicht erwischen lassen" kommt wohl immer dann zum Tragen, wenn
Konflikte nicht bewältigt werden können. Das Einverständnis von der einen Seite
nicht erwartet werden kann und von der anderen Seite die Einsicht in den
moralischen Hintergrund nicht vorhanden ist. Ein Ausweg wäre aber z.B. einfach
das "Fragen" nachdem was man möchte. Ist aber nicht immer möglich, vor allen
Dingen dann nicht, wenn ein Verbot nicht auf moralischen Grundsätzen beruht,
kommt man gar nicht auf die Idee sein Handeln zu hinterfragen. Ich sehe Moral
nicht unbedingt als bewußt-anerzogen an. Die Fähigkeit zur Hemmnis ist wohl doch
eher angeboren, später in die eine oder andere Richtung gelenkt.
Grüsse,
Lina
.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Solipsist am 23. März 2003, 23:07 Uhr
Ethik ist wohl dann
sinnvoll, wenn es gelingt, in die Irre geleitete Individuen auf ihre das
Gemeinwohl ihrer Gruppe hindernden Aktivitäten aufmerksam zu machen. Dies ist
nicht Aufgabe der Politiker, der Philosophen oder Kirchenväter, sondern jedes
einzelnen im direkten Umgang mit seinen Mitmenschen.
Leiten lassen soll man
sich bei dieser aufklärerischen Tätigkeit vom eigenen sittlichen Gewissen.
[i][Solche Handlungen sollten sein, welche auf Maximen gegründet sind, die
als allgemeine Gesetzgebung von ihrem Subjekte gewünscht werden, bzw. auf einen
gebilligten künftigen Geamtzustand der Menschen hinzielen./i]
Zitat
aus: Hans Driesch, Die Sittliche Tat, 1927
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 24. März 2003, 03:05 Uhr
Hallo solipsist,
eine Aussage wird nicht dadurch richtig, dass sie
ein anderer bereits getan hat.
Die Bedeutung der privaten Moral für die
Menschheit ist 1 : 6 Milliarden. Die Bedeutung der Staatsmoral der BRD (über die
von der Regierung veranlassten Gesetze) für die Menschheit ist 1 : 75.
Entscheidend ist, was Gesetz ist, nicht so sehr was der Einzelne für richtig
hält. Ein Politiker oder ein Kirchenmann ist sozusagen ein Moral-Multiplikator.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag
von delfinium am 24. März 2003, 10:19 Uhr
hi sheelina,
>Ich sehe
Moral nicht unbedingt als bewußt-anerzogen an. Die Fähigkeit zur Hemmnis ist
wohl doch eher angeboren, später in die eine oder andere Richtung gelenkt. <
ich bin nicht unbedingt deiner Ansicht.
Wenn du dir die Ergebnisse des
Experiments Neills (antiautoritäre Erziehung, hier mißverstanden als "laisser
faire") ansiehst, da mangelte es ziemlich an angeborenen Hemmnissen. Jedenfalls
im Bereich 'Rücksichtnahme' auf die Mitmenschen.
@ HP , du wolltest eine
zeitgemäße Moral entwerfen. Die Erhaltung der Art hast du als Triebfeder
ausgemacht.
Nun bist du schon bei Gesetzen. Da fehlt was im Mittelteil;-)
Bin gespannt.
Die Erhaltung der Art sollte aber im genetischen Programm
verankert sein; siehe das Darbieten der Kehle bei Hunden und die damit
verbundene beisshemmung beim Sieger des Kampfes.
gruß delfi
Titel:
Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Solipsist am 24. März
2003, 11:21 Uhr
Hallo HP
Ja das Verhältnis von meiner eigenen
ethischen Grundhaltung zu der aller anderen Menschen ist in der Tat
verschwindend klein. Dennoch ist sie das einzige, was mir in diesem Bereich zur
Verfügung steht.
Durch Gesetze indoktrinierte Ethik, oder Instinktethik sind
beides Undinger.
Das eine gehört zum Berich der Iurisprudenz, das andere zur
Ethologie.
Wahre Ethik setzt aber immer das eigene sittliche Gewissen als
handlungsbestimmenden Faktok voraus
Gruss
Solipsist
Titel:
Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 25. März
2003, 02:09 Uhr
Hallo delfi,
ich fange mit dem Schluss deines
Beitrags an. Die Arterhaltung ist nur bedingt im genetischen Programm enthalten,
schließlich sind ja schon viele Tierarten ausgestorben. Nebenbei, es gibt
genügend Tierarten mit nicht selten tödlichen Rivalenkämpfen (Löwen, Robben,
Gemsen usw.). Und Kannibalismus kommt im Tierreich auch gelegentlich vor. Aber
das ist nicht entscheidend.
Nicht ganz verstanden habe ich deinen Satz
"Nun bist du schon bei Gesetzen. Da fehlt was im Mittelteil". Vielleicht
erklärst du mir ihn. Natürlich fehlt noch viel, ich denke, ich bin da erst am
Anfang. Und wenn du mir gut Kontra gibst, komme ich möglicherweise auch weiter.
Also die Fortsetzung:
Wenn ich die Arterhaltung als moralisches Credo
definiere, so deshalb, weil sich der Mensch aus den biologischen Gleichgewichten
der Natur mit List und Tücke vielfach ausgehebelt hat. Das Problem: Der Mensch
hat sich in den letzten hundert Jahren so intensiv fortgepflanzt, dass er dabei
ist, seine Lebensgrundlagen weltweit zu vernichten. Anders formuliert, er frisst
die Erde kahl und für künftige Generationen ist bald "nichts mehr da".
Für
die übrige Tierwelt ist die Fortpflanzung und deren Grenzen kein Problem. Die
Maus vermehrt sich, ohne etwas gegen die Überbevölkerung zu tun. Das besorgen
Füchse, Eulen usw. Der Mensch aber hat seine Feinde weitgehend ausgeschaltet,
also müsste er dieses Problem selbst regulieren. Doch das tut er nicht.
Deshalb wage ich die Prophezeiung: Wenn der Mensch keine Moral entwickelt, die
dieses Problem löst, ist anzunehmen, dass es nicht mehr allzuviele Generationen
Mensch geben wird.
Wie siehst du das?
Gruß HP
Titel: Re:
Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 25. März 2003,
02:12 Uhr
Hallo Solipsist,
was hast du gegen Gesetze? Warum stört
dich der Instinkt?
Gesetze sind nun einmal eine normierte Moral und in einem
vernünftigen Staat sollten die meisten Gesetze in etwa der Moral seiner Bürger
entsprechen. Du legst doch sicher auch Wert darauf, dass dein Mitmensch keine
pseudokommunistischen Moralvorstellungen entwickelt und dir ungeschoren deine
Habseligkeiten wegnimmt.
Und Instinkte? Ja nun, wir sind halt einmal
Säugetiere, zur Ordnung der Primaten gehörend. Da spielen Instinkte eben eine
Rolle. Nebenbei, die Trennung Mensch - Tier ist biologisch genauso sinnvoll wie
die Trennung Elefant - Tier. Und ehrlich, so manche Tiere sind mir sympathischer
als so mancher Mensch, den ich zB. in der Tagesschau zu sehen bekomme.
Deine eigene moralische Grundhaltung ist keineswegs das Einzige, was dir zur
Verfügung steht. Du kannst ja versuchen, sie so überzeugend darzustellen, dass
andere sie auch akzeptieren, vielleicht sogar Gesetzeskraft erhält. Nichts ist
unmöööööglich!
Das mit dem sittlichen Gewissen ist so eine Sache. Woher
kommt es? Aber da rangeln wir uns ja schon beim "Freien Willen".
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard
am 25. März 2003, 11:33 Uhr
Hallo Ihr Moralisten und Immoralisten,
ich habe mit Interesse verfolgt, wie Hanspeter und delfinium erolgreich
gegen die ethischen „Skeptiker“ argumentiert haben. Ich konnte in der Diskussion
kein nachvollziehbares Argument für die mit großer Entschiedenheit vorgetragene
Behauptung finden, dass es keine allgemein anerkennbaren moralischen
Handlungsnormen geben könne.
Ja, aber wie kommen wir denn nun zu diesen
allgemein anerkennbaren Handlungsnormen?
Delfinium hat
vorgeschlagen, zum Ausgangspunkt der ethischen Überlegungen dasjenige zu nehmen,
worunter man leidet. Dies könnte für das angestrebte Ziel brauchbar sein, wenn
es Handlungen gibt, unter denen JEDER leidet (andere töten, verletzen,
beleidigen, belügen, versklaven, in Unwissenheit halten, unterwerfen, ihnen
Schmerzen zufügen usw.). Denn dann könnten sich alle darüber einig werden,
derartige Handlungen zu missbilligen und zu verbieten.
Hanspeter hat den
Vorschlag gemacht, nach einem Ziel zu suchen, das allen Individuen gemeinsam
ist. Von diesem Ziel her lassen sich die Handlungen dann bewerten und es lassen
sich diejenigen moralischen Normen bestimmen, die der Erreichung dieses Ziels
förderlich sind. Hanspeter hat dieses Ziel vom Sinn des menschlichen Lebens her
bestimmt. Er kommt schließlich zu dem Ergebnis, „dass der Erhalt der Spezies
Mensch die derzeit vernünftigste Sinngebung“ sei.
Dies ist insofern
richtig, als der Fortbestand der Menschheit ein Ziel ist, das wahrscheinlich
alle Menschen teilen können. Deshalb könnten Normen, die diesen Fortbestand
sichern, auch allgemein anerkennbar sein. Allerdings wird es schwierig sein, aus
diesem Ziel konkrete moralische Gebote oder Verbote abzuleiten, wenn man einmal
vom Verbot der Anzettelung eines globalen Kriegs mit Kernwaffen oder ähnlichem
absieht.
Probleme habe ich jedoch mit Deiner Herleitung des Ziels,
Hanspeter. Mir scheint, dass Dein Gedankengang einen logisch unzulässiger
Übergang von Feststellungen über das was ist (Evolution des Lebens und der
Menschengattung) auf das, was sein soll (Handle entsprechend dem Sinn des
Lebens!), enthält. Man kann jedoch aus rein faktischen Prämissen keine Normen
logisch ableiten, da diese etwas anderes sind, etwas, was in den rein faktischen
Prämissen nicht enthalten war.
Meines Erachtens erfolgt bei Dir der
heimliche Übergang vom „Sein“ zum „Sollen“ mit dem Begriff „Lebensinhalt“.
Zuerst wird er deskriptiv benutzt – im Sinne der naturwissenschaftlichen
Biologie. („Vieles spricht dafür, dass ein wesentlicher Lebensinhalt die
Fortpflanzung ist; der Erhalt der Art oder der Gene.“) Im Folgenden wird der
Begriff „Inhalt“ des Lebens dann von Dir in seiner präskriptiven Bedeutung als
„Sinn“ und „Ziel“ des Lebens verwendet. Du müsstest diesen Übergang noch einmal
in seiner logischen Schrittfolge ausformulieren.
Mein eigener Vorschlag
zur Konstruktion einer allgemein anerkennbaren Moral ist, dass wir zuerst
fragen, was sich aus dem Ziel selber – nämlich allgemein anerkennbare Normen zu
bestimmen - herleiten lässt, ohne dass noch weitere – ihrerseits wiederum
umstrittene – Zielsetzungen vorgegeben werden. (Dabei erhebe ich nicht den
Anspruch, dass die hier vorgetragenen Argumente nur auf meinem eigenen Mist
gewachsen sind. Aber der Originalitätsanpruch ist ja auch nicht entscheidend.
Entscheidend ist hier allein, ob die vorgetragenen Argumente richtig und
brauchbar sind.)
Als erste Konsequenz aus dieser Zielsetzung ergibt sich
meines Erachtens, dass diejenigen, die dieses Ziel nicht teilen, sich damit
bereits aus der Diskussion ausgeklinkt haben. Sie können vielleicht noch
Ratschläge geben („Das ist Zeitvergeudung“) oder Prognosen machen („Das Ziel ist
unerreichbar“) oder Überheblichkeit bescheinigen („Gerade ihr wollt ein Problem
lösen, an dem sich schon die größten Denker vergeblich versucht haben“) oder
Befehle aussprechen („Hört bloß auf mit dieser Diskussion!“). Eins aber können
sie nicht mehr: sie können weder mich oder irgendjemand anders moralisch
kritisieren. Denn wenn Kritik mehr ist als eine verbale Drohgebärde, dann
braucht man dazu nachvollziehbare Argumente – und die gibt es ja ihrer Meinung
nach auf dem Gebiet der Moral gerade NICHT.
Als zweite Konsequenz ergibt
sich aus dem Ziel, zu allgemein anerkennbaren moralischen Normen zu gelangen,
dass die Normen „unparteiisch“ formuliert sein müssen. Das bedeutet, dass bei
der moralischen Beurteilung von Handlungen niemand benachteiligt oder bevorzugt
werden, nur weil es sich gerade um ihn oder sie handelt. Derartige Sonderrechte
sind nicht allgemein konsensfähig. (Diese Bedingung wird in der Ethik meist
unter Stichworten wie „Verallgemeinerbarkeit“ oder „Universalisierbarkeit“
abgehandelt.)
Soviel für heute. Hoffentlich beteiligen sich noch mehr
Leute an der Diskussion und bringen ihre Ideen ein. Grüße an alle
Diskussionsteilnehmer Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 25. März 2003, 21:06 Uhr
on
03/24/03 um 10:19:34, delfinium wrote:
hi sheelina,
>Ich sehe Moral nicht
unbedingt als bewußt-anerzogen an. Die Fähigkeit zur Hemmnis ist wohl doch eher
angeboren, später in die eine oder andere Richtung gelenkt. <
ich bin
nicht unbedingt deiner Ansicht.
Wenn du dir die Ergebnisse des Experiments
Neills (antiautoritäre Erziehung, hier mißverstanden als "laisser faire")
ansiehst, da mangelte es ziemlich an angeborenen Hemmnissen. Jedenfalls im
Bereich 'Rücksichtnahme' auf die Mitmenschen.
gruß delfi
Hallo
delfi,
wär schon interessant was Neills da für Einsichten aus welchen
Experimenten heraus gewonnen hat. Und sicherlich auch zu wiederlegen. Waren hier
etwa Säuglinge die Versuchskaninchen und das über einen weiteren geraumen
Zeitpunkt? Diese mangelnde Rücksichtnahme von der Du sprichst ist wohl eher die
mangelnde Rücksichtnahme auf die Beziehung von Eltern und Kind, die diese
Einheit empfindlich stört und in Konsequenz als fehlende Hemmnis interpretiert
wird.
Grüsse, Lina
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 26. März 2003, 01:18 Uhr
Hallo Eberhard,
danke für deinen ausführlichen Kommentar.
1. Dass
es eine Reihe von Handlungsnormen gibt, die eine große Verbreitung besitzen, ist
unbestritten. Dass Menschen sich nicht gegenseitig töten sollen ist zum Beispiel
eine. Doch ebenso unbestritten gibt es dafür zahlreiche Ausnahmen: Notwehr,
Todesstrafe, Unterstützung des "Wahren Glaubens", Durchsetzung
politischer und wirtschaftlicher Interessen usw.
Warum gibt es aber solche
Ausnahmen? Weil es nicht nur auf die Norm ankommt, sondern auch auf ihre
Stellung in der Hierarchie des Systems. Welche Normen sind höherwertig?
Für
Augustinus war die Verteidigung des Glaubens ein höheres Gut als das
individuelle Leben. Für ihn war das Leben eben nur eine Zwischenstation zum
Ewigen Leben. Deshalb war es für ihn besser, mit 20 für den Glauben zu sterben,
als bis ins 80. Lebensjahr vor sich hinzusündigen. Wir sehen das in der Regel
anders.
Es gab im Mittelalter Zeiten und Regionen, da wurde das
„Anzünden einer Kirche“ mit dem Tode bestraft, Mord dagegen konnte
nicht selten mit einer Geldbuße geahndet werden.
Also noch einmal: Es
kommt in der Moral primär auf das Ziel an. Dieses gibt vor, welchen Wert die
einzelnen Handlungsnormen und welche Stellung sie im hierarchischen System der
Werte haben. Und das ist entscheidend. Die existierenden Moralen unterscheiden
sich nämlich nicht so sehr in den Normen, als vielmehr in deren Stellung in der
Hierarchie.
Natürlich kann man sich über die Vorgehensweise streiten.
Erst die Normen suchen und dann ordnen. Das wäre eine Möglichkeit. Doch ich
halte sie deshalb für schlecht, weil ein entsprechendes moralisches Credo auch
neue Handlungsnormen begründen kann, die in einem anderen System keine Rolle
spielen.
Nebenbei, ob eine Norm anerkennbar ist, ist uninteressant,
wichtig ist, ob sie anerkannt wird.
2. Du meinst, es ist schwierig, aus
dem Ziel „Erhalt der Menschheit“ konkrete moralische Gebote
herzuleiten. Das sehe ich nicht so. Zum Beispiel ergibt sich daraus zwangsläufig
das durchaus nicht allgemein akzeptierte Verbot einer ungehemmten Vermehrung.
Damit hat nicht nur der Vatikan seine Probleme.
3. Ich schätze sonst die
Logik sehr, aber zur Herleitung eines moralischen Ziels ist sie leider nicht
geeignet, sonst gäbe es wohl schon ein universell gültiges. Und ich glaube, das
geht aus meinem Text auch hervor. Die Erkenntnis, dass es keinen Sinn des Lebens
a priori gibt, verhindert ja eine logische Begründung eines Ziels. Ich habe
dieses Ziel vielmehr als eine plausible Annahme definiert.
4. Ich stimme
dir zu, dass die Originalität uninteressant ist. Die Frage lautet: Was ist
richtig und nicht, wer hat das schon einmal gesagt. Wir schreiben ja keine
Dissertation. Kritik ist dagegen meines Erachtens erwünscht. Motto: Dass ich ein
Trottel bin, weiß ich bereits. Ich hätte nur gerne dafür eine sachliche
Begründung.
Warum soll es im Bereich Moral keine nachvollziehbaren
Argumente geben? Ich kann zB sagen: Wenn ich Ziel A akzeptiere, dann ist
Handlung B kontraproduktiv.
5. Eine Anmerkung zu delfis Vorschlag, das
persönliche Leid als moralischen Ausgangspunkt zu betrachten. Das Sprichwort:
„Des einen Leid ist der andern Freud“ warnt bereits vor dieser Idee.
So ist es durchaus denkbar, dass ein Anhänger der „allein seligmachenden
Kirche“ sehr unter religiöser Toleranz leidet.
Noch eine Bitte.
Wenn du deine Antwort auch durchnummerierst, erleichterst du mir meine Antwort.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Solipsist am 26. März 2003, 11:55 Uhr
on 03/25/03 um
02:12:21, Hanspeter wrote:
Hallo Solipsist,
Deine eigene
moralische Grundhaltung ist keineswegs das Einzige, was dir zur Verfügung steht.
Du kannst ja versuchen, sie so überzeugend darzustellen, dass andere sie auch
akzeptieren, vielleicht sogar Gesetzeskraft erhält. Nichts ist unmöööööglich!
Das mit dem sittlichen Gewissen ist so eine Sache. Woher kommt es? Aber da
rangeln wir uns ja schon beim "Freien Willen".
Gruß HP
Hallo Eberhard,
HP hat in einem der letzten Beiträge schnell den freien
Willen angesprochen.
Tatsächlich ist wohl der freie Wille jedes einzelnen
Individuums derjenigen Gruppe, für die die ideale Ethik geschaffen werden soll,
das dieser Gruppe gemeinsame Element.
Aufgabe der idealen Ethik wäre es nun
wohl, den Glauben der Individuen an die ihnen innewohnende sittliche
Besserungs-fähigkeit zu fördern.
Allgemein fällt der Ethik wohl die
Aufgabe zu, Verhaltensweisen die das Gesamtwohl der Gruppe (das ist aus dem
"Individualwohl" aller Gruppenmitglieder zusamensetzt) beeinträchtigen,zu
verhindern und solche die das Gesamtwohl vergrössern zu fördern.
(Ein gutes
Bsp. für einen solchen Regelkodex sind die zehn Gebote (du sollst, bzw. du
sollst nicht).
Vorausgesetzt, jedes Mitglied mit der Gruppe zufrieden
(befindet sich in einer ihm ideal erscheinenden Umgebung),
fallen die
Realisierung der eigenen Bedürfnisse mit den das Gesamtwohl der Gruppe
maximierenden Verhaltensweisen zusammen.
Die ideale Ethik sollte ingefähr die
Aussage vermitteln
"Wir sind dir dankbar für deine positven Handlungen
und sind froh, dass es dir wichtig ist, und möglcihst wenig zu schaden"
Natürlich ist das alles furchtbar theoretisch und vielleicht nie realisierbar.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von
Eberhard am 26. März 2003, 21:25 Uhr
Hallo Hanspeter,
Danke für die
prompte und klare Erwiderung.
1. Deine Ermutigung zur gegenseitigen
Kritik ist o.k. Wenn wir mit der Beantwortung der offenen Fragen vorankommen
wollen, dann ist jede begründete Kritik von Nutzen. Und trotz unserer kleinen
Eitelkeiten und unseres allgegenwärtigen Geltungsstreben sollte es bei der
Diskussion einer Frage nicht darum gehen, selber recht zu haben und zu behalten,
sondern der richtigen Antwort auf die gestellte Frage gemeinsam näher zu kommen.
Doch nun zur Sache.
2. Für Deine Herangehensweise an das Projekt
einer tragfähigen Ethik scheint mir die folgende Passage zentral:
„Es
kommt in der Moral primär auf das Ziel an. Dieses gibt vor, welchen Wert die
einzelnen Handlungsnormen und welche Stellung sie im hierarchischen System der
Werte haben.“
Dabei denkst Du offenbar nur an ein einziges Ziel. Dieses
Ziel ist für Dich die Erhaltung der Menschheit, wobei dies für Dich eine
plausible Annahme darstellt.
Aus diesem Ziel lässt sich dann z.B.
zwingend das Verbot ableiten, sich ungehemmt zu vermehren.
Ich hoffe, ich
habe Dich richtig wiedergegeben.
Wie weit der skizzierte Ansatz trägt,
wird sich zeigen, wenn Du ihn näher ausführst – worauf ich gespannt bin.
3. Dazu einige Fragen:
3.1 Was bedeutet “Plausibilität” einer
Annahme? Heißt das: es gibt Argumente für diese Annahme und es gibt keine
Argumente gegen die Annahme? Oder heißt das: es gibt stärkere Argumente für
diese Annahme als gegen sie?
3.2 Wie kann man aus einem gegebenen Ziel
(Erhalt der Menschheit) eine Norm (Es ist den Menschen verboten, sich ungehemmt
zu vermehren) ableiten? Wahrscheinlich so, dass Handlungen verboten werden, die
die Erreichung des Ziels verhindern. Offenbar sind da zahlreiche empirische
Annahmen nötig. Vielleicht kannst die Kausalkette mal skizzieren.
3.3
Verhindern Handlungen wie Diebstahl, Betrug, Hochstapelei, überhöhte
Geschwindigkeit im Straßenverkehr den Erhalt der Menschheit?
3.4 Was
bedeutet es, dass ein bestimmter Zustand (Erhaltung der Menschheit ) zum „Ziel“
erklärt wird? Hat „Ziel“ hier eine deskriptive Bedeutung (das, was von allen
faktisch angestrebt wird) oder eine präskriptive Bedeutung (das, was alle
anstreben sollten?)
D
as soll erstmal reichen. Auf Deine anderen
Argumente komme ich – hoffentlich bald – zurück.
Gruß Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von delfinium am
26. März 2003, 22:36 Uhr
Hallo sheelina,
Neill leitete das Internat
'Summerhill' in England und legte seine Erfahrungen in dem gleichnamigen
Buch(1960) nieder.
Er ging davon aus, dass Kinder von Natur aus gut seien.
Wenn die böse Gesellschaft/Eltern sie nur auf natürliche Weise ohne Angste und
Zwänge aufwachsen liessen, würden sie von allein zu guten Menschen heranreifen.
Fehlende Repression hatte für ihn aber nichts mit Zügellosigkeit zu tun:"Es ist
schlecht für ein Kind, wenn es immer seinen Kopf durchsetzen kann oder auf
Kosten anderer tun kann, was es will"
Diesen Passus übersahen viele Anhänger
und propagierten eine Erziehung des Gewährenlassens, mit dem Ergebniss, dass es
den Kindern an Orientierung fehlte.
Mich würde ja interessieren, worauf du
mit der von außen gestörten Eltern/Kind Beziehung anspielst, aber ich fürchte,
damit kommen wir weiter vom Wege ab.
grüsse,
delfi
Titel: Re:
Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von delfinium am 26. März 2003,
22:39 Uhr
Hallo HansPeter,
ich bin nochmal bei der ungehemmten
Vermehrungswut der Menschen.
(die ausgestorbenen Tiere haben sich nicht
gegenseitig umgebracht, sondern waren unfähig sich an veränderte Bedingungen
anzupassen, womit wir Menschen keinerlei Probleme zu haben scheinen...)
Sicher hast du nicht eine effektive Dezimierung der Menschheit durch
Pest/Designerviren oder Kriege im Sinn.
Aber ich weise mal draufhin, dass der
Fortpflanzungstrieb mächtig verankert ist und es schwierig sein wird, gesetzlich
oder auch durch Aufruf zu sittlicher Eigenverantwortung Einfluß zu nehmen. ( s.
China)
( in den begüterten Ländern geht die Geburtenrate von selber stetig
zurück. Man sorge also für globalen Reichtum und löse damit das Problem des
Bevölkerungswachstums!?)
Konrad Lorenz vertrat die Ansicht, wir würden
uns durch den Verlust unserer Menschlichkeit den Gar-aus machen, noch bevor uns
das mit schleichender Verseuchung oder C-Waffen gelingt. (Menschlichkeit?)
2. mit Mittelteil meinte ich etwa das , was Eberhard im 4. +5. Absatz
beschreibt
(hätte mein Unbehagen aber nicht so präzis formulieren können,
alle Achtung.)
Wenn du als erstes die Vermehrung reglementieren willst,
hast du also gleich die Völkergemeinschaft im Sinn und nicht einen 'vernünftigen
Staat' oder das 'Gesamtwohl einer Gruppe' (s. Solopsis) ?
5. Deine
Anmerkung über meinen Vorschlag behagt mir nicht. Erstens hast du ja die
Religiösen gleich außenvor gestellt (die bräuchten keine Ethik, denn die hätten
ihre Gebote) und daher taugt mir der unter deiner Toleranz leidende Christ nicht
als Gegenargument.
Auch beim Leid gibt es eine Hierarchie scheint mir.
Der Hierarchiegedanke hat mir gefallen, aber wer kann eine solche 'unparteiisch'
(s. Eberhards letzter Absatz) formulieren?
@ solipsist
deine
idealethische Aussage klingt nicht theoretisch, sondern praktikabel. Leider aber
sind die 10 Gebote, siehe Anfang des Threads, in einem Mülleimer versenkt
worden...
es grüsst
delfi
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 27. März 2003, 07:24 Uhr
Hallo Eberhard,
Zu deinen Punkten fiel mir folgendes ein.
1.
Ok
2. Ein einziges Ziel. Du kannst ja nicht auch gleichzeitig nach Rom
und nach Moskau gehen. Sicher sind auf dem Weg Abzweigungen denkbar, Umwege,
warum nicht.
3.1 Plausibilität heißt: Es gibt stärkere Argumente für
diese Annahme als gegen sie.
3.2 Das ist im Prinzip richtig. Nehmen wir
doch das schon genannte Beispiel: Die derzeitige Überbevölkerung führt zu einer
drastischen Minderung der Ressourcen. Es besteht die massive Gefahr, dass der
„Schmarotzer“ den „Wirt“ überbelastet. Wie es im
Beispiel Krebszelle / Mensch ausgeht, ist bekannt. Daher ist zu befürchen, dass
es im Beispiel Mensch / Erde genauso geht. Also muss etwas dagegen getan werden.
3.3 Es gibt sicher eine Menge Handlungen, die für das Ziel eine
unterschiedliche Relevanz haben.
In diesen Fällen wird man pragmatisch
vorgehen und ich denke, man wird da auch problemlos zu einer einvernehmlichen
Lösung kommen. Aber das wird sich dann, so denke ich, im Detail zeigen.
Die Beispiele, die du genannt hast, sind problematisch. Da Diebstahl
definitionsgemäß das widerrechtliche Aneignen eines fremden Besitzes ist, ist er
natürlich automatisch verboten. So etwas würde ich als ethischen Pleonasmus
bezeichnen. Man muss hier stets wertfreie Begriffe oder Handlungen verwenden und
sie dann eben bewerten.
Das ist übrigens auch der Grund, weshalb die meisten
der 10 Gebote wertlos sind. Morden, stehlen, Ehebruch oder Falschaussage zu
verbieten, ist genauso selbstverständlich und nichtssagend wie ein Gebot: Du
sollst nichts Böses tun.
Es nicht zu tun implizieren die Begriffe.
3.4 Das Ziel ist eine Präskription.
Fröhliches Nachdenken!
Gruß
HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von
Hanspeter am 27. März 2003, 07:31 Uhr
Hallo delfi,
auch bei dir
wird abgehakt, ist unpersönlich, aber effektiv.
1. Die ausgestorbenen
Tiere haben sich sehr wohl gegenseitig umgebracht. Dass es weltweit nur noch
wenige Beuteltiere gibt, dafür sorgten die Plazentatiere: Ham ham!! Und ob sich
der Mensch an alles anpassen kann, wid sich zeigen.
2. Es ist richtig,
dass ich dies nicht wünsche. Aber ich schließe keineswegs aus, dass die Natur zu
solchen Methoden greift, um das Problem zu lösen, da sie sich üblicherweise
nicht unbedingt an die Menschenrechtskonventionen hält. Übrigens, das mit den
Designer-Viren ist keine schlechte Idee. Ihr Experiment mit Aids war durchaus
ein Anfangserfolg.
Um solche hässlichen Methoden zu verhindern –
je dringender das Problem, desto rabiater werden sie – ist eine
vernünftige Bevölkerungspolitik sehr wichtig. Da passt es zB gar nicht, wenn
jemand 7 Kinder in die Welt setzt und dann als verantwortlicher Politiker in die
Regierung einzieht.
Es muss ja nicht gleich reglementieren sein. Es würde
schon fürs Erste genügen, wenn der Staat das Kinderkriegen nicht subventioniert.
5. Dass die Religiösen keine Ethik brauchen, ist nicht meine Erfindung.
Warum gibt es keine Ethiktheologen, sondern nur Moraltheologen? Weil die
Religiösen ihre Zielvorgabe schon haben. Selbstverständlich gelten Gesetze für
alle Menschen, die im Bereich der Gültigkeit dieser Gesetze leben.
Du
fragst, wer eine Hierarchie unparteiisch formulieren kann. Ich denke, das dürfte
möglich sein, weil es ja eine Messmethode gibt. Je produktiver (das Ziel zu
erreichen), desto besser, je kontraproduktiver, desto schlechter.
Gruß
HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von
delfinium am 27. März 2003, 09:59 Uhr
moin HP,
ich schenke dir
erstmal die ausgestorbenen Tierarten, magst recht haben:-)
Unsere Art zu
erhalten, indem wir uns nicht mehr fortpflanzen klingt schon etwas exentrisch.
Auch wenn ich weiß, was du meinst. Ich denke wie du, dass die Natur sich am Ende
wohl unserer entledigen wird und finde es beruhigend, dass 'wir' nicht die
Stärkeren sind, wenns auch momentan so aussieht.
Bis dahin...
Als
Gegengewicht zu euch Sterne-Philosophen werde ich jetzt doch mal persönlich.
Deine schöne neue Welt entwickelt sich in eine Richtung, die mir (eins von 5
Geschwistern) nicht gefällt.
Einzelkinder könnten vielleicht die Erde retten,
aber vielleicht auch unerwünschte gesellschaftliche Veränderungen bewirken...es
könnte starrer und konservativer zugehen, wenn man Sulloway glaubt.
(Frank J.
Sulloway "Der Rebell in der Familie - Geschwisterrivalität, kreatives Denken und
Geschichte" Siedler 1999 - Wie kommt es zu den großen Umwälzungen in der
Geschichte? Wie entsteht das Neue in den Köpfen? Der Wissenschaftshistoriker
Sulloway eröffnet eine radikal neue Sicht: Die Rivalität unter Geschwistern ist
der Motor für Veränderungen in Politik, Kultur und Wissenschaft.)
Denn du
erhebst sicher keinen Ewigkeitsanspruch für deine neue Moral - pantha rhei - ?
Bruno Bettelheim propagierte allerdings die Kibbuzerziehung als die Erziehung
der Zukunft. Damit wären die negativen Folgen der Einzelhaft für Kinder
aufzufangen (wenn sie denn so einträten)
Aber, huch, wo führte uns DAS hin ?!
cya
delfi
p.s. >es nicht zu tun implizieren die Begriffe>
uppsala,
das ist aber gewagt. Die Menschheit besteht eben nicht aus gut sozialisierten,
gebildeten Mittel- bis Oberschichtlern, mh?
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 28. März 2003, 02:29 Uhr
Hallo delfi,
ja, du hast den Braten gerochen, die Sache mit dieser
Moral könnte hässlich werden. Da ist es doch besser, wir kehren zur alten wieder
zurück. Die war schön gemütlich, vertraut und bewährt. Wir halten uns an die 10
Gebote, vielleicht noch mit einem Schuss Bergpredigt dazu, erhöhen das
Sozialprodukt (damit die Wirtschaft wächst), sorgen für reichlich Nachwuchs
(wegen der Rente und zur Selbstfindung), spenden für die 3. Welt und krebskranke
Kinder und sterben rechtzeitig an einer unkomplizierten Krankheit (zur Schonung
des Generationenvertrags und der Krankenkasse). Dann gibt es noch "a scheene
Leich", wie man in Bayern sagt und das wars dann. Die Ressourcen werden bis
dahin schon noch reichen, lediglich mit dem Öl könnte es ein bisschen knapp
werden. Naja, da wird den Technikern schon was einfallen, denen ist bis jetzt
immer noch was eingefallen.
Außerdem, wie steht doch geschrieben: "Sehet die
Vögel unter dem Himmel: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine
Vorräte und euer himmlischer Vater ernähret sie doch. Seid ihr denn nicht viel
mehr als sie?" (Mt 6,26). Da kann uns doch nichts passieren.
Du hast
Recht, dass eine Moral nicht selten das Umfeld des Begründers widerspiegeln. Ein
schönes Beispiel dazu sind die Herren Mose (Oberschicht, 2 bis 3 Gebote zur
Besitzstandswahrung, je nach Zählweise) und Jesus (Unterschicht, Aufruf zu
sozialer Tätigkeit). Warum aber das Credo zum Erhalt der Menschheit ein
typischer Auswuchs gut sozialisierter Mittel- bis Oberschichtler sein soll,
leuchtet mir nicht ein. Je mehr Hände zum Kuchen greifen, desto schwieriger wird
es doch für die Unterprivilegierten. Oder sehe ich das falsch?
Tschüss HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von delfinium
am 28. März 2003, 08:10 Uhr
Hej, warum so bissig.
Titel: Re:
Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 28. März 2003,
13:06 Uhr
Hallo delfi,
was heißt da bissig! Mein Vorschlag
gefällt dir nicht, also habe ich dir einen neuen unterbreitet. Gefällt der dir
auch nicht?
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag
von Solipsist am 28. März 2003, 13:23 Uhr
on 03/28/03 um 02:29:17,
Hanspeter wrote:
Hallo delfi,
Warum aber das Credo zum Erhalt der
Menschheit ein typischer Auswuchs gut sozialisierter Mittel- bis Oberschichtler
sein soll, leuchtet mir nicht ein. Je mehr Hände zum Kuchen greifen, desto
schwieriger wird es doch für die Unterprivilegierten. Oder sehe ich das falsch?
Hallo HP,
Eine Hand wäscht die andere.
Gib dem Volk
religiöse Geborgenheit, Pflichten und Rechte und ein wenig Brot.
Du
kriegst dafür vom Volk Unmengen von Kuchen und anderern Opfergaben.
Ist
doch gut oder?
Gruss
Solipsist
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 29. März 2003, 00:57 Uhr
Hallo Solipsist,
du beschreibst kurz und treffend die Realität. Dass
das gut ist glaubst du ja selbst nicht.
Gruß HP
Titel: Re: Ist
Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von delfinium am 29. März 2003,
14:53 Uhr
hi HP,
melde nur Bedenken an und schon formulierst du
ironisch was dir Unbehagen bereitet, um es mir als Alternative zu servieren.
Diese Art von Dessert wollte ich nicht herausfordern!
Der Begriff des Bösen
impliziert solches nicht zu tun?
(Ich unterstellte, natürlich zu Unrecht,
dass die 'Gebildeten' in der Lage wären deinen hehren Anspruch wenigstens zu
begreifen - streich das einfach- )
Ich muß dich falsch verstanden haben, denn
wenns soweit wäre, bräuchten wir keine Ethik, mh?
Nur eine Definition (und
Hierarchie) unerwünschter Handlungen.
Oder hältst du das Bremsen der
Fortpflanzung für das einzig Notwendige? Bin weiter gespannt auf deinen
Braten.Kann auch gern die Klappe halten, zuviele Köche...
Hast du, btw, was
von Küngs 'Weltethos' gehört?
grüße!
ann
Titel: Re: Ist Ethik
ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 30. März 2003, 03:03 Uhr
Hallo delfi
"So geht’s, - Bei Damen sollst du fein
gar
niemals nicht ironisch sein"
(W. Busch, Ein galantes Abenteuer)
Ich
vergaß; verzeih.
1. Von Herrn Küng halte ich nichts. Er ist zwar klug
genug, die Widersprüchlichkeiten des Christentums zu erkennen, aber zu feige,
daraus die Konsequenzen zu ziehen.
2. Das "Bremsen der Fortpflanzung" ist
tatsächlich sehr wichtig. Die Welt kann sich nicht rund 75 Millionen Menschen
pro Jahr mehr leisten, da die Ressourcen nicht zunehmen.
Aber
selbstverständlich ist das nicht das Einzige. Das nächste Thema wäre zB Sparen.
Nicht den Konsum anheizen, nach dem Motto: Freßt schneller, damit die Vorräte
schneller zu Ende sind. Sondern mit dem Vorhandenen so verantwortlich wie
möglich umzugehen. Wenn das Ziel der Erhalt der Menschheit ist, muss zB die
"Globalisierung" (= Amerikanisierung) der Wirtschaft schleunigst gestoppt
werden. Manchmal kommt man sich ja vor wie bei einem Heuschreckenüberfall, wo
irgendwo oben am Baum die Regierenden sitzen und den Heuschrecken zurufen: "Da
ist noch ein Busch, den habt ihr noch nicht kahlgefressen!"
Aber auch das
Thema Fortpflanzung ist noch längst nicht ad acta gelegt. So muss man zB
erkennen, dass die "ruhmreichen Taten" eines Albert Schweitzers den Afrikanern
sehr viel mehr geschadet als genutzt hat. Er bewirkte mit seiner falsch
verstandenen "humanitären Hilfe" eine Bevölkerungsexplosion mit anschließender
Zerstörung der heimischen Ressourcen und der Schaffung von Slums in den
Millionenstädten. Das heißt, die "Entwicklungshilfe" ist neu zu überdenken.
Schutz der Natur und damit der Ressourcen sollten oberste Priorität haben.
Soviel zum Weitergrübeln.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 30. März 2003, 21:41 Uhr
Hallo Hanspeter, hallo Solipsist;
hier die Ergebnisse fröhlichen
Nachdenkens.
1.Wie sich aus Deinen Antworten ergibt, schreibst Du allen
Individuen als einziges Ziel die Erhaltung des Homo sapiens vor, wofür Deiner
Ansicht nach die stärkeren Argumente sprechen.
Damit behauptest Du den
Satz: „Richtet Euer Handeln an dem Ziel der Erhaltung des Homo sapiens aus!“ und
erhebst für diesen Satz einen ALLGEMEINEN GELTUNGSANSPRUCH in dem Sinne, dass
jedes Individuum diesen Satz bejahen oder anerkennen sollte. (Schließlich soll
der Satz ja nicht nur für Dich richtig sein, sondern richtig für alle. Ohne
diesen allgemeinen Geltungsanspruch hätte es für mich ja auch keinen Sinn, mich
mit Dir argumentativ auseinander zu setzen.)
Dass manche Individuen
diesen Satz faktisch nicht anerkennen, tut dem Geltungsanspruch keinen Abbruch,
denn es gibt für diesen (plausiblen) Satz Deiner Ansicht nach starke Argumente,
die auch die überzeugen können und zur Anerkennung des Satzes bringen können,
die gegenwärtig nach anderer Meinung sind. Dies zeigt aber, dass es doch auf die
ALLGEMEINE ANERKENNBARKEIT ankommt und nicht auf die tatsächliche Anerkennung.
Du hattest geschrieben: „Nebenbei, ob eine Norm anerkennbar ist, ist
uninteressant, wichtig ist, ob sie anerkannt wird.“ Wenn es nur auf die
tatsächliche Anerkennung einer Norm ankäme, sollten wir die Philosophie an den
Nagel hängen und mittels empirischer Sozialforschung untersuchen, welche Normen
von den Leuten tatsächlich anerkannt werden und welche nicht. Wenn Du Die Norm
„Richtet Euer Handeln an dem Ziel der Erhaltung des Homo sapiens aus!“ für
richtig bzw. - abgeschwächt - für plausibel hältst, dann doch nicht, weil alle
Leute dieser Norm bereits heute tatsächlich zustimmen, sondern weil es Deiner
Ansicht nach Argumente gibt, die – so wie sie Dich überzeugt haben – auch jeden
andern überzeugen können, sofern er die Argumente versteht.
2. Meine
Zweifel an der Anwendbarkeit und der Reichweite des Maßstabs „Erhalt des Homo
sapiens“ hast Du noch nicht ausräumen können. Ich bin weiterhin der Ansicht,
dass es zahlreiche Verhaltensweisen gibt, die zwar nicht den Untergang der
Menschheit herbeiführen (oder fördern), die aber trotzdem moralisch bedenklich
sind.
(Aufgrund Deiner Kritik an tautologischen Formulierungen will ich mich
um Handlungsbeschreibungen bemühen, die keine wertende Stellungnahme
beinhalten.) Beispiele solcher Handlungsweisen wären: „seinem Leben selbst ein
Ende setzen“, „einem unheilbar Krebskranken mit weit gestreuten Metastasen auf
seine Bitte hin Gift besorgen“ oder „in einem Wohngebiet mit 80 km/h Auto
fahren“.
Wenn meine Zweifel berechtigt sind, so stellt sich für Deinen
Ansatz die Frage, wie man in Bezug auf solche normative Fragen zu einem Konsens
kommen kann und welche Kriterien Du dabei heranziehen willst.
3. Hallo
Solipsist, in diesem Zusammenhang noch eine Stellungnahme zu Deinen Vorschlägen
für die Konstruktion einer allgemeingültigen Moral. Du schreibst: „Allgemein
fällt der Ethik wohl die Aufgabe zu, Verhaltensweisen die das Gesamtwohl der
Gruppe (das ist aus dem "Individualwohl" aller Gruppenmitglieder
zusammengesetzt) beeinträchtigen, zu verhindern, und solche, die das Gesamtwohl
vergrößern, zu fördern.“
Ich stimme Dir zwar inhaltlich zu, sehe jedoch
bei Deiner Formulierung folgende Probleme. Wenn man als Ausgangspunkt der
Argumentation die Bestimmung dessen nimmt, „was Ethik ist“ und „was ihre
Aufgaben sind“, so endet man entweder in einem fruchtlosen Streit um Worte („Ich
verstehe unter „Ethik“ aber etwas ganz anderes als Du ..“) oder man schmuggelt
mit zweideutigen Begriffen wie „Aufgabe“ , „Funktion“ oder „Sinn“ der Ethik, die
sowohl be-schreibend als auch vor-schreibend verwendet werden, unter der Hand
bestimmte normative Inhalte ein, die man dann wieder aus dem Hut zaubert.
Ich würde deshalb anders anfangen und Deinen Ansatz folgendermaßen
umformulieren: Wenn das „individuelle Wohl“ das ist, was ein Individuum nach
reiflicher Überlegung will, und wenn das „Gesamtwohl“ das ist, was alle
Individuen der Gesamtheit nach reiflicher Überlegung gemeinsam wollen, so kommt
man notwendigerweise zu der Frage, was wir alle gemeinsam wollen bzw. welche
Normen unser aller Anerkennung finden können. Dies erscheint mir eine sinnvolle
Ausgangsfrage zu sein, die für den Entwurf einer Ethik keine andere
Voraussetzung macht als die, dass man sich zwanglos per Argumenten einigen will
und die Fragen nicht dem Machtkampf überlassen will. Könntest Du mit dieser
Umformulierung leben? (Ihr seht, ich lasse nicht locker.)
Gruß Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Solipsist
am 30. März 2003, 23:25 Uhr
Hallo Eberhard,
das von dir unter 3.
geschilderte Vorgehen eignet sich vermutlich als Methode zum Ausarbeiten einer
Ethik. Welche Inhalte die sittlichen Forderungen dabei kriegen, hast du meines
Erachtens nicht gesagt. Da ich persönlch auch nicht weiter weiss, das Thema aber
äusserst spannend finde, zitiere ich nachher noch ein meiner Meinung nach sehr
zentralen Beitrag (auch wenn er streckenweise ziemlich unsinnig klingen mag).
Er stammt aus:
Wirklchkeitslehre, Ein metaphysischer Versuch
Hans
Driesch, 1930
Sei gegrüsst
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Solipsist am 30. März 2003, 23:33 Uhr
b) Die Heterogonie der Zwecke.
In einer Besprechung meiner „Philosophie
des Organischen" hat L o s a c c o 2) die merkwürdige Tatsachenverkettung,
welche W u n d t „Heterogonie der Zwecke" nennt, mit der Lehre von der
geschichtlichen überpersönlichen Ganzheit verknüpft. Handlungen, welche von
Einzelwesen oder Körperschaften mit bestimmter „Absicht" unternommen wurden,
können weittragende Neben-Wirkungen haben, die, durchaus „unbeabsichtigt", ja
durchaus unvermutet, trotzdem von großer Bedeutung für das Leben des Einzelnen
oder der Gesamtheit
--
1) Sehr gutes hierüber bei Erismann in Saupes
Einführung in d. neuen Psychol., 1928, S. 293
2) Rivista di Filos. Anno IV.,
Fasc. II, 1912
sind, und zwar oft in einem durchaus „fördernden" Sinne.
Wie könnte das möglich sein ohne einen Zusammenschluß der Menschheit zu einem
Ganzen? Übrigens meint Hegel wohl dasselbe, wenn er von der „List der Vernunft"
redet'), die dem Einzelnen vorspiegelt, daß er für sich, etwa für die
Befriedigung seines Ehrgeizes, tue, was er als bestimmtes Glied des Ganzen und,
ohne es zu wissen, durch ein „Ganzes" bestimmt ausführt. Un-„beabsichtigte"
Wirkungen von Handlungen, welche doch entwicklungsbedeutsam, oder wenigstens,,
im alltäglichen Sinne, „fortschritts"-bedeutsam sind - das ist stets das hier
unter verschiedenen Wörtern Gemeinte. Und das ist ein Ganzheitszug des
Geschichtlichen - freilich von recht unbestimmter Art.
Wenn wir das Wort gut
zur Bezeichnung aller Geschehnisse, welche überpersönliche Ziele fördern,
benutzen wollen, dann sind auf der „Heterogonie der Zwecke" beruhende Äußerungen
einer „List der Vernunft" gut zu nennen. Aber es ist klar: sie sind nie
sittlich-gut in dem Sinne, daß sie aus dem „guten Willen" ihres Urhebers als
eines bestimmten seelisch-körperlichen Einzelwesens entspringen. Jedenfalls
waren sie gerade mit Rücksicht auf das, was etwa im allgemeinsten Sinne „Gutes"
aus ihnen entsprang, nicht „sittlichgut"; jedenfalls war ihr Urheber nicht mit
Rücksicht auf sie „gut". Das liegt geradezu im Begriff der Zweckes-Heterogonie;
und es schafft eine gewisse Schwierigkeit, denn wir sehen uns plötzlich,
sozusagen, zwei verschiedenen Bedeutungen des Wortes „gut" gegenüber. Die
Schwierigkeit löst sich, wenn wir uns klar darüber werden, daß wir ja nicht
gelehrt haben, es habe ein Mensch, welcher Ansatzpunkt der List der Vernunft
ist, „böse" gehandelt; er hat nur nicht mit Rücksicht auf das, was an Gutem
herausgekommen ist, „gut" gehandelt ; viel Unbedeutenderes zu erreichen hielt er
vielleicht für seine „Pflicht". Freilich, daß der Täter in deutlicher Form
willens„böse" gehandelt habe und doch Werkzeug des Guten im höchsten Sinne
gewesen sei, das müssen wir auf der gesamten Grundlage unserer Untersuchungen
über das Sittliche ausdrücklich ausschließen ; und ebenso schließen wir aus, daß
die gesinnungsgute Tat im Sinne des überpersönlichen Werdens gegenganzheitlich
sein könne. Denn wir deuten ja das Dasein des Gewissens überhaupt als Zeichen
--
1) Vorles. üb. d. Phil. d. Gesch., Einleitung IIb (Reclam, S. 70).
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Solipsist am 30. März 2003, 23:37 Uhr
von
überpersönlicher Ganzheitsgemäßheit') -- allerdings nur, weil dieses Dasein
sonst gänzlich unverstanden bleibt. Mit einer För
derung äußerlichen
„Fortschritts" aber haben unsere Erwägungen überhaupt nichts zu tun, sondern nur
mit einer Förderung des Guten, das sich oft, freilich nicht immer, an das, was
etwa technisch, „Fortschritt" heißt, anheftet.
Die Lehre von der Heterogonie
der Zwecke steht dann also im echtesten Wortsinne „jenseits von Gut und Böse",
wenn man das Wörtchen gut lediglich für die Gesinnung, den „guten Willen", und
das unmittelbar durch ihn2) Beabsichtigte und Erfolgende verwenden will. Alsdann
ist die Zweck-heterogonie ein ganz selbständiges Ganzheitszeichen, das durchaus
neben dem Dasein des sittlichen Bewußtseins als einem Ganzheitszeichen steht.
Und dieser wichtige Unterschied bleibt auch dann bestehen, wenn wir nicht den
„guten Willen" als solchen, sondern nur den zur Tat führenden3) guten Willen gut
sein lassen, und bloße „gute Vorsätze" für nichts oder doch wenig erachten. Auch
dann haben wir das als solches gewollte und das als solches nichtgewollte,
tatsächlich aber geschehende Gute, das heißt der Verwirklichung einer
überpersönlichen Ganzheit Dienende.
Übrigens möchten wir alles über die
Zweckheterogonie als Ganzheitszeichen Gesagte mit großer Vorsicht ausgesprochen
haben. -
Man könnte vielleicht geneigt sein, Beispiele für eine Heterogonie
der Zwecke in gewissen der Dinge, die wir schon aus anderen Gesichtspunkten von
Ganzheitlichkeitsbedeutung haben sein lassen, zu
--
1) Das Sittliche ist
also, im Sinne der Stoa, der eigentlichen „Natur"
des Menschen gemäß, wenn es
auch nicht seine ganze „Natur" deckt, zu welcher vielmehr auch das Triebhafte
gehört. Es ist jedenfalls nichts
gleichsam „natur"-fremdes, dem widerwillig
aus Vernunftgründen „gehorcht" werden müßte. Mit Recht hat Scheler (Jahrb. f.
Phil. u. Phän. I, S. 467) die Kantische Ethik „das Gegenteil von Liebe zur Welt,
von Ver
trauen" genannt.
2) Das „durch ihn" in 'der unbestimmten Bedeutung
des Alltags !
Selbstbesinnlich („phänomenologisch") erlebe ich
Willenserlebnis und dann Taterlebnis, aber nicht das zweite „durch" das erste.
Auf meine
Seele mag das „durch" immerhin bezogen sein.
3) Die freilich
durch Fremdes, Äußeres „gehemmt" sein mag. Das
ist eine Sache für sich. - K a
n t will bekanntlich nur den „guten Willen", durchaus als Erlebnis, als gut
gelten lassen, ohne Rücksicht auf eine Wirkung, ja sogar auf deren Möglichkeit
(s. zumal Met. d. Sitten, I. Abschnitt).
erblicken, und da würden wir uns
vielleicht auf etwas weniger unsicherem Boden bewegen, als wenn wir die „List
der Idee" gerade ebenso fassen wie Hegel:
Ein Einzelstaat sei ursprünglich
bloßen Machtgelüsten entsprungen - er muß auch dem Recht seinen Platz lassen,
sonst zergeht er im Nu. Die Strafe mag nur als Abschreckungsmittel gelacht sein
- sie erfüllt auch den Begriff der Gerechtigkeit. Das nicht wohl Überlegte ist,
wenigstens oft, auch das Schlechte und umgekehrt.
p.212-p.215
P.S.: Der Zitierende entschuldigt sich hiermit für die Länge des Zitates
Gezeichnet: Solipsist
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 31. März 2003, 04:30 Uhr
Hallo Eberhard,
schön, wieder sachlich über Ethik zu diskutieren.
1. Kleine
Korrektur: Der Erhalt der Menschheit sollte das höchste, nicht das einzige Ziel
sein. "Nebenziele" sind denkbar. Wenn jemand eine Wanderung macht, kann er sich
ja einmal einen Abstecher zu einem Gasthaus erlauben.
a. Dein Begriff
"anerkennbar" ist mir nicht geläufig. Ich gehe davon aus, dass er bedeutet: "man
kann es anerkennen", analog zu Begriffen wie essbar oder sichtbar.
Klar, für
einen Christen ist die Arterhaltung als höchstes Ziel nicht anerkennbar, wohl
aber im hierarchischen Mittelfeld durchaus akzeptabel. Aber für jeden Menschen,
der nicht bereits durch eine bestimmte Ideologie fixiert ist, halte ich dieses
Ziel für anerkennbar. Natürlich wünsche ich mir, dass auch der Christ es als
höchstes Ziel anerkennt. Dann ist er allerdings im strengen Sinne kein Christ
mehr.
Aber vielleicht missverstehe ich diesen Begriff völlig, bitte um
Aufklärung.
b. Du schreibst: "Wenn es nur auf die tatsächliche
Anerkennung einer Norm ankäme, sollten wir die Philosophie an den Nagel hängen
und mittels empirischer Sozialforschung untersuchen, welche Normen von den
Leuten tatsächlich anerkannt werden und welche nicht."
Heftiger Protest!!
Eine Aufgabe der Philosophie ist es meines Erachtens, moralische Normen zu
entwickeln und für deren Verbreitung zu sorgen. Also, sich an die Leute zu
wenden und ihnen zu sagen, wo's lang gehen soll. War das nicht auch ein
wesentliches Anliegen der griechischen Philosophen? Anders gesagt, die
Philosophen sollten in meinen Augen das Feld der Missionierung nicht
widerspruchslos den Kirchen überlassen.
Nebenbei, wenn ich nicht ganz falsch
liege, findet man in den diversen Ethikkommissionen Politiker, Kirchenleute,
Gewerkschafter, alles mögliche, aber nur sehr selten Philosophen. Meines
Erachtens ein Trauerspiel. Oder hat sich das mittlerweile geändert?
2.
Natürlich gibt es jede Menge Handlungsweisen, die den "Erhalt des Homo sapiens"
nicht tangieren. Jedenfalls nicht direkt, bestenfalls nur über mehrere Umwege.
Solche Fälle würde ich der nicht normierten Moral überlassen, das heißt, das
kann jeder individuell für sich entscheiden. Auch in unserer derzeit gültigen
Staatsmoral gibt es ja jede Menge Möglichkeiten, seinen eigenen moralischen
Vorstellungen freien Lauf zu lassen.
Du hast aber in deiner Kritik in einem
wesentlichen Punkt Recht. Ich habe noch nicht deutlich erklärt: Mir kommt es in
diesem Zusammenhang auf die NORMIERTE MORAL, also auf das gültige Recht an, da
es das Verhalten der Menschen entscheidend beeinflusst. Die nicht normierte
Moral zu diskutieren, bringt wenig, die Lösungsansätze sind zu sehr von der
individuellen Situation abhängig.
Das trifft auch für deine ersten beiden
Beispiele zu: Selbstmord ist eine Sache, die jeder persönlich entscheiden muss,
da kann die normierte Moral nicht helfen, ebenso die Sache mit dem Krebskranken
(meines Wissens wird Beihilfe zum Selbstmord in Deutschland nicht bestraft, aber
ich habe meine diesbezügliche Literatur nicht griffbereit).
Zum dritten
Beispiel: Es ist ohnehin verboten. Nun könnte man diskutieren, dieses Verbot
aufzuheben. Da gibt es aber rasch eine Lösung. Und zwar über den Weg der
Ressourcenschonung. Wenn du willst, können wir das im Detail diskutieren.
3. Erlaube, dass ich mich in deine Diskussion mit solipsist hier
einschalte. Die Frage, inwieweit das "individuelle Wohl" für den Entwurf einer
Ethik von Bedeutung ist, stellt einen Knackpunkt bei der ganzen Diskussion dar.
Wenn jemand auch nach reiflicher Überlegung sein persönliches Glück an die
oberste Stelle setzt, ist ein Konsens nicht möglich. Das Ziel: "Maximales Glück
für eine maximale Zahl von Menschen" haben wir ja bereits. In den USA in
ziemlicher Reinkultur. Und wo es hinführt, sehen wir auch.
Das "individuelle
Wohl" ist zu sehr von der individuellen Prägung beeinflusst, als dass daraus ein
Ziel für die Allgemeinheit destilliert werden kann. Auch können Individuen unter
Umständen die Konsequenz ihres Handels nicht voll erkennen. Selbstverständlich
wird man versuchen, eine neue Moral den Menschen möglichst schmackhaft zu
machen. Eine Mehrheitsentscheidung würde ich aber für ausreichend erachten, ein
Gesamtkonsens wäre sicher wünschenswert, ist aber nicht realistisch.
Zu
dem Artikel von Hans Driesch. Ich sehe in den Äußerungen dieses Herrn keinen
Lösungsansatz. Die Aufgabe einer Moral ist es ja festzulegen, was "gut" und was
"böse" ist.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von paul am 31. März 2003, 23:38 Uhr
hallo HP,
ich habe versucht, den ganzen thread, durchzufliegen, das Thema ist ja früher in
ähnlicher Form immer wieder hier diskutiert worden.
Ich finde es toll, dass
Du Dich um eine Neudefinition bemühst. wo Du doch andererseits den freien Willen
in Frage stellst.
Ohne freien Willen kann es keine Verantwortung und keine
Ethik geben.
Im Philosophieforum, da möchte ich Dir uneingeschränkt recht
geben, müssen wir wirklich nicht auf die Religionen zurückgreifen, die das
Nachdenken und selbst Entscheiden ja eher ausschalten (sollen).
Hier vermisse
ich den Bergründer der Ethik Aritoteles, der heute recht lieberal und modern
dasteht Kant ist der Gegepol, auch keinesfalls unmodern aber für die meisten
irgendwie doch zu streng. Trotzdem kann man Ethik schlecht ohne Kant dikutieren.
Zu deinen "biologischen" Sorgen ist zweierlei zu sagen:
Titel:
Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 31. März 2003,
23:40 Uhr
1) Die früheren hohen Prognosen der
Weltbevolkerungsentwicklung sind längst von der Realität (in Deinem Sinne)
widerlegt. Sie hat sich bereits erheblich verlangsamt und strebt einem Gipfel
von deutlich unter 10 Milliarden zu um dann sogar global abzunehmen. Gerade
China ist wirtschaftlich so erfolgreich, weil es die 1-Kinderehe propagiert und
durchgesetzt hat. Der Geburtebrückgang ist in den "Schwellenländern" am
erfolgreichsten, weil sie wirtschaftliche Selbstheilungskräfte in hohem Maße
freisetzt.
Dagegen gibt es in Deutschland mit recht starker
Bevölkerungsschrupfung absolut keinerlei ethische Rechtfertigung für eine
finanzielle Benachteiligung von Familien mit Kindern (eine Förderung gibt es
bekanntlich nicht).
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 31. März 2003, 23:41 Uhr
2) Deine Bemerkung zu
Albert Schweizer is ne echte Katastrophe, es ist das Gift des Egoismus, der auch
einen Teil unserer eigenen Gesundheitspolitik vergiftet, nach dem Motto Helfen
ist unökonomisch.
Dies ist längst widerlegt. Krankheit und damit massiv
verkürzte Lebenserwartung ist der größte Hemmschuh einer Verbesserung der
wirtschaftlichen Lage in Afrika.
In den WHO- websites ist das auch für Leien
überzeugend nachzulesen, wens wirklich interessiert.
Aber Dein Tenor,
dass die Menschheit eine möglichst allgemein akzeptierte Ethik braucht ist
goldrichtig.
Ich sehe das nicht so pessimistisch, ich denke, wir sind schon
auf dem Weg dahin.
(Ich meine natürlich n i c h t den augeblicklichen Krieg)
Deshalb weiter frohes Schaffen
Paul
p.s. soory, klappt bei mir
technisch leider nicht in einem Stück
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 01. Apr. 2003, 14:08 Uhr
Hallo
paul,
das finde ich echt toll, dass jetzt ein 5-Sterne-Philosoph
mitdiskutiert. Was natürlich keine Herabsetzung der bisherigen Beiträge sein
soll. Nun artet das Antworten direkt in Arbeit aus. Also, auf geht’s!
1. Freie Wille - Ethik. Ich kann nicht nachvollziehen, warum eine Moral an
einen Freien Willen gekoppelt sein muss. Ob du aufgrund einer freien
Willensentscheidung oder aufgrund eines unbedingten erlernten Programms bei Rot
an der Ampel hältst, ist in meinen Augen egal, Hauptsache du hältst.
Bei der
Verantwortung hast du Recht, aber die brauchen im Prinzip nur die Christen und
wohl die meisten Juristen. Man kann sich aber durchaus ein Rechtssystem ohne
Verantwortung denken. Der Täter wird für seine Tat bestraft, egal ob er im
moralischen Sinn verantwortlich ist oder nicht. Zieht man übrigens den ganzen
Rattenschwanz an psychologischen Begründungen heran (Schuld sind die Eltern, die
Umwelt...), dann lässt sich die ganze Chose mit der Verantwortung ohnehin
schnell relativieren. Aber nochmals, man kann auch so tun, als gäbe es den
Freien Willen.
2. Wie ich dir schon beim Freien Willen antwortete, halte
ich von den bisherigen Philosophen herzlich wenig. Das soll keine Arroganz sein.
Aber wenn zB ein Techniker ein Auto bauen will, wird er dazu auch nicht die
Herren Diesel oder Benz konsultieren. Und dass Herr Aristoteles, der Vertreter
einer Sklavenhaltergesellschaft von vor rund zweieinhalb tausend Jahren, uns
Wesentliches in Sachen Ethik erzählen kann, halte ich für ein Gerücht.
Jedenfalls teile ich zB seine Einschätzung von der Höherwertigkeit des Kriegers
gegenüber dem Arbeiter definitiv nicht. Und ökologische Probleme dürfte der Herr
auch nicht gekannt haben.
3. Ich kenne diese Prognosen über das
angebliche Abflachen der Kurve bei etwa 10 Milliarden Menschen. Doch das spielt
keine Rolle. Zweifelsfrei ist, dass die Erde nicht einmal in der Lage ist, die
jetzigen 6 Milliarden Menschen auf dem Level Deutschlands zu versorgen. Würden
die übrige Welt zB eine ähnliche Motorisierungsdichte wie die BRD haben, wäre
das bereits das ökologische Aus. Ferner vermute ich, es gäbe in Deutschland
Zoff, würde jemand dafür plädieren, den Lebensstandard auf ein
durchschnittliches Weltniveau abzusenken. Also, auf welchem Level sollen dann
die 10 Milliarden Menschen leben?
Du schreibst, China hat die
Einkinder-Ehe propagiert und durchgesetzt. Propagiert zum Teil ja (bei der
Han-Bevölkerung). Aber durchgesetzt? Mein Fischer-Almanach 2002 meint dazu:
China 1996: 1,215 Milliarden, 1998: 1,239 Milliarden Einwohner. Neuere Zahlen
habe ich leider nicht.
In der BRD machst du eine „recht starke
Bevölkerungsschrumpfung“ aus. Der web-Seite des Statistischen Bundesamt
Deutschland entnehme ich: Bevölkerungszahl (Inländer) 1998, 1. Quartal: 82038
Tausend; 2002, 4. Quartal: 82558 Tausend. Habe ich da was falsch abgelesen?
Bitte um Aufklärung.
Ferner würde mich sehr interessieren, in welchen
Schwellenländern ein Geburtenrückgang zu beobachten ist?
Weiter schreibst
du „eine Förderung (von Familien mit Kindern) gibt es nicht“. Das
sehe ich nicht so. Kindergeld, die diversen Abschreibungsmöglichkeiten beim
Häuserbau, die Zuwendungen für Beamten mit Kindern usw. halte ich für eine
Förderung von Familien mit Kindern. Was ist es sonst?
4. Albert
Schweitzer. Nicht so heftig! Es sind keine ökonomischen Bedenken, die ich habe,
ganz im Gegenteil: Ökonomisch gesehen ist die „Entwicklungshilfe“
für die Erste Welt ja insgesamt ein Gewinn.
Kurze Begründung:Die Menschen in
den Entwicklungsländern konnten, bevor die Europäer kamen, ohne
„Entwicklungshilfe“ über Tausende von Jahren leben. Warum? Weil sie
im Gleichgewicht mit der Natur lebten. Konkret: Wenn eine durchschnittliche
Afrikanerin 6 Kinder in die Welt setzte und davon 1 - 2 überlebten, dann blieb
die Bevölkerungszahl konstant, weil der Urwald genau die verbleibende Zahl an
Menschen ernähren konnte. So etwas nennt man einen Regelkreis.
Dann kam Herr
Schweitzer und verringerte zB die Kindersterblichkeit. Folge: Die Bevölkerung
nahm zu, der Urwald konnte sie aber nicht ernähren, also wurde er gerodet, um
neue Nahrungsproduktionen zu etablieren. Nun ist aber Urwaldboden in der Regel
ziemlich unfruchtbar, die Nahrung reichte nicht und die Bevölkerung musste in
die Großstädte abwandern. Klar, Herr Schweitzer handelte so, wie es seinem
christlichen Weltbild entsprach. Es entsprach aber leider nicht den Regeln der
Natur. Und die sind entscheidend.
Auf deine Antwort freut sich
HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul
am 01. Apr. 2003, 22:40 Uhr
hallo HP,
bitte bezeichne mich nicht als
5-Sterne-Philosoph, ich bin weder Philosoph, noch besser als irgend einer von
euch, vielleicht nur älter (60 Jahre). Es war halt ne Phase von
"Nachholbedürfnis" aus meiner Jugend mit viel Lerneffekt, dass ich soviel
geschrieben habe. Mache schon wieder den gleichen Fehler, dass ich zu viele
Themen auf einmal anspreche und dann nicht alles beantworten kann, deshalb
entschuldige meinen Telegrammstil:
zu 1)
Rote Ampel = Verkehrsregelung ist
kein primär ethisches Objekt, kann man unter Utilitarismus abhaken.
Verantwortung (Schuldfähigkeit) kann man doch nur übernehmen, wenn man von einer
Wahlfreiheit ausgeht. Das braucht gar nicht so furchtbar hochgehängt werden, da
auch das "gemeinnützige Verhalten" allgegenwärtiger und angeborener Bestandteil
unserer menschlichen Natur ist.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von paul am 01. Apr. 2003, 22:41 Uhr
Dies ist
keinesfalls ein menschliches Privileg, sondern in der Natur weit verbreitet. Die
Diskussion oder die Kontroversen über den "Restbestand" nicht angeborener
Verhaltensweisen in Richtung menschlicher Ethik betreffen vor allem die Größe
dieses Restbestandes, wobei die Größe 0 für mich eine nicht akzeptable
Extremposition darstellt. Die Religionen habe ich bewußt zunächst weggeschoben,
da sie IMHO die Entscheidungsfreiheit durch küchenrezeptartige Vorschriften für
nahezu alle Lebenslage doch erheblich einengen (die Gläubigen mögen bitte hier
einen Moment weghören, oder mir zumindest diese Formulierung verzeihen, ist
nicht böse gemeint, aber wie soll ich mich sonst verständlich machen?).
Um es
an einem Beispiel zu sagen:
Ich schätze die ethische Qualität ein und der
gleichen (beliebigen) altruistischen Handlung - ja, ja, das gibt es durchaus,
ist nichts soooo besonderes - bei einem nicht Gläubigen (Humanist?) höher ein,
da er keinen Gotteslohn erwartet.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von paul am 01. Apr. 2003, 22:42 Uhr
Juristen
Ich habe in meinem Leben soviel mit Juristen zu tun gehabt, dass ich hier glatt
das Gegenteil behaupte, Juristen sind geradezu stolz darauf Ethik zu ignorieren.
Vergiss bitte nicht, dass wir und nicht die Juristen, wir (schäbig genug)
vertreten durch das Parlament, die Gesetze machen, die Juristen eigentlich nur
anwenden sollten (wenn sie sich mal daran halten würden).
Sieh dir doch nur
mal einen der vielen lächerlichen Nachbarschaftskonflikte an.
Schaffst du es,
ihn ohne Jurist zu lösen bleibt er billiger und die Emotionen gehen nicht so
hoch. Setzt du einen Anwalt ein, wird es teurer u n d (besonders im Prozessfall)
wesentlich emotioneller. Juristen ersetzen hier den Revolver im Wilden Westen.
Also besser etwas Ethik, keine Juristen.
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 01. Apr. 2003, 22:44 Uhr
zu 2)
Warum das Rad neu erfinden? nur zu Aristoteles, lieber Freund:
Aristoteles formuliert keinen Normenkatalog wie Kant, das müßte dir doch liegen,
sondern er sieht die Verbindlichkeit von tugendhaftem Leben in der
Angemessenheit an das Wesen des Menschen, dem es gemäß ist, stehts die Mitte zu
halten zwischen den Extremen. Ziel ist nicht das Erkennen, sondern das Handeln
und es ist im gemäß, sich in seinen Handlungen von Verstand und Einsicht und
nicht von Emotionen leiten zu lassen. Er spricht von einem vernunftbegabten und
einem vernunftlosen Anteil unserer Seele und auch von dem Konfliktfall, bei dem
der letztere Teil der Vernuft entgegenwirkt und dann von ihr bezwungen werden
muß.
Scheint mir alles andere als unmodern.
Titel: Re: Ist Ethik
ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 01. Apr. 2003, 22:45 Uhr
zu 3)
geht mir eigentlich schon zu weit weg vom Thema siehe:
http://www.weltbevoelkerung.de/index.html
wird laufend aktualisiert, hier
müßten alle Antworten drinstehen, auch über Deutschland (-0,1% im Jahr)
http://www.weltbevoelkerung.de/infothek_db.html
die Nettozuwanderung von
Ausländern (größte in Westeuropa) verdeckt ein tatsächliches niedrigeres
"Wachstum", deshalb sind in den prognostizierten 67,7 Millionen im Jahre 2050
(ist gar nicht mehr so lange) etwa die Hälfte Ausländer,
siehst Du die
Problematik?
"Kinderförderung"
Dir scheint das BGH-Urteil über die
Lohnsteuer für Familien nicht bekannt zu sein:
Titel: Re: Ist
Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 01. Apr. 2003, 22:46 Uhr
Es hat auf Grund des Gleichheitsgebotes des Grundgesetzes verlangt, dass
bei der Bemessung des Lohn (Einkommens-) steuerbetrags ein Mindestfreibetrag für
jedes Familienmitglied entsprechend den Sozialhilfekriterien zu berücksichtigen
sei. Von diesem Ziel ist Deutschland weit entfernt, weiter als die meisten
Nachbarstaaten und das ist nur die Lohnsteuer.
Grob gerechnet sind darüber
hinaus ca. 50% der Staatseinnahmen indirekte Steuern, insbesondere die
Mehrwertsteuer, die man als konsumbezogene Kopfsteuer bezeichnen kann. Hier
zahlt also die 5-köpfige Familie im Prinzip das 5-fache an Steuern, wie der
Singl.
Das ist jedem Sozialpolitiker bekannt, die freundliche politische
Formulierung der "Familienhilfe" ist also mehr als Schönfärberei, gehört
eigentlich zur Allgemeinbildung.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von paul am 01. Apr. 2003, 22:47 Uhr
Was deine
Umweltbefürchtungen betrifft, sind es wirklich Befürchtungen, die durch Fakten
nicht zu decken sind im Gegenteil, ich weis wie weh es tut, liebgewordene
Vorstellungen in Frage zu stellen, die Umwelt erholt sich bereits seit etlichen
Jahren, die Satelittenbilder zeigen eine deutlich stärkere Grünfärbung der
nördlichen Erdhalbkugel (nur eines von vielen Fakten). Ich bin da wohl etwas
optimistischer als Du und die Entwicklungsländer werden mit Sicherheit nicht
alle Fehler unserer Vergangenheit wiederholen, sondern gleich mit dem PC
einsteigen.
zu 4)
Du pflegst ein beliebtes (egoistisches) Vorurteil,
natürlich ist in der Entwicklungspolitik (wenn man sie überhaupt früher so
nennen konnte) viel falsch gemacht worden, ich verweise nochmal auf die
WHO-Seiten, kann sie dir jetzt nicht alle raussuchen. Was sind für Dich denn
Regeln der Natur beim Menschen?
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von paul am 01. Apr. 2003, 22:49 Uhr
Schluß:
Leider hab ich zukünftig nicht genug Zeit, auf so viele Themen gleichzeitig zu
antworten. Muß ja noch ein liebes Wort für Linda übrig bleiben.
Gruß
Paul
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter
am 02. Apr. 2003, 05:58 Uhr
Das war ja ein kurzes Feuerwerk von paul.
Ich antworte aber trotzdem. Für die Verbliebenen in der Diskussionsrunde.
1. Da philosophische Begriffe nicht normiert sind, gilt für mich nach wie
vor, dass jede Handlungsweise nach ihrer moralischen Wertigkeit befragt werden
kann. Damit ist auch das Halten an der Ampel eine Frage der Moral.
Dass
die Juristen am Schuldbegriff festhalten, ist, denke ich, unbestritten. Über
deren moralische Qualitäten hier zu urteilen, steht mir nicht an. Generell gilt
für mich: Jeder Mensch hat eine Moral. Fragt sich nur, welche. Unmoralisch heißt
ja nur, der Betreffende vertritt eine andere Moral, die man selbst für falsch
hält.
2. Was ist ein „tugendhaftes Leben“? Wenn ich das
wüßte, würde ich hier nicht diskutieren.
3. Ich denke, Paul hat die
Abnahme der Bevölkerung mit der Abnahme der Geburten verwechselt. Es ist der
Umwelt aber egal, ob sie von einem Türken oder einem Deutschen zerstört wird.
67,7 Millionen Einwohner im Jahre 2050 in Deutschland. Wie schrecklich! Ich
weiß, jetzt kommt die Rentenleier. Aber wenn Deutschland zu blöde ist, sich ein
vernünftiges Rentensystem einfallen zu lassen, muss man das Bevölkerungswachstum
in einem der dichtest besiedelten Flächenstaaten dieser Erde nicht noch fördern.
Hätten sie das Schweizer Modell abgekupfert, wären wir diesbezüglich weiter.
Die Frage über das Maß an staatlicher Förderung in Deutschland überlasse ich
tatsächlich den Juristen. Noch einmal zur Begriffsklärung: Wenn in einem
5-Personenhaushalt die Verdienenden wie ein Single Steuern zahlen und es kein
Kindergeld gibt, dann verstehe ich darunter: Keine Unterstützung von Seiten des
Staates. Jede Steuerermäßigung und jede sonstige Zuwendung bezeichne ich als
eine Unterstützung. Dies alles völlig wertneutral.
Dass meine
Umweltbefürchtungen „durch die Fakten nicht zu decken sind“, fände
ich sehr erheiternd, wenn es nicht so traurig wäre. Aus der Grünfärbung von
Satellitenbildern auf eine intakte Umwelt zu schließen, ist geradezu
haarsträubend. Ein Maisfeld ist sicher grüner als ein Urwald. Aber kein Zeichen
einer intakten Umwelt. Und das Artensterben bilde ich mir wohl auch nur ein. Die
entsprechenden Artikel in der SPIEGEL-Serie: "Der Todeskampf der Tierwelt" sind
eine Fiktion. Die Welt als Wille und Vorstellung!
Solipsist, wie siehst
du das? Du bist doch Biologe, oder?
4. Natürlich wird die WHO die
rezenten Albert Schweitzers loben, aber die Problematik der Übertragung
westlicher Medizin auf die Entwicklungsländer ohne eine vernünftige
Familienpolitik ist nach wie vor nicht gelöst. Was das mit Egoismus zu tun hat,
weiß ich nicht.
Regeln der Natur gelten für alle Lebewesen. Es gibt
unzählige. Zum Beispiel, dass die Zerstörung von Regelkreisen katastrophale
Veränderungen hervorrufen. Siehe Beispiel Albert Schweitzer.
Nun denn,
Delfi, Eberhard, Solpisist und wer immer auch sonst noch Lust hat, lasst uns
weiter diskutieren.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Solipsist am 02. Apr. 2003, 12:21 Uhr
on
04/02/03 um 05:58:24, Hanspeter wrote:
Dass meine Umweltbefürchtungen "durch
die Fakten nicht zu decken" fände ich sehr erheiternd, wenn es nicht so traurig
wäre. Aus der Grünfärbung von Satellitenbildern auf eine intakte Umwelt zu
schließen, ist geradezu haarsträubend. Ein Maisfeld ist sicher grüner als ein
Urwald. Aber kein Zeichen einer intakten Umwelt. Und das Artensterben bilde ich
mir wohl auch nur ein. Die entsprechenden Artikel in der SPIEGEL-Serie: "Der
Todeskampf der Tierwelt" sind eine Fiktion. Die Welt als Wille und Vorstellung!
Hallo Hanspeter,
Es gibt wohl kaum noch Gebiete auf der Erde, die vom
Einfluss der Zivilisation der westlichen Welt verschont blieben.
"Natürliche
Ressourcen" sind heute zur Nutzbarmachung für den Menschen da.
Das geht so
weit, dass Rattenstämme gezüchtet werden, die vergleichbar einem technischen
Produkt ein Copyright haben.
In den 90ern des letzten Jahrhunders sind
Umweltbüros wie Pilze aus dem Boden geschossen, deren Projekte sich doch damit
befassen "künstliche Natur" zu produzieren.
Durch solche Etwicklungen
versucht doch der Mensch zu normieren, welche Manipulationen an der Umwelt als
legitimiert gelten und welche nicht.
Intakt ist die Umwelt also genau dann,
wenn man sich bei ihrer Auslöschung der Natur an die vorgegebenen Regeln hält.
Alzu schlimm ist das ganze wohl nicht, wenn man sich von der Vorstellung
einer vom Menschen unabhängigen Welt lösen
kann.
Gruss
Solipsist
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 03. Apr. 2003, 06:13 Uhr
Hallo Solipsist,
danke für deine Einschätzung. Dein letzter Satz allerdings: "Allzu schlimm
ist das Ganze wohl nicht, wenn man sich von der Vorstellung einer vom Menschen
unabhängigen Welt lösen kann." erscheint mir rätselhaft.
Gehen wir aber
davon aus, was verschiedene Umweltexperten glaubhaft gezeigt haben, dass selbst
die jetzige Weltbevölkerung nicht auf dem Niveau eines Lebensstandards der BRD
existieren kann. Bedenken wir weiterhin, dass der Verbrauch "Nicht
Regenerierbarer Lebensgüter" bedeutet, dass künftigen Generationen immer weniger
Ressourcen zur Verfügung stehen, stellt sich die Frage über die moralische
Wertigkeit einer Wirtschaft, die stets zu mehr Konsum aufruft.
Weiter
ist das "Albert-Schweitzer-Problem" noch ungeklärt. Ist es moralisch zu
verantworten, wenn der Westen medizinischen Fortschritt in die "Dritte Welt"
exportiert, ohne auch auf die notwendige Geburtenkontrolle zu achten? Wobei wir
uns allerdings stets im Klaren sein müssen, dass die Geburtenkontrolle in der
"Ersten Welt" viel wichtiger ist, schließlich verbraucht sie ja den Löwenanteil
der Ressourcen.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 03. Apr. 2003, 11:33 Uhr
HalloSolipsist, hallo Hanspeter!
1. Solipsist, Du hast eine längere
Passsage zur lebensphilosophischen Abgrenzung von Kant eingebracht, aber das
bringt uns in unserer Frage so wohl nicht weiter. Du müsstest die Sache noch
etwas zuspitzen und sagen, WELCHES Argument es ist, das wir berücksichtigen
sollten.
2. Ich hatte als geeigneten Ausgangspunkt zur Bestimmung
ethischer Normen die Frage formuliert: „Was können wir alle gemeinsam wollen
bzw. welche Normen können unser aller Anerkennung finden?“ Du hast Recht,
Solipsist, dass damit noch keine inhaltliche Bestimmung der ethischen Normen
erreicht ist.
Hanspeter hat – wahrscheinlich eher unfreiwillig - bereits
ein gutes Beispiel gegeben, inwiefern das Kriterium der allgemeinen
Konsensfähigkeit auf konkrete ethische Positionen anwendbar ist. Er schreibt:
„Wenn jemand auch nach reiflicher Überlegung sein persönliches Glück an die
oberste Stelle setzt, ist ein Konsens nicht möglich.“ Dies ist richtig und eben
deshalb scheidet z.B. eine solche Position als ungeeignet für eine
allgemeingültige Ethik aus. Ethische Normen, die sich nicht personunabhängig
formulieren lassen, sind nicht allgemein akzeptabel oder anerkennbar. Wenn
jemand formuliert: „Alle sollen so handeln, wie es dem Interesse von Person X
entspricht“, so gibt es keinen Grund, warum andere Personen als X dem zustimmen
sollten.
Damit haben wir bereits folgendes wichtiges ethisches Prinzip
gewonnen: Unter gleichen Umständen gelten für alle Individuen auch die gleichen
Rechte und Pflichten. Oder anders ausgedrückt: Es darf in der ethischen
Beurteilung von zwei gleichartigen Fällen kein Unterschied gemacht werden, nur
weil es sich dabei um verschiedene Personen handelt.
Daraus folgt unter
anderem: Wenn jemand in einer bestimmten Situation bestimmte für ihn gerade
vorteilhafte Normen vertritt, so schafft er damit einen „Präzedenzfall“, auf den
man sich ihm gegenüber berufen kann. Er muss deshalb diese Normen auch dann
gelten lassen, wenn die Rollen einmal „vertauscht“ sind und ein anderer die
Vorteile hätte. Will er den neuen Fall anders beurteilen, so muss er einen für
die ethische Beurteilung relevanten Unterschied zwischen beiden Fällen
aufzeigen.
In der Alltagssprache heißt dies, dass „nicht mit zweierlei
Maß gemessen werden darf“. Ein aktuelles Beispiel dazu: Wenn die Regierung der
USA den Irakkrieg damit rechtfertigt, dass dadurch ein Diktator beseitigt werden
soll, der über Massenvernichtungswaffen verfügt, so muss sie diese normative
Begründung nicht nur in Bezug auf den Irak sondern in Bezug auf alle Länder
gelten lassen. Damit hat sich die Regierung der USA jedoch auf zahlreiche
„Demokratisierungs- und Entwaffnungskriege“ festgelegt. Und wer will das?
Außerdem haben die Regierungen der USA und Großbritanniens mit der
eigenmächtigen Auslegung der Resolution 1441 des UN-Sicherheitsrates (der
Begriff „ernste Maßnahmen“ umfasse auch „Kriegführung“) einen weiteren
Präzedenzfall geschaffen, der für das Bemühen um eine internationale
Rechtsordnung katastrophal ist. Man muss sich nur vorstellen, dass andere
Staaten in Zukunft ebenso verfahren werden.
Dies ist besonders
problematisch, wenn von der Regierung der USA gleichzeitig der Aufbau einer
internationalen Gerichtsbarkeit nicht akzeptiert wird, die durch eine
verbindliche Auslegung solcher Resolutionen verhindern könnte, dass die Staaten
„Richter in eigener Sache“ sind.
Wenn jemand ethisch problematisch
handelt, so muss er sich demnach immer die Frage gefallen lassen: „Was wäre,
wenn alle so handeln würden, wie du?“ Wenn er nicht damit einverstanden ist,
dass sich auch alle andern „die Maxime seines Handelns“ zu eigen machen, so hat
er damit gezeigt, dass seine Handlungsweise nicht konsensfähig ist.
3. An Hanspeter habe ich noch folgende Fragen: Wenn Du neben dem Ziel der
Erhaltung der Menschheit noch weitere, davon logisch unabhängige Ziele zulässt,
so musst Du deren Allgemeinverbindlichkeit allgemein nachvollziehbar begründen.
Wenn ich Dich richtig verstehe, so willst Du Dich jedoch auf das eine Ziel
beschränken und nur solche Handlungsweisen normieren, die für den Fortbestand
der Menschheit relevant sind. Meinst Du mit „normierter Moral“ die staatlichen
Rechtsnormen oder solche moralischen Normen, die für alle verbindlich gelten
sollen?
Zum besseren Verständnis hätte ich auch gern Erläuterungen zu
dem, was Du mit „Hierarchie“ der Normen oder Ziele meinst, wenn Du z.B.
schreibst: „Für einen Christen ist die Arterhaltung als höchstes Ziel nicht
anerkennbar, wohl aber im hierarchischen Mittelfeld durchaus akzeptabel“.
Auf eine „konstruktive“ Kritik von Euch wartet Eberhard
Titel:
Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von pitan am 03. Apr. 2003,
12:15 Uhr
Hallo Eberhard,
dein Beitrag über ethische Prinzipien war
wirklich sehr gut, am besten fand ich die logischen-ethischen Argumente gegen
den dummen Irak-Krieg (ich werde deinen Wortlaut, von nun an, in allen
Diskussionen verwenden, wenn du erlaubst)
Trotzdem muß ich einwanden, dass
jede ethische Diskussion mir eine Gänsehaut verursacht.
Der Versuch eine
perfekte Welt zu errichten, in der das Leiden auf ein Minimum reduziert wird,
hat auch etwas Anmaßendes bis Boshaftes.
Jede allgemeingültige Regel wie etwa
"Du sollst nicht töten" wird im seinem Absolutismus zu einem Gehilfen des Bösen.
Was natürlich kein Freibrief dafür sein sollte, dass jeder machen kann, was er
will.
Nur ist genau dieser Widerspruch, meiner bescheidenen Meinung nach,
ohne eine Metaphysik, also ohne Glauben an eine höhere Welt oder höhere
Prinzipien nicht auflösbar.
Gruß
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 04. Apr. 2003, 02:09 Uhr
Hallo
Eberhard
Zu 2. habe ich nichts hinzuzufügen, insbesondere dein Urteil
über den Irak-Krieg ist schlüssig.
Zu 3. Beides. Jeder Staat erwartet,
dass die normierte Moral auch für den Einzelnen gilt. Zuwiderhandlungen bestraft
er üblicherweise. Im Prinzip ist dies wohl auch richtig. Nicht normierte Details
stehen natürlich zur freien Verfügung.
Zu 4. Zur Hierarchie der Normen.
Am besten ein Beispiel.
Für einen katholischen Christen ist es das
oberste Gebot, den Willen Gottes auszuführen. Was der Wille Gottes ist, steht in
der Bibel; bei Auslegungsfragen ist der Ratzinger-Katechismus zuständig. Danach
ist eine Familienplanung mit Abtreibung, Pille, Kondom usw. verboten. Selbst
wenn nun ein Kathole einsieht, dass eine übermäßige Vermehrung den Fortbestand
der Menschheit gefährdet (diese Einsicht ist nicht leicht), darf er sie mittels
dieser Methoden nicht verhindern. Wenn er aber einsieht, dass übermäßiger Konsum
über die Ressourcenvernichtung ebenfalls den Fortbestand der Menschheit
gefährdet (auch diese Einsicht ist nicht leicht), dann darf er ihn sehr wohl
verhindern. Für den Christen ist es also der Wille Gottes, dass der Vermehrung
keine Grenzen außer der sexuellen Enthaltsamkeit gesetzt sind; es ist aber
keineswegs der Wille Gottes, reichlich zu konsumieren. Er kann also
argumentieren, dass er zwecks Erhalt der Menschheit eine Förderung des
Wirtschaftswachstums ablehnt. Er kann aber nicht eine Begrenzung der
Fortpflanzung mittels Pille oder Kondom ablehnen.
Mit anderen Worten: Der
Wille Gotte steht in der Hierarchie an oberster Stelle. Der Erhalt der
Menschheit ist sehr wohl auch ein Ziel (ein Nebenziel oder Unterziel), doch im
Konfliktfall gilt das höhere Ziel.
Ein weiteres Beispiel: Die Frage, ob
es moralisch erlaubt ist, sich von einem Partner scheiden zu lassen, tangiert
den Erhalt der Menschheit nicht. Daher kann man in diesem zwischenmenschlichen
Bereich sehr wohl Normen nach bisher noch nicht definierten Kriterien erstellen,
solange sie nicht das oberste Ziel betreffen.
Ich hoffe immer noch, dass
du uns deine Meinung zur "Albert-Schweitzer-Problematik" sagst; sie interessiert
mich sehr!
Fröhliches Gären!
Gruß HP.
Titel: Re: Ist
Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 04. Apr. 2003, 08:31
Uhr
Hallo Hans-Peter [angry]
Es ist schon traurig mit ansehen zu
müssen, daß zugunsten irgendwelcher Argumentationstheorien oder der Lust am
Argumentiern jeglicher Sinn am Lebenssinn verloren geht. Ich bin Christin und
nichts von dem was Du über Christen gesagt hast ist wahr. Im übrigen ist es
gerade die kleinste Ebene, die Du als banal und für die Allgemeinheit als
unbedeutend darstellst, die überhaupt das gesamte Leben ausmacht. Ich verstehe
Deinen Einzelkonflikt, sich vom Einzelleben in seiner Bedeutung lösen zu wollen,
was bleibt Deinem Hirn auch anderes übrig, wenn es mit gegebenen Tatsachen
dahingehend fertig werden muß, als das die Ethik im kleinsten nicht den äußeren
Tatsachen entspricht, die sich somit im Großen aufzulösen scheint,
unberücksichtig ihres inneren Wertes, der erhalten bleibt und jegliche
Konfliktlösung so nur eine Momentsache ist, die sich im nächsten Moment jedoch
wieder explosionsartig im ethischen Bereich zum Fall des Widerspruches wird.
Grüsse, Lina
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von delfinium am 04. Apr. 2003, 11:12 Uhr
Hi HP,
du stelltest
anfangs fest, dass eine Moral immer ein bißchen auf ihren Gründer verweist.
Ich schwieg als ich bemerkte, dass mich die Frage, was für eine Persönlichkeit
diese Entwürfe produziert, mehr interessierte als die Ethik selbst. Psychologie
=Themaverfehlung (Aber was könnte Bernd dazu sagen! )
Du wirst um den
Einzelmenschen nicht herumkommen, alle Veränderung beginnt hier.
Das was uns
als menschliche Wesen verbindet ist die Tatsache, dass wir alle Glück anstreben
und Leid vermeiden wollen -
egal in welcher Lage wir uns befinden
(Land/Familienstand/Stellung/Geschlecht/Religion/etc.)
Wenn ich mir der
Verbundenheit mit allem Lebenden bewußt bin ("Ich bin Leben, dass leben will,
inmitten von Leben das leben will " Albert Schweitzer ), erkenne ich das Recht
auch der Anderen dazu an und bemühe mich mitfühlend, verantwortungsbewußt zu
leben.
Wenn es uns als Menschen nicht gelingt, zu menschlichem Verhalten und
einem sinnerfüllten Leben zurückzufinden,
wird es auch nichts nutzen 'von
oben' die Menschheit zu erhalten.
Mich erinnert das an unser heimisches
Theater. Es soll geschlossen werden und die Städter,
(die es zu wenig
nutzten) laufen Amok. Ich kenne den Filz von innen und ich denke, dass eine
Schliessung nur gut sein kann, um dann neu zu bestimmen wie Kultur hier aussehen
soll.
Nochmal die Frage, auf die du letztens herablassend ironisch eine
Karikatur bürgerlichen Lebens formuliertest:
Was für eine Welt wäre das?
Streng geregelt, überwacht, Fortpflanzung nur noch Auserwählten gestattet?
Fühlte es sich gut an in ihr zu leben, würde HomoSapiens artgemäß gehalten?
das wars,
ann
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 05. Apr. 2003, 01:35 Uhr
Hallo Sheelina,
nimm bitte zur Kenntnis, dass es auch Nichtchristen gibt, die über Moral
anders denken als du. Über sachliche Argumente freue ich mich. Wenn dich das
Lesen dieser Überlegungen aber nur traurig stimmt, empfehle ich, sie nicht zu
lesen.
Was ich über das Christentum gesagt habe, kann ich anhand von
Bibelzitaten, Auszügen aus dem Ratzinger-Katechismus oder anderer Literatur
belegen. Habe mich lange genug damit beschäftigt. Wobei ich mich primär auf die
katholische Kirche konzentriere, weil sie ihre Aussagen klar definiert. Über die
Evangelen rede ich nicht, da ihre Aussagen schwer zu fassen sind. Schließlich
ist ja jeder evangelische Theologe sein eigener Papst.
Tschüss!
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter
am 05. Apr. 2003, 01:37 Uhr
Hallo delfi,
du schreibst am Schluss
deines Artikels: „Was für eine Welt wäre das? Streng geregelt, überwacht,
Fortpflanzung nur noch Auserwählten gestattet?“ Ist das nicht eine
Unterstellung? Habe ich das irgendwo als wünschenswert beschrieben? Ich wäre ja
schon zufrieden, wenn Politiker und Teile der Medien endlich aufhören würden,
das Gespenst des „Aussterbens der Deutschen“ an die Wand zu malen
und zu diskutieren, dass Kinderlose mehr Steuern zahlen sollen, wenn Frauen, die
abtreiben wollen, das problemlos durchführen können und wenn man auf die
Problematik der Überbevölkerung öffentlich hinweisen würde.
Ferner
schreibst du: „...dass wir alle Glück anstreben und Leid vermeiden
wollen.“ Wenn es nicht mehr ist, würde ich das als blanken Egoismus
bezeichnen. Doch du meinst es wohl nicht so, denn du sagst ja, du möchtest
verantwortungsbewusst leben. Das ehrt dich, so sehe ich das auch. Aber solange
es nicht einmal einen Hinweis darauf gibt, dass die Welt 6 Milliarden Menschen
ein Leben bieten kann, wie du und ich es wünschen, bleibe ich dabei, dass es
unverantwortlich ist, mehr als zwei Kinder in die Welt zu setzen.
Gruß
HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von
Sheelina am 05. Apr. 2003, 07:11 Uhr
Hallo HP,
ich bleibe bei
meiner Meinung. Ach ja, und müssen muß ich gar nichts und Deine Interpretation
bez. meines Gemützustandes ist 1. ebenfalls falsch und zweitens folglich nicht
tauglich. Selbst wenn ich traurig dabei werden würde, würde es Dich in keinster
Weise etwas angehen, ob ich es trotzdem lese oder nicht, es sei denn Du hast
einen guten Grund, der mich davon abhalten möchte nicht traurig zu werden. Hast
du einen? Du argumentierst nur um des Argumentierens willens, bringst Argumente
ein, die ansich nur ein willkürliches Heraussuchen von Wissen ist, um vielleicht
Deine Antichristliche Haltung zum Ausdruck zu bringen. Wenn Du die Dinge so
übernimmst, wie sie irgendwo stehen und Du sie für Deine Argumentationen
benutzt, mußt Du Dir auch gefallen lassen, daß ich meine empfundene Falschheit
Dir in die Schuhe schiebe und nicht dem Urheber der Informationen.
Wenn dies
aber eine Ethikdiskussion sein soll, muß Du schon selbst zu Deinen Beispielen im
Bezug hierzu Stellung nehmen können, will heißen, Du kannst nicht erwarten, daß
jemand eine pro/contra Diskussion über den Katholizismus oder das Christentum
hier mit Dir führt. Von daher sind Deine Einwände, daß ich sachliche Argumente
für meinen Einwurf bringen soll ebenfalls fehl am Platze. An anderer Stelle
ggfls. gerne.
verbleibe freundlichst
Lina
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 06.
Apr. 2003, 00:16 Uhr
Hallo Sheelina,
Ehrlich gesagt, Deine
Angriffe gegen Hanspeter finde ich nicht ganz fair (…eine moralische Wertung!).
Du schreibst an Hanspeter: „Ich bin Christin und nichts von dem was Du über
Christen gesagt hast ist wahr.“
Hanspeter schrieb: „Für einen
katholischen Christen ist es das oberste Gebot, den Willen Gottes auszuführen.
Ist das nicht wahr?
Außerdem bringt es nichts Gutes, dem andern
zweifelhafte Motive zu unterstellen.
Du schreibst an Hanspeter.: „Du
argumentierst nur um des Argumentierens willens.“
Was sollen solche
negativen Unterstellungen, die Du nicht belegen kannst und die Hanspeter nicht
widerlegen kann?
Auch wenn uns die Position, die jemand vertritt, gegen
den Strich geht, sollten wir die Regeln einer fairen Diskussion einhalten. Dazu
gehört meiner Meinung nach, dass man bei der Wahrheit bleibt, sich vor
pauschalen Rundumschlägen hütet und auf Mittel wie die Unterstellung
zweifelhafter Motive verzichtet.
Einverstanden? So oder so, sei gegrüßt
von Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 06. Apr. 2003, 09:05 Uhr
Hallo Eberhard,
was willst Du denn? Ich kann mich noch an Deine Einsteigerdisussion erinnern,
die übrigens mit mir stattgefunden hat. Nach 2,3 Beiträgen hast Du die
Diskussion ohne Abschluß, noch nicht mal ohne ohne Abschluß abgebrochen. Mich
einfach mit meinen offenen Fragen stehen lassen. Nennst Du das moralisches
Verhalten?
MfG
Lina [cool]
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 06. Apr. 2003, 09:48 Uhr
Hallo
Eberhard,
vielen Dank für deine letzte Antwort. Ignorieren wir die
Querschüsse und lassen wir uns das Thema nicht kaputt machen.
Zur Sache.
Darf ich dich an meine Antwort vom 4.4. 2:09 erinnern. Setzen wir hier unseren
Dialog fort. Ich hätte sehr gerne deine Ansichten dazu gehört.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am
06. Apr. 2003, 10:27 Uhr
[spin] [sun]
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 06. Apr. 2003, 17:38 Uhr
Hallo Pitan,
wenn ich Dich richtig verstanden habe, besteht für Dich
das Dilemma, dass man einerseits keine Handlungsregeln aufstellen kann, die
unter allen Bedingungen gültig sind, aber dass man andererseits auch nicht auf
verbindliche Handlungsregeln verzichten kann.
Dies Dilemma scheint Dir
nur durch den Glauben an eine höhere Welt auflösbar.
Bevor ich die
letztere Konsequenz ziehe, möchte ich doch noch einmal versuchen, das Dilemma
aufzulösen.
Du hast Recht, wenn Du darauf hinweist, dass sich keine
Handlungen formulieren lassen, die unter allen möglichen Bedingungen geboten
oder verboten sein sollten. Redensarten wie „Ausnahmen bestimmen die Regel“ oder
„Keine Regel ohne Ausnahmen“ gelten sogar für Handlungen wie das Töten von
Menschen.
Wie kann man das Problem lösen oder zumindest entschärfen?
Eine Möglichkeit besteht darin, dass man die Norm „Du sollst nicht töten!“
durch die Angabe von Bedingungen präzisiert. Ich schlage vor, mal über den
Tellerrand der Philosophie zu gucken und nachzusehen, wie z.B.
Rechtswissenschaftler das Problem angehen.
In den §§ 212 bis 222 unseres
Strafgesetzbuches wird zwischen verschiedenen Umständen der Tötung
unterschieden, vom Mord über Totschlag, Tötung auf Verlangen,
Schwangerschaftsabbruch, Völkermord und Aussetzung bis hin zur fahrlässigen
Tötung.
Solche Normen, die spezielle Anwendungsbedingungen enthalten,
eignen sich schon sehr viel besser für eine ausnahmslose Anwendung. Trotzdem
erkenne ich an, dass damit das Problem nicht völlig beseitigt werden kann. Jeder
Fall liegt anders und wir wissen heute noch nicht, welche völlig neuartigen
Situationen sich zukünftig einmal ergeben werden.
Aber deshalb hat der
Gesetzgeber ja die Möglichkeit, Gesetze neu zu fassen und für neu aufgetretene
Fälle besondere Normen zu formulieren, wobei durch Auslegungsgrundsätze wie „Die
speziellere Norm hat Vorrang vor der allgemeineren Norm“ mögliche Widersprüche
zwischen den alten und neuen Gesetzen aufgelöst werden können.
Allerdings wird das Gesetzbuch durch die Einbeziehung der Anwendungsbedingungen
und durch die Hinzufügung von Ausnahmen nicht gerade dünner und übersichtlicher,
weshalb der Spezifizierung von dorther Grenzen gesetzt sind.
Außerdem
wird die Norm von Richtern angewandt, die für den jeweiligen Einzelfall die
Anwendbarkeit der Norm zu prüfen haben. Aus den Urteilen der höheren Gerichte
ergeben sich dann weitere Spezifizierungen der Norm, die in Kommentaren zum
Strafgesetzbuch zusammengefasst werden.
Außerdem formuliert das
Strafgesetzbuch in seinem vorderen Teil Voraussetzungen der Strafbarkeit, die
für alle Delikte gelten. So ist eine Handlung, die die den Tatbestand der
Körperverletzung erfüllt, trotzdem dann nicht rechtswidrig, wenn diese Handlung
erforderlich war, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich und
anderen abzuwehren.
Nach meiner Einschätzung lassen sich auf diese Weise
Normen bestimmen, die dauerhaft gelten können, ohne dass man in den Fehler einer
Absolutsetzung bestimmter Regeln verfallen muss.
Wäre das auch für Dich
ein gangbarer Weg? Gruß Eberhard
p.s. Ich komme auf Deine Frage zurück,
Hanspeter.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von
Sheelina am 06. Apr. 2003, 19:42 Uhr
Abgesehen davon, kann ich auch
nichts dafür, wenn sehr gute Argumente (und das waren meine) aus Symphatie oder
Antipathiegründen nicht als gültig anerkannt werden. Und Eberhard setzt mir
wieder Prämissen vor, die ich vorher in diesem Diskussionsrahmen für begründet
nicht sinnvoll hielt. Soll ich mich jetzt um des Verständnisses wegen, selbst
widerlegen?
Und da mein nächster Einwurf an Eberhard keine
Berücksichtigung mehr fand, welchen ich aus dem Leben herausgegriffen sah, hat
sich meine These, daß diese Diskussion nur um des Argumentationswillens geführt
wird bestätigt, zudem noch der Verdacht erhärtet, daß sie am Leben vorbeigeht,
es sei denn, das Leben von Euch ist so: [nospeak] [nohear] [nosee]
Grüsse, Lina
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag
von delfinium am 07. Apr. 2003, 08:43 Uhr
sheelina,
geht es denn in
der Philosphie um das Lösen praktischer Probleme? Ich hatte den Eindruck, die
Freude am Herumargumentieren sei bereits das Ziel, nein?
@ hansp.
Leid
vermeiden/Glück anstreben mag egoistisch klingen, aber scheint mir realistisch
die Ausgangslage aller Menschen zu sein. (deine nicht?)
Dass das Glück des
Einzelnen nicht das Leid des Andern sein darf
und die Hinwendung zum Andern
wiederum Glück bedeuten kann...wenn ich die Andern zu dieser Erkenntnis bringen
könnte wäre moralisches Verhalten vorprogrammiert!?
Titel: Re: Ist
Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 07. Apr. 2003, 10:50
Uhr
Hallo Sheelina,
Du bist der Meinung, dass unsere Diskussion zur
Bestimmung allgemeingültiger ethischer Regeln „am Leben vorbeigeht“. Und Du
wiederholst den Verdacht, hier würde nur argumentiert um des Argumentieren
willens. Ich bin da anderer Meinung: Wenn es der Menschheit nicht gelingt,
Handlungsnormen aufzustellen und durchzusetzen, die „allgemein“ (= „von allen
gemeinsam“) akzeptiert werden können, dann müssen Konflikte weiterhin
gewalttätig und kriegerisch gelöst werden. Es steht meiner Ansicht nach deshalb
viel auf dem Spiel, und es geht hier nicht nur um „l’art pour l’art“ im
wissenschaftlichen Elfenbeinturm.
Da es uns um einen Fortschritt in der
Beantwortung der gestellten Frage geht, kommt es vor allem auf die Tauglichkeit
der eingebrachten Argumente an. Man mag es bedauern, aber für unterhaltsames
„talken“ oder „chatten“ bleibt da wenig Platz. Und wenn man keine gemeinsame
Sprache findet, sollte man das Gespräch beenden. Wenn ich das einmal ohne
Begründung getan haben sollte, so bitte ich das zu entschuldigen.
Ansonsten wünsche ich mir für diese Diskussion Beiträge, die sich um die
Beantwortung der gestellten Frage bemühen, und ich selber werde mich ebenfalls
auf dieses sachliche Ziel konzentrieren.
Alles Gute für Dich Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard
am 07. Apr. 2003, 21:31 Uhr
Hallo Hanspeter,
Wir machen weiter!
Du stellst die Frage: „Ist es moralisch zu verantworten, wenn der Westen
medizinischen Fortschritt in die ‚Dritte Welt’ exportiert, ohne auch auf die
notwendige Geburtenkontrolle zu achten?“ Du verneinst die Frage, weil durch
medizinischen Fortschritt die Kindersterblichkeit verringert wird und dies
wiederum zum Anwachsen der Bevölkerung führt. Jedes Anwachsen der
Bevölkerungszahlen gefährdet jedoch den Fortbestand der Menschheit, da die
Ressourcen auf der Erde begrenzt sind und bereits jetzt die Ressourcen nicht
ausreichen, um die Weltbevölkerung auf dem Standard der Deutschen zu versorgen.
Von dieser entwicklungspolitischen Frage relativ unabhängig ist die Frage zu
beantworten, wie man die Person Albert Schweitzers und seine Tätigkeit in
Lambarene beurteilt. Als Albert Schweitzer 1913 zum ersten Mal nach Lambarene
ging, um Leprakranke zu behandeln, war von Problemen wie „Zerstörung des
Regenwaldes“ und „Bevölkerungsexplosion“ noch nicht die Rede. Auch wenn ich
seine religiösen Überzeugungen nicht teile, kann ich dem Menschen Albert
Schweitzer meine moralische Anerkennung nicht versagen, denn er hat viele
Tausend Menschen vor einem elenden Siechtum bewahrt und dafür auf eine
gesicherte Karriere in Europa verzichtet.
Im übrigen kann man in Bezug auf
die schwarz-afrikanischen Länder nicht von einer Überbevölkerung reden. So hat
Gabun heute – trotz Lambarene – nicht mehr als 1,2 Millionen Einwohner. Ich
würde das Problem, das Du meinst, deshalb nicht „Albert Schweitzer – Problem“
nennen.
Nun zur Entwicklungspolitik. Wir sind uns einig, dass das rapide
Anwachsen der Weltbevölkerung nicht ungebremst weitergehen sollte, weil das
Raumschiff Erde nur begrenzt Lebensmittel bereitstellen kann. Es gibt dabei
einmal das Problem des Verbrauchs nicht erneuerbarer Güter wie z.B. Erdöl.
Gefährlicher noch ist jedoch die Zerstörung derjenigen Lebensbedingungen, die
das Raumschiff Erde erst bewohnbar machen, wie die Ozonschicht, die vor der
Krebs erzeugenden ultravioletten Strahlung schützt, Beide Problembereiche –
Verknappung der Ressourcen und Zerstörung von Lebensbedingungen – werden jedoch
nicht nur davon beeinflusst, wie viele Menschen leben, sondern auch davon, WIE
sie leben.
Wir sind uns weiterhin einig, dass durch eine Verbesserung
der medizinischen Versorgung in Ländern der 3. Welt die Sterberate herabgesetzt
wird und dadurch die Bevölkerung zahlenmäßig wächst. Insofern hat die
medizinische Entwicklungshilfe unerwünschte Nebenfolgen. Diese unerwünschte
Nebenfolgen sollten bedacht werden und durch „flankierende Maßnahmen“ wie der
Ermöglichung von Empfängnisverhütung ausgeschaltet werden.
Ich halte es
jedoch für ethisch nicht gerechtfertigt, wegen dieser Nebenfolgen die
Einstellung der medizinischen Hilfe zu fordern. Ich sehe dafür keine allgemein
akzeptablen Argumente. Soll ich dem Mann aus Gabun sagen: „Du bekommst keine
Pockenimpfung weil Du dann länger lebst, womöglich Kinder zeugst und damit die
Weltbevölkerung vergrößerst“? Wie siehst Du das? Gruß Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 08.
Apr. 2003, 04:15 Uhr
Hallo Delfi,
vieles spricht dafür, dass es
in deinem Leben irgendwelche dramatischen Ereignisse gab, die dir viel Leid
zufügten. Das ist zweifellos sehr bedauerlich, doch ist eine Lösung nur unter
Berücksichtigung der persönlichen Umstände möglich.
Das Vermeiden von Leid
als Basis einer Moral funktioniert grundsätzlich nicht, weil Leid etwas
Subjektives und individuell Unterschiedliches ist. Noch einmal zwei Beispiele
aus einem schier unendlichen Fundus: Wird die Abtreibung erlaubt, leiden die
Personen, für die Abtreibung Mord ist. Wird die Abtreibung verboten, leiden die
Personen, die einen sexuellen Fehltritt korrigiert haben möchten. Oder, wird am
Arbeitsplatz das Rauchen erlaubt, leidet der Nichtraucher, wird das Rauchen
verboten, leidet der Raucher.
Natürlich wird man in einem allgemein gültigen
moralischen System versuchen, das Leiden der Menschen zu minimieren. Aber man
kann es nicht generell ausschließen. Daher kann grundsätzlich Verhindern von
Leiden nicht das oberste Ziel sein, weil man in einem moralischen System nur
Handlungen vorschreiben oder verbieten kann, nicht aber deren psychische
Konsequenzen für jeden Einzelnen.
Gruß HP
Titel: Re: Ist
Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 08. Apr. 2003,
04:23 Uhr
Hallo Eberhard,
Zu Albert Schweitzer. Er handelte
richtig aus seiner Sicht der Dinge und seiner Zeit; ökologische Probleme kannte
er nicht. Mein, zugegeben etwas scharf formulierter Begriff, richtet sich
vielmehr gegen seine Nachfolger. Aber ich gebe dir Recht, verzichten wir auf
ihn.
Deine weiteren Analysen des Problems teile ich, bleibt nur noch der
Knackpunkt: Wie halten wir es mit der 3. Welt?
Das Problem ist, dass hier
nur Paketlösungen helfen. Ich würde also dem Mann aus Gabun sagen: "Du bekommst
die Pockenimpfung, aber da du bereits 2 Kinder in die Welt gesetzt hast, musst
du mit einer Sterilisation einverstanden sein." Allgemein gesprochen, man muss
medizinischen Fortschritt mit Geburtenkontrolle koppeln. Wenn aber eine
Gesellschaft Geburtenkontrolle als Eingriff in ihre kulturelle Tradition
ablehnt, müssen sie eben auch mit ihrer traditionellen Medizin vorliebnehmen.
Letztendlich funktioniert es nicht, aus einem System nur die Rosinen
herauszupicken. Es bedarf eines Kompromisses aus Wirkung und Nebenwirkung.
Dieses wird leider bei sehr vielen Projekten in der 3. Welt nicht bedacht.
Die Sache hat aber noch eine ganz andere Konsequenz - du deutetest es schon
an. Unser Wirtschaftssystem basiert ja wesentlich darauf, aus der 3. Welt
billige Rohstoffe zu beziehen, um sie sowohl für uns zu verwenden, als auch die
daraus resultieren Produkte teuer wieder in die 3. Welt zu verkaufen. Wir haben
uns damit auch in eine gewisse Abhängigkeit von dieser begeben. Wenn also der
Mann aus Gabun sagt: "Du bekommst unser Öl nur dann, wenn du uns medizinische
Hilfe gewährst", dann wird man gewähren müssen, egal mit welchen Konsequenzen.
Es sei denn, man schlägt ihm eins über die Rübe und holt sich das Öl trotzdem.
Aber das halten wir üblicherweise für moralisch falsch.
Somit wäre es auch
die Aufgabe der 1. Welt, ihr Konsumverhalten grundsätzlich zu ändern. Denn eines
ist klar. Die maximale Zahl der Menschen, die auf dieser Erde jetzt leben und in
Zukunft leben können, wird durch die von ihnen benötigen, nicht erneuerbaren
Rohstoffen bestimmt. Wobei letztlich das schwächste Glied entscheidend ist.
Sicher kann man den einen oder anderen Rohstoff kompensieren, aber meist nur zu
höheren Kosten, was zur Folge hat, dass die Schere zwischen Arm und Reich sich
noch mehr öffnet.
Also muss eine Moral, die den Erhalt der Menschheit zum
Ziel hat, nicht nur die Bevölkerungszahl senken, sondern auch den Lebensstandard
bzw. die Lebensgewohnheiten der Wohlhabenden. Und das ist eine noch härtere
Nuss.
Wie siehst du das?
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 08. Apr. 2003, 04:26 Uhr
Gruß
Hanspeter, ganz vergessen!
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von delfinium am 08. Apr. 2003, 09:38 Uhr
hallo
Männer,
Es scheint, das ich mich nicht verständlich machen kann. Aber danke
für die Geduld.
Nein, das meinte ich natürlich nicht. Leid gehört zum Leben.
(Habe in meinem nicht mehr als die übliche Dosis erlebt...Psychologie lassen
wir doch raus? )
Bevor es eine allgemeingültige Moral gibt, ist abzuschätzen
wem man sie überstülpt:
Glück anstreben/Leid vermeiden sind nicht die Moral,
sondern das was uns als Menschen weltweit antreibt. Vielleicht ist es dir nicht
global genug, aber nach meiner furchtbar pragmatischen Denkweise (und
politischen Erfahrung) hängt die Welt vom Einzelnen ab.(Nein, ich finde die
Erkenntnis auch nicht sehr ermutigend, wenn ich mir meine Mitmenschen so
betrachte, aber es ist so)
Die Frage wäre für mich: wie kriege ich sie dazu
zu begreifen, dass alle Menschen von demselben Wunsch erfüllt und als lebendige
Wesen verbunden sind. Die Erkenntnis impliziert, dass mein Glück nicht das Leid
eines Andern sein darf, (konkreter als HP das verstanden hatte)
dass der
Einzelne bei jeder Entscheidung abzuwägen hat.
Bei Abtreibung bedeutete das:
Ich füge dem Kind schlimmstes Leiden zu, dem Vater vielleicht auch...sollte mein
Leben nicht ernsthaft in Gefahr sein, habe ich zu aktzeptieren, dass es wieder
einen Weltzerstörer mehr geben wird. (Und gefälligst einzusehen, dass es fürs
Kinderverhindern zu spät ist, wenn das Kind schon im Entstehen ist,
verdammt(sorry)
Dem Gabunesen wäre zu helfen, wenn seine Regierung dafür
sorgte, dass er im Alter sich auch ohne Riesenkinderschar versorgt wüßte.
Das es hier wie überall Grenzfälle gibt und Fehlentscheidungen ist logisch.
Diese Welt mir aber vorzustellen, mit mehr Menschen mit verinnerlichtem Gefühl
der Verantwortung füreinander und der Verbundenheit miteinander, gefällt mir
sehr viel besser als eure von 'oben' gesetzlich gerettete Erde mit in Zaum
gehaltener Menschheit. (Wer kontrolliert übrigens deine Moralkontrolleure
...das ist immer eine entscheidene Frage.)
Ich bin mir bewußt, das dies hier
merkwürdig abgehoben auf eure Strukturen wirken muß.
Aber ich bin überzeugt,
das Veränderung nur so funktioniert. Es kann durchaus sein, dass wir uns vor
Erreichung einiger Ziele zerstören, weil es einfach lange dauert.
Es hilft
aber nix, wir müssen menschlich bleiben, sonst lohnt unsere Erhaltung nicht.
"Der Weise macht sich keine Sorgen um sein eigenes Leben;
sondern er macht
sich die Bedürfnisse der Menschen zu eigen.
Ich bin gut zu denen, die gut
sind,
aber ich bin auch gut zu denen, die nicht gut sind,
DENN SO
VERMEHRE ICH DIE GÜTE."
LaoTse 'tao-te-king'
Darauf kommts an.
Aber
Eberhard sagte es, ich denke ganz anders als ihr und will woanders hin...
da
fehlt die gemeinsame Sprache!
Ich wünsche euch viel Erfolg!
Tschüss
delfi [smiley=wavey.gif]
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 08. Apr. 2003, 15:15 Uhr
Hallo
delfi,
du schreibst "die Welt hängt vom Einzelnen ab". Ja, von Herrn Bush
wohl, von mir nicht.....
Ach, du hast dich ja schon endgültig von der
Diskussion verabschiedet. Schade. Aber es stimmt wohl, uns fehlt die gemeinsame
Sprache, weil es keinen gemeinsamen Denkhorizont gibt.
Vielleicht hat Loriot
doch Recht, wenn er sagt: "Männer und Frauen passen einfach nicht zueinander."
Vermutlich auch nicht im Denken.
Alles Gute, HP
Titel: Re: Ist
Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 08. Apr. 2003,
19:40 Uhr
Hallo Hans Peter -
danke für die Einladung, ich habe
jetzt nicht alle Beiträge gelesen, und schreibe mir das von der Seele, was ich
mir bis hierher so denke.
Kennt ihr Beiden - Eberhard und du das Buch
"Balance oder Zerstörung" von Radermacher? Er setzt sich sehr gut mit diesen
Problemen auseinander, Fazit ist, dass es an der Zeit ist für jeden Einzelnen
umzudenken und wie Fromm in seinem Buch "Haben und Sein" darlegt, zu agieren.
Mit Ethik, das heißt Normen oder Gesetzen allein, auch wenn sie für die
ganze Welt Gültigkeit haben sollten, kann ich keine Änderung erzielen, das sind
die Schwachpunkte - die Interpretation wird immer dem Individuum entsprechen,
und kann auch nicht mit Waffengewalt einem anderen Verständnis zugeordnet
werden. Einzig Toleranz und ein gemeinsames Ziel können zu einem gemeinsamen
Verständnis führen.
Meiner Meinung ermüßigt sich die Frage nach einer
Geburtenkontrolle bzw. med.Versorgung wenn sie darauf ausgerichtet ist, dass es
so wenig wie möglich Aussereuropäische geben sollte. Was berechtigt euch zu
dieser Annahme? Oder habe ich da was falsch mitgekriegt?
Klärt mich auf
wo eure Ansatzpunkte liegen im Erhalt einer lebenswerten Welt und Gesellschaft,
oder einem cleenen Europa?!
Bis dann!
Margarete
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von
Sheelina am 08. Apr. 2003, 20:55 Uhr
Hallo Eberhard,
nur noch
kurz eine Erklärung. Sicherlich habe ich sachliche Argumente, ich bitte
allerdings um Verständnis, daß ich zu dem Thema Überbevölkerung derzeit keine
allzugroßen Aussagen machen möchte. Die Überlegungen die ich bis jetzt dazu
geführt haben endeten meist ziemlich traurig, wenn nicht gar dramatisch. Ich
hoffe, daß jetzt nicht näher ausführen zu müssen, hoffe aber auch, daß Ihr
vielleicht noch andere Möglichkeiten seht, die auch in der Durchführung
realisierbar sind.
Was unseren kurzen Dialog betrifft (zu Deinem
Einstieg, der in Dir den Eindruck vermittelt hat, als wenn wir uns nicht
verstehen, bzw. andere Sprachen sprechen würden), hat mir einiges deutlich
gemacht, und war für mich (wenn auch nicht für Dich), nicht unfruchtbar.
Allerdings hatte ich noch die dritte Möglichkeit im Kopf, die ich allerdings von
Dir erwartet hatte, und ich nicht in die Leere noch eine Möglichkeit drauf
setzen wollte.
Was das Thema Verständigung zwischen Mann und Frau angeht,
finde ich, ist dieses bereits als Vorurteil überholt, nicht zuletzt meiner
vorangehenden Frauengeneration zu verdanken. Aber auch in dem Bereich Frauen-
und Männerrollen gibt es weiterhin enormen Klärungsbedarf, gerade auch im
öffentlichen Leben, wie Berufsleben etc.
Doch noch kurz zu dem Thema, ich
werde es interessiert verfolgen, ist zu berücksichtigen, daß die Mentalität der
Menschen in der dritten Welt eine andere bez. etw. Moralvorstellungen ist.
Vielleicht gilt es die erstmal zu verstehen. Empfinden die Frauen dort dieselbe
Trauer, wenn ihnen ein Kind stirbt? Wie ist die Einstellung beider Geschlechter
zum Liebesakt? Wie sehen sie sich innerhalb des Familiengefüges? Und so weiter,
als grundlegende ethische Fragen, denn ein "von oben herabs" befehlen und
anordnen ist die Menschen behandeln, als wenn sie in ihrem ethischen Dasein wie
Hunde wären, was natürlich auch eine Möglichkeit wäre, denn diese
Begrifflichkeit zu verwenden, ist vielleicht nur in europäischen Ländern als
deskriminierend zu sehen? Ob so oder so, können wir unsere Moralvorstellung, die
sich in Jahren entwickelte, nicht so mir nichts dir nichts einführen. Ich bin
aber auch nicht derart auf dem neuesten Stand, als daß ich die derzeitige
Entwicklungshilfe auf einen moralischen Stand sehen könnte.
in Frieden
Lina
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von
Hanspeter am 09. Apr. 2003, 04:20 Uhr
Hallo margarete,
ich liebe
es, nummeriert zu antworten, ist halt so meine Art.
1. Du musst die
leider die Mühe machen, die 5 Seiten, die bisher zu dem Thema entstanden sind,
zu lesen. Eine Zusammenfassung schaffe ich jetzt nicht. Aber 5 Seiten machst du
doch mit links.
2. Herrn Radermacher kenne ich nicht. Grundsätzlich
interessiert mich: "Was ist der Fall", und nicht so sehr, "wer hat das als
erster gedacht". Erzähl uns also, was du zu einem konkreten Punkt zu sagen hast,
egal, ob es deine oder des Herrn Radermacher Meinung ist.
3. Niemand hat
behauptet, dass es unser Ziel ist, die "Außereuropäischen" zu beseitigen. Ich
habe stets eine allgemeine Geburtenkontrolle gefordert, wobei die der Ersten
Welt sogar noch Priorität hat, wegen deren besonders hohen Ressourcenverbrauchs.
Übrigens, damit du hier durch andere Beiträge keinen falschen Eindruck
bekommst. Wenn man zu einer Sache nichts zu sagen hat, muss man das weder
mitteilen, noch sich dafür entschuldigen, es genügt, nichts zu sagen.
4.
Mir geht es zunächst darum, eine Moral zu entwickeln, die so strukturiert ist,
dass sie allgemeine Gültigkeit haben könnte. Die Frage der Umsetzung stellt sich
erst später. Also erst das Produkt, dann das Marketing. Ich denke, es ist Usus
bei den Philosophen, sich erst zu fragen: "Was ist wahr", und dann, "wie bringe
ich meine Wahrheit an den Mann". So wollen wir es auch halten. Wobei du mir
glauben darfst, dass ich in Sachen Marketing keine übertriebenen Erwartungen
hege.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von margarete am 09. Apr. 2003, 05:35 Uhr
Guten
Morgen HP
1. ich versuch's
2. wie 1. - meine Zeit ist knapp
3. Ich
wollte nur ein wenig anklopfen, ist mír nicht gelungen
Wie war das noch mit
deinem Gleichnis der Ehefr.?
4. ist 1.
Gruß Marg.
Titel: Re:
Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 09. Apr. 2003,
19:40 Uhr
Hallo Leute,
ich schlage vor, dass wir nach soviel
Irritationen über Stilfragen und Animositäten zur inhaltlichen Fragestellung
zurückkehren. Vielleicht ist es dazu einmal ganz nützlich, den Stand der
Diskussion festzuhalten. Aus meiner Sicht sind folgende Punkte wichtig gewesen.
1. Ethische Fragestellungen („Wie sollen Menschen handeln?“ „Wie soll das
soziale Zusammenleben geregelt werden?“) sind wichtige Fragen.
2. Gesucht
wird eine allgemeingültige Beantwortung solcher Fragen.
3. Ein Anspruch auf
allgemeine Gültigkeit muss durch allgemein nachvollziehbare und akzeptable
Argumente begründet werden. Das schließt eine „von oben“ aufgezwungene Moral
aus.
4. Ein Vorschlag zur Lösung des Problems bestand darin, von einem
allgemein akzeptablen Ziel auszugehen (der Erhaltung der Menschheit) und daraus
Handlungsnormen abzuleiten (Geburtenkontrolle, Schonung nicht erneuerbarer
Ressourcen etc.) Einigkeit bestand darin, dass dies Ziel nicht für alle
moralischen Fragen ein geeignetes Kriterium abgibt und durch weitere Ziele
ergänzt werden muss. Weiterhin bleibt noch genauer zu klären, worin die
beanspruchte „Plausibilität“ des Zieles besteht.
5. Ohne Widerspruch blieb
die These, dass allgemein akzeptable ethische Normen ohne Ansehen der Person
gelten müssen, d.h. dass gleichartige Handlungsweisen auch gleichartig beurteilt
werden müssen. Dies ist allerdings nur eine notwendige Bedingung, die nicht
hinreicht, um alle ethischen Fragen zu beantworten.
6. Breiten Raum nahm die
Auseinandersetzung über eine ethisch verantwortliche Entwicklungspolitik ein. Es
wurde die Position vertreten, dass Hilfe nur unter der Bedingung einer
Geburtenkontrolle geleistet werden solle, dem teilweise vehement widersprochen
wurde. (Mein Vorschlag hierzu ist, eine solche konkrete ethische Frage - bei
allem emotionalen Engagement für das Problem - vor allem als ein Beispiel
ethischer Argumentation zu nehmen und das Augenmerk darauf zu richten, wie im
konkreten Fall argumentiert wird und ob diese Argumente allgemein akzeptabel
sind.)
Bis demnächst Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 09. Apr. 2003, 20:01 Uhr
Hallo
Leute,
machen wir weiter mit der inhaltlichen Diskussion. Ich will dazu
einen Vorschlag von Delfinium aufgreifen und etwas verändert zur Diskussion
stellen. Wenn alle Menschen eigenes Leid vermeiden wollen und ihr eigenes Glück
anstreben, so könnte das ethische Prinzip allgemein akzeptabel sein, dass jeder
sein eigenes Glück anstreben darf, sofern damit nicht einem andern Leid zugefügt
wird. Anders ausgedrückt: „Es sind alle Handlungen erlaubt, die keinem andern
schaden“.
Dies scheint mir ein allgemein akzeptables ethisches Prinzip
zu sein. Es setzt allerdings voraus, dass man sich darüber einigen kann, was
unter „Leid“ oder „schaden“ zu verstehen ist. Nur dann kann man ja diejenigen
Handlungen bestimmen, die keinem anderen Leid zufügen bzw. keinem andern
schaden. (Damit wäre auch Hanspeters Kritik ausgeräumt, dass man nur Handlungen
vorschreiben kann, nicht jedoch psychische Konsequenzen.)
Es wäre jedoch
falsch, wenn man das Prinzip dahin gehend erweitern würde zu sagen: „Alle
Handlungen, die anderen Leid zufügen, sind nicht erlaubt.“ Häufig treten
Situationen auf, in denen man es nicht allen recht machen kann und irgendeinem
wehtut, egal wie man sich entscheidet. Das hat Hanspeter mit dem Raucherbeispiel
gezeigt.
Hier käme man nur weiter, wenn man statt zu fragen „Wird einem
andern Leid zugefügt?“ fragt „Bei welcher Handlungsalternative ist das Leid
aller Betroffenen am geringsten?“ Um dies Prinzip anwenden zu können, müsste man
sich jedoch nicht nur darüber einig sein, was „Leiden“ bedeutet, sondern man
müsste zusätzlich auch noch das Leid des einen gegen das Leid des andern abwägen
können.
Weiterhin stellt sich die Frage, ob dann nicht auch das erzielte
Glück berücksichtigt werden sollte, insofern als z.B. ein sehr großes Glück für
den einen das damit verbundene geringe Leid eines andern aufwiegen kann.
(Zu den andern Punkten später) Gruß Eberhard
Titel: Re: Ist Ethik
ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 09. Apr. 2003, 20:04 Uhr
Hallo Eberhard,
*gähn*, tschuldigung.
Du bezeichnest in 1. die
Fragestellung "Wie sollen Menschen handeln" als eine ethische. Sehe ich nicht
als ethische Frage, sondern, als eine Frage, die sich aus der Beantwortung einer
ethischen Frage ergeben könnte. Die Antwort auf Deine Eingangsfrage: Ist Ethik
ein sinnloses Unterfangen, hast Du für Dich wohl schon mit ja beantwortet. In
Konsequenz würde ich die Frage stellen, ist vernünftiges Handeln ohne
Beantwortung von ethischen Fragen sinnvoll, bzw. überhaupt möglich, wenn ja,
wie?
Grüsse, Lina
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 09. Apr. 2003, 20:23 Uhr
Hallo HP, Eberhard und
noch Interessierte,
ich habe mich jetzt bis zur dritten Seite
durchgekämpft, und möchte einmal Zwischenbilanz ziehen, danke Eberhard für
deinen Zwischenbericht, aber er macht mich auch nicht wirklich klüger.
1.
Ich habe den Eindruck gewonnen, dass nicht allen klar ist, was Ethik wirklich
bedeutet, nämlich die Auseinandersetzung mit der Moral auf eine kritische Weise
- bei Wertungen, Handlungen, Überzeugungen
Ethik ist nicht die Moral im
neutralen oder üblichen Sinn.
2.es gibt verschiedene Möglichkeiten
Theorien aufzustellen, eine ist z.B. die Normtheorie die sich mit der
Gesetzgebung befaßt hat. Es ist nicht die Ethik, die Gebote oder Verbote
befolgt.
3. Ethik basiert außer der Theologischen auf reiner Logik bzw.
allem Empirischen, des Seins, des Gegebenen usw.
4. Bevor eine Regel oder
eine Norm aufgestellt werden kann müßte, man dieselbe Sprache sprechen, um die
vielen vorhandenen Mißverständnisse von vornherein auszuschließen, selbst dann
wird es durch die Individualität der Einzelnen zu den verschiedensten Ansichten
kommen.
5.Der Erhalt des Menschen scheint mir ein so umfangreiches Thema
zu sein, zu dem wie gehabt für jeden etwas anderes sinnvoll erscheint bzw.
vordergründig ist, hier wäre meines Erachtens eine Zentralfrage zu stellen, auch
wenn man den Berg nur mit kleinen Steinen abtragen kann.
6. Dann kommt
noch Gott und die Welt dazu
Bis hierher einmal, aber ich gebe zu, dass
sehr interessante Fragen angeschnitten wurden.
Ich lese morgen weiter!
Einstweilen Grüße
Margarete
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 09. Apr. 2003, 20:30 Uhr
HI Eberhard -
du scheinst der Philo zu sein, zu deinem letzten
Beitrag
Es gibt eine ganz einfache Frage
Wann ist eine Handlung
(Theorie) erlaubt oder verboten?
Schönen Abend
Margarete
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina
am 09. Apr. 2003, 20:43 Uhr
Hallo margarete,
du schreibst, daß
wohl nicht allen klar ist, was unter Ethik zu verstehen ist. Das mag wohl daran
liegen, daß trotz der Entwicklungen in den 80/90ziger Jahren, noch ein gewisser
Stillstand mit Kant zu sehen ist, der (zumindest nach meinem Lexikon für
Philosophen) die Frage, ob das Glück oder das Wohl des einzelnen genauer zu
bestimmen ist, mit als objektiv nicht beanwortbar, zurückgewiesen hat und
jegliche Entscheidung diesbezüglich dem Einzelnen überläßt. Kant-Kenner mögen
mein Lexikon ggfls. berichtigen. Obwohl ich es nicht verwerfen kann, setzt diese
Anschauung aber eine Auseinandersetzung mit dem Einzelnen voraus was in einer
Konsumgesellschaft schwerlichst möglich ist. (es sei denn Eberhard gibt mir die
Möglichkeit dies allein mit meiner Vernunft auf den Punkt zu bringen),
Gruß
Lina
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag
von Eberhard am 09. Apr. 2003, 21:32 Uhr
Hallo Lina,
Wenn die Frage
„Wie sollen Menschen handeln?“ für Dich keine ethische Fragestellung ist, würde
ich gern von Dir wissen, ob die Frage „Sollen Wissenschaftler Versuche mit
menschlichen Stammzellen machen?“ für Dich eine ethische Frage ist. Wenn „ja“,
verstehe ich Deine Kritik nicht. Wenn „nein“, sind wir wieder beim Problem der
gemeinsamen Sprache angelangt. Allerdings glaube ich nicht, dass ein Streit um
Worte uns inhaltlich weiter bringt.
Du stellst weiterhin die Frage: „Ist
vernünftiges Handeln ohne Beantwortung von ethischen Fragen sinnvoll bzw.
überhaupt möglich?“
Meine Antwort lautet „ja“. Es gibt viele vernünftige
Handlungen, die keinerlei moralische Voraussetzungen enthalten, z.B. einen
Kuchen backen, einen Fahrradreifen aufpumpen. Solche Handlungen sind ohne die
Beantwortung ethischer Fragen sinnvoll und möglich. Ich sehe allerdings nicht,
inwiefern die Verfolgung dieser Frage uns inhaltlich weiter bringt.
Grüße an
Dich von Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 09. Apr. 2003, 22:03 Uhr
Hallo Eberhard,
belassen wir es bei Deiner Interpretation des "Sprachproblems", obwohl ich es
eher so bezeichnen würde, als das wir nicht an einem Strang ziehen.
Deine
ethische Frage zu den Stammzellen, sehe ich bestenfalls als eine moralische
Handlungsfolge in Konsequenz der Beanwortung einer ethischen Frage, die da
meines Erachtens lauten müsste, können Stammzellen ein Gefühl haben? Und in
folge dessen, wie geht man damit um?
Gruß
Lina
Titel: Re: Ist
Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Zampano am 09. Apr. 2003, 22:35
Uhr
Ich frage mich, wieso man immer wieder die selben Fragen tausend mal
beantworten muss. Jegliche Ethik, Religion oder Philosophie kommt immer wieder
zu den selben "Ergebnissen", wenn es um die Beantwortung der Frage geht, welches
die universelle Wahrheit der Spezies Mensch ist, vor allem bei der Frage was
eine im ethischen Sinne richtige Moral ist.
Die einzige richtige Moral für
den Menschen, ergo die Grundsätze jeglicher Ethik, ist die Lebensbejahung, sind
die Ehrfurcht, die Förderung und die aktive Fürsorge für das Leben. Sein eigenes
und das anderer Menschen. Dies ist eine der wenigen universellen Wahrheiten und
ich kenne keine ernstzunehmende Ethik, die dem widerspricht.
Nach dem
Sinn zu suchen, mag philosophisch vertretbar sein, wobei auch da die Antwort
stets die selbe ist: der Sinn ist das Leben selbst.
Natürlich reicht das
fortschrittsglaubenden Menschen nicht, denn der Mensch entwickelt sich ja
weiter. Tut er das wirklich? Strebt er nicht seit jeher nach dem Paradies,
denkt, dass er das mit Hilfe des Fortschrittes erreichen kann und weiß dennoch,
dass es niemals möglich sein wird.
Finden wir uns damit ab, dass diese
einfachen Wahrheiten die einzigen sind, die jemals gegolten haben und auf die
man nach gründlicher Überlegung stets auch selbst kommen kann.
Je einfacher
eine Wahrheit ist umso universeller und reiner ist sie. Und das ist die
einfachste Wahrheit überhaupt: die Liebe zum Leben.
Damit ist das Handeln
auch vorgegeben, daran werden auch die nächsten x Generation wohl nicht viel
ändern können. Jedes Handeln, dass dem Leben dient, dass das Leben (seines und
das eines anderen) nicht beeinträchtigt, wachsen und gedeihen lässt, nicht
manipuliert und nicht zwingt, ist „gut“ im ethischen Sinne.
Das haben wir
doch nun oft genug gelesen und gehört, oder? Ziehe ich mich ethisch nackt aus
wie es Descartes tat, so werde ich auf kein anderes Ergebnis kommen können.
Ich weiß, dass es grausam für Denker ist, wenn es nichts mehr zu denken
gibt...:-)
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag
von Hanspeter am 10. Apr. 2003, 05:58 Uhr
Hallo zampano,
wenn es
nichts mehr zu denken gibt, dann bist du hier im Philtalk, meiner Meinung nach,
fehl am Platz.
Du schreibst: "Jegliche Ethik, Religion oder Philosophie
kommt immer wieder zu den selben "Ergebnissen", wenn es um die Beantwortung der
Frage geht, welches die universelle Wahrheit der Spezies Mensch ist, vor allem
bei der Frage was eine im ethischen Sinne richtige Moral ist." So ein Unsinn!!
Wäre dem so, gäbe es keinerlei Diskussionen um Ethik oder Moral. Es gibt sie
aber, nicht nur im Philtalk. Die Herren G.W. Bush und U. Ibn Ladin sind nicht
zum selben Ergebnis gekommen.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 10. Apr. 2003, 06:03 Uhr
Hallo Eberhard - Sheelina
da die Philosophie nicht in der Lage ist,
Begriffe zu normieren, müssen wir es selbst tun.
Meines Wissens ist vom
Ursprung her Ethik die griechische und Moral die lateinische Version des
Begriffs "Sittlichkeit" oder "Sittenlehre", also ziemlich genau dasselbe.
Historisch hat, wenn ich das richtig sehe, die Kirche den Begriff "Moral" für
das richtige Handeln in Beschlag genommen, wohingegen diejenigen, die sich nicht
strikt auf die christliche Linie festlegen wollten, den Begriff "Ethik"
bevorzugten.
Mein Philosophie-Lexikon (Schischkow, Kröner Verlag) formuliert
das "Prinzip der Vielheit der Moralen und der Einheit in der Ethik". Das scheint
mir sinnvoll. Danach hat jede Gesellschaft, letztlich jeder Mensch, seine eigene
Moral, die sich von den anderen Moralen mehr oder weniger stark unterscheidet.
All diese verschiedenen Moralen gehören dann zum Oberbegriff Ethik.
Im
normalen Sprachgebrauch hat der Begriff Moral einen gewissen Hautgout bekommen.
Moralist, moralinsauer usw. sind infolge von Auseinandersetzungen mit der
traditionellen Moral eher negativ besetzte Begriffe, weshalb man sich heute mehr
am weitgehend neutralen Begriff Ethik orientiert.
Für das (katholische)
Christentum gibt es logischerweise nur eine gültige Moral: die eigene. Folglich
hat es mit der Ethik nichts am Hut, denn diese impliziert ja die moralische
Vielfalt. Daher gibt es dort auch nur Moraltheologen, keine Ethiktheologen. Wer
also an den christlichen Gott glaubt, kann sich mit Ethik nur so zur
Orientierung beschäftigen. Er hat die moralischen Normen, die Gott ihm
vorschreibt, zu akzeptieren und nicht nach einer neuen Moral zu suchen!! Wer das
nicht so sieht, ist eben kein Christ, auch wenn er sich so nennt. Im Gegensatz
zur Philosophie hat sich nämlich das (katholische) Christentum sehr exakt
definiert.
Egal, wer nun Ethik oder Moral wie definiert, hier geht es um
die Frage: Welches Handeln ist gut, welches ist böse.
Und darüber diskutieren
wir.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 10. Apr. 2003, 06:05 Uhr
Hallo Zampanu - du
Grausamer - der nichts zu denken hat,
so ganz bin ich nicht deiner
Meinung, nach dem Sinn zu suchen ist nicht nur philosoph. zu vertreten, sondern
vor allem menschlich.
Du sagt die einfachste Wahrheit ist die Liebe zum
Leben!
Welche Wahrheit meist du damit? Was ist an der Liebe einfach? Zu
welchem Leben? Was verstehst du unter Wahrheit? Welche Liebe?
Ich finde
keineswegs, dass wir uns mit irgendeiner Situation abfinden sollten, außer ich
werde dazu gezwungen oder tue es weil es mir Spaß macht und mich glücklich sein
läßt.
Findest du, dass wir in einer glücklichen Welt leben? In der
größtmöglich glücklichen Welt?
Es ist überhaupt kein Handeln vorgegeben,
gerade Philosophie ist dazu da ständig zu hinterfragen, und die Ethik im
Speziellen.
Wir leben in einer ständigen Entwicklung oder?
Die
universelle Wahrheit, meist du damit die 10 Gebote?(Spaß).
Du klärst uns
über ein Ziel auf, aber nicht über den Weg der zu verbreitern wäre.
Guten
Morgen
Margarete
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 10. Apr. 2003, 06:12 Uhr
Hallo
Eberhard
danke für deine Zusammenfassung.
Dem Versuch, das Leid
als Ausgangspunkt einer Moral zu machen, stehe ich nach wie vor skeptisch
gegenüber und deine Abhandlung dazu bestätigt mich. Die Forderung: "Es sind alle
Handlungen erlaubt, die keinem andern schaden" kann ich akzeptieren, wenn du
auch die Interessen künftiger Generationen mit einschließt. Doch dieser Satz
führt uns zu nichts, denn diese Handlungen sind zunächst einmal diejenigen, die
du zurecht als moralisch irrelevant definiert hast: "Kuchen backen" oder
"Fahrradreifen aufpumpen" (wobei ich bei diesen Beispielen nicht ins Detail
gehen will). Bei den Handlungen, die aber die Belange anderer Menschen tangieren
- und das sind ja wohl die meisten - dann ist dieser Satz als OBERSTES
moralisches Prinzip ungeeignet, weil ich mir kaum ein Handeln vorstellen kann,
das nicht irgend jemand als für sich schädlich interpretieren kann. Hätte gerne
mal ein Beispiel.
Natürlich kommt man der Sache wesentlich näher, wenn
man Leiden gegeneinander abwägt. Das sehe ich auch so.
Dann aber ist das
Vermeiden von Leid nicht mehr oberstes Prinzip. Dann aber brauche ich ein
oberstes Prinzip, um eine Norm für eben diese Abwägungen zu haben. Nebenbei, die
Definition und die Bewertung von Leid ist eine subjektive Sache, ein
objektiviertes Leid kann ich mir nicht vorstellen. Beispiele?
Ich möchte
noch einmal auf das Problem der "humanitären Entwicklungshilfe" wegen ihrer
exemplarischen Bedeutung eingehen. Dahinter steht letztlich die Frage des
Kulturtransfers, den Lina bereits andeutete. Inwieweit entspricht unsere Moral
der von uns missionierten Völker? Anders ausgedrückt, können wir Teile unserer
Moral auf andere Gesellschaften übertragen und welche Konsequenzen hat dies. Ich
bin mir da nicht sicher, derzeit vermute ich, dass die Kulturen der 3. Welt
früher oder später, wenn überhaupt, nur noch als Folklore für touristische
Zwecke dienen werden. Vermutlich werden sie völlig verschwinden. Globalisierung
heißt auch Globalisierung der Moral.
Dann aber müssen diese Völker, so sie
unsere Medizin annehmen, auch für deren Konsequenzen gerade stehen. Wenn wir
diese Konsequenzen akzeptieren, halte ich es auch für sehr wahrscheinlich, dass
sie es tun. Doch daran hapert es. Voran der Vatikan, aber auch Teile der USA
bekämpfen Geburtenkontrolle ganz entschieden.
Ferner wäre es meines
Erachtens sehr interessant, darüber nachzudenken, weshalb die so offensichtlich
notwendige Forderung nach Geburtenbeschränkung auf so massive Gegenwehr stößt.
Auch hier im Philtalk. Vielleicht hilft es uns bei der Frage, warum es so schwer
ist, moralische Normen festzulegen.
Gruß HP
Titel: Re: Ist
Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 10. Apr. 2003, 06:36
Uhr
Morgn,
ich schäme mich jeglicher Ausbeutung und fordere einen
Naturschutz, der sich nicht nur auf tierisches Leben beschränkt. Diesen
Naturschutz nicht auf die Betrachtung (HP) beschränkt, sondern im Verlangen
dafür etwas zurückzubekommen.
Grüsse, Lina
Titel: Re: Ist Ethik
ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Zampano am 10. Apr. 2003, 11:42 Uhr
Hallo Hanspeter,
Quote:
>wenn es nichts mehr zu denken
gibt, dann bist du hier im Philtalk, meiner Meinung nach, fehl am Platz.
Das war eine ironische Bemerkung, wie unschwer am Smilie zu
erkennen...bitte etwas sachlicher. :-)
Quote:
>So ein Unsinn!!
Wäre dem so, gäbe es keinerlei Diskussionen um Ethik oder Moral
Klar
gibt es diese Diskussionen, und es wird sie immer geben. Weil der Mensch in der
Regel nicht in der Lage ist, manche Dinge zu akzeptieren, seine Minderwertigkeit
und sein oft „falsches“ Handeln zu rationalisieren versucht. Punkte, die es für
die Ethik zu klären gibt, werden nie aussterben. Es gab immer wieder
Bestrebungen und Richtungen, gut und böse neu zu definieren. Sie werden aber
stets auf die ursprünglichen Bedeutungen zurückgeworfen oder dadurch widerlegt.
Quote:
> Egal, wer nun Ethik oder Moral wie definiert, hier geht es
um die Frage: Welches Handeln ist gut, welches ist böse.
Eben darauf
antwortete ich ja. Und die erste Maxime, die man aufstellen kann, wenn man
darüber nachdenkt ist nun mal: jedes Handeln, dass mir keinen Schaden zufügt,
meine Persönlichkeit nicht beeinträchtigt und mir meine Freiheit lässt ist per
se „gut“.
Die zweite Maxime bezieht sich dann auf andere Lebewesen. Es
bleiben noch unzählige Handlungsweisen und vor allem deren Kombinationen, auch
im Zusammenhang mit der Gesellschaft, übrig, über die es sich zu reden lohnt.
Aber die Basis, der Kern jeglichen „guten“ und „bösen“ Handelns für uns
Menschen, wird stets die selbe bleiben. Das wollte ich damit sagen. Dabei spielt
weder Religion, Ideologie noch Moral eine Rolle.
Salve,
Zampano
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina
am 10. Apr. 2003, 11:59 Uhr
Danke, ihr ward mir sehr behilflich,
verabschiede mich aus der Diskussion.
Grüsse, Lina
Titel: Re: Ist
Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Zampano am 10. Apr. 2003, 12:14
Uhr
Hallo Margarete,
na so grausam bin ich dann doch nicht...:-)
Welche Wahrheit meist du damit? Was ist an der Liebe einfach? Zu welchem
Leben? Was verstehst du unter Wahrheit? Welche Liebe?
Es würde den
Rahmen sprengen, würde ich alle Stellen zitieren, die den einen Satz, der die
Grundlage jeder Ethik ist, erwähnen.
Die Liebe ist m.E. ausgesprochen
einfach, nur mit der Umsetzung mangelt es meist :-)
Aber ich erzähle doch
nichts neues, wenn ich sage, dass eine biophile Einstellung die Grundlage jedes
ethisch und moralisch „richtigen“ Denkens ist.
Wir leben in einer
ständigen Entwicklung oder?
Es gibt in diesem Bereich meines Erachtens
keine Fortschritte, global und sozial gesehen.
Nun müsste ich allerdings bei
Adam und Eva anfangen und den radikalen Humanismus erklären, aber das haben vor
mir Buddha, Jesus, Kant, Spinoza, Hesse, Einstein, etc. etc. getan. Sie kamen
alle zu de gleichen Schluss. Sicherlich gab es jede Menge Bestrebungen, hier
weiter zu denken, neue Wege der Definition zu suchen und zu finden.
Aber
solange der Mensch sterblich ist und infolge dessen das schätzen sollte, was er
hat, das Leben, wird sich daran nichts großartig ändern. Und das Streben nach
Glück, bzw. Vermeidung von Leid, ist auch keine neue Erkenntnis, wenn es um die
Suche nach dem Sinn eines Menschen geht. Was Glück oder Leid ist, sei an anderer
Stelle zu diskutieren, doch auch hier wird die Antwort ziemlich individuell
ausfallen.
Vorgegeben ist natürlich kein Handeln, das „richtige“ für mich
wäre nun aber: alles, was mir gut tut, mich glücklich macht, ist per Definition
für MICH „gut“. Wenn ich also meinem inneren „heiligen“ Gesetz folge und mein
Leben so angenehm wie möglich gestalte, dann handle ich im ethischen Sinne
„gut“. Nun bin ich aber nicht alleine und kann es auf Dauer nicht bleiben,
folglich werde ich diese Regel auch bei anderen akzeptieren müssen. Jetzt haben
wir Diskussionsstoff genug, aber letztendlich werde ich nun mein Handeln auch
auf andere beziehen müssen: was ist gut für andere, was schadet ihnen nicht, was
lässt ihnen ihre Freiheit und ihre Entfaltungsmöglichkeiten?
Mit
universeller Wahrheit – wenn es denn überhaupt Wahrheiten gibt – meine ich die
stets immer wieder fundamentalen Bedingungen des Lebens. Würde ich das Leben
nicht schätzen, nicht leben wollen, bräuchte ich mich damit nicht
auseinandersetzen. Tue ich es aber so komme ich eben zu dem Schluss, dass ich
eine biologische Einheit bin, die das Bewusstsein bekommen hat und den Verstand,
um überhaupt überleben zu können. Und das auch eben dies mein größtes Problem
ist.
Also kann ich mich dagegen entscheiden oder dafür. Letzteres bedingt,
dass ich die Situation akzeptiere und das für mich beste daraus mache – das
nenne ich Liebe zum Leben. Ich strebe nach dem für mich Guten. Und das für
andere, den ich erkenne bald, dass nur das gut für mich ist, was ich dafür
halte, aber andere ebenso denken. Also komme ich nicht umhin, den kleinsten
gemeinsamen Nenner zu finden – die Liebe zum Leben. Um es kurz zu machen, zwei
der universellen Wahrheiten sind: Liebe und Selbstverwirklichung. War das nun
überraschend? Was das im Detail ist, dafür gibt es auch dieses Forum...:-)
Die Welt an sich nimmt seit Jahrzehnten eine bedenkliche Entwicklung, je
höher der Grad der Zivilisation umso mehr sehe ich eine ernsthafte Gefahr für
diese Welt aufkommen. Denn alles was machbar ist, wird auch gemacht werden
(Stichwort: Genforschung), das ist der Geist dieser technokratisierten und
marketingorientierten Gesellschaft.
Natürlich kläre ich nicht über das
Ziel auf, denn diese „Wahrheit“ ist auch schon uralt und ich möchte mich nicht
in den heutigen, Marketing- und Konsum- und Fortschrittsverklärten Zeiten nicht
in die Gefahr begeben als ein altmodischer, idealistischer und
„realitätsfremder“ Kauz zu gelten. Aber den Weg dorthin kann jeder selbst
„leicht“ finden, oder?
Der Weg wird allerdings nicht breiter, er bleibt immer
sehr schmal...:-)
Salve,
Zampano
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 10. Apr. 2003, 13:10 Uhr
Hi Hanspeter, Eberhard, Zampano und Sheelina (last but not least)
Heute beim Frisör zwischen Gesprächen von Tennis und Golfen meiner Nachbarinnen
habe ich mich durch eure Beiträge gekämpft - ein wenig Durcheinander,
verschiedene sprachliche Auslegungen, unterschiedliche Begriffsauffassungen, von
den Meinungen und der Wichtigkeit davon ganz zu schweigen.
Ich möchte mich
mit Niemandem persönlich anlegen, sollte sich der eine oder andere angegriffen
fühlen, dann bitte gleich melden.
Zuerst zur eth. Seite, es wurde vielfach
von einer Normtheorie für die Werterhaltung bzw. Aufrechterhaltung der
Lebensqualität gesprochen. Keine Theorie ist unfehlbar, zur Normteheorie gibt es
ausser den praktikablen Fehlern, die theoretischen und dazu noch zwei
gravierende inhaltliche Fehler:
1. Gerechtigkeit und zwar im Sinne einer
Verteilung, z. B. von Gütern (Ressourcen in der Ernährung)
2. Autonomie
(Selbstbestimmung) des Menschen
Es ist unmögliche selbst auf Grund der am
besten ausgearbeitetsten Theorien unter Bezugnahme einer möglichen gerechten
Verteilung ein für alle befriedigendes Ergebnis zu erzielen.
Selbstbestimmung
ist Teil der menschl. Freiheit auch wenn ich damit anderes Leben retten könnte,
muß die Entscheidung über z.B. mögliche Organspenden dem Spender überlassen
sein.
Hanspeter, du meinst das Ziel ist Präskription, das ist doch nur
die Bewertung, welche Probleme könntest du damit lösen, sicher ist es ein
Schritt in die richtige Richtung da sind wir wiede beim Berg den es abzutragen
gilt.
Es gibt außerdem eine theologische Ethik, die sich von der
philosophischen nur dadurch unterscheidet, dass in der Bewertung, also der
Präskription auch der Glauben und die göttliche Offenbarung miteinbezogen
wirden.
So eine pauschale Verurteilung und Reduktion des Glaubens auf die 10
Gebote, das steht dir gar nicht an, zudem ist es ein wichtiger Faktor möchte ich
eine Norm aufstellen die allen gerecht wird. Dann muß ich dir noch ein
Geständnis machen, und ich weiß gar nicht ob du nachher mit mir noch reden
willst, denn ich habe äußerst unverantwortlich gehandelt und vier Söhne geboren,
die sich zu sehr tollen jungen Männern entwickelt haben. Die Gründe des
Entstehens hier öffentlich zu diskutieren finde ich nicht für angebracht, aber
ich muß delfi Recht geben, wenn sie meint Kinder, die in größeren Familien
aufwachsen haben ein anderes soziales Verständnis und Verantwortungsbewußtsein
zum Leben als Einzelkinder, wobei ich diese Eigenschaften niemanden absprechen
möchte.
Ach so noch etwas, eine Theorie auf "Leidvermeidung" aufzubauen,
halte ich schlichtweg auch für unmöglich.
Jetzt noch meine persönliche
Meinung - ich würde mich in meiner Freiheit genauso beeinträchtigt fühlen, würde
ich zB. "zwangssterilisiert"(hatten wir schon), oder würde mir vorgeschrieben
ich dürfte nur zwei Kinder haben, passierts dann doch, gitb's ja noch die
Abtreibung - so kann das sicher nicht funktionieren.
Ich glaube außerdem,
dass das Problem der Überbevölkerung zu hoch bewertet wird, es findet doch
ständig eine Dezimierung statt - Aids, Irak, Hunger, Seuchen,
Katastrophen.Außerdem werden in den sogen.zivilisierten Ländern sowieso zuwenige
Pensionserhalter geboren.
Zudem glaube ich, dass genug Reserven vorhanden
sind, an deren Verteilung es scheitert, meist aus wirtschaftl. Gründen.
Es
ist richtig, dass der kleine Mann wie du und ich beginnen sollten umzudenken,
aber vor allem wäre es wichtig, dass der große Manitu Wirtschaft Akzente setzt
und sich einer Ethik bewußt wird.
Grüße
Margarete
Titel:
Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 10. Apr.
2003, 21:46 Uhr
Hallo an alle, die den Diskussionsfaden weiterspinnen,
ich muss gestehen, dass ich angesichts der Menge der Beiträge kaum noch
mit komme. Ich bitte deshalb zu entschuldigen, wenn erwartete Stellungnahmen
ausbleiben. Ich begrüße Margarete und Zampano in der Runde und hoffe auf harte
und gut begründete Kritik und fruchtbare Anregungen.
Zuerst zu
Hanspeter. Ich teile Deine Auffassung, dass die rapide Zunahme der
Erdbevölkerung zu großen Problemen führen wird, wenn sie nicht gestoppt wird.
Ich bin jedoch der Meinung, dass man die Geburtenzahl nicht durch Verbote oder
andere Sanktionen steuern sollte, sondern durch Veränderung des sozialen
Umfelds: Das erfordert an erster Stelle den Aufbau einer familienunabhängigen
Alterssicherung, und an zweiter Stelle die Verbreitung von Mitteln zur
Empfängnisverhütung. An der kontroversen Diskussion wurde übrigens deutlich,
welch wichtige Rolle unterschiedliche faktische Annahmen bei ethischen und
politischen Überzeugungen spielen: Wer der Meinung ist, dass sich durch die
Industrialisierung die Geburtenrate automatisch verringert, der hält das Problem
der Überbevölkerung für weniger brennend. Das ist dann jedoch kein Problem der
Philosophie mehr sondern der empirischen Sozialwissenschaften.
In diesem
Zusammenhang noch eine Anmerkung zur Terminologie: Mir geht es um das, was
„normative Ethik“ genannt wird, also um die Beantwortung von Fragen, wie die
Welt (und das menschliche Handeln) beschaffen sein SOLL, nicht wie sie
beschaffen IST. Und als Philosoph bin ich nicht so sehr an einzelnen Fragen
interessiert, sondern allgemein an der METHODE, wie solche normativen Fragen
allgemeingültig beantwortet werden können. Solche methodischen Fragen werden
gewöhnlich der „Metaethik“ zugeordnet. Aber solche Schubladen-Einteilungen
schaffen nur eine sehr grobe Abgrenzung.
An Margarete habe ich die Frage,
was Du mit einer „verbotenen Theorie“ meinst, wenn Du schreibst: „Es gibt eine
ganz einfache Frage: Wann ist eine Handlung (Theorie) erlaubt oder verboten?“
Nicht so skeptisch wie Du bin ich bei der Frage einer gerechten Verteilung
von Gütern. Wenn die Bedürftigkeit der Individuen gleich ist und wenn keine
Unterschiede in der individuellen Leistung berücksichtigt werden müssen, so ist
nur eine gleiche Verteilung auf alle Beteiligten am ehesten allgemein
akzeptabel. Handelt es sich um Güter, die sich nicht beliebig teilen lassen, wie
z.B. die Zimmer einer Wohnung, so kann man z.B. in einer Wohngemeinschaft zu
einer gerechten Verteilung kommen, wenn man zuerst diskutiert, wie teuer die
verschiedenen Zimmer sein sollen, und erst anschließend durch Losentscheid die
Zimmer den Einzelnen zuteilt.
Wichtig scheint mir Dein Hinweis auf die
Forderung nach Autonomie bzw, Selbstbestimmung zu sein. Das, was man gewöhnlich
als Menschenrechte bezeichnet und auch Teil unserer Verfassung ist, gehört in
den Bereich der individuellen Selbstbestimmung. Ich denke, dass persönliche
Freiheiten wie Bewegungs- und Gedankenfreiheit allgemein akzeptabel sein können,
aber man müsste dies noch präziser herleiten.
An dieser Stelle möchte ich
noch etwas zum Begriff der „Konsensfähigkeit“ bzw. der „allgemeinen
Anerkennbarkeit“ von Normen sagen. Wenn Margarete zu Hanspeter sagt, er solle
weniger kritisch zu den christlichen 10 Geboten sein, denn diese seien ein
wichtiger Faktor, wenn er allen gerecht werden wolle, so bekommt die Sache eine
falsche Wendung in Richtung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner der
verschiedenen Positionen. In ähnlicher Weise problematisch wäre es, wenn jemand
bei dem Versuch zu einem Konsens hinsichtlich des Problems
Schwangerschaftsabruch zu kommen, seine bestehenden Überzeugungen in dieser
Frage als Argument einbringen will, das bei der Konsensfindung zu
berücksichtigen sei. Dies kann nicht zulässig sein, denn es werden ja gerade
alle Überzeugungen in Frage gestellt um die richtige Antwort zu finden. Dann
können die faktisch bestehenden Überzeugungen jedoch kein Argument sein.“
Hier will ich erstmal Schluß machen, obwohl ich gerne noch etwas zu Zampano
gesagt hätte und zur Frage „menschliches Leid als Gesichtspunkt für ethische
Normen“.
Grüße an alle Interessierten und bis demnächst Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 11.
Apr. 2003, 00:49 Uhr
Hallo zampano,
verzeih die Schärfe, aber
dass ein Smaili ein Synonym für Ironie ist, wusste ich nicht.
Nimm mir
ferner nicht übel, dass ich Sätze so beurteile, wie sie dastehen. Und dein Satz,
der das, zugegeben scharfe, Urteil "Unsinn" erfuhr, würde es in meinen Augen
nach wie vor erfahren, wenn du ihn in deiner Antwort nicht teilweise relativiert
hättest.
Nun zu deinen Vorstellungen. Über deine erste Maxime
diskutieren Eberhard und ich gerade sehr angestrengt und teilen deine Ansicht
keineswegs. Die Gründe findest du in den letzten Kommentaren von uns beiden.
Ferner schreibst du: "Aber die Basis, der Kern jeglichen "guten" und "bösen"
Handelns für uns Menschen, wird stets die selbe bleiben. Das wollte ich damit
sagen. Dabei spielt weder Religion, Ideologie noch Moral eine Rolle."
Was
bitte ist diese Basis, unabhängig von Religion, Ideologie und Moral? Die Basis
der Moral, unabhängig von der Moral, das verstehe ich leider nicht.
In
deiner Antwort an Margarete schreibst du: "Wenn ich also meinem inneren
"heiligen" Gesetz folge und mein Leben so angenehm wie möglich gestalte, dann
handle ich im ethischen Sinne "gut"." Das ist in meinen Augen nichts anderes als
ein Credo des Hedonismus. Ich glaube übrigens nicht, dass Buddha und Jesus zu
demselben Ergebnis gekommen sind.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik
ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 11. Apr. 2003, 00:54 Uhr
Hallo Margarete,
das finde ich toll, dass du dich beim Frisör
damit beschäftigt hast. Und da sich so ein Aufenthalt bei Damen ja ziemlich
hinzieht – bei mir geht’s garantiert schneller – bist du ja
nun voll drin. Übrigens, wir sind hart im Geben und hart im Nehmen, tu dir
keinen Zwang an.
Zu deinem
1. Themenkomplex. Der Begriff Normtheorie
sagt mir wenig, aber das liegt sicher an mir – bin kein Profiphilosoph.
Vielleicht könntest du da helfend eingreifen. Das Problem der gerechten
Güterverteilung ist sicher sehr schwierig, wir haben es noch nicht diskutiert,
müssten es aber noch tun.
2. Eine Präskription ist das, was sein soll.
Jedenfalls verstehe ich diesen Begriff so. Im Gegensatz zur Deskription, die
sagt, was bereits der Fall ist. Selbstverständlich präskribiere ich nur Normen,
die ich für richtig halte.
3. Ich werde weiter mit dir reden, auch wenn
du 4 Kinder geboren hast. Aber vermutlich wirst du mit mir nicht mehr reden,
wenn ich sage, dass ich dieses Handeln für verantwortungslos halte,
vorausgesetzt du warst über die ökologischen Folgen informiert. So bedeutet das
zB. dass deine 4 Söhne allein in ihrem Leben Energie entsprechend einem
Äquivalent von über 1000t Erdöl verbrauchen werden; deren Nachkommen nicht
berücksichtigt. Und es bedeutet weiterhin, dass mindestens 4 Menschen künftiger
Generationen voraussichtlich nicht mehr leben können, weil ihnen diese Energie
fehlt. Regenerierbare Energiequellen spielen derzeit und in absehbarer Zukunft
keine entscheidende Rolle. Ferner tragen sie zum Treibhauseffekt, zum
Artensterben, zur Zerstörung der Regenwälder usw., selbstverständlich auch zu
den zunehmenden Kämpfen um die bisherigen Ressourcen bei. Falls sie in den USA
leben, auch zum Irakkrieg. Aber dafür hatten sie ja eine glückliche Jugend mit
insgesamt vier Geschwistern und sind daher sicher voll sozialisiert.
4.
Auch ich bin gegen Zwangssterilisierung, das Beispiel vom "Mann in Gabun", auf
das du anspielst, war als Metapher gedacht. Wie ich schon sagte, wäre ich damit
zufrieden, wenn die Kindersubvention beendet und die Abtreibung frei gegeben
würde, die "Pille danach" rezeptfrei erhältlich wäre, ein vernünftiges
Rentensystem errichtet würde usw.
Du hältst das Bevölkerungsproblem für
überbewertet. Nun, nimm bitte zur Kenntnis, dass der derzeitige
Bevölkerungszuwachs pro Jahr ca. 80 Millionen Menschen beträgt. Das entspricht
der Bevölkerungszahl Deutschlands. Pro Jahr!! Die Welt wird aber nicht größer,
die Ressourcen nehmen nicht zu, sondern ab. Und du glaubst, dass das auf die
Dauer gut geht?
Du glaubst, dass genug Reserven vorhanden sind. Siehst
du, das glauben zB die Amerikaner nicht. Ihre eigenen Ölvorräte gehen nämlich
bereits bedenklich zur Neige. Und deshalb haben sie sich die zweitgrößten
Ölvorräte der Welt unter den Nagel gerissen. Die größten haben sie ja schon.
Glaube mir, der Irakkrieg war nicht der letzte Krieg um Ressourcen. Das geht
erst richtig los!
Gruß HP
P.S. Über den letzten Bericht von
Eberhard muss ich noch nachdenken.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Dubravko am 11. Apr. 2003, 01:16 Uhr
Das ist
ja eine Absage an die Welt, die du da vorträgst. Du sprichst ein Grundproblem
des Daseins an: den Überlebenskampf. Menschen kämpfen ums Dasein. Du siehst das
und akzeptierst es nicht. Würden alle so denken wie du, wäre das
Menschengeschlecht innerhalb weniger Generationen ausgestorben. Willst du das?
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am
11. Apr. 2003, 07:54 Uhr
Guten Morgen -
@ Eberhard
Ich
stimme dir zu im Ansatz wie die Welt beschaffen sein soll, in einer Diskussion
fließen als Rechtfertigung der Argumente aber immer wieder Istmomente ein, vor
allem wenn die Methodik zur Erstellung einer Theorie nicht ganz klar ist, wobei
ich auch nicht immer logisch agiere.
Eine Handlung ist dann verboten, wenn
sie nicht erlaubt ist, bzw. wenn der GW aller H,K,A....aber das Spiel kennst du?
Wer bestimmt die Bedürftigkeit der Menschen im Hinblick auf die sagen wir
vorrangig Ernährung, das Erdöl etc?
Der kleinste gemeinsame Nenner wäre zu
präzisieren
ist es der Mensch, oder eine Gruppe. Im Hinblick auf die Autnomie
kann auch beim einzelnen Menschen der Glaube eine herausragende Rolle spielen,
wenn ich nur daran denke dass die Zeugen Jehovas Bluttransfusionen nicht
zulassen.
Nachstehend ist es wieder meine persönliche Meinung, da
Hanspeter mich direkt angesprochen hat -
@
Hanspeter
Wie schon
erwähnt bin ich blond!
1. Die Normtheorie ist eine Art der präskriptiven
Ethik und befasst sich mit der Ethik des richtigen Handelns. Das heißt ich bin
zu dem Schluß gekommen dass die Handlung ethisch richtig ist wenn ich z.B. einen
Korb mit Ostereiern verteile, das sagt aber nicht aus wie ich ihn verteile, so
könnte ich sagen du bekommst nichts weil du mir bestätigst dass ich blond bin,
auf eine etwas zielichtige Art, und Eberhard bekommt 5, und Zampano auch,
genauso gut könnte ich aber sagen ihr bekommt alle gar nichts, sondern ich gebe
sie meinen Buben die ohnehin zu kurz kommen im Leben (Spaß).
2.die
präskripive Ethik ist eine bewertende, eine sollende und die deskriptive eine
beschreibende Ethik
3. Jetzt wirds aber spannend, das Argument der
Überbevölkerung hörte ich schon bei meinem ersten Kind, und ich machte mir
errnstlich Sorgen ob ich es überhaupt ernähren könnte, das ändert sich! Der
Weisheit letzter Schluß war,- in welcher Welt leben wir überhaupt, da könnte ich
ja gleich von der Brücke springen - ich lebe, und es geht mir noch immer gut,
besser denn je! Ich glaube dass ich sie soweit möglich zu verantwortungsbewußen
Menschen erzogen haben die auch über ihren Tellerrand blicken um so zu einer
positiven Entwicklung beizutragen.
Deine pauschalen Erklärungen kann ich so
nicht anerkennen, es gibt zu allem Statisiken die Genaues aussagen, deshalb
möchte auch ich nicht wirklich etwas ernst zu nehmendes behaupten, es sind nur
meine Schlußfolgerungen die ich hier weitergebe. Vielleicht wüßte ezzo mehr, er
beschäftigt sich ja mit Statistiken auch wenn er nur seinen Spaß in den
Vordergrund stellt.
4. Probleme und Situationen sind dazu da um gelöst zu
werden, ich glaube dass genug Reserven vorhanden sind, bzw. dass wir heue schon
techn. in der Lage sind Alternativen aufzugreifen, bzw. verständlich zu machen,
dass das eine oder andere so nicht möglich ist.
Der Irakkrieg ist der
pure Wahnsinn und hat mit der Verantwortungslosigkeit der Regierung der USA und
deren Wirtschaft zu tun und ist ethisch nicht vertretbar!
Grüße Margarete
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Zampano
am 11. Apr. 2003, 11:01 Uhr
Hallo Hanspeter et al.
Ist ja kein
Problem, das mit den Smilies muss auch erst mal gelernt werden, hatt ich die
selben Probleme anfangs. Außerdem bin ich keineswegs leicht zu verärgern, für
mich ist der Sinn wichtiger als die Verpackung. :-)
Moral ist meines
Wissen per definitionem des Dudens ein „System von auf Tradition,
Gesellschaftsform, Religion beruhenden sittlichen Grundsätzen u. Normen, das zu
einem bestimmten Zeitpunkt das zwischenmenschliche Verhalten reguliert.“
Die Basis, oder Definition, jeglicher „Moral“ bin ich selbst und meine Liebe zum
Leben und zu anderen Lebewesen. Ich nenne es lieber Gewissen, letztendlich sind
es erneut Etikettierungen. Sein Leben so angenehm wie möglich zu gestalten,
heißt ja nicht hedonistisch zu leben, sondern Leid zu vermeiden. Wie schon
Aristoteles in seinem berühmten Satz sagte: „Nicht nach Lust strebt der Kluge,
sondern nach Schmerzlosigkeit.“
Und ich schrieb ja, dass das Bewusstsein
nicht auf Dauer alleine existieren zu können, dazu führt, dass ich entweder eine
Moral „annehme“ oder auf meine eigene innere höre, die es ständig zu prüfen und
modifizieren gilt im Bezug auf andere und das soziale Umfeld in dem ich lebe
(das ist praktisch leicht zu erklären: ziehe um nach z.B. China und behalte
deine jetzigen Moralvorstellungen und Handlungsweisen, es wird wohl hier und da
zu Problemen kommen, ergo gibt es keine universelle und einheitliche Moral der
gesamten Menschheit, wohl aber eine Grundlage für alle Menschen – und das meinte
ich – nämlich eben dies zu akzeptieren). Würde ich alleine existieren können,
könnte ich wohl auch rein hedonistisch leben.
Dazu brauche ich im
Idealfall keine Religion oder jegliche andere Form der Reglementierung.
Und
vor allem hat dies nichts mit Hedonismus zu tun. Sehr wohl sind Buddha und auch
Jesus zu dem selben Ergebnis gekommen, in der Aussage, dass man sich selbst
ebenso sehr lieben und wertschätzen sollte, wie alle anderen Menschen. Das ist
meines Erachtens die Basis jedes Menschen auf dieser Erde, der nicht isoliert
leben will, was er auf Dauer auch nicht könnte. Ohne diese Grundlage, wäre es
überhaupt nicht möglich anderen Menschen mit Ehrfurcht, Aufmerksamkeit,
Konzentration, Toleranz und vor allem Liebe zu begegnen.
Nun, das ist
das Ideal und das dies natürlich nur sehr wenige erreichen können (oder besser
wollen), da sie zu träge dafür sind und dadurch das es immer wieder Menschen
gibt, die ihr eigenes Ego nur dadurch zu besänftigen wissen, in dem sie Macht
ausüben wollen (in welcher Form auch immer, defensiv oder aggresiv), entstand
überhaupt erst Moral, wie wir es in dem heutigen Sinne verstehen. Prähistorische
oder sogenannte „primitive“ soziale Systeme kommen praktisch ohne aus und kennen
keine Kriege oder kaum destruktives Verhalten gegenüber anderen.
Es ist
dieser ewige Zwiespalt zwischen Eigensinn und Altruismus, der den wahrhaft
„edlen“ und „guten“ Menschen ausmacht, im Allgemeinen auch Selbstverwirklichung
oder Selbstbestimmung genannt. Sich seines eigene Wertes, seine Größe und seiner
Minderwertigkeit bewusst zu werden, führt dazu es universell zu sehen und vor
allem zu leben. Jeder Mensch, der eine hohe Stufe der inneren Freiheit und
Selbstverwirklichung erreicht hat, wird sich eben seiner eigenen
Bedeutungslosigkeit bewusst, wenn er nicht auch altruistisch handelt und beginnt
sich selbst nicht mehr so ernst zu nehmen.
Dieses nicht zu erreichen,
stets mit sich selbst in Misstrauen, Zweifel und Ängsten (Sicherheitsdenken)
verharrend, stets unzufrieden sein, seinen Narzissmus frönen und nach Totem
(Geld, Macht, Ruhm) streben, dass ist leider die vorherrschende Menge. Und diese
braucht dann natürlich Regeln im Sinne einer Moral, sonst würde sie sich selbst
auslöschen.
Salve,
Zampano
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 11. Apr. 2003, 13:42 Uhr
Hallo Eberhard,
auch ich schätze weder Sanktionen noch
Zwangsmaßnahmen. Verbesserung des sozialen Umfelds und Förderung der
empfängnisverhütenden Mittel sind sicher ein richtiger Weg. Doch vieles spricht
dafür, dass das allein nicht hilft. Das zeigen die USA, die einen prozentualen
Bevölkerungszuwachs wie etwa China aufweisen. Die wichtigste alle Maßnahmen aber
ist, das Bewusstsein für die Problematik zu wecken. Doch das führt leider zu
einem Konflikt mit diversen Religionen, vor allem der katholischen Kirche, die
es in der Vergangenheit leider immer wieder geschafft hat - besonders auf
UNO-Ebene - sämtliche Maßnahmen in dieser Richtung zu torpedieren. Damit ist
auch klar, dass jede finanzielle Unterstützung dieser Organisation eine wirksame
Methode zur Förderung der Bevölkerungsexplosion ist.
Interessant für mich
ist der zweite, theoretische Teil deiner Ausführungen. Verstehe ich das richtig,
dich interessiert mehr die Methode, weniger der Inhalt der Antworten?
Weiter, dich interessiert das SOLL, nicht das IST. Im Prinzip ja, aber
beeinflusst nicht das IST wesentlich das SOLL? Kann man über das, was der Mensch
sein soll, etwas aussagen, ohne zu wissen, wie der Mensch ist? Ich beobachte zur
Zeit recht interessiert die Ergebnisse der "Lerntheorie", die offensichtlich in
die Richtung laufen, dem Menschen immer weniger Lernfähigkeit, dafür immer mehr
genetische Determiniertheit zuzuschreiben. Ändert das nicht das SOLL?
Du
schreibst: "Nicht so skeptisch wie Du (Margarete) bin ich bei der Frage einer
gerechten Verteilung von Gütern." Das überrascht mich aber sehr! Darüber
schlagen sich doch schon seit fast zwei Jahrhunderten die diversen ...ismen die
Köpfe ein. Und eine gerechte Verteilung der Güter selbst innerhalb Deutschlands
ist ja wohl mehr als umstritten. Nein, da sehe ich auch nicht ansatzweise eine
klare Lösung. Allein zwischen der objektiven und subjektiven Bedürftigkeit zu
entscheiden, das ist fast die Quadratur des Kreises. In einer Moral lediglich zu
sagen, die Güter müssen gerecht verteilt werden, das ist zu wenig. Da müssen
schon konkretere Aussagen her. Dies einfach den empirischen Sozialwissenschaften
zu überlassen, genügt nicht. Sie mögen die Daten liefern, aber die moralische
Bewertung ist ja wohl wieder Sache der Philosophie. Oder will die Philosophie
dieses Feld den Religiösen überlassen? Der Teufel liegt im Detail, auch bei der
Moral!
Das Thema Autonomie wäre auch noch sehr interessant, aber ich will
dich nicht überlasten. Könnte ja sein, dass du noch etwas anderes zu tun hat,
als im Philtalk zu referieren.
Gruß HP
P.S. Margarete und
Zampano, euch antworte ich morgen!
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 11. Apr. 2003, 16:54 Uhr
Hallo
Zampano,
Du meinst, dass wir das Rad noch einmal erfinden, dass alle
ethischen Fragen bereits beantwortet sind?
Warum gibt es dann
unterschiedliche Auffassungen innerhalb unserer Gesellschaft darüber, ob ein
16jähriges Mädchen die Antibabypille nehmen und bei ihrem Freund übernachten
darf, ob Eltern ihre Kinder mit Prügel erziehen dürfen, ob man Wehrdienst
leisten soll oder darf, ob Experimente mit menschlichen Stammzellen erlaubt sein
sollen, ob die Erbmasse von Pflanzen, Tieren oder Menschen gentechnisch
verändert werden darf, ob man Tierfleisch essen darf usw. usf.?
Wenn man
verschiedene Kulturen und Länder vergleicht, werden die Unterschiede noch
deutlicher, man denke nur mal an die Rechte von Frauen und die Regelung des
sexuellen Verhaltens.
Selbst wenn es sich ergibt, dass wir viele
tradierte Normen und Werte beibehalten (was ich vermute), so wäre doch ihre
Begründung durch Argumente, die jeder verständige Mensch nachvollziehen und
akzeptieren kann, ein Gewinn gegenüber Begründungen durch die
unterschiedlichsten religiösen Überzeugungen.
Wenn ich Dich recht
verstehe. ist die Bejahung und Förderung des eigenen und fremden Lebens der
einzige wahre Grundsatz der Ethik. Vielleicht könntest Du mal zeigen, wie Du
damit eine konkrete ethische Streitfrage, etwa die Zulässigkeit des
Schwangerschaftsabbruchs, entscheidest.
Eine letzte Frage an Dich: Du
sagst, dass bei gründlichem Überlegen jeder zu Deinem ethischen Grundsatz kommen
kann. Könntest Du diese Überlegungen einmal ausführen?
Gruß Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter
am 12. Apr. 2003, 01:55 Uhr
Hallo Zampano,
ich gestehe, ich
habe Schwierigkeiten mit dem, was du schreibst. Nur zu drei Sätzen ein
Kommentar.
Du schreibst: "Die Basis, oder Definition, jeglicher "Moral"
bin ich selbst und meine Liebe zum Leben und zu anderen Lebewesen". Da die
Menschen aber unterschiedlich sind, folgt, dass andere Menschen eine andere
Moral haben. Das ist tatsächlich so. Fragt sich nur, nach welchen Kriterien
willst du dann eine normierte Moral schaffen, auf deren Grundlage allgemein
gültige Gesetze entstehen?
Wir könnten an dieser Stelle natürlich eine
Diskussion darüber beginnen, ob Liebe ein oberstes moralisches Prinzip sein
könnte, aber ich prophezeie dir, das geht genauso wenig wie beim Leid. Außerdem,
wo viel Liebe ist, kann auch schnell viel Hass entstehen.
Weiter
schreibst du: "Sein Leben so angenehm wie möglich zu gestalten, heißt ja nicht
hedonistisch zu leben, sondern Leid zu vermeiden". Das ist für mich nicht
nachvollziehbar. Ein möglichst angenehmes Auto ist mehr als ein Auto, in dem ich
keine blauen Flecke bekomme. Zu einem möglichst angenehmes Leben gehören für
mich "sinnliche Lust, das Vergnügen, der Genuss". Und genau das als moralisches
Ziel sind die Kriterien des Hedonismus; sagt zumindest mein Philo-Lexikon.
Außerdem bitte ich dich um eine Bibelstelle, aus der hervorgeht, dass es das
Ziel Jesus war, sein Leben so angenehm wie möglich zu gestalten und dass er das
auch seinen Jüngern empfahl.
Dass es keine universelle Moral gibt, wie du
richtig schreibst, haben wir in dieser Diskussion bereits mehrfach festgestellt.
Wir versuchen aber trotzdem, ein für alle Menschen akzeptables Moralsystem zu
finden. Lies einmal die sehr gute Zusammenfassung von Eberhard eine (oder 2)
Seite(n) vorher und schreibe, was du daran falsch findest, vielleicht kommen wir
uns dann näher.
Hallo Margarete,
ich habe mal gelesen, dass
Blondinen nach jeder Geburt nachdunkeln. Stimmt das? Aber es gibt ja noch
Frisöre...
Zur Sache. Ja, was soll ich darauf antworten? Statistiken, die
dir nicht gefallen, sind falsch (Churchill...Statistiken..., ich weiß). Und du
glaubst, dass alles gut gehen wird und die Techniker schon eine Lösung finden.
Klar, die Richtigkeit einer Vorhersage zeigt sich immer erst dann, wenn das
Ereignis eingetreten ist. Wenn du aus dem 5. Stock eines Hauses springst und ich
dir vorhersage, dass du unten tot bist, kannst du natürlich argumentieren, kurz
vor dem Aufprall kommt die Feuerwehr um die Ecke gepest und öffnet ein
Sprungtuch.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von margarete am 12. Apr. 2003, 07:48 Uhr
Hallo
Hanspeter -
du hast Recht, die Haare dunkeln nach, können aber auch
wieder heller bis weiß werden, zudem ist es wissenschaftlich erwiesen, dass bei
jeder Geburt das Gehirn der Frauen weniger wird - wolltest du das wissen? Dann
kann ich dir noch sagen, dass das Gehirn der Männer von vornherein kleiner ist
als das der Frauen - das sagt natürlich nicht aus, wie es ausgelastet und
gehandhabt wird.
Deine Antwort stimmt mich etwas traurig, vielleicht
hätte ich doch die Brücke wählen sollen.
Es mag sein.dass ich den
Ausdruck Statistiken falsch gewählt habe, und hätte sagen müssen Hochrechnung,
wobei ich dir beipflichten muß, dass angenommene Rechnungen, Thesen oder
Theorien sich in der Praxis oft als falsch erweisen,weil die Spezies Mensch sich
anders entschlossen hatte als ihr Berechner es wollte, im positiven wie im
negativen Sinn.
Natürlich bin ich auch der Meinung, dass eine
Geburtenregelung wichtig ist, es ist nur die Frage der Form und des Angebots,
und kann nie zwingend sein.
Ich bin im Übrigen der selben Meinung wie
Zampano, dass es der Sinn des Lebens ist, das Gute und Schöne zu suchen, und das
kann ohne Liebe zu den Menschen bzw.zur ganzen Evolution nicht funktionieren,
ich gebe zu das ist ein langes Thema. Die Bibel ist sinngemäß zu übernehmen. Wie
jede andere Moraltheorie muß auch sie ständig neu hinterfragt, bzw. der
Evolution angepasst werden und kann nicht wie viele Fundamentalisten - auch in
der Kirche meinen, wortwörtlich übernommen werden.
Nachdem du als Biologe
(habe ich das irgendwo richtig gelesen) nun über meine Biologie Bescheid weißt,
könnten wir uns nun mit etwas mehr Freundlcihkeit begegnen?
Besonders
liebe Grüße
Margarete
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 12. Apr. 2003, 16:02 Uhr
Hallo
Margarete,
mich hatte nur das mit der Haarfarbe interessiert. Außerdem
beurteile ich Menschen weder nach der Haarfarbe noch nach dem Gewicht des
Gehirns. Daher triumphiere ich auch nicht, wenn meine Bücher Recht haben, die
behaupten, dass das Gehirn des Mannes im Schnitt 1375g, das der Frau 1245g
wiegt. Übrigens, ich bin kein Biologe, wenngleich ich diese Wissenschaft sehr
schätze.
Es freut mich jedenfalls zu hören, dass du eine
Geburtenregelung zumindest nicht ablehnst.
Ein bisschen zusammengezuckt
bin ich aber bei deinem Vorschlag, die Bibel sinngemäß zu übernehmen. Hast du
sie mal gelesen? Auch mit kritischen Augen? Solltest du. Speziell jene Passagen
zu Ethik. Kostproben gefällig:
Sippenhaft im 2. Gebot (Ex 20,5),
Todesstrafe für Holzsammeln am Sabbat (Num 15,32 ff), Akzeptanz der
Sklavenhaltung (Ex 21ff), Todesstrafe darauf, dass man seinen Vater einen
gottverdammten Hurenbock schimpft (Ex 21,17), 2-3 Gebote (je nach Zählweise) zur
Sicherung des Besitzstands, kein einziges, das soziale Fürsorge anmahnt.
Soll man das alles sinngemäß übernehmen? Übrigens, lies die Stellen ruhig genau
durch, sonst heißt es wieder, meine Zitate seien "aus dem Zusammenhang
gerissen".
Nebenbei, nirgendwo in der Bibel steht geschrieben, dass ihre
Aussagen "an die Evolution" oder sonst eine Entwicklung angepasst werden müssen.
Ganz im Gegenteil. In Mt 5,17 ff sagt Jesus eindeutig, dass keines der
alttestamentlichen Gebote aufgehoben werden darf. Wenn die diversen Kirchen sich
an die Zeit anpassen, so schlicht aus Angst, ihren Einfluss zu verlieren.
Übrigens, eines der für mich völlig unfassbaren Rätsel ist es, dass sich
Frauen zur katholischen Kirche hingezogen fühlen. Eine Organisation, die über
200 Jahre lang weltweit schätzungsweise eine Million Frauen systematisch
verfolgt, grausamst gefoltert und getötet hat und die sogar heute noch
ungestraft Frauen diskriminieren darf (Lehramtsverbot). Ganz zu schweigen von
der Diskriminierung der Frau in der Bibel (zB 1 Tim 2,8ff; sehr
empfehlenswert!!)
Gruß, in ungetrübter Freundschaft, HP
Titel:
ethik in theorie und praxis
Beitrag von noisette am 12. Apr. 2003, 19:04 Uhr
on 04/11/03 um 00:49:32, Hanspeter wrote:
Ich glaube übrigens
nicht, dass Buddha und Jesus zu demselben Ergebnis gekommen sind.
vorweg, ich bin keine philo-fachfrau, habe aber den grossteil der beiträge mit
interesse gelesen.
ad buddha, kant et al.: hier teile ich weitgehend
zampano's meinung, dass man auch bei weiteren hundert jahren diskussion nicht zu
viel besseren ergebnissen (nämlich: nächstenliebe/mitgefühl, dem anderen nicht
schaden und achtung vor dem leben) kommen wird. viel wichtiger und dringend
notwendig erscheint mir die umsetzung. und da gebe ich margarete recht, dass
dies nicht nur ein bottom-up, sondern vor allem auch ein top-down-prozess sein
muss. die zustände auf der welt sind nicht deshalb so unerfreulich, weil es
keine guten ansätze und lösungen gibt, sondern weil in den machtpositionen der
politik und wirtschaft menschen sitzen, die von ethik zu wenig oder keine ahnung
haben, die ökonomisch statt ökologisch und sozial denken und demzufolge falsche
prioritäten setzen und vermitteln. beispiel: millionen für sportsponsoring
versus almosen für sozialprojekte.
grüsse, n.
Titel:
Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 13. Apr.
2003, 07:01 Uhr
Hallo Hans Peter -
Vielleicht hat Größe nicht
unbedingt mit Gewicht zu tun?
Seis wie es sei oder ist!
Naja ich gebe
zu ich bin kein Bibelleser, und wenn man hineinschmökert, dann steigen einem die
Krausperlen auf, aber vielleicht deswegen, weil sich noch fast niemand getraut
hat sie laut Interpretation der Kirche neu zu formulieren. Ich kenne Menschen,
die gehen regelmäßig in Gebetskreise, und sind vollkommen von dem überzeugt, was
Ihnen angeboten wird, das hat Glauben so an sich, eine Überzeugung von etwas das
nicht bewiesen werden kann. Die Interpretationen sind so ausgelegt, dass sie im
täglichen Leben Platz greifen und eine Berechtigung haben, man kann nicht sagen,
dass alles Quatsch ist, und für manche Menschen ist ihr Glaube der letzte
Strohhalm der sie am Leben erhält, dazu gibt es keine Alternative, und das ist
bei ethischen Betrachtungen miteinzubeziehen!
Je höher der Bildungsgrad desto
weniger Gläubige gibt es vor allem im naturwissenschaftl. Bereich, was meiner
Meinung nichts aussagt wie ein Mensch dann tatsächlich in einer Notsituation
agiert. Ob nicht ein Gebet seinen letzten Atemzug begleitet.
Jeglicher
Mißbrauch ist verwerflich im Glauben, in der Wissenschaft, der Wirtschaft im
Sozialverhalten - aber wo die Grenze ziehen?
Wie die bestehenden Normen
umsetzen?
Ich bin nicht der Meinung wie Noisette dass sich nichts ändern wird
im Verhalten, man muß nur vestärkt damit beginnen den Berg abzutragen (der
Lieblingsausdruck eines Freundes).
Normen und Gebote sind dazu da um sie
auszutricksen und zu umgehen, ergo kann nur das Verständnis in den Menschen
selber wachsen.
Ich bin entsetzt über die vergangenen Kriege bzw. die
bestehenden, und dachte mir die Menschen hätten nichts dazu gelernt, haben auch
viele nicht, aber viele eben doch, und es gibt viele die z.B. demonstrieren
gehen, oder Petitionen verfassen auch wenn es scheint, dass es nichts nützt, es
trägt zur allgemeinen Meinung bei und hilft Situationen zu klären.
Einen schönen Palmsonntag
Magarete
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 13. Apr. 2003, 10:22 Uhr
Hallo Freunde der Weisheit,
mir fällt auf, dass man sich mit der
Suche nach einer nachvollziehbaren und akzeptierbaren Begründung moralischer
Normen zwischen alle Stühle zu setzen scheint. Der eine Stuhl ist von denen
besetzt, die eine derartige Begründung für ausgeschlossen halten, weil jeder
seine eigene Moral für allgemeingültig erklärt usw.. Der andere Stuhl ist von
denen besetzt, für die eine Begründung nicht nötig ist, weil die Inhalte der
Moral sehr einfach und für alle Zeiten und Gesellschaften praktisch die gleichen
sind. Beide Positionen sind einander direkt entgegen gesetzt, sie haben aber
gemeinsam, dass man sich in beiden Fällen die Mühen einer expliziten, logisch
einwandfreien Begründung oder Kritik der moralischen Normen erspart.
Ein
grundsätzlicher Punkt scheint mir der Klärung besonders wert zu sein. Das ist
die Frage, inwieweit Leid und Glück von Menschen ein Gesichtspunkt für die
Bestimmung allgemeingültiger moralischer Normen sein können. Hanspeter, Du hast
da grundsätzliche Zweifel. Du schreibst „Die Definition und die Bewertung von
Leid ist eine subjektive Sache, ein objektiviertes Leid kann ich mir nicht
vorstellen.“ Mit dieser Position befindest Du Dich in bester Gesellschaft, was
die deutschen Philosophen angeht.
Ich meine jedoch, dass es doch so
etwas gibt wie eine „Objektivierung“ subjektiven Leids. Um den vieldeutigen
Begriff der „Objektivität“ zu vermeiden, würde ich es die intersubjektive
Nachvollziehbarkeit fremden Leids oder Glücks nennen.
Tatsche ist, dass
jeder Mensch ein eigenes „selbsterhaltendes System“ ist. Das bedeutet z.B., dass
seine Nerven nur Verletzungen des je eigenen Körpers per Schmerzgefühl melden,
nicht jedoch die Verletzungen fremder Körper. Es bedarf einer besonderen
Fähigkeit, z.B. des „Mitgefühls“, um die Schmerzen anderer zu spüren. Und der
Gebrauch des griechischen Wortes für „Mitgefühl“ – „Sympathie“ - verrät, dass
auch diese Empfindung keine intersubjektiv übereinstimmenden Resultate liefert.
Andere Menschen sind uns mehr oder weniger „sympathisch“ und die Stärke unseres
Mitgefühls mit einem andern Menschen hängt z.B. davon ab, wie nahe dieser uns
steht.
Trotzdem ist es nicht sinnlos, die Stärke des Leids oder Glücks
verschiedener Subjekte zu vergleichen, und wir benutzen solche intersubjektiven
Vergleiche und Abwägungen im Alltag häufig. Wir sprechen von einem „großen
Unglück“, von einem „schweren Los“, von „geringfügigen Vorteilen“, von „riesigem
Schaden“ usw. Und wir stellen auch direkte Vergleiche an: „In dessen Haut möchte
ich jetzt nicht stecken“, „Es geht ihm sehr viel besser als früher“, „Er hat es
schlechter getroffen als sein Bruder“, „Den größeren Schaden bei der Sache habe
ich gehabt“, „Im Vergleich zu mir geht es dir doch glänzend“ usw.
Wir
können solche intersubjektiven Vergleiche des Wohlergehens anstellen, weil der
andere uns sein Leid und sein Glück mitteilen kann, weil er sagen - oder auch
nicht-sprachlich ausdrücken – kann, wie er sich fühlt. Große Teile der Literatur
bestehen in dem fiktiven Miterleben und Nacherleben fremder Schicksale.
Wenn ich auf andere „Rücksicht“ nehmen will, dann muss ich mich gedanklich „in
deren Lage hineinversetzen“ und „die Dinge einmal aus ihrer Sicht sehen“. Diese
Fähigkeit zu dieser Art „sozialer Wahrnehmung“ kommt allerdings nicht von selbst
sondern muss durch die Erziehung gefördert werden, und oft ist es hilfreich,
„einmal am eigenen Leibe verspürt zu haben“, was es heißt, zu hungern oder
gehbehindert zu sein. Ich glaube, dass man dann in weiten Bereichen zu
intersubjektiv übereinstimmenden Urteilen darüber kommen kann, was die
Gewichtigkeit verschiedener Formen von menschlichem Leid oder Glück angeht.
Probleme entstehen jedoch dadurch, dass die Urteile in konkreten
Entscheidungssituationen durch die jeweiligen Eigeninteressen verzerrt werden.
Wenn die eigenen Interessen tangiert sind, dann sind die Menschen oft „auf einem
Auge blind“, der Nachteil der andern ist „nur halb so schlimm“, die eigenen
Beeinträchtigungen dagegen „schwerwiegend“ und „unzumutbar“.
Um diese
Art „Befangenheit“ und „Voreingenommenheit“ aufgrund des individuellen oder
kollektiven Eigeninteresses bei der Abwägung verschiedener Interessen
auszuschalten, kann man in manchen Fällen bewusst die Verfolgung des
Eigeninteresses unmöglich machen, etwa bei der Aufteilung eines Kuchens nach dem
Verfahren: Der eine schneidet aber der andere darf als erster ein Stück
auswählen.
Soweit mein „Wort zu Sonntag“. Auf gut geschärfte Einwände
freut sich Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 13. Apr. 2003, 12:58 Uhr
Hallo noisette,
selbstverständlich gelten die gleichen Argumente, die ich gegen Zampano
nannte, auch gegen deine Meinung. Warum übrigens unterscheiden sich Buddhismus
und Christentum so grundlegend, wenn ihre Gründer in ihren Überlegungen eurer
Ansicht nach zum selben Ergebnis gekommen sind?
Unsere Probleme liegen
übrigens nicht primär an den bösen Menschen in Politik und Wirtschaft. In Sachen
Moral unterscheiden sie sich nämlich nicht grundsätzlich von den übrigen
Menschen. Sie lügen im Schnitt vermutlich nicht viel öfters als normale
Menschen, sie sind so wenig wahrhaftig wie die meisten normalen Menschen und sie
schreien so laut wie normale Menschen, wenn sie ihren Besitzstand in Gefahr
sehen. Dass sie Millionen für Sportsponsoring ausgeben, entspricht den
Interessen von Millionen von Menschen, für die Sportereignisse zum angenehmen
Leben gehören. Und die Sozialausgaben in Deutschland liegen nicht im Millionen-,
sondern im Milliardenbereich.
Gruß HP
Titel: Re:
Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von noisette am 13. Apr. 2003,
17:15 Uhr
[quote author=margarete]
Ich bin nicht der Meinung wie
Noisette dass sich nichts ändern wird im Verhalten, man muß nur vestärkt damit
beginnen den Berg abzutragen (der Lieblingsausdruck eines Freundes) [/quote]
[balloon] darf ich fragen, wo ich das aus deiner sicht geschrieben habe?
[confused] ... n.
Titel: Ethik - ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von noisette am 13. Apr. 2003, 17:26 Uhr
[quote author=Hanspeter]
Warum übrigens unterscheiden sich Buddhismus und
Christentum so grundlegend, wenn ihre Gründer in ihren Überlegungen eurer
Ansicht nach zum selben Ergebnis gekommen sind? [/quote]
[balloon]
abgesehen davon, dass mir als agnostikerin eine auf kant basierende ethik lieber
wäre..., kann ich - was den achtungsvollen umgang mit mitmenschen betrifft -
keinen grossen unterschied erkennen zwischen dem christlichen appell der
nächstenliebe und dem buddhistischen anliegen des mitgefühls.
Titel: Ethik - ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von noisette am
13. Apr. 2003, 17:44 Uhr
[quote author=Hanspeter]
Unsere Probleme
liegen übrigens nicht primär an den bösen Menschen in Politik und Wirtschaft. In
Sachen Moral unterscheiden sie sich nämlich nicht grundsätzlich von den übrigen
Menschen. Sie lügen im Schnitt vermutlich nicht viel öfters als normale
Menschen... und sie schreien so laut wie normale Menschen, wenn sie ihren
Besitzstand in Gefahr sehen [/quote]
[balloon] hallo hanspeter! ich habe
nicht von irgendwelchen menschen in politik und wirtschaft geschrieben, sondern
von top-managern und spitzenpolitikern. zwischen letzteren und den 'übrigen
normalen menschen' besteht doch, wie mir scheint, ein beträchtlicher
unterschied, nämlich: sie haben macht, sie sind entscheidungsträger, sie
haben/hätten die möglichkeit zu grossen veränderungen - für dieses mehr an
verantwortung bekommen sie ja auch entsprechend bezahlt!
und von leuten in
spitzenpositionen erwarte (vermutlich nicht nur) ich nun mal, dass sie nicht nur
kurzfristig ökonomisch denken, sondern dass sie auch visionen hinsichtlich einer
gerechteren welt haben. zu sagen, 'wir investieren ja ohnedies so viel im
sozialbereich', ist mir zu wenig, solange im eigenen land noch immer tausende
unter der armutsgrenze leben und auf anderen kontinenten millionen hungern.
grüsse, n.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 13. Apr. 2003, 18:44 Uhr
Hallo noisette
es war wohl zampanos meinung die du teilst - dass man in weiteren 100 jahren
diskussion nicht zu viel besseren ergebnissen kommen wird.
Gruß -
Margarete
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von
paul am 13. Apr. 2003, 23:22 Uhr
hallo Margarete,
ich darf mich noch
mal einmischen und gleichzeitig als Liebhaber blonder Frauen outen, besonders
wenn sie noch philosophieren und sozial funktionieren,
das ist geradezu ein
einzigartige Kombination.
Von den Nachwuchsparolen von HP soltest du dich
nicht beleidigen lassen.
Er ist da so fixiert, dass alle Gegenargumente
störend sind und ihn nur aufregen. Wir haben hier in Deutschland alles andere
als zuviel Nachwuchs.
Als ich eine Ehe einging hieß die Parole:
um Gottes
Willen keine Kinder, wir wollen sie nicht dem Atomtod aussetzen. Das mit dem
lächerlichen Kindergeld will er auch nicht verstehen. Kinder werden steuerlich
nicht gefördert, sondern benachteiligt, das ist ja kein Geheimnis, du hast also
etwas sozial sehr nützliches geleistet.
Deine Kinder müssen zum Hohn auch
noch die Rente der kinderlosen Atomtodideologen bezahlen.
Titel: Re: Ist
Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 13. Apr. 2003, 23:26 Uhr
2
Gegen seinen Ökopessimismus empfehle ich:
Öko-Optimismus
Von
Dirk Maxeiner und Michael Miersch
Hardcover:
Metropolitan Verlag,
Düsseldorf 1996
ISBN 3-89623-018-2
342 Seiten
24,95 Euro
Für
oder gegen abenteuerliche Bevölkerungsprognosen hatte ich schon
http://www.weltbevoelkerung.de/toppage/nav_index.html
mitgeteilt,
und dass
medizinische Versorgung gerade in Entwicklungsländern ökonomisch und ökologisch
sinnvoll ist, kann man hier
http://www.who.int/en/index.html
nachlesen,
man muß sich dazu nur ein klein wenig Mühe geben.
Gruß
Paul
Titel:
Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 14. Apr.
2003, 03:33 Uhr
Hallo Margarete,
die männliche und die weibliche
Gehirnsubstanz bestehen sicher aus dem gleiche Material, daher liegt die gleiche
Dichte vor und dann ist die Masse proportional zum Volumen. Berücksichtigt man
aber weiteres Material wie zB. Stroh.... Nein, Schluss mit diesen dämlichen
Klischees!! Und wenn ich die Vermutung äußere, dass du Österreicherin bist (von
wegen der Krausperlen = Krausbeeren), füge sich selbstverständlich sofort hinzu,
dass ich alle Witze, in denen das Wort Ostfriese durch Österreicher ersetzt
wurde, zutiefst ablehne.
Zur Sache. Ich denke, man muss davon ausgehen,
dass die moralischen Vorstellungen eines Menschen in früher Kindheit
"einprogrammiert" werden und sich später, wenn überhaupt, nur unter größten
Schwierigkeiten ändern lassen. Max Planck sagte dazu treffend: "Das Neue setzt
sich nicht durch, indem die Vertreter des Alten das Neue akzeptieren, sondern
indem die Alten sterben und die Jungen mit dem Neuen aufwachsen." Klar, wer an
ein Ewiges Leben und an die Erlösung durch Jesus glaubt, der findet Tröstliches
in der Bibel, die Theologen filtern die Ungereimtheiten heraus, und die Leute
sterben glücklich und zufrieden und träumen vom Himmel. Du weißt ja, 8 Uhr bis
12 Uhr: Halleluja-Singen, 14 Uhr bis 18 Uhr: Hosianna-Singen....
herzliche Grüße HP
PS. Ich habe dich doch hoffentlich niemals beleidigt,
wie dieser komische Paul behauptet? Wenn ja, lass es mich wissen, das wäre mir
fatal.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von
Hanspeter am 14. Apr. 2003, 03:50 Uhr
Hallo Eberhard,
ich
zweifle nicht daran, dass man Leid in einem gewissen Rahmen objektivieren kann.
Niemand schätzt es, wenn der Zahnarzt mit der bekannten Nadel auf den blanken
Nerv drückt und scheinheilig fragt, ob es weh tut; niemand will durch eine
Landmine in die Luft gesprengt werden usw. Ebenso ist unzweifelhaft, dass,
entsprechende Empathie vorausgesetzt, fremdes Leid erfasst und verstanden werden
kann. Fachleute wie Psychotherapeuten können das und können auch individuelle
Hilfe anbieten. Beachte aber: Es ist stets individuelle, nie allgemeingültige
Hilfe.
Es ist auch sicher unstrittig, dass man versuchen wird, Leid zu
minimieren. Die entscheidende Frage ist aber doch, kann die Minimierung von Leid
als oberste Grundlage einer Moral verstanden werden?
Du könntest
natürlich argumentieren, dass zB. das Christentum ein moralisches System ist,
dessen oberstes Prinzip die Minimierung des Leids ist. Wem es auf der Erde gut
geht, der leidet in der Hölle, wem es hier schlecht geht, spart sich die
Torturen im Jenseits, addiert man alles, so hat der, der sich an die Christliche
Moral hält, ein Minimum an Leid zu erwarten. Doch dieses System setzt voraus,
dass all die christlichen Ingredienzien Realität sind.
Auch kann ich mir
theoretisch ein moralisches System ohne religiöse Komponente vorstellen, die
diesem Prinzip huldigt. Dabei würde ich sogar akzeptieren, dass in strittigen
Fragen der eine oder andere Fehler bei der gegenseitigen Abwägung verschiedener
Arten von Leid gemacht werden. Dieses Problem existiert ja bereits in der
Politik, wo man ohne weiteres "Ausgleich unterschiedlicher Interessen" durch
"Minimierung des Leids" ersetzen kann.
Das aus meiner Sicht
entscheidende Manko dieses Systems ist es aber, dass es das Schicksal künftiger
Generationen nicht involviert; anders gesagt, dass es die ökologischen Probleme
nicht berücksichtigt. Unter der Zerstörung zB. der Regenwälder leiden
bestenfalls einige Naturfreaks; wenn man den Gewinn einigermaßen ehrlich
verteilt, profitieren sowohl die Bewohner dieser Gegenden, als auch die
Geschäftswelt. Die Folgen der Zerstörung treten ja erst in Jahrzehnten auf.
Hier spielt wohl der "Fliegeneffekt" eine entscheidende Rolle. Bekanntlich
können Fliegen nur rasche Veränderungen wahrnehmen. Ebenso der Mensch. Würden
die Folgen des Rauchens innerhalb eines Monats auftreten, würde niemand auf der
Welt rauchen. So aber dauert es meist Jahrzehnte und das können viele nicht
erfassen. In der Ökologie ist das noch viel extremer. Als ganz grober
Schätzwert: 1 Sekunde im Bewusstsein eines Menschen entspricht etwa 1 Jahr in
der Natur (für Schnellrechner: 3 Milliarden Jahre belebte Natur entsprechen max.
Menschenalter = 100 Jahre = 3 Milliarden Sekunden)
erfolgreiches Brüten
und Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 14. Apr. 2003, 07:49 Uhr
Hallo Paul - vielen
Dank, es ist schön zu wissen, dass es einen Liebhaber gibt der mir soziale
Hilfestellung leistet!
Hi, Hanspeter zu deinen Fatalitäten - Stroh im
Kopf ist ein Buchtitel von Vera f Birkenbihl, und sie zitiert auch - Männer
kommen vom Mars, und Frauen von der Venus,- also ist Masse nicht gleich Masse,
von der "Dichte" ganz zu schweigen.
Ich freue mich, dass du dich dem
allgemeinen Rassismus gegen Österreicher und dazu noch B nicht anschließt, das
ist doch schon was? - Ich habe Humor!
Hallo Eberhard und alle die
mitlesen -
Ich meine um Leid in den Vordergrund zu stellen gehörte es
genauer definiert, aber so wie ich es herauslese, stehen eher Organisationen im
Vordergrund, die Leid vermeiden bzw. verursachen können. Kirche, Regierung div.
Vereine usw.
Ron Smothermon sagt:
Organisationen bieten uns die enorme
Möglichkeit, unsere Welt bis zu ihrem vollen Potential funktionieren zu lassen.
Eine Organisation ist eine aus zwei oder mehreren Personen bestehende Gruppe
die zur Erledigung einer bestimmten Aufgabe gebildet wurde.
Es gibt zwei
Arten wie wir das Funktionieren unserer Organisationen verhindern: 1. wir
verbleiben selbst in einem Zustand der Nichtverantwortung für unser Erleben von
anderen und 2. wir gehen von der Daseinsbedingung des Mangels aus.
Im ersten
Fall bedeutet dies, dass wir unseren Verstand in einem Zustand des "Nichtmögens"
unseres Erlebens eines anderen Menschen vorfinden. Aber anstatt für unser
Erleben verantwortlich zu sein, sagen wir: So sind die nunmal wirklich.
In
Wirklichkeit ist es nur ein falsch/richtig Spiel um sich vor der eigenen
Verantwortung zu drücken und damit das negative Erleben auf die Organisation zu
projektieren und zum scheitern zu verurteilen.
Die angenommene
Daseinsbedingung des Mangels gesagt, dass nicht genügend viel im Umlauf ist:
holen sie sich also ihren Teil, sonst wird es ein anderer tun. Mangel
rechtfetigt eine Minimalisierung. Auch Erfolg, Zufriedenheit und Leistung stehen
unserer Meinung nach dann nur begrenzt zur Verfügung, das schränkt unmittelbar
ein, was die Organisation und ihre einzelnen Mitglieder bereit sind als ihre
Leistungsfähigkeit zu sehen. Wenn die Dinge erst einmal so definiert sind,
fangen sie wirklich an, auch so auszusehen, und die Leute sehen weg, und das
ganze Unterfangen bricht zusammen.
Ist jemand bereit die Verantwortung für
das Erleben der Organisation zu übernehmen, dann ist er/sie auch bereit es mit
dem Kontext des Mangels aufzunehmen und durch den Kontext der hinreichenden
Menge zu ersetzen. Eine innerhalb der Organisation gewinnende Person
repräsentiert in Wirklichkeit das Gewinnen der gesamten Organisation und wird
auch so erlebt.
Was also funktioniert wäre:
1. Das was wir zum Überleben
brauchen ist in ausreichender Menge vorhanden
2. Was wir erreichen bekommen
wir nicht auf Kosten von anderen, auch wenn es manchmal so aussieht
3.wir
sind die Organisation; und
4. entspricht es unserem Zweck uns selbst zu
fördern indem wir das Erleben der Oragnisation vervollkommnen.
Was den
Nebeneffekt erzeugt, dass die Organisation funktioniert.
Grüße Margarete
Titel: Ethik - Kein sinnloses Unterfangen
Beitrag von
noisette am 14. Apr. 2003, 10:44 Uhr
[quote author=margarete] es war
wohl zampanos meinung die du teilst - dass man in weiteren 100 jahren diskussion
nicht zu viel besseren ergebnissen kommen wird.
[balloon] ich habe die
meinung vertreten, dass ich es für sehr unwahrscheinlich halte, dass es in
diesem forum gelingt, ethische theorien, richtlinien etc. zu entwickeln, die
jene eines buddha oder kant übertreffen. ferner, dass es mir wichtiger
erschiene, zu reflektieren, woran die umsetzung der bisher erarbeiteten ansätze
scheitert.
der von hanspeter angesprochene 'fliegeneffekt' findet sich
bereits in der in meinem gestrigen beitrag angesprochenen erwartung an
top-manager und spitzenpolitiker, nicht nur kurzfristig ökonomisch zu denken,
sondern auch langfristig ökologisch sowie in meiner forderung an
entscheidungsträger, sich bei investitionen, vergabe von sponsorgeldern etc. in
deutlich höherem masse als bisher sozial zu engagieren.
unbedingt notwendig
erscheint mir auch die einführung eines obligatorischen unterrichtsfaches
'ethik' (zusätzlich oder statt des religionsunterrichts) an den schulen.
grüsse, n.
Titel: Re: Ethik - ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von 2kookai am 14. Apr. 2003, 11:16 Uhr
[quote author=noisette
'wir investieren ja ohnedies so viel im sozialbereich', ist mir zu
wenig, solange im eigenen land noch immer tausende unter der armutsgrenze leben
und auf anderen kontinenten millionen hungern.
grüsse, n.
[user]ist es
nicht so, daß der hunger in der welt und die vielfältigen formen von armut wo
auch immer nichts anderes sind als pattern in jenem gigantischen computerspiel,
das wir aus unserer 1dimensionalen perspektive <welt> nennen?!
Titel: Re:
Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 14. Apr. 2003,
12:37 Uhr
Hallo Noisette,
1. Mit der christlichen Nächstenliebe
ist das so eine Sache. Wer ist der nächste? Für Jesus maximal die Juden, mit
Sicherheit nicht die Römer (Lk 10,29). Und was macht man mit denen, die Jesus
als König nicht akzeptieren? Man erwürgt sie (Lk. 19,27). Außerdem, er warnt ja
deutlich genug vor falschen Vorstellungen: "... Ich bin nicht gekommen, um
Frieden zu bringen, sondern das Schwert." (Mt 10,34). Schau dir doch knapp 2000
Jahre Christentum an. Du kannst sicher sein, all die Untaten der Kirche (aus
heutiger Sicht), und das sind nicht wenige, lassen sich biblisch begründen.
Von den Unterschieden zwischen Christentum und Buddhismus im Umgang mit der
übrigen Natur wollen wir gar nicht reden.
2. Ich habe auch an
Top-Politiker und Top-Manager gedacht. Welche Macht zB Herr Schröder hat, den
Sozialstaat zu reformieren, siehst du ja zur Zeit recht deutlich. Und was
glaubst du wäre, wenn die jetzige Regierung sagen würde, um Sozialprojekte in
der Dritten Welt zu finanzieren, erhöhen wir die Mehrwertsteuer um einen Punkt?
Wobei wir aber schon wieder bei der vor einigen Tagen diskutierten Frage sind,
wie sinnvoll Eingriffe in die 3. Welt überhaupt sind.
Damit du keinen
falschen Eindruck bekommst. Was die Kritik am politischen Estäblischment
anbelangt, da singe ich gerne mit: Aber in der Frage, was zu ändern ist, da
beginnt bereits der Streitpunkt. Du plädierst offenbar für mehr Engagement in
der Sozial- und Entwicklungspolitik, ich plädiere für mehr Engagement in der
Umweltpolitik.
Und in der Wirtschaft. Glaubst du, das ist dort anders?
Ein Top-Manager hat nur eine Aufgabe, nämlich den Unternehmensgewinn zu erhöhen.
Erfüllt er die, ok, erfüllt er sie nicht, weg damit. Innerhalb dieser Grenzen
kann er dann tatsächlich agieren.
Ohne eine Änderung in den moralischen
Vorstellungen der Bevölkerung geht da nix.
Übrigens, deinen Vorschlag für
einen obligaten Ethikunterricht unterstütze ich voll. Nicht zusätzlich, sondern
anstatt. Wie in Frankreich.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Zampano am 14. Apr. 2003, 13:45 Uhr
Antworten auf viele Fragen von Hanspeter oder Eberhard, auch eine sehr
treffende Formulierung zu eben meinen Aussagen, lasse ich durch das Wort eines
Mannes geben, der es verstand westliches und östliches Denken als nicht
getrenntes Denken sich zueigen zu machen und diese „Weisheiten“, die doch in
allen Kulturen bzw. Religionen gleich sind, in zwar poetischer aber nicht minder
scharfsinniger Art und Weise darzustellen, Hermann Hesse:
Auszug aus „Wer
lieben kann ist glücklich“:
„...dann ist das weiseste Wort, das je
gesprochen wurde, der kurze Inbegriff aller Lebenskunst und Glückslehre, jenes
Wort „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, das übrigens auch schon im Alten
Testament steht. Man kann den Nächsten weniger lieben als sich selbst – dann ist
man der Egoist, der Raffer, der Kapitalist, der Bourgeois, und man kann zwar
Geld und Macht sammeln, aber kein frohes Herz haben, und die feinsten und
schmackhaftesten Freuden der Seele sie einem verschlossen. Oder man kann den
Nächsten mehr lieben als sich selbst – dann ist man ein armer Teufel, voll von
Minderwertigkeitsgefühlen, voll Verlangen, alles zu lieben, und doch voller
Plagerei gegen sich selber, und lebt in einer Hölle, die man sich täglich selber
heizt. Dagegen das Gleichgewicht der Liebe, das Liebenkönnen, ohne hier oder
dort schuldig zu bleiben, diese Liebe zu sich selbst, die doch niemandem
gestohlen ist, diese Liebe zum anderen, die das eigene Ich doch nicht verkürzt
und vergewaltigt!
Das Geheimnis alles Glücks, aller Seligkeit ist in diesem
Wort enthalten. Und wenn man will, so kann man es auch nach der indischen Seite
hin drehen und ihm die Bedeutung geben: Liebe den Nächsten, denn er ist du
selbst!, eine christliche Übersetzung des „tat twam asi“. Ach, alle Weisheit ist
so einfach, ist schon so lange, schon so genau und unzweifelhaft ausgesprochen
und formuliert worden! Warum gehört sie uns nur zuzeiten, nur an den guten
Tagen, warum nicht immer?“
Mehr kann zumindest ich dazu nicht hinzufügen.
Zu einigen Einzelfragen gebe ich später meine Meinung wider.
Salve,
Zampano
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag
von Eberhard am 14. Apr. 2003, 19:01 Uhr
Hallo Hanspeter,
ich bin Dir
noch ein paar Antworten schuldig.
1. Wenn ich gesagt habe, dass die Ethik
auf „Soll-Fragen“ und die empirische Wissenschaft auf „Ist-Fragen“ antwortet, so
bedeutet diese Arbeitsteilung nicht, dass bei der Beantwortung der „Soll-Fragen“
die „Ist-Fragen“ keine Rolle spielen. Ganz im Gegenteil: Immer wenn bei der
Beantwortung einer „Soll-Frage“ z.B. die Folgen einer Handlung eine Rolle
spielen, müssen „Ist-Fragen“ beantwortet werden. Ob z.B. die Einführung der
Todesstrafe zu einer Verringerung der Kapitalverbrechen führt, kann nicht durch
philosophisches Nachdenken beantwortet werden, sondern dazu muss man die
entsprechenden sozialwissenschaftlichen Untersuchungen durchführen. (Damit habe
ich hoffentlich auch Deine Frage, Margarete, beantwortet.)
Aber keine
empirische Wissenschaft ist allein ausreichend, um die Frage zu beantworten, wie
Menschen in bestimmten Situationen handeln sollen. Zielsetzungen, Wertungen oder
Handlungsgebote können die empirischen Wissenschaften nicht vorgeben. Sie können
jedoch Fragen nach Ursachen und Folgen, nach Mitteln und Wegen beantworten und
den Bereich des Menschenmöglichen und Machbaren erweitern. Insofern bleibt das
ethische Nachdenken wichtig und notwendig.
2. Wenn ich gesagt habe, dass
ich als Philosoph vor allem an der Methode zur Beantwortung ethischer Fragen
interessiert bin, so heißt das nicht, dass mir die einzelnen Fragen und die
Antworten darauf gleichgültig sind. Ich bin nur der Meinung, dass wir uns bei
unserer Diskussion, bei der es ja um die Ethik im GANZEN geht, nicht an
einzelnen ethische Fragen festbeißen sollten.
3. Wenn ich gesagt habe,
dass es nicht aussichtslos ist, Prinzipien einer gerechten und allgemein
akzeptablen Verteilung von Gütern zu finden, und dazu ein vereinfachtes Bespiel
gewählt habe, so heißt das nicht, dass alle Verteilungsprobleme ähnlich einfach
zu lösen sind.
4. In diesem Zusammenhang noch eine allgemeine Bemerkung.
Bei der Konstruktion einer allgemein akzeptablen Ethik sollte man nicht der
Vorstellung nachjagen, dass es in jedem Fall DIE „einzig wahre“ Lösung geben
muss. Die Situation ist eher so, dass für bestimmte Konflikte und die daraus
entstehenden ethischen Probleme verschiedene Lösungsmöglichkeiten vorgeschlagen
werden und dass es dann darauf ankommt, diejenige Alternative zu bestimmen, die
vergleichsweise am ehesten allgemein akzeptiert werden kann. Es wird also z.B.
nicht DIE allgemein akzeptable Regelung bezüglich der Verteilung der Konsumgüter
geben, sondern nur Regelungen, von denen die einen mehr und die andere weniger
allgemein akzeptabel ist.
Im übrigen bin ich mit Dir wohl einer Meinung,
dass es nicht nur Handlungsbedarf sondern gleichzeitig auch noch reichlich
Klärungsbedarf auf dem Gebiet der Ethik gibt.
Gruß Eberhard.
(Entschuldige die etwas abstrakt geratenen Ausführungen.)
Titel: Re:
Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 14. Apr. 2003,
19:49 Uhr
Nanana Eberhard -
ich glaube du mischst ganz gern.
Die Ethik hinterfragt, wann ist eine Handlung erlaubt,bzw. gesollt.
Also
will ich etwas hinterfragen muß ich zuerst die Handlung genau beschreiben, dann
sämtliche Konsequenzen der Handlung eruieren, diese bewerten und den Gesamtwert
der Handlung errechnen, dann folgt die Suche nach Alternativen, den Konsequenzen
der alternativen Handlung, wiederum die Bewertung der K von H1, bzw. den
Gesamtwert, alternativen K von H, dann kann ich gegenüberstellen und ermitteln
was ich soll oder darf oder was abzulehnen ist. So ermittelt man ein Übergewicht
des Guten gegenüber dem Schlechten - wenn so vorgegangen wird, sind alle
möglichen Berechnungen, Bewertungen inkludiert.
Grüße Margarete
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Zampano am 14.
Apr. 2003, 20:18 Uhr
Hallo Eberhard et al.,
hier ein Versuch auf
einige gestellte Fragen eine Antwort, besser gesagt: eine Sichtweise darzulegen.
Beileibe keine Weisheiten, denn die sind ja, und ich hoffe darüber müssen wir
nicht streiten, nicht mitteilbar.
Also, versuche ich es mal:
Warum
gibt es dann unterschiedliche Auffassungen innerhalb unserer Gesellschaft
darüber, ob ein 16jähriges Mädchen die Antibabypille nehmen ... usw. usw.
Du beantwortest diese und die folgenden Fragen bereits selbst in dem du das
Wort Gesellschaft benutzt. Denn jegliche Normen, Gesetze, Religionen, Moralen
und Ideologien entspringen der Entwicklung einer Gesellschaftsform.
Der
Mensch formt seine Kultur (analog Gesellschaft) und die Kultur den Menschen.
Diese Paradoxie ist meines Wissens immer noch gültig.
Doch die wirklichen
Fortschritte (welcher Art auch immer) oder besser Wahrheiten und ihre Gegenteile
in der Geschichte hat nicht die Masse der Individuen, also die Gesellschaft,
selbst vorbereitet und aufgezeigt, sondern einige wenige, die sich eben an die
herrschenden Status nicht gehalten haben. Ob die Resultate gut oder, im z.B.
Falle der Nazis, schlecht waren, hängt vom bestehenden Charakter der
Gesellschaft ab und wie stark die Kräfte der sie verändernden Pole und Gegenpole
waren.
Die Kulturen mögen sich unterscheiden, doch nicht das Primärwesen der
Menschen, die sie bilden und umgekehrt, sondern nur deren Umfeld.
Vielleicht könntest Du mal zeigen, wie Du damit eine konkrete ethische
Streitfrage, etwa die Zulässigkeit des Schwangerschaftsabbruchs, entscheidest.
Die Antwort darauf dürfte implizit schon aus dem vorangegangenem
hervorgehen. Im Prinzip kann das nur der Mensch entscheiden, den es angeht.
Egal, wie die Regelung aussieht, sie wird niemals die Ansichten aller zufrieden
stellen und man wird auch nicht sagen können, welche Entscheidung besser oder
schlechter ist. Im diesem Falle ist es das Problem, inwieweit die Mutter des
ungeborenen Kindes generell zum Leben steht, bzw. es überhaupt bereits als Leben
ansieht. Meine Antwort darauf steht klar fest und kann natürlich eine endlose
Diskussion nach sich ziehen, die wir an dieser Stelle jedoch besser vermeiden
sollten. Übrigens: Wie sollte jemals ein Mann oder die Gesetzgebung eines immer
noch vorwiegend patriarchalischen Systems einer Frau diese Frage beantworten
können?
Eine letzte Frage an Dich: Du sagst, dass bei gründlichem
Überlegen jeder zu Deinem ethischen Grundsatz kommen kann. Könntest Du diese
Überlegungen einmal ausführen?
Nochmals zur Erinnerung: es sind nicht
MEINE Grundsätze, noch habe ich den Status eines Weisen oder Heiligen nicht
erreicht...:-)
Spaß beiseite: nach zeitweise intensivem Studium
philosophischer und humanistischer Literatur konnte (wohl nicht nur) ich einen
gemeinsamen Konsens stets wiederfinden. Auf die Frage, was das wichtigste für
einen einzelnen Menschen ist, war stets die Aussage zu finden (hier in mehreren
Formen): In dir selbst ist die Wahrheit, finde dich selbst, erkenne dich selbst,
etc. etc. Der Mensch muss sich selbst genügen, das ist das Ideal der
Selbstverwirklichung.
Wüsste ich nichts von allen diesen Werken oder
irgendwelchen Wahrheiten, wäre aber zu freiem und kritischen Denken fähig, so
würde ich die Methode von Descartes auf die Ethik anwenden und käme nach relativ
kurzer Zeit auf die „Theorie“: „Alles, was ich will, dass mir andere tun sollen,
das tue ich ihnen auch“ oder „Es gibt keine richtige Moral, nur deine eigene,
innere.“
Es sind ja nicht viele „Basisgrundsätze“ und sie mögen von
Mensch zu Mensch variieren, doch werden einige wenige wohl stets gleich
befürwortet werden. Wohlgemerkt, wir sprechen von freien und selbst-bewussten
Menschen, im idealisiertem Sinne.
Salve,
Zampano
Titel:
Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Zampano am 14. Apr.
2003, 20:24 Uhr
Hallo Hanspeter und Margarete,
auch zu deinen
Fragen ein paar Anmerkungen oder Versuche der Beantwortung.
Fragt sich
nur, nach welchen Kriterien willst du dann eine normierte Moral schaffen, auf
deren Grundlage allgemein gültige Gesetze entstehen?
Die Antwort dürfte
leicht konstruierbar sein: es gibt keine!
Eine „normierte“ Moral ist ein
Widerspruch gegen den freien Menschen an sich. Man müsste jeden Erdenbürger
befragen, welche Kriterien diese Moral beinhalten sollte (am besten man fragt
die Kinder!), dann hätte man eventuell eine global normierte Moral zur
Verfügung. Ob dies jemals erreichbar ist, ist eine andere Frage.
Sein
Leben so angenehm wie möglich zu gestalten... Zu einem möglichst angenehmes
Leben gehören für mich "sinnliche Lust, das Vergnügen, der Genuss".
Ich
gebe zu, der erste Teilsatz war unglücklich formuliert. Besser gesagt: damit
meinte ich „Leidvolle“ (oder „Unangenehme“...) zu vermeiden, „angenehm“ also in
dem Sinne, dass das individuelle Leiden vermieden werden sollte (wobei: jetzt
bitte keine Diskussion über subjektives oder objektives Leid, die wird bereits
an anderer Stelle geführt).
Wer als Leid Teilen von Besitz, Verletzung
seiner Eitelkeit, Anteilnahme, Mitgefühl oder Verletzbarkeit ansieht, der steht
m.E. allerdings noch am Anfang dieses Erkenntnisprozesses.
Mag sein, dass das
die Ziele des Hedonismus sind, aber sie sind nicht die Ziele einer höheren
ethischen Anschauung, die sind Freude statt Vergnügen, und Lust und Genuss, der
nicht anderen etwas nimmt oder auf Kosten anderer ist nicht zu „verurteilen“,
maximal im Sinne einer idealistischen Auffassung vom Leben eines Heiligen. Aber
davon sind wir Würmer ja weit entfernt...
Damit wollte ich ergo die
berühmte Bibelstelle „Liebe deinen nächsten wie dich selbst“ hervorheben, die
wichtigsten Worte der Bibel (Hinweis: ich bin kein Theist). Denn wenn sich
jemand auf meine Kosten vergnügt oder ich auf seine, handle ich nicht in diesem
Sinne, ergo amoralisch.
Zu Margarete:
Hier gebe ich Hanspeter
Recht, wenn er sich fragt, wie eine Frau zur katholischen Kirche hingezogen sein
kann.
Meine bisherigen Ausführungen zur Moral und Ethik bedürfen überhaupt
keiner Bibel, keines Korans und keiner sonstigen Doktrin oder Ideologie und
schon gar nicht eines totalitären Systems wie der (katholischen) Kirche.
Zu Beiden:
Was soll man da an die Evolution anpassen? Wir sind immer noch
sterblich, werden als die hilflosesten Lebewesen geboren, besitzen zu wenig
Instinkte, sind mit der Gabe und dem Fluch Bewusstsein ausgestattet und irren
umher sobald unser Verstand einsetzt. Viel hat die Evolution im Falle des
Menschen bisher nicht verändert. Die „Gesellschaft“ sehr wohl.
Salve,
Zampano
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 15. Apr. 2003, 02:05 Uhr
Hallo Margarete,
kaum schaut man mal nicht in den Philtalk, schon hagelt es an Beiträgen.
Aber zunächst zu dir.
Dein letzter Beitrag war für mich etwas kryptisch.
Der erste Teil ist klar. Männer kommen vom Mars - ein bisschen unwirtlich,
aber mit einiger Mühe kann man es dort aushalten. Die Frauen kommen von der
Venus - glühend heiß und wahnsinnig ätzend, nicht auszuhalten für einen normalen
Menschen.
Den zweiten Teil interpretiere ich so, dass du als
B-Österreicherin im Clinch mit den W-Österreichern liegst. Oder sehe ich das
falsch?
Den dritten Teil von Ron Smothermon über Organisationen verstehe
ich kaum. Könntest du das einem einfach strukturierten männlichen Gemüt wie mir
verständlich machen?
a. Verstehe ich dich recht, der Mensch will selbst
keine Verantwortung übernehmen und schiebt alles Scheitern auf irgendwelche
Organisationen?
b. Verstehe ich dich recht, das mit dem Mangel ist eine
Einbildung? Von dem was wir brauchen, haben wir mehr als genug. Auch in der
Zukunft. Nicht nur wir, sondern auch künftige Generationen. Es wird nie Mangel
geben. Die Erde ist unerschöpflich.
Falls ich dich falsch verstanden
habe, korrigiere mich, falls ich dich richtig verstanden habe, muss ich dir
sagen, dass es da auch ganz andere Meinungen gibt.
Gruß HP
PS.
Der Rest folgt später. Muss ja auch noch darüber nachdenken.
Titel:
Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 15. Apr.
2003, 05:32 Uhr
Hallo Eberhard,
zu 1 – 3 : D’accord.
zu 4. Das ist ein Problem. Sicher, die "alleinseligmachende Ethik" wird es
nicht geben, selbst wenn wir sie hier finden würden, würde sie sich im Laufe der
Zeit wandeln. Wenn Regelungen nur danach getroffen werden, wie die momentanen
Mehrheiten sind, so ist das politisch sicher vernünftig, doch das spiegelt denn
moralischen Ist-Zustand wieder, nicht den Soll-Zustand. Und gerade der
interessiert uns doch hier.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 15. Apr. 2003, 05:36 Uhr
Hallo Zampano,
du hast viel geschrieben, ich will nur zu den mE.
interessantesten Stellung nehmen.
1. Abtreibung.
Du schreibst:
"Vielleicht könntest Du mal zeigen, wie Du damit eine konkrete ethische
Streitfrage, etwa die Zulässigkeit des Schwangerschaftsabbruchs, entscheidest."
Die Frage ist letztlich, wann auf dem Weg von Eizelle und Samenzelle bis zum
Menschen, der das Licht der Welt erblickt, die Menschwerdung festgesetzt wird.
Diese Frage wird kontrovers diskutiert, eine allgemein akzeptierte Lösung gibt
es nicht, also überlassen wir es dem, genauer gesagt der Einzelnen, darüber zu
entscheiden. Mit anderen Worten, sie wird rechtlich freigegeben.
2.
Selbstverwirklichung.
Du schreibst: "Der Mensch muss sich selbst genügen, das
ist das Ideal der Selbstverwirklichung." Da haben wir doch den Salat! Alle
wollen sich selbst verwirklichen, egal mit welchen Konsequenzen. Wer garantiert,
dass in dir die Wahrheit ist? Wer garantiert, dass es zur Selbstverwirklichung
eines Menschen gehört, auf andere, auf künftige Generationen Rücksicht zu
nehmen?
Du schreibst: "Es gibt keine richtige Moral, nur deine eigene,
innere." So hat Hitler auch gedacht.
3. Der Mensch:
Du schreibst: "Die
Kulturen mögen sich unterscheiden, doch nicht das Primärwesen der Menschen, die
sie bilden und umgekehrt, sondern nur deren Umfeld." Die Menschen ändern sich
sehr wohl, weil sich auch ihr Genom ändert. Die Evolution macht nicht Halt, sie
geht weiter. Außerdem werden Menschen in unterschiedlichen Kulturen
unterschiedlich programmiert und programmieren weiterhin unterschiedlich. Man
nennt das kulturelle Tradition. Ein durchschnittlicher Europäer denkt eben
anders als ein durchschnittlicher Grieche von vor 2500 Jahren. Du schreibst das
doch auch einige Zeilen weiter oben. Paradox finde ich das überhaupt nicht. Aber
vielleicht habe ich deinen Satz auch falsch verstanden.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am
15. Apr. 2003, 07:43 Uhr
Einen wunderschönen Frühlingstag!
@
Zampano
Zur kath. Kirche - ich stimme bei weitem nicht allem zu was die kath.
Kirche so von sich gibt, aber es ist wie überall auch nicht alles schlecht. Ich
wurde kath. erzogen, und war in der kath. Jugend, und es verbinden mich schöne
und tolle Erinnerungen damit, wir machten Ausflüge, Brauchtumspflege, Lagerfeuer
usw. Es gab auf dem Land keine Alternative dazu.
Als Instituion wäre sie vom
sozialen Standpunkt zu hinterfragen, aber ich glaube, dass sie vielen Menschen
auch Halt bietet die verzweifelt sind, haltlos oder sich an die caritative Seite
wenden können. Auch die spirituelle Seite ist nicht zu unterschätzen, und sag
mir jetzt nicht es gibt nach wie vor den Exorzismus - natürlich, aber es gibt
als Gegenpol zum Sozialismus auch den Kapitalismus in der ärgsten Form.
Wie
sagen die Menschen aus dem Morgenland es gibt Yin und Yang!
Zudem gibt es
einen Spruch der heißt: Weide meine Lämmer, weide meine Schafe - wieviele
Menschen machen sich über ihr Leben Gedanken? Der Mensch ist nunmal ein
Herdentier bis auf wenige Ausnahmen, das heißt nicht dass ich es für gut
befinde.
Ich denke die Religionsdiskussion würde hier zu weit führen, aber
noch etwas, wer sagt dir dass Gott ein Mann ist? Es ist wohl so, dass Männer
manchmal seine Hilfe brauchen? (Spaß)
Als hilfloses Lebewesen würde ich
uns nicht sehen, Instinkte wurden uns angeboren, manche haben sie verkümmern
lassen, manche kramen sie wieder hervor. In einem muß ich dir recht geben,
Bewußtsein kann eine Gabe oder ein Fluch sein, es kommt immer auf die Intention
an die ich damit verbinde. Die Gesellschaft - das sind Organisationen wie ich
sie beschrieben habe, und wir sind ein Teil davon.
@Hanspeter
Frauen
sind kryptisch - nicht ätzend!
Birkenbihl meinte damit, dass Männer wenn sie
ein Problem haben sich meist in ihre Höhle zurückziehen um allein damit fertig
zu werden, und Frauen gerne über Beziehungen reden wenn Männer noch nicht einmal
ahnen dass da etwas läuft!
Nein ich bin keine Burgenländerin und auch keine
Mühlviertlerin oder Vorarlbergerin wegen der Witze, ich bin nur blond.
a
Grobgesagt ja! Es ist entweder die Regierung, oder die Kirche oder die Firma
oder die Ehe.
Wir interpretieren meist so wie wir erleben, das heißt wenn
etwas schlecht ist, dann rechtfertigt es meist die Oragnisation dafür
verantwortlich zu machen, da werden Organisationen Ausbeuter genannt und selber
ist man der Ausgebeutete - unabhängig davon, dass es natürlich durchaus möglich
ist.
b ich sagte nicht, dass das mit dem Mangel eine Einbildung ist, nehme
ich aber von vorneherein an dass es nur Mangel gibt, wie könnte ich daraus
schließen, dass genügend viel im Umlauf ist, wie könnte ich Mangel verteilen?
Eine Organisation die sich spiralförmig nach unten entwickelt und nicht
funktioniert, zu transformieren, ist im wesentlichen dasselbe wie eine
persönliche Beziehung zu transformieren.
Meist ist es nicht notwendig eine
neue Organisation zu finden, denn wir sind der Quell für unsere Beziehungen.
Grüße aus dem Frühling
Margarete
Titel: Re: Ist Ethik
ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 15. Apr. 2003, 09:26 Uhr
hallo Margarete,
deine Überlegungen zum Individuum und der Organisation
haben mir sehr gut gefallen, gerade weil du die emotional besetzten Begriffe
Partnerschaft und Gemeinschaft gemieden hast. Sie sind eigentlich identisch mit
einem universellen Ethikgebäude à la Kant. Wirklich erstaunlich was in B alles
versteckt sein kann. (*grins*)
Die Beschränkung auf das Individuum ist
Blinheit gegenüber der Lebensrealität. Unser "organisationsorientierter"
Persönlichkeitsanteil ist die neuste evolutionäre Errungenschaft des Neocortex,
nähmlich des Frontalhirns. Messungen bei Schwerdeliktsstraftätern haben ergeben,
dass dieser Frontalanteil bei ihnen tatsächlich sytematisch (ca.10%)
unterentwickelt ist. Ich kann deshalb Punkt 2,3 und 4 von dir (vorletzter
Beitrag) nur rückhaltlos zustimmen, vielleicht fallen ja einer Frau solche
Gedanken einfach leichter.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von paul am 15. Apr. 2003, 09:31 Uhr
2
Punkt
1 fällt mehr unter die männliche Kathegorie "Eroberung der Welt" und auch hier
will ich dir zustimmen, hab das ja schon mehrfach (erfolglos) versucht
darzustelen (Ökooptimismus). Deshalb ein Beispiel, das ich vielleich auf Grund
meines Alters (60J.) besser beuteilen kann als die Jugend. Landwirtschaft in
Deutschland:
Unter Hitler noch mit den damaligen agrarintensiven Ostgebieten
(heute Polen) waren wir noch ein Volk ohne Raum und er hat daher "zur
Zukunftssicherung" ideologisch seinen Krieg gegen Rußland begründet. Wie jeder
weis wurde dann mit der Vertreibung in das westliche Restdeutschland die
Bevölkerungszahl so erhöht, dass jeder 4. hier ein "Vertriebener" war und ist,
das hat durchaus zu Hungersnot geführt. Nun kam die grüne Revolution. Die
Agrarwirtschaft in dem überbevölkerten Westteil hat ohne die traditionellen
Agrarostgebiete ihre Leistungsfähigkeit so gesteigert, dass sie nicht nur
Selbstversorger ist, sondern sogar Überschuß produziert, die EU zahlt inzwischen
Stillegungsprämien für die Landwirtschaft, der deutsche Wald nimmt quantitativ
und qualitativ zu.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 15. Apr. 2003, 09:33 Uhr
3
Ein gewisses Risiko
sind tatsächlich nur Ökobetriebe mit ihren altmodischen Pestiziden (Kupfer) und
ihren freilaufenden Hühnern, die das Grundwasser mit Stickstoff belasten.
Das
Problem ist nur der verbreitete Pessimissmus, der sinnvolles
organisationsförderndes Handeln blockiert und den nihilistischen Individualismus
fördert. Erstaunlicherweise hält sich die ganz große pessimistische Mehrheit
stets für eine einsame, aber tadellose Minderheit. Nichts ist heute subversiver
als Optimismus. Deshalb werde ich mir hier auch sicher einige Beschimpfungen
gefallen lassen müssen. Hierzu darf ich eine bekannte Fast-Feministin zitieren:
"Das kritische Bewusstsein der kulturkritischen Bildungselite ist zum
volkstümlichen Konsumgut geworden, nicht anders als der Weißwein in der
Eckkneipe oder der Anspruch auf Authentizität in jeder anderen Hinsicht,"
schreibt Katharina Rutschky und fragt: "Traditionell war das kritische
Bewusstsein immer negativ - vielleicht müssen wir nun, wo es zum Volksport
geworden ist, eines ausdenken, das positiv ist?"
Dem kann ich nur zustimmen.
Gruß
Paul
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag
von noisette am 15. Apr. 2003, 09:50 Uhr
[balloon] hallo!
nochmals
zurück zu meinem lieblingsthema: umsetzung bisheriger ethikansätze (von mir
bevorzugt: kant).
ad verantwortung der wirtschaft: ich verlange nicht von
einem unternehmer mit ein paar hundert mitarbeitern, dass er vor lauter sozialem
engagement auf seine bilanzen vergisst, meine aber, dass die manager und
eigentümer von weltkonzernen sehr wohl die wahl haben zu entscheiden, ob sie die
millionen-budgets, die sie für werbung und public relations zur verfügung haben,
dafür einsetzen, dass die reklamen von 'ibm, cocacola, nokia et al.' an den
leitschienen von autorennen leuchten (und damit transportiert wird, dass mit
mörderischen geschwindigkeiten im kreis fahren, cool ist) oder ob wenigstens ein
teil dieser riesensummen für sozial- und dritte-welt-projekte investiert wird.
erfolgreiches beispiel in österreich: 'licht ins dunkel'.
insgesamt
beschäftigt mich aber zunehmend die frage: wenn wirtschaft und politik (wie von
hanspeter geschrieben) nicht verantwortlich zu machen sind, wenn man, wie sich
unter diesem thread gezeigt hat, ethisch-moralische fragen nicht dem einzelnen
überlassen kann,
wer dann ist für das 'unterfangen ethik' zuständig?
als
lösungsvorschlag wurde genannt: ethik-unterricht an den schulen. also abschieben
der ganzen ethik-verantwortung auf die lehrer? und wenn ja, wer beschliesst
diese änderung?
grüsse, n.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 15. Apr.
2003, 11:30 Uhr
hallo noisette,
mit Kant können wir schnell auf einen
Nenner kommen, wobei mir der "Erfinder" der Ethik in der Philosophie
(Aristoteles) eher noch sympathischer ist, extrem verkürzt, der Mensch soll
seine Vernunft einsetzen.
Das mit der Umsetzung - das hast du schon richtig
gemerkt - das ist das Problem.
Unsere Massengesellschaft hat unvermeidlich zu
einer extremen Arbeitsteilung geführt, Stichwort: sektorales
Rentabilitätsdenken, hier liegt die Gefahr, der Blick für die
Handlungskonsequenzen geht verloren, der Blick für die Gesamtrechnung.
Und
hier bin ich der bescheidenen Meinung, dass die zitierten Manager ebenfalls
überfordert sind, sie bekommen ihre Zielvorgaben ja von den shareholdern.
Nein, hier ist allen liberalen Wunschbildern zum Trotz der Staat gefordert, der
diese Gesamtrechnung als eigentliche Aufgabe zu bewältigen hat, der die
Spielregeln und Vorschriften für die "freie" Wirtschaft festlegen muß und dieser
Staat, und da schließt sich wieder der Kreis wird von uns demokratisch
legitimiert.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag
von paul am 15. Apr. 2003, 11:33 Uhr
2
Den "Staat" müssen wir also
(zähneknirschen) akzeptieren und versuchen ihn zu verbessern.
In den über-
und außerstaatlichen ökonomischen Komplexen sehe ich die größten Risiken für
eine Erosion ethischer Prinzipien.
Am wichtigsten scheint mir die fehlende
Einsicht, die Margarete so schön formuliert hat, dass Gemeinschaft,
gemeinschaftliches Denken und Handeln (Organisation) in der Zweierbeziehung
beginnt und, mal ehrlich, hat Mutter Natur nicht dafür eine wuuunderbare
Belohnung parat? Warum sollte das nicht mal langsam Schulthema werden? Es könnte
doch viel Unglück reduzieren.
Gruß
Paul
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 15. Apr. 2003, 13:53 Uhr
Hallo Noisette,
du fragst, wer für das Unternehmen Ethik zuständig
ist. Meine Antwort: Die Menschen, die in diesem Land leben. Sie bestimmen die
Moral. Wir haben uns für die Demokratie entschieden, das bedeutet auch eine
Demokratisierung der Moral.
Warum leuchtet die Reklame bei Autorennen? Weil
Millionen diesen Schwachsinn ansehen wollen. Weil Autofahren wie eine gesengte
Sau zur Selbstverwirklichung vieler Menschen gehört.
Was kann man dagegen
tun? Durch Überlegung zu einer allgemein akzeptierbaren Moral kommen (was wir ja
gerade hier versuchen), einigermaßen danach zu leben und andere davon zu
überzeugen. Wenn du die Möglichkeit hast, politisch aktiv zu werden, umso
besser. Du hast soviel Verantwortung, wie du Einfluss hast.
Inwieweit
übrigens ein Ethikunterricht hilft, hängt wesentlich vom Lehrplan ab. Ist er nur
eine Neuauflage des Religionsunterrichts, kannst du ihn vergessen.
Noch
ein Wort zu deinem Liebling Kant. Bedenke, Kant hatte einen völlig anderen
Horizont als wir. Wir haben Erkenntnisse und Probleme, von denen Kant auch nicht
die leiseste Ahnung hatte. Kein vernünftiger Physiker käme auf die Idee, zu
sagen "Weil Newton dieses oder jenes gesagt hat, daher gilt..." Was Newton
gesagt hat, interessiert nur noch den Historiker. Das Gravitationsgesetz gilt
nicht, weil Newton es gesagt hat, sondern weil sich seine Richtigkeit permanent
durch entsprechende Messungen bestätigt.
Gruß HP
Titel: Re:
Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Zampano am 15. Apr. 2003,
14:12 Uhr
Hall Hanspeter et al.
Punkt 1 war eigentlich deine
Frage und ich habe darauf geantwortet, nun auch du...:-)
Punkt 2
Von
Paul und noisette wurde dieser Punkt auch nochmals aufgegriffen. Klar hatte
Hitler auch seine eigene, negative Beispiele gibt es genug. Aber Gegenfrage:
Warum war damals niemand so mutig sich ihm entgegenzustellen (bis auf die
Attentäter) in der Politik, bzw. diese ziemlich gut gespielte Nekrophilie und
Destruktivität zu durchschauen und den anderen die Augen zu öffnen?
Aber
da sich niemand, auch keine Gesellschaft anmaßen kann, eine globale Ethik
aufzustellen muss es der Einzelne tun. Darin liegt das eigentliche Geheimnis:
man selbst muss handeln, zuerst im Kleinen und wenn man sich zu mehr berufen
fühlt auch im Großen. So war es bisher immer, manche haben mehr „gewusst“ und
wollten mehr erreichen. Das sie dafür verbrannt wurden und ihre humanistischen
Ansätze erst posthum gewürdigt wurden, das war ihr Schicksal.
Ohne
Gesetze und Moral gäbe es nicht mehr Unheil, Gewalt und Mord als mit (ein Blick
auf die Kriminalstatistik zeigt es), aber eines wahrscheinlich auf keinen Fall:
Krieg!
Punkt 3 – Evolution
Natürlich entwickelt sich das
Denken weiter, und vor allem die Erziehung, da wir ja historische Beispiele
haben. Mein Ansatz ist ja der von Descartes: lass einen Menschen völlig ohne
Einfluss von außen (im didaktischen Sinne) sich entwickeln, lass ihn selbständig
die Dinge erfahren und das herausfinden, was gut für ihn ist.
Da gäbe es nur
minimale Unterschiede zu unseren Vorfahren bis auf die Ausbildung von anderen
Eigenschaften als Mammuts jagen. Die Probleme der Menschen sind nach wie vor die
selben, auch die Erkenntnisse: er ist hilflos, braucht Sicherheit, kann nicht
isoliert leben, hat ein Bewusstsein, dass dazu führt, dass er nach einer Weile
desorientiert ist, etc. etc.
Dieses Experiment müsste man natürlich auch
frei von Systemen und Ideologien durchführen, Henry Miller schlug einmal vor,
dass alle Menschen der Erde einmal in der Woche eine Stunde innehalten und mit
ihren Nachbarn und Nächsten reden über die wirklich wichtigen Probleme ihres
Lebens.
Dieser Satz ist in der Tat ein Paradoxon.
Doch wer ändert
die Gesellschaft? Sie ändert sich nicht selbst, zumindest hat es noch nie die
Masse geschafft, einen Gesellschaft zu ändern. Es waren immer nur einzelne
Menschen, die ihre inneren Überzeugungen zum Wohle der Gesellschaft
„durchgezogen“ haben (wenn sie sich auch der Masse „bedienten“ um zu ihrem Ziel
zu gelangen, leider auch oft negativer Art), oft auch auf Kosten ihres Lebens.
Wer nimmt diese Last auf sich?
Salve,
Zampano
Titel:
Das ist wahre Ethik
Beitrag von Zampano am 15. Apr. 2003, 14:13 Uhr
„Die Antwort lautet also: immer bereit sein, sofort das Mögliche tun und geben,
ohne zu knausern. Nicht die Motive des anderen oder die eigenen prüfen, nicht
lange herumreden, nicht zaudern, sich nicht fragen nach dem Ergebnis der eigenen
Handlungsweise – und ganz gewiß nicht nach Billigung, Bestätigung oder Belohnung
Ausschau halten. Wenn das für den Einzelnen gilt, gilt es auch für die
Gesellschaft als Ganzes.
Man ist nicht der Gesellschaft verpflichtet, sondern
der gesamten Menschheit (Anm: analog dazu könnte ein Pantheist oder Theist
sagen: allem Leben oder Gott ).
....
Vergeßt Buddha, Jesus, Mohammed und
alle anderen. Tut, was ihr könnt, ohne Rücksicht auf die Folgen. Und vor allem:
erwartet nicht, dass euch gleich jemand nachfolgt“
(H. Miller)
Salve,
Zampano
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Zampano am 15. Apr. 2003, 14:39 Uhr
Hallo Margarete,
nicht die katholische (oder evangelische, ...) Kirche hat nur gute Seiten,
sondern maximal die religiösen Lehren, bis auf die von dir erwähnten
Aktivitäten; aber irgendwie muss man ja seinen Schäfchen auch immer wieder
frisches Gras geben und sie zusammen halten....
Die Kirche ist der
ideologische und die Masse beherrschende Machtaufsatz auf die Religion, genauso
wie es die staatlich und gesellschaftlich verordnete Moral auf die Ethik ist.
Dieser Ansicht werde ich immer sein: um das zu wissen, braucht man nicht
wirklich eine Religion, wohl aber einen Glauben (welcher Art auch immer).
Der große Irrtum, dass der Mensch unbedingt ein Herdentier sei, hält
sich scheinbar weiterhin sehr hartnäckig....
Er kann nur nicht in völliger
Isolation dauerhaft überleben aber auf der anderen Seite kann er auch nicht
lange ohne (geistige) Freiheit leben. Als Beispiele kann man Menschen aufzählen,
die 30 und mehr Jahre in Isolierhaft verbracht haben: hätten sie nicht die
geistige Freiheit und einen Glauben an das Leben gehabt, wären sie verendet.
Aber auch ohne Herde haben sie überlebt, allein durch ihre Liebe zum Leben.
Nur die trägen, geistig schwachen und niemals sich selbst bewusst werdenden
Menschen sind Herdentiere, das die Mehrzahl so ist, ist eine traurige
Entwicklung.
Die Masse, vor allem in unserer heutigen Zeit, ist nur
einfach zu träge. Unsere ganze Gesellschaft baut darauf auf zwar subjektiv freie
Schäfchen weiden zu lassen aber objektiv Sklaven daraus zu machen, willenlose
und manipulierte Marketingkonsumenten. Das ist allerdings an dieser Stelle nicht
Gegenstand der Diskussion hier.
Pauschalisiere bitte auch nicht die
Männer, manche reden sehr gerne über Beziehungen und Ziwschenmenschliches. Ich
habe sogar die Erfahrung gemacht, dass wenn sich ein Mann damit beschäftigt, ihm
oft vorgehalten wird, dass er zuviel darüber nachdenkt oder redet. Das ist dann
wieder diese ewige Paradoxie in der Kommunikation der Geschlechter. Allerdings
ist es auch das beste Mittel, diese ewig charmante Spannung aufrecht zu
erhalten, da hat sich Mutter Natur was Feines ausgedacht :-)
Sensibilität ist
aber nicht nur Frauen zuteil geworden (wenn auch größtenteils nur denen...)
Salve,
Zampano
Titel: wer ist zuständig
Beitrag von
noisette am 15. Apr. 2003, 15:28 Uhr
[balloon] hallo!
wie interessant
eure beiträge zu meinem lieblings-unterthema 'umsetzung von ethischen
richtlinien' auch sind, äusserst deprimierend erscheint mir jedoch das
zwischenergebnis: absolute uneinigkeit hinsichtlich der zuständigkeit
(individuum, wirtschaft, politik, organisationen etc.).
also versuche ich
einmal, mit einem aktuellen praktischen beispiel an die thematik heranzugehen:
kürzlich wurde im österreichischen parlement die uneinheitliche
tierschutzgesetzgebung in österreich diskutiert. auslöser für die debatte: in
einigen bundesländern gibt es noch immer bauernhöfe, auf denen die stand-fläche
eines huhnes nicht mehr beträgt als die grösse eines A4(!)-blattes. es wurde
keine einigkeit erzielt..., weil der övp die interessen einiger bauern wichtiger
waren/sind als das leben tausender tiere.
wer ist nun verantwortlich für die
fortsetzung der tierquälerei?
die betreffenden bauern? landwirtschaftliche
organisationen? der bürger? zu letzterem: ich kann doch dem einzelnen wähler
nicht vorwerfen, dass entscheidungsträger der tonangebenden partei haarsträubend
gefühl- und herzlose entscheidungen treffen und die vertreter anderer parteien
zu schwach/dumm sind, sich mit ihren standpunkten durchzusetzen. was meint ihr?
grüsse, n.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von margarete am 15. Apr. 2003, 16:13 Uhr
Hallo
Zampano -
wo denkst du hin, ich pauschaliere nie bei Männern - um bei der
charmanten Spannung zu bleiben, ich kenne auch blonde Männer!
Was die
Kirche(n) anbelangt, so glaube ich kann ich dir nicht ganz folgen, hast du meine
vorhergehenden Beiträge gelesen?
Ich behaupte nicht, dass der Mensch ein
Herdentier ist, es ist nur einfacher sich einer Ideologie anzuschließen, als
selber nachzudenken, und jeder hat nicht die Möglichkeit dazu.
Du sagst die
Menschen hätten drei Wochen in der Isolation aus Liebe zum Leben überlebt, da
muß ich dich berichtigen, es gehört ein wenig mehr dazu als bloße Liebe. Ich
weiß von einem konkreten Fall, ein Mann war drei Wochen in einem Eisenschrank
eingesperrt, ohne Trinken und ohne Essen, er hat nicht überlebt weil er verliebt
war in sein Leben, sondern weil er einen unbändigen Überlebenswillen hatte, er
stellte sich geistig jeden Tag seinen sonst üblichen Ablauf vor, in einer
geistigen Vorstellung die der Wirklichkeit entsprach und zwar so dass er auch
fühlen konnte wie er aß oder trank, und er so sein Unterbewußtsein überlistete,
sodaß er schließlich gerettet werden konnte, wielange er das ausgehalten hätte
und wie sein psych. Zustand nachher tatsächlich war weiß wahrscheinlich nur er
selber.
Masse ist kein schönes Wort auch nicht für eine Bezeichnung für eine
Vielzahl von Menschen.
Grüße Margarete
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Zampano am 15. Apr. 2003, 16:24 Uhr
on 04/15/03 um 16:13:34, margarete wrote:
... er hat nicht überlebt
weil er verliebt war in sein Leben, sondern weil er einen unbändigen
Überlebenswillen hatte...
Ein unbändiger Überlebenswille ist ja
nichts anderes als die Liebe zum Leben; liebe ich das Leben nicht, so habe ich
diesen Willen ja auch nicht. Abgesehen sprach ich von 30 Jahren und nicht drei
Wochen (z.B. Mandela). Selbstredend sind diese Menschen eben durch die Fähigkeit
ihres Geistes, einen Glauben an irgend etwas und ihrer Lebensbejahung dazu
imstande.
Wieso hat nicht jeder die Möglichkeit, selbst nachzudenken?
Das wäre mir neu, bis auf die pathologischen Fälle, kann jeder selbst
nachdenken.
Salve, Zampano
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von margarete am 15. Apr. 2003, 16:28 Uhr
Hallo
Paul - danke für deine Unterstützung, wir sind auf einer Welle!
Hallo
Noisette -
finde ich toll, dass Österr. im Forum so gut verteten ist. Um
auf die Zuständigkeit der Regierung zurückzukommen.
Ich bin sehrwohl der
Meinung, dass der Wähler verantwortlich ist für die Misere in der Regierung, er
hat die Vertretung gewählt, auch wenn ich geschockt war.
Zum Hühnerbeispiel
meine ich ist der Bauer verantwortlich der seinen Hühnern kein glückliches Leben
ermöglicht. Artgerechte Haltung ermöglicht auch eine entsprechende finanzielle
Entlastung bzw. kann ein Gewinn erwirtschaftet werden, auch wenn der Großteil
der Bauern jetzt aufschreit, das tun sie doch immer.
Das entbindet aber nicht
den Konsumenten darauf zu achten was er konsumiert, oder die Regierung eine
Möglichkeit zu schaffen um als Kontrollorgan Mißbrauch zu verhindern.
Grüße Margarete
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 15. Apr. 2003, 19:22 Uhr
Hallo Noisette, hallo
Zampano,
wenn ich richtig gelesen habe, so ist für Euch das Prinzip: „Liebe
Deinen Nächsten wie Dich selbst!“ das entscheidende und auch voll ausreichende
Grundprinzip der Ethik.
Dies ist sicher ein wichtiges Prinzip. Die damit
formulierte Einstellung ist meiner Ansicht nach hilfreich, wenn sich
verschiedene Individuen oder Gruppen „vernünftig“ und das heißt gewaltfrei
einigen wollen. Da „Liebe“ ein Gefühl ist und Gefühle sich nicht gebieten lassen
sondern unwillkürlich entstehen, bevorzuge ich allerdings die Formulierung:
„Berücksichtige die Interessen aller andern so, als wären es zugleich Deine
eigenen!“
Dies solidarische Prinzip einer unparteiischen, wohlwollenden
Berücksichtigung der Bedürfnisse aller eignet sich jedoch nicht als allgemeine
Anleitung zum moralischen Handeln.
Wenn ihr wirklich den Anderen nicht
weniger liebt als Euch selbst und danach handeln würdet, dann würdet Ihr z.B.
nicht mehr ins Kino gehen, Benzin tanken, verreisen usw., denn mit 10 EURO kann
man in den Armenhäusern dieser Erde wahrscheinlich bereits einen Menschen vor
dem Tode bewahren. Wenn Euch deren Leben genauso wichtig wäre wie Euer eigenes,
dann würdet Ihr das Geld nicht zum Reisebüro oder zur Kinokasse tragen sondern
in lebenserhaltende Medikamente anlegen.
Was sagt Ihr dazu? Sind die
ethischen Fragen wirklich so einfach zu beantworten?
Nachdenkliche Grüße
von Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 15. Apr. 2003, 19:52 Uhr
Hi Zampano - nur kurz
ich gebe zu, das Wort Liebe wurde zuwenig ausreichend klargestellt, es
beinhaltet sehr viel.
Nelson Mandela - es wäre möglich, dass ihn seine
"Liebe" zum Leben bzw. seine Ideale bestärkt haben in seinem Lebenswillen, dazu
kann ich nichts sagen, weil ich die Umstände zuwenig gut kenne.
Aber
Überlebenswille hat nicht primär mit Liebe zu tun, es könnte ein reiner Instinkt
sein oder Hass, oder irgend ein anderes großes Gefühl.
Margarete
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 15.
Apr. 2003, 19:56 Uhr
2 pathologische Fälle sind ausgeklammert,
natürlich kann jeder denken, aber es ist doch ein Unterschied ob ich über eine
Situation entsprechend informiert bin, ob ich offen bin für neue Meinungen, ob
es mir möglich ist mir einen Überblick zu verschaffen, letztlich ob ich geistig
aufnahmefähig bin.
Marg.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Zampano am 15. Apr. 2003, 22:09 Uhr
Hallo
Margarete (und auch Eberhard),
auch wenn ich mich nun auf Glatteis
begebe:
Liebe an sich ist kein Gefühl, sondern vielmehr ein aktiver Prozess.
Ich will jetzt nicht groß aufzählen, was Liebe alles ist und nicht ist, ihre
Manifestation empfinden wir als tiefstes Gefühl, aber Liebe an sich heißt,
tätig, gebend und offen zu sein, Verantwortung, Fürsorge, Konzentration, usf.
usf. für jemanden übernehmen (auch sich selbst).
Liebe ist primär Handeln
aus einer nicht-egoistischem Motivation heraus.
[...Überlegung zur Liebe
als EIN Gefühl:
Wenn zwei Menschen zur selben Zeit unter den selben Umständen
etwas oder jemanden lieben und ihre Gefühle präzise quanti- und qualifizieren
könnten, so würde niemals das selbe Ergebnis rauskommen. Ergo sind es Hunderte
oder mehr Gefühle, die als „Begleiterscheinung“ auftreten. Aber beide würde
sagen, sie „lieben“. ...]
Vielleicht sollten nur die meisten nicht beim
Nächsten anfangen, sondern bei sich selbst....
Und damit lassen sich m.E.
ethische Fragen relativ leicht beantworten, zumindest was den Nukleus der Ethik
betrifft.
Die Beispiele von Eberhard zeigen nur, dass wir eben in einer Welt
leben, in der wir uns und unsere Bedürfnisse nun mal zu wichtig nehmen. Tja, so
weit zu Ideal und Wirklichkeit, das Maß ist stets verschieden aber man kann es
ja steigern....
@ Margarete:
Du betonst wiederholt die Instinkte, der
Mensch ist jedoch von der Evolution mit nur sehr wenigen biologischen Instinkten
ausgestattet worden, wahrscheinlich aus diesem Grund verfügt er über einen
höheren Verstand. Je „höher“ ein Tier in der Evolutionskette steht, desto
weniger Instinkte besitzt es.
Und Hass ist wahrscheinlich nichts anderes als
unterdrückte Liebe oder fehlende Eigenliebe, denn die Manifestation des Hasses
führt zum gleichen Glückszustand wie die Liebe, nur eben in meist negativer Form
und schlimmen Auswirkungen. Es ist wie bei vielen anderen nicht-aggressiven
Formen der Eitelkeit und des Narzissmus so.
Im Prinzip gibt es nichts,
was ich aus einer positiven und nicht durch äußere Umstände erzwungenen
Motivation tun kann, das nicht Liebe eben zu dieser Tat oder zu einem Objekt
ist. Und sei „es“ nur der Augenblick, den ich genieße bzw. liebe.
Die
Heiligsprechung und Mystifikation des „Phänomens“ Liebe führt allerdings immer
wieder dazu, dieses Wort nicht zu gebrauchen oder es als zu metaphysisch oder
idealistisch darzustellen. Aber eben dieses Wort findet sich stets wieder in
allen bisher bekannten ethischen Ansätzen.
Salve,
Zampano
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Zampano am 15.
Apr. 2003, 22:21 Uhr
Noch ein Gedankengang:
Wenn man davon
ausgeht, dass der Mensch von Natur aus auch mit „Eigenschaften“ (Charakter?)
ausgestattet wurde wie Mitgefühl, Hilfsbereitschaft, Einfühlungsvermögen,
Liebesfähigkeit, Überlebenswille, Solidarität und weiteren, die sein
Zusammenleben mit anderen verbessern und ihnen helfen, dann ist es erschreckend
in welchen Momenten sich dies in unserer heutigen (und auch schon früheren)
Kultur manifestiert: Krieg am Beispiel der Soldaten oder Menschen in
Notsituationen anderer Art.
Wie pervers sind wir geworden?
Salve,
Zampano
Titel: Hallo ZampRe: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 15. Apr. 2003, 23:02 Uhr
Hallo Zampano,
1. zu Hitler, und warum sich damals niemand dagegen gestellt hat.
a. überwog
zunächst das Positive (Beseitigung der Arbeitslosigkeit), b. lief das mit dem
Krieg zunächst recht positiv (die Amis und die Engländer finden den Irakkrieg ja
auch gut) und c. das mit der systematischen Judenvernichtung wusste kaum jemand.
Nicht einmal die BBC London hielt dieses Ereignis in ihrem deutschsprachigen
Programm während des Kriegs für erwähnenswert.
2. Du schreibst:
„Ohne Gesetze und Moral gäbe es nicht mehr Unheil, Gewalt und Mord als mit
(ein Blick auf die Kriminalstatistik zeigt es), aber eines wahrscheinlich auf
keinen Fall: Krieg!“ Erläutere mir bitte einmal diesen Blick auf die
Kriminalstatistik anhand von exakten Zahlen. Vielleicht solltest du dir deine
Sätze doch etwas genauer überlegen.
Gruß HP
Titel: Re: Ist
Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 15. Apr. 2003,
23:08 Uhr
Hallo Noisette,
in Sachen Hühner-KZ's wendest du dich
am besten vertrauensvoll an Paul. Mit seinen 60 Jahren hat der in Sachen
Landwirtschaft den großen Überblick und wird dich bestens beraten. Ich zitiere
ihn: "Ein gewisses Risiko sind tatsächlich nur Ökobetriebe mit ihren
altmodischen Pestiziden (Kupfer) und ihren freilaufenden Hühnern, die das
Grundwasser mit Stickstoff belasten." Statt Kupfer (in der Öko-Szene übrigens
sehr umstritten, aber speziell im Weinbau wird es noch toleriert) empfiehlt er
dann wohl moderne chlorierte Kohlenwasserstoffe, in den Hühner-KZ's löst sich
der Hühnerdreck in Nichts auf, Tiermast mit Antibiotika und Hormonen, Zerstörung
und Überdüngung der Böden, all das hält er offensichtlich für moralisch
gerechtfertigt. Und da sein geliebter Aristoteles sich nicht über den Tierschutz
ausgelassen hat, ist das für ihn kein Thema.
Da wunderst du dich über die
ÖVP?
Mein Rat. Kauf ausschließlich Öko-Eier und propagiere sie, das ist
leider das einzig Mögliche, was du gegen diese Bauern-Mafia ausrichten kannst.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 15. Apr. 2003, 23:11 Uhr
Hallo Eberhard,
du sagst es überdeutlich. Die Erfahrung lehrt es, Menschen, die intensiv
lieben, pflegen auch intensiv zu hassen. Das führt zu nichts. Eine Moral auf
Gefühlen aufzubauen, ist paradox. Die Aufgabe eines Moralsystems ist es ja
gerade, das emotionale Handeln zu reflektieren und gegebenenfalls in seine
Schranken zu weisen. Außerdem kann kein Mensch alle Menschen einer Gesellschaft
lieben. Wer es behauptet, macht sich was vor wie deine Beispiele beweisen.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Zampano am 15. Apr. 2003, 23:42 Uhr
Hallo Hanspeter,
wozu brauche ich genaue Zahlen der Kriminalstatistik um das Maß der heutigen
Aggressivität und der Destruktion der Menschen zu belegen? Mord, Raub,
Kindesmisshandlungen, etc. gibt es mehr als genug, dazu muss ich jetzt wohl kaum
genaue Zahlen bringen.
Das dürfte jeder von uns zu Genüge kennen. Ich sprach
auch von der schlimmsten Art der Destruktion: Krieg.
Bei dieser als auch
deiner Anmerkung zu der Unmöglichkeit, Ethik auf Gefühle aufzubauen wird wieder
einmal ein elementarer Fehler der heutigen (westlichen) Kultur offenbar:
einmal, alles mit Fakten und Zahlen belegen zu wollen bzw. irgendwie zu
normieren, quantifizieren oder kategorisieren und andererseits wieder die
strikte Trennung in Verstand und Gefühl.
Ich gebe dir statt Gefühl ein
besseres Wort als Gefühl: Erfahrung.
Und Erfahrung ist das Produkt des
Verstandes in Zusammenarbeit mit subjektiven Empfindungen. Nie ist eines ohne
das andere anzutreffen, keine Erfahrung ist ohne Gefühl und ungekehrt kein
Gefühl absolut ohne Gedanken (bis auf wenige meditative Ausnahmen höherer Art).
Wieso will man das stets trennen, es ist definitiv nicht trennbar?
Und
ist Hilfsbereitschaft ein Gefühl? Es ist wohl eher ein Charakterzug und die
Gesellschaft besitzt ebenso einen Charakter.
Das Problem mit Hitler und
der Nazizeit war nicht Unkenntnis, sondern dieser bekannte Masseneffekt, der
auftritt, wenn zu viele Menschen einen gemeinsamen unfreien
Gesellschaftscharakter entwickeln oder zu träge werden. Dann bedarf es nur
Rationalisierungen um die Schraube der Glaubwürdigkeit hochzudrehen, so absurd
sie auch sein mögen, das spielt dann keine Rolle mehr. Das ist die immer gleiche
Dynamik einer Gemeinschaft, die zu wenig kritisch und frei denkende Menschen
hat. Heutzutage anzutreffen in einigen extremistischen arabischen Ländern
(Terror, Jihad, etc.) aber nicht nur dort (siehe auch Nordirland oder Balkan).
Es ist auch im zwischenmenschlichen Bereich täglich anzutreffen: aus Eitelkeit
oder Stolz versucht man seine Fehler zu rationalisieren, auch wenn man weiß,
dass man im Unrecht ist. Eine typische Form der Kommunikation leider.
Viele Wissenschaftler sind der Meinung, dass heutzutage mehr Potential an Hass
und Destruktivität in der Gesellschaft schlummert als vor 70 Jahren nur ist es
inzwischen rosarot und marketingtechnisch gut verpackt und dient anderen Zielen
als der Weltherrschaft mit Mitteln eines Krieges. $$$
Salve,
Zampano
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete
am 16. Apr. 2003, 07:26 Uhr
Hallo Zampano - guten Morgen an alle
Warum solltest du dich aufs Glatteis begeben, es sind deine Gedanken die du uns
mitteilst, und ich finde es toll, dass du den Mut dazu hast.
Aber eines
muss ich schon richtigstellen, die Instinkte kamen von dir, indem du meinstest
der Mensch hätte seine verloren, und ich bin der Meinung dass sie nach wie vor
vorhanden sind, aber weitestgehend unterdrückt werden.
Zum Thema Liebe möchte
ich auch ein paar Gedanken weitergeben, die deine Gedanken dazu vielleicht ein
wenig rationalisieren oder komprimieren können.
Liebe ist etwas, was man
zum Überleben im normal gebräuchlichen Sinn braucht, ein Mensch ohne Liebe
verkümmert seelisch, geistig und im Anschluß daran auch körperlich.
Liebe
kann ich in dem Ausmaß erleben, in dem ich bereit bin sie als Ausgangspunkt zu
nehmen, und nicht versuche sie als Besitz zu ergreifen.
Wenn ich so will,
dann ist Liebe die Verbundenheit zum Universum, oder die Art wie das Univesum
ist.
Hanspeter - was Liebe betrifft ist der Ausgangspunkt der Menschen
meistens der Kontext des Mangels!
Der angemessene Kontext wäre der, der
hinreichenden Menge innerhalb dessen man anfangen kann die Wahrheit zu erleben.
Man kann in ausreichender Menge geben und nicht "Brauchen" oder "Haben" müssen.
Wenn man braucht, kann man nicht lieben.
Liebe kann ohne
Bedürfnisbefriedigung existieren, sie kann ohne Sexualität, ohne körperliche
Anwesenheit, finanzielle Unterstützung usw. existieren.
Liebe ist das einzige
was die Zeit nicht auslöschen kann, sie ist was du bist und woher du kommst.
Ein beliebter Ort, um Liebe zu erleben ist die Beziehung.
Grüße Margarete
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von noisette am
16. Apr. 2003, 10:19 Uhr
[quote author=Eberhard]
Hallo Noisette...
wenn ich richtig gelesen habe, so ist für Euch das Prinzip: „Liebe Deinen
Nächsten wie Dich selbst!“ das entscheidende und auch voll ausreichende
Grundprinzip der Ethik ... Wenn Euch deren Leben genauso wichtig wäre wie Euer
eigenes, dann würdet Ihr das Geld nicht zum Reisebüro oder zur Kinokasse tragen
sondern in lebenserhaltende Medikamente anlegen ... Nachdenkliche Grüße von
Eberhard [/quote]
[balloon]nochmals: ich bin agnostikerin; habe kant's
kat.imperativ (und nicht christlliche nächstenliebe) als grundlage für die
ethikdiskussion vorgeschlagen.
zum sozialen engagement: keine sorge, ich
möchte uns angehörigen der wohlstandsgesellschaft nicht das wurstsemmerl und die
kinokarte wegnehmen. ich mache aber kein hehl daraus, dass mich sehr wohl von
zeit zu zeit nachdenklichkeit überkommt, wenn ich im supermarkt vor fünfzig
verschiedenen wurst-, käse-, schokoladesorten etc. stehe, während imselben
moment anderswo kinder verhungern.
worum es mir in meinen beiträgen (u.a.)
ging, war die überlegung eines angemessenen (d.h. sich nach den möglichkeiten
des einzelnen richtenden) solidaritätsbeitrags für notleidende menschen hier und
anderswo. denn ich finde es schon recht seltsam, dass so mancher kleinverdiener
für sozialprojekte spendet, während multimilliardäre, denen offenbar jegliches
soziale gewissen fehlt, ihr geld in weltraumspaziergänge und zur ersteigerung
von teuren gemälden verwenden.
vielleicht fällt ja die lösung des
ethikproblems deshalb so schwer, weil bei der umsetzung nicht nur verstand,
sondern auch herz und charakter gefragt sind.
grüsse, n.
Titel: Hallo noisRe: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 16. Apr. 2003, 13:36 Uhr
Hallo noisette,
Du schreibst: "Vielleicht fällt ja die Lösung des Ethikproblems deshalb so
schwer, weil bei der Umsetzung nicht nur Verstand, sondern auch Herz und
Charakter gefragt sind." Nun, jeder Mensch hat einen Charakter, jeder hat eine
Palette von Gefühlen, jeder kann mehr oder weniger gut denken. Daran liegt es
nicht. Es liegt daran, dass Verstand, Herz und Charakter unterschiedlich sind.
Ich habe vor einiger Zeit das Buch "Das intelligente Genom" gelesen. Darin legt
der Biologe Adolf Heschl dar, dass der Mensch grundsätzlich nicht zu
substantiellem Lernen fähig ist. Was nicht prinzipiell im Genom fixiert ist,
geht nicht. Du brauchst das Buch nicht zu kaufen, es ist mE. methodisch schlecht
gemacht, die Rezension im Internet
www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/buch/2395/1.html genügt. Auch wenn in dieser
Theorie einiges überspitzt ist, schau dir doch nur den Philtalk an und du siehst
völlig unterschiedliche moralische Konzepte, jeder verharrt in seinem, störende
Fakten werden ignoriert und wer die Welt nicht so sieht, wie man selbst, sieht
sie eben falsch. Das ist nicht Bosheit, es geht eben nicht. Die entsprechenden
Programme werden, so sie nicht schon vorhanden sind, in der frühen Kindheit in
die neuronale Festplatte eingegeben, Kurskorrekturen sind bestenfalls um einige
Grad möglich.
Vermutlich wird in ein paar Minuten die Natur zum Ergebnis
kommen, dass das Experiment homo sapiens arrogans eine Fehlkonstruktion war.
Wäre nicht die erste. C'est la vie.
Gruß HP
Titel: Ethik -
ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von noisette am 16. Apr. 2003, 19:31 Uhr
[quote author=Hanspeter]
Ich habe vor einiger Zeit das Buch "Das
intelligente Genom" gelesen. Darin legt der Biologe Adolf Heschl dar, dass der
Mensch grundsätzlich nicht zu substantiellem Lernen fähig ist. Was nicht
prinzipiell im Genom fixiert ist, geht nicht ...[/quote]
[balloon]... und
es ist ja wohl nicht ganz überraschend, dass - in der seit jahrzehnten geführten
anlage-umwelt-kontroverse - ein biologe zu diesem (leider sehr) einseitigen
ergebnis kommt... demgegenüber steht eine grosse zahl von psychologischen und
pädagogischen studien, welche die bedeutung von lernen und erfahrung für die
persönlichkeit betonen und belegen. humanistische und kognitive positionen
betonen die umwelt als determinante des verhaltens. insgesamt sprechen die
studienergebnisse für ein sowohl-als-auch bzw. eine interaktion von erb- und
umwelteinflüssen.
grüsse, f.
Titel: Re: Hallo noisRe: Ist
Ethik ein sinnloses Unterfan
Beitrag von Solipsist am 16. Apr. 2003, 19:54
Uhr
on 04/16/03 um 13:36:11, Hanspeter wrote:
Ich habe vor
einiger Zeit das Buch "Das intelligente Genom" gelesen. Darin legt der Biologe
Adolf Heschl dar, dass der Mensch grundsätzlich nicht zu substantiellem Lernen
fähig ist. Was nicht prinzipiell im Genom fixiert ist, geht nicht.
Hallo HP
Das ganze Genom besteht aus nichts anderem als einer schier endlosen
Kette von vier Nukleotiden (AGCT). Auf diesen DNA-Ketten ist die Information für
Aminosäureketten kodiert. Die Aminosäureketten falten sich nach ihrer Synthese
zu bioaktievn Substanzen oder Strukturmolekülen.
Lernen ist ein Prozess,
bei dem ein Organismus (oder Roboter) mit seiner Umwelt interagiert. Durch die
dabei beteiligten, sich in Einzelhandlungen äussernden
Reiz-Reaktionmechanimenwerden Teile des Organsimus verändert, so zB. bilden sich
neue Axone aus (Conditionning), schon bestehende Verbindungen werden verstärkt
(long term potentiation)....
Für die Bereitstellung der bei diesen Prozessen
beteiligten Teile ist das Genom notwendige Voraussetzung.
Organisiert werden
sie aber von etwas im Genom nicht ersichtlichen.
Kleine Anektote:
Anfang 20. JH gab es neben den beiden heute bekannten Sprachzentren (Brocca,
Wernicke) ein drittes, sogenantes Schreibzentrum. Es wurde also postuliert, dass
ein bestimmtes Hirnareal die Funktion des Schreibens organisiere.
Nimmt man
dieses Modell ernst, haben alle Analphabeten einen Gendefekt [balloon]
Ethik besteht für mcih an erster Stelle aus dem eigenen sittlichen Gewissen
(Vermögen zu empatischen Handlungen)
Gruss
Solipsist
Titel:
Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 17. Apr. 2003,
01:26 Uhr
hallo lieber Hans Peter,
dir scheint die ganze Ethik nicht
zu behagen,
ich möchte einige Gegenargumente anführen:
Antworten #160
>in Sachen Hühner-KZ's wendest du dich am besten vertrauensvoll an Paul......<
hab schon damit gerechnet, dass dich das aufregt, aber in einem
Philosophieforum sollte es doch mehr ums Denken als um Ideologie gehen.
>.....all das hält er offensichtlich für moralisch gerechtfertigt<
bitte
keine Unterstellungen, junger Mann. Ich habe selbst als Student begeistert
(sagen wir lieber überzeugt) ökologische Apokalypse ("Das Selbstmordprogramm"
etc.) gelesen, allerdings dann durchaus auch realisiert, das mag ein kleiner
Vorteil meines Alters sein, dass die damaligen Prognosen wirklich abenteuerlich
daneben lagen, merkwürdigerweise haben die Namen dieser Autoren aber nach wie
vor einen guten Klang, nicht gerade logisch. Die stärkste Rheinverschmutzung war
irgendwann in den 60ger Jahren.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von paul am 17. Apr. 2003, 01:30 Uhr
2
Dem
Grundwasser ist es völlig egal, ober der Stickstoff von den Hühnern oder dem
Kunstdünger kommt. Kunstdünger kann man vernünftig dosieren, Hühnerdung (im
Freilauf) leider nicht, das ist der kleine Unterschied. Gesammtökologisch ist
die nostalgische ökologische Landwirtschaft leider eine Sackgasse, die Wälder
würden wieder schrumpfen etc. (einen kleinen Teil können wir uns natürlich
"leisten"). In der modernen Landwirtschaft sind dagegen Pestizide überall massiv
im Rückgang, biologische Methoden treten an ihre Stelle, wahrscheinlich ist die
Gentechnik für dich auch ein Reizwort. Ganz ohne Sachwissen geht es halt nicht.
Aber Wissenschaft selbst ist ja schon bei manchen verdächtig. Das wird dann
lieber durch Glauben ersetzt. Nur darf man dann auch nicht mehr messen und
rechnen.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag
von paul am 17. Apr. 2003, 01:31 Uhr
Hanspeter Antworten #161
>Die
Erfahrung lehrt es, Menschen, die intensiv lieben, pflegen auch intensiv zu
hassen.<
wird schon mal behauptet, stimmt aber nicht, ist schon gar nicht
Erfahrung.
Es gibt verschiedene, von den Psychologen recht gut definierte
"love-stiles"
die Hassliebe ist nur typisch für den unsicheren und
schwächsten "ambivalenten" Typ, auch noch für den ebenso (innerlich) schwachen
Narzist, beides Gott sei Dank Minderheiten und auch entwicklungsfähig.
Hanspeter Antworten #165
>"Das intelligente Genom" gelesen. Darin legt der
Biologe Adolf Heschl dar, dass der Mensch grundsätzlich nicht zu substantiellem
Lernen fähig ist.<
so etwas zu beurteilen ist mancher Biologe leider
nicht fähig. Das klappt beim Philosophen schon etwas besser.
Aristoteles.:
"Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile"
Titel: Re: Ist Ethik
ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 17. Apr. 2003, 01:34 Uhr
2
Genome beinhalten keine Fähigkeiten, sondern Potentiale, die
Möglichkeiten, Fähigkeiten zu erwerben. Systemeigenschaften (Gehirnfunktion)
können durchaus innovativ, also prinzipiell neu sein. Aus diesem prinzipiellen
Unverständnis der Tragweite des Satzes von Aristoteles (ich weis, das regt dich
jetzt wieder auf) entspringen viele Fehlinterpretationen materieller
naturwissenschaftlicher Detailfakten mit entsprechenden falsch deutungsbeladenen
Namen wie etwa Glückshormon für Serotonin etc. Eine chemische Formel für Glück
wird es nie geben, man sucht allerdings unverdrossen weiter (nicht der
Philosoph).
Ich bin deshalb so ausführlich darauf eingegangen, weil alle
weiterführenden Fragen wie freier Wille und Ethik von solcherart (überholtem)
Biologismus, oder sagen wir Determinismus ad Absurdum geführt werden.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 17. Apr.
2003, 01:35 Uhr
3
Im weiteren Sinne ist imho auch der ständige
Hinweis auf frühkindliche Prägung verfehlt. Danach müßte ich als Kriegsjahrgang
und brutal entwurzelter und hungerleidender Vertriebener völlig liebesunfähig
und assozial sein. Nein man ist lernfähig bis ins Alter, auch wenns weh tut.
Natürlich hat der Mensch auch Gefühle und Instinkte, - was ist denn eine
Panikreaktion - aber er hat den denkenden Geist zusätzlich und es brauch ein
ganzes Leben bis dieser Geist nach langer Lernphase in Form von Vernunft die
Oberhand über die ältern Gefühle und Instinkte behält (oder auch nicht).
Nichts für ungut, kann dich verstehen
gruß
paul
Titel: Re: Ist
Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 17. Apr. 2003,
02:19 Uhr
An Paul.
Nicht so arrogant, alter Mann. Für eine
Diskussion pro und kontra Öko-Landwirtschaft brauchen wir dieses Forum sicher
nicht. Dazu sind von kompetenteren Leuten sachlichere Argumente in zahllosen
Veröffentlichungen getätigt worden.
Leider muss ich dich enttäuschen.
Das was du schreibst, regt mich nicht auf. Aber es interessiert mich. Vor allem
deine Art zu argumentieren.
1.: Aristoteles weiß alles besser.
2.:
Argumente, die nicht ins Konzept passen, ignorieren. (zB. Hühnerdreck: a. kann
man den auch bei freilaufenden Hühnern ziemlich genau berechnen und b. bleibt
das Problem ja auch bei KZ-Hühnern).
3. Eigene Argumente stets dogmatisch
behandeln (andere Ansichten sind falsch und werden ad Absurdum geführt).
4.
Arroganz: "Ich habe die umfassende Erfahrung, ihr jungen Schnösel lernt endlich,
auch wenn’s weh tut".
Meine Diagnose: Wenn du es nicht schon bist,
eignest du dich hervorragend als Politiker: Empfehle CSU, Bauernverband.
Titel: Re: Hallo noisRe: Ist Ethik ein sinnloses Unterfan
Beitrag von
Sheelina am 17. Apr. 2003, 04:40 Uhr
on 04/16/03 um 19:54:39,
Solipsist wrote:
Ethik besteht für mcih an erster Stelle aus dem eigenen
sittlichen Gewissen (Vermögen zu empatischen Handlungen)
Gruss
Solipsist
Hallo Solipsist,
was meinst Du mit "sittlichem
Gewissen" und "Vermögen zu empathischen Handlungen"? Ein Handeln aus dem Gefühl
heraus, welches sich aus den vorhergehenden Gedanken oder Auseinandersetzungen
mit sich und der Umwelt letztendlich als automatische Handlungsabfolge ergibt?
Grüsse, Lina
Titel: Umsetzung ethischer Noremn
Beitrag von
Eberhard am 17. Apr. 2003, 07:21 Uhr
Hallo Noisette,
ein paar
Gedanken zu Deinem „Unterthema“: Durchsetzung ethischer Normen.
Es gibt
vor allem zwei Motivarten, die einen Menschen dazu bewegen können, sich an
Normen zu halten: die eine ist die Einsicht, dass diese Normen richtig und
sinnvoll sind, und die andere ist die Erwartung von positiven Folgen bei
Beachtung der Normen (Lob, soziale Anerkennung etc.) und negativer Folgen bei
Verletzung der Normen (Strafe, soziale Verachtung etc.).
Fortschritte in
unserer „Hauptfragestellung“ („Wie finden wir zu allgemein akzeptablen Normen,
die man also jedem Individuum gegenüber einsichtig begründen kann?“) sind eine
wichtige Voraussetzung für die wirksame „Verinnerlichung“ dieser Normen. Die
Vermittlung einsichtig begründbarer Normen erscheint mir vor allem deshalb
wichtig, weil die Verankerung moralischer Normen in religiösen Überzeugungen
(„Ich befolge die Normen, weil sie von Gott gegeben sind“) mit dem Schwinden
dieser religiösen Überzeugungen zunehmend unwirksamer wird. Insofern ist das
philosophische Bemühen um die argumentative Begründung ethischer Normen auch
unter Deinem Gesichtspunkt der praktischen Umsetzung wichtig. Natürlich müssen
die Ergebnisse dieser Bemühungen auch an Eltern und Lehrer weitergegeben werden.
Mit der abnehmenden Glaubwürdigkeit religiöser Vorstellungen nimmt auch
die Motivation durch die Vorstellung einen Belohnung und Bestrafung eigener
Taten nach dem Tode (Jüngstes Gericht, Himmel und Hölle) ab. Ich glaube nicht,
dass sich dieser Säkularisierungsprozess langfristig umkehren lässt. Die Lücke,
die hier entsteht, muss deshalb anderweitig geschlossen werden.
Außerdem
schwindet durch die Verstädterung des Zusammenlebens und die damit einhergehende
Anonymität der sozialen Beziehungen die Wirksamkeit traditioneller sozialer
Kontrollen. Wen ich nicht kenne, den kann ich nicht ächten. Auch hier entsteht
eine Lücke in der Motivation, die schwer zu schließen ist.
Außerdem gibt
es ein Missverständnis der Marktwirtschaft, die den Einzelnen ja freisetzt,
seine eigenen Interessen im Rahmen der gegebenen Eigentumsordnung durch
vertragliche Einigung mit andern zu verfolgen. Diese „Entmoralisierung“ des
wirtschaftlichen Bereichs wird als allgemeine Aufforderung zu einer
„Ellenbogen-Gesellschaft“ und zur persönlichen Bereicherung (Korruption der
Inhaber öffentlicher Ämter) missverstanden.
Damit will ich hier erstmal
Schluss machen. Wie Du siehst, halte ich die Situation für kritisch und ich
teile Deine Meinung, dass wir uns über neue Wege zur wirksamen Verankerung
ethischer Normen Gedanken machen müssen.
Gruß Eberhard.
Titel:
Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 17. Apr.
2003, 07:22 Uhr
Hallo Paul, lieber Hanspeter -
auch ein blindes
Huhn findet manchmal ein Korn, und so möchte ich eure Altersfrage aufpicken und
mit Honig versüßen!
Ein "alter" Mann kann auch durchaus jugendlich sein
in seinen Ansichten und Handlungen -
und ein "junger" Mann kann durch
seine Erfahrungen schon sehr weise sein.
Es ist nicht das Alter, das
zählt! Trotz euren konträren Annäherungsversuchen finde ich euch easy!
Liebe Grüße Margarete
Titel: Re: Hallo noisRe: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfan
Beitrag von paul am 17. Apr. 2003, 07:40 Uhr
on 04/17/03
um 04:40:04, Sheelina wrote:
Hallo Solipsist,
was meinst Du mit
"sittlichem Gewissen" und "Vermögen zu empathischen Handlungen"? Ein Handeln aus
dem Gefühl heraus, welches sich aus den vorhergehenden Gedanken oder
Auseinandersetzungen mit sich und der Umwelt letztendlich als automatische
Handlungsabfolge ergibt?
Grüsse, Lina
"Schmach über uns ...
die wir in selbstmörderischer Schadenfreude uns in den polypenhaften
Determinismus vergafft haben"
Werfel Veruntreuter Himmel 9
guten Morgen
Paul
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von
paul am 17. Apr. 2003, 08:26 Uhr
hallo Margarete,
Mein Alter sollte
aus meiner Sicht keinefalls als Argument dienen, erweitert lediglich die
Sichtweise aus der reinen Gegenwartsbetrachtung. Aber auch das bleibt natürlich
relativ und ist nur ein kleiner Teilaspekt.
Deshalb sollte man die nettikette
nicht verletzten
HP argumentiert nicht, er gibt persönliche (negative)
Wertungen ab,
spätestens dann ist eine Diskussion beendet, ich verzichte
daher auf eine Entgegnung, die nicht sehr schmeichelhaft für ihn ausfallen kann.
Alter=Arroganz
setze ich
Alter=Liebe zum Menschen
entgegen
gruß
Paul
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag
von margarete am 17. Apr. 2003, 09:07 Uhr
@Eberhard
toller
Beitrag, werde darüber nachdenken!
@ Paul
ich habe nichts anderes
erwartet!
@ Hanspeter?
Grüße Margarete
Titel: Re: Ist Ethik
ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 17. Apr. 2003, 09:41 Uhr
Hallo Solipsist,
du als Biologe hast als einziger in diesem Kreis
die Kompetenz, dieses Buch von Adolf Heschl zu beurteilen. Hast du es gelesen?
Es ist mE. methodisch schlecht aufgebaut, denn er bringt zu wenige Beispiele von
dem, was lernbar und was nicht lernbar ist. Er spricht von "essentiellen" oder
"überlebenswichtigen" Funktionen. Immerhin, zwei Sätze möchte ich doch erwähnen
(S.333):
"Denn wenn schließlich unser gesamtes moralisches wie auch
kognitives Verhalten evolutiv durch Mutation und Selektion entstanden und somit
in unseren Genen verankert ist - und in der Tat, dies kann aus der
Evolutionstheorie abgeleitet werden -, dann hat es logischerweise keinen Sinn
mehr, darüber zu diskutieren, ob dieses selbe Verhalten in jenen spezifischen
Situationen, für die es über viele Generationen hinweg selektiert worden ist,
auch praktiziert werden soll oder nicht. Es wird einfach geschehen, mehr kann
dazu nicht gesagt werden." (Ende Zitat)
Wenn es nicht stimmt, was er
sagt, was hat er dann an der Evolutionstheorie bzw. der Genetik falsch
verstanden? Der Herr leitet übrigens das Konrad Lorenz Institut für Evolutions-
und Kognitionsforschung in Altenberg.
Gruß HP
Titel: Re:
Umsetzung ethischer Noremn
Beitrag von noisette am 17. Apr. 2003, 10:00 Uhr
[quote author=Eberhard]
... Die Vermittlung einsichtig begründbarer
Normen erscheint mir vor allem deshalb wichtig, weil die Verankerung moralischer
Normen in religiösen Überzeugungen („Ich befolge die Normen, weil sie von Gott
gegeben sind“) mit dem Schwinden dieser religiösen Überzeugungen zunehmend
unwirksamer wird ... Die Lücke, die hier entsteht, muss deshalb anderweitig
geschlossen werden [/quote]
[balloon] hallo eberhard!
hundertprozentige zustimmung meinerseits zu deinen ausführungen! besonders
wichtig erscheint mir die von dir angesprochene 'lücke', die durch den
abnehmenden einfluss der kirche als moralische instanz entstanden ist. meine
überlegung dazu: brauchen wir nicht, wenn man die jahrhundertelange machtvolle
position der kirche bedenkt, zusätzlich zur verankerung im schulunterricht) doch
wieder eine ähnlich mächtige institution, welche den menschen klare ethische
richtlinien vorgibt?
grüsse, n.
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 17. Apr. 2003, 11:40 Uhr
Hallo Eberhard,
danke für deinen gut formulierten Beitrag. Es freut
mich zu hören, dass auch du die Notwendigkeit der Philosophie, zu Fragen der
Ethik dezidiert Stellung zu nehmen, siehst. Manchmal entsteht ja der Eindruck,
es gäbe heutzutage keine Philosophen mehr, nur noch Historiker der Philosophie.
Ich habe ja bereits einen Vorschlag zu einer allgemein gültigen Moral
gemacht. Er ist ziemlich zerpflückt worden, scheint also auf keine Gegenliebe zu
stoßen. Wie also lautet deine Vorstellung einer Moral, wie sie sein sollte? Lass
die Katze aus dem Sack!
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Solipsist am 17. Apr. 2003, 22:50 Uhr
on 04/17/03 um 09:41:22, Hanspeter wrote:
Wenn es nicht stimmt, was
er sagt, was hat er dann an der Evolutionstheorie bzw. der Genetik falsch
verstanden? Der Herr leitet übrigens das Konrad Lorenz Institut für Evolutions-
und Kognitionsforschung in Altenberg.
Hallo HP
zuerst einmal ein
wenig biologisches blabla...
Jeder Organismus lässt sich einer bestimmten
Art (Nasenbär, Amöbe, Wurmfarn, Mammuth, Mensch) zuordnen. Die einzelnen Arten
sind ALLE miteinander verwandt und lassen sich nach ihrem Verwandschaftsgrad in
ein biologisches System einordnen. Dies ist der ganze Hokuspokus der
Evolutionstheorie. Ein Biologe hat mal den Ausdruck geprägt, die
Evolutionstheorie liefere nichts ausser Ahnengalerien. :-)
Kommen bei der
Betrachtung die Gene dazu, ist die Unterscheidung von Genotyp (das Genmaterial
eines Organsmus) und Phänotyp (der Organsimus selbst) von zentraler Bedeutung.
Mutieren kann bei der Meiose (Keimzellenproduktion) der Genotyp, Selektion
betrifft nur den Phänotyp (das Tier wuselt mehr oder weniger erfolgreich in
"seinem" Habitat umher).
Soviel zur reinen Theorie.
Was kann aus
einem spezifischen Genotyp erschlossen werden?
So gibt es zB. ein (oder
sind es mehrere) Gen, das die Augenfarbe steuert, ein anderes die Haarfarbe,
noch ein anderes die Blutgruppe.
Jedes Gen codiert für eine bestimmte
Substanz (eine Aminosäurenverbindung), also zB. Farbstoffe.
Anhand
einzelner Gene eines Genotyps können also einzelne Merkmale des Organsimus
bestimmt werden.
Um Verhalten bei Ratten besser studieren zu können,
wurden spezifische Stämme gezüchtet, die viel oder wenig Corticosteroide
(Stresshormon) produzieren. Es gelang also eine Verbindung zwischen Genmaterial
und Verhaltensdisposition (Agressivitätsgrad). Sobald jedoch höhere kognitive
oder emotionale Leistungen (zB Sozialverhalten, Ethik) mit im Spiel sind, ist
die Beschreibung oder Deutung mit Hilfe des Genmaterials ähnlich sinnvoll wie
die Deutung von Shakespeares Sonetten mittels Analyse der
Buchstabenkombinationen ohen auf die Bedeutung der Wörter einzugehen.
Gruss
Solipist
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 18. Apr. 2003, 01:38 Uhr
Hallo Solipsist,
danke für die Antwort. Du gehst also davon aus, dass diese These des Herrn
Dr. Adolf Heschl kompletter Unsinn ist. Schade, dass er nicht Mitglied des
Philtalks ist und sich äußert.
Ich erinnere mich an eine Untersuchung -
vielleicht kennst du sie näher - in der gezeigt wurde, dass Interesse an
moralischen Fragen genetisch fixiert sei (man sprach von einem "religiösen" Gen
bzw. Abschnitten von Genen). Auch Musikalität usw. gelten zuweilen als erblich
bedingt. Davon hältst du nichts?
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 18. Apr. 2003, 04:15 Uhr
Hallo Eberhard -
Gehe ich recht in der Annahme, dass du der Meinung
bist, alles was wir tun ist von einer entsprechenden Motivation begleitet? Es
gibt also positive wie negative Motivationen, je nachem welches Ziel ich
anpeile, welche Handlung ich ausführe.
Du sagst: weil die Verankerung
moralischer Normen in religiösen Überzeugungen mit dem Schwinden dieser
religiösen Überzeugungen zunehmend unwirksam wird, und nennst auch den
Säkularisierungsprozess ( gut und böse, Himmel und Hölle)
Verkörpert die
Kirche das Sinnbild einer Moral - auch dualistisch, das heißt die Ethik der
Kirche der Glaube an Gott, an das einzig wirklich Gute, Reine, Allmächtige?
Ich bin auch der Meinung, dass bei zunehmender "Gottlosigkeit" die Menschen
nicht mehr wissen woran sie glauben sollen - an ihre eigene Unfehlbarkeit, an
den Staat, die Wirtschaft?
Zudem kommt, dass wir in einem technischen
Zeitalter leben und alles logisch zu funktionieren hat, das ist gut für die
linke Gehirnhälfte, aber wo bleibt die Befriedigung der rechten?
Um das
auszugleichen suchen sich die Menschen einen anderen Glauben -
Sekten,Selbstverwirklichung, Größe in allen Bereichen.
Die Anonymität in den
sozialen Beziehungen dient dieser Entwicklung als Rechtfertigung.
Ebenso
hängt die Entmoralisierung in der Wirtschaft mit der Globalisierung zusammen, es
ist dasselbe Spiel.
Ich glaube es sind nicht unbedingt die Normen in der
Ethik die überarbeitet werden müssten, sondern die Werte bzw. die Wertigkeit der
Normen die den Menschen bewußt werden müssten, ohne in eine Religion auszuarten.
Wenn ich nur an die allgemeingültigen Menschenrechte denke, müsste ich
fragen welche? Es gibt sie aber, und viele Menschen haben sich darüber ihre
Köpfe zerbrochen.
Sie werden meist leider erst bewußt gemacht wenn es zu spät
ist, wenn es zu strafen gilt, wenn sie als Funktionsorgan tätig sind, um
Gerechtigkeit zu beweisen (weils aber wahr ist).
Es stellt sich für mich
die Frage Zuckerbrot oder Peitsche?
Wie bringe ich Menschen dazu Anderen ein
motiviertes Verständnis entgegenzubringen das Achtung und Toleranz inkludiert
damit Ethik überhaupt Platz greifen kann?
Grüße Margarete
Titel:
Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von noisette am 18. Apr.
2003, 10:20 Uhr
[quote author=Hanspeter] Ich erinnere mich an eine
Untersuchung, in der gezeigt wurde, dass Interesse an moralischen Fragen
genetisch fixiert sei (man sprach von einem "religiösen" Gen bzw. Abschnitten
von Genen). Auch Musikalität usw. gelten zuweilen als erblich bedingt. [/quote]
[balloon] und wie kommt es dann, dass beispielsweise bei eineiigen
zwillingen einer ein künstler wird, der andere vollkommen unmusikalisch ist?
oder: einer wegen raubüberfall im gefängnis landet, der andere ein privat und
beruflich geordnetes leben führt?
grüsse, n.
Titel: Re:
Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Solipsist am 18. Apr. 2003,
10:36 Uhr
on 04/18/03 um 01:38:57, Hanspeter wrote:
Ich erinnere
mich an eine Untersuchung - vielleicht kennst du sie näher - in der gezeigt
wurde, dass Interesse an moralischen Fragen genetisch fixiert sei (man sprach
von einem "religiösen" Gen bzw. Abschnitten von Genen). Auch Musikalität usw.
gelten zuweilen als erblich bedingt. Davon hältst du nichts?
Hallo HP
Diese Meinung habe ich vor einigen Jahren auch noch vertreten, die Konsequenzen
eines solchen Denkens sind aber zu absurd. Hier ein Beispiel dazu:
Vor
ein paar Wochen kam im TV eine Sendung über Massenmörder. Darin meldete sich ein
Anwalt zu Wort, der für einen seiner Klienten (einen Soziopathen der mehrere
Menschenleben auf dem Gewissen hatte) mittelst Gentest für unschuldig erklärte,
der Klient habe halt einen Gendefekt und könne darum gar nicht anders handeln.
In der Intelligenzdebatte ist das Thema Vererblichkeit auch seit Jahrzehnten
ein heisses Eisen. Beise Lager versuchen mittels Zwillingsuntersuchungen ihre
Thesen zu untermauern.
Ein interssantes Experiment dazu stammt aus der
Forschung mit Ratten. Genetisch identische Ratten wurden kurz nach der Geburt in
unterschiedlichen Umgebungen grossgezogen, die eine Gruppe in einem kahlen
Käfig, die andere in einem grossen Käfig mit Laufrad, Kletterleiter und anderen
"Spielgelegenheiten". Nach ein paar Wochen wurden die Ratten geköpft und ihr
Hirn untersucht. Die Hirne der zweiten Gruppe waren bedeutend schwerer und
verfügten über viel mehr Axone.
Um schliesslich nochmals auf die Meinung
des Herrn Heschl zurückzukommen. Geht man davon aus, sämtliche beobachtbaren und
beschreibbaren Phänomene der Welt beruhten auf materieller Grundlage (wie dies
die moderne Biologie tut), bleibt einem nichts anderes übrig, als Verhalten
mittels Genen zu untersuchen.
Will man sich Biologe nennen, hat man sich an
die herrschenden Dogmen zu halten, kommt also um die Gene nicht herum. Der
erkenntnismässige Nutzen solcher Forschung beschränkt sich halt dann auf den
Bereich der Wissenschafter dieser Disziplin.
Ein interessantes Buch zu
diesem Thema ist übrigens das zweite Buch des Verfassers von "Das Egoistische
Gen" Richard Dawkins "The extended Phenotype", dort wird die ganze Problematik
dieser wissenschaftlichen Herangehesweise seriös unter die Lupe genommen.
Hierzu ein Link:
http://www.cscs.umich.edu/~crshalizi/reviews/extended-phenotype/
Gruss
Solipsist
Titel: Ethik - ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von noisette am 18. Apr. 2003, 14:17 Uhr
[quote
author=Solipsist]
Ein interssantes Experiment dazu stammt aus der
Forschung mit Ratten. Genetisch identische Ratten wurden kurz nach der Geburt in
unterschiedlichen Umgebungen grossgezogen, die eine Gruppe in einem kahlen
Käfig, die andere in einem grossen Käfig mit Laufrad, Kletterleiter und anderen
"Spielgelegenheiten". Nach ein paar Wochen wurden die Ratten geköpft und ihr
Hirn untersucht [/quote]
ein 'interessantes experiment'? [hairstand] ...
aus meiner sicht ein beispiel für die irr-wege wissenschaftlicher forschung! wie
weltfremd (und un-ethisch!) sind wohl leute unterwegs, die ratten köpfen, um zur
selben erkenntnis zu gelangen wie jeder (auch nur einigermassen) sorgfältige
beobachter, nämlich: dass förderung sinn macht.
n.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am
18. Apr. 2003, 14:48 Uhr
Hallo Solipsist,
damit da kein falscher
Eindruck entsteht, ich bin kein Heschlist. Ich habe, ausgestattet mit einem
biologischen Halbwissen, eine ganze Reihe von Widersprüchen und Unklarheiten
entdeckt, aber, wie gesagt, ich bin kein Experte in Genetik und
Evolutionstheorie und daher im Urteil sehr zurückhaltend. Nur, ich finde das
Thema äußerst spannend.
Du schreibst: "Diese Meinung habe ich vor einigen
Jahren auch noch vertreten, die Konsequenzen eines solchen Denkens sind aber zu
absurd." Hier mahne ich zur Vorsicht. Ich denke, der Primat der
Naturwissenschaft sollte doch unbestritten sein. Weist sie eindeutig nach, was
Heschl behauptet, dann gilt das, egal ob es der Philosophie gefällt oder nicht.
Die Gesetze der Astronomie oder die Evolutionstheorie haben auch vielen
Philosophen nicht gepasst; sie gelten trotzdem. Aber, wie gesagt, der Nachweis
fehlt noch.
Abwarten, Tee trinken, und Eberhards Konzept einer Moral
entgegenfiebern.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 18. Apr. 2003, 14:56 Uhr
Hallo
Noisette,
ich habe Verständnis für deine Erregung. In Sachen Tierschutz
lasse ich mich nämlich nicht so leicht überholen. Und die moralischen Bedenken
sind auch bei mir hoch. Aber, ich gebe zu, da schwanke ich.
Ich nenne jetzt
nur die Argumente pro Tierversuche, weil du dich dagegen aussprachst. Ich könnte
dir auch eine Reihe dagegen nennen.
a. Auch Tiere machen Tierversuche
(Raubtiere verwenden Opfer als Übungsmaterial für ihre Jungen)
b. Was ist
moralischer? Eine Ratte zu köpfen, um Erkenntnisse zu gewinnen, oder ein Huhn zu
köpfen, um sich den Wanst zu füllen?
Aber schließe jetzt bitte nicht
daraus, ich wäre ein Vertreter für Tierversuche. Auf alle Fälle minimieren, so
gut es geht.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von noisette am 20. Apr. 2003, 08:29 Uhr
[quote
author=Hanspeter]
Ich denke, der Primat der Naturwissenschaft sollte doch
unbestritten sein ... [/quote]
warum? ist es der naturwissenschaft etwa
gelungen, zu beweisen, dass es gott gibt oder nicht gibt? hat sie auf die
grossen fragen der menschheit nach dem 'wozu und wohin' irgendwelche brauchbare
antworten geliefert?
[balloon] ... n.
Titel: Was
ist meine Konzeption?
Beitrag von Eberhard am 20. Apr. 2003, 16:09 Uhr
Hallo an alle,
vorweg bitte ich um Entschuldigung, dass ich nicht
immer gleich auf Eure Kritik und Eure Fragen an mich reagieren kann. Aber ich
will mein Möglichstes tun.
Als erstes will ich Hanspeter versichern, dass
ich kein fertiges System der Ethik in der Hinterhand habe, wie er vermutet,
sondern dass ich nur von einer bestimmten Fragestellung ausgehe:
Wie
muss ein System von Regeln und Institutionen des Zusammenlebens aussehen,
welches von jedem Individuum zwanglos akzeptiert werden kann, das zum einen die
Argumente versteht und das zum andern das Ziel einer zwanglosen Einigung teilt?
Das Einlassen auf diese Fragestellung ist die einzige Voraussetzung, die
ich mache. Die Begründung für diese Voraussetzung ist einfach: Wem es nicht um
allgemein akzeptable Normen und deren - von jedermann nachvollziehbare -
argumentative Begründung geht, mit dem erübrigt sich auch eine Diskussion über
Normen. Wer eine Norm als für mich verbindlich behauptet, ohne dass diese Norm
im Prinzip auch für mich einsichtig gemacht werden kann, der übt auf mich Zwang
aus. Und gegen Zwang muss ich mich anders wehren als mit Argumenten.
Meiner Meinung nach lassen sich mit Hilfe dieses Kriteriums (das man auch als
„Kriterium der zwanglosen Konsensfähigkeit“ oder kurz als „Konsens-Kriterium“
bezeichnen kann) Normen und deren Begründungen als mehr oder weniger geeignet
bestimmen.
Nicht konsensfähig in diesem Sinne sind z.B. „parteiliche“
Normen, die normative Unterschiede zwischen Individuen oder Gruppen machen,
nicht weil es sachliche Unterschiede zwischen diesen gibt, sondern allein
deswegen, weil es sich das eine Mal um das Individuum bzw. die Gruppe X handelt,
und das andere Mal nicht.
Wenn ich z.B. der Regel folge: „Immer wenn mir
die Wahrheit unangenehm ist, habe ich das Recht zu lügen“, so muss ich dieses
Recht auch allen anderen zugestehen und nicht nur mir, weil ich es bin. Wenn ich
das nicht wollen kann, dann kann es keine konsensfähige Norm sein. (Noisette
kommt dies sicherlich vertraut vor. Allerdings begründet Kant dies anders. Aber
wie dem auch sei, ich will hier keine Kant-Diskussion lostreten!)
Nicht
konsensfähig sind weiterhin solche Normen, die normative Unterschiede aufgrund
von Merkmalen machen, die für eine normative Beurteilung irrelevant sind. Bei
der Beurteilung einer Körperverletzung ist es z.B. irrelevant, ob der Täter
blond war oder dunkelhaarig, ob er es an einem Donnerstag oder Freitag getan
hat, ob es in Hamburg oder München geschah usw. (Zu klären bleibt hier
allerdings, warum diese Merkmale irrelevant sind.)
Nicht konsensfähig
sind Begründungen, die Annahmen über die Wirklichkeit enthalten, die nicht
intersubjektiv nachprüfbar sind. („Diese Regeln hat Gott Moses am Berg Sinai
verkündet“, „Diese Regeln hat Mohammed gegeben und Mohammed ist Gottes
Prophet“).
Konsensfähig zu sein scheinen mir gewisse elementare Rechte,
die jedem mündigen Individuum zustehen: Das Recht, frei zu handeln (sich zu
bewegen, sich zu kleiden, seine Meinung zu äußern, sich mit anderen
zusammenzuschließen) solange nicht die konsensfähigen Rechte anderer verletzt
werden. Die Konsensfähigkeit dieser „Menschenrechte“ wären noch genauer zu
klären.
Konsensfähig zu sein scheint mir auch die Zielsetzung, den
Untergang der Menschheit zu verhindern. Allerdings lassen sich daraus nur mit
Hilfe zahlreicher zusätzlicher Annahmen konkrete Normen ableiten.
Soviel
für heute. Ich hoffe, dass die Luft bei diesen notwendigerweise sehr allgemeinen
Gedankengängen nicht zu dünn geworden ist und ich mich einigermaßen verständlich
machen konnte.
Gruß an alle Denkerinnen und Denker Eberhard.
p.s.
Fast hätte ich es vergessen: Fröhliche Ostern!
Titel: Re: Ist Ethik
ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 21. Apr. 2003, 02:00 Uhr
Hallo Noisette,
Unter diesem Primat verstehe ich die Tatsache,
dass die Aussagen der Naturwissenschaften von Philosophie oder Religion nicht
widerlegt werden können, diese aber die Aussagen von Philosophie oder Religion
sehr wohl widerlegen können. Beispiele habe ich ja bereits genannt.
Dass
die Naturwissenschaften die Existenz Gottes nicht beweisen können liegt daran,
dass die Theisten Gott als etwas Nichtbeweisbares definiert haben. Auf die
"großen Fragen" der Menschheit können sie zwar Antworten geben, doch diese
gefallen vielen Menschen eben nicht.
Gruß HP
PS. Über Eberhards
Beitrag muss ich noch nachdenken.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 21. Apr. 2003, 11:09 Uhr
Hallo
Eberhard,
zwei eng verwandte Begriffe sind es, an denen ich beim Lesen
deines Beitrags hängen geblieben bin.
1. Konsensfähigkeit. Der Begriff
konsensfähig (früher anerkennbar) ist immer noch nicht klar definiert. Wann ist
eine Norm konsensfähig?
a. Hängt das von der persönlichen Sicht des
Einzelnen ab oder gibt es dafür objektive Kriterien? Ist zB Geburtenkontrolle
konsensfähig? Objektiv sicher ja, subjektiv eben nicht.
b. Bedeutet
konsensfähig, dass a l l e diese Norm anerkennen, oder genügt dir eine Mehrheit?
2. Zwang. Du möchtest, dass ein moralisches System "... von jedem Individuum
zwanglos akzeptiert werden kann, das zum einen die Argumente versteht und das
zum andern das Ziel einer zwanglosen Einigung teilt?" Da es bereits X moralische
Systeme auf dieser Welt gibt, sehe ich keine Chance, dass eine zwanglose
Einigung möglich ist. Noch nie hat sich eine Rechtsordnung (= normierte Moral)
in der Welt ohne Zwang etabliert. Im Gegenteil, eine wesentliche Eigenschaft des
Rechts ist es, dass eine entsprechende Macht dahinter steht, es durchzusetzen.
Oder akzeptierst du den Zwang der Mehrheit über die Minderheit?
Eine
Änderung unser normierten Moral - und auf die kommt es ja in erster Linie an -
ist mE. nur durch den "Zwang des Faktischen" möglich. Je eher wir die Zwänge und
die Folgen ihrer Nichtbeachtung erkennen, desto verträglicher werden die
notwendigen Änderungen sein. Agiert man erst, wenn einem das Wasser bis zum Hals
steht, kriegt man existenzielle Probleme. Ein Blick in die derzeitige
innenpolitische Situation der BRD zeigt dies anschaulich.
Vielleicht
sollte man in Sachen Moral nicht allzu harmoniesüchtig sein?
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am
21. Apr. 2003, 11:53 Uhr
zunächst auch Frohe Ostern an alle!
hallo
noisette,
> [quote author=Hanspeter]
Ich denke, der Primat der
Naturwissenschaft sollte doch unbestritten sein ... [/quote]
warum?<
dein warum ist völlig berechtigt, das Primat der Naturwissenschaft gilt
selbstverständlich nur für die Naturwissenschaft.
Wenn ein Physiker sich über
die Wechselwirkung der Atome äußert, hat er die Autorität des Fachmannes, was
man ein Primat nennen darf; äußert er sich aber etwa über Sytemeigenschaften von
Leben oder gar Moral des Menschen, macht er eine entscheidende
Grenzüberschreitung, er spricht dann sebstverständlich nicht mehr mit der
Autorität des Physikers und verliert damit natürlich sein Primat, das hat dann
der Biologe oder der Philosoph, je nach Problemstellung. Das hat nicht damit zu
tun, dass höhere Systeme sich physikalischer Bausteine bedienen - ich erinnere
and den Satz von Aristoteles: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Das
wollen Physiker oft nicht verstehen.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von paul am 21. Apr. 2003, 11:56 Uhr
2
Hierzu
noch ein Beispiel. Eines Software benötigt zur "Aktivierung" eine Hardwarebasis.
Die Art der Hardware ist dabei meist unwichtig, sie kann Metall, Plastik, Glas
oder sontwie äquivalent realisiert werden. Umgekehrt ist es aber vollständig
unmöglich, aus der hardware auf die software zu schließen. Aus einem Legostein
kannst du nicht herauslesen, was du alles damit bauen kannst.
Der Der
Naturwissenschaftler ist also bezüglich der menschlichen Moral nicht kompetent.
Selbstverständlich bleibt auch ihm unbenommen sich an der Diskussion zu
beteligen. Aber auch "Naturrechte" sind menschliche Erfindungen, man kann die
Natur "verschwenderisch" oder "grausam" nennen, keinesfalls aber moralisch oder
unmoralisch, sie i s t einfach.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von paul am 21. Apr. 2003, 11:58 Uhr
3
Nun zu
Kant:
In meinen Augen ist es sein Verdienst ethisches Verhalten ohne
mythische oder religiöse Herleitungen ganz auf rationale Vernunftbasis zu
reduzieren.
Dies ist sicher ein ganz elementarer philosophischer Durchbruch,
hat aber seinen Schwachpunkt, wie du ja selbst mehrfach beklagt hast, in der
praktischen Durchführbarkeit. Der Mensch müßte bei jeder Handlung alle
Konsequenzen erkennen können, das ist für wahr eine Überforderung.
Das ist ja
die Stärke der Religionen, dass sie sozusagen Küchenrezepte für den Alltag
anbieten, die auch ohne die Belohnung im jenweits ohne viel Nachdenken unser
handeln bestimmen kann. Ich habe mir allerdings früher eine Rüge bei meinem
Religionslehrer eingehandelt, als ich feststellen wollte, dass das Wertvollste
des Glaubens seine Moralkodex darstellt. Die Antwort war: über allem anderen
steht das erste Gebot: du sollst keine fremden Götter neben mir haben. Dies ist
wir wie alle aktuell sehen können ein Freibrief für alles einschließlich Mord.
Und hier ist mir Kant doch lieber.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von paul am 21. Apr. 2003, 12:06 Uhr
4
Aristoteles - ich bin keinesfalls ein Jünger von ihm - habe ich nur deshalb ins
Spiel gebracht, weil er pragmatischer "menschenangepasster" als Kant
argumentiert. Man könnte fast sagen seine Ethik ist egoistischer, sie ist
identisch mit dem Streben des Menschen nach individueller Glückseligkeit, nicht
nur der Verstand auch die Gefühle kommen sozusagen auf ihre Kosten, wobei die
Vernunft den Gefühlen ihr rechtes Maß vermittlen soll, eine außerordentlich
moderne und realistische Denkweise, wie ich meine.
Damit müßte doch der
Wunsch von Eberhard und wohl allen selbstbewußten modernen Menschen nach
Verzicht auf Zwang von "außen" zu erfüllen sein.
HP muß ich insofern Recht
geben, das nicht nur ein Individuum sich verteidigen darf, sondern die
Einhaltung bestimmter Normen ohne Zwang oder nennen wir es Gewalt nicht
funktioniert. Das ist aber letztlich kein Widerspruch, da Demokratie ja
Sanktionierung dieser Normen durch den einzelnen meint.
Gruß
Paul
Titel: Ist moralisches Verhalten biologisch festgelegt?
Beitrag von Eberhard
am 21. Apr. 2003, 17:21 Uhr
Hallo Hanspeter,
zu dem Unterthema
„Evolutionstheorie und Ethik“ möchte ich als Nicht-Biologe einige Anmerkungen
machen. Heschl schreibt:
"Denn wenn schließlich unser gesamtes
moralisches wie auch kognitives Verhalten evolutiv durch Mutation und Selektion
entstanden und somit in unseren Genen verankert ist - und in der Tat, dies kann
aus der Evolutionstheorie abgeleitet werden -, dann hat es logischerweise keinen
Sinn mehr, darüber zu diskutieren, ob dieses selbe Verhalten in jenen
spezifischen Situationen, für die es über viele Generationen hinweg selektiert
worden ist, auch praktiziert werden soll oder nicht. Es wird einfach geschehen,
mehr kann dazu nicht gesagt werden."
Es ist zwar richtig, dass unser
gesamtes moralisches wie auch kognitives Verhalten .. in unseren Genen
„verankert“ ist, aber diese „Verankerung“ muss nicht in Form von genetisch
festgelegten Verhaltensprogrammen erfolgen. Die Verankerung kann sich auch auf
die Bereitstellung von Kapazitäten zum Aufbau von variablen und revidierbaren
Verhaltensprogrammen beschränken.
Um den Sachverhalt in Analogie zum
Aufbau eines Computers zu erläutern: Die veränderlichen Verhaltensprogramme in
diesen „Re-Writable“-Speichern werden nicht über den „internen Speicher“ Genom
biologisch an die Nachkommenschaft weitergegeben sondern KULTURELL durch
sprachliche Weitergabe des Wissens in mündlicher oder schriftlicher Form (Lehren
und Lernen).
Das kognitive und moralische Verhalten der Menschen
resultiert insofern nicht einfach aus genetischer Mutation und Selektion,
sondern bildet sich heraus in Prozessen der Information, Kritik und Erfindung,
wie sie im kleinen Maßstab z.B. auch in dieser Diskussionsrunde ablaufen. Die
Biologie hat das philosophische Nachdenken also nicht überflüssig gemacht.
Gruß Eberhard
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 22. Apr. 2003, 07:00 Uhr
Hallo
1. An alle
Naturwissenschafts-Skeptiker.
Ich habe in meinen beiden Beiträgen zum
Thema Primat der Naturwissenschaften klar geäußert, dass es um Aussagen geht,
die die Nat.Wiss. b e w i e s e n hat.
Ferner kommt es nicht darauf an was
irgend ein Physiker, sonder was die Physik sagt. Wenn ein Physiker sich über
Moral äußert, so ist das genauso richtig oder falsch, wie wenn sich ein Theologe
dazu äußert, wobei ich davon ausgehe, dass keine Nat.wiss. die Aussage des
Physikers bewiesen hat.
Kompetenzüberschreitungen gibt es in der
Wissenschaft nicht. Ein Beweis ist richtig oder falsch, unabhängig von der
Person oder ihrer Kastenzugehörigkeit, die ihn durchführt. Nebenbei, es waren
gerade die Philosophen und Theologen, die sich zu Fragen der Nat.Wiss. sehr
dezidiert und auch sehr aggressiv geäußert haben. Aber das stört nicht. Hätten
sie Recht behalten, wäre alles in Ordnung gewesen.
Akzeptieren würde ich
dagegen den Vorwurf, diesen Primat auf die Nat.Wiss. beschränkt und nicht alle
exakten Wissenschaften, wie zB Mathematik, miteinbezogen zu haben. Dann ernenne
ich diese eben zu Nat.wiss. h.c.
Ich halte die Trennung von Natur- und
Geisteswissenschaften ohnehin für obsolet. Die Kriterien für exaktes
wissenschaftliches Arbeiten gelten allgemein.
2. An alle
Aristoteles-Fäns.
Paul schreibt zum wiederholten Mal: "ich erinnere and
den Satz von Aristoteles: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Das
wollen Physiker oft nicht verstehen." Der Grund, warum die Physiker das nicht
verstehen wollen, ist klar: Dieser Satz gehört zu den nicht seltenen
philosophischen Nonsens-Sätzen, die man immer wieder liest. Sätze vom Kaliber:
"Ich weiß, dass ich nichts weiß", oder "Ich denke, also bin ich."
Der
Satz soll ja wohl keine mathematische Aussage sein, sondern beinhalten, dass die
Eigenschaften des Ganzen mehr sind, als die summierten Eigenschaften seiner
Teile. Und das ist Nonsens, weil die Eigenschaften des Ganzen nur peripher etwas
mit den Eigenschaften seiner Teile zu tun hat.
Die Eigenschaften des Alkohols
lassen sich nicht aus den Eigenschaften der H-, C- und O-Atome erklären. Der
Alkohol ist auch nicht mehr und nicht weniger als die Summe seiner Teile, er ist
etwas anderes. Skeptikern empfehle ich, eine Kohle-Tablette und ein
Wasserstoff-Sauerstoff-Gasgemisch zu schlucken und sich dann eine Zigarette
anzuzünden. Sie werden garantiert nicht weniger erleben, als wenn sie rauchend
ein Glas Schnaps trinken, sondern etwas ganz anderes!!
Ein weiteres
Beispiel: Für den Erbauer einer Kathedrale haben die Bausteine im Wesentlichen
die Eigenschaft einer Materie mit einer bestimmten Form, mechanischen Qualität,
Farbe und einem bestimmten Preis.
Die Zusammensetzung und die
Kristallstruktur der sie aufbauenden Aluminiumsilikate interessieren ihn nicht.
Dafür interessiert sich dagegen der Mineraloge. Dem wiederum ist es wurscht, ob
aus dem Stein eine Kathedrale oder ein Bordell gebaut wird. Was das "Ganze" ist,
ist auch eine Frage des Betrachters. Für einen Mineralogen ist der Stein etwas
Komplexeres als die Kathedrale, für den Historiker die Kathedrale etwas
Komplexeres als der Stein.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik
ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 22. Apr. 2003, 07:02 Uhr
Hallo Eberhard,
auch ich nehme an, dass der zweite Teil deines
Kommentars zutrifft.
Erstaunt hat mich aber dein Satz: "Es ist zwar
richtig, dass unser gesamtes moralisches wie auch kognitives Verhalten .. in
unseren Genen "verankert" ist, aber diese "Verankerung" muss nicht in Form von
genetisch festgelegten Verhaltensprogrammen erfolgen."
Wenn dieses Verhalten
verankert ist, dann müssen es wohl auch die Programme sein, denn die Programme
steuern ja das Verhalten. Oder sehe ich das falsch? So gesehen wärst du schon
heschlistischer als ich.
Aber noch einmal, wir können das Problem nicht
lösen, das geht nur mittels experimenteller Untersuchungen.
Gruß HP
Titel: GENE
Beitrag von margarete am 22. Apr. 2003, 07:39 Uhr
Hallo Hanspeter-
außer meiner Haarfarbe habe ich sicherlich noch
andere Gene auf Lager die mir mein Überleben sichern sollen, aber so fertige
Programme, da ist mein Rechner schon längst im out.
Ich hoffe ich bin
lernfähig, und kann gegebenenfalls untergetauchte und emporwallende, längst
vergessene Programme neu aufschlüsseln und der Zeit anpassen.
Sind
gespeicherte Informationen für dich eine rein biologische Hardware?
Grüße
Margarete
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Majo am 22. Apr. 2003, 13:32 Uhr
Kognitives und moralisches
Verhalten sind nicht in den Genen verankert. Welche Gene sind für Kognition und
welche für Moral verantwortlich? Gibt es denn bestimmte Enzyme, die Moral
katalysieren oder Proteingerüste, an denen sich die Kognition entfaltet? Welche
Gene steuern denn die räumlichen und spezifischen Prozesse von Ganglienzellen?
Welche Gene werden angeschaltet, damit wir über Moral verfügen? Oder soll ich
mir vorstellen, dass irgendwo auf diesem ellenlangen Ketten der DNS
Geheimnisvolles sich befindet. Oder ist es einfach nur schick, wenn man sich mit
ernster Miene ganz tief runter beugt?
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 22. Apr. 2003, 13:54 Uhr
Hallo
Margarete,
gespeicherte Infos sind für mich biologische Software.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von
Marcel am 22. Apr. 2003, 21:13 Uhr
[I]
Hallo Hanspeter,
<Wenn
ein Physiker sich über Moral äußert, so ist das genauso richtig oder falsch, wie
wenn sich ein Theologe dazu äußert,>
Grundsätzlich würde ich dem zustimmen;
Ethiker (oder Theologen) sind sicherlich nicht "moralischer" oder wissen besser,
was "moralisch" ist und was nicht (na gut, manche Theologen meinen das
vermutlich tatsächlich, Ethiker wird man aber kaum welche finden).
Aber
sie haben analytische Methoden als "Handwerk" gelernt, die es ihnen ermöglichen,
ethische Urteile zu analysieren, implizite normative Elemente in Aussagen
herauszufiltern, diese auf ihre rationale Konsistenz hin zu untersuchen usw.
usf.
Das würde ich nicht unterschätzen - es macht schon einen
Unterschied, ob ein Ethiker oder ein Nicht-Ethiker (damit meine ich: Ein Laie in
der *Ethik*, nicht in der Moral!) Ethik betreibt; die Anzahl an naturalistischen
Fehlschlüssen u.Ä. in ethischen Argumentationen steigt gewissermassen
propositional zur Anzahl Ethik-Laien in einer Gesprächsrunde (zumindest kommt es
mir oft so vor ;-)).
<Kompetenzüberschreitungen gibt es in der
Wissenschaft nicht.>
Da wäre ich eher vorsichtig, auch wenn ich denke, dass
ich verstehe, was du meinst. Es scheint mir aber so etwas zu pauschal.
Wissenschaft ist nun mal Spezialistentum (oder weniger freundlich ausgedrückt:
Ein Fachidioten-Verbund ;-) ). Die jeweiligen Vertreter der jeweiligen
Disziplinen sind auf ihren Gebieten kompetenter als andere, selbst wenn
*prinzipiell* jede Begründung und jeder Beweis selbstverständlich auf rationale
Weise intersubjektiv nachvollziehbar sein muss (oder sollte).
Ich denke,
diese Grenzen sollte man nicht ignorieren; ein Physiker ist nun mal kein
Soziologe, und ein Soziologe kein Physiker. Wenn diese Fachkompetenzen
bestritten werden, kommen oft seltsame Dinge heraus (nichts gegen z.B. Prof. W.
Singers neurologische Arbeiten, die sind beeindruckend; aber als er sich im
Rahmen seiner Unfreien-Wille-Theorie auf die soziologische und sogar
medienwissenschaftliche Ebene verlagerte, wurde es dann m.E. schon eher kritisch
- dieser Aspekt der Theorie war viel zu unreflektiert und kann m.E. kaum mehr
Anspruch erheben als eine persönliche Laien-Meinung, die jeder Mensch über
soziologische Verhältnisse anstellen kann. Als "wissenschaftliche Aussage"
schien mir dieser Teil der Theorie aber viel zu gewagt; eben, er ist halt
Neurologe, nicht Soziologe. Aber das nur als exemplarisches Beispiel).
<Nebenbei, es waren gerade die Philosophen und Theologen, die sich zu Fragen der
Nat.Wiss. sehr dezidiert und auch sehr aggressiv geäußert haben>
[confused]
Es ist eine seltsame Tendenz, die sich meiner Meinung nach besonders in der
populärwissenschaftlichen Philosophie oder Philosophiewahrnehmung entwickelt
hat, die Philosophie als "Gegner" der Naturwissenschaften zu sehen.
Rein
philosophiegeschichtlich gesehen kann diese These ja schon ziemlich gut
widerlegt werden. Philosophen wie Rudolf Carnap, W.V.O Quine, Sellar, heute z.B.
David M. Armstrong oder Bernard Williams sind ja alles ausgewiesene
Physikalisten oder Naturalisten, die in ihrer Funktion als
Wissenschaftstheoretiker das "Primat der Naturwissenschaft" (wenn man's so
nennen möchte) begründet haben oder begründen wollen - also alles andere als
"aggressive Naturwissenschaftsgegner" sind.
Tatsächlich sind es m.E.
eher diese philosophischen Strömungen, die zu diesem "Primat" geführt haben, und
nicht die "Naturwissenschaft selbst" (schliesslich wurde der "science war", der
"Krieg" zwischen Natur- und Sozial-/Geisteswissenschaften nicht durch die
Einzelwissenschaftler, sondern primär durch die Wissenschaftstheoretiker - also
Philosophen - ausgelöst; diskutiert wurde und wird er dann freilich überall).
Philosophie und Naturwissenschaft sind keine Gegensatzpaare; es wundert mich
immer wieder, dass das in irgendeiner Weise geglaubt oder vermutet wird.
>2
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Marcel
am 22. Apr. 2003, 21:16 Uhr
[II]
<Die Kriterien für exaktes
wissenschaftliches Arbeiten gelten allgemein.>
Grundsätzlich damit
einverstanden. Nicht einverstanden wäre ich aber, wenn damit vernachlässigt
wird, dass jede Disziplin eigene Methoden hat und daher "exaktes
wissenschaftliches Arbeiten" nicht durch EINE Methode definiert werden kann
(z.B. der naturwissenschaftlichen; kommt leider im Rahmen des "science war"
relativ oft vor).
Eine hermeneutische Methode in der
Geschichtswissenschaft z.B. muss ebenfalls exakt sein (diese Forderung
unterstütze ich voll und ganz), aber es ist völlig absurd, diese
disziplinenbezogene Methode mit den disziplinenbezogenen Methoden einer anderen
Einzelwissenschaft zu vergleichen und dann zu sagen "Ist nicht exakt!" (wie
heisst es so schön: Äpfel mit Birnen vergleichen ...). Einfach als kritische
Anmerkung.
<Dieser Satz gehört zu den nicht seltenen philosophischen
Nonsens-Sätzen, die man immer wieder liest. Sätze vom Kaliber: "Ich weiß, dass
ich nichts weiß", oder "Ich denke, also bin ich.">
Zu Descartes
cogito-Argument: Darf ich fragen, ob du das ganze cogito-Argument in den
"Meditationes" gelesen und nachvollzogen hast oder einfach nur das (allseits
bekannte) Enthymem "cogito ergo sum" kennst? Wenn ja, dann würde ich schon gerne
ein paar vernünftige Argumente von dir lesen, warum diese Konklusion "nonsens"
ist; es ist, auch wenn ich nicht mit allem einverstanden bin (und Descartes auch
der eine oder andere Fehler nachgewiesen werden konnte), dennoch ein
beeindruckendes Beispiel streng rationaler Argumentation.
Wenn du seine
Argumentation gar nicht wirklich kennst, fände ich deine Behauptung nicht gerade
"wissenschaftlich"; kritisieren ja, aber man sollte wenigstens ein bisschen
Ahnung haben von dem, was man kritisiert.
Selbiges gilt übrigens für das
sokratische Nichtwissen, "Ich weiss, dass ich nichts weiss." In dieser
verkürzten Form klingt es freilich nicht sonderlich überzeugend; aber auch hier
wird vergessen, dass dieser Spruch im Grunde eine Konklusion eines ganzen
Argumentationsvorgangs ist. Gemeint ist damit im Grunde eine skeptizistische
Konklusion, dass ich mir nie sicher sein kann, tatsächliches (absolutes) Wissen
zu besitzen (und da nach der antiken Definition "Wissen" als "absolutes Wissen
über die metaphysische Beschaffenheit der Welt" etc. definiert wurde, können wir
demnach nie wirklich etwas "wissen") - eigentlich mehr oder weniger eine
Position, die man heute "Fallibilismus" nennt und Inbegriff (fast) jeder
modernen Wissenschaftstheorie ist, gerade der naturwissenschaftlichen
(spätestens seit Karl Popper).
Diese "Sprüche" standen alle in einem
Kontext und werden heute tatsächlich oft etwas gedankenlos eingesetzt.
Nun zum Aristoteles-Satz. Ich gebe dir durchaus recht, dass dieser Satz nicht so
gehaltvoll ist, und auch deine Beispiele zeigen diese Probleme auf.
Aber man
muss vorsichtig sein: Dieses Konzept wird heute stark diskutiert, man nennt es
"Emergenz" (nach dem britischen Emergentismus des frühen 20. Jahrhunderts;
übrigens waren diese Positionen, wie viele moderne emergentistische Positionen,
ausgesprochen naturalistisch). Auf deine Einwände wird dort durchaus versucht,
einzugehen, indem versucht wird zu explizieren, was "emergente Eigenschaften"
usw. genau darstellen, wo sie vorkommen können, unter welchen Bedingungen etc.
(die übrigens ausgesprochen restriktiv sind). Heute werden dazu meistens
systemtheoretische Ansätze gewählt, und systemische Eigenschaften (die dann
emergent sind) wären Eigenschaften, die ein System nur deswegen ausbilden kann,
weil es eben genau dieses System mit einer spezifischen Systemkonfiguration ist.
(Der Einwand wurde aber auch schon gemacht, wie man praktisch diese systemischen
Eigenschaften von nicht-systemischen unterscheiden können soll).
Freilich
bleiben einige Probleme (besonders mit der sog. "downward causation", also
abwärts gerichteten kausalen Wirkung), ich glaube aber nicht, dass man das
Konzept jetzt schon so einfach, wie du das gemacht hast, ad acta legen kann,
dazu wurde noch zu wenig geforscht; der Reduktionismus brauchte auch einige
Jahrhunderte bis zu seiner "Perfektion". (Eine gute, einfache Übersicht zum
Thema Emergenz bietet z.B. Achim Stephan: Emergenz. Von der Unvorhersagbarkeit
zur Selbstorganisation. Dresden UP 1999).
(Nebenbei gibt es sehr wohl
auch Naturwissenschaftler, die in diese Richtung gehen oder dazu tendieren; ich
halte Pauls Pauschalaussage "Physiker wollen das oft nicht verstehen" für nicht
sehr brauchbar; es gibt genauso Philosophen, die das "nicht verstehen" und
dagegen argumentieren, nicht nur Physiker ...).
Grüsse,
Marcel
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 22. Apr.
2003, 23:37 Uhr
hallo Marcel,
ich danke für deine inhaltliche
Unterstützung,
möchte aber auf einige Aspekte der Wissenschafttheorie noch
einmal eingehen, da deine richtigen Ausführungen unverständlicherweise mit
Kritik an meinen Formulierungen verküpft wurden. Ich bin halt ein Freund
möglichst einfacher Formulierungen.
Es sind nur zusammengefasste
Wiederholungen aus früheren threads über das gleiche Thema.
Eine
einheitlicher auf Begründung basierender Wissenschaftsbegriff wurde bereits im
19. Jahrhundert aufgegeben.
Die Geisteswissenschaften grenzten sich in ihrer
Zielsetzung bewusst von den so effektiven Naturwissenschaften ab: Ihre Methode
ist das Auslegen, die Hermeneutik, wie du ja sagst, zielt somit auf das
Verstehen. Die Erkenntnisse der Geisteswissenschaften liefern keine
Gesetzmäßigkeiten und ermöglichen somit auch keine Voraussagen. Die
"Begründungen" der Geisteswissenschaften sind in der Regel nicht exakt zu
überprüfen, sondern bieten ihrerseits die Möglichkeit der Auslegung.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 22. Apr.
2003, 23:41 Uhr
2
Für die Naturwissenschaften gilt nach wie vor die
Notwendigkeit einer n a c h p r ü f b a r e n Begründung. Die Methode der
Naturwissenschaften ist Induktion und ihr Ziel ist das Erklären empirischer
experimenteller Fakten durch eine Theorie, die im Gegensatz zur
Geisteswissenschaft Voraussagen für zukünftige Fälle ermöglicht. Dies ist ihre
Power, auf der letztlich unsere ganze alltägliche Technik aufgebaut ist. Das
Primat bleibt aber bei der Empirie, beim Experiment nicht bei der Theorie (wie
bei der Theologie). Eine experimentelle Überprüfung setzt eine kontrollierbare
Methodik voraus, so dass jeder Interessierte - entsprechende Unterweisungen
vorausgesetzt - in der Lage ist, die Resultate zu reproduzieren und damit die
Theorie selbst zu überprüfen.
Der von mir zitierte Satz von Aristoteles
(stammt möglicherweise gar nicht von ihm) ist alles andere als "nicht so
gehaltvoll". Er ist die einfachste Formulierung für das von dir zitierte
Emmergenzphänomen. Dies wird sofort klar, wenn man als Gegenprobe seine
Ungültigkeit postulieren würde. Dann wäre in jedem Atom von dir ein kleiner
Marcel versteckt, oder sagen wir konsequent, das ganze Universum.
Titel:
Was heißt "genetisch verankert"?
Beitrag von Eberhard am 22. Apr. 2003, 23:42
Uhr
Hallo Hanspeter,
Zu Heschl: Ich habe das von Heschl benutzte Wort
„verankern“ ganz bewusst in Anführungszeichen gesetzt, weil es sich dabei um
eine Metapher, um Bildersprache aus der Seefahrt handelt, die ich in
wissenschaftlichen Diskussionen möglichst vermeide.
Prompt hat es
Missverständnisse gehagelt, weil jeder unter „genetischer Verankerung“ etwas
anderes versteht.
Ich habe damit nur gemeint, dass der Aufbau des
menschlichen Gehirns mit seiner vergleichsweise riesigen Großhirnrinde, in dem
der Erwerb von Sprache, Wissen und moralischen Standards stattfinden kann,
genetisch festgelegt ist. Nicht genetisch festgelegt sondern kulturelles Erbe
sind dagegen die jeweiligen Inhalte, was daran ersichtlich ist, dass diese
variieren. Also: Die Fähigkeit zum Erlernen einer komplexen Sprache ist den
Menschen angeboren, nicht jedoch, dass sie deutsch oder französisch sprechen.
D’accord? Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von paul am 22. Apr. 2003, 23:43 Uhr
3
Die
Emergenztheorie, wie überhaupt alle holistische Denkansätze zeigen den
wichtigsten methodische Schwachpunkt der Naturwissenschaft, nämlich der
Analytik, also der isolierten Betrachtung der Bausteine, was zwangsläufig zum
Verlust von Sytemeigenschaften (Emergez) führen muß.
Dieses Defizit wird aber
häufig gar nicht mehr wahrgenommen was insbesondere in leienfreundlichen
Formulierungen zu Tage tritt (Glückshormon etc.). Freilich gibt es zahlreiche
Grenzwissenschaften, die sich gerade auch mit Emmergenzproblemen beschäftigen,
sehr spannend.
Der Physiker war für mich nur ein Beispiel, alles andere als
eine Pauschalierung, dafür habe ich viel zu viel Respekt vor diesen Menschen. Er
eignet sich im Einzelfall halt besonders gut zur Unterscheidung von analytischer
und "holistischer" Denkweise. Einige Physiker, es sind ja auch nur Menschen,
wollen doch partout Funktionseigenschaften des Gehirns (Bewustsein)
quantenmechanisch erklären, was nun mal nonsense ist. Auf der gleichen Ebene
bewegt sich das Verhältnis von Naturwissenschaft und Ethik.
Gruß
Paul
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter
am 23. Apr. 2003, 04:58 Uhr
Hallo Marcel
Ich gebe zu, beim
Anblick von Holzklötzen ergreift mich gelegentlich die satanische Lust, zur Axt
zu greifen. Aber du mahnst zu Recht feineres Werkzeug an.
1. Ethik -
Moral (leider eine Wiederholung). Da die Philosophen Begriffe nicht normieren,
gilt für mich nach wie vor die Vielzahl der individuellen und normierten Moralen
bei der Einheit der Ethik, sprich, die Ethik ist die Theorie zu den Moralen. Und
da stimme ich mit dir überein, dass der Ethiker im Urteil über moralische Fragen
mehr Erfahrung hat, als der "Laie", was aber keine Gewähr für seine moralische
Integrität ist.
2. Zum Kompetenzstreit: Kompetenz resultiert nicht aus
der Zugehörigkeit zu einer Kaste, sondern aus der persönlichen intellektuellen
Kompetenz. Natürlich weiß der durchschnittliche Physiker mehr über Physik als
über Soziologie und umgekehrt. Deshalb wird auch der durchschnittliche Physiker
erst dann ein soziologisches Urteil fällen, wenn er sich entsprechend kundig
gemacht hat. Und der Soziologe wird dieses Urteil, so es seiner Ansicht nach
falsch ist, nicht mit der Bemerkung kontern, "du bist kein Soziologe, sondern
Physiker, deshalb hast du hier das Maul zu halten", sondern er wird entsprechend
sachorientiert argumentieren, so als wäre der Physiker ein Soziologe. Das gilt
selbstverständlich auch vice versa.
Mein Satz: "Nebenbei, es waren
gerade die Philosophen und Theologen, die sich zu Fragen der Nat.Wiss. sehr
dezidiert und auch sehr aggressiv geäußert haben" ist tatsächlich missraten. Er
sollte besser lauten: "...es gab und gibt auch Philosophen und Theologen...",
wobei ich vor allem an die Geschichte der Astronomie dachte. Mea culpa.
3. Deiner Sichtweise über die Fachidioten kann ich nur voll zustimmen. Anders
ist die Sache meines Erachtens bei der Philosophie. Der Philosoph (nicht zu
verwechseln mit dem Historiker der Philosophie) kann kein Fachidiot, sondern
sollte ein Generalist sein, der über alle gängigen Disziplinen einen Überblick
hat. Insofern ist es mir auch unverständlich, warum zum Philosophen nicht
notwendigerweise auch eine naturwissenschaftliche Grundausbildung gehört. Wie
soll er die Welt verstehen, ohne die Natur zu verstehen?
Damit ist klar,
dass ich deiner Aussage: "Philosophie und Naturwissenschaft sind keine
Gegensatzpaare.." voll zustimme.
4. Die Frage, was eine exakte
Wissenschaft ist, lässt sich, so denke ich, gut festlegen (zB. J.A.Moore,
Science as a Way of Knowing, Cambridge, 1993 uva.). Gegen die Hermeneutik ist
sicher dann nichts zu sagen, wenn sie versucht, nach "bestem Wissen und
Gewissen" Texte auszulegen. Wichtig ist nur, dass man die Auslegung nicht als
Wahrheit begreift (wozu die Theologen tendieren), sondern als die Wahrheit, wie
sie die Verfasser der entsprechenden Schriften sahen.
Fortsetzung folgt.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am
23. Apr. 2003, 05:01 Uhr
Hallo Marcel,
5. Philosophische Sätze.
a. Zu "Ich denke, also bin ich".
Du schreibst: "...aber man sollte
wenigstens ein bisschen Ahnung haben von dem, was man kritisiert." Ein bisschen
Ahnung habe ich vielleicht, aber bestimmt eine etwas andere Sicht. Ich gehe
davon aus, dass ein philosophischer Satz so gilt, wie er da steht und frage
primär nicht, wie ist der Autor dazu gekommen. Ferner gehe ich davon aus, dass
ein Philosoph in der Lage ist, eine conclusio so zu formulieren, dass sie hieb-
und stichfest ist. Ich muss ja bei einer physikalischen Formel auch nicht deren
historische Herleitung kennen, um festzustellen, ob sie stimmt oder etwas
Relevantes aussagt. Und ich erwarte auch von einer physikalischen Formel, dass
sie hieb- und stichfest ist.
Eingedenk dieser Sichtweise komme ich zum
Resultat, dass der Satz: "Ich denke, also bin ich" zwar stimmt, aber keine
relevante Aussage enthält. Wenn ich sage, "ich pinkle, also bin ich" ist das
genauso richtig. Und, nach meiner Erfahrung, ist dieser Satz über die Existenz
einer Person noch aussagekräftiger, weil ich sehr wohl Menschen kenne, die nicht
denken, jedoch niemanden, der nicht pinkelt. Damit sage ich selbstverständlich
nichts gegen die denkerischen Leistungen Descartes. Ob dies allerdings das
einzige Ergebnis seiner Meditationen ist, weiß ich nicht. Mir kommt es etwas
dürftig vor. Aber das ist nicht das Problem.
b. Selbstverständlich gilt
dies auch für den Satz von Sokrates. Hätte er gesagt, "ich weiß, dass ich wenig
weiß" oder sonstwie das Problem der Erkenntnis relativiert, kein Problem.
c. Das Konzept der Emergenz ist für mich eine Bestätigung meiner Kritik am
Aristoteles-Satz: Definiert man mit Emergenz die Tatsache, "dass sich in der
Ganzheit eines Seienden oft Eigenschaften zeigen, die sich aus ihrer Substanz
nicht erklären lassen" (Encarta-Lexikon), so entspricht das meiner Feststellung,
dass das Ganze nicht mehr oder weniger als die Summe seiner Bausteine ist,
sondern etwas anderes. Waren das nicht meine Worte?
Noch einmal: Einen
Satz, der nur teilweise und nur in einem bestimmten historischen Kontext gültig
ist, halte ich für ungeeignet, als Beweis für die Richtigkeit einer
Argumentation eingesetzt zu werden.
Gruß HP
Titel: Re: Ist
Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 23. Apr. 2003,
05:05 Uhr
Hallo Eberhard,
bei dir geht's kürzer. Ich habe mir
gedacht, dass du die Heschl-Geschichte so siehst. Daher ein volles und
uneingeschränktes
D'A C C O R D !
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik
ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von noisette am 23. Apr. 2003, 13:30 Uhr
[quote author=Hanspeter]
Zum Kompetenzstreit: Kompetenz
resultiert nicht aus der Zugehörigkeit zu einer Kaste, sondern aus der
persönlichen intellektuellen Kompetenz. Natürlich weiß der durchschnittliche
Physiker mehr über Physik als über Soziologie und umgekehrt. Deshalb wird auch
der durchschnittliche Physiker erst dann ein soziologisches Urteil fällen, wenn
er sich entsprechend kundig gemacht hat. Und der Soziologe wird dieses Urteil,
so es seiner Ansicht nach falsch ist, nicht mit der Bemerkung kontern, "du bist
kein Soziologe, sondern Physiker, deshalb hast du hier das Maul zu halten",
sondern er wird entsprechend sachorientiert argumentieren, so als wäre der
Physiker ein Soziologe.
[balloon] erlaube mir, einspruch zu erheben.
selbst wenn sich der durchschnittliche physiker zu einem soziologischen thema
'kundig gemacht hat', reichen, von ausnahmefällen abgesehen, sein wissen und
seine kompetenz wohl bei weitem nicht an die fachkompetenz des soziologen heran.
er braucht deswegen nicht 'das maul zu halten', aber seine meinung wird meines
erachtens mit recht weniger gewicht haben.
grüsse, n.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von noisette am 23.
Apr. 2003, 13:38 Uhr
[quote author=Hanspeter]
... Eingedenk dieser
Sichtweise komme ich zum Resultat, dass der Satz: "Ich denke, also bin ich" zwar
stimmt, aber keine relevante Aussage enthält. Wenn ich sage, "ich pinkle, also
bin ich" ist das genauso richtig [/quote]
[balloon] die philo-fachleute
mögen mir meine laienhafte interpretation verzeihen... aber ich habe diesen satz
bislang immer so verstanden, dass das denken als beweis des
sich-seiner-selbst-bewusstseins betrachtet wird.
demnach würde hp's
gegenvorschlag nicht funktionieren: denn bettnässer pinkeln auch im schlaf, und
tiere pinkeln, (wahrscheinlich) ohne sich ihrer selbst bewusst zu sein.
;-)
....... n.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von ezzo am 23. Apr. 2003, 15:08 Uhr
[quote author=noisette
....aber ich habe diesen satz bislang immer so verstanden, dass das denken
als beweis des sich-seiner-selbst-bewusstseins betrachtet wird.
[user]ei
freilich wohl! [bounce]weiterführend auch: "sich seinerselbst bewußt sein" und
sich dieses umstandes stets von neuem " bewußt sein" ad infinitum.....
[bookworm]dieser regreß ist unendlich....siehe auch: gödels theorem. [surprise]
[applause] [bounce]
p.s.: danke für die häsin. [smash]
Titel: Re:
Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Marcel am 23. Apr. 2003,
20:29 Uhr
[I]
Hallo Hanspeter,
Vielen Dank für deine
ausführliche Antwort. Wie ich sehe, sind wir in vielen gleicher oder ähnlicher
Meinung. Dennoch möchte ich nochmals etwas „ausholen“, weil die verschiedenen
Punkte verschiedene Themen anschneiden; ich hoffe, es sei mir verziehen (nun ja,
Philosophen sind ja für ihren Redeschwall bekannt …).
1. Ethik - Moral
(leider eine Wiederholung).
Ja, das Problem kenne ich. Ich habe mir daher
angewohnt, in einem Gespräch nicht vorauszusetzen, dass jemand diese
Unterscheidung kennt; im Alltagswortgebrauch werden sie i.d.R. ja synonym
verwendet.
In diesem Fall habe ich mich geirrt. Zeit für ein mea culpa
meinerseits ;-)
(in Bezug auf Punkt 2: Diese beiden Begriffe sind in der
Fachethik eigentlich recht stark normiert).
2. <Da die Philosophen
Begriffe nicht normieren>
Das ist eigentlich nur bedingt richtig.
Ausgewiesene Fachbegriffe werden in der modernen Philosophie ebenfalls normiert
(wenn man mal die heutige Ontologie-Debatte anschaut, wird man von eindeutig
definierten Begriffen nur so überschwemmt … So käme wohl kein Ontologe auf die
Idee, unter diachroner Identität plötzlich synchrone Identität zu verstehen).
Richtig ist aber natürlich, dass vor allem „natürliche Begriffe“ bzw.
Begriffe der „Normalsprache“ in der Philosophie nicht normiert werden – das aber
aus gutem Grund; Begriffsanalyse, die primäre Methode der Philosophie, wäre
sonst ziemlich unproduktiv. (Das möchte ich etwas ausführen).
Begriffe
normieren bedeutet i.d.R., sie nominaldefinieren. Eine Nominaldefinition ist
bekanntermassen eine Konvention, eine Abmachung, die freilich weder „wahr“ noch
„falsch“ sein kann. Sie muss aber zweckmässig sein und vernünftig, und zwar für
das, was man mit dieser Begriffsdefinition erreichen will. D.h., wenn eine
empirische Wissenschaft einen Normalsprachen-Begriff nominaldefiniert und
„normiert“, dann tut sie das, um mit diesem Begriff überhaupt umgehen zu können
und ihn für ihre Forschung operationalisierbar zu machen, um z.B. Indikatoren
für den Begriff zu bestimmen. Das ist natürlich absolut notwendig.
Aber: Der
Begriff ist damit nicht allgemeingültig „für alle Ewigkeiten“ definiert, sondern
*disziplinenintern*. Wenn ein Psychologe z.B. das Phänomen „Liebe“ untersuchen
will, muss er diesen Begriffen auf eine Weise nominaldefinieren, die es ihm
ermöglicht, anhand seiner Disziplin mittels Indikatoren irgendetwas Sinnvolles
herauszufinden. Diese Nominaldefinition wäre aber für einen Biochemiker
vollkommen nutzlos; er braucht eine seiner Disziplin angepasste Definition, die
es ermöglicht, diese theoretische Variable zu operationalisieren. (Dieses
Vorgehen nannte u.a. Popper ja „methodologischer Nominalismus“; wir definieren
zu methodischen Zwecken Begriffe, ohne aber den Anspruch zu erheben, sie
„endgültig“ zu definieren).
Nun gab es natürlich in der Philosophie lange
Zeit die Strömung (und ich persönlich fürchte, es gibt sie immer noch), die der
Meinung waren oder sind, dass die Philosophie sog. „essentialistische
Definitionen“ (Wesensdefinitionen) liefern könne – also Definitionen über das
tatsächliche „Wesen“ der Dinge bzw. der durch Begriffe bezeichneten Phänomene.
Solche Definitionen könnten theoretisch „wahr“ oder „falsch“ sein (entweder man
erkennt das Wesen des Dings richtig oder halt eben falsch).
Hans Albert hat
auf die Probleme solcher Definitionen hingewiesen (dass sie z.B. mehr über die
impliziten Werturteile desjenigen, der definiert aussagen, als über den zu
definierenden Gegenstand …). Dementsprechend würde ich nicht behaupten, dass die
Philosophie diesen Zugriff hätte, insofern aus erkenntnistheoretischen Gründen
ihn sowieso keiner hat.
Wirklich problematisch scheint mir aber weniger,
dass manche Philosophen trotzdem dieser Meinung sind (und dann oft wortgewaltige
Metaphysiken abliefern), sondern dass einige empirische Wissenschaftler manchmal
vergessen, dass ihre Definitionen von Begriffen eben „nur“ Nominaldefinitionen
sind. Wenn eine Biochemikerin ein Buch veröffentlicht, indem sie versucht zu
erklären, was „Liebe“ ist („Liebe“ ist ein sehr illustratives Beispiel für
dieses Thema), tritt ihre Nominaldefinition der Biochemie plötzlich als
essentialistische Definition auf – aus einer Konvention, die zum empirischen
Arbeiten in einer bestimmten Disziplin (notwendigerweise) verwendet wurde, wurde
unvermittelt die tatsächliche „metaphysische“ Wahrheit über den Begriff bzw. des
durch den Begriff bezeichneten Phänomens! Dass hier stets eine Vor-Auswahl einer
bestimmten Begriffsbedeutung gemacht wird (und werden muss), sollte man nicht
vernachlässigen.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Marcel am 23. Apr. 2003, 20:31 Uhr
[II]
(Noch
problematischer scheint mir, dass „Laien“ in der Regel den Unterschied dieser
Definitionsarten nicht kennen und vermutlich jede Definition einer Wissenschaft
als „essentialistische Definition“ lesen. Ein solcher Anspruch erhebt aber keine
moderne Wissenschaft, gerade die empirischen Wissenschaften nicht, da die
„blosse Empirie“ keine Rückschlüsse auf die metaphysische oder ontologische
Beschaffenheit der Welt zulässt. Damit dies der Fall wäre, müsste man schon
bestimmte ontologische Postulate voraussetzen, die aber, wie die ganze
Ontologie, prinzipiell spekulativ sind, auf jeden Fall keinen empirischen Halt
haben können).
Die Philosophie kann nun mit ihrer Begriffsanalyse das
„Begriffs- und Bedeutungsnetz“ eines Begriffes untersuchen und überprüfen, ob
die jeweiligen Bedeutungen vernünftig und hinreichend zur Beschreibung eines
Begriffs bzw. des bezeichneten Phänomens sind. Dazu kann sie sehr wohl die
Nominaldefinitionen und Ergebnisse der Einzelwissenschaften aufnehmen und
diskutieren (wird m.E. leider noch zu wenig gemacht). Aber da Begriffe nun mal
keine natürliche Bedeutung haben, sondern eben „nur“ konventional vereinbart
werden können, müssen Begriffsbedeutungen immer wieder reflektiert und auf ihre
(momentane) Gültigkeit hin überprüft werden, mitsamt den Theorien, die aus ihnen
folgen.
Begriffsanalyse ist etwas, das sich Einzelwissenschaften in der
Regel nicht leisten können (meistens fehlt auch das entsprechende „know-how“;
eben: alles Fachidioten ;-) ), weil das ihre Forschung behindern würde.
Notwendig ist dies aber meiner Meinung nach, um einerseits auf dem Boden zu
bleiben und die Grenzen der Erkenntnis zu beachten, andererseits nicht in
blinden Dogmatismus zu verfallen und letztlich zu realisieren, inwiefern die
eigene, gesetzte Begriffsbedeutung Einfluss auf die eigene Forschung und Theorie
hat (und zu sehen, dass diese Begriffsbedeutung nicht notwendigerweise so sein
muss; aber sie kann vielleicht vernünftiger und zweckmässiger sein als andere,
aber das kann nicht empirisch festgestellt werden, sondern nur
begriffsanalytisch-reflexiv).
Zudem steuert die Philosophie auch einen
Wissens-Beitrag zu den untersuchten Phänomenen bei. So waren es z.B. nicht
Neurologen oder Psychologen, welche die erste Klausel der eingeschränkten
Zurechnungsfähigkeit in der Juristik bewirkt haben, sondern die philosophischen
Arbeiten (in Bezug auf den Geist) von David Hume (als historisches Beispiel).
3. <Der Philosoph (nicht zu verwechseln mit dem Historiker der Philosophie)
kann kein Fachidiot, sondern sollte ein Generalist sein, der über alle gängigen
Disziplinen einen Überblick hat.>
Die Idee des Generalisten hat schon etwas
für sich, und ich schliesse mich deiner Meinung durchaus an, dass der Philosoph
(in der oben angedeuteten Funktion als Begriffsanalytiker) eine gewisse
Übersicht über die gängigen Disziplinen haben sollte; soweit das möglich ist!
Denn da jede Disziplin schliesslich hochspezialisiert ist, übersteigt es
irgendwann die Möglichkeit eines einzelnen Menschen, in jeder Disziplin
ausreichende Kenntnisse für diesen Generalisten-Anspruch zu haben. (Richard
Rorty hat diesen Gedanken auch schon mal formuliert, auch aus der gängigen
Praxis heraus, die zumindest in der USA anscheinend existiert, wo Philosophen
meistens irgendeinem anderem Departement oder einer anderen Fakultät zugeordnet
werden, sie sozusagen auf dem „Campus verstreut“ sind und sich nicht eindeutig
einordnen lassen; sie sind dort, wo sie gemäss ihrer jeweiligen Spezialisierung
am besten gebraucht werden können).
Ich denke, es reicht aus, sich auf
ein bestimmtes Gebiet zu fokussieren. Es gibt schliesslich (noch) genug
Philosophen, damit alle Fokussierungen zum Zug kommen, und ich meine, diese
Fokussierung (mitsamt der fächerübergreifenden Komponente) existiert schon.
Wissenschaftstheoretiker der Naturwissenschaft wissen normalerweise sehr gut,
wie die Naturwissenschaft funktioniert. Ein Sozialphilosoph dagegen kennt sich
besser mit Soziologie oder Psychologie usw. aus. Der Logiker hat auch profunde
Kenntnisse in der Mathematik. Der Vertreter der philosophy of mind kennt nicht
nur philosophische, sondern auch neurologische und psychologische Modelle und
Erklärungsansätze des Geistes. Und so weiter. „Generalisierung“ ja, aber im
Rahmen des Möglichen (also nur eine bedingte, praktisch mögliche
„Generalisierung“).
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Marcel am 23. Apr. 2003, 20:33 Uhr
[III]
<Wie soll er die
Welt verstehen, ohne die Natur zu verstehen?>
Das kommt darauf an, was du
unter „Welt“ verstehst. Wie oft scheint sich meine Erfahrung zu bestätigen, dass
Vertreter einer eher naturwissenschaftlichen oder naturalistischen Position mit
der „Welt“ normalerweise eben genau das meinen, was sie auch vertreten: Die
„Welt“ im Sinne dessen, was naturwissenschaftlich erforschbar ist. Man kann aber
„die Welt“ auch anders verstehen, z.B. in Berücksichtigung sozialer,
ökonomischer und politischer Strukturen in den menschlichen Kulturen usw. Man
könnte (m.E. zurecht) sagen, dass dies genauso zur „Welt“ gehört wie die
(angenommen) bewusstseins- und menschenunabhängige „Natur“.
Keine der
beiden Bedeutungen ist in irgendeiner Weise „wahrer“; aber für einen
Philosophen, der sich mehr für den ökonomischen oder „kulturellen“ Aspekt der
„Welt“ interessiert, scheint mir deine These (oder Frage) nicht mehr so gültig
zu sein. Er kann die „Welt“ (bzw. diesen Aspekt) auch sehr gut verstehen, ohne
die Natur (im naturwissenschaftlichen Sinn) zu verstehen.
(Ich habe das
Gefühl aus meiner bisherigen IT-Foren-Erfahrung, dass sich aus diesem
Begriffsbedeutungs-Missverständnis schon einige „Streitereien“ in IT-Foren
ergeben haben, zwischen „naturwissenschaftlichen Positionen“ und
„geistes-/sozialwissenschaftlichen Positionen“, und beide Seiten nicht bemerkt
haben, dass sie eigentlich aneinander vorbei reden, da sie beide den Begriff
„Welt“ anders verstehen).
Doch im Grossen und Ganzen schliesse ich mich
deiner Meinung an, dass ein gewisses, nennen wir es mal: „Allgemeinwissen“,
erstrebenswert ist. Das sollte aber nicht nur für Philosophen gelten; das
naturwissenschaftliche Wissen von Sozialwissenschaftlern ist manchmal wirklich
traurig gering; aber das sozial- und geisteswissenschaftliche Wissen von
Naturwissenschaftlern ist auch nicht immer viel besser (da mein Bruder Medizin
studiert hat, weiss ich in etwa, wovon ich rede ;-) ).
Ich glaube aber,
unserem Anliegen wird in Zukunft Rechnung getragen werden. Darauf weist der
starke Trend zur Inter- und Transdisziplinarität hin, bis zur Erschaffung ganz
neuer, interdisziplinärer Studiengänge, die darauf ausgelegt sind, den
Studierenden erstens beizubringen, wie man trotz Disziplinengrenzen
zusammenarbeitet (und auch lernt, Respekt vor anderen Disziplinen zu haben!),
und zweitens auch Grundkenntnisse aus den jeweiligen Wissenschafts-„Kulturen“ zu
vermitteln.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag
von Marcel am 23. Apr. 2003, 20:36 Uhr
[IV]
4. <Ferner gehe ich
davon aus, dass ein Philosoph in der Lage ist, eine conclusio so zu formulieren,
dass sie hieb- und stichfest ist.> etc.
Ich denke, hier musst du wirklich die
„physikalische Sichtweise“ oder „naturwissenschaftliche“ (oder wie man das immer
nennen möchte) ablegen und eine eher „geisteswissenschaftliche“ aufnehmen.
Es gibt keine „hieb- und stichfeste conclusio“, allerhöchstens „hieb- und
stichfeste“ Argumentationen (obwohl ich das ebenfalls bezweifle; aber es gibt
überzeugende und weniger überzeugende oder gar sich widersprechende
Argumentationen. Es gibt ganz allgemein m.E. keine wirklich „hieb- und
stichfesten“ Konklusionen, in keiner Wissenschaft - Wissen ist fallibel, und
erkenntnistheoretisch gibt es immer genug Einwände, um jedes Ergebnis zu
kritisieren oder irgendeine Prämisse einer Argumentation anzugreifen usw. usf.).
Es ist notwendig, das ganze Argument zu kennen und zu wissen, welche
Prämissen gemacht wurden, warum sie gemacht wurden, und warum diese plausibel
sein sollen. (Im Übrigen denke ich nicht, dass das in den empirischen
Wissenschaften streng genommen so viel anders ist; bekanntlich ist man beim
empirischen Arbeiten aufgefordert, jeden Schritt, den man macht, genau zu
dokumentieren, und manche Ergebnisse kann man erst dann wirklich beurteilen,
wenn man sich auch angeschaut hat, wie die Forschergruppe zu diesen Ergebnissen
gekommen ist – zugegebenermassen gilt das jetzt eher für die empirischen
Sozialwissenschaften. Dennoch nehme ich an, auch (oder gerade) in den
Naturwissenschaften gehört zum Rechtfertigungskontext einer Theorie nicht „bloss
das Ergebnis“, sondern der ganze Beweis und die Herführung des Ergebnisses).
<Eingedenk dieser Sichtweise komme ich zum Resultat, dass der Satz: "Ich
denke, also bin ich" zwar stimmt, aber keine relevante Aussage enthält. Wenn ich
sage, "ich pinkle, also bin ich" ist das genauso richtig. Und, nach meiner
Erfahrung, ist dieser Satz über die Existenz einer Person noch aussagekräftiger,
weil ich sehr wohl Menschen kenne, die nicht denken, jedoch niemanden, der nicht
pinkelt.>
Hier muss ich leider doch vermuten: Du kennst die Argumentation und
auch den Hintergrund der Argumentation zu wenig. [Wie ich gesehen habe, hat
noisette da schon eine kurze Anmerkung gemacht. Dennoch:]
Erst einmal
bedeutet bei Descartes (bedenke: 16./17. Jahrhundert!) „denken“ nicht das, was
wir heute, auch unter dem Einfluss von moderner Psychologie usw., so grosso modo
darunter verstehen. Das cogito bezieht sich auf seine res cogitans, also auf die
geistigen Substanzen. Als „denken“ ist damit im Grunde jede Bewusstseinsfunktion
gemeint, z.B. auch fühlen.
Dass jemand pinkelt, daraus kannst du gemäss
Descartes’ Argumentation keinen Rückschluss auf seine Existenz schliessen, denn
es geht bei Descartes zumindest beim cogito-Argument nur um DIE EIGENE Existenz;
tatsächlich diskutiert Descartes zu Beginn mit seinem methodischen Zweifel, dass
er sich nicht sicher sein kann, ob andere Wesen überhaupt existieren (sozusagen
der systematische Beginn des Aussenwelt-Skeptizismus’). Also könntest du
höchstens sagen, dass der Satz „Ich pinkle, also existiere ich“ ebenso gültig
wäre wie „Ich denke, also existiere ich“. Ist er aber nach dem cogito-Argument
nicht, denn du kannst dir nicht sicher sein, dass du so etwas wie einen Körper
hast, der diese Körperfunktion erfüllen kann. Ein böser Dämon könnte dir das ja
vorgaukeln. Du hast (und das ist eben, kurz zusammengefasst, die Konklusion
seines methodischen Zweifels) nur EINE Gewissheit, nämlich die, dass du denkst,
oder vielleicht moderner gesprochen: Dass du ein Bewusstsein hast. Denn das kann
dir der böse Dämon nicht wegnehmen; er kann dir aber alle möglichen falschen
Informationen über eine „Aussenwelt“ geben, inklusive einer Illusion über einen
„Körper“, von dem du meinst, dass er zu dir gehört.
Auf dieser Basis,
dass das einzig Gewisse die Existenz des eigenen Bewusstseins ist, entwickelt
Descartes dann seine Metaphysik. Aber das geht über das cogito überaus.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Marcel am 23.
Apr. 2003, 20:37 Uhr
[V]
<Selbstverständlich gilt dies auch für
den Satz von Sokrates. Hätte er gesagt, "ich weiß, dass ich wenig weiß" oder
sonstwie das Problem der Erkenntnis relativiert, kein Problem.>
Ja, das wäre
sicherlich verständlicher gewesen. Dabei darfst du jedoch nicht vergessen, dass
Philosophie damals im Grossen und Ganzen auch von stilistischer oder
literarischer Qualität gezeichnet war (auch Aristoteles, dem man ja das erste
„systematische, ‚wissenschaftliche’ Schreiben“ zuschreibt, hat durchaus auch
Dialoge und Ähnliches geschrieben, in welchen, wie bei Platon, auch das
literarische Moment relevant war); das ist heute (m.E. zurecht) nicht mehr so
wichtig, eine klare(re) Sprache wird gefordert.
Aber gerade deswegen ist es
wichtig, solche antiken oder klassische Sätze genauer zu analysieren und
nachzuvollziehen (eben hermeneutisch), was damit gemeint ist, bevor man sie
kritisiert (ausserdem, wenn ich es recht im Kopf habe, ist es beim Sokrates-Satz
sowieso ein Übersetzungsproblem. Aber da bin ich mir nicht 100prozent sicher).
5. <Noch einmal: Einen Satz, der nur teilweise und nur in einem bestimmten
historischen Kontext gültig ist, halte ich für ungeeignet, als Beweis für die
Richtigkeit einer Argumentation eingesetzt zu werden.>
Ich glaube, ich
verstehe, was du meinst, aber zu streng genommen erledigt sich dann Wissenschaft
u.U. gleich selber, gemäss dem Fallibilismus (da Wissen immer nur momentan wahr
ist, könnte man daraus folgern, dass letztlich jedes Wissen eine immer nur zu
einer gewissen Zeit gültig ist – „die Newtonsche Physik war wahr bis zur
Relativitätstheorie“ -, und durch deinen Satz also auch nicht hinreichend ist.
Ist ja keine unbekannte Schlussfolgerung, wissenschaftstheoretische Relativisten
gehen oft von solchen Argumentationen aus, siehe z.B. T.S. Kuhn).
Ich
vermute, was du meinst, ist, dass der Entdeckungskontext nicht den
Rechtfertigungskontext ersetzen darf – da bin ich sofort einverstanden, die
Rechtfertigung einer Aussage muss unabhängig ihres Kontextes der Entdeckung
bestehen können.
Jedoch sehe ich nicht ganz, inwiefern das beim
Emergenzbegriff oder bei den vorher diskutierten klassischen Sätzen der Fall
ist. Descartes cogito-Argument kann man möglicherweise erst wirklich
nachvollziehen, wenn man auch die (philosophie-)historischen Rahmenbedingungen
kennt (z.B. weiss, wie der Begriff „Denken“ im 16./17. Jahrhundert in der
rationalistischen Tradition verwendet wurde), aber sein Argument als solches ist
eigentlich ahistorisch, da auf die Gültigkeit rationaler Überlegungen gegründet.
Wirklich überzeugend widerlegen konnte Descartes bis heute so weit ich weiss
niemand (bin kein Descartes-Experte; falls ich mich täusche, soll ruhig jemand
korrigieren), auch wenn man den einen oder anderen Fehler oder das eine oder
andere Problem aufzeigen konnte, bleibt eine gewisse Überzeugungskraft dieses
Argumentes, obwohl 300 Jahre vergangen sind.
Schwierig scheint mir deine
Formulierung mit dem „teilweise gültig“. Könntest du das gegebenenfalls nochmals
etwas erläutern?
Denn das mit dem „teilweise gültig“ ist heutzutage doch
eigentlich nahezu Standard in der empirischen Forschung; diese ist schliesslich
probabilistisch orientiert, das heisst eine Wahrscheinlichkeit von 1 bei der
Prüfung einer These wird nicht erwartet, und wenn doch, dann zumindest nicht
erkenntnistheoretisch (so gibt es zwar „praktisch orientierte“ deterministische
Hypothesen, gerade in der Naturwissenschaft, erkenntnistheoretisch werden
deterministische Thesen jedoch aufgrund des Induktionsproblems abgelehnt).
Streng genommen sind alle wissenschaftlichen Beweise aus der Empirie nur
„teilweise“ gültig, insofern All-Aussagen erkenntnistheoretisch unhaltbar sind.
(Dass alle Raben schwarz sind, ist insofern nur „teilweise gültig“, als dass wir
nie wissen können, ob wir nicht irgendwann auf einen weissen Raben treffen).
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Marcel am 23.
Apr. 2003, 20:40 Uhr
[VI]
6. <Das Konzept der Emergenz ist für
mich eine Bestätigung meiner Kritik am Aristoteles-Satz: Definiert man mit
Emergenz die Tatsache, "dass sich in der Ganzheit eines Seienden oft
Eigenschaften zeigen, die sich aus ihrer Substanz nicht erklären lassen"
(Encarta-Lexikon), so entspricht das meiner Feststellung, dass das Ganze nicht
mehr oder weniger als die Summe seiner Bausteine ist, sondern etwas anderes.
Waren das nicht meine Worte?>
Einverstanden, jetzt verstehe ich, was du
meinst. Deine Kritik war gewissermassen auf den exakten Wortlaut von
Aristoteles’ (oder ihm zugesprochenen) Satz gerichtet. Ich gebe dir recht, dass
der moderne Emergenzbegriff eigentlich nicht mit diesem exakten Wortlaut
vereinbar ist (vielleicht hat Paul da ein paar triftige Einwände, sooo gut kenne
ich mich mit Emergenz auch nicht aus). Jedoch scheint mir diese Definition des
Emergenz-Begriffs dann auch etwas zu knapp (ich meine, schon alleine das
einleitende Kapitel von Achims Buch, was „Emergenz“ genau bedeutet, umfasst
schon mehrere Dutzend Seiten …)
Man könnte aber dafür argumentieren,
„Teile“ und „Summe“ weniger als mathematische Begriffe, sondern entweder
metaphorisch oder vielleicht einfach mereologisch zu verstehen; es geht nicht um
Bauteile, die am Ende eine (mathematische) Summe ergeben, sondern vielmehr um
Bauteile, die am Ende durch ihre Kombination als „Ganzes“ (= „Summe“) ein „mehr“
an Eigenschaften oder Funktionen haben, als wenn sie einzeln „daliegen“ würden.
Also statt a+b+c+d=e (wobei a, b etc. für Funktionen oder Eigenschaften stehen)
wäre es wohl a+b+c+d=e+f, wobei „f“ (dieses „mehr als e“) nur dann existiert,
wenn a, b, c und d in einer bestimmten Kombination unter bestimmten Bedingungen
zusammen sind (nach Achim gibt es mindestens 10 wichtige Bedingungen; nicht
„alles in der Welt“ ist emergent, zumindest nach dieser Position nach – sicher
gibt es auch entsprechende holistische Positionen).
So wäre z.B. die
Anzahl von Individuen bei der Ameisenart Leptothorax allardycei mathematisch
gesehen nie „mehr“ als die Summe, die alle Individuen zusammen ergeben, doch
beginnen sie ab einer bestimmten, grossen Anzahl von Individuen „plötzlich“,
ihre vorher scheinbar ziellosen Bewegungen und Perioden der Aktivität und Ruhe
zu koordinieren; „plötzlich“ laufen die Aktivitätsperioden in regelmässigen
Wellen ab. Dieses koordinierte Verhalten wäre das „mehr“ zu der „blossen Summe
der Einzelteile“ (= Summe im Sinne von „Summe der jeweiligen Einzelverhalten der
einzelnen Individuen“). (Quelle: B.J. Cole (1991): Is animal behaviour chaotic?
Evidence from the activity of ants. Proc. Royal Soc. London B, 244, 253-259).
Grüsse,
Marcel
Titel: Konsensfähigkeit und Verbindlichkeit
Beitrag von Eberhard am 23. Apr. 2003, 21:06 Uhr
Hallo Hanspeter,
kommen wir zur Sache zurück, der Frage nach allgemeingültigen ethischen
Normen und deren argumentativer Begründung.
Mit Deiner Aufforderung nach
einer genaueren Bestimmung dessen, was mit der „Konsensfähigkeit“ ethischer
Normen gemeint ist, hast Du gleich ein Problem angesprochen, das auch für mich
noch nicht zufriedenstellend geklärt ist. Meine vorläufige Antwort lautet:
Eine ETHISCHE NORM IST DANN ALLGEMEIN KONSENSFÄHIG, wenn ihr unter idealen
Diskussionsbedingungen jedes Individuum (das die Argumente verstehen kann und
das Ziel eines allgemeinen zwangfreien Konsensus teilt) tatsächlich zustimmt.
IDEALE DISKUSSIONSBEDINGUNGEN herrschen dann, wenn außer dem Vorbringen von
Argumenten zur Sache keinerlei Druck auf die Beteiligten ausgeübt wird. Es darf
auch kein Zeitdruck bestehen, so dass allen Beteiligten sämtliche Argumente
sowohl bekannt als auch verständlich sind.
Der Hinweis auf „Sachzwänge“
in Form der unvermeidlich eintretenden Folgen eines bestimmten Verhaltens ist
ein zulässiges Argument („Wenn keine Maßnahmen der Familienplanung ergriffen
werden, wird sich die Zahl der Menschen in den nächsten 100 Jahren verdoppeln.“)
Die Bedingung der ZWANGFREIHEIT wird jedoch verletzt, wenn als „Argumente“
Drohungen oder Versprechungen vorgebracht werden („Wenn Du meinen Vorschlag
nicht akzeptierst, werde ich jegliche Hilfe an Dich einstellen.“)
Wichtig ist die Bedingung, dass ALLE BETEILIGTEN DAS ZIEL TEILEN, ZU EINEM
KONSENSUS ZU KOMMEN. Damit ist die Möglichkeit versperrt, die Diskussion mit dem
Hinweis zu beenden: „Ihr seht ja, dass wir uns nicht einigen können!“ Man kann
das zwar tun, aber damit hat man zugleich jeden Anspruch auf Allgemeingültigkeit
der eigenen Position aufgegeben und kundgetan, dass man mögliche Konflikte nicht
mit Argumenten sondern mit anderen Mitteln zu lösen gedenkt. Durch den „Zwang“
zum Konsens müssen die Beteiligten von ihren vorgefassten Meinungen und ihren
eigeninteressierten Positionen abrücken, Wege der Einigung suchen, die
Bedürfnisse und Interessen der andern berücksichtigen, sich im Kompromiss
entgegenkommen, einen überparteilichen Standpunkt einnehmen. Hier sind eine
ganze Reihe von geeigneten und ungeeigneten Vorgehensweisen zu identifizieren,
die man im Einzelnen untersuchen müsste.
Aber Du hast Recht, wenn Du
darauf hinweist, dass mit konsensorientierten Argumentationen noch „kein Staat
zu machen ist“ und auch keine Rechtsordnung. Der argumentative Konsens bleibt ja
revidierbar, weil jederzeit neue Argumente auftauchen können. So wie in den
empirischen Wissenschaften gibt es nicht nur die eine richtige Theorie, sondern
mehrere Theorien bleiben „vertretbar“ und konkurrieren um die allgemeine
Anerkennung (z.B. bei der „Urknall-Theorie“ der Astronomen). Die Kriterium der
argumentativen Konsensfähigkeit gibt die Orientierung an, sie kann jedoch in der
Praxis, wo nicht endlos diskutiert werden kann, aus sich heraus noch keine
tragfähige Grundlage schaffen für die Koordination der individuellen Handlungen.
Dazu bedarf es – jenseits der jeweiligen Meinungen und Überzeugungen – einer
VERBINDLICHEN SETZUNG UND DURCHSETZUNG VON REGELN (NORMEN) des Handelns. Wie das
am Besten zu geschehen hat, wäre zu diskutieren.
Auf einen gut begründeten
Dissens wartet streitsüchtig Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Marcel am 23. Apr. 2003, 21:26 Uhr
[1]
Hallo Paul,
<Der von mir zitierte Satz von Aristoteles
(stammt möglicherweise gar nicht von ihm) ist alles andere als "nicht so
gehaltvoll“>
Ich meinte diese Bemerkung im Kontext von Hanspeters Kritik.
D.h., ich gab ihm recht, dass der Satz „einfach so“ vielleicht nicht derart
gehaltvoll erscheint und auf einige Leser vielleicht sogar den Anschein von
„blosser Rhetorik“ erwecken könnte (was ja im Grossen und Ganzen seine Kritik
war).
<Er ist die einfachste Formulierung für das von dir zitierte
Emmergenzphänomen.>
Möglicherweise. Wie in der (grossen) Replik an Hanspeter
erwähnt, muss das nicht gezwungenermassen sein. (Die Emergenztheorien, die ich
gelesen habe, haben z.B. nie auf diesen Satz rekurriert).
<Die
Emergenztheorie, wie überhaupt alle holistische Denkansätze zeigen den
wichtigsten methodische Schwachpunkt der Naturwissenschaft, nämlich der
Analytik, also der isolierten Betrachtung der Bausteine, was zwangsläufig zum
Verlust von Sytemeigenschaften (Emergez) führen muß.>
Nun, hier setzt du ja
schon allerhand voraus, das zuerst diskutiert werden müsste.
Zuerst
einmal sind nicht alle emergentistischen Ansätze automatisch holistische
Ansätze, insofern z.B. nicht alle Emergenztheorien behaupten, dass „alles“ nach
emergenten Gesetzen funktioniert (vielleicht könnte man es so ausdrücken: Alle
holistischen Ansätze sind emergentistisch, aber nicht alle emergentistischen
Ansätze holistisch; obwohl ich für den ersten Satz auch nicht gerade die Hand
ins Feuer legen würde). Wobei natürlich auch sehr viel davon abhängt, was man
unter „Holismus“ verstehen will, ist ja nicht gerade ein eindeutiger Begriff
(ich fürchte, „semantischer Holismus“ ist der einzige halbwegs klare
Holismus-Begrff).
Dass der Reduktionismus ein „methodischer Schwachpunkt“
ist, ist schon eine ziemlich starke Wertung von dir (die dir durchaus gewährt
sei, diese Bemerkung bitte nicht missverstehen). Ich persönlich halte jedoch
eine solche starke Kritik für nicht so überzeugend, insofern der Erfolg der
reduktiven Methode schlichtweg nicht zu leugnen ist. Ich bin aber durchaus auch
der Meinung, dass es einige (Betonung: einige!) Phänomene gibt, welche durch
reduktionistische Ansätze unbefriedigend erklärt werden können. Ich sehe da beim
Emergenz-Begriff ein Potential. Aber er ist noch zu unklar, und
reduktionistische Ansätze könnten sich durchaus verbessern. Daher denke ich, es
ist zu früh, einen allgemeinen Rundumschlag zu machen, sondern man sollte etwas
Geduld haben und genau prüfen, wo welcher Ansatz etwas „bringen“ kann und wie
etc.
Ein Verlust von Systemeigenschaften kann nur dann bestehen, wenn es
solche Eigenschaften tatsächlich gibt. Damit meine ich: Die Existenz solcher
Eigenschaften setzt du schon voraus. Ich denke, man sollte zuerst ausgiebig
diskutieren und prüfen, ob es vernünftig und kohärent ist, solche Eigenschaften
überhaupt anzunehmen.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Marcel am 23. Apr. 2003, 21:28 Uhr
[2]
<Dieses
Defizit wird aber häufig gar nicht mehr wahrgenommen was insbesondere in
leienfreundlichen Formulierungen zu Tage tritt (Glückshormon etc.).>
Ich
denke, da verwechselst du zwei Arten des reduktiven Verfahrens; das ist ein m.E.
nicht unübliches „Symptom“ bei Kritikern des Reduktionismus oder (allgemeiner)
naturwissenschaftlicher Positionen.
Was du (vollkommen zurecht)
kritisierst, ist ELIMINATIVES REDUZIEREN, wie dein Beispiel „Glückshormon“ sehr
gut illustriert. Eliminatives Reduzieren findet dann statt, wenn Phänomen A
nicht nur auf Phänomen B zurückgeführt (reduziert) wird, sondern wenn zugleich
Phänomen A eliminiert wird (also: Es gibt kein Glücksgefühl, sondern nur
Hormone). Ernest Nagel hat dieses Vorgehen schon in den 50er Jahren des 20. Jh.
in seinem Standardwerk „The Structur of Science“ kritisiert und formuliert, dass
nur ein „konservatives Reduzieren“ gültig sein kann, welches zudem nur auf der
Basis von Theorien stattfindet (nur eine *Theorie* kann auf eine andere
reduziert werden). Es dürfen aber keine ontologischen Entitäten reduziert (oder
eben gar eliminiert) werden, da das unweigerlich in spekulative Gebiete führt
(und ausgesprochen seltsame Schlussfolgerungen zulässt, wie eben, dass es kein
Glücksgefühl gibt, oder keinen Schmerz usw.; wer das Phänomen „Schmerz“ auf
biochemische Prozesse zurückführt, vertritt zwar eine materialistische
Ontologie, behauptet aber nicht, dass es „Schmerz“ nicht gibt und reduziert
konservativ. - Hier muss man etwas genauer differenzieren, gerade als Philosoph
oder Wissenschaftstheoretiker, sonst wird ungerecht kritisiert und unnötige
Pauschalurteile können die Folge sein).
Nicht wenige
Naturwissenschaftler sind sich der Gefahr eliminativen Reduzieren aber durchaus
bewusst; ein Molekularbiologe, bei dem ich z.B. mal eine Vorlesung über
Evolution hatte, wies zu Beginn genau auf diese zwei Arten von reduktiven
Verfahren hin und erklärte, dass das eliminartive das „falsche“ Verfahren sei
und „Reduktionismus“ das konservative Reduzieren meint.
D.h., eliminativ
zu reduzieren ist nicht dasselbe, wie nicht einsehen zu wollen, dass es
emergente Eigenschaften gibt (wenn ich dein Argument richtig verstanden habe).
Elimatives Reduzieren ist ganz klar zu kritisieren und zu „bekämpfen“. Aber man
kann Wissenschaftler, die dies tun, nicht pauschal in denselben Topf werfen wie
jene, die korrekt reduzieren, aber emergente Eigenschaften vermutlich aus
durchaus nicht unvernünftigen Begründungen ablehnen.
<Freilich gibt es
zahlreiche Grenzwissenschaften, die sich gerade auch mit Emmergenzproblemen
beschäftigen, sehr spannend.>
Wieso nur Grenzwissenschaften? Das macht m.E.
nicht gerade einen guten Eindruck auf die Emergenztheorien!
Der
Emergenzbegriff wird genauso in der rationalen Philosophie (insbesondere
momentan in der philosophy of mind) diskutiert, aber auch in der Biologie
(wenngleich nicht im „Kanon“ der üblichen Theorien; aber um ein paar Namen zu
nennen, die in diese Richtung gehen: Brian Goodwin, A. Lima de Faria, Stuart
Kauffman). Auch in der Ökologie (soweit diese eine eigenständige Wissenschaft
ist) werden emergente Ansätze (in einem weiten Sinn) reflektiert. Oder Niklas
Luhmanns systemtheoretischen Ansätzen in der Soziologie, die man ebenso im
Bereich „Emergenz“ einordnen kann (gegebenenfalls kann man darüber streiten,
aber tendenziell darf man das schon so behaupten, glaube ich).
Den
Emergenz-Begriff auf nicht-anerkannte Wissenschaften (oder zumindest „graue“
Wissenschaften) zu begrenzen, fände ich sehr schade und nicht sehr produktiv.
Grüsse,
Marcel
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 24. Apr. 2003, 00:24 Uhr
hallo Marcel,
sehr
einverstanden, du hast einen wunderbaren Argumentationsstil.
Dagegen sind
meine Aussagen sicher oft etwas zu knapp oder verkürzt wiedergegeben.
ich
gebe dir auch recht, dass die Bezeichnung Grenzwissenschaften nicht ganz passend
war, das "nur" stammt allerdings nicht von mir, das hast du dazugesetzt, lieber
Freund.
Die Emmergenz, also das Entstehen von prinzipiell neuem ist für mich
pesönlich das größte Rätzel der Naturwissenschaft, ist irgendwie mit dem
Geheimnis des Lebens verbunden.
Die gesamte bisherige Evolutionstheorie, so
oft sie auch aus der Schullade gezogen wird, scheitert ja an ihr. Dieses
Scheitern wird nur scheinbar durch 1000 Mosaiksteinchen immer wieder
zugekleistert.
Um zum Thema zurückzukommen. Auch Ethik besitzt als materielle
Basis sicher ein anatomisch zuortbares Gehirnareal (Frontalhirn des Neocortex)
und scheint damit doch etwas spezifisch menschliches darzustellen.
Gruß
Paul
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von
Hanspeter am 24. Apr. 2003, 05:06 Uhr
Hallo Noisette,
der Mensch
denkt auch im Schlaf, was sich zB. durch Träume äußert.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 24.
Apr. 2003, 05:11 Uhr
Hallo "streitsüchtiger" Eberhard,
nun
verstehe ich deinen Begriff Konsensfähig endlich vollständig. Du beschreibst
letztlich das Ideale Diskussionsforum. Dieser Definition stimme ich voll zu,
erlaube mir aber noch die boshafte Anmerkung, dass du weiter die Teilnahme von
Hochleistungscomputern voraussetzt – oder zumindestens wünscht. Gut,
akzeptiert. Die Frage, wie man dann das Ergebnis in die weltweit üblichen
programmierbaren Taschenrechner transferiert, werden wir also vorerst aussetzen.
Damit haben wir zwar eine wichtige semantische Hürde genommen, sind
aber, was die "Moral der Zukunft" anbelangt, noch nicht entscheidend weiter. Ich
überlasse dir das weitere Procedere. Entweder wir setzen die Diskussion über
meinen Vorschlag einer hierarchisch strukturierten Moral mit dem Credo des
Erhalts der Menschheit mit all seinen Konsequenzen fort, oder du unterbreitest
einen neuen Lösungsweg. Ich selbst würde natürlich die zweite Möglichkeit
bevorzugen, denn meine Vorstellungen kenne ich ja in etwa und eine interessante
Alternative fasziniert mir mehr.
es grüßt ein neugieriger HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 24.
Apr. 2003, 13:19 Uhr
Hallo an alle Marcel-Fäns,
ich habe - mit
Marcels Einverständnis - meine Antwort auf seinen sehr umfangreichen und
inhaltsschweren Beitrag in einen neuen Thread transferiert. Er steht unter dem
Namen "Natur- vs. Geisteswissenschaft?" im Themenbereich "Erkenntnistheorie".
Marcel wird darauf antworten und der Dialog geht weiter. Wer also mitmachen
will...
Der Sinn der Maßnahme ist, denke ich, klar. Damit soll das sehr
interessante Thema Ethik.... nicht erdrückt werden.
Gruß HP
Titel:
Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von ezzo am 24. Apr. 2003,
14:06 Uhr
[quote author=Hanspeter Hallo Noisette,
der Mensch
denkt auch im Schlaf, was sich zB. durch Träume äußert.
[user]vielleicht
issesauchso: er träumt,daß er denkt.oder er träumt.daß er träumt,er
denkt.............et vice versa?!
[surprise] [applause] [bounce]
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von noisette am
24. Apr. 2003, 16:09 Uhr
[quote author=Hanspeter]
der Mensch denkt
auch im Schlaf, was sich zB. durch Träume äußert [/quote]
[balloon] muss
schon wieder protestieren ;-) : in der modernen psychologie wird denken als ein
bewusster vorgang definiert, während es sich beim träumen um un-bewusste
prozesse im sinne der verarbeitung von tagesresten, verdrängten inhalten etc.
handelt (siehe s.freud's modell).
marcel's erläuterungen von descartes'
cogito-begriff bringen mich nun freilich ordentlich ins schleudern: gelten
traum-erfahrungen, an deren inhalt und gefühle man sich beim bzw. nach dem
aufwachen erinnert, nun auch als 'res cogitans'? ich weiss, für die interessante
laufende diskussion nicht sehr wichtig, aber vielleicht hat ja irgendjemand lust
auf einen kurzen exkurs.... :-)
grüsse, n.
Titel: Gibt es eine
Alternative zur Konsensfähigkeit?
Beitrag von Eberhard am 24. Apr. 2003,
23:01 Uhr
Hallo Hanspeter,
ich freue mich, dass ich Dir
verdeutlichen konnte, was ich mit der „Konsensfähigkeit“ in Bezug auf Normen
meine. Bevor ich jedoch Deiner Aufforderung folge, meine Vorstellungen zur
Begründung von moralischen oder rechtlichen Normen weiter auszuführen, möchte
ich Dich doch noch einmal „in die Pflicht nehmen“ und Dich fragen, ob Du den
folgenden Thesen zustimmst und falls „nein“, warum nicht:
1. Wenn Normen
als allgemein verbindlich erklärt werden und mit Hilfe von Sanktionen
durchgesetzt werden, ohne dass für diese Normen zugleich der Anspruch erhoben
wird, dass sie allgemein konsensfähig sind, so handelt es sich um ein reines
Gewaltverhältnis gegenüber jenen, die dieser Norm nicht zustimmen können.
2. Wenn dem so ist, muss jeder, der keine auf reiner Gewalt beruhende
soziale Ordnung will, selber die Frage nach der allgemeinen Konsensfähigkeit der
von ihm vertretenen moralischen Vorstellungen stellen.
3. Wenn diese
beiden Thesen zutreffen, dann stehe nicht nur ich vor der Aufgabe, Wege zur
Bestimmung konsensfähiger Normen zu finden, sondern z.B. auch Du.
Folgst
Du den 3 Thesen – oder sind sie nicht zwingend?
Gruß Eberhard.
p.s.: Die Bestimmung allgemein konsensfähiger Normen und normativer Prinzipien
(einschließlich der Begründung, warum sie konsensfähig sind) sehe ich als eine
nur kollektiv zu lösende Aufgabe an und ich hoffe insofern, dass auch andere
Leute Ideen hierzu beisteuern.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 25. Apr. 2003, 04:56 Uhr
Hallo
Eberhard,
gleich die Antworten.
1. Allgemein verbindliche Normen
sind wohl das, was man landläufig als Rechtsordnung bezeichnet. Diese wird in
demokratischen Staaten im Idealfall per Mehrheitsbeschluss durchgesetzt und gilt
daher für alle als verbindlich, notfalls durch Sanktionen. Sie hat, im
Idealfall, allgemein konsensfähig zu sein. Ist sie es nicht, kann dies als
Gewaltherrschaft interpretiert werden. Antwort also: Ja. (Ob alle zur Zeit in
der BRD geltenden Gesetze diesem Anspruch genügen, wollen wir vorsichtshalber
nicht diskutieren.)
2. Demzufolge ist 2. ebenfalls mit ja zu beantworten.
Ein nicht unwichtiger Zusatz: Dieser "jeder" muss natürlich für das von dir
bereits definierte Ideale Diskussionsforum (I.D.) die notwendigen
Voraussetzungen zur Teilnahme mitbringen und auch bereit sein, mitzuwirken.
3. Der Weg zur Bestimmung konsensfähiger Normen ist die Mitwirkung in einem
I.D. Gut, unser Forum besteht im Moment aus zwei Personen. Ist nicht gerade
üppig, aber vielleicht steigen ja bei den konkreten Fragen, wie auch bei den
vorherigen Versuchen schon geschehen, weitere Teilnehmer zu. Jeder sachliche
Beitrag ist willkommen. Außerdem können wir der Chuzpe frönen, alle die uns
lesen und nicht wild protestieren, stimmen uns zu. Ferner als Trost: Die
Leistungsfähigkeit eines Forums ist nicht direkt proportional zur Zahl der
Teilnehmer. Ich vermute eher einen Graphen wie die Ladekurve eines Kondensators.
Zu deinem P.S.: Die Bestimmung allgemein konsensfähiger Normen ist nicht
notwendigerweise kollektiv zu lösen, weil nicht gesagt ist, dass das Kollektiv
die Teilnahmebedingungen zum I.D. erfüllt.
Gruß HP
Titel: Re:
Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von zweifler am 25. Apr. 2003,
18:02 Uhr
Also:
Zwei ethische Prinzipien finden offenbar in jeder
Gesellschaft Anwendung:
1. Du sollst nicht morden.
2. Du sollst nicht
promiskuitiv leben.
Natürlich sind das keine absoluten Regeln, sondern
relationale. Das heisst die Auslegung dieser Regeln liegt in den Händen
verschiedener Instanzen und ihre Sanktionierung ist von Fall zu Fall
unterschiedlich. Richtig ist, dass diese Regeln auch im Tierreich - mit
Einschränkungen - gelten, das heisst von der Lebensweise der jeweiligen Art
bestimmt werden. Ethik ist kein sinnloses Unterfangen: Je mehr sie in die Hände
einzelner gelegt wird, desto mehr Entscheidung und Verantwortung werden vom
Einzelnen gefordert. Und selbstverständlich passt sich die Ethik den
Lebensverhältnissen an und ist wandelbar. Aber sie ist eben Richtschnur und
nicht ehernes Gesetz. Sie wird durch Leid und Freude reguliert. Und natürlich
verlangt der Wandel der Sprache und der Wirklichkeit immer wieder nach ihrer
Erneuerung.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag
von Marcel am 25. Apr. 2003, 22:06 Uhr
Hallo Paul,
Diesmal nur
sehr kurz, der Korrektheit halber:
<ich gebe dir auch recht, dass die
Bezeichnung Grenzwissenschaften nicht ganz passend war, das "nur" stammt
allerdings nicht von mir, das hast du dazugesetzt, lieber Freund.>
Damit
hast du selbstverständlich recht, das "nur" habe ich hineinprojiziert.
Um
die hier übliche Entschuldigungs-Tradition weiterzuführen: mea culpa.
Grüsse,
Marcel
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 26. Apr. 2003, 02:11 Uhr
Hallo Zweifler,
1. Dein Satz "Du sollst nicht morden" ist ein ethischer Pleonasmus und daher
wertlos. Morden ist definitionsgemäß das illegale Töten eines Menschen und daher
definitionsgemäß immer verboten. Fragt sich nur, wann eine Tötung illegal und
wann sie legal ist. Da wird es dann moralisch spannend.
2. Das mit der
Promiskuität wird in unterschiedlichen Gesellschaften und zu unterschiedlichen
Zeiten sehr sehr unterschiedlich gesehen. Und im Tierreich ist Promiskuität eher
die Regel als die Ausnahme.
Gruß HP
Titel: Falsche Normen dennoch
verbindlich?
Beitrag von Eberhard am 26. Apr. 2003, 21:12 Uhr
Hallo
Hanspeter,
Deine vorsichtige Kritik an meiner These 1 ist berechtigt. Du
hast darauf hingewiesen, dass die Verbindlichkeit eines Gesetzes, das vom
Parlament mehrheitlich beschlossen wird, nicht einhergehen muss mit der
inhaltlichen Konsensfähigkeit dieses Gesetzes. Obwohl hier von mir also die
Befolgung einer nicht konsensfähigen Norm verlangt wird, handelt es sich nicht
um ein reines Gewaltverhältnis. Was tun?
Ich schlage vor, dem Problem
durch eine Unterscheidung zwischen „inhaltlichen Normen“ auf der einen Seite und
„Normsetzungsverfahren“ auf der anderen Seite gerecht zu werden.
Unter
einer „INHALTLICHEN NORM“ verstehe ich einen Satz, der eine Vorschrift für das
konkrete Handeln (oder Unterlassen) enthält. Die beiden von Zweifler genannten
Normen („Du sollst nicht morden!“ und „Du sollst nicht promisk leben!“) sind
z.B. inhaltliche Normen.
Unter einem „NORMSETZUNGSVERFAHREN“ verstehe
ich ein Verfahren, das inhaltliche Normen setzen kann. Beispiele für derartige
Normsetzungsverfahren sind: Wahlen und Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip,
das Vetorecht, das Eigentumsrecht, das Versprechen, der Vertrag, der Markt, die
Hierarchie von Vorgesetzten und Untergebenen, die Bevollmächtigung von
Vertretern, die elterliche Erziehungsgewalt oder der Losentscheid.
Die
Notwendigkeit von Normsetzungsverfahren ergibt sich daraus, dass es praktisch
unmöglich ist, von heute aus für alle möglichen zukünftigen Situationen und für
alle Individuen geeignete inhaltliche Handlungsregeln aufzustellen. Selbst wenn
es um das Töten anderer Menschen geht, ergeben sich Probleme bei der
Formulierung einer allgemeinen Norm, die das Töten verbietet, weil zahlreiche
Ausnahmesituationen zu berücksichtigen sind (Notwehr, Krieg, Todesstrafe, Tötung
auf Verlangen etc.).
Die erforderlichen Handlungen aller Individuen
können nicht vorweg in Form von Regeln festgelegt werden, sondern die Regelungen
müssen gewissermaßen „vor Ort“ anhand von Informationen über die konkrete
Situation getroffen werden.
Damit stellt sich auch für die
Normsetzungsverfahren die Frage, ob sie konsensfähig sind, also von jedem
verständigen Individuum zwanglos akzeptiert werden können. Natürlich hängt die
Beurteilung eines Normsetzungsverfahren vor allem davon ab, ob die dadurch
gesetzten Normen inhaltlich akzeptabel sind. Aber auch das bestgeeignete
Normsetzungsverfahren kann kritikwürdige und „falsche“ Normen hervorbringen. Man
gerät dann in das oben angesprochene Dilemma des Demokraten, der sagt: „Ich
respektiere die Entscheidung der Mehrheit als für mich verbindlich, auch wenn
ich sie inhaltlich für katastrophal halte.“
Eine Norm kann also für mein
Handeln verbindlich sein und zugleich inhaltlich falsch sein. In diesem Fall
handelt es sich nicht um ein Gewaltverhältnis, auch wenn von mir die Befolgung
einer Norm verlangt wird, die ich inhaltlich nicht akzeptieren kann. Um ein
Gewaltverhältnis würde es sich allerdings dann handeln, wenn für das angewandte
Normsetzungsverfahren nicht die Konsensfähigkeit beansprucht wird.
Für
die weitere Diskussion stellt sich die Frage, ob wir die Normsetzungsverfahren
jetzt mitdiskutieren wollen oder ob wir uns weiterhin auf die Begründung
inhaltlicher Normen konzentrieren. Da es Dir ja vor allem um die staatlich
sanktionierten Rechtsnormen und deren Rechtfertigung und Kritik geht, müssten
wir eigentlich die Normsetzungsverfahren einbeziehen und über den engeren
Bereich der Individualethik hinausgehen.
Wie siehst Du das? fragt Dich
Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag
von Hanspeter am 27. Apr. 2003, 05:48 Uhr
Hallo Eberhard,
ich
beginne gleich mit dem Schluss deiner Analyse, der ich inhaltlich weitgehend
zustimme.
1. Die Normsetzungsverfahren sollten wir auf alle Fälle vorerst
n i c h t diskutieren. Denn damit halsen wir uns die ganze Problematik einer
Staatstheorie auf. Außerdem scheint es mir methodisch falsch zu sein. Erst die
Moral, dann das Recht, nicht umgekehrt. Erst, wenn die Moral steht, kann man
darüber diskutieren, was machbar ist. Möglicherweise nur Teile, möglicherweise
auch kaum etwas, möglicherweise erst unter dem Eindruck katastrophaler
Veränderungen. Außerdem wäre es ja durchaus denkbar, dass die "richtige Moral"
einen anderen Staat verlangt. Ob unsere real existierende Demokratie der
Staatsweisheit letzter Schluss ist, weiß ich nicht.
Klar, ich bin Idealist.
Ich will wissen, was ist die richtige Moral. Ob und wann sie sich durchsetzt,
ist sekundär. Wir können sie entwickeln, bestenfalls propagieren, nicht aber
durchsetzen.
2. Es ist richtig, dass wir nicht primär die
Individualethik diskutieren sollten. Dazu ein erklärendes Beispiel (etwas
drastisch, aber verständlich):
Wenn täglich ein Mensch in München in die Isar
scheißt, ist das kein ökologisches Problem. Wenn täglich eine Million Menschen
in die Isar scheißen, ist das ein gewaltiges ökologisches Problem. Wenn nun ein
Mensch hergeht und sich für einige zehntausend Euros eine private Kläranlage
bauen lässt, mag er zwar ein "gutes ökologisches Gewissen" haben, aber der
Umwelt ist nicht geholfen. Wenn aber ein oder mehrere Menschen hergehen und per
Gesetz eine Kläranlage für Alle in die Wege leiten, ist der Umwelt wirklich
geholfen. Daher interessiert mich primär das Gesetz und nicht die
Individualethik.
Alles klar? Gruß HP
Titel: Normen, die
in allen Gesellschaften gelten?
Beitrag von Eberhard am 27. Apr. 2003, 10:04
Uhr
Hallo Zweifler,
Du hast zwei ethische Normen genannt, von
denen Du meinst, dass sie in allen Gesellschaften gelten. Das universale
Vorkommen bestimmter Normen ist zwar nicht gleichbedeutend mit ihrer allgemeinen
Konsensfähigkeit, aber es ist doch sicher ein sehr starkes Indiz, dass diese
Normen allgemein konsensfähig sind.
Die erste Frage, die sich stellt,
ist die empirische Frage an Soziologen, Ethnologen oder Anthropologen, ob deine
Annahme stimmt. Ist in allen Gesellschaften Mord und Promiskuität verboten? Um
diese Frage beantworten zu können, muss man sich einig sein über die Bedeutung
der Begriffe „Mord“ und „Promiskuität“.
Hanspeter meint, dass „Mord“
definiert ist als „illegale Tötung eines Menschen“ und hält die Norm „Mord ist
verboten (= illegal)“ deshalb für eine Tautologie.
Um diesem Einwand zu
begegnen könnte man die Norm etwas umformulieren und sagen: „Es ist verboten ein
anderes Gesellschaftsmitglied zu töten, um dadurch selber einen Vorteil zu
erlangen.“ Was sagen die Ethnologen? Gilt in allen Gesellschaften eine derartige
Norm?
Ich habe da meine Zweifel: Es soll Eskimogesellschaften gegeben haben,
in denen es Brauch war, die alt gewordenen Eltern auszusetzen, weil sonst nicht
genug Nahrung da war. (Mir fehlt leider die Quelle. Ich hoffe, ich verbreite
hier keine Schauermärchen.)
Auch wenn es keine allgemein verbreitete
Tötungsnorm gäbe, so bin ich doch der Meinung, dass sich ein allgemein
konsensfähiges Tötungsverbot formulieren ließe.
Beim Verbot der
Promiskuität stellt sich ebenfalls die Frage: Was ist mit ,Promiskuität’
gemeint. Mein alter Sprach-Brockhaus bestimmt „Promiskuität“ als „häufig
wechselnder Geschlechtsverkehr ohne eheliche Bindung“. Da gibt es wohl auch in
unserer Gesellschaft zumindest Subkulturen, in denen kein ethisches Verbot für
„Geschlechtsverkehr ohne eheliche Bindung“ besteht und wohl auch kein Verbot für
„häufig wechselnden Geschlechtsverkehr“, so dass wir die Ethnologen gar nicht
erst befragen müssen. Ob ein Verbot von Promiskuität im definierten Sinne
allgemein konsensfähig ist, bleibt damit fraglich. (Meines Wissen findet sich
das Inzestverbot in allen Gesellschaften.)
Interessant finde ich Deine
Äußerungen zur Ethik als einer „Richtschnur“, die sich dem Wandel der Sprache
und der Wirklichkeit anpassen müsse, aber offenbar einen unveränderlichen Kern
besitzt. Wie kann man diesen Kern näher bestimmen? Ist dieser Kern jedem
denkenden Individuum zugänglich?
Gruß Eberhard
Titel: Re: Ist
Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 27. Apr. 2003,
13:49 Uhr
Hallo Eberhard,
Thema "Schauermärchen".
Die
Geschichte mit den Eskimos kann ich nicht bestätigen.
Dafür aber einen
ähnlichen Brauch in einigen ozeanischen Kulturen. Dort wurde der Vater mit 60
Jahren lebendig begraben. Als Grund wurde genannt, dass man auf diese Weise
erreichen wolle, dass der Vater noch wohlbehalten im Jenseits landen und sich
dort für die Sippe einsetzen würde. Ein altersschwacher und siecher Vater im
Jenseits galt als nicht wünschenswert.
Eine interessante Lösung des
Rentenproblems!
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von paul am 27. Apr. 2003, 21:55 Uhr
> Eine
interessante Lösung des Rentenproblems! <
die alten Menschen scheinen
euch irgend wie schwer im Magen zu liegen.
Paul
Titel: Was sin
ideale Diskussionsbedingungen?
Beitrag von Eberhard am 28. Apr. 2003, 06:55
Uhr
Hallo Hanspeter,
ich bin einverstanden, dass wir die
Normsetzungsverfahren erstmal nicht diskutieren sondern weiter nach allgemein
konsensfähigen inhaltlichen Normen des Handelns suchen. Eine Norm ist dann
allgemein konsensfähig, wenn dieser Norm unter idealen Diskussionsbedingungen
jedes beliebige Individuum zustimmt.
Ideal ist eine Diskussion, wenn:
- die Diskussionsteilnehmer keinerlei Zwang aufeinander ausüben als den des
besseren Argumentes,
- wenn es keinerlei Beschränkungen zeitlicher Art gibt
sondern die Fragen „ausdiskutiert“ werden können,
- wenn es keine
Missverständnisse gibt sondern alle vorgebrachten Argumente von allen
Diskussionsteilnehmern im gleichen Sinne verstanden werden,
- wenn jeder
bereit ist, die von ihm benutzten Begriffe zu erläutern und in eine allgemein
verständliche Sprache zu übersetzen,
- wenn jeder Teilnehmer die
intellektuellen Fähigkeiten zum Verstehen der vorgebrachten Argumente besitzt,
- wenn keinerlei Argumente von vornherein ausgeschlossen werden, z.B. weil sie
als gefährlich oder schädlich angesehen werden,
- wenn jeder
Diskussionsteilnehmer das Ziel teilt, allein durch Argumente zu einem Konsens zu
gelangen,
- wenn jedes Argument unabhängig davon geprüft wird, wer das
Argument vorgebracht hat,
- wenn jeder bereit ist, seine bestehenden
Überzeugungen durch neue Argumente in Frage stellen zu lassen und gegebenenfalls
zu ändern, wenn er einsieht, dass seine Position nicht konsensfähig sein kann,
- wenn jeder auf Überredungsstrategien verzichtet und z.B. keine Argumente
vorträgt, die er selber nicht für richtig hält, von denen er aber annimmt, dass
sie auf den andern im erwünschten Sinne wirken,
- wenn jeder auf Argumente
verzichtet, die andere nicht nachvollziehen und nachprüfen können
- wenn kein
Diskussionsteilnehmer Druck auf einen andern ausübt, indem er ihn z.B. als
lächerlich, unwissend oder unmoralisch hinstellt.
Kann man das
verlangen? Fehlt noch was? Vielleicht müsste man noch etwas sortieren.
Gruß Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 28. Apr. 2003, 17:03 Uhr
Hi Eberhard,
eine tolle Diskussionsrunde wäre das, wenn sie sich so traumhaft verhalten
würden. Zum Einschlafen, denn wahrscheinlich würden daran nur KI's teilnehmen.
Bei Menschen die ihre Meinung preisgeben sind Unterbewußtsein und Emotionen
im Bewußtsein der Meinung involviert, abgesehen davon, dass die Zeit eine Rolle
spielen würde.
Von den verschiedenen Wertigkeiten ganz zu schweigen und
von den verschiedenen Facetten der Meinungsaufnahme beim Diskussionsteilnehmer.
Obwohl ich diese Aufstellung toll finde, halte ich sie nicht für
durchführbar.
Grüße M.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 28. Apr. 2003, 20:06 Uhr
Hallo Eberhard,
ich weiß, daß Du zu Beginn (in einem anderen Thread glaub ich) einmal sinngemäß
danach gefragt hast, ob man nicht annähernd die gleichen
Argumentationsgrundsätze innehaben sollte, um überhaupt miteinander diskutieren
zu können. (Ich hoffe ich verwechsel Dich jetzt nicht). Deine Aufstellung, so
sehr sie mir auch in einzelnen Punkten gefällt drückt die Bejahung gerade
genannter Fragestellung aus und widerspricht einem von Dir im letzten Beitrag
vielbenutzten Wort "jeder".... Du setzt in Deiner Aufstellung, soweit ich das
sehe, schon bestimmte logische Argumentationsmuster voraus, die sich aber als
Grundlage nicht aus dieser definieren, sondern vielmehr schon die Weiterführung
der von Dir gedachten Argumentationsgrundlage sind. Mit anderen Worten: Was sind
für Dich gültige Argumentationen?
Grüsse, Lina
Titel: Re: Ist
Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 29. Apr. 2003,
01:51 Uhr
Hallo Eberhard,
ja, das liest sich gut und entspricht
auch dem Idealen Diskussionsforum, keine Frage. Bedenke aber stets, du hast es
mit realen Menschen zu tun. Diese verwenden Begriffe, die der andere nicht kennt
und bei denen er sich nicht zu fragen traut, sie versuchen, den anderen
niederzuwalzen usw. Strenggenommen müsstest du noch hinzufügen, dass jeder
Diskussionsteilnehmer im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung sein
Selbstbewusstsein dahingehend gefestigt hat, dass er es wagt, durch
möglicherweise dumme Fragen und Antworten die geistig Überlegenen zu nerven und
fähig ist, eigene Fehler einzugestehen.
Aber die Rahmenbedingungen sind in
Ordnung, jeder ist also berechtigt, Fehlverhalten von Diskussionsteilnehmern
nach diesem Katalog zu rügen.
Sortieren ist unnötig, besser nummerieren, dann
kann jeder brüllen: Verstoß nach Nr. 3 der I.D.-Regeln!!
Ich denke, wir
sollten mit der Diskussion beginnen. Welches sind deiner Ansicht nach die
Grundlagen einer "Moral der Zukunft"?
Gruß HP
Titel: Was sind
relevante und gültige Argumente?
Beitrag von Eberhard am 04. Mai 2003, 10:08
Uhr
Hallo an alle Diskussionsteilnehmer,
da ich dringend
verreisen musste, komme ich erst heute zur Antwort.
An Margarete der
Hinweis, dass die von mir genannten Diskussionsbedingungen nur ein Ideal sind,
an das man sich mehr oder weniger annähern kann. Auch Diskussionen, die von
diesem Ideal abweichen, können zu wertvollen Ergebnissen führen. Allerdings wird
bei Verletzung dieser Regeln die Wahrheitsfindung erschwert. Die Gefahr, dass es
langweilig wird, sehe ich nicht, denn wie beim Fußball müssen die Akteure ihre
(Argumentations-) Technik verbessern, wenn die üblichen Fouls in Form von
persönlichen Angriffen nicht zugelassen werden. Außerdem kann man mit
Diskussionen natürlich auch andere Ziele als Wahrheitsfindung und
Erkenntnisfortschritt verbinden. Nicht umsonst gibt es die Rubrik „Philosophie
und Humor“.
Lina stellt die Frage, was für mich gültige Argumente sind.
Hier der Versuch einer Antwort, der sich zugleich an Hanspeter richtet:
1. Ein Argument besteht aus einem oder mehreren Sätzen, die mit einem
allgemeinen Geltungsanspruch geäußert werden. (Sätze, die mit einem allgemeinen
Geltungsanspruch geäußert werden, nenne ich im Folgenden „Behauptungen“). Ein
Argument besteht demnach aus einer oder mehreren Behauptungen.
2.
Behauptungen werden zu einem Argument für (oder gegen) eine strittige
Behauptung, wenn sich daraus Schlussfolgerungen ergeben, die mit der strittigen
Behauptung (oder deren Verneinung) logisch nicht vereinbar sind. Wenn z.B. die
Behauptung „Der Krieg gegen den Irak war ein Präventivkrieg“ strittig ist, so
stellt der Satz „Das Regime von Saddam Hussein im Irak war eine grausame
Diktatur“ kein relevantes Argument dar. Wenn dazu jedoch die weitere Prämisse
kommt: „Diktaturen sind expansiv und deshalb aggressiv gegen ihre Nachbarn“
ergeben sich daraus Schlussfolgerungen, die für die Frage, ob es sich hier um
einen Präventivkrieg handelte oder nicht, relevant sind. (Es kann sich dabei
auch um statistische Aussagen handeln, die die Wahrscheinlichkeit des Zutreffens
der strittigen Behauptung verändern.)
3. Ein gültiges Argument besteht
aus logisch miteinander verbundenen Sätzen, deren Prämissen von demjenigen, an
den sich das Argument richtet, zwanglos geteilt werden können. Andernfalls hat
sich das Geltungsproblem nur von der strittigen Behauptung auf die in Anspruch
genommenen Prämissen verlagert.
4. In empirischen Fragen kann diese
zwanglose Übereinstimmung letztlich durch die intersubjektiv übereinstimmende
Wahrnehmung erreicht werden. Die Behauptung „Quecksilber erstarrt bei ca. -38
Grad Celsius“ kann durch den Hinweis gestützt werden: „Beobachte das Thermometer
und merke Dir den Wert, wann das Quecksilber beim Abkühlen fest wird.“ Von den
Beschreibungen der individuellen Wahrnehmungen ( Dennis: „Ich sehe den Zieger
bei minus 38“, Philipp: „Ich sehe den Zeiger auch bei minus 38“) gelangt man zu
der subjektfrei formulierten empirischen Aussage: „Der Zeiger IST bei minus 38,
wenn das Quecksilber erstarrt“.
5. Wie kann man nun in Bezug auf
normative Behauptungen wie z.B. die moralische Norm „Man soll nicht lügen (es
sei denn, es liegen die Bedingungen x,y,z vor)!“ zu einer zwanglosen Zustimmung
aller kommen?
Ich habe für die Moral der Zukunft kein Patentrezept,
Hanspeter, ich habe jedoch ein paar gedankliche Vorklärungen versucht:
6. Eine Norm beinhaltet, wie etwas sein soll; eine moralische Norm beinhaltet,
wie gehandelt werden soll. Eine moralische Norm bejahen und ihr zustimmen
bedeutet deshalb: bejahen, dass so gehandelt werden soll. Wenn ich bejahe, dass
etwas so sein soll, dann will ich, dass es so sein soll.
7. Damit stellt
sich die Frage nach allgemein konsensusfähigen Normen als die Frage nach dem,
WAS ALLE GEMEINSAM WOLLEN KÖNNEN, OHNE EINEM ANDEREN ZWANG AUSGESETZT ZU SEIN
ALS DEM ZWANG SICH ZU EINIGEN UND ZU EINEM KONSENS ZU KOMMEN.
Dabei geht
es auch um eine „Moral der Zukunft“, Hanspeter, insofern als auch zu fragen ist,
ob kommende Generationen dieser Norm zustimmen könnten. Wir müssen uns also
fragen, ob wir die strittige Norm auch gegenüber unseren Kindern und
Kindeskindern verantworten und rechtfertigen könnten.
Soviel erstmal. Es
bleibt leider alles noch sehr abstrakt, aber wir können das Problem anhand von
konkreten Problemen und Argumenten verdeutlichen.
Mich würde von Euch
(und auch von anderen gerne wissen, ob ihr es grundsätzlich für sinnvoll haltet,
nach den Bedingungen eines zwanglosen Konsens, also nach den Wegen zu einer
friedlichen Einigung zu fragen. Und wenn ja, ob ihr dazu irgendwelche Ideen oder
Vorschläge habt?
Alles neu macht der Mai, macht das Denken frisch und
frei …
Das wünscht Euch Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 04. Mai 2003, 14:05 Uhr
Hallo Eberhard -
so nach dem Motto - frisch und frei nach Valentin -
können tät' ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut.
Zit. "Ohne einem Zwang ausgesetzt zu sein, als dem Zwang sich zu einigen und zu
einem Konsens zu kommen"
Ich meine Zwang ist Druck, auch wenn ich ihn nur
auf mich selbst ausübe, so hat er nichts mit dem von Kant beschriebenen Willen
zu tun.
Du hast natürlich recht, jede Normtheorie ist idealistisch! Sie
ist aber in ihrer Form meist nicht durchführbar, da der Mensch nicht nur logisch
oder folgerichtig reagiert.
Auch nicht wenn ich ihn in die Pflicht genommen
habe.
Unter zwanglosen Konsens verstehe ich aber auch die Bereitschaft zu
einem friedlichen Ziel, einer Einigung zu gelangen. Gerade in unserer heutigen
Zeit finde ich es besonders wichtig zu hinterfragen und zu philosophieren. Wenn
die Ethik nicht mehr in der Lage ist einen Weg aufzuzeigen, enden wir in
Anarchie und Gewalt. Mehr als ein moralisches Gerüst jedoch kann Ethik nie sein,
denn die Entscheidungsfreiheit sofern sie gegeben ist liegt immer beim
Handelnden.
Ich fände es wichtig, Ethikkommissionen einzusetzen in der
Gesetzgebung, der Friedensbewegung, den Umweltproblemen, dem Welthandel usw.
Die Fragestellungen werden immer mehr was die Autonomie des Menschen betrifft,
von den Verteilerproblemen hat ja Hanspeter schon einiges auffahren lassen.
Aber bevor ich Normen aufstelle die meinen Kindern die Zukunft sichern sollen,
wäre es an der Zeit die eigenen moralischen Vorstellungen und Handlungen oder
Handlungsweisen zu überprüfen und nach den bereits bestehenden Normen oder
ethischen Begriffen zu leben um damit ein Beispiel zu geben an dem sich die
Kinder und Jungendlichen orientieren können, denn damit würde schon ein
beträchtlicher Teil an Sozialem und Humanistischem geleistet ohne dass
hinterfragt werden müsste, weil es selbstverständlich wäre.
Ein Konsens
beginnt in der Zweierbeziehung, der Familie und in der Gesellschaft eines
Landes, und der Welt
Naja, mal sehen was der Mai sonst noch bringt!
Grüße
Margarete
Titel: Hallo EberRe: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 05. Mai 2003, 01:16 Uhr
Hallo Eberhard,
schön, dass du wieder da bist.
Der
interessanteste Teil deiner Antwort ist für mich Satz 7. Ja, das Wollen-können.
Das Valentin-Zitat lag auch mir auf den Tasten, nicht nur Margarete. Was ist,
wenn du zB. Arbeiten wollen könntest, aber nicht willst und in die Kneipe gehst?
Wenn jemand Arbeitsplätze-Schaffen wollen könnte, aber lieber das Geld auf sein
Konto in Luxemburg bringt. Damit kommen wir, so glaube ich, in der Ethik nicht
weiter.
Ein weiterer interessanter Teil deiner Antwort ist die Aussage,
dass <alles noch sehr abstrakt> bleibt. Und dagegen habe ich ein Rezept. Wir
werden konkret.
Nachwievor bin ich der Meinung, dass eine Moral eine
Zielvorgabe hat und braucht. Auch wenn keine explizit formuliert ist. Man muss
sich dann die Moral nur genauer angucken und dann findet man sie.
Also, was
kann die Zielvorgabe sein? Vorschläge:
1. Der Christ sagt: "Mein Ziel
sollte sein, das Wort Gottes auszuführen."
2. Der brave deutsche
Gesetzesschöpfer sagt: "Mein Ziel sollte sein, ein maximales Glück für eine
maximale Zahl von Bundesbürgern zu erreichen."
3. Der Hanspeter sagt: "Mein
Ziel sollte sein, den Erhalt der Menschheit zu sichern."
Nun haben wir
drei verschiedene Ansätze und können uns nun überlegen:
4. Welche sonstigen
Zielsetzungen sind denkbar, und
5. Wie sind die Vorschläge 1 - 3 zu
beurteilen.
Bitte um Antworten.
Gruß HP
Titel: Ethik -
ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von astra am 05. Mai 2003, 09:53 Uhr
[quote author=Hanspeter]
... habe ich ein Rezept. Wir werden konkret.
Nachwievor bin ich der Meinung, dass eine Moral eine Zielvorgabe hat und braucht
[/quote]
hallo hanspeter!
der vorschlag, konkret zu werden, findet
natürlich sofort meine begeisterte zustimmung.
dabei ziel-orientiert
vorzugehen, erscheint mir sehr verlockend, nur frage ich mich, ob in
ethisch-moralischen belangen nicht die Einstellung/Haltung/Gesinnung eine
grössere rolle spielt als das ziel.
beispiel: jemand überlegt sich, ob er für
die sonntagzeitung den vollen preis bezahlen soll.
welches motiv wird den
ausschlag geben für zahlen/nichtzahlen? die bibel (du sollst nicht stehlen)? die
bedachtnahme auf das gemeinwohl - solidarität? (dies rückt sehr nahe an deinen
ansatz nr.2). oder das ziel: erhaltung der zeitung?
[???] ..... grüsse,
astra
Titel: Was können wir gemeinsam wollen?
Beitrag von
Eberhard am 05. Mai 2003, 10:36 Uhr
Hallo Hanspeter, Margarete und alle
Interessierten,
zuerst muss ich ein Missverständnis ausräumen. Ich habe
als zentrale Frage formuliert: "Was können wir alle gemeinsam wollen?" Wenn ich
fragen würde: "Was wollen wir alle gemeinsam?", so hätte ich mich auf den
aktuellen Willen der Individuen bezogen und die Beantwortung der Frage wäre eine
Aufgabe für die empirische Umfrageforschung. Der aktuelle Wille eines
Individuums kann jedoch aufklärungsbedürftig sein, indem er auf falschen
Annahmen über die Wirklichkeit oder auf unreflektierten emotional verankerten
Denkhemmungen beruht.
Wenn man die Formulierung "Was können wir alle
gemeinsam wollen?" als Frage nach der Möglichkeit eines allgemeinen Konsens
versteht, so lassen sich auch die von Dir, Hanspeter, genannten Beispiele unter
diesem Gesichtspunkt beurteilen.
Wenn z.B. Janosch lieber etwas anderes
tut als zu arbeiten, dann ist das erstmal nur normal. Wenn Arbeit jedoch
notwendig ist, um die notwendigen Mittel zum Leben zu erzeugen, so wäre die Norm
"Niemand braucht zu arbeiten, wenn er lieber etwas anderes tut" sicher nicht
konsensfähig, denn dann würde die Gesellschaft schnell zu Grunde gehen - und wer
will das?
Auch die Norm "Janosch braucht nicht zu arbeiten, wenn er
lieber etwas anderes tut. Die Mittel zum Leben bekommt er unabhängig davon" wäre
nicht konsensfähig. Eine solche, auf die Identität der Individuen zugeschnittene
Norm, die also nicht "person-unabhängig" formuliert werden kann, ist wegen der
darin enthaltenen, sachlich nicht begründeten Ungleichbehandlung der Individuen
grundsätzlich nicht allgemein konsensfähig. Warum sollten andere, die genauso
wie Janosch lieber weniger arbeiten würden als mehr, auch zustimmen, dass sie
mehr arbeiten müssen, um Janosch durchzufüttern?
Zu Deinen drei
Begründungsvarianten ist unter dem Gesichtspunkt der Konsensfähigkeit Folgendes
zu sagen:
1.Warum sollten Nicht-Christen den Normen zustimmen, die nach
dem christlichen Glauben von Gott gesetzt sind? Dies würde zusätzlich eine
glaubensunabhängige, intersubjektiv nachvollziehbare und nachprüfbare Begründung
erfordern.
2. Das Ziel "Maximales Glück für eine maximale Zahl von
Bundesbürgern" ist nicht allgemein konsensfähig, weil die Nicht-Bundesbürger
keinen Grund haben, der sachlich nicht begründeten Bevorzugung dieser Gruppe
zuzustimmen (siehe oben). Außerdem ist das "Ziel" nicht umsetzbar, schon weil
die gleichzeitige Maximierung zweier Variablen kein eindeutiges Ergebnis hat.
Hier müsste umformuliert werden.
3. Das Ziel "Sicherung des Erhalts der
Menschheit" erscheint mir allgemein konsensfähig und wenn dessen Verfolgung in
Konflikt mit der Verfolgung anderen Zielen (leben in Bildung, Kultur, Würde,
Wohlstand) geraten sollte, hätte das Ziel wohl Priorität. Allerdings spielen
sich die meisten Konflikte unterhalb dieser Ebene ab, so dass nicht mit dem
drohenden Untergang der Menschheit argumentiert werden kann.
Um auch
selber noch einen Vorschlag zu machen:
"Handlungen, die für mindestens ein
Individuum vorteilhaft sind und für niemandem nachteilig sind, sind erlaubt."
Meiner Meinung nach könnte eine solche Norm - die Wohlfahrtsökonomen nennen das
"Pareto-Optimalität" - von allen gewollt werden.
Gibt es weitere
Vorschläge? Gruß Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 05. Mai 2003, 15:03 Uhr
Hallo
Eberhard,
du setzt große Stücke in die Lernbereitschaft der Menschen.
Hoffentlich erlebst du da nicht einmal unangenehme Überraschungen. Mit meinen
drei Beispielen habe ich auch versucht, dir indirekt klar zu machen, dass das
mit dem gemeinsamen Konsens nicht so leicht geht. Der Kardinal wird sich nicht
fragen, ob er Empfängnisverhütung wollen kann, er wird auch nicht nach
Aufklärung lechzen, er lehnt das eben strikt ab. Auch wenn du sachlich mit
"emotional verankerten Denkhemmungen" richtig liegst. Auch dein Janosch-Beispiel
ist vollkommen akzeptabel und im Idealen Diskussionsforum unstrittig. Aber
Janosch ist eben ein Faulpelz und nun wirst du Gesetze erlassen müssen, die das
Problem in den Griff kriegen.
Zu meinem Vorschlag Nr. 2 ist natürlich zu
sagen, dass die Gesetzgeber anderer sogenannter Demokratien genauso
argumentieren müssten. Das mit dem Doppelziel ist allerdings ein gewichtiger
Einwand, aber steht diese Forderung nicht so ähnlich in der amerikanischen
Verfassung?
Deinen Vorschlag: "Handlungen, die für mindestens ein Individuum
vorteilhaft sind und für niemandem nachteilig sind, sind erlaubt" akzeptiere ich
sofort, wenn du auch künftige Generationen mitberücksichtigst. Aber dies ist
kein (Staats-) Ziel. Ich glaube auch nicht, dass es irgend eine Handlungsweise
gibt, die zB von unseren Gesetzen verboten ist, aber deiner Forderung
entspricht. Weißt du ein Beispiel? Wie Margarete ja richtig erwähnte, haben wir
doch ganz konkrete Probleme wie Umwelt, Welthandel usw. Da hilft dein Ziel
überhaupt nicht, weil jedes relevante Gesetz für irgend jemanden nachteilig ist.
Dein Vorwurf zu meinem Vorschlag des Erhalts der Menschheit, die meisten
Konflikte spielen sich unter dieser Ebene ab, trifft nicht. Nicht nur bei den
Beispielen Umwelt und Welthandel ist das von fundamentaler Bedeutung. Aber, noch
einmal, ich plädiere ja für die Hierarchie der Normen. Es gibt noch eine Reihe
weiterer Normen, klar. Im Grunde taugen alle Normen. Nur sie müssen in die
Hierarchie passen. Der Christ darf selbstverständlich dem Wort Gottes gehorchen.
Und wenn er aus der Bibel herleitet, dass soziale Gerechtigkeit eine wichtige
Forderung ist, dann sehe ich keine Probleme, dies auch mit dem moralischen Credo
des Erhalts der Menschheit zu vereinen. Umweltpolitik und soziale Gerechtigkeit
schließen sich nicht nur nicht aus, sie bedingen einander. Wenn aber der Christ
Gesetze gegen die Empfängnisverhütung fordert, wird man eben dem Problem der
Umweltzerstörung den höheren Rang einräumen und das verhindern. Damit ist also
die christliche Moral nicht weg, sondern muss sich mit einem mittleren Rang in
der Hierarchie begnügen.
Gruß HP
Hallo Astra,
wie ich am
27. April 2003 schon versucht habe zu zeigen, sollten wir meines Erachtens in
die Gesetzesebene einsteigen, da diese wirklich relevant ist. Die persönliche
Moral ist natürlich wichtig, aber zu sehr an die Person gebunden. Ich habe zB
mit dem Bezahlen einer Sonntagszeitung keine Probleme.
Du hast Recht, die
<Einstellung/Haltung/Gesinnung> spielt für den Einzelnen eine sehr viel größere
Rolle als das Ziel, aber wenn man eine neue Moral entwickelt und an die
Gesetzgebung denkt, muss man meiner Meinung nach vom Ziel und nicht von
Einstellung/Haltung/Gesinnung der Einzelpersonen ausgehen. Ist eine Frage der
Methodik.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von astra am 05. Mai 2003, 18:43 Uhr
[quote
author=Hanspeter]
Du hast Recht, die <Einstellung/Haltung/Gesinnung> spielt
für den Einzelnen eine sehr viel größere Rolle als das Ziel, aber wenn man eine
neue Moral entwickelt und an die Gesetzgebung denkt, muss man meiner Meinung
nach vom Ziel und nicht von Einstellung/Haltung/Gesinnung der Einzelpersonen
ausgehen. Ist eine Frage der Methodik.[/quote]
mein
sonntagzeitung-beispiel war offenbar nicht ziel...führend ;-)
also noch ein
weiteres, um zu demonstrieren, dass es meines erachtens nicht nur um die
einstellung und gesinnung des individuums geht: ein dritte-welt-land, ohnedies
regelmässig von bürgerkriegen gebeutelt, wird nun auch noch von einer hungersnot
heimgesucht.
wie soll/könnte gesetzlich verankert werden/sein, dass ländern,
die sich ín einer ökonomisch aussichtslosen situation befinden, die schulden
erlassen werden? [ruffle]
grüsse, astra
Titel: Was macht
man mit eingefleischten Dogmatikern?
Beitrag von Eberhard am 05. Mai 2003,
22:02 Uhr
Hallo Hanspeter,
ein Ordnungsruf wegen Verstoß gegen
Diskussionsregel 17c: Meine Behauptung, dass der Erhalt der Menschheit bei den
meisten sozialen Konflikten nicht in Frage gestellt wird, ist kein „Vorwurf“,
denn sie richtet sich nicht gegen das Handeln einer Person. Meine Behauptung ist
nur ein kritischer Hinweis zur Reichweite eines vorgeschlagenen Prinzips.
Aber Scherz beiseite. Kommen wir zur Aufgabe zurück. Meine Frage an Dich,
Hanspeter, ist, wie Du mit dem Kardinal argumentieren willst, der sich nicht
fragt, ob er Empfängnisverhütung oder Aufklärung der Individuen über ihre
wirklichen Bedürfnisse will, sondern dies strikt ablehnt. Mein Argument gegen
eine solche – und jede andere – dogmatische Position, die sich mir gegenüber
nicht begründen will und die sich von mir nicht argumentativ in Frage stellen
lässt, lautet: „Eine solche Position ist im buchstäblichen Sinn nicht
‚diskutabel’.“ Wenn eine solche dogmatische Position auch für mich verbindlich
sein soll, dann ist dies Gewalt und dann darf und muss ich mich dagegen anders
wehren als nur mit Argumenten.
Also: Wie argumentierst Du mit
eingefleischten Dogmatikern? Wie machst Du das Ziel „Erhaltung der Menschheit“
anderen „plausibel“?
Gruß Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 06. Mai 2003, 05:42 Uhr
Hallo astra,
was du meintest habe ich mir schon so in etwa gedacht,
bin aber von Natur aus ein boshafter Mensch.
Das mit dem Schuldenerlass
ist eine schwierige Geschichte und von Land zu Land verschieden. Der Vorteil des
Schuldenerlasses mag sein, dass sinnvolle Projekte besser in Schwung gebracht
werden können. Doch der Nachteil scheint mir erheblicher zu sein. Schulden
machen ja nicht die einfachen Menschen, sondern die Herrschenden. Erlässt man
sie nun, werden die betreffenden Staaten weiter Schulden machen, nach dem Motto,
sitzen wir genug in der Scheiße, kriegen wir sie ja wieder erlassen. Außerdem
werden die Gelder in der Regel für unsinnige Projekte verbraten, nicht selten
für Rüstungszwecke. Schuldenerlass nur dann, wenn keine neuen Schulden mehr
gemacht werden dürfen. Und man dafür Sorge trägt, dass das Geld in die richtigen
Kanäle fließt.
Gruß HP
Hallo Eberhard,
Ordnungsruf
akzeptiert, knirsch.
Zum Kardinalsproblem. Ist tatsächlich eines.
Natürlich passt der Kardinal nicht in dein Ideales Diskussionsforum (I.D.). Die
logische Konsequenz: Vertreter einer Religion passen letztendlich nie in das
I.D., weil sie dessen Regeln Nr. 5, 6 und 8 (wenn ich richtig zähle) nicht
akzeptieren können. Nicht aus Bosheit, sondern vom Prinzip her. Damit sind
Religionen und ihre Anhänger grundsätzlich ausgeschlossen. Sie können ihre
Ansichten zur Diskussion stellen, mehr nicht. Das entspricht ja auch meiner
Vorstellung, dass sie in der Hierarchie der moralischen Forderungen einen Platz
erhalten, den ihnen die religionsunabhängigen Moralisten zuordnen. In letzter
Konsequenz: Es führt zum Machtkampf. Aber das ist beim Erstellen von Gesetzen ja
die Norm. Aktuelle Beispiele gefällig?
Klar, dein Ideal der Gewaltfreiheit
liegt, fürchte ich, zumindest schon einmal im Bach. Ob es auch hinuntergespült
wird, werden wir sehen.
Gruß HP
Titel: Normverstösse und
Sanktionen
Beitrag von Eberhard am 06. Mai 2003, 15:34 Uhr
Hallo
Hanspeter,
eine Anmerkung zur „Gewaltfreiheit“ und der Rolle, die ich ihr
beimesse. Wenn ich nach Normen suche, die alle gemeinsam zwangfrei anerkennen
können, so beinhaltet das nicht die Ansicht, dass es ein Leben ohne die
Anwendung von Zwang oder Gewalt geben könne. Menschen sind keine Engel, und auch
die Verletzung konsensfähige Normen kann für den einzelnen vorteilhaft sein.
Deshalb wird z.B. Gewalt und Zwang zur Durchsetzung der Normen erforderlich
bleiben.
Ob jedoch eine Norm „richtig“ oder konsensfähig ist, darf keine
Frage der überlegenen Gewalt sein. Der Dogmatiker kann natürlich aus der
Argumentation aussteigen und mir seine moralischen Vorstellungen aufzwingen,
aber er soll dann bitte nicht den Anspruch erheben, mir gegenüber in irgendeiner
Weise „recht zu haben“. Diesen Anspruch kann er nur durch „Vernunftgründe“
(Argumente) einlösen, nicht jedoch durch die Schaffung entsprechender
„Beweggründe“ (Drohungen).
Da wir gerade bei dem Problem der Durchsetzung
von Normen sind, noch einige Gedanken zum Übergang von Moral zu Recht. Ich bin
bisher stillschweigend davon ausgegangen, dass die Normen unter der Annahme
ihrer ausnahmslosen Befolgung beurteilt werden. Also entsprechend der Frage:
„Wäre es akzeptabel, wenn alle die Norm x befolgen würden?“ Hier stellt sich
aber sofort die Frage: „Und was ist, wenn sich einige NICHT an die Norm x
halten?“ Damit würde die ursprüngliche Frage ja folgendermaßen verändert: „Wäre
es akzeptabel, wenn die meisten die Norm x befolgen würden, einige aber nicht?“
Damit verändert sich natürlich die Konsensfähigkeit. Nehmen wir ein
Beispiel: Alle waren sich einig, dass an Stelle der unzähligen Trampelpfade, die
bequem aber hässlich sind, ein einziger Weg angelegt werden soll und die Fläche
ansonsten schön bepflanzt werden soll. Deshalb das Schild: „Nicht betreten!
Anpflanzungen!“ Wenn nun manche Leute doch die Abkürzung über die Grünfläche
nehmen, so wird für die „gesetzestreuen“ Individuen die Norm unakzeptabel, denn
sie nehmen nicht nur den Umweg in Kauf, auch die erwarteten positiven Ergebnisse
dieser Einschränkung, die blühenden Blumenbeete, sind hinüber.
Damit
wird eine soziale Sanktionsinstanz notwendig und der Weg der „Verrechtlichung“
wird beschritten. Hier trennen sich dann auch die Wege derjenigen, die nach dem
moralisch richtigen Handeln nur fragen, weil sie „gute Menschen“ sein wollen und
keine Schuld auf sich laden wollen, und denjenigen, die nach der richtigen Moral
fragen, weil sie die gesellschaftliche Ordnung „moralisch gerecht“ gestalten
wollen. Den Ersteren kommt es vor allem auf die innerpsychische Sanktionsinstanz
an, das „Gewissen“. Den Letzteren geht es vor allem um die Rechtfertigung bzw.
Kritik der soziale Ordnung und deren Durchsetzung. Ich denke, wir sollten vor
allem den zweiten Weg weiter verfolgen.
Gruß Eberhard.
Titel: Re:
Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 07. Mai 2003,
05:10 Uhr
Hallo Eberhard,
du hast Recht, in Sachen Gewalt gibt
es Klärungsbedarf. Ich gebe zu, in meinem letzten Beitrag hier die
Normenerstellung und die Durchsetzung nicht sauber getrennt zu haben. Es ist
klar, dass im Idealen Diskussionsforum Vernunftgründe zählen, weshalb der
Kardinal dort nichts zu suchen hat.
Es ist auch sicher richtig, bei der
Erstellung der Normen nicht auf ihre Verwirklichung zu schielen, sondern danach
zu streben: "Was ist wahr" und nicht, "diese Wahrheit ist nicht durchsetzbar,
also verzichten wir auf sie". Hier fällt der Praktiker wieder einmal aus der
Rolle.
Auf alle Fälle bin ich auch der Meinung, dass wir den zweiten Weg
zu wählen haben, nämlich den, eine "moralisch gerechte" Ordnung zu erstellen.
Damit kehren wir, neu gestärkt, wieder zum Ausgangspunkt zurück. Ich
erinnere dich an meinen Bericht vom 5. Mai 2003, 15:03 Uhr, in dem ich meinen
Vorschlag verteidigte und an deinem Vorschlag herummeckerte. Da hätte ich doch
noch gerne eine Antwort (Brei, heiß, miau).
Gruß HP
Titel: Zur Hierarchie der Güter
Beitrag von Eberhard am 07. Mai 2003, 06:15
Uhr
Hallo Hanspeter,
welches ist der heiße Brei? Dein Plädoyer für
die Hierarchie der Normen? Du schreibst: „Im Grunde taugen alle Normen. Nur sie
müssen in die Hierarchie passen. .. Wenn .. der Christ Gesetze gegen
Empfängnisverhütung fordert, wird man eben der Umweltzerstörung den höheren Rang
einräumen. Damit ist die christliche Moral nicht weg, sondern muss sich mit
einem mittleren Rang in der Hierarchie begnügen.“
Das Problem, das ich mit
dieser Argumentation habe, besteht darin, dass die Vorrangregeln für die Normen
ausformuliert werden müssen, damit die nebeneinander stehenden Normen anwendbar
werden. Offenbar hast Du eine Gewichtung und Abwägung der verschiedenen Güter im
Sinn. Ohne eine ausformulierte Rangfolge dieser Güter (1. Erhalt der Menschheit,
2. Wohlergehen der Menschheit, … 12. Schutz des ungeborenen Lebens, .. 27.
Schutz der Tiere vor nicht artgerechter Haltung .. 35. Beseitigung der krassen
Einkommensunterschiede zwischen den Staaten .. usw.) lassen sich keine konkreten
Entscheidungen ableiten. Und auch dann gibt es noch zusätzliche Probleme, z.B.,
wenn durch eine Handlung ein vorrangiges Gut nur leicht beeinträchtigt wird,
dagegen ein nachrangiges Gut stark gefördert wird.
Die Güterabwägung ist ein
unsicheres Feld, wie Dir jeder Verfassungsrichter bescheinigen wird, der
zwischen verschiedenen Grundrechten abwägen muss, z.B. zwischen der Freiheit der
Wissenschaft und der Würde des Menschen in Bezug auf die Erlaubnis für die
Gentechnologie.
Das weitere Problem, das ich mit der Rangordnung der Güter
habe, ist die Begründung für die gewählte Rangordnung. Welche intersubjektiv
nachvollziehbaren Argumente führst Du für eine bestimmte Rangordnung an?
Wenn
es noch mehr heißen Brei gibt, dann nenn ihn mir bitte. Ich hoffe, ich werde mir
nicht die Zunge verbrennen und dazu schweigen müssen.
Gruß Eberhard
Titel: Hausfrauenphilosophie
Beitrag von margarete am 07. Mai 2003,
09:57 Uhr
[user]Hi,
es wird nichts so heiß gegessen wie's gekocht
wird! [nohear]
Ciao!
Titel: Rechtliche und moralische Normen
Beitrag von Eberhard am 07. Mai 2003, 17:39 Uhr
Hallo astra,
wenn
ich Dich recht verstehe, willst Du gegenüber Hanspeter die Grenzen einer
rechtlichen Regelung durch Gesetzgebung deutlich machen und auf die Bedeutung
und Unverzichtbarkeit der rein moralischen Ebene hinweisen. Ich stimme Dir da
grundsätzlich zu und will das aus meiner Sicht noch etwas ausführlicher
begründen.
Du hast das Problem an dem folgenden Beispiel demonstriert:
„ein dritte-welt-land, ohnedies regelmässig von bürgerkriegen gebeutelt,
wird nun auch noch von einer hungersnot heimgesucht. wie soll/könnte gesetzlich
verankert werden/sein, dass ländern, die sich ín einer ökonomisch aussichtslosen
situation befinden, die schulden erlassen werden?“
Dein Beispiel bezieht
sich auf „rechtserzeugende Institutionen“ wie Eigentum und Vertrag, die ich als
„Normsetzungsverfahren“ bezeichnen will. Normsetzungsverfahren sind
erforderlich, weil sich viele Konflikt- und Kooperationsbereiche nicht im Voraus
durch allgemeine Handlungsnormen detailliert genug regeln lassen und weil der
argumentative Konsens als Entscheidungsverfahren in der konkreten
Handlungssituation zu langsam, zu kostspielig und in seinem Ausgang zu ungewiss
ist.
Dein Beispiel zeigt jedoch die Problematik rechtlicher Normen auf,
die häufig allein „formal“ bzw. verfahrensmäßig legitimiert und geprüft werden,
wobei von einer inhaltlichen moralischen Prüfung der entstandenen Regelungen
abgesehen wird. Der Darlehensvertrag mit dem Dritte-Welt-Land kann rechtswirksam
zustande gekommen sein, und doch könnte das Bestehen der Gläubiger auf
vollständiger Tilgung des Darlehens und Zahlung der vereinbarten Zinsen
moralisch nicht zu rechtfertigen sein.
(Allerdings ließe sich auch eine
rechtsförmige Regelung des Schuldenerlasses für das Dritte-Welt-Land denken. Das
neue Konkursrecht könnte da einige Anregungen geben.)
Verbindlich
gesetzte Rechtsnormen können den Individuen jedoch Planungssicherheit geben und
ihnen damit die Verfolgung langfristiger Zielsetzungen ermöglichen. Das kann ein
rein moralisches Normensystem nicht. Aus Gründen der Planungssicherheit sollen
z.B. Gesetze nicht rückwirkend erlassen werden („Keine Bestrafung ohne
bestehendes Gesetz!“, „Vertrauensschutz“ ). Rechtsnormen werden deshalb
ausdrücklich ab einem bestimmten Datum in Kraft gesetzt und gelten nur innerhalb
der Staatsgrenzen. Moralische Normen, die hier gelten aber zwei Kilometer weiter
nicht, oder die seit heute gelten aber gestern noch nicht wären dagegen absurd.
Mein Fazit ist, dass sich die moralische und die rechtliche Ordnung ergänzen
müssen, weil jede Ordnung Unterschiedliches leisten kann.
Gruß Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete
am 07. Mai 2003, 18:19 Uhr
Hallo Eberhard -
ich glaube ihr habt
die Rechnung ohne den Wirt gemacht.
In Eurem Fall ohne die Wirtschaft.
Recht und Moral lassen sich meist erst dann einsetzen, wenn das
"Entwicklungland" sozial frei ist,bzw. auf dem Weg dahin.Denn sonst ist es alles
egal was rundherum ist, was zählt ist der Hunger!
Die Verantwortlichen -
nämlich die reichen Industriestaaten haben Recht und Ordnung, und auch eine
gewisse Moral, aber nur zu ihrem Vorteil. Die Katze fängt beim Kopf zu stinken
an!
Nicht nur der einzelne Bürger sondern vor allem der Staat (bzw. die
Regierung) der das Wissen und die Macht hat etwas zustande zu bringen hätte die
Pflicht sich darüber Gedanken zu machen. Man kann den Bürger nicht in die
Pflicht nehmen ein Hilfsprogramm auszuarbeiten, aber ich kann ihn bei der
Ausführung verpflichten.
Margarete
Titel: Re: Ist Ethik
ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 08. Mai 2003, 04:15 Uhr
Hallo Eberhard,
piano, piano, ich wollte dir nicht auf die Zehen
steigen mit dem heißen Brei. Welcher Ordnungsruf ist fällig?
Nein nein,
jetzt sind wir da, wo ich hin will. Bei der Ethik-Diskussion.
Es ist richtig,
dass die Rangfolge ausformuliert werden muss. Ob vorher oder nachher ist eine
Frage der Methodik. Nebenbei, in der Erstellung von Gesetzen wird ja ähnlich
vorgegangen. Dass es ein schwieriges Feld ist, ist mir klar. Schließlich
arbeitet ein Rattenschwanz von Experten schon einige Zeit an diesem Problem und
ein Ende ist nicht absehbar. Doch das mögliche Auftreten von Schwierigkeiten
hast du ja in deinen I.D.-Kriterien nicht als Hinderungsgrund aufgeführt.
Ich denke, eine andere Vorgehensweise ist effektiver. Man stellt einen
Aspekt in den Raum. ZB. Soziale Gerechtigkeit, Globalisierung ,
Umweltschutzmaßnahmen usw. Dann setzt man bestimmte Normen, die zunächst
plausibel erscheinen und prüft daraufhin, in wieweit sie mit den bereits
vorhandenen kompatibel sind und ob sie das gesetzte Staatsziel verletzen. Dann
ergibt sich die Hierarchie von selbst.
Also Beispiel Globalisierung: Sind
die Kriterien des Freihandels, so wie ihn die WTO sieht, moralisch akzeptabel?
Ich denke, mit dieser Diskussion entsprechen wir auch den Intentionen von astra
und Margarete.
Zum Thema heißen Brei: Wie beurteilst du mein Gemeckere
über deine "Pareto-Optimalität"?
Gruß HP
Titel: Re: Ist
Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 08. Mai 2003, 09:36
Uhr
Hallo an alle,
Thema 3. Welt, ein hübsches Problem.
Wieso
bitte schön sind die reichen Industriestaaten für das, was in der sogenannten
Entwicklungspolitik geschieht, allein verantwortlich? Wieso haben sie die
moralische Verpflichtung, den dort herrschenden Hunger einzudämmen?
Ich
denke, wir müssen uns entscheiden. Wenn wir hier eine allgemein gültige Moral
erstellen wollen, dann müssen sich auch die Herrschenden der sogenannten
Entwicklungsländer daran gebunden halten. Wenn wir dagegen eine
deutsch-österreichische Moral entwickeln wollen, dann müssten wir nicht den
Erhalt der Menschheit, sondern den Erhalt der Deutschen und Österreicher als
moralisches Credo einführen.
Ich gehe zunächst einmal von der ersten
Annahme aus. Dann kann man nicht argumentieren, ja, die da "unten" haben Hunger,
also müssen wir erst mal Lebensmittel schicken. Das ist blinder Aktionismus, der
zwar dem einen oder anderen ein gutes Gewissen beschert, aber kein Problem löst,
sondern es nur vergrößert. Wir müssen uns vielmehr grundsätzlich überlegen,
woher kommt das Problem. Und hier spielt zum einen die Gier der 1. Welt nach
billigen Rohstoffen, zum anderen aber auch die Gier der 3. Welt nach dem
Lebensstandard der 1. Welt die entscheidende Rolle.
Argumentiert man
aber so, dass man sagt, auf die Entscheidungen der Herrschenden in der 3. Welt
haben wir ohnehin keinen Einfluss, sie tun auch nicht das, was für ihr Land gut
ist, sie absetzen können wir auch nicht, also machen wir das Beste für u n s.
Ich halte diese Denkweise dann nicht für grundsätzlich falsch.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete
am 08. Mai 2003, 10:20 Uhr
Hallo Hanspeter -
Gerade wenn wir eine
allgemein gültige Moral entwickeln wollen, dann kann ich nach der Kant'schen
Vernunft nur das wollen, was alle wollen können.
Z. B. dass alle Menschen die
Grundbedürfnisse befriedigen können.
Natürlich muss bei den wichtigsten
begonnen werden, der Hunger gestillt, die med. Versorgung usw., dabei kann es
aber nicht bleiben im gleichen Zug müsste man sich überlegen wo anzusetzen ist,
damit das Land in der Lage ist sich selbst zu versorgen.
Wie es jetzt
aussieht, geht es doch nur darum wie vernichte ich mein Kriegsgerät um wieder
neues produzieren zu können. das ist sicher keine Lösung.
Wer soll deiner
Meinung nach helfen, wenn nicht die großen Brüder? Wenn die Kleinen nicht in der
Lage sind das zu tun, d.h. sich selbst zu helfen.
Eine deutsch-österr.Moral
hatten wir schon einmal, das war nicht das non plus ultra?
Es ist einfach
anzuerkennen, dass es zwar um Ö oder D geht, beiden kann es aber nur gut gehen
wenn es auch den anderen gut geht!
Wer sagt, dass es auf die Herrschenden in
der dritten Welt keinen Einfluß gibt? Sie sind doch abhänging von den anderen
Ländern!
Einzig der Fanatismus ist nicht zu bekämpfen, der aber wiederum aus
der Armut und der Bildungslosigkeit resultiert, also indirekt wäre auch dieser
zu lösen.
Grüße M.
Titel: Pflicht zur Hilfe an die 3. Welt?
Beitrag von Eberhard am 08. Mai 2003, 22:55 Uhr
Hallo Hanspeter und
Margarete,
dem Vorschlag, über die Verpflichtung zur Hilfeleistung für
die 3. Welt zu diskutieren, stimme ich zu. (Es ist allerdings ein derart
komplexes und vielschichtiges Thema, dass unsere Unkenntnis und unser Dissens in
Bezug auf die Fakten so stark sein können, dass wir gar nicht zu den eigentlich
ethischen Fragen kommen.) Wenn wir ein konkretes Gebiet ethischer Fragen
herausgreifen, sollten wir uns die Mühe machen, unsere eigene Argumentation
kritisch zu analysieren. Das heißt,
dass wir die verschiedenen Fragen
sauber auseinander halten,
dass wir uns fragen, ob die vorgebrachten
Gründe von jedem andern nachvollzogen und geteilt werden können,
dass wir
die einzelnen logischen Schritte in unseren Argumenten transparent machen
uns die Art der aufgestellten Behauptungen bewusst machen,
dass wir
immer dann, wenn wir uns auf Fakten berufen, deutlich machen, woher diese Fakten
stammen.
Ich behalte mir also vor, die interessante bunte Diskussion von
Zeit zu Zeit durch graue methodische Reflexion zu unterbrechen.
In diesem
Sinne sollten wir uns als erstes über die Frage klar werden, die wir beantworten
wollen. Zentral scheinen mir vor allem folgende zwei Fragen zu sein:
1.
Bin ich als einzelner Mensch mit dem Lebensstandard Mitteleuropas in irgendeiner
Weise verpflichtet, durch Geldspenden oder praktisches Tun den Hungernden in den
armen Ländern der Welt zu helfen – und wenn ja, wie weit geht diese
Verpflichtung?
2. Ist die Bundesrepublik Deutschland in irgendeiner Weise
verpflichtet, durch finanzielle Zuschüsse oder praktische Entwicklungsprojekte
den Lebensstandard in den ärmsten Ländern anzuheben – und wenn ja, wie weit geht
diese Verpflichtung?
Dabei bedeutet die „Verpflichtung“ eines Subjekts zu
einer Handlung, dass das Unterlassen dieser Handlung dem Subjekt vorzuwerfen
ist.
Einverstanden? Womit wollen wir beginnen?
Gruß Eberhard.
p.s.: Zur Optimalität kommt demnächst eine Erwiderung, Hanspeter.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am
09. Mai 2003, 02:42 Uhr
Hallo Margarete,
das mit dem <was alle
wollen können> hatten wir ja gerade. Ich denke, du verwechselt die Erstellung
einer allgemein gültigen Moral mit der Lösung tatsächlich existierender
Probleme. Es gibt nun einmal derzeit Herrscher, die Dinge wollen, die andere
nicht wollen. Und so lange die nicht anders wollen, geht nichts.
Wenn
der Große Bruder in der 3. Welt den Hunger stillt und sie medizinisch versorgt,
es ihm aber nicht gelingt, die Bevölkerungsexplosion zu stoppen, dann löst er
das Problem nicht. Wenn du in Wien die Tauben fütterst und medizinisch
versorgst, darfst du nicht erwarten, dass sie damit rasch in der Lage sind, sich
selbst zu versorgen und im Gleichgewicht mit ihrer Umwelt zu leben. Ich weiß,
das hörst du nicht gern, aber es ist hat so.
Du schreibst, uns <kann es aber
nur gut gehen wenn es auch den anderen gut geht!>. Uns geht es schon ziemlich
lange gut und den anderen schon ziemlich lange schlecht. Denkst du da in
erdgeschichtlichen Dimensionen?
Ja, lasst uns fanatisch den Fanatismus
bekämpfen. Und vor allem die Bildungslosigkeit. Vielleicht wird dann auch die
erste Welt begreifen, dass 6 Milliarden Menschen nicht auf dem Level der BRD
leben können. Die Ökologen reden sich da schon lange den Mund fusslig.
Gruß HP
Hallo Eberhard,
habe gerade noch deinen Beitrag kurz
gelesen. Hast Recht, wenn du die methodischen Zügel ziehst. Detaillierte Antwort
folgt.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von
Hanspeter am 09. Mai 2003, 08:23 Uhr
Hallo Eberhard,
rufe zur
Geschäftsordnung, wenn du es für nötig hältst.
Meine Antwort zu deinen
beiden Fragen:
Ich fühle mich nur dann zur Hilfe verpflichtet, wenn der
Empfänger der Hilfe bereit ist, diese Hilfe anzunehmen und ferner bereit ist,
die Ursachen der Not zu bekämpfen. Anders formuliert, der Empfänger der Hilfe
muss die Kriterien und Normen der von uns zu entwickelnden, allgemein gültigen
Moral akzeptieren.
Das ist für mich die Grundbedingung jeder
Entwicklungshilfe. Gibt es Einwände gegen diese These?
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am
09. Mai 2003, 08:59 Uhr
Hallo Eberhard,
dank Dir für Deine
Antwort vom 4. Mai. Was ich da herausgreifen möchte ist folgendes, was mir
aufgefallen ist:
Es ist in mir der Eindruck entstanden, daß Argumente,
die sich sprachlich im Ausdruck direkt als Eigenschaft zeigen, (beispielsweise:
Ich werde geschlagen, das schmerzt.) nicht als Argumente zählen. Erst dann zum
Argument wird, wenn dieser Ausdruck im Eigenschaftlichen einen außerhalb von mir
stehenden Bezugspunkt erhält (beispielsweise, der Ast schlägt mir ins Gesicht,
das schmerzt.)?
Grüsse, Lina
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von margarete am 09. Mai 2003, 10:16 Uhr
Hallo
Eberhard, Hanspeter-
ich bin leider ein paar Tage auße Gefecht, wenn ich
dann noch Schritt halten kann, melde ich mich wieder.
Liebe Grüße
Margarete
Titel: Optimieren oder nicht?
Beitrag von Eberhard am
09. Mai 2003, 14:56 Uhr
Hallo Hanspeter,
Du wolltest noch meine
Antwort auf Deine Kritik an dem von mir vorgeschlagenen Kriterium der
Pareto-Optimalität hören. Noch mal zur Erinnerung: Ein Zustand ist solange nicht
optimal, wie es eine mögliche Veränderung gibt, durch die kein Individuum
schlechter gestellt wird aber zumindest ein Individuum besser. Dein „Gemeckere“
an diesem Vorschlag bestand nicht darin, dass dies Kriterium abzulehnen ist,
sondern dass dies Kriterium bereits überall erfüllt ist.
Du hattest
geschrieben: „Deinen Vorschlag: "Handlungen, die für mindestens ein Individuum
vorteilhaft sind und für niemandem nachteilig sind, sind erlaubt" akzeptiere ich
sofort, wenn du auch künftige Generationen mitberücksichtigst. Aber dies ist
kein (Staats-) Ziel. Ich glaube auch nicht, dass es irgend eine Handlungsweise
gibt, die zB von unseren Gesetzen verboten ist, aber deiner Forderung
entspricht. Weißt du ein Beispiel? Wie Margarete ja richtig erwähnte, haben wir
doch ganz konkrete Probleme wie Umwelt, Welthandel usw. Da hilft dein Ziel
überhaupt nicht, weil jedes relevante Gesetz für irgend jemanden nachteilig
ist.“
Ich gebe Dir darin recht, dass wir mit diesem Kriterium allein nicht
sehr weit kommen. Ich hatte es auch vor allem deshalb genannt, weil es relativ
unproblematisch zu sein scheint und so einen geeigneten Einstieg in die
Auflistung allgemein konsensfähiger normativer Kriterien ermöglicht. Das
harmlose Kriterium hat jedoch seine Tücken, je nachdem wie man bestimmt, was für
ein Individuum vorteilhaft oder nachteilig ist. Wenn man von der liberalen
Auffassung ausgeht, dass jeder (erwachsene) Mensch selber am besten weiß, was
für ihn von Vorteil oder Nachteil ist, so dürfte z.B. „Tötung auf Verlangen“
nicht generell unter Strafe gestellt sein, denn demjenigen, der sein Leben
beenden will, ist geholfen und anderen damit nicht notwendig geschadet worden –
dies zumindest dann nicht, wenn eine Handlung nicht bereits dann als Schädigung
eines Individuum angesehen wird, wenn diese Handlung nicht den moralischen
Einstellungen dieses Individuums entspricht. Entsprechend könnte man in Bezug
auf das Verbot der Ausstellung präparierter menschlicher Körper argumentieren.
Wo Interessenkonflikte bestehen und nicht nur Konflikte mit vorhandenen
Überzeugungen, kann nicht mehr optimiert werden, das ist richtig. Das Kriterium
entwickelt jedoch eine gewaltige Dynamik, wenn es mit der Anerkennung von
Eigentumsrechten verbunden wird. Dann ist – wieder unter der Voraussetzung, dass
jeder selber am besten weiß, was für ihn gut oder schlecht ist – damit das
Prinzip der Vertragsfreiheit impliziert: Wenn sich Individuen freiwillig einigen
und verpflichten, bestimmte Handlungen zu tun und gegenseitig bestimmte
Leistungen zu erbringen, so stellt das eine Optimierung dar. Die Vertragspartner
bekommen ihren Willen und das Eigentum anderer wird nicht angetastet (es sei
denn, es handelte sich um einen Vertrag zur Gründung einer kriminellen
Vereinigung oder ähnliches). Zu fragen bleibt allerdings, ob ein Dritter nicht
auch durch einen Vertrag geschädigt werden kann, auch ohne dass in seine
Eigentumsrechte eingegriffen wurde.
Mit der Kombination aus Eigentumsrecht
und Vertragsfreiheit haben wir also eine Marktwirtschaft und sofern Eigentum
auch an Produktionsfaktoren erworben werden kann, haben wir auch einen
weltweiten kapitalistischen Freihandel. Womit wir bei unserm exemplarischen
Thema „Der Weltmarkt und seine Folgen für die Länder mit gering entwickelter
Technologie“ wären.
Mal sehen, ob wir mehr können als dilettieren.
(Vielleicht gibt es ja bei Philtalk nicht nur Philosophen sondern auch Experten
für internationale Beziehungen, für Weltwirtschaft und afrikanische bzw.
lateinamerikanische Länder, die uns in empirischen Fragen notfalls korrigieren
können).
Gruß Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 09. Mai 2003, 16:23 Uhr
Hallo
Eberhard,
nachdem HP mir ja nun offenkundig zugegeben hat, daß er mich
ignoriert, möchte ich Dich (zumindest des Anstands wegen) bitten, mir zu sagen
daß (aus welchen Gründen auch immer, interessieren mich nicht) meine Fragen in
diesem Thread unerwünscht sind. Du würdest mir damit zumindest ein bisschen Zeit
sparen, in dem ich nicht diesen Thread öffnen muß, ich mir jegliche Mühe
ersparen kann, die Hoffnung zu hegen, hier in meinen eigenen Überlegungen
weiterzukommen. Denn von außen betrachtet sehe ich in Eurer Diskussion keinerlei
Problemlösungen, die ich irgendwo in der Realität anwenden könnte. Da wo die
Menschen um die es geht nicht gehört werden, ist Ethik tatsächlich ein sinnloses
Unterpfangen. Übrigens, noch vielen Dank, daß Ihr Euch um Allerweltsprobleme
kümmert und die kleinen Anregungen einfach übergeht, und daß gerade die Euch mal
nicht über den Kopf wachsen.
Grüsse, Lina
PS: Keine
Antwort bis zu Deinem nächsten Beitrag reicht auch!
Titel: Wollen können
im Sinne von Kant?
Beitrag von Eberhard am 09. Mai 2003, 17:59 Uhr
Hallo Margarete,
auch wenn Du ein paar Tage verhindert bist, noch eine
Stellungnahme zu einem Punkt, der mir wichtig ist. Ich hatte geschrieben:
Damit stellt sich die Frage nach allgemein konsensusfähigen Normen als die Frage
nach dem, WAS ALLE GEMEINSAM WOLLEN KÖNNEN, OHNE EINEM ANDEREN ZWANG AUSGESETZT
ZU SEIN ALS DEM ZWANG SICH ZU EINIGEN UND ZU EINEM KONSENS ZU KOMMEN.
Du
schreibst dazu: „Ich meine Zwang ist Druck, auch wenn ich ihn nur auf mich
selbst ausübe, so hat er nichts mit dem von Kant beschriebenen Willen zu tun.“
Dazu ein Klärungsversuch meinerseits. Mit dem „von Kant beschriebenen
Willen“ beziehst Du Dich wahrscheinlich auf den „Kategorischen Imperativ“, mit
dem Kant ein Kriterium für sittlich einwandfreies Handeln geben will. Kant
fordert darin: „Handle nur nach der Maxime, von der du zugleich wollen kannst,
dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“
Kants kritische Frage in Bezug auf
eine Handlungsregel lautet:
„Kannst DU wollen, dass alle diese
Handlungsregel befolgen?“..
Meine kritische Frage in Bezug auf eine
Handlungsregel lautet:
„Können ALLE wollen, dass alle diese Handlungsregel
befolgen?“
Mein Kriterium schließt also das Kantsche Kriterium mit ein und
geht darüber hinaus.
Ich hoffe, ich habe dem Königsberger Denker mit dieser
Interpretation nicht zuviel Gewalt angetan.
Gruß Eberhard.
Titel:
Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 10. Mai
2003, 02:02 Uhr
Hallo Eberhard,
1. Pareto. Im Prinzip klar. Sehe
dieses Argument auch bestenfalls als Instrument zur Feinabstimmung.
In
der Tat, die <liberale Auffassung, dass jeder (erwachsene) Mensch selber am
besten weiß, was für ihn von Vorteil oder Nachteil ist>, halte ich für
problematisch. Weniger beim Beispiel "Tötung auf Verlangen". Hier könnte man
lediglich argumentieren, mit seinem Tod schadet er den behandelnden Ärzten
(Patient weg = Geld weg) und womöglich auch Menschen, die er finanziell
unterstützte (Pension weg = Geld weg).
Ob das Prinzip, dass jeder selber
weiß, was für ihn gut oder schlecht ist, zutrifft, würden die Psychologen aber
sehr in Zweifel ziehen. Der depressiv strukturierte Mensch zeichnet sich ja
gerade dadurch aus, dass er sich mehr um das Wohl des Anderen sorgt, als um sich
selbst (Helfersyndrom). Aber dem kann man entgegnen, es ist ja in seinem
Interesse, wenn es dem anderen besser geht als ihm selbst.
Ein weiteres
Problem dieses Prinzips ist, so wie es aufgrund deiner Ausführungen verstehe,
das "Über-den-Tisch-ziehen". Theoretisch dürfte es das ja gar nicht geben, denn
jeder weiß, was für ihn am besten ist. Da es aber Unterschiede in der
Intelligenz gibt, hat das zur Folge, dass der Klügere (= Gerissenere) den
Löwenanteil bekommt, denn er weiß es besser.
Ganz allgemein frage ich
mich, ob eine moralisch relevante Handlung denkbar ist, die nicht auch einem
Menschen schaden kann.
2. Entwicklungshilfe. Ich denke, wir brauchen hier
keinen Spezialisten für Welthandel, da wir ja noch bei der grundsätzlichen Frage
ja oder nein sind. Zur Begriffsklärung vielleicht zwei Definitionen
Entwicklungshilfe B habe das Ziel, der Bevölkerung zu helfen.
Entwicklungshilfe W habe das Ziel, der eigenen Wirtschaft zu helfen.
Nehmen wir das Beispiel Brasilien, so kann man argumentieren, dieses Land hat,
moralisch gesehen, die katholische Kirche voll in der Hand, ergo ist für
Probleme, die sich aus dem Bevölkerungszuwachs ergeben, der Vatikan zuständig
und hat auch entsprechend zu helfen. Hier würde ich es problemlos akzeptieren,
dass ein Staat wie die BRD sich ausschließlich auf Entwicklungshilfe des Typs W
konzentriert.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 10. Mai 2003, 06:56 Uhr
Von
ALLEN kann wohl kaum die Rede sein. Da ist die Ausweichmöglichkeit "die die
Wollen" schon etwas realistischer. Die Frage in Anknüpfung an den kategorischen
Imperativ Kants bleibt, wie animiert man Menschen dazu etwas zu wollen. Nicht in
der Intelligenz sehe ich Defizite, sondern eben in diesem Wollen vielmehr nicht
wollen können oder müssen. Was die praktische Entwicklungshilfe angeht, wären
vielleicht unsere Psychologen und Pädagogen gefragt, dort tätig zu werden.
Lina
Titel: Moralische Gründe für Entwicklungshilfe
Beitrag von
Eberhard am 11. Mai 2003, 00:02 Uhr
Hallo Hanspeter,
Zur Frage nach
der Hilfe für die 3. Welt:
Ich hatte als Frage in Bezug auf das Handeln des
Einzelnen formuliert: „Bin ich als einzelner Mensch mit dem Lebensstandard
Mitteleuropas in irgendeiner Weise verpflichtet, durch Geldspenden oder
praktisches Tun den Hungernden in den armen Ländern der Welt zu helfen – und
wenn ja, wie weit geht diese Verpflichtung?“
Deine Antwort darauf lautet:
„Ich fühle mich nur dann zur Hilfe verpflichtet, wenn der Empfänger der Hilfe
bereit ist, diese Hilfe anzunehmen und ferner bereit ist, die Ursachen der Not
zu bekämpfen.“
Du bejahst also die Verpflichtung. (Du formulierst allerdings,
dass Du Dich verpflichtet „fühlst“, aber ich interpretiere das nicht als bloße
Beschreibung deines Empfindens sondern als Bejahung der gestellten Frage.)
Du knüpfst diese Bejahung jedoch an zwei Bedingungen:
1. Der Empfänger der
Hilfe muss bereit sein, diese Hilfe anzunehmen.
2. Der Empfänger der Hilfe
muss bereit sein, die Ursachen seiner Not zu bekämpfen.
Die erste Bedingung
kann man dahingehend interpretieren, dass Du der Regel folgst, dass eine Hilfe
zwar angeboten aber nicht aufgezwungen werden soll. Diese Bedingung wird man bei
dem Angebot einer finanziellen Hilfe wohl als erfüllbar ansehen können.
Hilfsgelder brauchte man wohl niemandem aufzwingen.
Die zweite Bedingung ist
schon schwieriger zu erfüllen, denn sie setzt einen Konsens über die Ursachen
der Not voraus, was in Bezug auf den Hunger in der 3. Welt eine komplexe
empirische Frage ist. Wenn ich dazu heranziehe, was Du an Margarete geschrieben
hast, so siehst Du die Ursache im übermäßigen Bevölkerungswachstum: „Wenn der
Große Bruder in der 3. Welt den Hunger stillt und sie medizinisch versorgt, es
ihm aber nicht gelingt, die Bevölkerungsexplosion zu stoppen, dann löst er das
Problem nicht.“ Man könnte als Ursache des Hungers jedoch auch die instabilen
politischen Verhältnisse, die mangelnde Industrialisierung, die ungerechten
Preisverhältnisse auf dem Weltmarkt, die Zerstörung der tradierten Kultur durch
den Kolonialismus oder die heftiger werdenden Naturkatastrophen (Dürre)
anführen.
Die Frage ist, welche allgemeine Handlungsregel Deiner Antwort
zugrunde liegt. Ich versuche einmal eine Formulierung dieser Norm, die – wie wir
uns ja bereits einig waren - personunabhängig formuliert sein muss, wenn sie
konsensfähig sein soll. Die Regel könnte lauten:
„Wenn ein Mensch über mehr
Mittel verfügt, als zu seiner Erhaltung nötig ist, und
wenn ein anderer
Mensch keine Nahrungsmittel besitzt und zu verhungern droht,
dann ist der
Wohlhabende moralisch verpflichtet, dem Armen die notwendigen Mittel zum
Überleben zu schenken.
Diese Verpflichtung entfällt, wenn der Arme nicht
bereit ist, die Ursachen seiner Notlage zu bekämpfen.
Diese Verpflichtung
entfällt auch dann, wenn die Beseitigung der Not des Armen neue Notlagen bei
anderen Individuen erzeugt.“
Habe ich Deine Handlungsregel in Bezug auf die
Verpflichtung des Einzelnen einigermaßen richtig formuliert?
In Bezug auf die
Verpflichtung des Staates sind die Handlungsregeln wohl analog. Hinzu kommt noch
die Regel:
„Die Verpflichtung zur Hilfeleistung entfällt außerdem dann, wenn
eine andere ebenfalls wohlhabende Institution (katholische Kirche in
Lateinamerika) die Notlage verursacht oder deren Beseitigung versäumt oder
verhindert hat. In diesem Fall ist zuerst diese Institution zuständig und
verantwortlich für die notwendigen Hilfeleistungen.“
Gruß Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am
11. Mai 2003, 00:53 Uhr
Gut, daß wir in einem freien Land leben. Es ist
absolut nicht meine Art mich jemandem aufzudrängen. Aber Eure
Institutionalisierung von Menschen legt den Grundstock zur Revolution. Und ...
mehr als Euch drauf hinweisen kann ich nun auch nicht mehr, wenn nichts weiter
als Ingnoranz zu erwarten ist. Ich sollte diese Diskussion vielleicht in der
Schublade ablegen: Zum Spass an der Argumentation mit ernstem Inhalt?!
Part erledigt
Lina
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 11. Mai 2003, 03:31 Uhr
Hallo Eberhard,
deinem analytischen Auge entgeht nichts.
1. Deine Interpretation der
Verpflichtung ist richtig. Die psychologische Begründung des etwas
unphilosophischen und zögerlichen "Fühlens" ist, dass mir eine rationale
Begründung dafür noch nicht eingefallen ist. Aber ich akzeptiere, dass das
ebenso wenig nötig ist, wie der Beweis, dass das was ich sehe, auch wirklich
existiert.
2. Deine Handlungsregel ist ohne Einschränkungen richtig. Ich
habe gegenüber Margarete nur eine mögliche Ursache erwähnt. Selbstverständlich
gelten auch deine, nicht nur möglichen, sondern sehr realen Ursachen,
gleichermaßen.
Danke, Eberhard.
Falls du diese Argumentation
teilst, fragt sich nun, wem gegenüber können wir Entwicklungshilfe vom Typ B
überhaupt gewähren? Oder müssen wir dieses Thema ad acta legen?
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von
ffloo am 11. Mai 2003, 18:58 Uhr
wenn ethik definitiv ein sinnloses
unterfangen wäre, dann würde zu dieser fragestellung nicht die größte anzahl an
einträgen in allen foren verfasst worden sein...
Titel: Fakten zum
Hunger in den unterentwickelten Ländern
Beitrag von Eberhard am 11. Mai 2003,
23:12 Uhr
Einige Fakten zur Problematik der Hilfe für die
unterentwickelten Länder.
Quelle: Encarta Enzyklopädie Standard 2003,
Artikel „Lebensmittelversorgung der Weltbevölkerung“ , Stichwort „Hungersnot“
Weltweit hungern 800 Millionen Menschen
Davon sterben jedenTag ca.
24.000 Menschen an Unterernährung.
Davon sind ungefähr drei Viertel Kinder.
Chronischer Hunger und chronische Unterernährung in großem Umfang können auf
weit verbreitete Armut, unzulängliche Nahrungsmittelverteilung oder ein im
Verhältnis zur Produktions- oder Versorgungskapazität einer Region
unverhältnismäßig starkes Bevölkerungswachstum zurückzuführen sein.
Afrika, wo es bereits in den siebziger und achtziger Jahren zu großen
Hungersnöten kam, könnte auch in den kommenden Jahrzehnten der am stärksten vom
Hunger betroffene Kontinent sein. Zu den Ursachen für diese Katastrophen zählen
Trockenheit, Desertifikation, arme Böden sowie zahlreiche Umstände, die die
Einführung moderner landwirtschaftlicher Methoden bisher verhindern. Hinzu kommt
ein schnelles Bevölkerungswachstum sowie die mangelnde Aufmerksamkeit mancher
Regierungen für die Probleme in der Nahrungsmittelproduktion.
Die
Hungersnöte in Afrika waren in den letzten Jahren jeweils dort am schlimmsten,
wo Krieg oder Unruhen herrschten, wie etwa im Tschad, im Süden des Sudans, in
Äthiopien, Moçambique und Somalia.
Zur Vorbeugung von Hungersnöten und
den Folgen der Fehlernährung sind jedoch weit komplexere Veränderungen notwendig
als Verbesserungen in der Saatgutzüchtung, der Lagerhaltung und bei den
Anbaumethoden die Lebensmittelversorgung. Diese betreffen u. a. die Verteilung
der Nahrungsmittel, die Verbesserung der Infrastruktur, Aufklärungskampagnen zur
gesunden Ernährung und dem maßvollen Verbrauch von Lebensmitteln sowie die
Familienplanung und die Erforschung der Ursachen von Insektenplagen, wie z. B.
durch Wanderheuschrecken.
Um eine bestimmte Menge an Kalorien in Form
von Fleisch zu erzeugen, muss ca. die 10fache Menge an pflanzlichen Kalorien
verfüttert werden.
China erzielte hinsichtlich der
Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung enorme Erfolge, indem es seine
Hauptaufmerksamkeit auf die Landwirtschaft und Geburtenkontrolle lenkte und
dadurch die Gefahr einer Hungersnot erheblich verminderte.
Seit 1960 hat
sich die Weltbevölkerung verdoppelt.
1999 überschritt die Weltbevölkerung
die 6 Milliarden-Marke.
Die jährliche Wachstumrate der Bevölkerung betrug
1995 - 2000 in den Entwicklungsländern 1,6 % und in den Industrieländern 0,3 %.
Gruß Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von ffloo am 11. Mai 2003, 23:20 Uhr
finde ich sehr gur,
eberhart, dass du mit deiner auflistung von fakten einen effekt des wachrüttlns
bewirkst. dadurch wird die wahre bedeutung des leides, egal ob es einen sinn hat
oder nicht, unmittelbar vor augen geführt und bewahrt den verwöhnten europärer
vor kleingeistigem geschnatter über dinge die den massenhaften tod anderer
verursachen...
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag
von ffloo am 11. Mai 2003, 23:25 Uhr
mist..."gut"...nicht "gur"..also
nochmal: ich halte es für furchtbar dekadent, naiv und weltfremd sich solche
fragen angesichts des vermeidbaren millionenfachen todes in den ärmeren anteilen
der weltbevölkerung zu stellen. gut, dass du hier einlenkst, eberhard!!!
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von ffloo am 11.
Mai 2003, 23:27 Uhr
*ähem* ich hoffe, eberhard, dass ich dich hier auch
richtig verstanden habe...*hüstel*
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 12. Mai 2003, 03:30 Uhr
Hallo
Eberhard,
was sagt uns das, was du da aus dem Encarta-Lexikon zitiert
hast?
Der meines Erachtens interessanteste Satz ist: <China erzielte
hinsichtlich der Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung enorme Erfolge, indem
es seine Hauptaufmerksamkeit auf die Landwirtschaft und Geburtenkontrolle lenkte
und dadurch die Gefahr einer Hungersnot erheblich verminderte.> Also, da haben
wir es. Ich glaube nicht, dass China so besonders viel westliche
Entwicklungshilfe bekam. Die Staaten sollen ihre Probleme selbst lösen und nicht
lethargisch auf westliche Wohltaten warten.
Und, ffloo, wenn du der
Meinung bist, die <Europäer mit ihrem kleingeistigen Geschnatter> (ich nehme an,
du bist kein Europäer) sollten sich diesen Problemen stellen, so steht nichts im
Weg, dass du auf jegliche Annehmlichkeiten verzichtest (Auto, Stereoanlage, gute
Ernährung, Kneipenbesuch etc.) und das Geld an die 3. Welthilfe überweist. Und
selbstverständlich für eine massive Steuererhöhung zugunsten der armen Negerlein
eintrittst. An stürmischer Begeisterung wird es da nicht mangeln.
Noch
etwas: Eberhard schreibt: Pro Tag sterben 24.000 Menschen an Unterernährung.
Also pro Jahr ca. 8,8 Millionen. Die Weltbevölkerung nimmt pro Jahr um ca. 80
Millionen zu. Nur so zum Vergleich.
Ganz anders sieht die Sache aus, wenn
es um ökologische Projekte geht, da der Schutz der Umwelt eine Angelegenheit von
globalem Interesse ist. So können zB die Drittweltländer zurecht eine westliche
Unterstützung bei der Einrichtung und dem Erhalt von Nationalparks fordern.
Gruß HP
Titel: Pflicht zum Spenden?
Beitrag von
Eberhard am 12. Mai 2003, 07:02 Uhr
Hallo Hanspeter und sonstige
Interessierte,
da ich für 2 Tage verreisen muss, vorher noch ein paar
„unfrisierte“ Gedanken zur moralischen Begründung der Entwicklungshilfe.
Generell gilt für mich der methodische Anspruch, dass ich allgemein
konsensfähige Argumente finde, denen also sowohl die gut versorgten
Mitteleuropäer oder Nordamerikaner als auch die Menschen in den
unterentwickelten Ländern zustimmen können. Deshalb darf ich nicht nur aus
„meiner Sicht“ und Interessenlage argumentieren, sondern muss mich auch in die
Lage der anderen hineinversetzen.
Zur Frage einer moralischen
Verpflichtung des Einzelnen zur Hilfeleistung.
Zu fragen ist einmal, ob es
sich um eine PFLICHT handelt oder ob eine solche Hilfeleistung eine moralisch
lobenswerte und vorbildliche Handlung darstellt, die aber dennoch freiwillig
bleibt. Beides muss unterschieden werden. Der aufopferungsvolle Einsatz der
Mutter Theresa für die Ärmsten mag lobenswert sein, doch wenn man ein solches
Handeln zur Pflicht machen wollte, so wäre das sicherlich eine moralische
Überforderung der meisten Menschen und kontraproduktiv.
Über den folgenden
Satz: „Wenn ein Mensch über mehr Mittel verfügt, als zu seiner Erhaltung nötig
ist, und wenn ein anderer Mensch keine Nahrungsmittel besitzt und zu verhungern
droht, dann ist moralisch vorbildlich, wenn der Wohlhabende dem Armen die
notwendigen Mittel zum Überleben schenkt“ ließe sich meiner Ansicht nach ein
allgemeiner Konsens herstellen. Wenn ein Individuum f r e i w i l l i g für
andere mehr gibt, als man von ihm verlangen kann, so ist ein Konsens leicht
möglich: Der Gebende ist einverstanden und die Empfangenden werden auch nichts
dagegen haben. Allerdings hätten wir dann nur eine moralische Bewertung aber
keine Norm.
Das Problem deutet sich schon in der Formulierung
„Verpflichtung zu schenken“ an. Genau genommen ist dies ein Widerspruch, wenn
„Schenken“ als „freiwilliges Übereignen von Gütern an andere“ definiert ist,
denn wozu ich verpflichtet bin, soll ich tun, ob ich es nun will oder nicht.
Eine Frage, die sich anschließt, lautet: „Ist es dann moralisch schlecht, n i c
h t zu spenden?“ Ließe sich darüber ein allgemeiner Konsens herstellen? Ich muss
die Frage erstmal offen lassen.
Die Pflicht zur Hilfeleistung steht im
Konflikt mit dem Eigentumsrecht: Warum soll jemand verpflichtet sein, von seinem
ehrlich und womöglich durch harte Arbeit Erworbenen an andere abzugeben?
Im
innerstaatlichen Bereich gibt allerdings eine derartige rechtlich normierte
Pflicht: einmal gibt es die Pflicht, Steuern zu zahlen, aus denen der Staat die
Sozialhilfe an Individuen ohne Einkommen und Vermögen bezahlt und sie so vor dem
Hunger schützt.
Und es gibt den Paragraphen im Strafgesetzbuch, der
„unterlassene Hilfeleistung“ unter Strafe stellt – übrigens eine der wenigen G e
b o t e im Strafrecht.
Ich muss leider hier abbrechen und hoffe, dass andere
zu den vielen offenen Fragen Ideen haben.
Bis hoffentlich bald Eberhard.
p.s. Hallo floo, offenbar bist Du der Meinung, alle Fragen seien schon
beantwortet. Selbst wenn es überflüssiges Geschnatter wäre, dann zeig mir die
Diskussionsrunde im Philtalk, die ihre Zeit sinnvoller verbringt. Warum sollten
wir aufhören und andere weitermachen - oder verlangst Du von uns mehr als von
den andern, nur weil wir ein besonders wichtiges Problem diskutieren?
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 12.
Mai 2003, 09:41 Uhr
Hallo Flo,
die Länge dieses Threads weist in
keinster Weise auf die Wichtigkeit, den Sinn oder den sittlichen Nährwert hin.
Als Beispiel sei genannt, daß nun hier Fragen rund um das Thema "Spenden"
gestellt werden. Diese Problematik wurde aber bereits im Einzelnen unter einem
anderen Thema erörtert, obgleich auch nicht ausschöpfend. Bei Interesse suche
ich den link heraus, der, wenn Eberhard und HP ernsthaft an diesem Thema und den
Ansichten anderer in diesem Forum interessiert sind wohl Einklang finden wird.
Nach meiner jetzigen Sicht kann dieser Thread unendlich lang werden, weil kein
Ende abzusehen das mit der Frage im Verhältnis zu sehen ist. Und selbst wenn,
wird es rein subjektiv bleiben, weil gewisse Arten von Argumenten von vornherein
ausgeschlossen wurden bzw. trotz der Kenntnis davon nicht berücksichtigt wurden,
die aber deswegen noch lange nicht ungültig sind. Inweit die Seitenanzahl den
Diskussionsrahmen sprengt wären unter der Rubrik, Fragen und Vorschläge an
Philtalk zu stellen. Deine Antwort auf die Frage, Ist Ethik ein sinnloses
Unterpfangen? - Ethik ist kein sinnloses Unterpfangen! - damit zu begründen, daß
es nicht sinnlos ist, allein deshalb schon, daß sich hier Menschen getroffen
haben, die miteinander reden können, kann ich aus humanistischen Gründen
befürworten.
grüsse, Lina
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von ffloo am 12. Mai 2003, 23:08 Uhr
@eberhart:
wenn die frage, ob einem menschen in not zu helfen ist (für dich) eine ethische
frage ist und du diese frage mit "ja" oder "nein" beantworten würdest, dann wäre
die frage, ob ethik ein sinnloses unterfangen ist nur dann mit "ja" zu
beantworten, wenn du es auch für sinnlos erachten würdest einem menschen in not
zu helfen, d.h. wenn du obige(erstgenannte) frage mit "nein" beantworten
würdest.
@sheelina: schon klar, das die "barriere" der subjektivität
keien allgemeingültigen schlüsse zulässt...ein weiterer punkt, der die
berechtigung der diskussion in frage stellen könnte.
mfg flo
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 13.
Mai 2003, 02:06 Uhr
Hallo Eberhard,
ich nummeriere, dann wird die
Antwort leichter.
1. Begrenzung. Ich stimme deiner Forderung
uneingeschränkt zu, dass es bei der Suche nach konsensfähigen Argumenten keine
regionalen oder rassischen Schranken geben darf. Deine Forderungen für ein
Ideales Diskussionsforum gelten allgemein.
2. Moralische Verpflichtung.
Es ist ein großer Unterschied, ob ich konsensfähige Argumente suche oder mich in
die Lage der Menschen der 3. Welt versetze. Bedenke, der Mensch der 3. Welt
entspricht nicht deinen Kriterien eines idealen Diskussionsteilnehmers. Er wäre
es nur, wie du bereits festlegtest, <wenn jeder auf Argumente verzichtet, die
andere nicht nachvollziehen und nachprüfen können>.
Also kann ich sehr wohl
v e r s t e h e n, dass ein christkatholischer Südamerikaner eine
Geburtenkontrolle ablehnt oder ein Haciendabesitzer nicht bereit ist, seinen
ererbten Grund und Boden aufzugeben, nicht aber b i l l i g e n. Daraus ergibt
sich: Wenn die relevanten Bewohner der 3. Welt nicht bereit sind, die Ursachen
für ihre Probleme wirksam zu bekämpfen, lehne ich Hilfe ab.
3: Dein Satz:
"Wenn ein Mensch über mehr Mittel verfügt, als zu seiner Erhaltung nötig ist,
und wenn ein anderer Mensch keine Nahrungsmittel besitzt und zu verhungern
droht, dann ist moralisch vorbildlich, wenn der Wohlhabende dem Armen die
notwendigen Mittel zum Überleben schenkt" ist für mich nicht konsensfähig. Es
ist für mich nicht vorbildlich, für das Überleben von Menschen zu sorgen, die
sich aktiv an der Vergrößerung der Ursache ihrer Not beteiligen und damit auch
aktiv an dem Ast sägen, auf dem ich selber sitze. In der Elektronik nennt man
das positive Rückkopplung, die nur in Ausnahmefällen erwünscht ist.
4.
Der Vergleich mit der Rechtssituation in der BRD ist problematisch. Zum einen
gilt für die Bewohner dieses Staates ein einheitliches Recht. Zum anderen ist
der soziale Ausgleich deshalb wünschenswert und geboten, weil in der Regel sich
jeder nach Kräften bemüht, die Ursache seiner Not zu bekämpfen. Zumindest sollte
das so sein. Dass es in diesem Land auch Sozialschmarotzer gibt - die Zahl der
Menschen, die in der BRD ungerechtfertigt Stütze kassieren, soll ja nach
Untersuchungen des Bundesrechnungshofs im zweistelligen Prozentbereich liegen -
ist bedauerlich und zu bekämpfen.
Das strafrechtlich festgelegte Gebot zur
Hilfeleistung habe ich in den meisten Fällen erfüllt, wenn ich die
professionellen Helfer alarmiere.
Noch einmal: Eine Entwicklungshilfe
vom B-Typ, deren Ziel es also ist, der Bevölkerung des Nehmerlandes zu helfen,
halte ich nur dann für gerechtfertigt, wenn auch von Seiten des Nehmers alles
getan wird, die vorhandenen Probleme zu lösen. Helfen zur Befriedigung eines wie
auch immer motivierten Helfersyndroms der Menschen in den Geberländern halte ich
für schädlich.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 13. Mai 2003, 06:14 Uhr
Hallo
Hanspeter und andere Interessierte,
ich hatte gesagt, dass die allgemeine
Konsensfähigkeit einer f r e i w i l l i g e n Hilfe für Notleidende kein
Problem ist. Fraglich bleibt die Begründung einer P f l i c h t zur
Hilfeleistung.
Ich lasse mich übrigens durch kein Gezeter davon abbringen,
nach dieser Begründung zu fragen.
Auch wenn vielen eine Sache gefühlsmäßig
noch so eindeutig scheint, bleibt es die Aufgabe des Philosophen, nach einer
„vernünftigen“ allgemein nachvollziehbaren Begründung zu fragen.
Wer Fragen
nicht zulassen will und wer Versuche ihrer Beantwortung stören und abwürgen
will, ist in einem philosophischen Diskussionsforum fehl am Platz.
Wer
meint, sie hier gestellten Fragen seien woanders schon lange beantwortet und
diese Diskussion sei überflüssig, der ist hiermit aufgefordert, diese
Erkenntnisse hier zu präsentieren und der Kritik auszusetzen. Ich bin darauf
sehr gespannt.
Nach dieser notwendigen Zwischenbemerkung weiter in der Sache:
Eine bedingungslose Pflicht zur Hilfeleistung ist meines Erachtens deshalb nicht
allgemein konsensfähig, weil dadurch die Motivation beeinträchtigt wird, sich
anzustrengen und die unvermeidlichen Mühen auf sich zu nehmen, eine nützliche
Leistung oder ein wertvolles Gut zu schaffen. Wenn ich weiß, dass es egal ist,
ob ich arbeite oder mich vor den Fernseher setze, ob ich sparsam bin oder die
besten Dinge verprasse, wenn ich weiß, dass ich die positiven oder negativen
Folgen meines Handelns nicht selber tragen muss, dann schwindet meine
Motivation, den mühevolleren Weg zu wählen. Und eine allgemeine „Drückebergerei“
und Verschwendung führt zu Ergebnissen, die sicher n i c h t allgemein
konsensfähig sind.
Dies ist auch meine Anmerkung zu Margaretes Position, der
ich grundsätzlich zustimme. Sie hatte geschrieben: „Gerade wenn wir eine
allgemein gültige Moral entwickeln wollen, dann kann ich nach der Kant'schen
Vernunft nur das wollen, was alle wollen können.
Z. B. dass alle Menschen die
Grundbedürfnisse befriedigen können. Natürlich muss bei den wichtigsten begonnen
werden, der Hunger gestillt, die medizinische Versorgung usw. Dabei kann es aber
nicht bleiben, im gleichen Zug müsste man sich überlegen wo anzusetzen ist,
damit das Land in der Lage ist sich selbst zu versorgen.“
Gruss Eberhard.
p.s. zu den letzten beiden Beiträgen später.
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von ffloo am 13. Mai 2003, 18:57 Uhr
@allgemeinheit: Zitat von HP: "Es ist für mich nicht vorbildlich, für das
Überleben von Menschen zu sorgen, die sich aktiv an der Vergrößerung der Ursache
ihrer Not beteiligen und damit auch aktiv an dem Ast sägen, auf dem ich selber
sitze."
diese phrase würde theoretisch korrekten inhalts sein, wenn das
"aktiv am Ast sägen" tatsächlich eine massen-suizidähnliche handlung währe. dies
ist allerdings in wahrheit die naivste und hanebüchendste interpretation des
circulus vitiosus der armut, wie er in den ländern der 3. welt scheinbar
unaufhaltsam fortgesetzt wird, die mir jemals vor augen gekommen ist...ich lach
mir echt einen ab! *looooooooool*
"sich AKTIV an der Vergrösserung der
Not beteiligen"? naiv gesehen stimmt das, HP, aber ist das ziel dieser AKTIVITÄT
tatsächlich die NOT? ...NEIN definitiv nicht. die armen schweine, die in diesem
teufelskreis der armut gefangen sind unternehmen alles um nur das überleben zu
ermöglichen und ihre lebensqualität zu maximieren, was trotzdem noch ein anblick
des jammers ist. dabei bleibt ihnen nur die wahl unmittelbar zu sterben oder dem
tod zu entgehen, wobei letztere möglichkeit nur derart wahrgenommen werden kann,
dass bei ihrer durchführung eine langfristige verbesserung der lage unmöglich
ist!
dazu kommt hinzu, dass es dort gruppierungen gibt, die sich ihre
lebensqualität gewaltsam sichern, was automatisch zur bildung von machtsrukturen
führt, die eine hilfe von aussen zusätzlich in ihrer wirkung dämpfen. AUSSERDEM
FEHLT ES DORT VORNE UND HINTEN AN AUFKLÄRUNG, DIE LEUTE WISSEN GAR NICHT MAL,
DASS SIE AN IRGENDWELCHEN ÄSTEN SÄGEN!
eine möglichkeit helfend
einzugreifen ohne fürchten zu müssen, dass man den ast abgesägt kriegt auf dem
man sitzt, ist das SUBSIDIARITÄTSPRINZIP, welches ja schon seit vielen jahren
teilweise mit erfolg praktiziert wird.
diese ganze diskussion mutet an
wie ein versuch ignoranz zu rechtfertigen.
warum sollte ich gleich ALLE
meine besitztümer aufgeben?
was ist denn dass für ein argument?
klar
bin ich auch nicht ständig damit beschäftigt mir gedanken über die not der welt
zu machen und klar gebe ich nicht wesentliche teile meines einkommens auf um die
not zu lindern...so wie die aller meisten von uns...aber ich versuche wenigstens
nicht meinen teil von ignoranz, den ich sicherlich nicht verleugnen kann und
will, auch noch in irgendwelchen völlig abwegigen theoremen und
inhaltsentstellten formulierungen zu cachieren, bzw. zu rechtfertigen.
was soll das denn werden? nehmen wir mal an jemand würde die diskussion
"siegreich" zu ende führen (was hier, wie sheelina richtig bemerkt hat
prinzipiell absolut unmöglich ist, weil ihr beide euch um eventuell auffindbare
konstanten der weltsicht herumschlängelt)...nehmen wir weiter an, die gefundene
konklusion wäre: "ethik ist ein sinnloses unterfangen, lasst die notleidenden
wegsterben, dann gehts uns allen besser, sind eh selber schuld"...soll das etw
der weissheit letzter schluss sein? wenn mann eine frage stellt sollte man auch
zur antwort stehen können und zu einer solchen antwort zu stehen ist ziemlich
starker tobak, wie ich finde!
Titel: Logik?
Beitrag von
Eberhard am 13. Mai 2003, 19:09 Uhr
Hallo ffloo,
eigentlich ist
Logik ja dazu da, die Sachen klarer zu machen. Bei Deinen halsbrecherischen
Schlüssen fühlt man sich eher wie im Verwirrspiel.
Ich versuche mal, das
Knäuel aufzulösen:
Bedingung A:Die Frage, ob einem Menschen in Not zu helfen
ist, ist für E. eine ethische Frage, die E. mit ja oder nein beantworten würde.
Notwendige Bedingung B:
E. erachtet es für sinnlos, einem Menschen in Not
zu helfen (= E. beantwortet die Frage: Ist einem Menschen in Not zu helfen? mit
nein)
Schlussfolgerung
Die Frage, ob Ethik ein sinnloses Unterfangen ist,
ist mit ja zu beantworten.
Diesen Schluss kann ich nicht nachvollziehen: Wie
kann aus Aussagen über E.s Meinungen eine Eigenschaft der Ethik (sinnlos)
folgen?
Richtig ist:
1. Ich halte Ethik für ein sinnvolles
Unterfangen insofern ich das Ziel aufstelle, die ethischen Fragen allgemein
nachvollziehbar und konsensfähig zu beantworten.
2. Zu den ethischen Fragen
gehört auch die Frage: Ist man verpflichtet, einem Menschen in Not zu helfen?
und ich versuche sie, unter diesem Gesichtspunkt zu beantworten.
3. Eine
unbedingte Pflicht, einem Menschen in Not zu helfen, halte ich nicht für
allgemein konsensfähig (siehe meinen vorigen Beitrag).
Wenn darin eine
logische Inkonsistenz liegen sollte, bitte ich um entsprechende
Hinweise.Solltest Du der Ansicht sein, dass die Barriere der Subjektivität keine
allgemeingültign Schlüsse zulässt, so sei bitte so konsequent und gib den
Anspruch auf, in irgendeiner Weise recht zu haben. Gruss Eberhard.
Titel:
Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von ffloo am 13. Mai 2003,
19:48 Uhr
...wenn die frage, ob einem menschen in not zu helfen ist (für
dich) eine ethische frage ist und du diese frage mit "ja" oder "nein"
beantworten würdest, dann wäre die frage, ob ethik ein sinnloses unterfangen ist
nur dann mit "ja" zu beantworten, wenn du es auch für sinnlos erachten würdest
einem menschen in not zu helfen, d.h. wenn du obige(erstgenannte) frage mit
"nein" beantworten würdest...
ich gebe zu, dass ich eine unzureichende
definition verwendet habe (ethische Frage=Ethik ist falsch). also folgendes:
"wenn die frage ob einem menschen in not zu helfen ethik ist und diese frage mit
ja oder nein zu beantworten ist..." (beantwortung der frage mit "nein" bedeutete
eben, dass ethik (im sinne einer anweisung) "nicht zu praktizieren" ist, dass
heisst ja wohl, dass sie als sinnlos bezeichnet wird)
ich werde mich
zukünftig aber gern raushalten, ich hasse die barriere der subjektivität
nämlich. insbesondere wenn diejenigen, die sich darauf berufen trotzdem für sich
in anspruch nehmen allgemeingültiges auszusagen, sobald es um nebulös definierte
begriffe geht. im übrigen berufe ich mich hier auf sheelina, die sagt, dass
logik in der philosophie mehr konsequentes denken ist als stures herunterleiern
von definitionen und aussagen...was ich nicht ganz ohne finde.
Titel:
Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 14. Mai
2003, 02:38 Uhr
Hallo Eberhard,
ich versuche, deinem Wunsch nach
einer Begründung einer Hilfspflicht nachzukommen.
Die einzige, für mich
plausible Begründung ist die der Gegenseitigkeit. Die Hilfspflicht impliziert ja
auch die Pflicht, dass einem selbst geholfen wird, was sicher fast jeder
irgendwie wünschen kann. Das aber hat zur Folge, dass die Hilfspflicht mit
zunehmendem Abstand (räumlich oder emotional) vom Betroffenen sinkt. Nicht ganz
zufällig spricht ja auch das Christentum von der Nächsten- und nicht einer
allegmeinen Menschenliebe. Ist die Gegenseitigkeit nicht mehr gewährleistet,
erlischt auch die Hilfspflicht. Die Gegenseitigkeit kann aber nicht nur durch
räumliche oder emotionale Nähe wahrscheinlich gemacht, sondern auch per Gesetz
verordnet werden. Damit gelingt es, eine sehr große Zahl von Menschen in die
Hilfspflicht zu nehmen und damit die Hilfssicherheit (= Sicherheit, im Falle
einer Not Hilfe zu bekommen) zu vergrößern. Damit erlischt aber die Hilfspflicht
gegenüber jenen, die nicht vom Gesetz erfasst werden.
Schwierig wird es,
wenn jemand argumentiert, ich bin wirtschaftlich auf so sicheren Füßen, dass ich
keine fremde Hilfe je in Anspruch nehmen muss. Das mögliche Argument, dass sein
Wohlstand auf moralisch schwachen Füßen steht, überzeugt nicht sehr, wenn er
argumentieren kann, es steht jedem frei, sich genauso zu verhalten. Auch wenn
ich diese Haltung nicht begrüße, ein rationales Gegenargument fällt mir nicht
ein.
Ich fürchte, rationale Argumentationen nur auf der Basis der Logik
führen in der Ethik nicht zum Ziel. Man braucht zusätzliche Axiome.
Gruß
HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von
Hanspeter am 14. Mai 2003, 06:37 Uhr
Hallo ffloo,
ich versuche
zumindest einmal, mit dir sachlich über dieses Problem zu diskutieren. Ich
denke, mit Emotionen kommen wir nicht weiter.
Warum konnten in den
Ländern der 3. Welt vor der Ankunft der Europäer Menschen über lange Zeit ohne
Entwicklungshilfe leben? Weil die Menschen dort im Gleichgewicht mit der Umwelt
lebten. Ihre Bevölkerungszahl wurde durch die vorhandenen Lebensgrundlagen
reguliert. Die damalige Zahl entsprach dem, was die Umwelt ermöglichte.
Warum herrscht in den Ländern der 3. Welt jetzt Hunger? Weil durch die 1. Welt
medizinischer Fortschritt, falsche Nahrungsmittelproduktionen und Raubbau an der
Umwelt eingeführt wurden, dadurch das dortige Gleichgewicht aus den Fugen
geriet, die Bevölkerungszahl anstieg und jetzt die dortige Umwelt die
existierende Zahl von Menschen nicht mehr ernähren kann.
Ein schönes
Beispiel dazu findet sich in Tansania. Dort existierte über Jahrtausende ein
stabiles Ökosystem rund um den Kilimandscharo. Durch die "Segnungen der
Zivilisation" setzte eine Überbevölkerung ein, die vorhandenen
Nahrungsressourcen reichten nicht aus, klugscheißerische Europäer hielten die
dort praktizierte Waldwirtschaft für nicht mehr zeitgemäß und rieten dazu, die
Wälder zu roden, kostbare Tropenhölzer wurden von Einheimischen verscherbelt.
Die Folge: Der Wald um den Kilimandscharo wird weniger, er kann nicht mehr das
Wasser speichern, in der Regenzeit wird wertvolle Erde weggespült und in der
Trockenzeit ist zu wenig Wasser da.
Hilft nun die 1. Welt mit
Nahrungsmitteln, erhöht sich die Bevölkerungszahl weiter, der Druck auf die
Umwelt aber auch, mit der Folge, dass immer mehr Menschen ihre eigenen
Lebensgrundlagen zerstören.
Hältst du das für wünschenswert?
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von
Sheelina am 14. Mai 2003, 07:07 Uhr
on 05/14/03 um 06:37:46,
Hanspeter wrote:
Hallo ffloo,
ich versuche zumindest einmal, mit dir
sachlich über dieses Problem zu diskutieren. Ich denke, mit Emotionen kommen wir
nicht weiter.
Sehr witzig HP, Denken und Emotionen gehören 1.
zusammen, das eine ohne das andere gar nicht denkbar, 2. geht es im Bereich der
Ethik doch gerade darum, Emotionen auch in Begriffe fassen zu können. 3. Bevor
solche Worte gebraucht werden wäre es sinnvoll diese erstmal abzuklären und 4.
Die Benutzung solcher Begrifflichkeiten läßt noch lange nicht darauf schließen,
daß man diese auch zum Zeitpunkt des Schreibens hat.
grüsse, Lina
Titel: Argumente verstehen und auch teilen können
Beitrag von Eberhard am
15. Mai 2003, 16:40 Uhr
Hallo Hanspeter,
offenbar hast Du mit
dem, was ich unter der „Suche nach allgemein konsensfähigen Normen“ verstehe,
noch Deine Probleme. Ich versuche deshalb im Folgenden, das Kriterium der
Konsensfähigkeit mit seinen Implikationen noch genauer auszuführen, auch auf die
Gefahr hin, wiederum einige zu bissigen Kommentaren zu reizen.
Ich hatte
hinsichtlich einer moralischen Begründung der Entwicklungshilfe geschrieben:
„Generell gilt für mich der methodische Anspruch, dass ich allgemein
konsensfähige Argumente finde, denen also sowohl die gut versorgten
Mitteleuropäer oder Nordamerikaner als auch die Menschen in den
unterentwickelten Ländern zustimmen können. Deshalb darf ich nicht nur aus
,meiner Sicht’ und Interessenlage argumentieren, sondern muss mich auch in die
Lage der anderen hineinversetzen“.
Du entgegnest darauf: „Es ist ein
großer Unterschied, ob ich konsensfähige Argumente suche oder mich in die Lage
der Menschen der 3. Welt versetze. Bedenke, der Mensch der 3. Welt entspricht
nicht deinen Kriterien eines idealen Diskussionsteilnehmers. Er wäre es nur, wie
du bereits festlegtest, <wenn jeder auf Argumente verzichtet, die andere nicht
nachvollziehen und nachprüfen können>.
Also kann ich sehr wohl v e r s t e h
e n, dass ein christkatholischer Südamerikaner eine Geburtenkontrolle ablehnt
oder ein Haciendabesitzer nicht bereit ist, seinen ererbten Grund und Boden
aufzugeben, nicht aber b i l l i g e n.“
Obwohl es nicht ganz eindeutig
gesagt ist, verstehe ich diese Sätze dahingehend, dass Du mit meiner
methodischen Regel nicht einverstanden bist. Du hältst es offenbar nicht für
sinnvoll, Dich in die Lage jedes Beteiligten hineinzuversetzen, um zu
entscheiden, ob jeder einer bestimmten normativen Regelung zustimmen kann. Wenn
Du Dich z.B. in einen katholischen Südamerikaner hineinversetzten würdest, dann
käme verständlicher Weise heraus, dass er eine Geburtenkontrolle ablehnt, und
damit wäre der Konsens schon unmöglich.
Ich habe aber mit dem
„Sich-hineinversetzen-in die-Lage-jedes-Beteiligten“ nicht gemeint, dass man
auch dessen vorab bestehenden ethischen Überzeugungen übernehmen soll. Die
tatsächliche „Lage“, in der sich ein Mensch befindet, lässt sich empirisch
beschreiben, ohne deshalb Bezug auf dessen Vorstellungen und Überzeugungen
nehmen zu müssen.
Es ist eher umgekehrt: Wenn jeder Beteiligte an seiner
bestehenden Überzeugung ohne intersubjektiv nachvollziehbare, von anderen nicht
nur verstehbare sondern t e i l b a r e Gründe festhält, dann kann der von allen
anzustrebende Konsens nicht erreicht werden. Daraus folgt, dass es m e t h o d i
s c h n i c h t z u l ä s s i g ist, an seinen Vor–Urteilen unabhängig von ihrer
Begründbarkeit festzuhalten. Jeder Teilnehmer an der diskursiven Suche nach
allgemein konsensfähigen Normen muss also bereit sein, die von ihm eingebrachte
Meinung und Überzeugung in Frage stellen zu lassen. Das heißt, er muss seine
Behauptungen anders begründen als mit dem lapidaren Hinweis, dass dies eben aus
seinem Glauben oder seiner Weltanschauung folge.
Soviel fürs Erste. Gruß
Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag
von Hanspeter am 16. Mai 2003, 14:44 Uhr
Hallo Eberhard,
ich
hoffe, ich habe nichts übersehen, aber ich vermute, deine 3 letzten Beiträge
sind identisch.
Du siehst Kritik, wo sie nicht vorhanden ist. An deiner
Methodik zweifle ich keineswegs.
Es gibt in meinen Augen einen
grundsätzlichen Unterschied zwischen "eine Handlung verstehen" und "eine
Handlung billigen."
Verstehen muss ich letztlich jede Handlungsweise, sonst
könnte man mir den Vorwurf mangelnden Verstands machen. Nicht aber billigen.
So kann ich es durchaus verstehen, wenn jemand seine Schwiegermutter umbringt,
weil sie ihn täglich piesackt. Verstehen heißt, sich empathisch in seine
Situation versetzen, wie er täglich die Arroganz des Hausdrachens verspürt, wie
seine Ehe untergraben wird, wie seine Aggression steigt und wie er dann wütend
auf den Tisch - und dann eben auch auf den schwiegermütterlichen Kopf haut. So
etwas kann man doch verstehen, nach dem Motto, nichts menschliches ist mir
fremd. Aber damit billige ich diese Tat nicht. Ich weiß, dass Unrecht handelt,
wer auf diese Weise das Problem löst.
Und genauso versetze ich mich in die
Welt eines christkatholischen Südamerikaners. Natürlich ist für ihn die
Geburtenkontrolle nicht konsensfähig, weil er diesen Konsens gar nicht sucht. Er
nimmt ja an diesem Diskussionsforum auch nicht teil. Übrigens könnte man als
Ergänzung zu deinen Diskussionsregeln explizit formulieren: Ideal ist eine
Diskussion, wenn jeder es unterlässt, sich auf höhere Mächte zu berufen.
Also noch einmal, keine Kritik an deinen Diskussionsregeln. Nur, man wird sich
halt mit diesen Menschen auseinandersetzen müssen, auch wenn denen keine bessere
Begründung einfällt, als die, "der Papst hat gesagt". Wir werden es nicht
verhindern können: Es wird Menschen außerhalb unseres Diskussionsforums geben.
Gruß HP
Titel: Keine bedingungslos Hilfspflivht
Beitrag
von Eberhard am 16. Mai 2003, 18:53 Uhr
Hallo Hanspeter,
danke
für den Hinweis. Ich habe die doppelten Versionen gelöscht. Jaja, die
(Computer-) Technik!
Noch einmal zurück zu einem früheren Beitrag: Ich
gebe Dir Recht mit Deiner Kritik an dem von mir vertretenen moralischen
Werturteil, dass jede Hilfeleistung gegenüber Notleidenden vorbildlich ist. Es
kann auch Verschwendung sein, jemandem, der wiederholt sein Geld verjubelt und
dann Not leidet, immer wieder mit Geldzuwendungen zu helfen. Insofern gilt das
positive Werturteil bezüglich der Hilfeleistung für Notleidende nicht
bedingungslos.
Du formulierst als eine notwendige Bedingung für die
Verpflichtung zur Hilfeleistung, dass der Notleidende sich nicht „aktiv an der
Vergrößerung der Ursache seiner Not beteiligt“. (Übrigens ist die mit so
farbigen Worten wie „Phrase“, „naiv“, „hanebüchen“, „Ignoranz“, „abwegig“,
„inhaltsentstellt“ drapierte Kritik von ffloo an Deiner Position kein Dissens in
ethischen Fragen, sondern es ist ein Dissens in faktischen Fragen über das, was
die Armen in den unterentwickelten Ländern wissen und tun und welchen Zwängen
und Einschränkungen sie dabei unterliegen.) Man könnte Deinen Gedanken
vielleicht allgemeiner formulieren in dem Satz. „Man soll einem Notleidenden
helfen, es sei denn, seine Notlage ist selbst verschuldet und er ist
diesbezüglich uneinsichtig.“
Im übrigen sehe ich für eine u n b e d i n g
t e Pflicht zur Hilfeleistung keine Konsensfähigkeit. Dann wäre man womöglich
dazu verpflichtet, einen Mörder aus der Not jahrelanger Gefängnishaft zu
befreien.
Gruß Eberhard.
Titel: Pflicht zur Hilfe nur bei
Gegenseitigkeit?
Beitrag von Eberhard am 16. Mai 2003, 22:46 Uhr
Hallo Hanspeter,
zur Frage, wie man die Pflicht zur Hilfeleistung
begründen kann. Du schreibst: „Die einzige, für mich plausible Begründung ist
die der Gegenseitigkeit. Die Hilfspflicht impliziert ja auch die Pflicht, dass
einem selbst geholfen wird, was sicher fast jeder irgendwie wünschen kann.“
Damit bin ich grundsätzlich einverstanden. Diese Norm könnte etwa lauten: „Wenn
jemand bemerkt, dass ein anderer sich in Not befindet, so soll er diesem helfen
(, es sei denn, die Not ist selbst verschuldet oder … oder …)“.
Diese
Norm ist „unparteiisch“ und ohne Bezug auf die Identität der Beteiligten
formuliert. Damit erfüllt sie eine notwendige Bedingung für die
Konsensfähigkeit. Nicht nur i c h bin zur Hilfeleistung verpflichtet, sondern es
sind auch alle andern mir gegenüber zur Hilfeleistung in Not verpflichtet. Eine
solche Verpflichtung zur Hilfeleistung erscheint mir eher allgemein konsensfähig
als z.B. die alternative Norm „Wenn sich ein Mensch in Not befindet, so ist man
nicht zur Hilfe verpflichtet, sondern jeder muss selber sehen, wie er aus dieser
Not wieder herauskommt.“
Als „Notlage“ werden schwerwiegende
Beeinträchtigungen und Gefährdungen einer Person bezeichnet. Dagegen wiegen die
Nachteile, die der helfenden Person zugemutet werden (z.B. dauert die
Hilfeleistung längere Zeit, der Helfer muss sein sonstiges Tun unterbrechen, er
macht sich seine Kleidung schmutzig ..) bei weitem weniger schwer. (Deshalb ist
auch niemand verpflichtet, die Not eines andern in einer Weise zu beheben, die
ihn selber in Not bringen würde.) Wer aber damit rechnen muss, dass er selber in
schwere Notlagen geraten kann, aus der andere ihn mit geringem Aufwand befreien
können – und das muss wohl jeder, der wird eine Verpflichtung zur Hilfe in
Notlagen bejahen. Eine Gesellschaft, in der Hilfe in Not geleistet wird, ist für
ihn besser als eine Gesellschaft, in der dies nicht getan wird.
Wenn ich
Dich richtig verstehe, so geht der Einzelne bei der Frage, ob er eine bestimmte
moralische Norm akzeptieren soll, von seinem Eigeninteresse aus, er fragt sich:
Ist es für mich besser, wenn die Norm x (Hilfspflicht) von allen befolgt wird
als wenn die Norm y (keine Hilfspflicht) von allen befolgt wird? Durch das
Kriterium des Eigeninteresses kommst Du zu der Beschränkung der Hilfspflicht auf
diejenigen, von denen man selber auch Hilfeleistungen erwarten kann. Du
schreibst: „Ist die Gegenseitigkeit nicht mehr gewährleistet, erlischt auch die
Hilfspflicht.“
Hier möchte ich ein Fragezeichen machen. Nehmen wir z.B.
einen Todkranken, der mir eine letzte Hilfeleistung mit Sicherheit nicht mehr
erwidern kann. Verliert er sein Recht auf Hilfe? Was ist mit von Geburt an
Schwerstbehinderten, die ihr Leben lang auf Hilfe angewiesen sind, ohne jemals
selber helfen zu können? Obwohl ich gefühlsmäßig sagen würde, dass es hier auf
Gegenseitigkeit nicht ankommt, bleibt doch die Frage, was die Begründung dafür
ist, auch diese Menschen mit einzubeziehen.
Hier tun sich noch einige
Probleme auf und es sind noch einige harte Nüsse zu knacken. Du stellst z.B. die
Frage: Was ist, wenn jemand so stark ist, dass er selber keine Hilfe nötig hat?
Auch dann würde sich unter dem Gesichtspunkt des Eigeninteresses keine
allgemeine Zustimmung zu einer Hilfspflicht ergeben. Unsere grauen Zellen haben
sicherlich noch genug zu tun.
Analytischen Scharfsinn wünscht sich und allen
Selbstdenkern Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 17. Mai 2003, 06:11 Uhr
Hallo
Eberhard,
es ist mir immer eine Freude, wenn auch andere mit dem Internet
nicht klarkommen. Man hält sich dann für nicht ganz so dumm.
Deine
Neuformulierung zum Hilfeleistung: "Man soll einem Notleidenden helfen, es sei
denn, seine Notlage ist selbst verschuldet und er ist diesbezüglich
uneinsichtig." kann ich voll unterschreiben.
Die Frage bleibt, was
können und was sollten wir tun, um diese Probleme in den Griff zu kriegen. Die
3. Welt einfach in Ruhe lassen,
zu versuchen, sie zur 1. Welt umzuwandeln,
oder sie solange ausbeuten, bis nichts mehr zu holen ist?
Gruß HP
Habe gerade deinen zweiten Artikel kurz gelesen. Beim Todkranken ist die Sache
wohl einfach: Da er in dieser Gesellschaft zu Lebzeiten selbst aktiv Hilfe
geleistet hat, kommt ihm sozusagen die Frucht seiner Hilfstätigkeit zugute. Beim
Schwerbehinderten werde ich noch überlegen. Ist ein sehr heißes Thema, das
sicher wieder zu flo-artigen Kommentaren reizen wird.
Titel: Der
schwierige Konsens
Beitrag von Eberhard am 17. Mai 2003, 11:59 Uhr
Hallo HP,
ich will mal weitermachen mit der Begründung der Hilfspflicht
in Notfällen. Die Frage war: Warum sollte jemand, der in jeder Hinsicht so stark
ist, dass er nie auf die Hilfe anderer angewiesen sein wird, eine solche Norm
akzeptieren? Unter dem Gesichtspunkt seines Eigeninteresses wird er die Norm
nicht akzeptieren, da er immer nur der gebende Teil sein wird aber selber nichts
bekommt.
Du schreibst angesichts dieses Problems: „Ich fürchte, rationale
Argumentationen nur auf der Basis der Logik führen in der Ethik nicht zum Ziel.
Man braucht zusätzliche Axiome.“
Meine Antwort darauf ist: Wir haben bereits
eine über die Logik hinausgehende Prämisse. Dies ist das für alle
Diskursteilnehmer gemeinsame Ziel, nach einem zwangfreien argumentativen Konsens
zu suchen. Aus diesem Ziel ergeben sich weitere Regeln für die Argumentation.
Die Frage ist, ob diese Prämisse ausreicht. Ich habe da die Hoffnung noch nicht
aufgegeben.
Das Problem mit dem Starken, der keine Hilfe benötigt,
könnte man natürlich mit empirischen Argumenten angehen und sagen: Jeder kommt
mal in eine Notlage, in der er Hilfe braucht: er wird mal krank, verunglückt
usw. Aber damit ist das grundsätzliche Problem nicht gelöst, dass der moralische
Konsens umso schwerer wird, je unterschiedlicher die Individuen in ihren
Lebensbedingungen sind. Wenn man voraussetzen kann, dass alle Individuen in
ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten praktisch gleich sind, so ergibt sich eine
übereinstimmende Beurteilung der Normen. In diesem Fall ist auch die Regel
anwendbar: „Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem andern
zu!“ oder positiv formuliert: „Behandle andere so, wie Du von Ihnen behandelt
werden willst!“ Bei gleichartigen Bedürfnissen und entsprechend gleichartigem
Wollen der Einzelnen, kommt jeder zu den gleichen Resultaten und kann auf
einfache Weise die moralischen Regeln bestimmen, die allgemein konsensfähig
sind. Insofern handelt es sich hier in der Tat um „goldene“ Regeln.
Der
Konsens wird jedoch in dem Augenblick schwerer zu erreichen, wo die Individuen
in ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten unterschiedlich sind. Ein Beispiel: Wenn
Individuum A in Bezug auf Lärm sehr viel empfindlicher ist als Individuum B,
dann kommt es mit Sicherheit zum Konflikt zwischen den beiden, wenn A
hinsichtlich der Vermeidung von Lärm an sein Handeln die eigenen großzügigen
Maßstäbe anlegt. Ein Geräusch, das A kaum registrieren würde, kann B eine
schlaflose Nacht bereiten.
Ich mache mit dieser Darstellung des Problems
erstmal Schluss. Vielleicht hast Du Lösungsvorschläge. Gruß Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am
17. Mai 2003, 15:45 Uhr
Hallo Eberhard,
1. Thema
Schwerbehinderte.
Grundsätzlich gilt meines Erachtens die Linie: Hilfe
ja, wenn alle denkbaren Möglichkeiten zur Ursachenbekämpfung wahrgenommen
werden. Konkret:
A. Behinderung durch Unfall: Hilfe ohne Vorbehalt, wenn
möglich verstärkter Unfallschutz.
B. Behinderung durch Krankheit: Hilfe ja.
Falls die Krankheit aufgrund eines genetischen und vererbbaren Defekts beruht,
wäre eine Einschränkung der Fortpflanzung zu erwägen.
C. Behinderung schon ab
Geburt. Wenn die Mutter von dem Defekt aufgrund einer pränatalen Untersuchung
gewusst hat und eine Abtreibung möglich gewesen wäre, könnte man argumentieren,
dass für Hilfe solange wie irgend möglich die Mutter und nicht die Gesellschaft
heranzuziehen ist. Entsprechende Fortpflanzungsrestriktionen bei den Eltern sind
ebenfalls zu erwägen.
2. Der "Starke". Zunächst eine Klarstellung: Unter
Hilfe verstand ich bisher eine Zuwendung ohne Entgelt. Wenn der Starke krank
wird, braucht er zwar medizinische Hilfe, kann sie aber problemlos vollständig
bezahlen. Und ab einem gewissen Vermögen kann man eine Notlage, in der man Hilfe
ohne Entgelt benötigt, praktisch ausschließen.
Ja, da hilft weder der
kategorische Imperativ, noch der Volks-Kant (Was du nicht willst, dass man dir
tu...), wie du richtig analysiert hast. Ist wohl nichts mit dem Allgemeinen
Konsens. Aber vielleicht kommt dir noch die Erleuchtung.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina
am 17. Mai 2003, 17:13 Uhr
Bei allem Verständnis für Eure Gesprächsliebe
zueinander. Aber 1. gilt in Deutschland sowieso schon der Grundsatz "Hilfe zur
Selbsthilfe", 2. Sind persönliche Eingriffe des Staates in die Familie besonders
geschützt. 3. Greift Ihr in die körperliche Unversehrtheit ein. 4. Wollt Ihr aus
den mündigen Bürgern Trottel machen. 5. Der Begriff "Negerlein" (s.HP) gilt
mitlerweile als Rassistisch und 6. hege ich sowiesoschon eine ganze Weile den
Verdacht eines rassistischen Hintergrundes. 7. Aber ich kann hier nicht weiter
Gegenargumentieren, weil meine Antworten deshalb nicht erwünscht sind, weil sie
in die rassistischen Grundlagen greifen könnten und ich ggfls. die besseren
Argumente hätte.
Lina
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von ffloo am 17. Mai 2003, 18:06 Uhr
sehe ich
auch so! ihr zwei könnt ja mitglied in gung's verein werden, nur son' vorschlag.
Titel: Rassismus?
Beitrag von Eberhard am 17. Mai 2003, 22:36 Uhr
Hallo Sheelina,
unsere Frage lautet: Wie lassen sich allgemeingültige
Normen des Handelns bestimmen, die durch intersubjektiv nachvollziehbare
Argumente begründet werden können und insofern allgemein konsensfähig sind?
Bisher habe ich von Dir trotz zahlreicher Wortmeldungen noch keinen Beitrag
zur Beantwortung dieser Frage finden können. Aber vielleicht habe ich was
übersehen.
Da auch ich die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen habe,
sind meine Ansichten sicherlich korrekturbedürftig.
Du meinst, die
besseren Argumente für die Beantwortung unserer Frage zu haben. Im Philtalk gibt
es keine Zensur. Also, was hindert Dich daran, diese Argumente vorzutragen? Um
mich einmal „gebildet“ auszudrücken: HIc Rhodos, hic salta!
Apropos
„Zensur“. Deine Charakterisierung auch meiner Beiträge als „rassistisch“ ruft
förmlich nach einem Verbot, insofern Rassismus verfassungswidrig ist.
Für Toleranz und Meinungsfreiheit plädiert Eberhard.
Titel: Re: Ist
Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 17. Mai 2003, 23:14
Uhr
Eine Meinungsäußerung als "Zensur" zu bezeichnen, von der real nicht
ausgegangen werden kann, daß diese zu einer Sperrung der Diskussion führt, ist
lediglich das Abwehren der Nicht-Gewollten Argumente.
Meine letzten
Aussagen bezogen sich überwiegend auf HP`s Argumente, da Eberhard aber entweder
aus dauerhafter Solidarität, die grundsätzlich zu einem verklärten Blick führt
und daher kaum akzeptabel ist oder aus eigenen Überlegungen heraus Argumente,
die vielleicht nicht direkt in das Konzept passen, schlicht zumindest den
Eindruck vermittelt diese zu Ignorieren. Auch, wenn ich mich hier permanent
einmische, so bin ich doch auch nur ein Mensch, dem eine ständige Ignoranz nicht
so ohne weiteres auf Deutsch gesagt "am Arsch vorbeigeht", wie es bei Euch wohl
der Fall ist.
Lina
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 18. Mai 2003, 04:00 Uhr
Hallo
Eberhard,
ich hoffe, du hast meine bisherigen Äußerungen nicht als
rassistisch gesehen, was immer man darunter verstehen mag.
Wenn ja, teile es
mir mit, deine Kritik nehme ich Ernst.
Dass der Begriff Neger seit
einiger Zeit von irgendwelchen Menschen als diskriminierend angesehen wird, ist
wohl der Fall. Das gilt aber nicht für mich. Für mich ist er genauso wenig
diskriminierend wie der Begriff Indianer, Mongole usw. Die Ersatzbegriffe wie
Afroamerikaner oder Schwarzafrikaner treffen nicht und der Begriff "Schwarzer"
ist in bestimmten politischen Kreisen ebenfalls eine Diskriminierung. Jedenfalls
gibt es in der anthropologischen Fachliteratur sehr wohl den nicht
diskriminierenden Begriff der negriden oder negroiden Völker.
Da die
Geisteswissenschaften aber generell Schwierigkeiten haben, Begriffe eindeutig
und verbindlich zu definieren, erlaube ich mir, weiterhin wertneutral von Negern
zu sprechen.
Diejenigen, die meine bisherigen Ausführungen als
rassistisch interpretieren, erinnere ich an die Erkenntnis: "Wenn man überall
Dreck sieht, kann es auch an der Brille liegen".
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am
18. Mai 2003, 07:52 Uhr
on 05/18/03 um 04:00:38, Hanspeter wrote:
Diejenigen, die meine bisherigen Ausführungen als rassistisch
interpretieren, erinnere ich an die Erkenntnis: "Wenn man überall Dreck sieht,
kann es auch an der Brille liegen".
Gruß HP
= hinkende
Metapher, die erkenntnistheoretisch ersteinmal unter die Lupe genommen und auf
den Fall bezogen diskutiert werden müsste.
Schade lieber Hans-Peter, daß
Du mir so feindseelig gestimmt bist, das läßt meinen Sonntag nicht gerade im
besten Lichte erscheinen. Warum eigentlich? Und ... welche Norm, Ansicht,
Emotion hindert Dich daran, mir diese Frage zu beantworten?
Grüsse, Lina
Titel: The Moral Point of View
Beitrag von Eberhard am 18. Mai
2003, 10:25 Uhr
Hallo Hanspeter,
wir sind offenbar an einem
kritischen Punkt angelangt. Wenn der zwanglose allgemeine Konsens über Regeln
des Handelns an der Verschiedenheit der Individuen scheitert, dann kann es eine
allgemeinverbindliche normative Ordnung nur als Zwangsordnung geben, die
zumindest gegenüber bestimmten Individuen nicht gerechtfertigt werden kann. Wenn
man dies nicht will, dann muss man erweiterte Anstrengungen um einen Konsens
unternehmen.
Warum sollte also der „Starke“, der keine Hilfe benötigt,
einer moralischen Pflicht zur Hilfeleistung zustimmen? Von seinem Eigeninteresse
her sollte er dies wohl nicht. Doch ihm muss klar sein: Wenn er auf seinem
Eigeninteresse beharrt, dann macht er einen Konsens unmöglich, und das heißt:
die soziale Ordnung beruht auf Zwang.
Dann gibt es für diese Ordnung
aber auch keine argumentative Rechtfertigung, keine Legitimation mehr. Wenn der
„Starke“ stark ist, weil er ein großes Vermögen sein eigen nennt, wie Du sagst,
so fragt sich, was unter diesen Bedingungen noch „Eigentum“ heißen kann, wo die
vernünftigen Gründe fehlen, irgendein Recht zu respektieren, also auch nicht das
Eigentumsrecht. Wenn der argumentative Konsens als Ziel aufgegeben wird, gibt es
kein „Vermögen“ und kein Eigentum mehr sondern höchstens noch die faktische
Verfügungsgewalt über bestimmte Sachen.
Wenn der „Starke“ diese Konsequenz
nicht will, dann muss er jenseits seines Eigeninteresses nach konsensfähigen
Normen suchen. So wie der Einzelne um einer „vernünftigen“, d.h. argumentativ
begründbaren Ordnung willen darauf verzichtet, die konsensfähige Norm zu
verletzen, wenn dies in seinem Interesse wäre, so muss er um einer vernünftigen
Ordnung willen in einer zweiten Stufe darauf verzichten, die Normen nur unter
dem Gesichtspunkt seines spezifischen Eigeninteresses zu sehen.
Stattdessen muss er einen „allgemeinen“ Standpunkt einnehmen und die zur
Entscheidung stehenden Normen nicht nur unter seinem Interesse sondern unter dem
I n t e r e s s e a l l e r Betroffenen beurteilen. Das heißt: Bei seiner
Beurteilung der beiden normativen Alternativen „Hilfspflicht“ und „keine
Hilfspflicht“ darf es keine Rolle spielen, dass er zu den „Starken“ gehört. Er
muss also bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen von „Starken“ und
„Hilfsbedürftigen“ einen unparteiischen Maßstab anwenden: Er muss die durch die
Lage der Individuen bestimmte soziale „Interessenstruktur“ berücksichtigen. Es
darf jedoch keine Rolle spielen, w e r sich in welcher Lage befindet.
Daraus ergibt sich das Problem, wie man sicherstellen kann, daß sich jemand bei
seinem Urteil tatsächlich nur auf die soziale Interessenstruktur bezieht und
unberücksichtigt lässt, welche Position er selbst in dieser Struktur einnimmt.
Von einigen Autoren ist die Idee ausgearbeitet worden, die Verfolgung des
Eigeninteresses dadurch unmöglich zu machen, dass die Individuen bei ihrer
Entscheidung nicht wissen, welche soziale Position sie einnehmen werden. Da sie
dann damit rechnen müssen, u.U. die Position desjenigen einnehmen zu müssen, der
bei der betreffenden Norm schlechter wegkommt, werden sie eine Norm wählen, die
aus jeder Position gesehen akzeptabel ist. Wenn der „Starke“ also nicht weiß, ob
er später zu den „Hilfsbedürftigen“ gehört, wird er nach einer Norm suchen, die
auch für einen „Hilfsbedürftigen“ akzeptabel ist. Durch den Kunstgriff einer
(filtiven) Zufallsauswahl der sozialen Positionen (Harsanyi) oder einer
Ungewissheit über die Verteilung der Positionen (Rawls) wird die Orientierung am
Eigeninteresse gebrochen.
Ich hoffe, ich habe damit die Suche nach allgemein
konsensfähigen Normen wieder „flott gemacht“ so dass die Erkundungsfahrt weiter
gehen kann. Gruß Eberhard.
p.s.: Die Bezeichnung “Neger” (von ‚negro’ =
lateinisch ‚schwarz’) halte ich nicht für rassisch diffamierend, obwohl heute
eher von „Schwarzen“ oder „Farbigen“ gesprochen wird. Enthält der Satz: „Die
religiösen Gesänge der nordamerikanischen Neger werden als ‚gospels’ bezeichnet“
Rassismus? Mit Etikettierungen wie „rassistisch“ oder auch „faschistisch“ sollte
man vorsichtig umgehen, sie werden nur zu leicht zu bloßen
„Totschlagargumenten“. (Was anderes wäre es, wenn von „Niggern“ gesprochen
würde.)
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag
von Sheelina am 18. Mai 2003, 10:56 Uhr
Auch wenn die Bezeichnung
"Neger" von negro kommt und Schwarz bedeutet, bleibt es rassistisch anmutend,
weil diese Bezeichnung so den Menschen ausschließlich an seiner Hautfarbe
identifiziert. Es ist wohl etwas Anderes, zu sagen, daß ist ein Afrikaner,
analog, daß ist ein Europäer oder das ist ein Weißer. Einem aufgeklärten
Menschen dürfte dieser Gedankengang wohl nicht fremd sein.
Und jetzt
entschuldigt mich bitte, habe noch zu tuen.
Part erledigt.
Lina
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am
18. Mai 2003, 15:23 Uhr
Hallo Eberhard,
dass wir uns im folgenden
richtig verstehen. Ich spiele hier den advocatus diaboli, nicht den
Interessensvertreter der "Besserverdienenden".
In letzter Konsequenz
bedeutet die Idee Rawls meiner Ansicht nach, dass jeder jedem zu helfen hat und
demzufolge eine absolute soziale Gleichverteilung das Ziel sein muss, da ja
niemand im voraus weiß, ob er sein Dasein als Chef eines Industrieunternehmens
oder als Viehhirt in der Sahelzone zu gestalten hat. Dieser Zustand ist nicht
nur nicht machbar, selbst wenn er machbar wäre, kann man davon ausgehen, dass
bereits einen Tag später die Entwicklung zum sattsam bekannten Ungleichgewicht
einsetzen wird. Dahinter steht ja wohl der Wunsch, dass alle Menschen gleich
sind, was aber eben nicht der Fall ist. Daraus müsste man eigentlich folgern,
dass ein zwangloser Konsens letztlich eine Fiktion ist.
Nebenbei, ich frage
mich, warum zB. Ronald Reagan oder G. Bush diese Idee Rawls nicht in ihr
Wirtschaftsprogramm aufgenommen haben.
Du schreibst über eine soziale
Ordnung, die auf Zwang beruht: <Dann gibt es für diese Ordnung aber auch keine
argumentative Rechtfertigung, keine Legitimation mehr>.
Diese Meinung teile
ich nicht. Ich halte die Gewalt einer demokratischen Mehrheit als durchaus
akzeptabel und legitim.
Weiter schreibst du: <Wenn der "Starke" stark
ist, weil er ein großes Vermögen sein eigen nennt, wie Du sagst, so fragt sich,
was unter diesen Bedingungen noch "Eigentum" heißen kann, wo die vernünftigen
Gründe fehlen, irgendein Recht zu respektieren, also auch nicht das
Eigentumsrecht.>
Das verstehe ich nicht. Ich sehe keinen Grund, warum der
"Starke" überhaupt kein Recht mehr akzeptieren soll. Das Recht auf körperliche
Unversehrtheit wird er sicherlich aus gutem Grund vehement unterstützen. Und das
Eigentumsrecht sowieso. Zwar steht im Grundgesetz der Satz: Eigentum
verpflichtet (Artikel 14,2, wenn ich nicht irre), aber dieser Satz hat, wie so
mancher Satz des Grundgesetzes, kaum nennenswerten Einfluss auf die normale
Gesetzgebung. Wohingegen der Satz "Eigentum ermächtigt" nicht im Grundgesetz
steht, aber der Realität entspricht.
Auch der folgende Satz will mir
nicht einleuchten: <Wenn der argumentative Konsens als Ziel aufgegeben wird,
gibt es kein "Vermögen" und kein Eigentum mehr sondern höchstens noch die
faktische Verfügungsgewalt über bestimmte Sachen.>
Wir haben doch in der BRD
keinen argumentativen Konsens, aber sehr wohl Eigentum. Oder wie definierst du
Vermögen und Eigentum?
Ich denke, hier tut Klärung Not,
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von
Sheelina am 18. Mai 2003, 18:05 Uhr
OK, nachdem Antwort 306 von mir
unbeantwortet geblieben ist, ist mein Bild nun abgeschlossen. Es scheint eine
persönliche Fehde gegen mich und den Menschen zu sein. Das weitere Geschehen in
Folge läßt mich bereits jetzt ahnen was beabsichtigt ist und eigentlich wußte
ich es von Anfang an. Traurig, traurig ..... Ich werde Eure Diskussion nicht
weiter verfolgen.
good Luck
Lina
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von polymatheia am 19. Mai 2003, 05:46 Uhr
Hello everyone ;-)
I have only three short comments to the preceeding
discussion:
[bounce]
1) I claim there is no universal ethic. If there is,
state it. 2500 years of failure do not bode well for that enterprise.[smash]
2) This does not mean that 'ethic' is pointless. To venture into 'ethics' and
ethical problems is to ask oneself important questions. Any answers one might
arrive at,though, have only validity for oneself. That, in my view, does not
diminish their value. [bounce]
3) About the term 'Neger', or similar ones. A
term means and expresses what the user intends it to mean. So when person A
tells me that he or she does not define it in a derogatory manner, all that
really speaks against its usage is custom (which is local and ever-changing).
Also, let me mention that 'nigger' is the customary form afro-americans (the
currently politically correct term in the US, as 'black' increasingly falls out
of favor) refer to themselves and other afro-americans. The same term used by a
person of eurasian descent (anyone notice how bothersome political correctness
can be? 'white' is so much more convenient!) is of course highly derogatory in
the present local cultural setting.
In other words, take it easy people.
[sun]
Titel: Konsens oder Gewalt?
Beitrag von Eberhard am 19. Mai
2003, 18:51 Uhr
Hallo Hanspeter,
wir sind da bei ein paar sehr
kniffligen Fragen angelangt, die der geduldigen Klärung bedürfen. Ich schlage
vor, die strittigen Punkte nacheinander zu behandeln. Ob die Klärung gelingt,
weiß ich nicht, aber ich will es versuchen.
Ich hatte geschrieben: „Wenn der
Starke auf seinem Eigeninteresse beharrt, dann macht er einen Konsens unmöglich,
und das heißt: die soziale Ordnung beruht auf Zwang. Dann gibt es für diese
Ordnung aber auch keine argumentative Rechtfertigung, keine Legitimation mehr.“
Ich sage damit: Wenn jemand das Streben nach einem argumentativen Konsens in
Bezug auf einen Konflikt aufgibt, dann kann er seine Lösung des Konfliktes dem
anderen gegenüber nicht mehr „vernünftig“ begründen. Wenn er sie trotzdem
durchsetzt, so beruht sie für den andern nur auf Gewalt. Damit scheint es für
eine Konfliktlösung nur die Alternativen zu geben: entweder sie beruht auf einem
„erreichten allgemeinen Konsens“ oder sie beruht auf „Gewalt“.
Dem hältst Du
entgegen: „Ich halte die Gewalt einer demokratischen Mehrheit als durchaus
akzeptabel und legitim.“ Und Du betonst: „Wir haben doch in der BRD keinen
argumentativen Konsens.“ Du wehrst dich also gegen die obige Alternative und
sagst: Es gibt auch legitime Gewalt, die nicht auf einem erreichten Konsens
beruht, z.B. das mit staatlicher Gewalt ausgestattete, nach dem Mehrheitsprinzip
entscheidende gesetzgebende Parlament.
Der Widerspruch lässt sich meines
Erachtens auflösen, indem man zwischen verschiedenen Bedeutungen des Begriffs
„Gewalt“ unterscheidet. Wenn das Normensystem gegenüber bestimmten Individuen n
i c h t argumentativ gerechtfertigt werden kann, so handelt es sich für diese
Individuen um ein „Gewaltverhältnis“. In diesem Fall spreche ich davon, dass die
soziale Ordnung „auf Gewalt b e r u h t“. Mit „Gewalt“ meine ich also den nicht
durch Argumente zu rechtfertigenden Zwang.
Diese „Gewalt“ ist zu
unterscheiden vom argumentativ begründbaren, also gerechtfertigten Zwang, wie er
z.B. zur Durchsetzung der konsensfähigen Normen notwendig ist (Bestrafung von
Normverstößen ..). Vielleicht sollte man hier nicht von „Gewalt“ sprechen,
sondern von „legitimem Zwang“. (Im herrschenden juristisch beeinflussten
Sprachgebrauch spricht man allerdings von „Staatsgewalt“, „Gewaltmonopol“,
„Gewaltenteilung“, auch wenn es sich dabei um „legitimen Zwang“ im oben
definierten Sinne handelt).
Dies bedeutet: Nach diesem Sprachgebrauch ist
es also nicht ausgeschlossen, dass eine auf einem argumentativen Konsensus
beruhende Ordnung sich zu ihrer Durchsetzung der Anwendung von Zwang bedient.
Damit „beruht“ sie noch nicht auf Gewalt.
Dennoch bleibt die Frage, wie aus
einem Verfahren der Normsetzung, das ausdrücklich n i c h t auf die Erzielung
eines allgemeinen Konsens ausgerichtet ist, z.B. parlamentarischen
Mehrheitsbeschlüssen, dennoch legitime und akzeptable Normen hervorgehen können.
Die Gründe hierfür liegen in den notwendigen Eigenschaften des „idealen
Diskurses“. Der auf die Gewinnung allgemein konsensfähiger Antworten
ausgerichtete Diskurs produziert zwangsläufig keine definitiven Antworten, so
wie es in der Redensart vom „Streit der Gelehrten, der noch endlos gehen kann“
ausgedrückt wird. Die möglichen Zweifel und Einwände gegen eine Behauptung sind
schier unbegrenzt und es können jederzeit neue Argumente auftauchen und die
bisherigen Erkenntnisse korrigieren.
Wo es aber um soziale Koordination, um
Kooperation, um langfristige Pläne und deren sichere Verwirklichung geht, bedarf
es definitiver, für alle Beteiligten verbindlicher Festlegungen. Dies kann der
Diskurs nicht leisten. Aufgrund dieser Argumente ist es allgemein konsensfähig,
dass der Diskurs durch geeignete N o r m s e t z u n g s v e r f a h r e n
ergänzt werden muss, die innerhalb begrenzter Zeit und mit einem vertretbaren
Aufwand an Informations- und Entscheidungskosten normative Entscheidungen
treffen. Diese Entscheidungen beruhen nicht auf einem i n h a l t l i c h e n
Konsens und trotzdem muss deren Durchsetzung gegenüber den Individuen nicht
notwendig „Gewalt“ in dem oben definierten Sinne sein, weil diese Normen durch
ein konsensfähiges V e r f a h r e n gesetzt und damit legitimiert sein können.
Puh, das musst Du sicherlich zweimal lesen – aber leider konnte ich es nicht
einfacher formulieren. Ich hoffe aber, die Mühe lohnt sich, da es sich hier um
einen zentralen Punkt der ganzen ethisch-rechtlichen Problematik handelt.
Ansonsten wie gesagt: zu Deinen anderen Kritikpunkten später. Gruß Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter
am 20. Mai 2003, 04:27 Uhr
Hallo Eberhard,
ich hoffe, ich habe
dich verstanden.
Vielleicht ist es besser, den doch ziemlich eindeutigen
Begriff "Gewalt" im argumentativen Bereich nicht zu verwenden. Sprechen wir doch
einfach von "nicht konsensfähig". Wenn ich jemandem in einer Diskussion "nicht
Recht gebe", so ist es missverständlich, wenn ich stattdessen sage, ich habe ihm
Gewalt angetan. Vielleicht fällt dir ein besseres Wort anstelle von "nicht
konsensfähig" ein. Aber inhaltlich sind wir uns dank dieser Differenzierung
einig.
Ich sehe es also so: Die Argumentation des "Starken" ist nicht
konsensfähig, er steigt definitionsgemäß aus dem Idealen Diskussionsforum (I.D.)
aus. Wenn sich das I.D. auf eine Norm geeinigt hat und diese demokratische
abgesegnet ist, so ist nichts dagegen einzuwenden, wenn der "Starke" durch diese
legitime Gewalt in die soziale Ordnung eingebunden wird.
Dem zweiten
Teil deiner Argumentation würde ich im Moment nicht so ohne weiteres zustimmen.
Da hältst du von deinem I.D. weniger als ich. Warum soll dieses Forum nicht in
der Lage sein, für ein gegebenes Problem die bestmögliche Lösung zu finden, die
dann von allen Beteiligten akzeptiert wird? Wenn ein Normsetzungsverfahren ein
Problem lösen kann, sollte das I.D. doch viel eher in der Lage sein. Sonst wäre
es kein I.D.
D'accord?
Gruß HP
Titel: Moralische
Urteile nur für mich selbst?
Beitrag von Eberhard am 20. Mai 2003, 06:15 Uhr
Hallo polymatheia,
Du meinst, dass jede Antwort auf eine ethische
Frage nur für einen selbst Gültigkeit besitzt. Bedeutet dies, dass es keinen
Sinn macht, jemandem moralische Vorwürfe zu machen? Bedeutet dies, dass es
keinen Sinn macht darüber zu streiten, ob ein betimmtes Verhalten moralisch in
Ordnung war oder nicht? Und was ist mit der moralischen Erziehung von Kindern?
Gültigkeit moralischer Urteile für mich selbst ist wichtig, schon weil
ich an mich selbst vielleicht höhere Anforderungen stelle als an andere. Aber
wir machen im täglichen Leben ständig moralische Urteile (“Du denkst nur an dich
und auf mich nimmst Du gar keine Rücksicht!!!“), die von anderen akzeptiert
werden wollen – und ich glaube, das wir ohne sie nicht auskommen. Gruß Eberhard.
Titel: Folgen eines Abbruchs des Diskurses
Beitrag von Eberhard am
20. Mai 2003, 11:20 Uhr
Hallo Hanspeter,
nochmal zum Begriff
„Gewalt“. Als „Gewalt“ bezeichne ich etwas, was mir angetan wird, ohne dass ich
die Möglichkeit habe, dessen Berechtigung einzusehen. Wenn es für das, was mir
angetan wird, keine einsehbaren und nachvollziehbaren Gründe gibt, spreche ich
von einem „Gewaltverhältnis“. „Gewalt“ ist demnach „nicht zu rechtfertigender
Zwang“.
Es ist deshalb noch keine Gewalt, wenn ich im Diskurs jemand anders
„nicht recht gebe“. Dann halte ich ja nur eine andere Antwort auf die gestellte
Frage für richtig (d.h. für allgemein konsensfähig) als der andere. Gewalt
beginnt dann, wenn jemand den Anspruch „recht zu haben“ nicht mehr
aufrechterhalten kann, weil er das Ziel eines argumentativen Konsens aufgegeben
hat, aber trotzdem die Befolgung bestimmter Normen erzwingen will. In dieser
Situation wird von mir nur Gehorsam gefordert aber keine „vernünftige“ Einsicht.
Die Philosophie hat ihre Aufgabe erfüllt, wenn sie Gewaltverhältnisse als solche
identifiziert. Dagegen wehren kann man sich jedoch nicht mit Argumenten.
Wenn
sich der „Starke“ bei der Frage, ob es eine Pflicht zur Hilfeleistung geben
soll, nur von seinem Eigeninteresse leiten lässt, kann es keinen Konsens geben.
Wenn er dann darauf besteht, sich in seinen Tätigkeiten auch durch den Anblick
eines stark blutenden Verletzten nicht stören zu lassen, und der
„Hilfebedürftigen“ darauf besteht, dass der „Starke“ hätte helfen müssen, kommt
es letztlich zum Kampf.
Die Frage ist, ob sich der Kampf auf einen
Konfliktbereich begrenzen lässt oder ob damit einer konsensualen Ordnung
insgesamt der Boden entzogen ist. Ich meine, dass letzteres der Fall ist. Ein
Krieg lässt sich nicht auf ein bestimmtes Gebiet begrenzen. Damit ist der
ursprüngliche Grund für die Suche nach allgemein konsensfähigen Normen, die
Vermeidung von Gewaltherrschaft und „Krieg“ hinfällig geworden. Deshalb hatte
ich geschrieben, dass „dann die vernünftigen Gründe fehlen, irgendein Recht zu
respektieren.“ (Zwischenbemerkung: Deshalb muss für den idealen Diskurs die
Regel gelten: „Es darf keine Frage ausgeschlossen werden.“)
Du hast
geschrieben: „Ich sehe keinen Grund, warum der "Starke" überhaupt kein Recht
mehr akzeptieren soll. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit wird er
sicherlich aus gutem Grund vehement unterstützen. Und das Eigentumsrecht
sowieso.“
Das stimmt zwar, aber es nützt nichts, dass er bestimmte Normen
akzeptiert und hier am Ziel eines zwanglosen Konsens festhält, wenn wegen
anderer Konflikte Krieg angesagt ist.
Die Diskurs als Suche nach allgemein
konsensfähigen Antworten kann sich ja nicht des Mechanismus bedienen, mit dem
eine Rechtsordnung das Hereinbrechen von Kampf und Krieg verhindert. Im Recht
gilt eine Art Status-quo-Klausel die besagt, dass die bisherige Norm weiter
gilt, solange keine neue Norm gesetzt ist. Wenn also Dissens darüber besteht, ob
eine bestehende Rechtsnorm beibehalten oder geändert werden soll, so wird durch
diesen Dissens der Rechtsfriede nicht gefährdet, denn der bisherige rechtliche
Status quo gilt davon unberührt weiter.
Weiterhin wird die Möglichkeit
von „Lücken“ im Recht durch das Prinzip verhindert: „Was nicht verboten ist, ist
erlaubt“. Dadurch lässt das Recht keine Frage offen, d.h. wenn jemand ein
Gericht anruft und ein bestimmtes Recht fordert oder einen anderen verklagt, so
kann es nicht passieren, dass das Gericht ihm antwortet: „Wir können über Deine
Klage nicht befinden, da Recht und Gesetz darüber nichts aussagen.“
Soweit
erstmal. Habe ich mich verständlich gemacht? Die Schlüsse sind noch etwas
holprig und überprüfungsbedürftig. Gruß Eberhard.
Titel: Re: Ist
Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 21. Mai 2003, 01:40
Uhr
Hallo Eberhard,
dem ersten Teil deiner Argumentationskette
zur Gewaltdefinition kann ich im Prinzip zustimmen. Wobei ich ergänzend erwähnen
möchte, dass ich mit dem "nicht Recht geben" das Ausscheren aus dem Idealen
Diskussionsforum (I.D.) meinte.
Nicht nachvollziehbar ist für mich
dagegen, wenn du schreibst: < Die Frage ist, ob sich der Kampf auf einen
Konfliktbereich begrenzen lässt oder ob damit einer konsensualen Ordnung
insgesamt der Boden entzogen ist. Ich meine, dass letzteres der Fall ist.>
Warum so kompromisslos? Kriege müssen nicht immer Weltkriege sein. Daran kann
weder der "Starke", noch der "Hilfebedürftige" ein Interesse haben. Also wird
der Konflikt dort ausgetragen, wo er stattfindet und jeder wird seine Bataillone
in die Schlacht werfen. Aber deswegen können doch Bereiche, in denen Konsens
herrscht, unangetastet bleiben. Ich denke, das solltest du noch überzeugender
begründen. (Deiner Ergänzung zur Diskursregel stimme ich zu).
Ich
versuche, noch einmal meine Sicht kurz darzustellen. Wir haben ein I.D., in dem
versucht wird, über moralische Normen Konsens zu erzielen. Wird in einer Frage
kein Konsens erzielt, kann man den Konsensverweigerer ausschließen, da er ja nur
seine Eigeninteressen vertritt und sichn nicht an die Regeln hält. Da aber
schlussendlich das Problem gelöst werden muss, wird mit Hilfe des
Normsetzungsverfahren entschieden, wobei es naheliegt, den Konsens des I.D.
(ecxl. dem "Starken") zu verwenden. Da wir ja ein demokratisches
Normsetzungsverfahren voraussetzen, sehe ich keinen Anlass für einen Krieg.
Falls du nun dieses I.D. auf die gesamte Welt ausdehnen willst, wo ja ein
demokratisches Normsetzungsverfahren nicht möglich ist, kann es tatsächlich zu
einem Krieg kommen, weil der "Starke" sich durchsetzen will. Doch um was soll er
dort, wo Konsens vorhanden ist, kämpfen?
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von polymatheia am 21. Mai 2003, 03:33 Uhr
Hello Eberhard (and, i guess, Hans-Peter) ;-)
A few comments on your
post addressed at myself, and regarding your discussion with Hans-Peter.
1. I do believe you argue from a deeply conceived need for a moral basis for
your life and the decissions you have to make in it. While we all might feel
that way, this does not imply that there is, in fact, any such basis - that
there is any firm ground, any unshakable foundations of rightful action as one
might say. My claim in this regard is very simple: There is not. (sorry!)
This claim leaves me open of course for direct refutation. Simply state any
principle, system, or basis which is unimpeachable, and which will give us all a
difinite guideline as to how to act.
The only two ways in which I see that
you could approach this matter are:
1. You devise a de facto metaphysical
system, i.e. a 'religion', and derive your moral standards from the presumptions
inherent in the belief.
2. A legalistic approach - which as it appears to me
is what you and Hans-Peter try to work out at the moment.
The weakness of
1. should be obvious for anyone even remotely familiar with history and
anthropology.
The failure of approach 2. is, in my view (feel free to
convince me of the opposite :-) ), rooted in a confuscation of independent
realms. What 'law' is, or not is, or was, or will be, has nothing to do with its
moral standing (which, once more, should be not too surprising, given history or
anthropology).
Where does this leave us? Does this mean that any action
is as good as the other, or that everybody should be able to do as he or she
pleases? How come we do make moral decissions on a daily basis, if there is no
such thing as a universally valid moral system?
That we chose a stance on
something, for example in favor of a religion, does in no way show that there is
such a thing as a 'God' (or however we want to name 'it'). The same goes for a
'general valid system of moral judgement'.
This DOES mean, conduct will be
ordered by legalistic means - which has nothing to do with an unimpeachable
ethic, but is rather a product of historical, political and social
circumstances. Take something classical, i.e. the categorical imperative. I am
pretty sure, in one way or the other, we all here partaking in this discussion
could agree on making this our maxim of action. Does this make it in any way a
truely 'moral' dictum though, or is it not rather just one more example of
expressing our personal preferences by legalistic means?
This does NOT mean,
that there is no definite right or wrong, do's or don'ts. What it means is, that
we will not be able to show any system of values to be valid and compelling.
Ethic, and morality, thus remains a private venture.
As far as there is the
possibility of interpersonal discussion, it is not about the system of values
per se, but rather about logical mistakes in the systems when they are applied
to practical life. Take for example Peter Singer's approach in his animal
right's activism. He does not argue that his system is right, and theirs ( in
essence, those that make certain laws ) wrong, but rather that they have made
rational mistakes in drawing conclusions from their own premises.
I think
we have to stop hoping for a final truth, for some a priori knowledge we might
have missed thus far, for something or someone to tell us what to do. We chose
to do what we do for our personal reasons - and we can only hope we are right
(if there should happen to be a 'right'). [sun]
P.S.: As a more personal
remark, concerning your question about 'What to teach your children', I would
humbly suggest 'nothing, but an inquisitive mind, critical thinking and
empathy'. I am quite convinced that is the best one can do. ;-)
Titel:
Suche nach "letzen Wahrheiten"?
Beitrag von Eberhard am 21. Mai 2003, 19:24
Uhr
Hallo Polymatheia,
nehmen wir einmal an, wir hätten zwei mögliche
Normen für das Verhalten gegenüber Menschen in Not:
Norm A: „Wenn ein Mensch
in Not ist, so ist man zur Hilfeleistung verpflichtet, vorausgesetzt, die
Bedingungen x, y, z … sind gegeben.“
Norm B: „Wenn ein Mensch in Not ist,
dann sollte man die eigene Hilfeleistung an möglichst große Gegenleistungen des
in Not Befindlichen knüpfen.“
Wir stellen dazu zwei Fragen:
1. „Läßt sich
über eine der beiden Normen eher ein zwangloser allgemeiner Konsens herstellen
als über die andere?“
2. „Wenn das der Fall ist: Was sind die Gründe für die
unterschiedliche Konsensfähigkeit?“
Ich halte beide Fragen für sinnvoll und
es scheint auch nicht aussichtslos, sie zu beantworten.
Nicht mehr und nicht
weniger ist der Gegenstand der Diskussion. Deshalb kannst Du die Etiketten
(„final truth“ „a priori knowledge“) getrost wieder in die Schublade tun.
Grüße von Eberhard.
„Wo jeder etwas anderes meint, fehlt es an Wissen.“
Titel: Der Diskurs kennt keine Beschlüsse
Beitrag von Eberhard am 21.
Mai 2003, 22:08 Uhr
Hallo Hanspeter,
Die Frage ist: Kann der „Starke“
bei der „Pflicht zur Hilfeleistung in Not“ das Ziel eines allgemeinen Konsenses
aufgeben und sich trotzdem bei der „Respektierung der bestehenden
Eigentumsverteilung“ auf die – einmal angenommene - Konsensfähigkeit dieser Norm
berufen?
Ich vermute hier eine Inkonsistenz des „Starken“, ohne dies aber
ableiten zu können. Vielleicht handelt es sich auch um eine „Ungerechtigkeit“,
weil er sich „die Rosinen heraus pickt“ ??? Aber Du hast wahrscheinlich Recht,
wenn Du bezweifelst, dass aus der punktuellen Abkehr vom Ziel „allgemeiner
Konsens“ zwangsläufig ein totaler Konflikt entstehen muss.
Wichtig ist die
Klärung des Verhältnisses zwischen Diskurs und Normsetzung. Du schreibst: „Wir
haben ein I.D., in dem versucht wird, über moralische Normen Konsens zu
erzielen. Wird in einer Frage kein Konsens erzielt, kann man den
Konsensverweigerer ausschließen, da er ja nur seine Eigeninteressen vertritt und
sichn nicht an die Regeln hält. Da aber schlussendlich das Problem gelöst werden
muss, wird mit Hilfe des Normsetzungsverfahren entschieden, wobei es naheliegt,
den Konsens des I.D. (ecxl. dem "Starken") zu verwenden.“
Im Großen und
Ganzen kann ich dem folgen, doch möchte ich das Verhältnis zwischen Diskurs und
Normsetzungsverfahren noch etwas ausführlicher analysieren.
Der Diskurs als
Austausch von Argumenten, um zu „richtigen“ Antworten auf bestimmte Fragen zu
kommen, ist im normativen Bereich nicht wesentlich anders als im Bereich der
Erfahrungswissenschaften. Es handelt sich nicht um ein bestimmtes Gremium, das
über die Richtigkeit von Theorien Beschlüsse fasst, sondern es ist ein kaum
übersehbares Geflecht von Veröffentlichungen, Kritiken dieser Veröffentlichungen
und Gegenkritiken dazu. Dabei wird parallel zu den Sachfragen immer auch die
wissenschaftliche Methodik diskutiert, die am Ziel der Erkenntnis ausgerichtet
ist und die dazu dient, falsche oder problematische Argumentationsmuster als
solche zu kennzeichnen und durch Methodenkritik auszuschalten.
Aus diesem
Chor der wissenschaftlichen Positionen schälen sich dann gewöhnlich bestimmte
Theorien als die besseren heraus, ohne dass es darüber zu Beschlüssen kommt:
Über die Richtigkeit einer Antwort kann man nicht abstimmen. (Man kann höchstens
ein Meinungsbild herstellen.) Der Diskurs über eine Frage hat deshalb auch kein
bestimmtes Ende, sondern kann immer wieder neu eröffnet werden. Dies erklärt,
warum der tatsächlich stattfindende Diskurs keine endgültigen Resultate in Form
eines stabilen allgemeinen Konsens liefert. Trotzdem ist der Diskurs mit dem
Ziel eines zeitlich dauerhaften und von allen Verständigen geteilten Konsens
unverzichtbar.
Hier will ich erstmal Schluss machen. Zu den
Normsetzungsverfahren demnächst. Gruß Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik
ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von polymatheia am 22. Mai 2003, 05:33 Uhr
Good evening Eberhard :-)
To sum up your position very briefly
(as time sadly demands) so as to have a thread upon which to expand, if we have
two norms, A and B, then you want to ask:
'1. „Läßt sich über eine der
beiden Normen eher ein zwangloser allgemeiner Konsens herstellen als über die
andere?“
2. „Wenn das der Fall ist: Was sind die Gründe für die
unterschiedliche Konsensfähigkeit?“ '
I will disregard question 2, since
it has as its premise that question 1. can be answered in a fruitful manner,
which I will attempt to refute.
There is a plethora of objections
possible to this point of view, but I will try to keep it short (unlike some do
in other discussion threads I have seen here ;-) ):
a. How do you determine
what is more likely to be the more generally acceptable consensus? Are you
psychic? (And I hope you know what 'assume' stands for ;-) )
b. It follows,
from this line of argument, that the 'consensus' is what should be done. In
ancient Athens the majority consensus was that slavery is the right thing to do
- does this mean slavery was 'right' then? (not to mention that this would also
mean that how we answer ethical questions then would be a matter of when and
where we are in space and time) This of course leads as well into the well-known
paradoxes of democracy and freedom etc., especially if now you try to attempt a
way out by claiming that slavery involves 'zwang'. What if the 'free' chose to
be 'unfree' etc? I am sure you are familiar with this line of thought.
(Objections by the way which have been 'around' for 2500 years - and for 2500
years we can witness a failure to meet them appropriately and convincingly.)
c. The term 'zwanglos' is at best utopian, at its worst, dangerous. Even the
german constitution talks, if I do recall right, about 'wehrhafte Demokratie',
which would include the forceful resistance (armed if needed), if lets say some
50.1% suddenly voted a new 'Hitler' into control of the country. The impotence
of this 'zwanglos' doctrine, as I would like to call it, has been made
tragically obvious just recently in the utter failure, of Germany for example,
to have any influence on the course of history. While it may not be pretty, and
certainly nothing I personally enjoy or condone, it is a matter of fact that
falcons eat, and pigeons are eaten.
d. To answer the question in particular,
as to whether helping under these or those circumstances is better than in
others, it again presupposes that there is a worldwide common denominator - or
you would have to say that all your claims of standards apply only to the
western world, or to europe, or maybe only germany.. and who knows, maybe only
to you and your friends? (see for example American Scientist Vol.91 Nr.3 where
there is an intercultural comparison about helping - and as it turns out, there
are huge differences from city to city and from country to country as what is
perceived to be the 'right thing to do')
Ethics is a personal matter;
Laws are a public one. The standard of behaviour is and must be regulated
institutionally, whereas those standards do not always reflect the public
outlook of right and wrong, but are rather a matter of history, geography etc.
(just think for example, that while assisted suicide is illegal almost
everywhere, it is one of the main causes of death - which if you do not happen
to be in the medical profession, you can find confirmed in about every technical
journal I have encountered, and which was also one of the major points of 'pro
suicice' lobbyists in the Netherlands in favor of the recent reforms there.)
What you seem to be looking for is to derive, to express it in a more formal
manner, sentences stating a norm or decission from sentences stating facts (i.e.
about the world itself). This is logically impossible (as has been shown many
times before).
'Quo vadis, Eberhard' can only be answered by one person:
Eberhard [sun]
P.S.: Witty reply to my signature line! [applause]
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 22.
Mai 2003, 07:41 Uhr
Hallo Eberhard,
ich denke auch, dass das
Problem mit dem Starken darin liegt, dass er sich, wie du es freundlich
formulierst, <die Rosinen heraus pickt>, anders formuliert, dass man die Ursache
seiner materiellen Stärke doch einmal genauer unter die Lupe nehmen müsste. Also
ob zB Herr Breuer von der Deutschen Bank tatsächlich zu Recht soviel verdient,
wie über 2000 seiner Mitarbeiter. Dahinter steht natürlich die Frage einer
gerechten Verteilung der materiellen Güter, bei der aber mit Konsens wohl nie zu
rechnen ist.
Zum Verhältnis Diskurs und Normsetzung. Deiner Analyse
stimme ich zu, wobei mir wieder ein weiteres Postulat für das I.D. einfällt, das
allerdings unter Philosophen nicht ungeteilte Zustimmung erfahren dürfte,
nämlich dass der Wille vorhanden sein muss, zu Lösungen zu kommen. Oder präziser
formuliert, - dass die Diskussion nicht mit dem Hinweis auf Grundsatzfragen
torpediert werden darf, für deren Lösung es derzeit keine realistische Chance
gibt.
Hallo Polymatheia,
verzeih, wenn ich auf deine Ausführungen
nur sehr peripher eingehen kann. Mein Englisch, speziell mein philosophisches
Englisch ist sehr bescheiden. Auch steht mir im Moment kein adäquates Lexikon
zur Verfügung und eine ständige Nachfrage: Was meinst du mit... halte ich für
unfruchtbar. Wenn ich Passagen deiner Ausführungen verstanden habe, wird das
sicher in meine Antworten einfließen. Werte dies bitte nicht als Arroganz, aber
Fremdsprachen sind nun einmal nicht meine Sache.
Über die Frage, was
Ethik sei, empfehle ich dir die Ausführungen von Marcel zum Thema Natur vs.
Geisteswissenschaften, er brachte die bisher überzeugendste Definition.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag
von astra am 22. Mai 2003, 10:08 Uhr
[quote author=Hanspeter]
Zum
Verhältnis Diskurs und Normsetzung. Deiner Analyse stimme ich zu, wobei mir
wieder ein weiteres Postulat für das I.D. einfällt, ... nämlich dass der Wille
vorhanden sein muss, zu Lösungen zu kommen. Oder präziser formuliert, - dass die
Diskussion nicht mit dem Hinweis auf Grundsatzfragen torpediert werden darf, für
deren Lösung es derzeit keine realistische Chance gibt. [/quote]
wie
dringend notwendig die umsetzung dieses postulats ist, möge auch der folgende
text veranschaulichen, welchen mir kürzlich eine freundin, welche in der unido
arbeitet, anlässlich der national friendship week mailte:
[user] if we
could shrink the earth's population to a village of precisely 100 people, with
all the existing human ratios remaining the same, it would look something like
the following:
there would be
* 57 asians, 21 europeans, 14 from the
western hemisphere, both north and south, 8 africans
* 52 would be female, 48
would be male
* 70 would be non-white
* 70 would be non-christian
* 89
would be heterosexual, 11 would be homosexual
* 6 people would possess 59
% of the entire world's wealth, and all 6 would be from the united states
* 80 would live in substandard housing
* 70 would be unable to read
* 50 would suffer from malnutrition
* 1 (yes, only 1) would have a
college education.
when one considers our world from such a compressed
perspective, the need for acceptance, understanding und education becomes
glaringly apparent. [balloon]
grüsse, astra
Titel: Re: Ist
Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 22. Mai 2003, 12:29
Uhr
Hallo Astra,
die Tendenz dieser Statistik kannte ich in etwa,
die genauen Zahlen nicht, jedenfalls danke dafür.
Hast du auch noch andere
Zahlen? Zum Beispiel, wie hoch das Weltdurchschnittseinkommen, wie groß die
Weltdurchschnittsversorgung mit Nahrungsmittel usw. ist? Und wärst du dann
bereit, zu teilen? Wenn ja, so ehrt dich diese Haltung. Aber sie ist kaum
konsensfähig. Du brauchst dir ja nur das BRD-Hickhack um die Sozialversorgung
anzusehen. Und in deiner Heimat läuft es, was man so hört, auch nicht viel
besser.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 22. Mai 2003, 22:25 Uhr
hallo HP,
so schlimm
steht es doch gar nicht mit der Konsensfähigkeit.
Pauschale Erdstatistiken
sind allerdings in meinen Augen eher irreführend.
Das subjektive normale
Glücks- oder Zufriedenheitsgefühl mit den Umständen des Lebens beginnt übrigens
bei einem Jahreseinkommen von ca. 8000 Dollar im Jahr (natürlich nicht in
München). Darüber steigt es angeblich nicht mehr an.
Man hat beispielsweise
Lottogewinner verhaltenspsychologisch beobachtet und festgestellt, dass der Kick
mit dem vermehrten Zufriedenheitsgefühl schon nach 3 Monaten wieder den
Ausgangswert vor dem Lottogewinn erreicht.
Gruß
Paul
Titel: Re: Ist
Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 23. Mai 2003, 01:59
Uhr
Hallo Paul,
deine Meinung betreffend Erdstatistiken teile
ich, nicht aber die mit dem Glücksgefühl, das ab 8000 Dollar = Euro im Jahr
nicht mehr steigen soll. Das Einkommen der Psychologen, die das herausgefunden
haben, sollte man sofort auf diesen Wert reduzieren.
Die psychische
Situation von Lottospielern ist sicher anders, weil sie sich an die Droge Geld
nicht sukzessive gewöhnen konnten. Ich vermute aber, dass Walt Disney mit seinem
Dagobert Duck die Wirkung des Geldes auf die Psyche weit besser beschrieben hat,
als so mancher "Forscher" an der Psycho-Front.
Gruß HP
Titel: Re:
Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 23. Mai 2003, 02:31
Uhr
hallo HP,
wo bleibt deine Phantasie mit den glücklichen
Naturvölkern?
In Estland (war ich gerade) liegt das durchschnittliche
Monatseinkommen bei 200- 300 Euro.
Und denk mal etwas zurück in unsere eigene
Geschichte, waren die alle unglücklich?
Du streubst dich noch sehr über den
entscheidenden Fakt, dass Geld nicht glücklich macht, das ist tatsächlich Stand
der Wissenschaft.
Irgendwann wirst du auch noch drauf kommen (hoffentlich).
Gruß
Paul
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag
von polymatheia am 23. Mai 2003, 04:22 Uhr
Hallo auch :-)
Zwei
kurze Bemerkungen, eine zu Hans-Peter, eine als Beitrag zur Diskussion:
1.Schade Hans-Peter. Ich versuche im Normalfall eine einfache Sprache zu wahren
- nicht um fremdsprachliche Schwierigkeiten zu umgehen, sondern aus der
Ueberzeugung heraus, das klar zu sprechen bedeutet, so zu sprechen, dass es auf
die Worte nicht ankommt. Falls Du allerdings mal versuchen solltest meine
(ehrlich!) nicht schwierigen Beitraege zu lesen, schau mal unter
http://dict.leo.org. Das ist ein ausgezeichnetes Deutsch/Englisch online
Woerterbuch. :-)
2. I can only emphasise Paul's comments. There were, as
a matter of fact, several worldwide 'happyness' surveys, if I may call them
such, conducted over the last 40 years or so.
Some of the most noteworthy
were for example the one by the University of Michigan, and there was also an
interresting one by the Social Science Research Center in Berlin.
The
subjective level of 'well-being' was shown in these to be not correlated with
material possessions, and was also not determined (more interrestingly maybe) by
the political system. So for example were in the 90s people in China as happy as
people in Spain and happier as those in Portugal, while people in Columbia were
as happy as people in Germany or France etc etc. (See 'Subjective Well-Being
across Cultures', MIT-Press 2000).
[sun]
P.S.: Nice contribution
Astra! You happen to know any 1st hand source for this information?
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von astra am 23. Mai
2003, 09:47 Uhr
[quote author=polymatheia]
... There were, as a
matter of fact, several worldwide 'happyness' surveys... The subjective level of
'well-being' was shown in these to be not correlated with material
possessions... [/quote]
[user] ebenso interessant wie die von paul
und polymatheia gebrachten studienergebnisse zur korrelation zwischen wohlstand
und glück dürften wohl solche (psychologischen und soziologischen)
untersuchungen sein, welche sich damit beschäftigen, ob es einen zusammenhang
zwischen wohlstand und altruismus gibt.
im zusammenhang mit hanspeter's
frage, ob ich bereit wäre zu teilen, sind mir folgende beispiele eingefallen:
mir persönlich ist es jeweils in zeiten, in denen ich besser verdient habe als
etwa derzeit, wesentlich leichter gefallen, z.b. für katastrophenopfer, amnesty
international etc. zu spenden.
auf der anderen seite beobachtete ich im zuge
meiner früheren tätigkeit in der privatwirtschaft, dass gerade menschen mit sehr
hohem einkommen oft gar nicht auf die idee kommen, für mittellose und
notleidende menschen etwas zu tun.
ein erklärungsansatz: vielleicht haben
(natürlich nicht alle, aber doch überdurschnittlich viele) menschen, welche
selbst nie (am eigenen leib) mit armut und not konfrontiert waren, schlicht und
einfach kein sensorium dafür...? den bettler an der strassenecke und das
verhungernde kind in afrika scheinen sie wie lebewesen auf einem anderen
planeten zu erleben, die sie nichts angehen.
und schliesslich gibt es da die
gruppe jener mit durchschnittlichem oder unterdurchschnittlichem einkommen,
welche, auf die besagte frage ('würden sie teilen?') auf die reicheren
verweisen... 'warum gerade ich?' [ruffle].
ich teile hanspeter's ansicht,
dass wir nicht darauf warten können/sollen, bis die welt gerechter wird.
andererseits erscheint es mir für die lösung der ethik-fragen unverzichtbar,
nicht nur bei philosophischen theorien und juristischen rahmenbedingungen
anzusetzen, sondern auch bei menschlichen persönlichkeitseigenschaften.
wie kann der mensch, unabhängig von seiner lebensgeschichte und seinen
finanziellen ressourcen, geschult werden, mehr fähigkeit zu empathie, mehr
soziales verantwortungsgefühl zu entwickeln?
ist in einer gesellschaft, in
welcher macht regiert und coolness/oberflächlichkeit im vormarsch sind,
altruistisches verhalten überhaupt ehren- und lohnenswert? welchen stellenwert
hat SOLIDARITÄT in unserer gesellschaft?
grüsse, astra
p.s. zu
meinem gestrigen beitrag liegen mir keine weiteren zahlen und statistiken vor,
sorry!
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag
von Eberhard am 23. Mai 2003, 13:30 Uhr
Hallo Polymatheia,
ich will
versuchen Deine Einwände und Fragen zu beantworten:
1. Du fragst, wie man
feststellen kann, ob eine bestimmte Norm eher allgemein konsensfähig ist als
eine andere. Ich gehe von der Prämisse aus, dass ein Individuum einer Norm umso
eher zustimmen kann, je besser es bei allgemeiner Befolgung dieser Norm gestellt
ist. Dabei nehme ich an, dass auch Aussagen sinnvoll wie: Individuum S wird bei
Norm A schlechter gestellt als Individuum P bei Norm B. Zum Beispiel ist die
folgende Aufteilung von 10 Äpfeln auf die Individuen S und P (6 für S und 4 für
P) für P eher akzeptabel als die zweite Aufteilung (7 für P und 3 für S) für S
akzeptabel ist (Dabei sei angenommen, dass hinsichtlich Bedürftigkeit und
Leistung etc. zwischen S und P keine Unterschiede bestehen.) . Ich halte also
einen i n t e r p e r s o n e l l e n Vergleich in diesem Zusammenhang für
möglich.
2. Ich kann Deinen Einwand gegen die Forderung nach zwangfreier
Argumentation nicht nachvollziehen. Was wir beide gerade hier machen ist ja ein
solcher zwangfreier Diskurs. Ich halte diese Forderung im übrigen für eine
äußerst "potente" Waffe gegenüber Weltanschauungen, die Andersdenkende
verketzern, kriminalisieren oder "psychiatrisieren".
3. Deine Gegenbeispiele
zum Konsenskriterium treffen nicht, da es sich bei Athen oder der Weimarer
Republik nicht um einen allgemeinen Konsens handelte.
4. Wo habe ich aus
welchen rein faktischen Prämissen unzulässigerweise eine normative
Schlussfolgerung gezogen?
Auf die andern Punkte gehe ich später ein. Gruß
Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag
von Hanspeter am 23. Mai 2003, 15:15 Uhr
Hallo Polymatheia,
auch
an dieser Stelle herzliche Gratulation zu deinem hervorragenden Deutsch. Ich
rechne es dir sehr hoch an, dass du, ganz im Gegensatz zu deinem Großen
Häuptling, ein so positives Verhältnis zum Alten Europa hast. Jedenfalls freue
ich mich sehr auf deine Beiträge in deutscher Sprache.
Danke für den Tipp zum
Internet-Lexikon. Aber aus technisch/praktischen Gründen kann ich meine Beiträge
nur auf einem internetfreien Computer schreiben.
Hallo an alle
Altruisten,
ich denke, ich muss das mit der D r o g e Geld noch einmal
klären. Man kann ohne Drogen glücklich werden, wenn man aber einmal an eine
Droge gewöhnt ist, kommt man ohne diese Droge nicht mehr aus.
Natürlich weiß
auch ich, dass man mit viel weniger als mit 8000 Euro pro Jahr glücklich sein
kann. Aber nur dann, wenn man an mehr nicht gewöhnt ist. Sobald man aber sieht,
wie es sich mit mehr lebt, will man es auch. Und die Entzugserscheinungen sind
katastrophal.
Hallo Paul, warte es nur ab mit den Esten. Warum wollen die
denn in die EU? Weil sie mit ihrem jetzigen Einkommen zufrieden sind? Sicher
nicht. Und versuche doch einmal, deinen Kindern oder Enkelkindern mit dem
Hinweis auf deine Lebenssituation nach dem Krieg klarzumachen, wie glücklich man
ohne Auto, Computer, Fernsehen, Mobiltelefon usw. sein kann. Was sagen die dazu?
Die glücklichen Naturvölker waren nur in etwa glücklich, solange sie nicht
von den Europäern "aus der Steinzeit in die Neuzeit geführt wurden". Jetzt
gehören auch zu ihrem Glück die Attribute der Zivilisation. Selbst die letzten
Aboriginals sind dem Charme der australischen Sozialhilfe erlegen und denken
nicht mehr daran, mit Pfeil und Bogen auf Kängurujagd zu gehen, obwohl es diese
Tiere jetzt in viel größerer Zahl gibt als früher. Auch sie sind der Droge Geld
verfallen.
Nebenbei, Paul, ich rate dir, deine Beiträge auch an die Herren
Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu schicken. Deren Antwort würde mich ebenfalls
sehr interessieren.
Hallo Astra,
ich kann mir denken, dass du mich
einen gefühllosen Egozentriker, frei von Empathie und sozialem
Verantwortungsgefühl hältst. Aber mir hat immer noch niemand eine schlüssige
Antwort auf die Frage gegeben, wie der Transfer von Geld in die 3. Welt die
vorhandenen Probleme löst.
Gut, du spendest 100 Euro, nehmen wir sogar an,
sie kommen "dort unten" an. Du rettest einen Menschen vor dem Hungertod. Du
kannst glücklich und zufrieden mir dir sein. Ein Jahr später hält dir der
Gerettete nicht nur sich selbst, sondern auch sein Kind hin, ein Jahr später
sein zweites usw. Außerdem braucht er etwas zum Heizen und fällt die letzten
Savannenbäume, sodass die Wüstenbildung weiter fortschreitet usw. Dieser Mensch
wie auch seine Nachkommen werden nie auf diese Weise in die Lage versetzt, sich
selbst zu versorgen. Dann muss die Astra und all ihre Nachkommen immer diese
Menschen unterstützen. Und da es immer mehr werden (insgesamt zur Zeit 80
Millionen pro Jahr), brauchen wir immer mehr sozial denkende Astras. Ich halte
das für keinen Lösungsweg, weil er nicht die Ursachen bekämpft. Mit Empathie und
sozialer Verantwortung sind diese Probleme nicht zu lösen.
Vorausgesetzt, dass es Altruismus überhaupt gibt - ich persönlich bezweifle es -
ist er zwar offiziell ehrenwert - die Chance auf ein Bundesverdienstkreuz ist
nicht schlecht - aber er löst unsere Probleme nicht. Und eine Solidarität mit 6
Milliarden Menschen ist nicht möglich. Wer behauptet, dazu in der Lage zu sein,
lügt sich selbst was vor.
Dessen ungeachtet plädiere ich sehr wohl
dafür, die "Besserverdienenden" und "Bestensverdienenden", ob sie wollen oder
nicht, in die Pflicht zu nehmen. Aber nicht, um das Geld in die 3. Welt zu
schicken, sondern zB. um die Umweltsünden der 1. Welt zu korrigieren.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 23. Mai 2003, 16:02 Uhr
hallo HP,
>Dessen
ungeachtet plädiere ich sehr wohl dafür, die "Besserverdienenden" und
"Bestensverdienenden", ob sie wollen oder nicht, in die Pflicht zu nehmen.<
[cheesy] [cheesy] [cheesy] [cheesy]
Danke für deine Ehrlichkeit.
Du
bist wirklich etwas vernebelt von der "Droge Geld"
Keiner hat etwas dagegen,
wenn du anständig Moos machen willst, die Betonung liegt allerdings auf
anständig, das ist durchaus möglich. Das heißt du mußt irgend etwas vernünftiges
dafür leisten und nicht auf die "Besserverdienenden" schielen. Dann könnte es
sogar passieren, dass du an deiner Leistung (nicht an dem Moos) Spaß bekommst,
andersherum klappt es meist nicht.
Und mit Entwicklungshilfe sollte man sich
schon etwas seriöser auseinandersetzten als du.
Gruß
Paul
Titel:
Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von polymatheia am 23. Mai
2003, 23:43 Uhr
My dear Eberhard (not to exclude anyone else who wants
to chip in!) :-)
I wanted to actually address the points in order, until
I reread your post which might make this superfluous. After all, you have set a
premise, and I can simply attempt to nibble away on that a bit. [grin]
To
quote you: 'Du fragst, wie man feststellen kann, ob eine bestimmte Norm eher
allgemein konsensfähig ist als eine andere. Ich gehe von der Prämisse aus, dass
ein Individuum einer Norm umso eher zustimmen kann, je besser es bei allgemeiner
Befolgung dieser Norm gestellt ist.' - This is quite right. If you give
everything to me, I might just agree with it! ;-)
On a much more serious
note, I see the following weakness, that is not in any way, shape or form
addressed by your premise (or your other statements): How do you make that
judgement? Do you simply assume that you, or whoever makes those decissions,
does in fact know what is more 'konsensfaehig'? Or does the society, for which
the norm shall be valid, have to vote on it (which would make it openly
legalistic right from the start)? Not to mention that a 'norm' as for example,
to take all possessions currently held by the 1000 wealthiest people worldwide
(a thought that occured to me in retrospect of Astra's 100-people world), and
give it in equal shares to everybody else, seems to me quite fine with about
99.999% of the words population - and in case you want to retreat onto some
doctrine of abstinence of force, I can only once more remind you of 'real life',
and that whatever norm a society selects, to have ANY practical relevance, it
will have to be enforced. ( I would claim that if there is something that needs
no enforcement, we have discovered not a norm, but a social truism.[even though
I am in doubt that there is even that to be found] )
But I suggest to let
us try a litmus test, if there at least is a remote chance of finding anything
in Ethics, that has meaning beyond your (or mine) private life and our immediate
surrounding, and which is not a purely subjective choice, but has some sort of
rational basis:
IF there are generally acceptable norms (that need no
enforcement of any sorts), THEN one should expect that some of them have been
found in 2500 years of pondering. Can you name any?
Yes, we have a
force-free discourse. But also one that is utterly without any consequence in
practice. The topic here, and I think the bottomline of our discussion as well,
is, after all, if 'Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen' should be answered
affirmative. Now, if you can agree with me that 'sense' defines itself partly
over having practical relevance, then my answer was yes. That view might seem at
first quite unphilosophically really, but at least I know myself, historically
speaking, in good company (as are you of course).
I do think you are
building on a Metaphysical theory, rather than something with practical value -
one could call it a pleasant Utopia, a world many of us might like to live in,
but it remains 'ou topos'. [sun]
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 24. Mai 2003, 02:09 Uhr
Hallo
Paul,
ich hatte gehofft, dass wir auf persönliche Animositäten
verzichten könnten.
Wenn du glaubst, dass der Verdienst zB der Spitzenmanager
in der BRD proportional zu ihren Leistungen ist, bitte schön. Ich glaube nicht,
dass Herr Breuer von der Deutschen Bank mehr als 2000 mal mehr leistet als ein
mittlerer Angestellter dieses Unternehmens.
Und wie man das Problem
Entwicklungshilfe seriös löst, könntest du ja einmal hier darlegen.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von astra am 24. Mai
2003, 20:59 Uhr
[quote author=Hanspeter]
... ich kann mir denken,
dass du mich einen gefühllosen Egozentriker, frei von Empathie und sozialem
Verantwortungsgefühl hältst. Aber mir hat immer noch niemand eine schlüssige
Antwort auf die Frage gegeben, wie der Transfer von Geld in die 3. Welt die
vorhandenen Probleme löst... eine Solidarität mit 6 Milliarden Menschen ist
nicht möglich... [/quote]
hallo hanspeter!
irgendein berühmter
psychoanalyter hat einmal gesagt, 'zynismus ist die aggression des
intellektuellen' ;-) und so verstehe ich auch, dass dich, der du
erfreulicherweise unter diesem und anderen threads so lösungsorientiert
unterwegs bist, der gedanke, dass bei der 'solidarität mit 6 milliarden
menschen' vielleicht nur teil-erfolge möglich sind, ganz und gar nicht froh
stimmt. das vorweggenommene scheitern an einer gesamtlösung mag auch ein grund
dafür gewesen sein, dass du beim thema entwicklungshilfe nur an den transfer von
geld, nicht aber den transfer von know-how und bildung gedacht hast.
auch war
vermutlich mein altruismus-argument nicht gerade glücklich gewählt. ich hätte
vielleicht mit jenem wesenszug beginnen sollen, den die tibeter 'shen dug ngal
wa la mi so pa' nennen, übersetzt: 'die unfähigkeit, das leid eines anderen
mitanzusehen'. (der dalai lama schreibt übrigens in 'das buch der
menschlichkeit, eine neue ethik für unsere zeit', dass er die meisten seiner
landsleute, trotz armut und bedrohung, als nicht unglücklich erlebt, begründet
dies mit ihrem inneren frieden, gemeinschaftsgefühl etc.).
jedenfalls
unterstelle ich dir mal, dass du, wenn beispielsweise ein kleines kind oder eine
alte frau vor dir stürzt, einen gesunden impuls zur hilfeleistung verspürst...
auch würde ich jemandem, der als robin hood ;-) im ethik-thread unterwegs ist
(genauso engagiert wie ich als mutter theresa [ruffle] ), keinen mangel an
sozialem verantwortungsgefühl zuschreiben.
grüsse, astra
Titel: Die Berücksichtigung der menschlichen Natur
Beitrag von Eberhard am
24. Mai 2003, 21:42 Uhr
Hallo Astra,
Du betonst zu Recht, dass es
für die Lösung der Ethik-Fragen unverzichtbar erscheint, „nicht nur bei
philosophischen Theorien und juristischen Rahmenbedingungen anzusetzen, sondern
auch bei menschlichen Persönlichkeitseigenschaften.“
Die Frage nach der
menschlichen Natur und nach deren Veränderbarkeit durch veränderte soziale
Verhältnisse und gezielte Erziehung - insbesondere was die Orientierung am
„Eigenen“ betrifft (Egoismus, Familienorientierung, Vetternwirtschaft,
Ethnozentrismus, Wir-Gefühl, Fremdenfeindlichekeit, Korruption, Nationalismus
u.a.m.) - ist ein notwendiger Bestandteil jeder Ethik, den wir bisher – um der
Vereinfachung willen - weitgehend ausgeklammert haben. Nur dadurch, dass wir die
einzelnen Normen immer unter der Voraussetzung ihrer allgemeinen Befolgung
beurteilt haben, brauchten wir uns mit der Natur des Menschen und den
Möglichkeiten und Grenzen seiner Formbarkeit noch nicht auseinandersetzen.
Die menschliche Natur und ihre begrenzte Formbarkeit muss z.B. beachtet
werden, wenn die Menschen durch die rechtlich und moralisch verankerten Normen
und Werte nicht überfordert werden sollen. Wenn diese Überforderung eintritt,
werden die Werte zu leeren Worthülsen und kollektiver Heuchelei. Das Experiment
mit einer am Kommunismus orientierten gesellschaftlichen Ordnung, die unter dem
Stichwort „internationale Solidarität“ die Proletarier aller Länder vereinigen
wollte, ist – zumindest vorerst – gescheitert und gibt zu denken. Der „neue
Mensch“, der aus den sozialistischen Verhältnissen und der sozialistischen
Erziehung hervorgehen sollte, war der alte geblieben: Die „Heimat aller
Werktätigen“ kämpfte gegen Nazi-Deutschland unter dem Banner des „Großen
Vaterländischen Krieges“, die „Kommunistische Internationale“ wurde ein
Instrument Stalins, der „1. Sekretär des Zentralkomitees“ war in Wirklichkeit
ein gefürchteter Diktator, das Eigentum des Volkes an den Produktionsmitteln
endete in bürokratischer Starre und Misswirtschaft, das „Absterben des Staates“
entpuppte sich als dessen Allmacht in Form des Staatssicherheitsdienstes und aus
den Vordenkern und Vorkämpfern der ausgebeuteten Klassen wurden Parteibonzen mit
einem umfassenden System von Privilegien. Das sollte bei allen „revolutionären“
Gesellschaftsentwürfen im Hinterkopf behalten werden.
Ich bin zwar nicht
so skeptisch wie Hanspeter hinsichtlich des Vorkommens „altruistischen“
Verhaltens. Orientierung am Wohl anderer oder der Allgemeinheit ist jedoch nicht
die im Alltag vorherrschende Motivation. Der eigene Schmerz fühlt sich anders an
als der Anblick fremden Schmerzes und - wie der Volksmund sagt - : „Selber essen
macht fett!“ Man kann wohl in besonderen Situationen starke solidarische
Empfindungen und Motivationen wecken, aber man kann keine soziale Ordnung auf
der Prämisse aufbauen, dass die Menschen „Idealisten“ sind und ihr Handeln am
allgemeinen Wohl ausrichten. Deshalb gebe ich Hanspeter Recht, wenn er darauf
besteht, dass Wohltätigkeit auf lange Sicht keine Lösung für die Probleme der
unterentwickelten Länder sein kann.
Meine sehr allgemein gehaltenen
Aussagen zur Natur „des Menschen“ müssten natürlich auf jeden Fall anhand der
Ergebnisse der mit der Erforschung der menschlichen Natur befassten empirischen
Wissenschaften (Psychologie, Soziologie, Ethnologie, Biologie, Anthropologie,
Geschichte, Pädagogik) überprüft und konkretisiert werden. Mit bloßen
Bekenntnissen zu einem „optimistischen“ oder „pessimistischen“ Menschenbild
kommen wir an diesem Punkt nicht weiter. Vielleicht können wir auf diesem
schwierigen Feld wenigstens ein paar Bausteine zusammentragen hofft Eberhard.
Titel: Nur eine angenehme Utopie?
Beitrag von Eberhard am 24. Mai
2003, 23:10 Uhr
Hallihallo polymatheia,
Du sitzt einem
grundlegenden Missverständis auf, wenn Du meinst, dass allgemein konsensfähige
Normen „in gar keiner Weise einer Erzwingung bedürfen“. „Weit gefehlt!“, wie der
Deutsche sagt: Dass ich die allgemeine Befolgung einer bestimmten Norm bejahe,
impliziert keineswegs, dass ich keinerlei Motiv haben könnte, diese Norm in
einer konkreten Situation selber zu übertreten. Nicht umsonst beten die Christen
im Vaterunser: „Und führe uns nicht in Versuchung!“. Um eines der von mir
bevorzugten Alltagsbeispiele zu verwenden: Ich halte es zwar für richtig, dass
das Parken an bestimmten Stellen in der Stadt nicht erlaubt ist, aber heute habe
ich es besonders eilig und stelle mich trotzdem in ein Parkverbot. Ich bin also
keineswegs so blauäugig wie Du wohl meinst und gebe hiermit die eidesstattliche
Versicherung ab, dass ich an keiner „metaphysischen Theorien“ von einem
„angenehmen Utopia“ baue.
Du fragst: „Do you simply assume that you, or
whoever makes those decissions, does in fact know what is more 'konsensfaehig'?
How do you make that judgement? Or does the society, for which the norm shall be
valid, have to vote on it?”
Weder noch, lieber polymatheia! Wenn ich
behaupte, dass eine bestimmte Norm allgemein konsensfähig ist, so tue ich das in
ähnlicher Weise, wie wenn ich behaupte, dass eine bestimmte
Beschreibung
eines Sachverhaltes wahr ist. Für beide Arten von Behauptungen habe ich meine
Gründe und gegenüber dem, der meine Behauptungen bestreitet, nenne ich meine
Gründe und bin für Gegenargumente jederzeit offen. In Bezug auf Normen kommen
als Gründe für deren allgemeine Konsensfähigkeit z.B. in Frage, dass die Norm
unparteiisch und „ohne Ansehen der Person“ formuliert ist, dass sie im Falle der
allgemeinen Befolgung alle Individuen besser stellt als eine alternative Norm
usw. ‚Konsensfähigkeit’ ist also argumentativ zu stützen und kann ebenso wenig
wie ‚Wahrheit’ durch Abstimmungen festgestellt werden. Um einen früher populären
Werbespruch abzuwandeln: „Millionen können sich irren!“
Und da Du diesen
Wunsch wiederholt vorgebracht hast, gebe ich Dir abschließend das folgende
Beispiel für eine meiner Ansicht nach allgemein konsensfähige Norm: „Du sollst
nicht wildfremde Leute, die neben Dir auf die U-Bahn warten, vor den
einfahrenden Zug stoßen!“. Ich vertrete die optimistische Ansicht, dass dieser
Norm in einer unter idealen Bedingungen geführten Diskussion, jeder zustimmt,
der am Ziel eines allgemeinen zwanglosen Konsenses festhält, und bin auf Deine
Widerlegung gespannt. Gruß Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von polymatheia am 25. Mai 2003, 05:11 Uhr
Dear Eberhard ( I wonder who else is still around! [ruffle] )
1. 'Du
sitzt einem grundlegenden Missverständis auf, wenn Du meinst, dass allgemein
konsensfähige Normen „in gar keiner Weise einer Erzwingung bedürfen“. „Weit
gefehlt!'
This has to be a misunderstanding since it was, obviously I
thought ( that the sun revolves around the earth seems obvious too! ;-) ), one
of my main points that this enforcement will be needed. From that I argued that
this is a legalistic norm, not an ethical one. But the point I think we can
agree on here now is, that however we call it, it will need enforcement. :-)
2. 'Wenn ich behaupte, dass eine bestimmte Norm allgemein konsensfähig ist,
so tue ich das in ähnlicher Weise, wie wenn ich behaupte, dass eine bestimmte
Beschreibung eines Sachverhaltes wahr ist. Für beide Arten von Behauptungen habe
ich meine Gründe.. '
This is a nice simile, and it is quite enlightning
when one proceeds to its conclusion. If one speaks about a certain description
being 'true', one commonly speaks about it matching the facts as far as we can
be aware of them. Since we can never know all that is to know about a certain
'fact' ( I am abbreviating this argument, since I am assuming you are familiar
with it ), we can never be certain that we have actually made a true statement,
or found a true theory. This is why we cannot argue for the truth of something,
but only for it being wrong or, alternatively, not having been shown wrong as of
yet. We of course assume that there is something like 'truth' we can get closer
to, otherwise it would make no sense to look for any sort of improvement, and
the statement of something being 'false' would become logically non-sensical.
Following this line of thought, one would have to conclude, expanding on
your simile, that there are 'definite norms' which one could, theoretically at
least, reach (even though we might never know we did reach them). Are you
prepared to say that there are definite, unalterable norms (which, as it seems
to me at the moment, would have to hold not only for us, but throughout the
universe) that could be discovered?
This line of reasoning also can be
carried over to your point ->
3. '.. Beispiel für eine meiner Ansicht nach
allgemein konsensfähige Norm: „Du sollst nicht wildfremde Leute, die neben Dir
auf die U-Bahn warten, vor den einfahrenden Zug stoßen!“. Ich vertrete die
optimistische Ansicht, dass dieser Norm in einer unter idealen Bedingungen
geführten Diskussion, jeder zustimmt, der am Ziel eines allgemeinen zwanglosen
Konsenses festhält.. '
This could be summed up as the maxime 'Don't kill
innocent strangers', and it is held by you to be valid in an ideal discussion.
This 'ideal' would have to include quite a few things, so for example that all
participants are rational, all share your value system (I am pretty sure there
are people who enjoy killing, and who are held back merely by the fear of
sanction... some are not even held back by that), nobody has ulterior motives,
and there are definite ways to decide between the merits of the argument on
opposing sides. This is just to name a few objections, and the list is easily
extensible.
The real problem with all this becomes much more obvious, I
suggest, when we approach it not from what to many 'westerners' will appear to
be a moral truism, but via a contentuous subject, for example assisted suicide.
While I might be a proponent of assisted suicide, I could freely admit that many
others are not, and that they are not all bigots, but that at least some of them
have a variety of good reasons for their view. While I find those reasons
considerably less weighty than those I have for endorsing my own opinion, the
important point is, that even in an ideal and rational discussion neither side
will have definite, logically compelling arguments that could force the other
side to either live with severe inconsistencies in their views, or abandon them.
And to bring this all full circle to the topic, 'Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?', which we could rephrase as, 'Is there a way in which me involving
myself with 'ethics' would be fruitful?', which I suggest can simply be put as
'Are there PRACTICAL REAL LIFE applications of ethics - i.e. real results that I
could show rationally binding, even to people not of my cultural background?'.
This is where your 'ideal' comes in, and the circles closes - 'practical real
life' and 'ideal' are the worlds foremost antithesis. [sun]
Titel: Re:
Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 25. Mai 2003,
05:30 Uhr
Hallo Astra,
auch in Sachen Zynismus gilt, ist der Ruf
mal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. Ob ich mich als Zyniker sehe, hängt
von der entsprechenden Definition ab. Wer mich als Zyniker sieht, bitteschön.
Zur Sache. Du hast richtig erkannt, dass ich mich bei der Entwicklungshilfe
vorzugsweise auf den Transfer von Geld eingeschossen habe, weil natürlich der
Transfer von technischem Wissen und Bildung an Geld geknüpft ist. Beide lassen
sich kaufen. Insofern soll das Geld symbolisch für alle Arten von Zuwendungen
stehen. Allerdings muss man sich in puncto Bildung darüber im Klaren sein, dass
diese kaum ohne einen fundamentalen Kulturbruch bei den Nehmerländern
transferiert werden kann. Und damit sind dort, wo ich schon längst gerne wäre,
nämlich bei den Überlegungen, w i e überhaupt diesen Menschen geholfen werden
könnte und welche Konsequenzen diese Hilfen haben.
Der Dalai Lama Satz: <die
unfähigkeit, das leid eines anderen mitanzusehen> kann sehr unterschiedliche
Konsequenzen haben. Helfen oder wegsehen. Letzteres kann man als Zynismus
werten. Es kann aber auch auf der Einsicht der Unfähigkeit zur Hilfe beruhen.
Gruß HP
Hallo Eberhard,
deinen Ausführungen zu Astra stimme
ich im Wesentlichen zu. Vielleicht nur eine Anmerkung zum Altruismus.
Ich
zweifle an dessen Existenz aus grundsätzlichen Erwägungen, weil die üblichen,
christlichen Altruismus-Modelle nicht als selbstlos bezeichnet werden können.
Der Christ macht ja ein "Geschäft". Selbstlosigkeit auf Erden schafft
"himmlische Schätze". Auch kann man die persönliche Zufriedenheit, um nicht zu
sagen narzisstische Befriedigung ebenfalls als Profit des Altruismus werten.
Lediglich die Sorge für künftige Generationen ist ziemlich altruistisch und
stößt daher auf Ablehnung, denn noch nicht existierende Menschen können einen
noch nicht dafür loben und ob es dafür "himmlische Schätze" gibt, ist wohl mehr
als fraglich.
Daher schätze ich rationale Lösungsansätze mehr als
vorzugsweise emotionale.
Gruß HP
Titel: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 25. Mai 2003, 06:50 Uhr
Lieber Polymatheia,
da wir das eine Missverständnis aufklaren konnten
- aufgrund nahezu idealer Diskussionsbedingungen – hoffe ich, dass wir auch
weitere Schritte zum besseren Verständnis der beiderseitigen Thesen und
Argumente machen können.
Ich habe die Diskussion über die allgemeine
Konsensfähigkeit von Normen mit der erfahrungswissenschaftlichen Diskussion über
die Wahrheit von Aussagen verglichen, um klar zu machen, dass über die
Konsensfähigkeit einer Norm weder abgestimmt wird, noch dass irgendein
Wissenschaftler darüber entscheidet, ob eine Norm konsensfähig ist oder nicht,
so wie über die Wahrheit faktischer Aussagen weder abgestimmt werden kann, noch
irgendein Wissenschaftler darüber entscheiden kann.
Trotzdem macht es
Sinn, wenn ein Wissenschaftler die Antwort auf eine Frage nach der
Beschaffenheit der Wirklichkeit gibt und seine Antwort b e h a u p t e t in dem
Sinne, dass er damit den Anspruch an alle andern verbindet, diese Antwort
ebenfalls zu bejahen. Als moderner Wissenschaftler, der die Methodologie der
Erfahrungswissenschaften mit der Muttermilch eingesogen hat, ist es für ihn
selbstverständlich, dass er für seine Behauptung intersubjektiv nachvollziehbare
(konsensfähige!) Gründe anführen muss wie z.B. die genaue Beschreibung der
Versuchsanordnung und der Gewinnung der Beobachtungsdaten. Dass man zur
Beantwortung von Fragen nach der Beschaffenheit der Wirklichkeit kontrollierte
Beobachtungen und Experimente machen muss, war noch vor ein paar hundert Jahren
keineswegs unumstritten und die Methodologie der Erfahrungswissenschaften ist
auch nicht von heute auf morgen entstanden.
Mir geht es um den Aufbau
einer in vergleichbarer Weise auf die intersubjektive Nachvollziehbarkeit aller
Behauptungen und Argumente ausgerichteten Methodologie im Bereich normativer
Fragen. Ich frage: Welche methodischen Regeln müssen beachtet werden, wenn man
Fragen danach, wie Menschen unter bestimmten Bedingungen handeln sollen,
konsensfähig beantworten will. Und ich hoffe ein wenig, dass die Ausrichtung der
Ethik und anderer mit normativen Fragen befassten Wissenschaften an der
allgemeinen Konsensfähigkeit der Antworten zu einem ähnlich gesicherten
Erkenntnisfortschritt verhilft, wie es das konsensstiftende Kriterium der
intersubjektiv übereinstimmenden Beobachtung in den Erfahrungswissenschaften
getan hat.
Wir könnten über den Wahrheitsbegriff in den
Erfahrungswissenschaften sicherlich noch viel streiten. So bin ich im
Unterschied zu Dir der Ansicht, dass man sehr wohl für die Wahrheit einer
Aussage argumentieren kann. Für die Wahrheit der Aussage: „Eberhard hat diese
Gedanken noch vor 7 Uhr morgens geschrieben“ argumentiere ich z.B. damit, dass
ich mich durch Blick auf die Computeruhr davon überzeugt habe. Aber wir sollten
uns auf dieses schwierige Gebiet nur begeben, wenn dabei etwas für die Lösung
unseres Problems (die allgemeingültige Beantwortung normativer Fragen)
herauskommt, sei es bei der Herausarbeitung von weiteren Bedingungen für einen
allgemeinen Konsens, sei es beim Nachweis der Sinnlosigkeit eines solchen
Unterfangens und der Erkenntnis, dass wir stattdessen lieber ins Schwimmbad
gehen sollten.
Einen sonnigen Sonntagmorgen wünscht Dir Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von astra am 25.
Mai 2003, 18:16 Uhr
[quote author=Hanspeter]
Auch kann man die
persönliche Zufriedenheit, um nicht zu sagen narzisstische Befriedigung
ebenfalls als Profit des Altruismus werten. [/quote]
hallo!
ist
das nicht gar ein bisschen streng? warum darf z.b. ein (gutbezahlter) baumeister
stolz sein auf sein werk, während beim (schlecht bezahlten) sozialarbeiter,
welcher drogensüchtigen auf dem weg zurück ins normale leben hilft, hinterfragt
wird, ob er sich vielleicht nur zwecks narzisstischer befriediung engagiert? was
ist mit all den leuten in pflegerischen, sozial- und gesundheitsberufen, für die
es einfach SINN macht, anderen in schwierigen lebenssituationen beizustehen? und
warum darf jemand, der trotz niederen einkommens eine hilfsorganisation
unterstützt, eine patenschaft übernimmt etc.etc., nicht stolz darauf sein?
haben wir nicht eher das problem, dass 'solidarleistungen' in unserer
gesellschaft viel zu wenig anerkannt werden, schlecht bewertet und damit
unattraktiv sind?
grüsse, astra
Titel: Re: Ist
Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 25. Mai 2003, 20:22 Uhr
hallo HP,
ich war dir noch ne Antwort schuldig.
>Wenn du
glaubst, dass der Verdienst zB der Spitzenmanager in der BRD proportional zu
ihren Leistungen ist, bitte schön. <
du hast mich gründlich
misverstanden, wenn du annimmst, das ich die Gehälter von
Großunternehmensvorständen verteidige. Sie stören mich allerdings weniger, wenn
sie "anständig" verdient werden und das sehe ich z.B. absolut nicht bei Bill
Gates, der mit monopolistischen Methoden schlechte Programme für überhöhte
Preise verkauft, das führt hier allerdings zu weit.
Gelacht habe ich nur
wegen deinem Widerspruch zwischen Besseverdienenden und Schlechterverdienenden.
Die Esten liegen ja noch unter den 8000 Dollars, sind aber offensichtlich nicht
sichtbar unglücklicher als Deutsche. Sie haben z.Zt. ein Wirtschaftswachstum von
über 5% und wir liegen im Minus.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von paul am 25. Mai 2003, 20:30 Uhr
Es ist
übrigens ein Märchen, dass unsere Entwicklungshilfe wirklich viel Geld kostet,
auch wenn sie überaus effektiv sein kann und ist. Denk nur mal an die geliebten
und gehaßten "Billigimporte" es kommt hier ganz auf den Standpunkt an, trotz
aller Ökonomik geht es hier nicht ganz ohne ethische Normen. Es geht hier gar
nicht so sehr um Geldtransfer wie du meinst, sondern z.B. um Marktöffnung, wir
wollen ja auch exportieren. Hier gibt es sehr unethische Verhaltensweisen von
westlichen Ländern, die eigentlich genau auf das Gegeteil hinauslaufen, was
Entwicklungspolitik vorgibt zu sein und was du so vehement ablehnst.
Hier
kann ich nur Astra voll zustimmenn
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von paul am 25. Mai 2003, 20:43 Uhr
>Vielleicht
nur eine Anmerkung zum Altruismus.
Ich zweifle an dessen Existenz aus
grundsätzlichen Erwägungen,...<
welche grundsätzlichen Erwägungen?
>persönliche Zufriedenheit, um nicht zu sagen narzisstische Befriedigung
<
das liebe ich so, wenn einer was vernünftiges macht, ohne gleich an
seinen persönlichen Vorteil zu denken, ist er schon ein Narzist, nein Danke.
>Daher schätze ich rationale Lösungsansätze mehr als vorzugsweise
emotionale. <
Das verstehe ich nicht, heißt nun rational egoistisch und
emotional altruistisch?
gruß
Paul
Titel: Richtige Antworten auf
ethische Fragen?
Beitrag von Eberhard am 25. Mai 2003, 23:11 Uhr
Dear
Polymatheia,
Deine Frage war: „Are you prepared to say that there are
definite, unalterable norms (which, as it seems to me at the moment, would have
to hold not only for us, but throughout the universe) that could be discovered?”
Meine Antwort lautet: “Ja, es gibt richtige Normen.”
Auch auf die
Gefahr hin, zu stressen, will ich versuchen, meine Position klarer zu machen,
indem ich die verschiedenen Arten von Behauptungen einmal zusammenstelle: immer
jeweils eine faktische (oder deskriptive) Behauptung und dazu die entsprechende
normative (oder präskriptive) Behauptung:
1. s i n g u l ä r e Behauptungen
(bezogen auf ein bestimmtes raum-zeitliches Ereignis)
a.) „Mark hat gestern
die ‚Rechtsphilosophie’ von Radbruch aus der Uni-Bibliothek mitgenommen, ohne
sie als entliehen verbuchen zu lassen.“ (faktisch / singulär)
b.) „Mark hätte
gestern nicht die ‚Rechtsphilosophie’ von Radbruch aus der Uni-Bibliothek
mitnehmen dürfen, ohne sie als entliehen verbuchen zu lassen.“ (normativ /
singulär)
2. a l l g e m e i n e Behauptungen (bezogen auf wiederkehrende
A r t e n von Ereignissen)
a.) „Wenn jemand ein Buch aus einer öffentlichen
Bibliothek mitnimmt, dann lässt er es als entliehen verbuchen.“ (faktisch /
allgemein)
b.) „Wenn jemand ein Buch aus einer öffentlichen Bibliothek
mitnimmt, dann soll er es als entliehen verbuchen lassen.“ (normativ /
allgemein)
Gemäß dieser Einteilung gibt es also auch normative
Behauptungen, die nur ein bestimmtes singuläres Ereignis betreffen. Singuläre
Normen kann man jedoch nur einmal anwenden und wenn man damit das Handeln eines
Individuums anleiten wollte, müsste man ständig neue singuläre Normen an das
Individuum adressieren.
Bei allgemein formulierten Normen, die auf
bestimmte A r t e n oder Klassen von Ereignissen bezogen sind, wird eine
unbegrenzte Anzahl von Ereignissen normativ geregelt, weshalb sie sie sich zur
Anleitung des Handelns grundsätzlich eignen. Dabei kann die Verallgemeinerung
unterschiedlich weit gehen. Die Kunst der Formulierung von Normen besteht
deshalb nicht zuletzt darin, die Handlungsanleitungen mit möglichst wenig Normen
auszudrücken, ohne deshalb im Einzelfall etwas Falsches vorzuschreiben.
Die Verallgemeinerung, die beim Übergang von Behauptung 1 b.) nach Behauptung 2
b.) vorgenommen wurde, besteht z.B. in dem Übergang von einer bestimmten Person
(Mark) auf alle Personen und von einem bestimmten Buch (Radbruch) auf alle
Bücher und von einer bestimmten Bibliothek auf alle öffentlichen Bibliotheken.
Durch die Verallgemeinerung ergeben sich jedoch immer Risiken, da durch
die allgemeinen Begriffe besondere Umständen, die neuartig oder äußerst selten
sind, u.U. nicht berücksichtigt werden. Mir fällt hier z.B. die Möglichkeit ein,
dass man dann Bücher aus der Bibliothek ohne Verbuchung mitnehmen darf, wenn sie
ausgemustert wurden. Natürlich kann man versuchen, die veränderten Bedingungen
und Ausnahmen als Bedingungen in die Formulierung der allgemeinen Norm mit
aufzunehmen, aber das hat ebenfalls seine praktischen Grenzen. So würde die
obige Norm in einer möglichen zukünftigen Gesellschaftsordnung falsch werden, in
der es überhaupt kein Eigentum an Büchern gibt.
Angesichts dieser
Schwierigkeiten sind allgemein formulierte Normen immer wieder
revisionsbedürftig und wie „Pfähle, die wir in den Sumpf treiben“, um einen von
mir geschätzten Autor zu zitieren.
Allerdings bin ich der Ansicht, dass
der Satz 1 b.) in vergleichbarer Weise richtig oder falsch sein kann, wie der
Satz 1 a.) und dass man darüber sinnvoll argumentieren kann (und das liegt nicht
daran, dass das Beispiel auf die Institution der Leihe bezogen ist.) Allerdings
ist die Methodologie der Beantwortung normativer Fragen nicht annähernd so
entwickelt wie die Methodologie zur Beantwortung faktischer Fragen.
Ich
hoffe, ich habe Dich nicht zugetextet und Dir werden meine zweifelhaften und
unzeitgemäßen Intentionen jetzt in ihrer ganzen Unverfrorenheit klar. Gruß
Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag
von polymatheia am 26. Mai 2003, 04:57 Uhr
Dear Eberhard
Indeed,
it looks as if we are getting closer to some form of common ground. Encouraging
and a value in itself.[applause]
You did not make your position known in
too elaborate a manner, after all, this is a discussion forum, not a
neighborhood bar where two sentences strung together with coherence can
constitute sophistication. :-)
Let me try to sum up your views in a short
form:
1. Science develops theories ( which might approach something like
truth ), and the way it chooses those theories is by the well known informal
means of the scientific community.
2. Science, in its present form, was made
possible by the recognition that to make real advances one needs to invent
theories and experiments which give predictions on the one hand, and which are
testable and possible to repeat for other scientists.
So far I think we,
and most here, will basically agree ( we leave out the tricky subject of
'truth', since it would not contribute to the discussion at hand )
3.
Ethic, in your view, is in a comparable state as science, or rather the
scientific method, was a few hundred years ago.
4. If that is so, you
reason, then it should be possible to find
similar mechanisms as did science
to make rational and informed decisions about ethical matters.
An
interresting approach, even though I do not see how that should work. One of my
first questions would be, how do we TEST norms? Or how do we invent new ones,
and conjecture from there past the boundaries of what are social tautologies?
But my ignorance on that matter of course in no way implies that it is
impossible or that some completely different approach can be found. I just
cannot imagine it, but then, I cannot imagine quantum electrodynamics either.
What I can say though is, that extraordinary claims do require extraordinary
proofs....
After this it becomes very fuzzy to me, not to say
self-contradictory.
Let me put a two quotes in dialectic opposition:
a1:'Deine Frage war: 'Are you prepared to say that there are definite,
unalterable norms (which, as it seems to me at the moment, would have to hold
not only for us, but throughout the universe) that could be discovered?'
Meine Antwort lautet: 'Ja, es gibt richtige Normen.' '
a2:'Angesichts
dieser Schwierigkeiten sind allgemein formulierte Normen immer wieder
revisionsbedürftig und wie 'Pfähle, die wir in den Sumpf treiben', um einen von
mir geschätzten Autor zu zitieren.'
Now those two statements cannot be
both true. Either there ARE universal, unalterable ethical norms, then they
never can be revised, or there are not. Ethical norms, to have any relevance
whatever, must be 'general'. The singular, let us say the 'Do not steal a book'
derives from the general 'Stealing is wrong.', and not the other way around (see
below).
A further point comes up when we consider your elaboration on the
deriving of norms. Given your earlier worked out simile with scientific
theories, and if this simile is to have any force, one would have to expect that
this 'finding' of norms proceeds similar to the finding of theories. On the
other hand you write:
'Die Verallgemeinerung, die beim Übergang von
Behauptung 1 b.) nach Behauptung 2 b.) vorgenommen wurde, besteht z.B. in dem
Übergang von einer bestimmten Person (Mark) auf alle Personen und von einem
bestimmten Buch (Radbruch) auf alle Bücher und von einer bestimmten Bibliothek
auf alle
öffentlichen Bibliotheken.'
This means, you derive norms from
a number of singular observations, you do 'inductive' ethics that claims to find
'true' answers.
I am not sure if you are aware that this is the complete
opposite of any modern philosophy of science ( already Kant noted that the world
as we know it is our interpretation of the observable facts in the light of the
theories we ourselves invent, but of course Kant went wrong later by assuming
that scientific theories are actually, and unquestionably true ). Every
scientific theory, that has to say anything worthwhile, goes beyond all our
observations. It is universal, exact and abstract; it arose out of myths, a few
observations,
chance, strokes of genius etc. ; and we can show by purely
logical means ( please don't make me do it! ) that it is not derivable from
observation statements.
I might have to say more on that, but for now
this has to suffice due to time restraints. After all, one little step foreward
has already been taken. ( by the way, for a practical problem, maybe you want to
chip in on the 'Practical Ethics' thread where I would like to attempt a more
real-life approach )
Happy Monday! [bounce]
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 26. Mai 2003, 08:30 Uhr
Hallo Astra,
ja, du hast Recht, dieses Urteil ist wenig
differenziert. Unter Sozialarbeitern wird man wohl selten narzisstische
Charakterstrukturen finden, da liegt man meist mit einer depressiven
Orientierung richtiger. Aber grundsätzlich würde ich in diesen Fällen auch nicht
von Altruismus sprechen. Schließlich werden Sozialarbeiter, Krankenschwestern,
Ärzte usw. für ihre Tätigkeit bezahlt; ob adäquat zu ihren Leistungen sei
allerdings dahingestellt. Wenn jemand in seiner beruflichen Tätigkeit einen Sinn
für die Allgemeinheit erkennt, ist das ebenfalls noch kein Altruismus. Der läge
erst vor, wenn sie unentgeltlich erfolgte. Sicher sind die Übergänge fließend,
wenn eben ein Sozialarbeiter nicht Dienst nach Vorschrift macht, sondern sich
stärker engagiert.
Wenn sich jemand sozial unentgeltlich engagiert und
darauf stolz ist, ist es in meinen Augen ebenfalls kein Altruismus mehr, sondern
ein Geschäft: Engagement für Stolz (bzw. depressive Befriedigung, "Schätze im
Himmel" usw.). Aber trotzdem eine wünschenswerte Tat.
Du hast aber Recht
mit deiner Vermutung, dass Solidarleistungen zu wenig anerkannt werden. Die
Gründe hierfür sind sicher sehr vielfältig und wären ein extra Thema wert.
Ein vernünftiger Staat sollte in meinen Augen nicht auf Altruismus
angewiesen sein, sondern soziale Leistungen entsprechend bezahlen.
Gruß
HP
Titel: Leider nur Thesen
Beitrag von Eberhard am 27. Mai 2003,
19:26 Uhr
Dear Polymatheia,
wir sind uns einig, dass in ethischen
Fragen das Wahrheitskriterium für faktische Aussagen nicht anwendbar ist, da man
das beobachten kann, was ist, aber nicht das, was sein soll.
Viele - und Du
wohl auch - ziehen daraus den Schluss, dass ethische Urteile notwendig subjektiv
sind ohne einen intersubjektiven Geltungsanspruch.
Aber über die
Konsequenz muss man sich dabei klar sein: Wenn es auf normative Fragen keine
allgemeingültigen Antworten gibt, bleibt dieser Bereich der subjektiven Willkür
und dem bloßen Machtkampf überlassen, für mich eine düstere Perspektive.
Ich halte deshalb den Versuch für gerechtfertigt, für die Normen des
menschlichen Handelns ein der "faktischen Wahrheit" analoges Kriterium zu
bestimmen. Im Folgenden will ich meinen Gedankengang dazu skizzieren, wobei auch
für mich noch viele Fragen offen sind.
Ich bin der Ansicht, dass es auf
ethische Fragen ("Wie sollen Menschen handeln?") "richtige" und "falsche"
Antworten gibt.
Dabei geht der Anspruch auf "Richtigkeit" (so wie der
Wahrheitsanspruch) einher mit dem Anspruch auf allgemeine Geltung. Wenn eine
Antwort "richtig" ist, dann ist sie das nicht nur heute sondern auch morgen
("intertemporaler" Geltungsanspruch), und sie ist es nicht nur für Peter sondern
für jedermann ("intersubjektiver" Geltungsanspruch). Man kann dies in dem Satz
ausdrücken, dass für die "richtige" Antwort auf eine ethische Frage ein Anspruch
auf allgemeine Geltung erhoben wird.
Wenn dieser allgemeine
Geltungsanspruch für eine ethische Norm mehr sein soll als ein reiner
Gehorsamsanspruch gegenüber den Adressaten dieser Norm, dann muss dieser Norm
jedermann allein aufgrund von Argumenten zustimmen können, oder anders
ausgedrückt: die Norm muss allgemein konsensfähig sein.
Das Kriterium
der Konsensfähigkeit ist in seiner Anwendung unproblematisch, wo eine gewisse
Gleichartigkeit der Interessen und der Lebenslage unter den Individuen besteht:
Die Befolgung bestimmter Handlungsnormen ist oft für jeden besser als die
Befolgung alternativer Normen. Dies gilt z.B. für den Verzicht auf Tötung oder
Verletzung anderer bei der Verfolgung eigener Interessen.
Das Kriterium
der Konsensfähigkeit schließt auch „parteiische“ Normen aus, die sich nicht ohne
Bezug auf die Identität der Individuen formulieren lassen.
Schwieriger
wird es bei großen Unterschieden zwischen den Personen und ihren Lebenslagen,
Aber aus dem Zwang zum Konsens angesichts der abschreckenden Alternative von
Willkür und Machtkampf ergeben sich weitere Möglichkeiten eines Konsenses.
Ich hoffe, dass ich diese etwas dürren Thesen demnächst noch etwas näher
begründen kann. Im Augenblick ist nicht mehr drin. Gruß Eberhard.
Titel: Singuläre Normen und Aussagen
Beitrag von Eberhard am 28.
Mai 2003, 05:38 Uhr
Dear Polymatheia,
Zu Deinen Ausführungen noch
eine Anmerkung:
Du schreibst in Deiner Zusammenfassung meiner Position:
„Science develops theories“. Das ist richtiig, aber man sollte nicht vergessen,
dass sich viele wissenschaftliche Fragen auf singuläre Sachverhaltte richten. In
Wissenschaften wie Geschichte, Geographie, Archäologie, oder Astronomie nehmen
singuläre Aussagen einen zentralen Platz ein. Und singuläre Aussagen spielen
auch in den Wissenschaften eine Rolle, in denen allgemeine Theorien entworfen
werden. Denn die Anwendungsbedingungen und die Falsifikatoren einer Theorie
werden in singulären Aussagen angegeben ( z.B.: „Die Erhöhung der Temperatur ist
nicht eingetreten.“). Ich kann eine Theorie nur dann „an den Fakten scheitern
lassen“, wenn ich voraussetze, dass die dabei benutzten Aussagen über diese
Fakten „wahr“ sind. Ich kann einen Irrtum nur feststellen durch Bezug auf etwas,
das ich für irrtumsfrei bzw. wahr halte. Wenn der Richter den Zeugen fragt:
„Trug der Täter bei der Tat eine Brllle?“ und der Zeuge bejaht diese Frage; „Ja,
der Täter trug bei der Tat eine Brille“, dann ist diese Aussage dann wahr, wenn
er tatsächlich eine Brille trug. Dass man sich auch in Bezug auf derartige
Aussagen irren kann will ich nicht ausschließen, aber wenn ich z.B. die Brille
mit eigenen Augen gesehen habe und zu dem Zeitpunkt nüchtern war, habe ich guten
Grund, die Aussage für wahr zu halten.
Meine provokative These „Es gibt
richtige Normen“ bezieht sich auf singuläre normative Sätze wie z.B. „Thomas
durfte in dieser Situation das Kind nicht ohrfeigen“ und „Thomas durfte in
dieser Situation das Kind ohrfeigen“. Beides sind Normen, von denen die eine
falsch und die andere richtig ist. Insofern „gibt es“ richtige Normen. Gruß
Eberhard.
Titel: Einige Mißverständnisse
Beitrag von Eberhard
am 28. Mai 2003, 06:46 Uhr
Dear Polymatheia,
Du weist darauf hin,
dass z.B. bei der Frage, ob Hilfe zur Selbsttötung erlaubt sein soll, auch eine
Diskussion unter idealen Bedingungen kein definitives Resultat erbringen muss,
sondern verschiedene ethische Ansichten „vertretbar“ sind, wie es bei den
Juristen heißt. Damit habe ich keine Probleme. Der ideale Diskurs ist kein
Allheilmittel, wie ich bereits früher ausgeführt habe, aber die Konsensfähigkeit
in einem idealen Diskurs bleibt der Maßstab, an dem sich alle Ansprüche auf
„Allgemeingültigkeit“ messen lassen müssen. Selbst in den
Erfahrungswissenschaften mit ihrer ausgeklügelten Methodologie bleiben häufig
unterschiedliche Ansichten rational vertretbar.
Dies ist der Punkt, wo
Normsetzungsverfahren notwendig sind, die v e r b i n d l i c h e Normen setzen
und dafür von allen Befolgung dieser Normen verlangen können – auch von denen,
die diese Normen inhaltlich für mangelhaft halten. Hier beginnt „real life“.
Es ist ein Missverständnis, wenn Du mir ein „induktives Vorgehen“ unterstellst.
Wenn ich sage, dass die Norm „Peter soll x nicht tun“ zu der Norm „Man soll x
nicht tun“ verallgemeinert werden kann, so habe ich damit nicht gemeint, dass
dies ein gültiger logischer Schluss sein soll. Ich habe damit nur die logische
Beziehung zwischen beiden Sätzen erläutert.
Gruß Eberhard.
Titel:
Re: Einige Mißverständnisse
Beitrag von dinu am 28. Mai 2003, 15:36 Uhr
on 05/28/03 um 06:46:31, Eberhard wrote:
Dies ist der Punkt, wo
Normsetzungsverfahren notwendig sind, die v e r b i n d l i c h e Normen setzen
und dafür von allen Befolgung dieser Normen verlangen können – auch von denen,
die diese Normen inhaltlich für mangelhaft halten. Hier beginnt „real life“.
Hallo Eberhard,
Mir ist da noch ein weiterer Aspekt eingefallen,
der mir persönlich sehr wichtig ist: das eigene Gewissen als ethische Instanz.
Normsetzungsverfahren und allgemein verbindliche Normen müssen immer aus ihrem
Entstehungskontext beurteilt werden. Die Frage "welche Funktionen haben welche
Normen in welcher Gesellschaft zu welcher Zeit" stellt sich immer.
Gesellschaftliche Normen können die Funktion haben, den gesellschaftlichen
Fortschritt (was immer das sei) zu befördern, sie können aber auch vollkommen
destruktiv sein (Beispiel: gesellschaftliche Normen des 3. Reiches).
Letztendlich ist man im Raum des Ethischen immer auf sein eigenes Gewissen
zurückgeworfen, woraus sich gegebenenfalls innere Konflikte ergeben können, die
auch unlösbar sein können. Ethisches Verhalten setzt dauernde Reflexion und
Rückbesinnung auf das eigene Gewissen voraus. Das Ethische konstituiert sich aus
den Akten der Selbstreflexion.
Gruss, Martin
Titel: Letzte
Instanz das Gewissen?
Beitrag von Eberhard am 28. Mai 2003, 22:35 Uhr
Hallo Martin,
mir ist es bisher vor allem um den sozialen Aspekt von
Ethik und Recht als Wegen zur
Konfliktlösung und Friedensstiftung gegangen.
Du betonst dagegen die Bedeutung des eigenen Gewissens, einer inneren
moralischen Instanz und Quelle von Schuldgefühlen.
Das Individuum bemüht
sich, im Einklang mit den von ihm verinnerlichten Normen zu leben. Es versucht,
mit seinen gerechtfertigten und ungerechtfertigten Schuldgefühlen fertig zu
werden, die sich aus der Diskrepanz zwischen seinen verinnerlichten moralischen
Standards und seinem tatsächlichem Denken, Wollen und Handeln ergeben.
Ein
wichtiges Ergebnis einer „vernünftig“ begründeten Ethik kann es meines Erachtens
sein, den Einzelnen zu befähigen, die eigenen bereits frühkindlich
verinnerlichten Normen kritischen Argumenten auszusetzen. Dabei muss man im Auge
behalten, dass moralische Einstellungen meist in der Persönlichkeit emotional
verankert sind, so dass rationale Argumente dagegen manchmal machtlos zu sein
scheinen. Rational unbegründete Schuldgefühle erweisen sich oft als ebenso
hartnäckig wie rational unbegründete Ängste und können zur Krankheit, zur
Schuldneurose anwachsen.
Ein wichtiger und diskussionswürdiger Aspekt ist
die Existenz offenbar unauflöslicher ethischer Konflikte, die nicht nur von Dir
behauptet wird. Vielleicht können Soziologen oder Psychologen etwas dazu sagen,
die sich ja mit Rollenkonflikten und Loyalitätskonflikten befassen. Auch in
diesem Fall kann eine rationale und auf expliziten Begründungen basierende Ethik
weiterhelfen, so hofft Eberhard.
Titel: Ist Ethik ein Unternehmen auf
Gegenseitigkeit?
Beitrag von Eberhard am 29. Mai 2003, 13:54 Uhr
Hallo Hanspeter und alle Interessierten,
zu Eurem Disput über Altruismus
noch eine Anmerkung. Altruismus kann man definieren als eine ethische
Konzeption, bei der das Wohlergehen des anderen vorrangig gegenüber dem eigenen
Wohlergehen (oder zumindest gleichrangig mit diesem) ist. Wenn jemand es also
freiwillig zu seiner Aufgabe macht, Notleidenden zu helfen, so handelt er
altruistisch. Dabei ist es gleichgültig, welche Motive er sonst noch dabei hat.
Er mag anderen helfen, weil er ein guter Mensch sein will, weil er dem lieben
Gott gefallen will oder weil er seinem inhaltsleeren Leben einen Sinn geben
will. Unterstellung zweifelhafter Motive, die den Betreffenden herabsetzt und
entmutigt, ist hier wohl fehl am Platz., denn f r e i w i l l i g e s
altruistisches Handeln stellt einerseits die Empfänger der Hilfe besser und
stellt niemanden gegen seinen Willen schlechter. Es ist also ohne Probleme
allgemein konsensfähig. Etwas anderes ist es, wenn die Aufopferung für andere
zur P f l i c h t gemacht wird.
In diesem Zusammenhang ist mir die These
von Hanspeter in den Sinn gekommen, dass ethisches Verhalten (sein Beispiel war
„Hilfspflicht bei Notfällen“) auf Gegenseitigkeit gegründet sein muss. Das
heißt, ich bin nicht zur Hilfe verpflichtet gegenüber jemandem, von dem ich
selber in Notlagen keine Hilfe erwarten kann: „Ist die Gegenseitigkeit nicht
mehr gewährleistet, erlischt auch die Hilfspflicht.“
Ich würde auf den
ersten Blick sagen: Da ist was wahres dran .. aber stimmt das wirklich? Ich will
versuchen, die Frage etwas methodischer anzugehen. Wenn man fragt, ob eine Norm
„richtig“ ist, so sollte das Kriterium hierfür nach meiner Auffassung sein, ob
diese Norm für alle akzeptabel ist, genauer gesprochen: ob die t a t s ä c h l i
c h e B e f o l g u n g dieser Norm für alle akzeptabel ist. Wenn ich von der
allgemeinen Befolgung der Norm ausgehe, ist die Gegenseitigkeit der Hilfspflicht
gewährleistet, abgesehen von dem Fall, dass jemand keine Hilfe leisten kann oder
niemals Hilfe braucht.
Es stellt sich aber die Folgefrage: Was ist dann,
wenn diese Norm von einigen Individuen n i c h t befolgt wird, wenn sie im
Notfall keine Hilfe leisten, obwohl sie es könnten, aber gleichzeitig selber die
Hilfe anderer in Anspruch nehmen? Bin ich in dieser Situation weiterhin
verpflichtet, die „eigentlich“ richtige Norm zu befolgen? Andere betätigen sich
als „Trittbrettfahrer“ und ziehen den Nutzen aus der Norm, ohne sich an den
Kosten zu beteiligen, während ich brav meine Pflicht tue und im Notfall im Stich
gelassen werde. Eine solche Situation schafft „böses Blut“ und ist für die
„Moral“ einer Gemeinschaft kritisch. Und das wohl zu Recht, denn ein solcher
Zustand ist sicherlich nicht mehr allgemein konsensfähig. Er gleicht der
„parteiischen“ Norm, die Ausnahmeregeln für bestimmte Personen enthält.
Bleibst Du bei Deiner Position, Hanspeter, dass Moral keine Einbahnstrasse ist,
sondern Gegenseitigkeit voraussetzt? Ist es deshalb eine zulässige moralische
Entschuldigung zu sagen: „Aber die andern machen es ja genauso!“? Machen wir
konstruktiv weiter in der Hoffnung, dass unser Nachdenken über die „vernünftige“
Begründung ethischer Normen nicht ohne Resultate bleibt. In diesem Sinne grüßt
Dich und die andern Interessierten Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von polymatheia am 30. Mai 2003, 05:13 Uhr
Hallo :-)
Konnte die letzten zwei oder drei Tage keine Zeit fuer hier
aufbringen, und nun gibt es viel zu beantworten. Wenn alles klar geht gehe ich
auf Deine posts morgen ein Eberhard.
Zu deinem Vorschlag 'Machen wir
konstruktiv weiter in der Hoffnung, dass unser Nachdenken über die „vernünftige“
Begründung ethischer Normen nicht ohne Resultate bleibt' doch gleich eine kurze
Frage: Ich hoffe es ist in Ordnung wenn ich da auch mitmache - allerdings meiner
Doktrin folgend, wuerde ich versuchen gegen Deine ( oder HansPeters oder wer
auch immer einen 'pro' Beitrag zusteuert :-) )Ansaetze zu argumentieren. Das
wuerde womoeglich das erreichen was ich schon mehrfach angesprochen habe,
naemlich die Diskussion von einem Theoretischen auf ein praktisches Niveau zu
heben.
Bis spaeter [sun]
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 30. Mai 2003, 15:11 Uhr
Hallo
an alle Interessierten,
ich denke, dass wir die aufgetretenden Probleme
dadurch lösen sollten, dass wir das persönliche Gewissen (psychische Struktur,
anerzogene Programme usw.) außer Acht lassen. Gewissensentscheidungen sind
allgemein nicht zu lösen, sondern ausschließlich individuell und wie Eberhard
bereits richtig feststellte, Sache vorwiegend der Psychologen.
Moralische Normen, die für die Allgemeinheit gültig sind, sollten sich jeglicher
Freiwilligkeit enthalten. Altruismus ist für mich nach wie vor s e l b s t l o s
e s Handeln, aber ich bin bereit, diesen Begriff auch so zu erweitern, dass
darunter Handeln zum Wohle einer Person ohne adäquate materielle Gegenleistung
verstanden werden kann. Da Altruismus eine freiwillige Handlung ist, kann er in
der staatlichen Gesetzgebung nicht verankert sein und ich denke, er ist in den
Gesetzen der BRD auch nicht verankert.
Ich halte es, wie schon früher
gesagt, für falsch, auf den Altruismus zu setzen; je mehr Altruismus in einem
Staat notwendig erscheint, desto schlechter ist seine Sozialgesetzgebung.
Hallo Eberhard,
zum Thema allgemeiner Konsens. Ich denke, hier sollten
wir noch einmal auf deinen Beitrag vom 18. Mai 10:25 und meine Antwort vom 18.
Mai 15:23 zurückgreifen. Es ging dabei um den Gedanken von Rawls und seiner
Gerechtigkeitstheorie. Da waren wir der Sache doch schon sehr nahe.
Wenn wir
Konsens verlangen, wird jeder jedem helfen, weil er ja im Rawls-Modell vorher
nicht weiß, welchen Gesellschaftsplatz er einnehmen wird. Doch die Konsequenzen
sind, wie ich damals schon argumentierte, eine volle soziale Egalität. Da diese
praktisch nicht erreichbar ist, halte ich dein allgemeines Konsensmodell für
tot.
Hallo Polymatheia,
mit deinem Vorschlag, in die Praxis
überzugehen, stehst du nicht alleine da. Wir waren in früheren Zeiten dieses
Themas schon etwas praktischer. Wir müssen Eberhard nur noch überzeugen, dass
eine gute demokratische Mehrheit genug des Konsenses ist.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 30.
Mai 2003, 18:32 Uhr
hallo HP, und andere,
mir scheint der Unterschied
zwischen dir und Eberhard
liegt auch in der von dir postulierten "sozialen
Egalität". Es gibt in der Natur und auch beim Menschen keine zwei identischen
Lebewesen.
Konsens heißt eben nicht in letzter Konsequenz Egalität, das ist
wohl ein Trugschluß. Und die demokratische Mehrheit ist sicher kein
ausreichender Ersatz für Konsens im ethischen Sinn. Mit den Gesetzen ist man
schon einen kleinen Schritt weiter, aber die sind eigentlich nur die Folgen von
ethischem Konsens.
Rechtsstaat ist also entschieden mehr als demokratisches
Mehrheitsprinzip, denn das kann ja verdammt grausam gegen die Minderheit sein.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 30.
Mai 2003, 18:50 Uhr
2
Eine Annäherung der Positionen ist imho nur
möglich, wenn man nicht von der verdammten Gleichheit aller Menschen ausgeht.
Denn gemeint ist eben nicht Gleichheit der Person, sondern von mir aus gleiche
Rechte, gleich Pflichten, Gleichheit vor dem Gesetz, aber nicht Gleichheit in
der Person. Schon Mann und Frau sind ungleich. Es sind schon genug Scherben
zerschlagen worden, die Menschen so gleich wie möglich zu machen.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 30. Mai
2003, 18:52 Uhr
3
Gerade die Tolleranz und Akzeptanz von Ungleichheit
ist ein wesentliches ethisches Kriterium. Diese Tolleranz der Ungleichheit macht
aber völlig natürlich, dass der Starke dem Schwachen hilft und der Gesunde dem
Kranken, die Mutter dem Kind und der Mann der Frau. (früher mal [talker])
Akzeptierst du die Realität der natürlichen Ungleichheit, kommst du auch mit dem
Rawls-Modell klar.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 30. Mai 2003, 18:54 Uhr
Zu dieser Gleichheit der
Rechte und Ungleichheit der Person gehört die Freiheit Eigentum zu erwerben, was
wiederum mit gewissen Pflichten verbunden ist.
Gleichheit und Konsens über
ethische Regeln schließt also die Ungleichheit der Person nicht aus.
Demokratische Mehrheit alleine reicht nicht. Ich bin also eher auf der Seite von
Eberhard
Gruß
Paul
der philtalk server hat wieder keine
größeren Happen akzeptiert
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 31. Mai 2003, 04:19 Uhr
Hallo
Paul,
formuliere ich wirklich so unklar? Also noch einmal.
1. Es geht
um G e s e t z e.
2. Ich habe keine soziale Egalität postuliert, sondern ich
habe gesagt, die Tatsache, dass es sie nicht gibt und auch nicht praktizieren
lässt, ist ein Beweis für die Unmöglichkeit eines allgemeinen Konsensmodelles.
3. Wo habe ich jemals die Gleichheit der Menschen als existent oder
wünschenswert postuliert? Ich bin weit davon entfernt, dieses zu behaupten.
4. Das Rawls-Modell kenne ich nur von Eberhards Beitrag vom 18. Mai. Ich habe es
wiefolgt verstanden: Menschen entwickeln eine soziale Ethik, ohne im Voraus zu
wissen, welche Stellung sie in diesem System einnehmen werden, auf deutsch
gesagt, sie wissen nicht ob sie als Bill Gates oder als Obdachloser existieren
werden. In diesem Falle scheint mir klar zu sein, dass jeder eine soziale
Egalität fordern wird. Da diese aber nicht praktikabel ist, ist das Rawls-Modell
folglich auch nicht praktikabel. Und damit ist in meinen Augen bewiesen, dass
ein a l l g e m e i n e r Konsens nicht möglich ist.
Falls ich das
Rawls-Modell falsch verstanden habe, bitte ich um Aufklärung.
Alles klar?
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag
von paul am 31. Mai 2003, 19:49 Uhr
hallo HP,
ich argumentiere ja
nicht gegen dich sondern in deinem Sinne,
wenn ich soziale Egalität als
unnatürlich und freiheitseinschränkend beschreibe.
Quote:
... Und
damit ist in meinen Augen bewiesen, dass ein a l l g e m e i n e r Konsens nicht
möglich ist.
Deine Ansicht ist übrigens erstmals als erfolgreiche
Staatstheorie von Hobbes entwickelt worden, der davon ausging, dass die
"natürliche" oder auch rationale Motivation nur der Eigennutz ist.
Es
ergeben sich nun 2 Fragen:
1.) Kann eine Gemeinschaft so funktionieren?
2.) Ist (nur) Eigennutz das Handlungsmotiv des einzelnen?
Titel: Re: Ist
Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 31. Mai 2003, 19:52 Uhr
2
zu 1.)Rawls hat in seiner A Theory of Justice (1971) geschrieben
"No redistribution of resources within such a state can occur unless it benefits
the least well-off." Sein allgemeiner Konsensus ist recht nahe am Kantschen
Imperativ. Er ist dafür natürlich angegriffen worden wie von dir und hat diese
Position gemildert aber verteitigt in dem 2.Buch Political Liberalism (1993) mit
der >idea of public reason, "overlapping consensus"<
ich will jetzt die
Staatstheorien mal überspringen (es geht um Gesetzte) und gleich
zu 2) gehen.
Titel: trittbrettfahrer Theorie
Beitrag von paul am 31. Mai 2003,
19:57 Uhr
Dass selbst Ganoven oft irrational kooperativ handeln sollten
zeigt das bekannte Prisoner's Dilemma aus der Spieltheorie bei dem rationaler
Eigennutz zu Nachteilen führt.
Schwieriger ist schon die Situation wenn es
sich nicht um 2 Personen handelt, sondern um eine anonyme Masse, bei der man die
Vorteile der Gemeinschaft ohne Eigenbeitrag rational als Trittbrettfahrer
(freerider) bekommen kann.
Das freerider- Problem ist ein interessantes
philosophisches Problem, denn Demokratie funktioniert nur, wenn ein kritischer
Teil irrational (ethischer Konsens) und nicht als Trittbrettfahrer handelt. Wenn
alle Trittbrettfahrer sein wollen, ist nichts vorhanden, was man mitnehmen kann.
Titel: trittbrettfahrer Theorie
Beitrag von paul am 31. Mai 2003, 20:07
Uhr
Für mich ist z.B. Bill Gates ein Trittbrettfahrer (Monopolist), du
siehst leider nur sein Geld. Also auch "die freien Kräfte des Marktes" erfordern
allgemeinen Konsens für bestimmte Regeln.
Ein freerider kann z.B. durchaus an
sauberer Luft interessiert sein und wünschen, dass die Mehrheit sich daran hält,
ohne dass er sich selbst daran halten muß.
Titel: Re: Ist Ethik ein
sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 31. Mai 2003, 20:08 Uhr
Das gilt auch für die Wahl, bei der eine (meine) Stimme sicher keine Rolle
spielt. Alle Nichtwähler sind also rationale Trittbrettfahrer und die Wähler
verhalten sich ohne Zwang irrational (ethisch). Die ethische Mentalität einer
Gesellschaft ist also auch ganz gut an der Wahlbeteiligung abzulesen.
Damit
ist auch Frage 1) mit nein beantwortet.
Gruß
Paul
Titel: Das
dicke Ende der radikalen Gleichheit
Beitrag von Eberhard am 31. Mai 2003,
21:30 Uhr
Hallo Hanspeter,
ich habe Verständnis für Deinen
Wunsch, praktische, aktuell anstehende Normentscheidungen zu diskutieren und
polymatheia hat ja deswegen eine Diskussionsrunde mit dem Titel „Praktische
Ethik“ eröffnet. Aber wie will man eine konkrete ethische Frage richtig
beantworten, wenn unklar ist, was in Bezug auf ethische Fragen überhaupt
„Richtigkeit“ (bzw. „Wahrheit“ oder „Allgemeingültigkeit“) bedeuten kann? Ohne
gesicherte Grundlagen stehen alle Ergebnisse sehr wacklig da. Wir sollten jedoch
auf jeden Fall daran festhalten, Grundlagenprobleme möglichst nur dann zu
diskutieren, wenn sie bei der Beantwortung einer konkreten ethischen
Fragestellung auftreten, so wie wir das bei der Diskussion der Verpflichtung zur
Hilfeleistung gemacht haben. (In der Auseinandersetzung mit den grundsätzlichen
Einwänden von polymatheia musste ich notgedrungen leider etwas abheben.)
Mein Vorschlag war gewesen, anhand der Verpflichtung zur Hilfeleistung die
Konsequenzen zu diskutieren, die sich daraus ergeben, dass jemand sich nicht an
allgemein akzeptable Normen hält und zum „Trettbrettfahrer“ der bestehenden
Moral wird.
Du willst das Konsenskriterium verabschieden, weil es Dir auf
eine unrealistische soziale Gleichstellung hinauszulaufen scheint. Diese
Befürchtung ist jedoch unbegründet. Auf den ersten Blick scheint es zwar so zu
sein. Auch polymatheia hat damit gegen das Konsenskriterium argumentiert als er
schrieb: „A 'norm' as for example, to take all possessions currently held by the
1000 wealthiest people worldwide and give it in equal shares to everybody else,
seems to me quite fine with about 99.999% of the words population.”
Dagegen steht die meines Erachtens gut begründete Ansicht, dass eine
Gesellschaft, die immer wieder alle Mitglieder gleich gut stellt, keineswegs
eine Gesellschaft wäre, die auf allgemeinen Konsens rechnen kann. Man lege dazu
die folgenden realistischen Annahmen zu Grunde:
1. Die Bereitstellung der
Mittel zum Leben ist mit Mühsal und Anstrengungen verbunden.
2. Die meisten
Menschen scheuen Mühsal und Anstrengungen, wenn
es ihnen keinen Vorteil
einbringt.
3. Dadurch dass immer wieder alle Mitglieder der Gesellschaft
gleich gut gestellt werden, bringen Mühsal und Anstrengungen zur Bereitstellung
von Mitteln zum Leben niemandem einen Vorteil ein.
4. Folglich werden die
meisten Menschen keine Mühsal und Anstrengungen zur Bereitstellung von Mitteln
zum Leben auf sich nehmen.
5. Das hat zur Folge, dass die Gesellschaft
zunehmend verarmt und womöglich zu Grunde geht.
6. Eine solche Gesellschaft
ist nicht allgemein akzeptabel – im Gegenteil.
Sind Prämissen und
Schlussfolgerungen o.K.?
Der „Hungerkommunismus“ ist deshalb weder für
Rawls noch für mich die Konsequenz aus der Aufgabe der Position des
Eigeninteresses bei der Diskussion darüber, welche Normen alle am ehesten
akzeptieren könnten. Du wirst das Konsenskriterium also so leicht noch nicht
los. Auf ein Neues! Gruß Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 01. Juni 2003, 03:59 Uhr
Hallo
Paul,
du fragst, ob eine Gesellschaft auf der Basis von Eigennutz
funktionieren kann. Meine Antwort ist klar: Sie muss. Und sie funktionieren ja
auch sosolala. Jedenfalls sind Appelle an den Altruismus bisher noch nie sehr
erfolgreich gewesen.
Die Tatsache, dass es in einer Gesellschaft
Trittbrettfahrer gibt, kann man als Beweis einer lückenhaften Gesetzgebung
interpretieren. Wobei ja bekannt ist, dass zum Beispiel gezielt Gesetzeslücken
eingebaut werden (etwa in der Steuerpolitik), um bestimmten Kreisen das
Trittbrettfahren zu ermöglichen.
Dass Herr Bill Gates ein
Trittbrettfahrer ist, halte ich allerdings für ein Gerücht. Er ist vielmehr das
Zeichen einer völlig falschen Wirtschafts- und Sozialpolitik.
Dass ein
Nichtwähler, also jemand, der nicht bereit ist, sich zwischen Pest, Cholera,
Alzheimer, Aids und SARS zu entscheiden, ein Trittbrettfahrer ist, halte ich
angesichts der derzeitigen politischen Situation in der BRD für eine totale
Fehleinschätzung.
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 01. Juni 2003, 04:10 Uhr
Hallo
Eberhard,
ich halte es selbstverständlich für richtig, grundsätzliche
Fragen bei der Aufstellung von Normen zu diskutieren.
Es geht aber im
Moment ausschließlich um die Konsensfrage.
Zunächst zu deinen Argumenten.
Den praktischen Beweis, dass egalitäre Gesellschaften nicht funktionieren, hat
ja wohl die Realität erbracht. Du willst also jetzt den theoretischen Beweis.
Nun gut. Wenn ich dazu Kontra gebe, so nur, um die Problematik deiner
Beweisführung aufzuzeigen, nicht etwa, um die zu beweisende Tatsache in Frage zu
stellen.
1. Nicht akzeptiert. Es gibt Leute, die gerne arbeiten, denen es
langweilig wäre, nichts zu tun und die dabei noch viel Geld verdienen.
2.
Ebenfalls problematisch. Welche Art von Vorteil akzeptierst du? Die Genugtuung,
die ein Geschäftsmann oder ein Altruist verspüren, einen gute Bilanz oder eine
Gute Tat vollbracht zu haben?
3. Gilt sicher für viele Menschen. Stimmt aber
logisch nicht, da jede persönliche Anstrengung sehr wohl von Vorteil ist. Nur,
der persönliche Vorteil muss durch die Zahl der vom Vorteil betroffenen Menschen
dividiert werden. Darum sind auch egalitäre Kleingruppen durchaus denkbar, da in
diesen Fällen der Divisor ziemlich klein ist.
Noch etwas Grundsätzliches
zum Konsens. Deine Konsenstheorie ist ohnehin schon ziemlich verwässert, weil du
nicht jeden, sondern nur die Teilnehmer deines Idealen Diskussionsforums für
konsensfähig hältst. Und durch entsprechende Manipulationen an dessen Kriterien
ließe sich die "Allgemeinheit" weiter einschränken. Also, entweder ein wirklich
Allgemeiner Konsens, dann müssen aber auch alle Menschen zählen, oder aber eine
entsprechende Auswahl. Du versuchst es, über die intellektuellen und sozialen
Fähigkeiten der Menschen, in der üblichen Demokratie läuft es eben über die
Mehrheit. Sicher wäre es reizvoll, die Stimmen in einer demokratischen Ordnung
zu wichten, aber daran wirst du dir wohl die Zähne ausbeißen.
Gruß HP
Titel: Theorie und Praxis
Beitrag von Eberhard am 02. Juni
2003, 19:14 Uhr
Hallo Hanspeter,
noch einmal zur Funktion der
Forderung nach allgemeiner Konsensfähigkeit. Ich halte das Konsenskriterium auf
der Ebene der theoretischen Diskussion weiterhin für unverzichtbar.
Was
machen wir denn, wenn wir diskutieren und argumentieren? Wir stellen
"Behauptungen" auf, worunter ich Sätze verstehe mit dem Anspruch auf
„Richtigkeit“, d.h. auf eine zeit- und personunabhängige Geltung. Wir versuchen
unsere Behauptungen zu "begründen", d.h. wir bringen "Argumente" vor, um diesen
Anspruch einzulösen. "Argumente" bilden logische Brücken zwischen bereits
anerkannten Prämissen und den strittigen Behauptungen (oder deren Verneinungen)
Das Ziel einer theoretischen Diskussion ist also immer die Zustimmung zu den
aufgestellten Behauptungen, d.h. die Herstellung eines dauerhaften und
allgemeinen Konsens.
Wer für eine normative Behauptung Geltung
beansprucht, unabhängig davon, ob sich über diese Behauptung ein argumentativer
Konsens herstellen lässt, der führt keine theoretische Diskussion sondern er
fordert in Wirklichkeit nur Gehorsam.
Du hältst dagegen, dass „eine
gesunde demokratische Mehrheit Konsens genug ist“. Bei Abstimmungen geht es aber
nicht um „Wahrheit“ oder „Richtigkeit“. Hier wird durch ein
Entscheidungsverfahren eine Norm als v e r b i n d l i c h gesetzt gerade weil
unterschiedliche Überzeugungen fortbestehen. Dass eine Position überstimmt wird,
heißt nicht, dass sie falsch ist.
Normsetzungsverfahren befinden sich auf
der Ebene der Praxis, wo im Unterschied zum „endlosen Streit der Gelehrten“
zeitliche Beschränkungen, Informations- und Entscheidungskosten eine Rolle
spielen. Die Ebenen der Theorie (Diskurs um Wahrheit, Richtigkeit,
Allgemeingültigkeit) und der Praxis (Setzung von Normen und Entscheidungen als
allgemein verbindlich) müssen deshalb sorgfältig auseinander gehalten werden und
deren Beziehungen zueinander müsste von uns noch weiter geklärt werden.
So steht das Mehrheitsprinzip ja z.B. immer im Rahmen einer Verfassung, die
festlegt, wessen Stimme zählt, und worüber Abstimmungen überhaupt zulässig sind.
Um Entschuldigung für die Praxisferne bittet Eberhard.
Titel: Re: Ist
Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 03. Juni 2003,
04:16 Uhr
Hallo Eberhard,
es ist sicher richtig, wenn du
schreibst: < Das Ziel einer theoretischen Diskussion ist also immer die
Zustimmung zu den aufgestellten Behauptungen, d.h. die Herstellung eines
dauerhaften und allgemeinen Konsens.> Das möchte jeder Diskussionsteilnehmer,
doch das findet in der Realität ja nur selten statt. Denn es setzt vor allem die
gleichen Prämissen voraus. Ein Theologe und ein Atheist gehen aber von
verschiedenen Prämissen aus. Nun schließt du den Theologen bereits aus, weil er
übernatürliche Argumente in die Diskussion bringt. Damit gibt es aber bereits
keinen allgemeinen Konsens.
Moralische Normen lassen sich nicht durch
"allgemeinen Konsens" erstellen, sonst hätten wir schon längst weltweit
akzeptierte Normen, so wie es eine weltweit akzeptierte Mathematik gibt.
Gruß HP
Titel: Ethik ohne allgemein kosensfähige Begründung?
Beitrag von Eberhard am 03. Juni 2003, 10:47 Uhr
Hallo Hanspeter,
wir sind offenbar am „Knackpunkt“ des Projekts „Suche nach allgemeingültigen
ethischen Normen“ angelangt. Deshalb gilt es, jeden Schritt in der Argumentation
genau zu prüfen.
Ich frage Dich (und ich würde jeden andern
Diskussionspartner ebenso fragen):
Willst Du mich (und mögliche
Philtalk-Leser) von der Richtigkeit bestimmter Behauptungen durch Einbringen von
Argumenten überzeugen?
Würdest Du mit „Nein“ antworten, so wäre jede weitere
Fortsetzung der Diskussion sinnlos. (Wir könnten dann vielleicht unter der
Rubrik „Rhetorische Schaukämpfe“ weitermachen.)
Wenn Du mit „Ja“ antwortest,
kann die Diskussion beginnen.
Angenommen, Du bringst jetzt ein Argument in
die Diskussion ein, das ich nicht akzeptieren kann, weil es eine Prämisse
enthält, die ich nicht teile.
In diesem Fall würde ich Deine Prämissen mit in
die Diskussion einbeziehen und nach der Begründung dieser Prämisse fragen.
Wenn Du das ablehnst, ist das von Dir vorgebrachte Argument für die Diskussion
bedeutungslos, da es nicht geeignet ist, das oben genannte Ziel, die Überzeugung
anderer, zu erreichen. Das heißt nicht, dass ich Dich von der Diskussion
ausschließe. Solltest Du jedoch nur über Argumente verfügen, deren Prämissen Du
nicht in Frage stellen lässt, so hast Du Dich als Teilnehmer der Diskussion
selber disqualifiziert.
Wenn ich jedoch Deine Prämissen mit in die Diskussion
einbeziehen darf, so steht einer wechselseitigen Überzeugung grundsätzlich
nichts im Wege.
Um meine Position in dieser wichtigen Frage noch einmal
zuzuspitzen: Wenn wir die Ethik zu einer Wissenschaft machen wollen, dann muss –
wie in andern Wissenschaften auch – die methodische Regel gelten, dass nur
Argumente gelten, die intersubjektiv nachvollziehbar und akzeptierbar sind.
Diese methodische Regel ist in der bisherigen ethischen Diskussion nach meiner
Kenntnis bisher nicht strikt eingehalten worden und es ist bisher nicht
systematisch die Frage gestellt worden: „Was sind die Bedingungen für die
intersubjektive Nachvollziehbarkeit und Konsensfähigkeit von Normen und deren
Begründungen?“
Wir kommen dem Ziel einer intersubjektiv nachvollziehbaren
Beantwortung ethischer Fragen schon näher, wenn jeder Diskussionsteilnehmer
folgende methodische Regeln im Hinterkopf behält:
1. Die Frage, die
beantwortet werden soll, explizit formulieren.
2. Die Behauptung, die
strittig ist, ebenfalls explizit formulieren.
3. Bei jedem Argument im
Zweifelsfall angeben, welche Behauptung damit gestützt oder angegriffen werden
soll.
4. Nicht weiter begründete Prämissen eines eigenen Arguments als solche
deutlich machen.
5. Wenn nötig, das gemeinsame Verständnis eines Begriffs
durch explizite Definition verbessern.
Aber diese methodischen
Überlegungen sollen uns nicht abhalten, die inhaltlichen ethischen Fragen weiter
zu diskutieren, meint Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses
Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 03. Juni 2003, 13:56 Uhr
Hallo
Eberhard,
deinem Anspruch, die Ethik zu einer Wissenschaft zu machen, mag
ich zustimmen. Keine Chance sehe ich dagegen für die Moral. Und auf die kommt es
ja letztlich an. Wir können Moralen wissenschaftlich untersuchen - das ist ja
die Aufgabe der Ethik - , aber keine Wissenschaft kann sie schaffen. Genau wie
der Psychologe die Psyche erforschen, nur schwer verändern, aber schon gar nicht
psychische Normen setzen kann. Wir können also nur moralische Normen als
plausibel betrachten, ohne ihre Richtigkeit zu beweisen und dann versuchen, sie
gegen die stets vorhandenen Widerstände durchzusetzen. Zum Beispiel dadurch,
dass die Macht des Faktischen uns dazu zwingt.
Nun zu deiner Diskussion.
Betrachten wir ein konkretes Beispiel. Der Theologe argumentiert, dass die
moralischen Normen der Bibel zu gelten haben. Er setzt die Prämisse, dass in
diesem Buch Gott dem menschlichen Handeln Richtung und Grenzen aufgezeigt hat.
Der Atheist kann diese Prämisse nicht teilen. Eine Begründung dieser
Prämisse ist nicht möglich, da sie für den Theologen ein Axiom darstellt. Zwar
kann er die Existenz Gottes nicht beweisen, da er aber Gott als ein Wesen
definiert, dessen Existenz nicht beweisbar ist, kann der Atheist auch keine
Gegenbeweis starten. Eine "wechselseitige Überzeugung" hat folglich keine
Chance.
Wie ist da ein allgemeiner Konsens denkbar?
Gruß HP
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 03.
Juni 2003, 17:47 Uhr
hallo Eberhard
deinen letzten Beitrag fand ich
ganz hervorragen, sonst ist es wirklich nur ein aneinander vorbeireden
(showkampf).
In der Existenz von Religionen sehe ich keinen Hinderungsgrund,
Ehtik und Moral unabhängig (wissenschaftlich) zu diskutieren.
Gruß
Paul
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 03.
Juni 2003, 18:01 Uhr
hallo HP
Quote:
Dass ein Nichtwähler,
also jemand, der nicht bereit ist, sich zwischen Pest, Cholera, Alzheimer, Aids
und SARS zu entscheiden, ein Trittbrettfahrer ist, halte ich angesichts der
derzeitigen politischen Situation in der BRD für eine totale Fehleinschätzung.
Deine Antwort hatte ich ganz überlesen, pardon.
Mit Wähler meine ich
politische Wahlen, die die Regierung einer Gemeinschaft bestimmt.
Wahl ist
zwar nicht gesetzliche Pflicht aber ethisch geboten.
Dass BG ein
Trittbrettfahrer ist könnte ich schon nachweisen, es laufen ja genug Klagen
gegen ihn, führt aber hier zu weit.
Gruß
Paul
Titel: Falsche
Bescheidenheit des Philosophen
Beitrag von Eberhard am 04. Juni 2003, 06:29
Uhr
Hallo Hanspeter,
Du reduzierst den Anspruch an die Ethik zu
weit, wenn es reicht, für moralische Normen „Plausibilität“ zu erreichen (wann
ist die erreicht?) , um sie dann gegen soziale Widerstände durchzusetzen. Das
ist eher das Geschäft des praktischen Politikers, der sein „plausibles“
Parteiprogramm poltisch durchsetzen will.
Als Wissenschaftler und
Philosoph sehe ich meine Aufgabe eher darin, die Beantwortug offener Fragen
voranzubrngen und nach den geeigneten Methoden und den Kriterien für die
richtige Beantwortung dieser Fragen zu suchen. Und im Bereich der Ethik geht es
um die Beantwortung von normativen Fragen danach, wie wir handeln sollen oder
dürfen. Dabei unterscheide ich inhaltliche ethische Fragen („Darf man bzw. Soll
man x tun?“) von methodologischen Fargen („Wie kann man inhaltliche Fragen
richtig beanworten?). Deine Defintionen von „Ethik“ und „Moral“ erscheien mir
wenig geeignet, Klarheit zu schaffen: Ist das Berufsethos der Ärzte etwas
Ethisches oder etwas Moralisches? Ist die empirische Untersuchung vorhandener
Moralsysteme Ethik oder Soziologie?
Zur Blockade der Diskussion zwischen
einem Gläubigen und einem Nicht-Gläubigen: Wenn der Gläubige seinen Glauben
gegen Kritik zu verteidigen sucht und zu Konstruktionen greift wie „Die Existenz
Gottes lässt sich nicht beweisen oder widerlegen, sonst wäre Gott nicht Gott“,
dann erinnert mich das an einen Witz, wo ein Irrer eifrigst die völlig saubere
Straße fegt. Es kommt ein Passant vorbei, sieht sich das eine zeitlang an und
entschließt sich dann zu der Frage:“ Sagen Sie, warum fegen Sie da eigentlich?“
Der Irre fegt eifrig weiter und antwortet: „Ich fege die kleinen blauen Männchen
weg!“ „Ja, aber ich sehe gar keine blauen Männchen!“ ruft der Passant
verwundert, worauf der Irrre stolz antwortet: „Ja, da sehen sie mal, wie gut
mein Fegen wirkt!“ Aber Spass beiseite: Ich kann natürlich immer Behauptungen
aufstellen und dabei solche Annahmen machen, die eine Widerlegung meiner
Behauptung unmöglich machen. Diese Strategie der Abschottung oder
„Immunisierung“ gegen Kritik kann man zwar machen, aber dadurch werden diese
exklusiven Welten für andere auch irrelevant. Wenn jemand behauptet, er könne
mit den Verstorbenen sprechen, aber auf dem Kontroll-Tonband ist von diesen
nichts zu hören, dann mag er antworten: „Natürlich bemerken die Geister der
Verstorbenen das Tonbandgerät und dann bleiben sie weg“. Aber seine Behauptungen
lohnen damit auch nicht die Diskussion. Etwas Wirkliches, was nicht wirkt, ist
uninteressant.
Wenn eine Diskussion das Ziel hat, durch Argumente zu
einer gemeinsamen Beantwortung der jeweils strittigen Frage zu kommen, dann sind
derartige Immunisierungsstrategien nicht dazu geeignet, den anderen zu
überzeugen. Insofern ist ihre Anwendung im Diskurs nicht zulässig, meint
Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag
von Hanspeter am 04. Juni 2003, 09:51 Uhr
Hallo Eberhard,
zunächst einmal zum Moral/Ethikbegriff. Ich halte mich dabei in etwa an mein
Philosophisches Wörterbuch (Schischkow, Kröner). Moral fragt, was ist gut, was
ist böse. Sie ist von Mensch zu Mensch, vor allem aber von Kulturkreis zu
Kulturkreis verschieden. Die Ethik dagegen untersucht die verschiedenen
Moralauffassungen: Es gilt das "Prinzip der Vielheit der Moralen und der Einheit
in der Ethik". Demzufolge ist das Berufsethos der Ärzte ein Frage der Moral,
(empirische) Untersuchungen über vorhandene Moralsysteme ein Problem der Ethik.
Das mit dem Gottesbeweis ist natürlich die Überzeichnung eines
Atheisten. Ich weiß aus zahllosen Diskussionen mit Theologen, dass dies keiner
zugeben wird, de facto aber argumentieren sie so. Du brauchst dir dazu ja nur
den Wandel der Gottesvorstellungen im christlichen Abendland im Laufe der
letzten 500 Jahre anschauen.
Du schreibst dazu: <Wenn eine Diskussion das
Ziel hat, durch Argumente zu einer gemeinsamen Beantwortung der jeweils
strittigen Frage zu kommen, dann sind derartige Immunisierungsstrategien nicht
dazu geeignet, den anderen zu überzeugen. Insofern ist ihre Anwendung im Diskurs
nicht zulässig,> Wenn es dir gelingt, im Rahmen eines Allgemeinen Konsenses die
Frage, ob es eine von Gott verordnete Moral gibt, so oder so zu beantworten,
wären wir einen wesentlichen Schritt weiter.
Aber wir brauchen uns nicht
nur darauf zu kaprizieren. Fragen im Sozialbereich gehen ebenso ans Eingemachte.
Was für den einen soziale Gerechtigkeit ist, hält der andere für einen
ausgemachten Neidkomplex. Und einen allgemeinen Konsens dafür, dass jemand einen
ordentlichen Teil seiner "sauer verdienten Millionen" der Allgemeinheit zur
Verfügung stellt, suchen ja nicht nur wir.
Natürlich würde ich es
begrüßen, eine wissenschaftlich exakte Beweisführung zu finden, welche
moralischen Normen zu gelten haben. Aber ein allgemeiner Konsens ist nicht drin,
wenn allgemein alle beinhaltet. Ein Konsens der "Willigen", also derjenigen, die
deinem Idealen Diskussionsforum entsprechen, könnte möglich sein. Lassen wir
doch die Praxis sprechen und sehen wir selbst, inwiefern wir einen Konsens der
Willigen zustandebringen. Theoretische Einwürfe sind stets willkommen, doch nur
mit Diskussionen über die Konsensfrage kommen wir nicht weiter.
Gruß HP
PS. Werde die nächsten 6 - 8 Wochen nur noch spärlich antworten können,
hängt davon ab, ob ich unterwegs Zugang zu einem Internet-Computer habe.
Titel: Gibt es eine von Gott gesetzte Moral?
Beitrag von Eberhard
am 06. Juni 2003, 19:24 Uhr
Hallo Hanspeter,
auch auf die Gefahr
hin „platt“ zu wirken und gegenüber dem universalen und vielschichtigen Phänomen
„Religion“ verständnislos zu erscheinen, versuche ich die von Dir aufgeworfene
Frage: „Gibt es eine von Gott verordnete Moral?“ zu beantworten.
Vorweg
sei noch einmal die Diskurs-Situation skizziert: Eine Frage „beantworten“ meint
„richtig“ beantworten. „Richtigkeit“ enthält zum einen unausgesprochen den
Anspruch auf dauerhafte (intertemporale) und allgemeine (intersubjektive)
Geltung, d.h.: wenn eine Antwort als „richtig“ ausgezeichnet wird, dann soll sie
jeder und jederzeit seinem Denken und Handeln zugrunde legen
Zum andern
enthält die Auszeichnung einer Antwort als „richtig“ auch die Zusicherung, dass
der Geltungsanspruch mehr ist als ein bloßer Glaubens- und Gehorsamsanspruch.
Wenn eine Antwort als „richtig“ bezeichnet wird, dann bedeutet das zugleich,
dass dieser Geltungsanspruch „vernünftig“ eingelöst werden kann, also aufgrund
von Argumenten (Begründungen), die im Prinzip für jedermann und jederzeit
zwanglos einsichtig gemacht und nachvollzogen werden können.
Nach dieser
zugegebenermaßen sehr komprimierten Vergegenwärtigung dessen, was einen auf
Erkenntnis ausgerichteten Diskurs ausmacht, zur konkreten Frage: „Gibt es eine
von Gott verordnete Moral?“ Diese Frage lässt sich über die grundlegendere Frage
beantworten: „Gibt es Gott?’“
Um diese Frage mit Geltung für alle
beantworten zu können, muss der Sinn dieser Frage für alle einheitlich und klar
sein. Das setzt voraus, dass über die Bedeutung der benutzten Wörter Einigkeit
besteht.
Mit den Worten „Gibt es x?“ wird nach der tatsächlichen
gegenwärtigen Existenz von x gefragt. Wenn jemand die Antwort „Gibt es x?“
bejaht und die Antwort: „Es gibt x“, für die richtige erklärt, so muss er dies
für andere nachvollziehbar und nachprüfbar begründen. Das heißt, es muss
irgendeine zwischen den Subjekten übereinstimmende Wahrnehmung von x geben. Wenn
z.B. gefragt wird: „Gibt es 1-Dollar-Banknoten?“, und jemand behauptet: „Ja, es
gibt 1-Dollar-Banknoten“, so kann er dafür intersubjektiv nachvollziehbare
Argumente vorbringen indem er einen solchen Schein aus der Tasche zieht und ihn
zeigt.
Etwas komplizierter ist es bei der Frage, ob es Schlümpfe gibt.
Wenn jemand die Frage bejaht, und behauptet: „Ja es gibt Schlümpfe“ und eine
kleine blaue Figur aus der Tasche zieht und zeigt, so wird der andere sagen: „So
war meine Frage doch nicht gemeint. Ich wollte wissen, ob diese kleinen blauen
Kerle wirklich irgendwo leben, nicht dass sich jemand solche Figuren ausgedacht
hat und jemand diese Figuren nachgemacht hat.“
Die Frage „Gibt es Gott?“
ist ebenfalls so gemeint, dass jemand, der diese Frage verneint, nicht verneint,
dass es weit verbreitete Gottesv o r s t e l l u n g e n gibt.
Die
nächste Frage ist, was mit dem Wort „Gott“ gemeint ist. Es könnte jetzt ein
Diskussionsteilnehmer gegen diese Frage protestieren und sagen: „Gott lässt sich
nicht definieren!“ Dann kann man nur feststellen, dass er ein Wort benutzen
will, ohne damit einen intersubjektiv bestimmten Sinn zu verbinden. Damit haben
Behauptungen, in denen das undefinierte Wort vorkommt, für die verschiedenen
Diskussionsteilnehmer verschiedene Bedeutungen. Damit wird aber der Streit, ob
die Antwort „Es gibt Gott“ richtig ist, sinnlos. Denn wenn das Wort mehrdeutig
ist, kann sowohl die Bejahung wie die Verneinung richtig sein, je nachdem, was
man unter „Gott“ versteht.
Es muss also bestimmt werden, was mit dem Wort
„Gott“ gemeint ist. Hier öffnet sich für ein Publikum, das der kirchlichen Lehre
in weiten Teilen entfremdet ist, ein weites Feld , wie man auch innerhalb der
PhilTalk-Foren feststellen kann. Ich will mich hier nicht auf die modernen
Dehnungen des Gottesbegriffs („kosmisches Prinzip“ etc.) einlassen, sondern die
Bedeutung des Worte näher an der offiziellen Lehre orientieren und folgende
Definition verwenden: „Gott“ ist ein personales Wesen, das ewig und allmächtig
ist, das die Welt erschaffen hat und die menschlichen Geschicke lenkt.
(Fortsetzung unten!)
Einen schönen Urlaub wünscht Eberhard.
Titel: Von Giott gesetzte Moral? II..
Beitrag von Eberhard am 06. Juni 2003,
19:29 Uhr
Hallo Hanspeter,
(Fortsetzung)
Wenn jemand nun die
Existenz eines solchen allmächtigen Wesens „behauptet“, dann zeichnet er die
Antwort „Es gibt Gott“ als die „richtige“ aus und fordert damit implizit andere
auf, diese Antwort ihrem Denken und Handeln zugrunde zu legen. Und wenn dies
mehr sein soll als eine bloße Aufforderung zum Glauben, so muss es für diese
Behauptung Gründe geben, die letztlich auf einer intersubjektiv
übereinstimmenden Wahrnehmung beruhen. Die normale sinnliche Wahrnehmung und
speziell die Beobachtung der Wirklichkeit, die in den Erfahrungswissenschaften
konsensstiftend wirkt, liefert keine Übereinstimmung in Bezug auf die Existenz
Gottes .- oder höchstens eine negative. In den Erfahrungswissenschaften kommt
Gott deshalb als zu beschreibende Wirklichkeit oder als erklärender Ursache
nicht vor.
Nun könnte sich jemand auf seine „religiöse Erfahrung“
berufen und sagen: „Ich habe Gott erfahren und ich erfahre ihn täglich in meinem
Leben. Wer Gott wirklich sucht, dem wird er sich nicht verweigern.“ Dabei
handelt es sich offensichtlich um eine subjektive innere Erfahrung des
Gottgläubigen, ein Erleben, das viele andere Individuen nicht in gleicher Weise
haben. Und es gibt keinen intersubjektiv nachvollziehbaren Weg, diese
„Erfahrung“ Gottes zu machen.
Damit kann für die Antwort „Es gibt Gott“
keine „Richtigkeit“ beansprucht werden und es kann kein Anspruch auf allgemeine
Geltung dieser Antwort erhoben werden. Und folglich kann auch für die
Behauptung: „Es gibt eine von Gott verordnete Moral“ kein Geltungsanspruch
erhaben werden, weil die intersubjektiv nachprüfbaren Argumente fehlen.
Nun könnte jemand entgegnen: „Nun gut, das mag vielleicht sein, dass sich die
Existenz Gottes nicht rational belegen lässt, aber umgekehrt lässt sich auch
nicht rational belegen, dass es Gott nicht gibt.“ Aber das heißt nicht, dass man
mit der gleichen Berechtigung annehmen kann, dass es Gott gibt, wie dass es ihn
nicht gibt. Es heißt nicht zu Unrecht: „Ein Narr kann mehr behaupten, als
hundert Weise widerlegen können.“ Die Beweislage ist bei Existenzbehauptungen
nicht symmetrisch, denn zu ihrer Bestätigung genügt eine einzige Wahrnehmung, zu
ihrer Widerlegung reichen noch so viele Beobachtungsergebnisse nicht aus. Die
Beweislast liegt deshalb bei dem, der behauptet, es gebe Schneemenschen, nicht
bei dem, der die Existenz solcher Schneemenschen bestreitet. Gruß Eberhard.
Titel: Re: Von Giott gesetzte Moral? II..
Beitrag von dinu am 06.
Juni 2003, 22:03 Uhr
on 06/06/03 um 19:29:42, Eberhard wrote:
Hallo Hanspeter,
Die Beweislast liegt deshalb bei dem, der behauptet,
es gebe Schneemenschen, nicht bei dem, der die Existenz solcher Schneemenschen
bestreitet. Gruß Eberhard.
Hallo Eberhard,
Aus der Sicht
logischer Argumentation hast du bei der Frage des Gottesbeweises zweifellos
recht. Man kann die Frage nach der Existenz Gottes aber auch aus einer nicht
primär der Logik verpflichteten Perspektive betrachten und dabei zu anderen
Schlüssen gelangen. Ich begreife Gott als kulturell-gesellschaftliche
Konstruktion von Wirklichkeit. Gott konstituiert sich in der Gesamtheit
individueller und kollektiver Gottesvorstellungen, die in einem dauerenden
Prozess gesellschaftlicher Diskurse im Verlauf der Zeit Gott neu erfinden.
Unbestreitbar scheint mir, dass es keinen "physischen" Gott gibt. Gott ist eine
menschliche Schöpfung und wird mit dem letzten Menschen sterben, es sei denn, es
gebe andere Kulturen irgendwo im Universum, die zur Gottesvorstellung befähigt
sind.
Aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit Gottes ergibt sich auf
kollektiver und individueller Ebene Wirksamkeit: Gott wirkt auf die Gesellschaft
und auf einzelne Individuen. Wirksamkeit zum Beispiel im Sinn von "Glaube
versetzt Berge". Also: den absoluten, von uns unabhängigen Gott gibt es
zweifellos nicht, der von uns erschaffene Gott (die erschaffenen Götter) sind
aber nicht weniger wirksam als der absolute Gott.
Gruss, Martin
Titel: Re: Gott und Ethik?
Beitrag von paul am 07. Juni 2003, 01:32
Uhr
hallo Martin,
meinst du nicht, es ist eine Scheinlösung mit
deinem vom Mensch geschaffenen Gott? Abgesehen davon, dass es ja nicht nur einen
bestimmten Gott gibt, das wäre ja auch wieder etwas intollerant,
philosophischer Disput endet sofort im unerklärlichen , mystischen, du darfst
das nicht mehr anzweifeln, interpretieren oder sonst was, es ist Glaube.
Titel: Re: Gott und Ethik?
Beitrag von paul am 07. Juni 2003, 01:33 Uhr
2
Natürlich ist dieser Glaube wirksam, wer wollte das bezweifeln,
aber Vorsicht, nicht im Sinne von Berge versetzen, das ist Unsinn, nein in dem
Sinne, dass alle ethischen Normen, die der Mensch bereit ist sich selbst zu
setzen, aufgehoben werden, wenn man sich auf diesen Gott beruft.
Du darfst
nicht töten, es sei denn, Gott befielt es dir ???????
Gruß
Paul
Titel: Verstöße gegen ethische Normen
Beitrag von Eberhard am 10. Juni 2003,
14:45 Uhr
Hallo Ethik-Interessierte,
Da Hanspeter den verdienten
Urlaub macht, will ich die Gelegenheit nutzen, das Projekt einer Ethik
weiterzuverfolgen, die am Ziel allgemein konsensfähiger Normen ausgerichtet ist.
(Vielleicht stoße ich ja schon bald auf formulierten Widerspruch, der meinen
Monolog beendet.)
Bisher wurden die ethischen Normen immer unter der
Annahme diskutiert, dass sie auch befolgt werden. Die Frage, die bei der Suche
nach konsensfähigen Normen gestellt wurde, lautete: „Können alle wollen, dass
die Norm x allgemein befolgt wird?“ Bestimmte Normen wie „Man soll einen anderen
nicht töten (verletzen, beleidigen, belügen, betrügen oder quälen) es sei denn,
die Bedingungen r, s, t liegen vor“ können dabei im Falle ihrer allgemeinen
Befolgung meines Erachtens als allgemein akzeptabel ausgemacht werden.
Was ist aber, wenn Individuum A die Norm x nicht befolgt, jedoch gleichzeitig
den Schutz dieser Norm in Anspruch nimmt. Ein solcher Zustand ist aus zwei
Gründen für die „normtreuen“ Individuen nicht konsensfähig: Erstens erlegt sich
der Normverletzer A nicht die Einschränkungen der Norm x auf und beteiligt somit
nicht an den Nachteilen, die die Einführung der Norm mit sich bringt, und
zweitens schmälert er durch sein normwidriges Verhalten den Vorteil, den die
Normtreuen aus der Einführung der Norm x ziehen könnten.
Die
Konsensfähigkeit der Norm x kann jedoch meist durch ihre S a n k t i o n i e r u
n g wieder hergestellt werden, wobei man zwischen verinnerlichten und äußeren
Sanktionen unterscheiden kann. Die v e r i n n e r l i c h t e n m o r a l i s c
h e n E i n s t e l l u n g e n lösen beim Normverletzer Schuld- und
Schamgefühle, Selbstvorwürfe oder Minderwertigkeitsgefühle aus. Das Individuum
lernt von Kindheit an, dass „man bestimmte Dinge nicht tut“ und dass jemand, der
diese Dinge trotzdem tut, ein „schlechter Mensch“ ist, der Verachtung und eine
entsprechende Behandlung durch die andern Gruppenmitglieder verdient. (Bei
religiös orientierten Individuen kommt noch das schuldig werden vor Gott hinzu,
also die Sünde und ihre angenommenen Folgen.) In Gruppen, wo jeder jeden kennt,
können diese durch die „Sozialisation“ und die moralische E r z i e h u n g
verinnerlichten Sanktionen eine ausreichende starke Motivation schaffen, um in
den allermeisten Fällen die Befolgung der Norm zu sichern.
Zum andern
gibt es ä u ß e r e S a n k t i o n e n gegen den Normverletzer wie den Verlust
seines sozialen Ansehens und die damit verbundene Beeinträchtigung seiner
sozialen Beziehungen sowie institutionalisierte S t r a f e n, deren Erwartung
bzw. Androhung zur Befolgung der Norm motivieren soll. Durch eine in der Höhe
angemessene Bestrafung des Normverletzers wird zugleich die Konsensfähigkeit der
Norm wiederhergestellt, da es jetzt keine sachlich unbegründete Besserstellung
des Normverletzers mehr gibt. Unter dem Aspekt der allgemeinen Konsensfähigkeit
von Normen hat die Bestrafung deshalb einen eigenen Stellenwert und kann nicht
nur unter dem Aspekt der Resozialisierung des Normverletzers beurteilt werden.
Dabei entsteht die zusätzliche ethische Frage, was die „gerechte“ und
„verdiente“ Strafe für eine bestimmte Normverletzung ist.
Wenn spezielle
Verfahren und Institutionen für die Identifizierung, Ergreifung, Verurteilung
und Bestrafung von Normverletzern geschaffen werden, kann man von einer „R e c h
t s o r d n u n g“ sprechen, die neben der moralischen Ordnung entsteht. Im
Unterschied zu den verinnerlichten Sanktionen setzt die Bestrafung von
Normverletzungen voraus, dass der Normverletzer identifiziert und ergriffen
wird. Diese und weitere Besonderheiten der institutionalisierten Bestrafung
können dazu führen, dass moralische und rechtliche Normen einer Gesellschaft
nicht deckungsgleich sind.
Alles klar? fragt Eberhard.
Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von twork am
11. Juni 2003, 12:08 Uhr
Ich hab nur Bruchteile einiger Beiträge in
diesem Thread gelesen, deshalb kann ich nicht sagen, ob jemand schon diese
Ansicht geäußert hat.
Alle Ethik basiert auf biologischer und kultureller
Evolution. Was wir als schön oder gut ansehen, tendiert dazu das zu sein, was
uns selbst, der Gesellschaft und unseren Ideen zur besseren Fortpflanzung dient.
Das "Gute" ist der Fortschritt in die Richtung der evolutionären Vielfalt, wobei
nach der biologischen Evolutionsfolge nun eine Monokultur die kulturelle
Evolution trägt.
Daher sollte die Ethik Theorien für Menschen und höhere
Lebewesen entwickeln, die bei möglichst geringem Energieaufwand eine athäquate
Lösung für die Problematik der Moral darstellt, ohne den Nachwuchs an Ethikern
vollständig zu verhindern solange es noch Forschungsbedarf gibt. Jede neu
entwickelte Ethik zieht eine zugehörige Theologie nach sich, die sich damit
beschäftigt,
- den Angehörigen der Glaubensgemeinschaft eine Anpassung des
Glaubens an aktuelle Erkenntnisse zu ermöglichen, ohne ihren Glauben vollständig
zu verlieren
- Glaubensrichtungen in Richtung Effizient zusammenzuführen,
damit schädliche Spannung abgebaut werden können, bzw. andere Theologien in der
eigenen neutral bis positiv zu belgen.
- die Fortpflanzung einer veralteten
Ethik einzudämmen, wenn dieses Vorhaben besser erscheint als die Anpassung an
aktuelle Erkenntnisse
- Erkennen der sinnvollen Zielgruppe dieser Ethik und
Überlegungen wie diese an die entsprechenden Lebewesen vermittelt werden kann.
Es stellt sich natürlich die Frage, nach welchem Kriterium man nun konkret
die Effizienz einer Ethik beurteilen soll. Wobei diese Frage wohl keine einfache
Antwort hat, so kann man doch Leitlinien festlegen:
- Verhindern der
Wiederherstellung einer frúheren Evolutionsstufe oder etwas das diesem ähnelt
(z.B. Atomkrieg)
- Erhöhung der Menge an bio-evolutionsfreien Denkressourcen,
Sicherung der zukünftigen Erhaltung und Erhöhung (Nachhaltigkeit)
-
Möglicherweise lässt sich Wissen und biologische Vielfalt in Zahlen fassen (z.B.
im Sinne von auf sich wiederholende (daher komprimierbare) Strukturen auf Basis
von bestimmten Grundbedingungen)
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