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Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?

(Diskussion bei PhilTalk)



PhilTalk Philosophieforen
Praktische Philosophie >> Ethik >> Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
(Thema begonnen von: Leviathan am 17. März 2003, 19:59 Uhr)



Titel: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Leviathan am 17. März 2003, 19:59 Uhr

[applause]Ethik ist erst im Zusammenleben der Menschen möglich; der Mensch als Ur- Mensch, als Einzelgänger hat und braucht natürlich keine Ethik. Aber wenn man sich heutzage das Leid in der Welt vor Augen führt (dazu muss man lediglich den Fernseher anschalten oder die Tageszeitung aufschlagen), stellt man sich immer wieder die Frage: Wie soll sich der Mensch anderen gegenüber verhalten? Und vor allem: Gibt es ein universales Grungprinzip des moralisch Guten, an das sich auch jeder Mensch zu halten bereit ist?
Seit den Anfängen der Philosophie beschäftigen sich Denker mit dieser elementaren Frage. Die Diskrepanz der ihnen als richtig erscheinenden Antwoeten lässt wenig Hoffnung auf eine allgemeingültige Lösung. Jeder glaubt von sich, im Besitz der Wahrheit zu sein, doch welche dieser Wahrheiten ist die tatsächliche Wahrheit? Oder gibt es vielleicht gar keine Wahrheit? Damit wäre das moralisch Gute rein subjektiv und die Ethik hätte ihren Sinn verloren: macht es denn Sinn, über eine Frage zu diskutieren, auf die es keine Antwort gibt?
Oder gibt es doch eine für alle Menschen verbindliche Moral? Wenn ja, wie ist diese zu erkennen bzw. wer kann den Anspruch erheben , seine persönliche Meinung als solche darzustellen? [applause]

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Asimov am 17. März 2003, 21:57 Uhr

hoi lev
das der Ur -mensch ein Einzelgänger gewesen ist, damit magst du ja recht haben. Aber heut zutage ist man auf die menschen um sich herum angewiesen nicht nur um In materieler hinsicht zu überleben sondern auch um geistig leben zu Können, das ist schon seid über zweihundert Jahren bekannnnnt.
Ein allgemein gültiges Moralisches gut gibt es auch nicht.
Auch wenn es viele philosophen behauptet haben, siehe Kant,
so versucht die modern Ethik auch nicht mehr so etwas anzustreben.
Ethik in unsere Zeit versucht nach wissenschaftlichen Prinzipien Moral zu analysieren, zu interpretierenund für bestimmte "teile" der Gesellschaft regeln zu entwerfen, die in diesem Teil ein gültigkeit besitzen.
Ob du es glauben kannst oder nicht, die heutigen Probleme dieser Welt sind auch auf [b][/b]ethische Wertevorstellungen zurückzuführe, Sprich die Ethik selbst ist teil des Problems.
Diskusionen formen dich in deinen Ideen und weltanschauunge und deinen Meinungen wenn du Tolerant genug bist und Los lassen kannst.
Nicht die Ethik oder die Ideen sind das Problem sondern Dei einstellungen mit denen die leut ansolche Probleme herangehen.

Mfg asimov

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 18. März 2003, 07:00 Uhr

Hallo Leviathan,
ich finde Asimovs Antwort dikussionswürdig, würde Dir aber eine etwas andere Antwort geben. Deine Frage „Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?“ halte ich für eine der wichtigsten Fragen, mit deren Beantwortung sich Philosophen heute beschäftigen können. Und Du stellst die Frage meiner Meinung nach auch in den richtigen Zusammenhang, nämlich dem Leid, das sich die Menschen in ihren individuellen und kollektiven Konflikten zufügen, von der kleinen verbalen Beleidigung über den tödlichen Messerstich bis hin zum Abwurf einer Atombombe und dem Gasofen im KZ.

Wer nicht will, dass Konflikte zwischen Menschen in dieser Weise durch Gewalt gelöst werden, der muss nach Regeln bzw. Normen suchen, die alle am Konflikt Beteiligten als gültig anerkennen. Dies muss man sich ganz klar machen. Diese Alternative ist unausweichlich.

Deshalb stellst Du zu Recht die Frage: „Gibt es ein universales Grundprinzip des moralisch Guten, an das sich auch jeder Mensch zu halten bereit ist?“ Und angesichts des schier endlosen Streits der verschiedenen ethischen Theorien fragst Du – nicht ganz unbegründet : „Oder gibt es vielleicht gar keine Wahrheit? Damit wäre das moralisch Gute rein subjektiv und die Ethik hätte ihren Sinn verloren: macht es denn Sinn, über eine Frage zu diskutieren, auf die es keine Antwort gibt?“

Asimov hat auf Deine Frage geantwortet: „Ein allgemein gültiges Moralisches gut gibt es auch nicht.
Auch wenn es viele Philosophen behauptet haben, siehe Kant,
so versucht die modern Ethik auch nicht mehr so etwas anzustreben."

Seine Sicht ist angesichts des fehlenden Fortschritts auf dem Gebiet der Ethik und angesichts des fortdauernden Streits zwischen miteinander unvereinbaren ethischen Überzeugungen verständlich und weit verbreitet.

Sie beruht jedoch auf einem grundsätzlich verkehrten Herangehen an das Problem. Das Verkehrte daran ist, dass die Frage „Gibt es allgemeinverbindliche moralische Normen?“ so gestellt wird, als gäbe es diese allgemeinverbindlichen Normen irgendwo – so wie es den Stein der Weisen irgendwo gibt – und als ginge es nur darum, diese Normen zu finden.

Meiner Meinung nach müssen wir anders an das Problem herangehen, wir müssen diese allgemein anerkennbaren Normen nicht FINDEN sondern WIR MÜSSEN SIE SELBER ERFINDEN!

Das heißt: wir müssen uns auf die Frage konzentrieren: Was sind die Kriterien dafür, dass normative Regelungen moralischer oder auch rechtlicher Art allgemeine Anerkennung finden können? Welche ethischen Prinzipien sind eher konsensfähig als andere und warum? Welche Begründungen für moralischen Normen sind nachvollziehbar und akzeptabel und welche Art von Begründungen scheiden da von vornherein als ungeeignet aus?

Wenn wir in dieser Weise mit einem klaren Ziel vor Augen – der Formulierung von allgemein anerkennbaren Normen - in die Diskussion gehen, werden sich sehr rasch brauchbare Resultate einstellen.

Wenn wir aber weiterhin fragen: „Hat Kant recht oder Bentham? Ist die Lehre des Moses wahr oder die Bergpredigt des Jesus? Hat Mohammed recht oder Buddha oder Konfuzius?“ ohne zu wissen, was „rechthaben“ und „Wahrheit“ in Bezug auf ethische Fragen überhaupt bedeuten soll, so wird sich die philosophische Diskussion weiterhin im Kreise drehen – und wir beschränken uns auf das Programm, das Asmov angibt: „Ethik in unsere Zeit versucht nach wissenschaftlichen Prinzipien Moral zu analysieren, zu interpretieren und für bestimmte ‚Teile’ der Gesellschaft Regeln zu entwerfen, die in diesem Teil eine Gültigkeit besitzen.“

So viel für’s Erste Gruß Eberhard.

(p.s. Bin auf Eure Reaktion gespannt.)



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 18. März 2003, 13:11 Uhr

Das Phillex definiert: "Ethik oder Moralphilosophie befasst sich mit Aussagen über moralische Werte und moralische Handlungsnormen." Ich persönlich würde Moral und Ethik unterscheiden. Als Moral definiere ich die Bewertung der Handlung eines Individuums. Die Moral beantwortet die Frage: "Was ist gut, was ist böse?" Da die Moral abhängig von der jeweiligen Gesellschaftsordnung ist, gibt es viele Moralen (christliche, islamische, buddhistische Moral usw.) Die Ethik ist der Oberbegriff, sie ist sozusagen die Theorie zu den einzelnen Moralen. Es gibt also viele Moralen, aber nur eine Ethik. (Die Unterscheidung ist aber nicht so wichtig, man könnte sie vergleichen mit dem Unterschied zwischen Technik und Technologie.)
Daraus folgt: Moral gab es nicht nur beim Urmenschen, sondern gibt es auch bei Tiersozietäten. Man kann sich also immer fragen, ob die Handlung eines Lebewesens gut oder böse war. Bliebe also noch die Frage, ob es Sinn macht, sich über die Moralen (bzw. das ethische Verhalten, je nach Definition) Gedanken zu machen. Ich denke ja, und ich denke, solange es denkende Menschen gibt, werden sie sich auch Gedanken über die Moral machen. Die Frage bewerte ich etwa so, wie die Frage: Ist Physik ein sinnloses Unterfangen?


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Asimov am 19. März 2003, 20:53 Uhr

Hoi,Hans
Wenn du schon Zitierst, dan solltest du die dinge nicht aus dem zusammmenhang reißen. [unhappy]Ich habe nur den momentaqnen stand der Ethik erläutert und du magst recht haben, das eine diskusion darüber welcher Philosoph recht hatte sehr fragwürdig ist.
Aber du sagat trotzdem nicht genau wie der erfindungs prozes von staten gehen soll.
Den wer "berechtigt" dich die absolute un unverbindliche Ethik auf zustelllen Oder träumst du davon das es alle Menschen zusammen erfinden ?????
Dei fragen nacheiner Universellen Ethischen Formell ist nicht beantwortbar!!
Den bei der eigenen Morall findung fängt es schon an.

Mfg Asimov

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 20. März 2003, 05:45 Uhr

Hallo Asimov,
zu deiner Antwort
1. Ich diskutiere nicht darüber, welcher Philosoph Recht hat. Diese Diskussion ist müßig. Je älter ein Philosoph ist, desto wahrscheinlicher hat er uns nichts zu sagen, einfach weil ihm das heutige Wissen fehlt. Mit Sicherheit hätte Kant, würde er heute leben, auch eine andere Philosophie entwickelt.
2. Ich habe in meinem Beitrag keine neue Ethik, genauer gesagt keine neue Moral, aufgestellt. Das zu tun ist nicht leicht und kann nicht in einem Kurzbeitrag gelingen. Ich habe vielmehr festgestellt, dass es viele verschiedene Moralen (von mir aus auch Ethiken) gibt. Das wirst da ja wohl nicht leugnen.
3. Eine universelle Moral gibt es natürlich nicht, im Gegenteil, man kann davon ausgehen, dass, genau betrachtet, jeder Mensch seine eigene Moral hat. Damit gibt es derzeit 6 Milliarden + X Moralen.
Man kann sich allerdings überlegen, wie eine universelle Moral in ihren Grundzügen aussehen sollte. Das wäre ein interessantes Thema. Aber ich bin nicht so blauäugig zu glauben, dass, selbst wenn wir hier in diesem Forum eine gefunden hätten, sie auch schon allgemein gültig wäre.
Gruß Hanspeter.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von doc_rudi am 20. März 2003, 15:37 Uhr

Hallo Moraltheoretiker,
die allgemeine Moral gibt`s bereits, sie lautet:
meine Moral ist die richtige und das berechtigt mich zur Eliminierung derjenigen, die eine andere Moral haben.
Was der Einzelne in diesen Moral-Eimer hineinschüttet, nämlich Christentum, Islam oder XYXY, ist völlig nebensächlich, jeder kann da seine Exkremente hinein entleeren. Hauptsache, diese Moral entlastet sein Gewissen bei der Befriedigung seiner Mordlust. Dann hat sie ihre Aufgabe erfüllt und war nicht sinnlos.
Euer Philosoph lebender Systeme
doc rudi



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 21. März 2003, 00:04 Uhr

Hallo Rudi,
Sie haben leider vollkommen Recht. Aber man könnte ja so tun, als ob einem etwas besseres einfiele.

Gruß HP

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von delfinium am 21. März 2003, 11:25 Uhr

@ HP,
du hast recht.
Und wir sollten nicht nur so tun, sondern damit anfangen.

Die Tatsache, dass wir hier keine neue allgemeingültige moralische Grundlage des Zusammenlebens entwerfen können,
entmutigt sie euch?

Ich ziehe mal die 10 Gebote aus docs Plumpsklo. *g
Wären die ein Ansatz?

grüße,
delfi


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 21. März 2003, 12:04 Uhr

Hallo delfinium (= Rittersporn?),

danke für die Ermunterung. Mitmachen!
Die Idee mit den 10 Geboten finde ich allerdings nicht so gut, sofern es sich um die biblischen 10 Gebote handelt, die du da hervorkramen willst. Nehmen wir nur einmal das 5. nach der biblischen Zählung (das 4. nach der katholischen = lutherischen Zählung) "Du sollst Vater und Mutter ehren." Warum nicht auch die Kinder? Oder Bruder und Schwester? Warum heißt es nicht: "Du sollst die Mitglieder deiner Familie ehren." Natürlich kann ich mir denken, warum das so steht. Weil die 10 Gebote nicht von Gott, sondern von Mose stammen. Und der hatte keine Eltern mehr bei sich, aber aufsässige Kinder.
Nein, ich denke, da muss man anders vorgehen. Sich nämlich fragen, was das Ziel einer Moral sein soll und dann von der heutigen Situation ausgehen, nicht von der Situation eines Hirtenvolks vor dreieinhalbtausend Jahren.

Gruß HP

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von doc_rudi am 21. März 2003, 15:35 Uhr

Gratulation,
entwerft mal eine neue allgemeine Moral, dann gibt es noch eine mehr.
Allgemein kann doch nur eine Moral sein, an die sich alle halten, oder eben jeder. Die Vorschlagsliste für eine allgemeine Moral zu verlängern, ist verschwendete Zeit.
Wie wollt ihr den Rest der Menschen dazu bringen, sich Eurer Moral anzuschließen?
doc rudi

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 21. März 2003, 16:17 Uhr

Hallo Dr. rudi

der Sinn, eine neue Moral zu entwerfen, ist nicht der, die gesamte Menschheit auf die neue Wahrheit einzustimmen. Dass das nicht geht, weiß ich. Der Sinn ist, durch einen solchen Entwurf und den daraus resultierenden Diskussionen meine eigene Moral zu entwickeln, zu festigen und zu überprüfen. Denn wenn ich in Sachen Moral keine Fragen mehr hätte, wäre ich nicht in diesem Forum.

Ich hätte übrigens nichts dagegen, wenn Sie Ihre Moral hier entwerfen und zur Diskussion stellen würden.

Gruß HP

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von delfinium am 22. März 2003, 01:04 Uhr

Delfinium an den Filosofen lebender Systeme:
Na klasse,
mit dieser Einstellung hab ich jedesmal kämpfen müssen, wenn es darum ging,
sich für etwas einzusetzen oder Neues zu etablieren. [ohwe]
Nur weil ich nicht ALLES erreichen kann,
schlage ich nicht mal eine Richtung ein?!
Nö, ich muß nichts erwarten, um einfach nachzudenken
und mir gefällt, dass hier jemand mein Suchen/Unbehagen teilt.

Aber gut:
Dann also hätte Ethik, hätte moralisches Handeln seinen Sinn verloren, die Ausgangsfrage wäre beantwortet, richtig?

Und nun?
( Ich baue auf das Vor-Leben, das Nicht-Resignieren,
das kann ich und jeder leisten.
Ich muß nicht wissen, ob und wieviele sich mir anschließen und wie schnell sich die Welt ändert.)

Zum Handeln wird man vom Leidensdruck gedrängt.
Ich würde zuerst fragen,
worunter ich in dieser Gesellschaft leide,
ist das ein besserer Ansatz?

Obwohl ich die Altvorderen nicht ausschließen würde-
unterm Strich waren das auch Menschen,
die menschliche Probleme in den Griff zu bekommen suchten.

Schließe mich ansonsten HP an,
machma...*g

gruß
delfinium (Rittersporn, jep)



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 22. März 2003, 06:01 Uhr

Hallo Delfinium,

also packen wir's an, es gibt viel zu tun. Und je mehr mitmachen, desto besser.

Die erste wichtige Frage, nämlich die, ob es einen Christen- (Juden-, Mohammedaner-) Gott gibt, haben wir schon mit nein beantwortet, denn sonst wären wir ja nicht im Forum Ethik. Ein Christ braucht sich schließlich nicht mit Ethik zu beschäftigen, denn die entsprechenden Moralvorschriften sind bereits in der Bibel, bzw., je nach Sichtweise in der Tradition, in den Katechismen usw., bereits festgelegt. Aktuelle Probleme sind dann nur noch eine Frage der Schriftauslegung (Hermeneutik).

Da es also keinen Gott gibt, der uns bereits ein moralisches System verabreicht hat, müssen wir uns selbst eines zimmern. Wie macht man das? Ich denke, als erstes muss man ein Ziel vorgeben. Die Beurteilung, ob eine Handlung gut oder böse ist, kann man nur treffen, wenn man das Ziel der Handlung kennt. Folglich müssen wir zuerst klären, was der Sinn unseres (des) menschlichen Lebens ist. Ich weiß nicht, ob das in diesem Forum schon geklärt wurde, oder ob irgendwo eine von mir noch nicht entdeckte Themenreihe läuft - egal, dann formulieren wir noch einmal das Ergebnis. Also, was ist der Sinn des Lebens? Allgemein oder individuell.
Bitte um Vorschläge.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 22. März 2003, 08:36 Uhr

Ach herrje, ich muss mir selbst antworten! Dass das Thema "Sinn des Lebens" unter der Rubrik "Alles, was nirgends hineinpasst" läuft, darauf bin ich vorher nicht gekommen. 6 Seiten geballter philosophischer Erkenntnis! Ich habe sie aber nur überflogen, nachdem ein 5-Sterne-Philosoph feststellte, dass der Begriff "Sinn des Lebens" ein Semantikfehler ist. Da bin ich vermutlich auch ein Semantikfehler.

Also versuche ich es selbst.

Mir ist natürlich klar, dass jeder Mensch, bewusst oder unbewusst, den Sinn (gleichbedeutend mit dem Ziel) seines Lebens individuell definiert: Anderen Menschen zu helfen, seinem persönlichen Glück zu frönen, Menschen zu missionieren, Geld zu raffen, einem geglaubten Gott zu dienen, Kinder zu erziehen, wie auch immer die Gene es erlauben. Und er wird sein Lebensziel nicht selten ändern. Wenn der Mensch seine Sinngebung nicht selbst herausfindet, könnte man sie am Ende seines Lebens aufgrund seines Verhaltens ermitteln. Denn es ist ja klar: Das Verhalten wird durch die Moral bestimmt, also kann man umgekeht aus dem Verhalten die Moral und damit auf die Zielgebung schließen. Nebenbei, ein Leben nach dem Tod kann ausgeschlossen werden, dafür gibt es weder einen Beweis, noch einen plausiblen Hinweis.

Nun stellt sich die Frage, ob es einen allgemein gültigen Sinn des Lebens gibt. Meine Antwort: Im Prinzip Nein. Die Entstehung des Lebens beruht auf den Eigenschaften der Materie, komplexe Moleküle zu bilden. Das Ende des Lebens findet spätestens in X Milliarden Jahren statt, wenn die Sonne ihren Geist aufgibt und die Erde atomisiert. Eine Verbreitung des Lebens von der Erde aus über unsere Galaxis zu anderen Galaxien kann ausgeschlossen werden. Das Leben ist ein Spiel der Materie, ohne erkennbaren Sinn.

Nun wird aber kein Lebewesen, auch nicht der Mensch, sich in seinem Verhaltenskodex an Vorgängen orientieren, die in X Milliarden stattfinden. Wie verhalten sich die uns bekannten höheren Lebewesen?
Vieles spricht dafür, dass ein wesentlicher Lebensinhalt die Fortpflanzung ist; der Erhalt der Art oder der Gene. Art- (oder Gen-) Erhaltung ist zwar kein Sinn des Lebens a priori. Arten und Gene sind ausgestorben und werden aussterben. Aber für einen überschaubaren Zeitbereich kann sie als Sinn akzeptiert werden. Auf die Frage nach dem Primat von Art- oder Generhaltung kann ich als Nichtbiologe nicht tiefer eingehen; die Wissenschaft ist sich hierin wohl noch nicht einig. Die Argumente für die Generhaltung sind stark, vermutlich ist sie die treibende Kraft in der Biosphäre. Ich gebe aber derzeit der Arterhaltung den Vorzug, weil sie weitergehend ist. Eine Art kann erhalten werden, auch wenn bestimmte Gene geringfügig geändert sind. Umgekehrt, ist die Art weg, sind es auch die Gene. Daraus folgt, eine Moral, deren Ziel es ist, eine Art zu erhalten, impliziert auch den Erhalt des Genoms.
Damit wäre in meinen Augen der Erhalt der Spezies Mensch die derzeit vernünftigste Sinngebung. Was spricht dagegen?
Ich bitte um Kritik.

Gruß HP



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Bernd am 22. März 2003, 23:17 Uhr

Hallo Moralisten,

der Mensch erwirbt im Rahmen seiner Sozialisierung seine Grenzen und die Regeln kennen, die es ihm erlaubt in der Gemeinschaft zu existieren und zu überleben. Dazu ist die Familie, die Erziehung, die Kultur und die eigene Erfahrung steuerndes Element des Lernprozesses. Die zu erlernde Rücksichtnahme auf andere bildet die Moral, dort wo eine nötig ist um o.g. Exisiteren zu ermöglichen. Das ist alles sehr individuell und dennoch vergeistigt die Gesellschaft die sog. Grundwerte, die beispielsweise unsere Gesetze widerspiegeln.

Eine mehr oder weniger allgemeingültige Moral oder Ethik gibt es schon ein wenig, abhängig von der Kultur. Was die Gebote angeht sehe ich hier das 11. Gebot im Vordergrund : Du sollst Dich nicht erwischen lassen !

Gruß

Bernd

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 23. März 2003, 07:14 Uhr


on 03/22/03 um 23:17:09, Bernd wrote:
Was die Gebote angeht sehe ich hier das 11. Gebot im Vordergrund : Du sollst Dich nicht erwischen lassen !

Gruß

Bernd


Hallo Bernd,

"Du sollst Dich nicht erwischen lassen" kommt wohl immer dann zum Tragen, wenn Konflikte nicht bewältigt werden können. Das Einverständnis von der einen Seite nicht erwartet werden kann und von der anderen Seite die Einsicht in den moralischen Hintergrund nicht vorhanden ist. Ein Ausweg wäre aber z.B. einfach das "Fragen" nachdem was man möchte. Ist aber nicht immer möglich, vor allen Dingen dann nicht, wenn ein Verbot nicht auf moralischen Grundsätzen beruht, kommt man gar nicht auf die Idee sein Handeln zu hinterfragen. Ich sehe Moral nicht unbedingt als bewußt-anerzogen an. Die Fähigkeit zur Hemmnis ist wohl doch eher angeboren, später in die eine oder andere Richtung gelenkt.

Grüsse, Lina



.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Solipsist am 23. März 2003, 23:07 Uhr

Ethik ist wohl dann sinnvoll, wenn es gelingt, in die Irre geleitete Individuen auf ihre das Gemeinwohl ihrer Gruppe hindernden Aktivitäten aufmerksam zu machen. Dies ist nicht Aufgabe der Politiker, der Philosophen oder Kirchenväter, sondern jedes einzelnen im direkten Umgang mit seinen Mitmenschen.
Leiten lassen soll man sich bei dieser aufklärerischen Tätigkeit vom eigenen sittlichen Gewissen.

[i][Solche Handlungen sollten sein, welche auf Maximen gegründet sind, die als allgemeine Gesetzgebung von ihrem Subjekte gewünscht werden, bzw. auf einen gebilligten künftigen Geamtzustand der Menschen hinzielen./i]


Zitat aus: Hans Driesch, Die Sittliche Tat, 1927

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 24. März 2003, 03:05 Uhr

Hallo solipsist,

eine Aussage wird nicht dadurch richtig, dass sie ein anderer bereits getan hat.

Die Bedeutung der privaten Moral für die Menschheit ist 1 : 6 Milliarden. Die Bedeutung der Staatsmoral der BRD (über die von der Regierung veranlassten Gesetze) für die Menschheit ist 1 : 75.

Entscheidend ist, was Gesetz ist, nicht so sehr was der Einzelne für richtig hält. Ein Politiker oder ein Kirchenmann ist sozusagen ein Moral-Multiplikator.

Gruß HP

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von delfinium am 24. März 2003, 10:19 Uhr

hi sheelina,
>Ich sehe Moral nicht unbedingt als bewußt-anerzogen an. Die Fähigkeit zur Hemmnis ist wohl doch eher angeboren, später in die eine oder andere Richtung gelenkt. <

ich bin nicht unbedingt deiner Ansicht.
Wenn du dir die Ergebnisse des Experiments Neills (antiautoritäre Erziehung, hier mißverstanden als "laisser faire") ansiehst, da mangelte es ziemlich an angeborenen Hemmnissen. Jedenfalls im Bereich 'Rücksichtnahme' auf die Mitmenschen.

@ HP , du wolltest eine zeitgemäße Moral entwerfen. Die Erhaltung der Art hast du als Triebfeder ausgemacht.
Nun bist du schon bei Gesetzen. Da fehlt was im Mittelteil;-)
Bin gespannt.
Die Erhaltung der Art sollte aber im genetischen Programm verankert sein; siehe das Darbieten der Kehle bei Hunden und die damit verbundene beisshemmung beim Sieger des Kampfes.
gruß delfi


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Solipsist am 24. März 2003, 11:21 Uhr

Hallo HP

Ja das Verhältnis von meiner eigenen ethischen Grundhaltung zu der aller anderen Menschen ist in der Tat verschwindend klein. Dennoch ist sie das einzige, was mir in diesem Bereich zur Verfügung steht.
Durch Gesetze indoktrinierte Ethik, oder Instinktethik sind beides Undinger.
Das eine gehört zum Berich der Iurisprudenz, das andere zur Ethologie.

Wahre Ethik setzt aber immer das eigene sittliche Gewissen als handlungsbestimmenden Faktok voraus

Gruss

Solipsist

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 25. März 2003, 02:09 Uhr

Hallo delfi,

ich fange mit dem Schluss deines Beitrags an. Die Arterhaltung ist nur bedingt im genetischen Programm enthalten, schließlich sind ja schon viele Tierarten ausgestorben. Nebenbei, es gibt genügend Tierarten mit nicht selten tödlichen Rivalenkämpfen (Löwen, Robben, Gemsen usw.). Und Kannibalismus kommt im Tierreich auch gelegentlich vor. Aber das ist nicht entscheidend.

Nicht ganz verstanden habe ich deinen Satz "Nun bist du schon bei Gesetzen. Da fehlt was im Mittelteil". Vielleicht erklärst du mir ihn. Natürlich fehlt noch viel, ich denke, ich bin da erst am Anfang. Und wenn du mir gut Kontra gibst, komme ich möglicherweise auch weiter.

Also die Fortsetzung:
Wenn ich die Arterhaltung als moralisches Credo definiere, so deshalb, weil sich der Mensch aus den biologischen Gleichgewichten der Natur mit List und Tücke vielfach ausgehebelt hat. Das Problem: Der Mensch hat sich in den letzten hundert Jahren so intensiv fortgepflanzt, dass er dabei ist, seine Lebensgrundlagen weltweit zu vernichten. Anders formuliert, er frisst die Erde kahl und für künftige Generationen ist bald "nichts mehr da".
Für die übrige Tierwelt ist die Fortpflanzung und deren Grenzen kein Problem. Die Maus vermehrt sich, ohne etwas gegen die Überbevölkerung zu tun. Das besorgen Füchse, Eulen usw. Der Mensch aber hat seine Feinde weitgehend ausgeschaltet, also müsste er dieses Problem selbst regulieren. Doch das tut er nicht.
Deshalb wage ich die Prophezeiung: Wenn der Mensch keine Moral entwickelt, die dieses Problem löst, ist anzunehmen, dass es nicht mehr allzuviele Generationen Mensch geben wird.
Wie siehst du das?

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 25. März 2003, 02:12 Uhr

Hallo Solipsist,

was hast du gegen Gesetze? Warum stört dich der Instinkt?
Gesetze sind nun einmal eine normierte Moral und in einem vernünftigen Staat sollten die meisten Gesetze in etwa der Moral seiner Bürger entsprechen. Du legst doch sicher auch Wert darauf, dass dein Mitmensch keine pseudokommunistischen Moralvorstellungen entwickelt und dir ungeschoren deine Habseligkeiten wegnimmt.

Und Instinkte? Ja nun, wir sind halt einmal Säugetiere, zur Ordnung der Primaten gehörend. Da spielen Instinkte eben eine Rolle. Nebenbei, die Trennung Mensch - Tier ist biologisch genauso sinnvoll wie die Trennung Elefant - Tier. Und ehrlich, so manche Tiere sind mir sympathischer als so mancher Mensch, den ich zB. in der Tagesschau zu sehen bekomme.

Deine eigene moralische Grundhaltung ist keineswegs das Einzige, was dir zur Verfügung steht. Du kannst ja versuchen, sie so überzeugend darzustellen, dass andere sie auch akzeptieren, vielleicht sogar Gesetzeskraft erhält. Nichts ist unmöööööglich!

Das mit dem sittlichen Gewissen ist so eine Sache. Woher kommt es? Aber da rangeln wir uns ja schon beim "Freien Willen".

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 25. März 2003, 11:33 Uhr

Hallo Ihr Moralisten und Immoralisten,

ich habe mit Interesse verfolgt, wie Hanspeter und delfinium erolgreich gegen die ethischen „Skeptiker“ argumentiert haben. Ich konnte in der Diskussion kein nachvollziehbares Argument für die mit großer Entschiedenheit vorgetragene Behauptung finden, dass es keine allgemein anerkennbaren moralischen Handlungsnormen geben könne.

Ja, aber wie kommen wir denn nun zu diesen allgemein anerkennbaren Handlungsnormen?


Delfinium hat vorgeschlagen, zum Ausgangspunkt der ethischen Überlegungen dasjenige zu nehmen, worunter man leidet. Dies könnte für das angestrebte Ziel brauchbar sein, wenn es Handlungen gibt, unter denen JEDER leidet (andere töten, verletzen, beleidigen, belügen, versklaven, in Unwissenheit halten, unterwerfen, ihnen Schmerzen zufügen usw.). Denn dann könnten sich alle darüber einig werden, derartige Handlungen zu missbilligen und zu verbieten.

Hanspeter hat den Vorschlag gemacht, nach einem Ziel zu suchen, das allen Individuen gemeinsam ist. Von diesem Ziel her lassen sich die Handlungen dann bewerten und es lassen sich diejenigen moralischen Normen bestimmen, die der Erreichung dieses Ziels förderlich sind. Hanspeter hat dieses Ziel vom Sinn des menschlichen Lebens her bestimmt. Er kommt schließlich zu dem Ergebnis, „dass der Erhalt der Spezies Mensch die derzeit vernünftigste Sinngebung“ sei.

Dies ist insofern richtig, als der Fortbestand der Menschheit ein Ziel ist, das wahrscheinlich alle Menschen teilen können. Deshalb könnten Normen, die diesen Fortbestand sichern, auch allgemein anerkennbar sein. Allerdings wird es schwierig sein, aus diesem Ziel konkrete moralische Gebote oder Verbote abzuleiten, wenn man einmal vom Verbot der Anzettelung eines globalen Kriegs mit Kernwaffen oder ähnlichem absieht.

Probleme habe ich jedoch mit Deiner Herleitung des Ziels, Hanspeter. Mir scheint, dass Dein Gedankengang einen logisch unzulässiger Übergang von Feststellungen über das was ist (Evolution des Lebens und der Menschengattung) auf das, was sein soll (Handle entsprechend dem Sinn des Lebens!), enthält. Man kann jedoch aus rein faktischen Prämissen keine Normen logisch ableiten, da diese etwas anderes sind, etwas, was in den rein faktischen Prämissen nicht enthalten war.

Meines Erachtens erfolgt bei Dir der heimliche Übergang vom „Sein“ zum „Sollen“ mit dem Begriff „Lebensinhalt“. Zuerst wird er deskriptiv benutzt – im Sinne der naturwissenschaftlichen Biologie. („Vieles spricht dafür, dass ein wesentlicher Lebensinhalt die Fortpflanzung ist; der Erhalt der Art oder der Gene.“) Im Folgenden wird der Begriff „Inhalt“ des Lebens dann von Dir in seiner präskriptiven Bedeutung als „Sinn“ und „Ziel“ des Lebens verwendet. Du müsstest diesen Übergang noch einmal in seiner logischen Schrittfolge ausformulieren.

Mein eigener Vorschlag zur Konstruktion einer allgemein anerkennbaren Moral ist, dass wir zuerst fragen, was sich aus dem Ziel selber – nämlich allgemein anerkennbare Normen zu bestimmen - herleiten lässt, ohne dass noch weitere – ihrerseits wiederum umstrittene – Zielsetzungen vorgegeben werden. (Dabei erhebe ich nicht den Anspruch, dass die hier vorgetragenen Argumente nur auf meinem eigenen Mist gewachsen sind. Aber der Originalitätsanpruch ist ja auch nicht entscheidend. Entscheidend ist hier allein, ob die vorgetragenen Argumente richtig und brauchbar sind.)

Als erste Konsequenz aus dieser Zielsetzung ergibt sich meines Erachtens, dass diejenigen, die dieses Ziel nicht teilen, sich damit bereits aus der Diskussion ausgeklinkt haben. Sie können vielleicht noch Ratschläge geben („Das ist Zeitvergeudung“) oder Prognosen machen („Das Ziel ist unerreichbar“) oder Überheblichkeit bescheinigen („Gerade ihr wollt ein Problem lösen, an dem sich schon die größten Denker vergeblich versucht haben“) oder Befehle aussprechen („Hört bloß auf mit dieser Diskussion!“). Eins aber können sie nicht mehr: sie können weder mich oder irgendjemand anders moralisch kritisieren. Denn wenn Kritik mehr ist als eine verbale Drohgebärde, dann braucht man dazu nachvollziehbare Argumente – und die gibt es ja ihrer Meinung nach auf dem Gebiet der Moral gerade NICHT.

Als zweite Konsequenz ergibt sich aus dem Ziel, zu allgemein anerkennbaren moralischen Normen zu gelangen, dass die Normen „unparteiisch“ formuliert sein müssen. Das bedeutet, dass bei der moralischen Beurteilung von Handlungen niemand benachteiligt oder bevorzugt werden, nur weil es sich gerade um ihn oder sie handelt. Derartige Sonderrechte sind nicht allgemein konsensfähig. (Diese Bedingung wird in der Ethik meist unter Stichworten wie „Verallgemeinerbarkeit“ oder „Universalisierbarkeit“ abgehandelt.)

Soviel für heute. Hoffentlich beteiligen sich noch mehr Leute an der Diskussion und bringen ihre Ideen ein. Grüße an alle Diskussionsteilnehmer Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 25. März 2003, 21:06 Uhr


on 03/24/03 um 10:19:34, delfinium wrote:
hi sheelina,
>Ich sehe Moral nicht unbedingt als bewußt-anerzogen an. Die Fähigkeit zur Hemmnis ist wohl doch eher angeboren, später in die eine oder andere Richtung gelenkt. <

ich bin nicht unbedingt deiner Ansicht.
Wenn du dir die Ergebnisse des Experiments Neills (antiautoritäre Erziehung, hier mißverstanden als "laisser faire") ansiehst, da mangelte es ziemlich an angeborenen Hemmnissen. Jedenfalls im Bereich 'Rücksichtnahme' auf die Mitmenschen.

gruß delfi


Hallo delfi,

wär schon interessant was Neills da für Einsichten aus welchen Experimenten heraus gewonnen hat. Und sicherlich auch zu wiederlegen. Waren hier etwa Säuglinge die Versuchskaninchen und das über einen weiteren geraumen Zeitpunkt? Diese mangelnde Rücksichtnahme von der Du sprichst ist wohl eher die mangelnde Rücksichtnahme auf die Beziehung von Eltern und Kind, die diese Einheit empfindlich stört und in Konsequenz als fehlende Hemmnis interpretiert wird.

Grüsse, Lina



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 26. März 2003, 01:18 Uhr


Hallo Eberhard,

danke für deinen ausführlichen Kommentar.

1. Dass es eine Reihe von Handlungsnormen gibt, die eine große Verbreitung besitzen, ist unbestritten. Dass Menschen sich nicht gegenseitig töten sollen ist zum Beispiel eine. Doch ebenso unbestritten gibt es dafür zahlreiche Ausnahmen: Notwehr, Todesstrafe, Unterstützung des "Wahren Glaubens", Durchsetzung politischer und wirtschaftlicher Interessen usw.
Warum gibt es aber solche Ausnahmen? Weil es nicht nur auf die Norm ankommt, sondern auch auf ihre Stellung in der Hierarchie des Systems. Welche Normen sind höherwertig?
Für Augustinus war die Verteidigung des Glaubens ein höheres Gut als das individuelle Leben. Für ihn war das Leben eben nur eine Zwischenstation zum Ewigen Leben. Deshalb war es für ihn besser, mit 20 für den Glauben zu sterben, als bis ins 80. Lebensjahr vor sich hinzusündigen. Wir sehen das in der Regel anders.
Es gab im Mittelalter Zeiten und Regionen, da wurde das &#8222;Anzünden einer Kirche&#8220; mit dem Tode bestraft, Mord dagegen konnte nicht selten mit einer Geldbuße geahndet werden.

Also noch einmal: Es kommt in der Moral primär auf das Ziel an. Dieses gibt vor, welchen Wert die einzelnen Handlungsnormen und welche Stellung sie im hierarchischen System der Werte haben. Und das ist entscheidend. Die existierenden Moralen unterscheiden sich nämlich nicht so sehr in den Normen, als vielmehr in deren Stellung in der Hierarchie.

Natürlich kann man sich über die Vorgehensweise streiten. Erst die Normen suchen und dann ordnen. Das wäre eine Möglichkeit. Doch ich halte sie deshalb für schlecht, weil ein entsprechendes moralisches Credo auch neue Handlungsnormen begründen kann, die in einem anderen System keine Rolle spielen.

Nebenbei, ob eine Norm anerkennbar ist, ist uninteressant, wichtig ist, ob sie anerkannt wird.

2. Du meinst, es ist schwierig, aus dem Ziel &#8222;Erhalt der Menschheit&#8220; konkrete moralische Gebote herzuleiten. Das sehe ich nicht so. Zum Beispiel ergibt sich daraus zwangsläufig das durchaus nicht allgemein akzeptierte Verbot einer ungehemmten Vermehrung. Damit hat nicht nur der Vatikan seine Probleme.

3. Ich schätze sonst die Logik sehr, aber zur Herleitung eines moralischen Ziels ist sie leider nicht geeignet, sonst gäbe es wohl schon ein universell gültiges. Und ich glaube, das geht aus meinem Text auch hervor. Die Erkenntnis, dass es keinen Sinn des Lebens a priori gibt, verhindert ja eine logische Begründung eines Ziels. Ich habe dieses Ziel vielmehr als eine plausible Annahme definiert.

4. Ich stimme dir zu, dass die Originalität uninteressant ist. Die Frage lautet: Was ist richtig und nicht, wer hat das schon einmal gesagt. Wir schreiben ja keine Dissertation. Kritik ist dagegen meines Erachtens erwünscht. Motto: Dass ich ein Trottel bin, weiß ich bereits. Ich hätte nur gerne dafür eine sachliche Begründung.

Warum soll es im Bereich Moral keine nachvollziehbaren Argumente geben? Ich kann zB sagen: Wenn ich Ziel A akzeptiere, dann ist Handlung B kontraproduktiv.

5. Eine Anmerkung zu delfis Vorschlag, das persönliche Leid als moralischen Ausgangspunkt zu betrachten. Das Sprichwort: &#8222;Des einen Leid ist der andern Freud&#8220; warnt bereits vor dieser Idee. So ist es durchaus denkbar, dass ein Anhänger der &#8222;allein seligmachenden Kirche&#8220; sehr unter religiöser Toleranz leidet.

Noch eine Bitte. Wenn du deine Antwort auch durchnummerierst, erleichterst du mir meine Antwort.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Solipsist am 26. März 2003, 11:55 Uhr


on 03/25/03 um 02:12:21, Hanspeter wrote:
Hallo Solipsist,



Deine eigene moralische Grundhaltung ist keineswegs das Einzige, was dir zur Verfügung steht. Du kannst ja versuchen, sie so überzeugend darzustellen, dass andere sie auch akzeptieren, vielleicht sogar Gesetzeskraft erhält. Nichts ist unmöööööglich!

Das mit dem sittlichen Gewissen ist so eine Sache. Woher kommt es? Aber da rangeln wir uns ja schon beim "Freien Willen".

Gruß HP



Hallo Eberhard,
HP hat in einem der letzten Beiträge schnell den freien Willen angesprochen.

Tatsächlich ist wohl der freie Wille jedes einzelnen Individuums derjenigen Gruppe, für die die ideale Ethik geschaffen werden soll, das dieser Gruppe gemeinsame Element.
Aufgabe der idealen Ethik wäre es nun wohl, den Glauben der Individuen an die ihnen innewohnende sittliche Besserungs-fähigkeit zu fördern.

Allgemein fällt der Ethik wohl die Aufgabe zu, Verhaltensweisen die das Gesamtwohl der Gruppe (das ist aus dem "Individualwohl" aller Gruppenmitglieder zusamensetzt) beeinträchtigen,zu verhindern und solche die das Gesamtwohl vergrössern zu fördern.
(Ein gutes Bsp. für einen solchen Regelkodex sind die zehn Gebote (du sollst, bzw. du sollst nicht).

Vorausgesetzt, jedes Mitglied mit der Gruppe zufrieden (befindet sich in einer ihm ideal erscheinenden Umgebung),
fallen die Realisierung der eigenen Bedürfnisse mit den das Gesamtwohl der Gruppe maximierenden Verhaltensweisen zusammen.
Die ideale Ethik sollte ingefähr die Aussage vermitteln

"Wir sind dir dankbar für deine positven Handlungen und sind froh, dass es dir wichtig ist, und möglcihst wenig zu schaden"

Natürlich ist das alles furchtbar theoretisch und vielleicht nie realisierbar.



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 26. März 2003, 21:25 Uhr

Hallo Hanspeter,
Danke für die prompte und klare Erwiderung.

1. Deine Ermutigung zur gegenseitigen Kritik ist o.k. Wenn wir mit der Beantwortung der offenen Fragen vorankommen wollen, dann ist jede begründete Kritik von Nutzen. Und trotz unserer kleinen Eitelkeiten und unseres allgegenwärtigen Geltungsstreben sollte es bei der Diskussion einer Frage nicht darum gehen, selber recht zu haben und zu behalten, sondern der richtigen Antwort auf die gestellte Frage gemeinsam näher zu kommen.

Doch nun zur Sache.

2. Für Deine Herangehensweise an das Projekt einer tragfähigen Ethik scheint mir die folgende Passage zentral:

„Es kommt in der Moral primär auf das Ziel an. Dieses gibt vor, welchen Wert die einzelnen Handlungsnormen und welche Stellung sie im hierarchischen System der Werte haben.“

Dabei denkst Du offenbar nur an ein einziges Ziel. Dieses Ziel ist für Dich die Erhaltung der Menschheit, wobei dies für Dich eine plausible Annahme darstellt.

Aus diesem Ziel lässt sich dann z.B. zwingend das Verbot ableiten, sich ungehemmt zu vermehren.

Ich hoffe, ich habe Dich richtig wiedergegeben.

Wie weit der skizzierte Ansatz trägt, wird sich zeigen, wenn Du ihn näher ausführst – worauf ich gespannt bin.

3. Dazu einige Fragen:

3.1 Was bedeutet “Plausibilität” einer Annahme? Heißt das: es gibt Argumente für diese Annahme und es gibt keine Argumente gegen die Annahme? Oder heißt das: es gibt stärkere Argumente für diese Annahme als gegen sie?

3.2 Wie kann man aus einem gegebenen Ziel (Erhalt der Menschheit) eine Norm (Es ist den Menschen verboten, sich ungehemmt zu vermehren) ableiten? Wahrscheinlich so, dass Handlungen verboten werden, die die Erreichung des Ziels verhindern. Offenbar sind da zahlreiche empirische Annahmen nötig. Vielleicht kannst die Kausalkette mal skizzieren.

3.3 Verhindern Handlungen wie Diebstahl, Betrug, Hochstapelei, überhöhte Geschwindigkeit im Straßenverkehr den Erhalt der Menschheit?

3.4 Was bedeutet es, dass ein bestimmter Zustand (Erhaltung der Menschheit ) zum „Ziel“ erklärt wird? Hat „Ziel“ hier eine deskriptive Bedeutung (das, was von allen faktisch angestrebt wird) oder eine präskriptive Bedeutung (das, was alle anstreben sollten?)

D
as soll erstmal reichen. Auf Deine anderen Argumente komme ich – hoffentlich bald – zurück.

Gruß Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von delfinium am 26. März 2003, 22:36 Uhr

Hallo sheelina,
Neill leitete das Internat 'Summerhill' in England und legte seine Erfahrungen in dem gleichnamigen Buch(1960) nieder.
Er ging davon aus, dass Kinder von Natur aus gut seien. Wenn die böse Gesellschaft/Eltern sie nur auf natürliche Weise ohne Angste und Zwänge aufwachsen liessen, würden sie von allein zu guten Menschen heranreifen.
Fehlende Repression hatte für ihn aber nichts mit Zügellosigkeit zu tun:"Es ist schlecht für ein Kind, wenn es immer seinen Kopf durchsetzen kann oder auf Kosten anderer tun kann, was es will"
Diesen Passus übersahen viele Anhänger und propagierten eine Erziehung des Gewährenlassens, mit dem Ergebniss, dass es den Kindern an Orientierung fehlte.
Mich würde ja interessieren, worauf du mit der von außen gestörten Eltern/Kind Beziehung anspielst, aber ich fürchte, damit kommen wir weiter vom Wege ab.

grüsse,
delfi

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von delfinium am 26. März 2003, 22:39 Uhr

Hallo HansPeter,
ich bin nochmal bei der ungehemmten Vermehrungswut der Menschen.
(die ausgestorbenen Tiere haben sich nicht gegenseitig umgebracht, sondern waren unfähig sich an veränderte Bedingungen anzupassen, womit wir Menschen keinerlei Probleme zu haben scheinen...)

Sicher hast du nicht eine effektive Dezimierung der Menschheit durch Pest/Designerviren oder Kriege im Sinn.
Aber ich weise mal draufhin, dass der Fortpflanzungstrieb mächtig verankert ist und es schwierig sein wird, gesetzlich oder auch durch Aufruf zu sittlicher Eigenverantwortung Einfluß zu nehmen. ( s. China)
( in den begüterten Ländern geht die Geburtenrate von selber stetig zurück. Man sorge also für globalen Reichtum und löse damit das Problem des Bevölkerungswachstums!?)

Konrad Lorenz vertrat die Ansicht, wir würden uns durch den Verlust unserer Menschlichkeit den Gar-aus machen, noch bevor uns das mit schleichender Verseuchung oder C-Waffen gelingt. (Menschlichkeit?)

2. mit Mittelteil meinte ich etwa das , was Eberhard im 4. +5. Absatz beschreibt
(hätte mein Unbehagen aber nicht so präzis formulieren können, alle Achtung.)

Wenn du als erstes die Vermehrung reglementieren willst, hast du also gleich die Völkergemeinschaft im Sinn und nicht einen 'vernünftigen Staat' oder das 'Gesamtwohl einer Gruppe' (s. Solopsis) ?

5. Deine Anmerkung über meinen Vorschlag behagt mir nicht. Erstens hast du ja die Religiösen gleich außenvor gestellt (die bräuchten keine Ethik, denn die hätten ihre Gebote) und daher taugt mir der unter deiner Toleranz leidende Christ nicht als Gegenargument.

Auch beim Leid gibt es eine Hierarchie scheint mir.
Der Hierarchiegedanke hat mir gefallen, aber wer kann eine solche 'unparteiisch' (s. Eberhards letzter Absatz) formulieren?

@ solipsist
deine idealethische Aussage klingt nicht theoretisch, sondern praktikabel. Leider aber sind die 10 Gebote, siehe Anfang des Threads, in einem Mülleimer versenkt worden...
es grüsst
delfi





Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 27. März 2003, 07:24 Uhr

Hallo Eberhard,

Zu deinen Punkten fiel mir folgendes ein.

1. Ok

2. Ein einziges Ziel. Du kannst ja nicht auch gleichzeitig nach Rom und nach Moskau gehen. Sicher sind auf dem Weg Abzweigungen denkbar, Umwege, warum nicht.

3.1 Plausibilität heißt: Es gibt stärkere Argumente für diese Annahme als gegen sie.

3.2 Das ist im Prinzip richtig. Nehmen wir doch das schon genannte Beispiel: Die derzeitige Überbevölkerung führt zu einer drastischen Minderung der Ressourcen. Es besteht die massive Gefahr, dass der &#8222;Schmarotzer&#8220; den &#8222;Wirt&#8220; überbelastet. Wie es im Beispiel Krebszelle / Mensch ausgeht, ist bekannt. Daher ist zu befürchen, dass es im Beispiel Mensch / Erde genauso geht. Also muss etwas dagegen getan werden.

3.3 Es gibt sicher eine Menge Handlungen, die für das Ziel eine unterschiedliche Relevanz haben.
In diesen Fällen wird man pragmatisch vorgehen und ich denke, man wird da auch problemlos zu einer einvernehmlichen Lösung kommen. Aber das wird sich dann, so denke ich, im Detail zeigen.

Die Beispiele, die du genannt hast, sind problematisch. Da Diebstahl definitionsgemäß das widerrechtliche Aneignen eines fremden Besitzes ist, ist er natürlich automatisch verboten. So etwas würde ich als ethischen Pleonasmus bezeichnen. Man muss hier stets wertfreie Begriffe oder Handlungen verwenden und sie dann eben bewerten.
Das ist übrigens auch der Grund, weshalb die meisten der 10 Gebote wertlos sind. Morden, stehlen, Ehebruch oder Falschaussage zu verbieten, ist genauso selbstverständlich und nichtssagend wie ein Gebot: Du sollst nichts Böses tun.
Es nicht zu tun implizieren die Begriffe.

3.4 Das Ziel ist eine Präskription.

Fröhliches Nachdenken!

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 27. März 2003, 07:31 Uhr

Hallo delfi,

auch bei dir wird abgehakt, ist unpersönlich, aber effektiv.

1. Die ausgestorbenen Tiere haben sich sehr wohl gegenseitig umgebracht. Dass es weltweit nur noch wenige Beuteltiere gibt, dafür sorgten die Plazentatiere: Ham ham!! Und ob sich der Mensch an alles anpassen kann, wid sich zeigen.

2. Es ist richtig, dass ich dies nicht wünsche. Aber ich schließe keineswegs aus, dass die Natur zu solchen Methoden greift, um das Problem zu lösen, da sie sich üblicherweise nicht unbedingt an die Menschenrechtskonventionen hält. Übrigens, das mit den Designer-Viren ist keine schlechte Idee. Ihr Experiment mit Aids war durchaus ein Anfangserfolg.

Um solche hässlichen Methoden zu verhindern &#8211; je dringender das Problem, desto rabiater werden sie &#8211; ist eine vernünftige Bevölkerungspolitik sehr wichtig. Da passt es zB gar nicht, wenn jemand 7 Kinder in die Welt setzt und dann als verantwortlicher Politiker in die Regierung einzieht.
Es muss ja nicht gleich reglementieren sein. Es würde schon fürs Erste genügen, wenn der Staat das Kinderkriegen nicht subventioniert.

5. Dass die Religiösen keine Ethik brauchen, ist nicht meine Erfindung. Warum gibt es keine Ethiktheologen, sondern nur Moraltheologen? Weil die Religiösen ihre Zielvorgabe schon haben. Selbstverständlich gelten Gesetze für alle Menschen, die im Bereich der Gültigkeit dieser Gesetze leben.

Du fragst, wer eine Hierarchie unparteiisch formulieren kann. Ich denke, das dürfte möglich sein, weil es ja eine Messmethode gibt. Je produktiver (das Ziel zu erreichen), desto besser, je kontraproduktiver, desto schlechter.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von delfinium am 27. März 2003, 09:59 Uhr

moin HP,
ich schenke dir erstmal die ausgestorbenen Tierarten, magst recht haben:-)
Unsere Art zu erhalten, indem wir uns nicht mehr fortpflanzen klingt schon etwas exentrisch.
Auch wenn ich weiß, was du meinst. Ich denke wie du, dass die Natur sich am Ende wohl unserer entledigen wird und finde es beruhigend, dass 'wir' nicht die Stärkeren sind, wenns auch momentan so aussieht.
Bis dahin...
Als Gegengewicht zu euch Sterne-Philosophen werde ich jetzt doch mal persönlich.
Deine schöne neue Welt entwickelt sich in eine Richtung, die mir (eins von 5 Geschwistern) nicht gefällt.
Einzelkinder könnten vielleicht die Erde retten, aber vielleicht auch unerwünschte gesellschaftliche Veränderungen bewirken...es könnte starrer und konservativer zugehen, wenn man Sulloway glaubt.
(Frank J. Sulloway "Der Rebell in der Familie - Geschwisterrivalität, kreatives Denken und Geschichte" Siedler 1999 - Wie kommt es zu den großen Umwälzungen in der Geschichte? Wie entsteht das Neue in den Köpfen? Der Wissenschaftshistoriker Sulloway eröffnet eine radikal neue Sicht: Die Rivalität unter Geschwistern ist der Motor für Veränderungen in Politik, Kultur und Wissenschaft.)
Denn du erhebst sicher keinen Ewigkeitsanspruch für deine neue Moral - pantha rhei - ?
Bruno Bettelheim propagierte allerdings die Kibbuzerziehung als die Erziehung der Zukunft. Damit wären die negativen Folgen der Einzelhaft für Kinder aufzufangen (wenn sie denn so einträten)
Aber, huch, wo führte uns DAS hin ?!
cya
delfi

p.s. >es nicht zu tun implizieren die Begriffe>
uppsala, das ist aber gewagt. Die Menschheit besteht eben nicht aus gut sozialisierten, gebildeten Mittel- bis Oberschichtlern, mh?


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 28. März 2003, 02:29 Uhr

Hallo delfi,

ja, du hast den Braten gerochen, die Sache mit dieser Moral könnte hässlich werden. Da ist es doch besser, wir kehren zur alten wieder zurück. Die war schön gemütlich, vertraut und bewährt. Wir halten uns an die 10 Gebote, vielleicht noch mit einem Schuss Bergpredigt dazu, erhöhen das Sozialprodukt (damit die Wirtschaft wächst), sorgen für reichlich Nachwuchs (wegen der Rente und zur Selbstfindung), spenden für die 3. Welt und krebskranke Kinder und sterben rechtzeitig an einer unkomplizierten Krankheit (zur Schonung des Generationenvertrags und der Krankenkasse). Dann gibt es noch "a scheene Leich", wie man in Bayern sagt und das wars dann. Die Ressourcen werden bis dahin schon noch reichen, lediglich mit dem Öl könnte es ein bisschen knapp werden. Naja, da wird den Technikern schon was einfallen, denen ist bis jetzt immer noch was eingefallen.
Außerdem, wie steht doch geschrieben: "Sehet die Vögel unter dem Himmel: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte und euer himmlischer Vater ernähret sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie?" (Mt 6,26). Da kann uns doch nichts passieren.

Du hast Recht, dass eine Moral nicht selten das Umfeld des Begründers widerspiegeln. Ein schönes Beispiel dazu sind die Herren Mose (Oberschicht, 2 bis 3 Gebote zur Besitzstandswahrung, je nach Zählweise) und Jesus (Unterschicht, Aufruf zu sozialer Tätigkeit). Warum aber das Credo zum Erhalt der Menschheit ein typischer Auswuchs gut sozialisierter Mittel- bis Oberschichtler sein soll, leuchtet mir nicht ein. Je mehr Hände zum Kuchen greifen, desto schwieriger wird es doch für die Unterprivilegierten. Oder sehe ich das falsch?

Tschüss HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von delfinium am 28. März 2003, 08:10 Uhr

Hej, warum so bissig.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 28. März 2003, 13:06 Uhr

Hallo delfi,

was heißt da bissig! Mein Vorschlag gefällt dir nicht, also habe ich dir einen neuen unterbreitet. Gefällt der dir auch nicht?

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Solipsist am 28. März 2003, 13:23 Uhr


on 03/28/03 um 02:29:17, Hanspeter wrote:
Hallo delfi,

Warum aber das Credo zum Erhalt der Menschheit ein typischer Auswuchs gut sozialisierter Mittel- bis Oberschichtler sein soll, leuchtet mir nicht ein. Je mehr Hände zum Kuchen greifen, desto schwieriger wird es doch für die Unterprivilegierten. Oder sehe ich das falsch?


Hallo HP,

Eine Hand wäscht die andere.

Gib dem Volk religiöse Geborgenheit, Pflichten und Rechte und ein wenig Brot.

Du kriegst dafür vom Volk Unmengen von Kuchen und anderern Opfergaben.

Ist doch gut oder?

Gruss

Solipsist

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 29. März 2003, 00:57 Uhr

Hallo Solipsist,

du beschreibst kurz und treffend die Realität. Dass das gut ist glaubst du ja selbst nicht.

Gruß HP

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von delfinium am 29. März 2003, 14:53 Uhr

hi HP,
melde nur Bedenken an und schon formulierst du ironisch was dir Unbehagen bereitet, um es mir als Alternative zu servieren. Diese Art von Dessert wollte ich nicht herausfordern!
Der Begriff des Bösen impliziert solches nicht zu tun?
(Ich unterstellte, natürlich zu Unrecht, dass die 'Gebildeten' in der Lage wären deinen hehren Anspruch wenigstens zu begreifen - streich das einfach- )
Ich muß dich falsch verstanden haben, denn wenns soweit wäre, bräuchten wir keine Ethik, mh?
Nur eine Definition (und Hierarchie) unerwünschter Handlungen.
Oder hältst du das Bremsen der Fortpflanzung für das einzig Notwendige? Bin weiter gespannt auf deinen Braten.Kann auch gern die Klappe halten, zuviele Köche...
Hast du, btw, was von Küngs 'Weltethos' gehört?
grüße!
ann


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 30. März 2003, 03:03 Uhr

Hallo delfi

"So geht&#8217;s, - Bei Damen sollst du fein
gar niemals nicht ironisch sein"
(W. Busch, Ein galantes Abenteuer)

Ich vergaß; verzeih.

1. Von Herrn Küng halte ich nichts. Er ist zwar klug genug, die Widersprüchlichkeiten des Christentums zu erkennen, aber zu feige, daraus die Konsequenzen zu ziehen.

2. Das "Bremsen der Fortpflanzung" ist tatsächlich sehr wichtig. Die Welt kann sich nicht rund 75 Millionen Menschen pro Jahr mehr leisten, da die Ressourcen nicht zunehmen.

Aber selbstverständlich ist das nicht das Einzige. Das nächste Thema wäre zB Sparen. Nicht den Konsum anheizen, nach dem Motto: Freßt schneller, damit die Vorräte schneller zu Ende sind. Sondern mit dem Vorhandenen so verantwortlich wie möglich umzugehen. Wenn das Ziel der Erhalt der Menschheit ist, muss zB die "Globalisierung" (= Amerikanisierung) der Wirtschaft schleunigst gestoppt werden. Manchmal kommt man sich ja vor wie bei einem Heuschreckenüberfall, wo irgendwo oben am Baum die Regierenden sitzen und den Heuschrecken zurufen: "Da ist noch ein Busch, den habt ihr noch nicht kahlgefressen!"

Aber auch das Thema Fortpflanzung ist noch längst nicht ad acta gelegt. So muss man zB erkennen, dass die "ruhmreichen Taten" eines Albert Schweitzers den Afrikanern sehr viel mehr geschadet als genutzt hat. Er bewirkte mit seiner falsch verstandenen "humanitären Hilfe" eine Bevölkerungsexplosion mit anschließender Zerstörung der heimischen Ressourcen und der Schaffung von Slums in den Millionenstädten. Das heißt, die "Entwicklungshilfe" ist neu zu überdenken. Schutz der Natur und damit der Ressourcen sollten oberste Priorität haben.

Soviel zum Weitergrübeln.

Gruß HP

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 30. März 2003, 21:41 Uhr

Hallo Hanspeter, hallo Solipsist;

hier die Ergebnisse fröhlichen Nachdenkens.

1.Wie sich aus Deinen Antworten ergibt, schreibst Du allen Individuen als einziges Ziel die Erhaltung des Homo sapiens vor, wofür Deiner Ansicht nach die stärkeren Argumente sprechen.

Damit behauptest Du den Satz: „Richtet Euer Handeln an dem Ziel der Erhaltung des Homo sapiens aus!“ und erhebst für diesen Satz einen ALLGEMEINEN GELTUNGSANSPRUCH in dem Sinne, dass jedes Individuum diesen Satz bejahen oder anerkennen sollte. (Schließlich soll der Satz ja nicht nur für Dich richtig sein, sondern richtig für alle. Ohne diesen allgemeinen Geltungsanspruch hätte es für mich ja auch keinen Sinn, mich mit Dir argumentativ auseinander zu setzen.)

Dass manche Individuen diesen Satz faktisch nicht anerkennen, tut dem Geltungsanspruch keinen Abbruch, denn es gibt für diesen (plausiblen) Satz Deiner Ansicht nach starke Argumente, die auch die überzeugen können und zur Anerkennung des Satzes bringen können, die gegenwärtig nach anderer Meinung sind. Dies zeigt aber, dass es doch auf die ALLGEMEINE ANERKENNBARKEIT ankommt und nicht auf die tatsächliche Anerkennung.

Du hattest geschrieben: „Nebenbei, ob eine Norm anerkennbar ist, ist uninteressant, wichtig ist, ob sie anerkannt wird.“ Wenn es nur auf die tatsächliche Anerkennung einer Norm ankäme, sollten wir die Philosophie an den Nagel hängen und mittels empirischer Sozialforschung untersuchen, welche Normen von den Leuten tatsächlich anerkannt werden und welche nicht. Wenn Du Die Norm „Richtet Euer Handeln an dem Ziel der Erhaltung des Homo sapiens aus!“ für richtig bzw. - abgeschwächt - für plausibel hältst, dann doch nicht, weil alle Leute dieser Norm bereits heute tatsächlich zustimmen, sondern weil es Deiner Ansicht nach Argumente gibt, die – so wie sie Dich überzeugt haben – auch jeden andern überzeugen können, sofern er die Argumente versteht.

2. Meine Zweifel an der Anwendbarkeit und der Reichweite des Maßstabs „Erhalt des Homo sapiens“ hast Du noch nicht ausräumen können. Ich bin weiterhin der Ansicht, dass es zahlreiche Verhaltensweisen gibt, die zwar nicht den Untergang der Menschheit herbeiführen (oder fördern), die aber trotzdem moralisch bedenklich sind.
(Aufgrund Deiner Kritik an tautologischen Formulierungen will ich mich um Handlungsbeschreibungen bemühen, die keine wertende Stellungnahme beinhalten.) Beispiele solcher Handlungsweisen wären: „seinem Leben selbst ein Ende setzen“, „einem unheilbar Krebskranken mit weit gestreuten Metastasen auf seine Bitte hin Gift besorgen“ oder „in einem Wohngebiet mit 80 km/h Auto fahren“.

Wenn meine Zweifel berechtigt sind, so stellt sich für Deinen Ansatz die Frage, wie man in Bezug auf solche normative Fragen zu einem Konsens kommen kann und welche Kriterien Du dabei heranziehen willst.

3. Hallo Solipsist, in diesem Zusammenhang noch eine Stellungnahme zu Deinen Vorschlägen für die Konstruktion einer allgemeingültigen Moral. Du schreibst: „Allgemein fällt der Ethik wohl die Aufgabe zu, Verhaltensweisen die das Gesamtwohl der Gruppe (das ist aus dem "Individualwohl" aller Gruppenmitglieder zusammengesetzt) beeinträchtigen, zu verhindern, und solche, die das Gesamtwohl vergrößern, zu fördern.“

Ich stimme Dir zwar inhaltlich zu, sehe jedoch bei Deiner Formulierung folgende Probleme. Wenn man als Ausgangspunkt der Argumentation die Bestimmung dessen nimmt, „was Ethik ist“ und „was ihre Aufgaben sind“, so endet man entweder in einem fruchtlosen Streit um Worte („Ich verstehe unter „Ethik“ aber etwas ganz anderes als Du ..“) oder man schmuggelt mit zweideutigen Begriffen wie „Aufgabe“ , „Funktion“ oder „Sinn“ der Ethik, die sowohl be-schreibend als auch vor-schreibend verwendet werden, unter der Hand bestimmte normative Inhalte ein, die man dann wieder aus dem Hut zaubert.

Ich würde deshalb anders anfangen und Deinen Ansatz folgendermaßen umformulieren: Wenn das „individuelle Wohl“ das ist, was ein Individuum nach reiflicher Überlegung will, und wenn das „Gesamtwohl“ das ist, was alle Individuen der Gesamtheit nach reiflicher Überlegung gemeinsam wollen, so kommt man notwendigerweise zu der Frage, was wir alle gemeinsam wollen bzw. welche Normen unser aller Anerkennung finden können. Dies erscheint mir eine sinnvolle Ausgangsfrage zu sein, die für den Entwurf einer Ethik keine andere Voraussetzung macht als die, dass man sich zwanglos per Argumenten einigen will und die Fragen nicht dem Machtkampf überlassen will. Könntest Du mit dieser Umformulierung leben? (Ihr seht, ich lasse nicht locker.)
Gruß Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Solipsist am 30. März 2003, 23:25 Uhr

Hallo Eberhard,
das von dir unter 3. geschilderte Vorgehen eignet sich vermutlich als Methode zum Ausarbeiten einer Ethik. Welche Inhalte die sittlichen Forderungen dabei kriegen, hast du meines Erachtens nicht gesagt. Da ich persönlch auch nicht weiter weiss, das Thema aber äusserst spannend finde, zitiere ich nachher noch ein meiner Meinung nach sehr zentralen Beitrag (auch wenn er streckenweise ziemlich unsinnig klingen mag).

Er stammt aus:

Wirklchkeitslehre, Ein metaphysischer Versuch
Hans Driesch, 1930



Sei gegrüsst

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Solipsist am 30. März 2003, 23:33 Uhr

b) Die Heterogonie der Zwecke.
In einer Besprechung meiner „Philosophie des Organischen" hat L o s a c c o 2) die merkwürdige Tatsachenverkettung, welche W u n d t „Heterogonie der Zwecke" nennt, mit der Lehre von der geschichtlichen überpersönlichen Ganzheit verknüpft. Handlungen, welche von Einzelwesen oder Körperschaften mit bestimmter „Absicht" unternommen wurden, können weittragende Neben-Wirkungen haben, die, durchaus „unbeabsichtigt", ja durchaus unvermutet, trotzdem von großer Bedeutung für das Leben des Einzelnen oder der Gesamtheit
--
1) Sehr gutes hierüber bei Erismann in Saupes Einführung in d. neuen Psychol., 1928, S. 293
2) Rivista di Filos. Anno IV., Fasc. II, 1912

sind, und zwar oft in einem durchaus „fördernden" Sinne. Wie könnte das möglich sein ohne einen Zusammenschluß der Menschheit zu einem Ganzen? Übrigens meint Hegel wohl dasselbe, wenn er von der „List der Vernunft" redet'), die dem Einzelnen vorspiegelt, daß er für sich, etwa für die Befriedigung seines Ehrgeizes, tue, was er als bestimmtes Glied des Ganzen und, ohne es zu wissen, durch ein „Ganzes" bestimmt ausführt. Un-„beabsichtigte" Wirkungen von Handlungen, welche doch entwicklungsbedeutsam, oder wenigstens,, im alltäglichen Sinne, „fortschritts"-bedeutsam sind - das ist stets das hier unter verschiedenen Wörtern Gemeinte. Und das ist ein Ganzheitszug des Geschichtlichen - freilich von recht unbestimmter Art.
Wenn wir das Wort gut zur Bezeichnung aller Geschehnisse, welche überpersönliche Ziele fördern, benutzen wollen, dann sind auf der „Heterogonie der Zwecke" beruhende Äußerungen einer „List der Vernunft" gut zu nennen. Aber es ist klar: sie sind nie sittlich-gut in dem Sinne, daß sie aus dem „guten Willen" ihres Urhebers als eines bestimmten seelisch-körperlichen Einzelwesens entspringen. Jedenfalls waren sie gerade mit Rücksicht auf das, was etwa im allgemeinsten Sinne „Gutes" aus ihnen entsprang, nicht „sittlichgut"; jedenfalls war ihr Urheber nicht mit Rücksicht auf sie „gut". Das liegt geradezu im Begriff der Zweckes-Heterogonie; und es schafft eine gewisse Schwierigkeit, denn wir sehen uns plötzlich, sozusagen, zwei verschiedenen Bedeutungen des Wortes „gut" gegenüber. Die Schwierigkeit löst sich, wenn wir uns klar darüber werden, daß wir ja nicht gelehrt haben, es habe ein Mensch, welcher Ansatzpunkt der List der Vernunft ist, „böse" gehandelt; er hat nur nicht mit Rücksicht auf das, was an Gutem herausgekommen ist, „gut" gehandelt ; viel Unbedeutenderes zu erreichen hielt er vielleicht für seine „Pflicht". Freilich, daß der Täter in deutlicher Form willens„böse" gehandelt habe und doch Werkzeug des Guten im höchsten Sinne gewesen sei, das müssen wir auf der gesamten Grundlage unserer Untersuchungen über das Sittliche ausdrücklich ausschließen ; und ebenso schließen wir aus, daß die gesinnungsgute Tat im Sinne des überpersönlichen Werdens gegenganzheitlich sein könne. Denn wir deuten ja das Dasein des Gewissens überhaupt als Zeichen
--
1) Vorles. üb. d. Phil. d. Gesch., Einleitung IIb (Reclam, S. 70).











Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Solipsist am 30. März 2003, 23:37 Uhr

von überpersönlicher Ganzheitsgemäßheit') -- allerdings nur, weil dieses Dasein sonst gänzlich unverstanden bleibt. Mit einer För
derung äußerlichen „Fortschritts" aber haben unsere Erwägungen überhaupt nichts zu tun, sondern nur mit einer Förderung des Guten, das sich oft, freilich nicht immer, an das, was etwa technisch, „Fortschritt" heißt, anheftet.
Die Lehre von der Heterogonie der Zwecke steht dann also im echtesten Wortsinne „jenseits von Gut und Böse", wenn man das Wörtchen gut lediglich für die Gesinnung, den „guten Willen", und das unmittelbar durch ihn2) Beabsichtigte und Erfolgende verwenden will. Alsdann ist die Zweck-heterogonie ein ganz selbständiges Ganzheitszeichen, das durchaus neben dem Dasein des sittlichen Bewußtseins als einem Ganzheitszeichen steht. Und dieser wichtige Unterschied bleibt auch dann bestehen, wenn wir nicht den „guten Willen" als solchen, sondern nur den zur Tat führenden3) guten Willen gut sein lassen, und bloße „gute Vorsätze" für nichts oder doch wenig erachten. Auch dann haben wir das als solches gewollte und das als solches nichtgewollte, tatsächlich aber geschehende Gute, das heißt der Verwirklichung einer überpersönlichen Ganzheit Dienende.
Übrigens möchten wir alles über die Zweckheterogonie als Ganzheitszeichen Gesagte mit großer Vorsicht ausgesprochen haben. -
Man könnte vielleicht geneigt sein, Beispiele für eine Heterogonie der Zwecke in gewissen der Dinge, die wir schon aus anderen Gesichtspunkten von Ganzheitlichkeitsbedeutung haben sein lassen, zu
--
1) Das Sittliche ist also, im Sinne der Stoa, der eigentlichen „Natur"
des Menschen gemäß, wenn es auch nicht seine ganze „Natur" deckt, zu welcher vielmehr auch das Triebhafte gehört. Es ist jedenfalls nichts
gleichsam „natur"-fremdes, dem widerwillig aus Vernunftgründen „gehorcht" werden müßte. Mit Recht hat Scheler (Jahrb. f. Phil. u. Phän. I, S. 467) die Kantische Ethik „das Gegenteil von Liebe zur Welt, von Ver
trauen" genannt.
2) Das „durch ihn" in 'der unbestimmten Bedeutung des Alltags !
Selbstbesinnlich („phänomenologisch") erlebe ich Willenserlebnis und dann Taterlebnis, aber nicht das zweite „durch" das erste. Auf meine
Seele mag das „durch" immerhin bezogen sein.
3) Die freilich durch Fremdes, Äußeres „gehemmt" sein mag. Das
ist eine Sache für sich. - K a n t will bekanntlich nur den „guten Willen", durchaus als Erlebnis, als gut gelten lassen, ohne Rücksicht auf eine Wirkung, ja sogar auf deren Möglichkeit (s. zumal Met. d. Sitten, I. Abschnitt).

erblicken, und da würden wir uns vielleicht auf etwas weniger unsicherem Boden bewegen, als wenn wir die „List der Idee" gerade ebenso fassen wie Hegel:
Ein Einzelstaat sei ursprünglich bloßen Machtgelüsten entsprungen - er muß auch dem Recht seinen Platz lassen, sonst zergeht er im Nu. Die Strafe mag nur als Abschreckungsmittel gelacht sein - sie erfüllt auch den Begriff der Gerechtigkeit. Das nicht wohl Überlegte ist, wenigstens oft, auch das Schlechte und umgekehrt.


p.212-p.215


P.S.: Der Zitierende entschuldigt sich hiermit für die Länge des Zitates

Gezeichnet: Solipsist

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 31. März 2003, 04:30 Uhr

Hallo Eberhard,

schön, wieder sachlich über Ethik zu diskutieren.

1. Kleine Korrektur: Der Erhalt der Menschheit sollte das höchste, nicht das einzige Ziel sein. "Nebenziele" sind denkbar. Wenn jemand eine Wanderung macht, kann er sich ja einmal einen Abstecher zu einem Gasthaus erlauben.

a. Dein Begriff "anerkennbar" ist mir nicht geläufig. Ich gehe davon aus, dass er bedeutet: "man kann es anerkennen", analog zu Begriffen wie essbar oder sichtbar.
Klar, für einen Christen ist die Arterhaltung als höchstes Ziel nicht anerkennbar, wohl aber im hierarchischen Mittelfeld durchaus akzeptabel. Aber für jeden Menschen, der nicht bereits durch eine bestimmte Ideologie fixiert ist, halte ich dieses Ziel für anerkennbar. Natürlich wünsche ich mir, dass auch der Christ es als höchstes Ziel anerkennt. Dann ist er allerdings im strengen Sinne kein Christ mehr.
Aber vielleicht missverstehe ich diesen Begriff völlig, bitte um Aufklärung.

b. Du schreibst: "Wenn es nur auf die tatsächliche Anerkennung einer Norm ankäme, sollten wir die Philosophie an den Nagel hängen und mittels empirischer Sozialforschung untersuchen, welche Normen von den Leuten tatsächlich anerkannt werden und welche nicht."
Heftiger Protest!! Eine Aufgabe der Philosophie ist es meines Erachtens, moralische Normen zu entwickeln und für deren Verbreitung zu sorgen. Also, sich an die Leute zu wenden und ihnen zu sagen, wo's lang gehen soll. War das nicht auch ein wesentliches Anliegen der griechischen Philosophen? Anders gesagt, die Philosophen sollten in meinen Augen das Feld der Missionierung nicht widerspruchslos den Kirchen überlassen.
Nebenbei, wenn ich nicht ganz falsch liege, findet man in den diversen Ethikkommissionen Politiker, Kirchenleute, Gewerkschafter, alles mögliche, aber nur sehr selten Philosophen. Meines Erachtens ein Trauerspiel. Oder hat sich das mittlerweile geändert?

2. Natürlich gibt es jede Menge Handlungsweisen, die den "Erhalt des Homo sapiens" nicht tangieren. Jedenfalls nicht direkt, bestenfalls nur über mehrere Umwege. Solche Fälle würde ich der nicht normierten Moral überlassen, das heißt, das kann jeder individuell für sich entscheiden. Auch in unserer derzeit gültigen Staatsmoral gibt es ja jede Menge Möglichkeiten, seinen eigenen moralischen Vorstellungen freien Lauf zu lassen.
Du hast aber in deiner Kritik in einem wesentlichen Punkt Recht. Ich habe noch nicht deutlich erklärt: Mir kommt es in diesem Zusammenhang auf die NORMIERTE MORAL, also auf das gültige Recht an, da es das Verhalten der Menschen entscheidend beeinflusst. Die nicht normierte Moral zu diskutieren, bringt wenig, die Lösungsansätze sind zu sehr von der individuellen Situation abhängig.
Das trifft auch für deine ersten beiden Beispiele zu: Selbstmord ist eine Sache, die jeder persönlich entscheiden muss, da kann die normierte Moral nicht helfen, ebenso die Sache mit dem Krebskranken (meines Wissens wird Beihilfe zum Selbstmord in Deutschland nicht bestraft, aber ich habe meine diesbezügliche Literatur nicht griffbereit).
Zum dritten Beispiel: Es ist ohnehin verboten. Nun könnte man diskutieren, dieses Verbot aufzuheben. Da gibt es aber rasch eine Lösung. Und zwar über den Weg der Ressourcenschonung. Wenn du willst, können wir das im Detail diskutieren.


3. Erlaube, dass ich mich in deine Diskussion mit solipsist hier einschalte. Die Frage, inwieweit das "individuelle Wohl" für den Entwurf einer Ethik von Bedeutung ist, stellt einen Knackpunkt bei der ganzen Diskussion dar. Wenn jemand auch nach reiflicher Überlegung sein persönliches Glück an die oberste Stelle setzt, ist ein Konsens nicht möglich. Das Ziel: "Maximales Glück für eine maximale Zahl von Menschen" haben wir ja bereits. In den USA in ziemlicher Reinkultur. Und wo es hinführt, sehen wir auch.
Das "individuelle Wohl" ist zu sehr von der individuellen Prägung beeinflusst, als dass daraus ein Ziel für die Allgemeinheit destilliert werden kann. Auch können Individuen unter Umständen die Konsequenz ihres Handels nicht voll erkennen. Selbstverständlich wird man versuchen, eine neue Moral den Menschen möglichst schmackhaft zu machen. Eine Mehrheitsentscheidung würde ich aber für ausreichend erachten, ein Gesamtkonsens wäre sicher wünschenswert, ist aber nicht realistisch.

Zu dem Artikel von Hans Driesch. Ich sehe in den Äußerungen dieses Herrn keinen Lösungsansatz. Die Aufgabe einer Moral ist es ja festzulegen, was "gut" und was "böse" ist.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 31. März 2003, 23:38 Uhr

hallo HP,
ich habe versucht, den ganzen thread, durchzufliegen, das Thema ist ja früher in ähnlicher Form immer wieder hier diskutiert worden.
Ich finde es toll, dass Du Dich um eine Neudefinition bemühst. wo Du doch andererseits den freien Willen in Frage stellst.
Ohne freien Willen kann es keine Verantwortung und keine Ethik geben.
Im Philosophieforum, da möchte ich Dir uneingeschränkt recht geben, müssen wir wirklich nicht auf die Religionen zurückgreifen, die das Nachdenken und selbst Entscheiden ja eher ausschalten (sollen).
Hier vermisse ich den Bergründer der Ethik Aritoteles, der heute recht lieberal und modern dasteht Kant ist der Gegepol, auch keinesfalls unmodern aber für die meisten irgendwie doch zu streng. Trotzdem kann man Ethik schlecht ohne Kant dikutieren.
Zu deinen "biologischen" Sorgen ist zweierlei zu sagen:



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 31. März 2003, 23:40 Uhr

1) Die früheren hohen Prognosen der Weltbevolkerungsentwicklung sind längst von der Realität (in Deinem Sinne) widerlegt. Sie hat sich bereits erheblich verlangsamt und strebt einem Gipfel von deutlich unter 10 Milliarden zu um dann sogar global abzunehmen. Gerade China ist wirtschaftlich so erfolgreich, weil es die 1-Kinderehe propagiert und durchgesetzt hat. Der Geburtebrückgang ist in den "Schwellenländern" am erfolgreichsten, weil sie wirtschaftliche Selbstheilungskräfte in hohem Maße freisetzt.
Dagegen gibt es in Deutschland mit recht starker Bevölkerungsschrupfung absolut keinerlei ethische Rechtfertigung für eine finanzielle Benachteiligung von Familien mit Kindern (eine Förderung gibt es bekanntlich nicht).


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 31. März 2003, 23:41 Uhr

2) Deine Bemerkung zu Albert Schweizer is ne echte Katastrophe, es ist das Gift des Egoismus, der auch einen Teil unserer eigenen Gesundheitspolitik vergiftet, nach dem Motto Helfen ist unökonomisch.
Dies ist längst widerlegt. Krankheit und damit massiv verkürzte Lebenserwartung ist der größte Hemmschuh einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in Afrika.
In den WHO- websites ist das auch für Leien überzeugend nachzulesen, wens wirklich interessiert.

Aber Dein Tenor, dass die Menschheit eine möglichst allgemein akzeptierte Ethik braucht ist goldrichtig.
Ich sehe das nicht so pessimistisch, ich denke, wir sind schon auf dem Weg dahin.
(Ich meine natürlich n i c h t den augeblicklichen Krieg)
Deshalb weiter frohes Schaffen
Paul

p.s. soory, klappt bei mir technisch leider nicht in einem Stück

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 01. Apr. 2003, 14:08 Uhr

Hallo paul,

das finde ich echt toll, dass jetzt ein 5-Sterne-Philosoph mitdiskutiert. Was natürlich keine Herabsetzung der bisherigen Beiträge sein soll. Nun artet das Antworten direkt in Arbeit aus. Also, auf geht&#8217;s!

1. Freie Wille - Ethik. Ich kann nicht nachvollziehen, warum eine Moral an einen Freien Willen gekoppelt sein muss. Ob du aufgrund einer freien Willensentscheidung oder aufgrund eines unbedingten erlernten Programms bei Rot an der Ampel hältst, ist in meinen Augen egal, Hauptsache du hältst.
Bei der Verantwortung hast du Recht, aber die brauchen im Prinzip nur die Christen und wohl die meisten Juristen. Man kann sich aber durchaus ein Rechtssystem ohne Verantwortung denken. Der Täter wird für seine Tat bestraft, egal ob er im moralischen Sinn verantwortlich ist oder nicht. Zieht man übrigens den ganzen Rattenschwanz an psychologischen Begründungen heran (Schuld sind die Eltern, die Umwelt...), dann lässt sich die ganze Chose mit der Verantwortung ohnehin schnell relativieren. Aber nochmals, man kann auch so tun, als gäbe es den Freien Willen.

2. Wie ich dir schon beim Freien Willen antwortete, halte ich von den bisherigen Philosophen herzlich wenig. Das soll keine Arroganz sein. Aber wenn zB ein Techniker ein Auto bauen will, wird er dazu auch nicht die Herren Diesel oder Benz konsultieren. Und dass Herr Aristoteles, der Vertreter einer Sklavenhaltergesellschaft von vor rund zweieinhalb tausend Jahren, uns Wesentliches in Sachen Ethik erzählen kann, halte ich für ein Gerücht. Jedenfalls teile ich zB seine Einschätzung von der Höherwertigkeit des Kriegers gegenüber dem Arbeiter definitiv nicht. Und ökologische Probleme dürfte der Herr auch nicht gekannt haben.

3. Ich kenne diese Prognosen über das angebliche Abflachen der Kurve bei etwa 10 Milliarden Menschen. Doch das spielt keine Rolle. Zweifelsfrei ist, dass die Erde nicht einmal in der Lage ist, die jetzigen 6 Milliarden Menschen auf dem Level Deutschlands zu versorgen. Würden die übrige Welt zB eine ähnliche Motorisierungsdichte wie die BRD haben, wäre das bereits das ökologische Aus. Ferner vermute ich, es gäbe in Deutschland Zoff, würde jemand dafür plädieren, den Lebensstandard auf ein durchschnittliches Weltniveau abzusenken. Also, auf welchem Level sollen dann die 10 Milliarden Menschen leben?

Du schreibst, China hat die Einkinder-Ehe propagiert und durchgesetzt. Propagiert zum Teil ja (bei der Han-Bevölkerung). Aber durchgesetzt? Mein Fischer-Almanach 2002 meint dazu: China 1996: 1,215 Milliarden, 1998: 1,239 Milliarden Einwohner. Neuere Zahlen habe ich leider nicht.

In der BRD machst du eine &#8222;recht starke Bevölkerungsschrumpfung&#8220; aus. Der web-Seite des Statistischen Bundesamt Deutschland entnehme ich: Bevölkerungszahl (Inländer) 1998, 1. Quartal: 82038 Tausend; 2002, 4. Quartal: 82558 Tausend. Habe ich da was falsch abgelesen? Bitte um Aufklärung.
Ferner würde mich sehr interessieren, in welchen Schwellenländern ein Geburtenrückgang zu beobachten ist?

Weiter schreibst du &#8222;eine Förderung (von Familien mit Kindern) gibt es nicht&#8220;. Das sehe ich nicht so. Kindergeld, die diversen Abschreibungsmöglichkeiten beim Häuserbau, die Zuwendungen für Beamten mit Kindern usw. halte ich für eine Förderung von Familien mit Kindern. Was ist es sonst?

4. Albert Schweitzer. Nicht so heftig! Es sind keine ökonomischen Bedenken, die ich habe, ganz im Gegenteil: Ökonomisch gesehen ist die &#8222;Entwicklungshilfe&#8220; für die Erste Welt ja insgesamt ein Gewinn.
Kurze Begründung:Die Menschen in den Entwicklungsländern konnten, bevor die Europäer kamen, ohne &#8222;Entwicklungshilfe&#8220; über Tausende von Jahren leben. Warum? Weil sie im Gleichgewicht mit der Natur lebten. Konkret: Wenn eine durchschnittliche Afrikanerin 6 Kinder in die Welt setzte und davon 1 - 2 überlebten, dann blieb die Bevölkerungszahl konstant, weil der Urwald genau die verbleibende Zahl an Menschen ernähren konnte. So etwas nennt man einen Regelkreis.
Dann kam Herr Schweitzer und verringerte zB die Kindersterblichkeit. Folge: Die Bevölkerung nahm zu, der Urwald konnte sie aber nicht ernähren, also wurde er gerodet, um neue Nahrungsproduktionen zu etablieren. Nun ist aber Urwaldboden in der Regel ziemlich unfruchtbar, die Nahrung reichte nicht und die Bevölkerung musste in die Großstädte abwandern. Klar, Herr Schweitzer handelte so, wie es seinem christlichen Weltbild entsprach. Es entsprach aber leider nicht den Regeln der Natur. Und die sind entscheidend.

Auf deine Antwort freut sich
HP



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 01. Apr. 2003, 22:40 Uhr

hallo HP,
bitte bezeichne mich nicht als 5-Sterne-Philosoph, ich bin weder Philosoph, noch besser als irgend einer von euch, vielleicht nur älter (60 Jahre). Es war halt ne Phase von "Nachholbedürfnis" aus meiner Jugend mit viel Lerneffekt, dass ich soviel geschrieben habe. Mache schon wieder den gleichen Fehler, dass ich zu viele Themen auf einmal anspreche und dann nicht alles beantworten kann, deshalb entschuldige meinen Telegrammstil:
zu 1)
Rote Ampel = Verkehrsregelung ist kein primär ethisches Objekt, kann man unter Utilitarismus abhaken.
Verantwortung (Schuldfähigkeit) kann man doch nur übernehmen, wenn man von einer Wahlfreiheit ausgeht. Das braucht gar nicht so furchtbar hochgehängt werden, da auch das "gemeinnützige Verhalten" allgegenwärtiger und angeborener Bestandteil unserer menschlichen Natur ist.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 01. Apr. 2003, 22:41 Uhr

Dies ist keinesfalls ein menschliches Privileg, sondern in der Natur weit verbreitet. Die Diskussion oder die Kontroversen über den "Restbestand" nicht angeborener Verhaltensweisen in Richtung menschlicher Ethik betreffen vor allem die Größe dieses Restbestandes, wobei die Größe 0 für mich eine nicht akzeptable Extremposition darstellt. Die Religionen habe ich bewußt zunächst weggeschoben, da sie IMHO die Entscheidungsfreiheit durch küchenrezeptartige Vorschriften für nahezu alle Lebenslage doch erheblich einengen (die Gläubigen mögen bitte hier einen Moment weghören, oder mir zumindest diese Formulierung verzeihen, ist nicht böse gemeint, aber wie soll ich mich sonst verständlich machen?).
Um es an einem Beispiel zu sagen:
Ich schätze die ethische Qualität ein und der gleichen (beliebigen) altruistischen Handlung - ja, ja, das gibt es durchaus, ist nichts soooo besonderes - bei einem nicht Gläubigen (Humanist?) höher ein, da er keinen Gotteslohn erwartet.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 01. Apr. 2003, 22:42 Uhr

Juristen
Ich habe in meinem Leben soviel mit Juristen zu tun gehabt, dass ich hier glatt das Gegenteil behaupte, Juristen sind geradezu stolz darauf Ethik zu ignorieren.
Vergiss bitte nicht, dass wir und nicht die Juristen, wir (schäbig genug) vertreten durch das Parlament, die Gesetze machen, die Juristen eigentlich nur anwenden sollten (wenn sie sich mal daran halten würden).
Sieh dir doch nur mal einen der vielen lächerlichen Nachbarschaftskonflikte an.
Schaffst du es, ihn ohne Jurist zu lösen bleibt er billiger und die Emotionen gehen nicht so hoch. Setzt du einen Anwalt ein, wird es teurer u n d (besonders im Prozessfall) wesentlich emotioneller. Juristen ersetzen hier den Revolver im Wilden Westen. Also besser etwas Ethik, keine Juristen.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 01. Apr. 2003, 22:44 Uhr

zu 2)
Warum das Rad neu erfinden? nur zu Aristoteles, lieber Freund:
Aristoteles formuliert keinen Normenkatalog wie Kant, das müßte dir doch liegen,
sondern er sieht die Verbindlichkeit von tugendhaftem Leben in der Angemessenheit an das Wesen des Menschen, dem es gemäß ist, stehts die Mitte zu halten zwischen den Extremen. Ziel ist nicht das Erkennen, sondern das Handeln und es ist im gemäß, sich in seinen Handlungen von Verstand und Einsicht und nicht von Emotionen leiten zu lassen. Er spricht von einem vernunftbegabten und einem vernunftlosen Anteil unserer Seele und auch von dem Konfliktfall, bei dem der letztere Teil der Vernuft entgegenwirkt und dann von ihr bezwungen werden muß.
Scheint mir alles andere als unmodern.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 01. Apr. 2003, 22:45 Uhr

zu 3)
geht mir eigentlich schon zu weit weg vom Thema siehe:
http://www.weltbevoelkerung.de/index.html
wird laufend aktualisiert, hier müßten alle Antworten drinstehen, auch über Deutschland (-0,1% im Jahr)
http://www.weltbevoelkerung.de/infothek_db.html
die Nettozuwanderung von Ausländern (größte in Westeuropa) verdeckt ein tatsächliches niedrigeres "Wachstum", deshalb sind in den prognostizierten 67,7 Millionen im Jahre 2050 (ist gar nicht mehr so lange) etwa die Hälfte Ausländer,
siehst Du die Problematik?
"Kinderförderung"
Dir scheint das BGH-Urteil über die Lohnsteuer für Familien nicht bekannt zu sein:



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 01. Apr. 2003, 22:46 Uhr

Es hat auf Grund des Gleichheitsgebotes des Grundgesetzes verlangt, dass bei der Bemessung des Lohn (Einkommens-) steuerbetrags ein Mindestfreibetrag für jedes Familienmitglied entsprechend den Sozialhilfekriterien zu berücksichtigen sei. Von diesem Ziel ist Deutschland weit entfernt, weiter als die meisten Nachbarstaaten und das ist nur die Lohnsteuer.
Grob gerechnet sind darüber hinaus ca. 50% der Staatseinnahmen indirekte Steuern, insbesondere die Mehrwertsteuer, die man als konsumbezogene Kopfsteuer bezeichnen kann. Hier zahlt also die 5-köpfige Familie im Prinzip das 5-fache an Steuern, wie der Singl.
Das ist jedem Sozialpolitiker bekannt, die freundliche politische Formulierung der "Familienhilfe" ist also mehr als Schönfärberei, gehört eigentlich zur Allgemeinbildung.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 01. Apr. 2003, 22:47 Uhr

Was deine Umweltbefürchtungen betrifft, sind es wirklich Befürchtungen, die durch Fakten nicht zu decken sind im Gegenteil, ich weis wie weh es tut, liebgewordene Vorstellungen in Frage zu stellen, die Umwelt erholt sich bereits seit etlichen Jahren, die Satelittenbilder zeigen eine deutlich stärkere Grünfärbung der nördlichen Erdhalbkugel (nur eines von vielen Fakten). Ich bin da wohl etwas optimistischer als Du und die Entwicklungsländer werden mit Sicherheit nicht alle Fehler unserer Vergangenheit wiederholen, sondern gleich mit dem PC einsteigen.

zu 4)
Du pflegst ein beliebtes (egoistisches) Vorurteil, natürlich ist in der Entwicklungspolitik (wenn man sie überhaupt früher so nennen konnte) viel falsch gemacht worden, ich verweise nochmal auf die WHO-Seiten, kann sie dir jetzt nicht alle raussuchen. Was sind für Dich denn Regeln der Natur beim Menschen?


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 01. Apr. 2003, 22:49 Uhr

Schluß:
Leider hab ich zukünftig nicht genug Zeit, auf so viele Themen gleichzeitig zu antworten. Muß ja noch ein liebes Wort für Linda übrig bleiben.
Gruß
Paul


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 02. Apr. 2003, 05:58 Uhr

Das war ja ein kurzes Feuerwerk von paul.
Ich antworte aber trotzdem. Für die Verbliebenen in der Diskussionsrunde.

1. Da philosophische Begriffe nicht normiert sind, gilt für mich nach wie vor, dass jede Handlungsweise nach ihrer moralischen Wertigkeit befragt werden kann. Damit ist auch das Halten an der Ampel eine Frage der Moral.

Dass die Juristen am Schuldbegriff festhalten, ist, denke ich, unbestritten. Über deren moralische Qualitäten hier zu urteilen, steht mir nicht an. Generell gilt für mich: Jeder Mensch hat eine Moral. Fragt sich nur, welche. Unmoralisch heißt ja nur, der Betreffende vertritt eine andere Moral, die man selbst für falsch hält.

2. Was ist ein &#8222;tugendhaftes Leben&#8220;? Wenn ich das wüßte, würde ich hier nicht diskutieren.

3. Ich denke, Paul hat die Abnahme der Bevölkerung mit der Abnahme der Geburten verwechselt. Es ist der Umwelt aber egal, ob sie von einem Türken oder einem Deutschen zerstört wird.
67,7 Millionen Einwohner im Jahre 2050 in Deutschland. Wie schrecklich! Ich weiß, jetzt kommt die Rentenleier. Aber wenn Deutschland zu blöde ist, sich ein vernünftiges Rentensystem einfallen zu lassen, muss man das Bevölkerungswachstum in einem der dichtest besiedelten Flächenstaaten dieser Erde nicht noch fördern. Hätten sie das Schweizer Modell abgekupfert, wären wir diesbezüglich weiter.

Die Frage über das Maß an staatlicher Förderung in Deutschland überlasse ich tatsächlich den Juristen. Noch einmal zur Begriffsklärung: Wenn in einem 5-Personenhaushalt die Verdienenden wie ein Single Steuern zahlen und es kein Kindergeld gibt, dann verstehe ich darunter: Keine Unterstützung von Seiten des Staates. Jede Steuerermäßigung und jede sonstige Zuwendung bezeichne ich als eine Unterstützung. Dies alles völlig wertneutral.

Dass meine Umweltbefürchtungen &#8222;durch die Fakten nicht zu decken sind&#8220;, fände ich sehr erheiternd, wenn es nicht so traurig wäre. Aus der Grünfärbung von Satellitenbildern auf eine intakte Umwelt zu schließen, ist geradezu haarsträubend. Ein Maisfeld ist sicher grüner als ein Urwald. Aber kein Zeichen einer intakten Umwelt. Und das Artensterben bilde ich mir wohl auch nur ein. Die entsprechenden Artikel in der SPIEGEL-Serie: "Der Todeskampf der Tierwelt" sind eine Fiktion. Die Welt als Wille und Vorstellung!

Solipsist, wie siehst du das? Du bist doch Biologe, oder?

4. Natürlich wird die WHO die rezenten Albert Schweitzers loben, aber die Problematik der Übertragung westlicher Medizin auf die Entwicklungsländer ohne eine vernünftige Familienpolitik ist nach wie vor nicht gelöst. Was das mit Egoismus zu tun hat, weiß ich nicht.
Regeln der Natur gelten für alle Lebewesen. Es gibt unzählige. Zum Beispiel, dass die Zerstörung von Regelkreisen katastrophale Veränderungen hervorrufen. Siehe Beispiel Albert Schweitzer.

Nun denn, Delfi, Eberhard, Solpisist und wer immer auch sonst noch Lust hat, lasst uns weiter diskutieren.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Solipsist am 02. Apr. 2003, 12:21 Uhr


on 04/02/03 um 05:58:24, Hanspeter wrote:
Dass meine Umweltbefürchtungen "durch die Fakten nicht zu decken" fände ich sehr erheiternd, wenn es nicht so traurig wäre. Aus der Grünfärbung von Satellitenbildern auf eine intakte Umwelt zu schließen, ist geradezu haarsträubend. Ein Maisfeld ist sicher grüner als ein Urwald. Aber kein Zeichen einer intakten Umwelt. Und das Artensterben bilde ich mir wohl auch nur ein. Die entsprechenden Artikel in der SPIEGEL-Serie: "Der Todeskampf der Tierwelt" sind eine Fiktion. Die Welt als Wille und Vorstellung!


Hallo Hanspeter,
Es gibt wohl kaum noch Gebiete auf der Erde, die vom Einfluss der Zivilisation der westlichen Welt verschont blieben.
"Natürliche Ressourcen" sind heute zur Nutzbarmachung für den Menschen da.
Das geht so weit, dass Rattenstämme gezüchtet werden, die vergleichbar einem technischen Produkt ein Copyright haben.
In den 90ern des letzten Jahrhunders sind Umweltbüros wie Pilze aus dem Boden geschossen, deren Projekte sich doch damit befassen "künstliche Natur" zu produzieren.

Durch solche Etwicklungen versucht doch der Mensch zu normieren, welche Manipulationen an der Umwelt als legitimiert gelten und welche nicht.
Intakt ist die Umwelt also genau dann, wenn man sich bei ihrer Auslöschung der Natur an die vorgegebenen Regeln hält.

Alzu schlimm ist das ganze wohl nicht, wenn man sich von der Vorstellung einer vom Menschen unabhängigen Welt lösen
kann.


Gruss

Solipsist



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 03. Apr. 2003, 06:13 Uhr

Hallo Solipsist,

danke für deine Einschätzung. Dein letzter Satz allerdings: "Allzu schlimm ist das Ganze wohl nicht, wenn man sich von der Vorstellung einer vom Menschen unabhängigen Welt lösen kann." erscheint mir rätselhaft.

Gehen wir aber davon aus, was verschiedene Umweltexperten glaubhaft gezeigt haben, dass selbst die jetzige Weltbevölkerung nicht auf dem Niveau eines Lebensstandards der BRD existieren kann. Bedenken wir weiterhin, dass der Verbrauch "Nicht Regenerierbarer Lebensgüter" bedeutet, dass künftigen Generationen immer weniger Ressourcen zur Verfügung stehen, stellt sich die Frage über die moralische Wertigkeit einer Wirtschaft, die stets zu mehr Konsum aufruft.

Weiter ist das "Albert-Schweitzer-Problem" noch ungeklärt. Ist es moralisch zu verantworten, wenn der Westen medizinischen Fortschritt in die "Dritte Welt" exportiert, ohne auch auf die notwendige Geburtenkontrolle zu achten? Wobei wir uns allerdings stets im Klaren sein müssen, dass die Geburtenkontrolle in der "Ersten Welt" viel wichtiger ist, schließlich verbraucht sie ja den Löwenanteil der Ressourcen.

Gruß HP



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 03. Apr. 2003, 11:33 Uhr

HalloSolipsist, hallo Hanspeter!

1. Solipsist, Du hast eine längere Passsage zur lebensphilosophischen Abgrenzung von Kant eingebracht, aber das bringt uns in unserer Frage so wohl nicht weiter. Du müsstest die Sache noch etwas zuspitzen und sagen, WELCHES Argument es ist, das wir berücksichtigen sollten.

2. Ich hatte als geeigneten Ausgangspunkt zur Bestimmung ethischer Normen die Frage formuliert: „Was können wir alle gemeinsam wollen bzw. welche Normen können unser aller Anerkennung finden?“ Du hast Recht, Solipsist, dass damit noch keine inhaltliche Bestimmung der ethischen Normen erreicht ist.

Hanspeter hat – wahrscheinlich eher unfreiwillig - bereits ein gutes Beispiel gegeben, inwiefern das Kriterium der allgemeinen Konsensfähigkeit auf konkrete ethische Positionen anwendbar ist. Er schreibt: „Wenn jemand auch nach reiflicher Überlegung sein persönliches Glück an die oberste Stelle setzt, ist ein Konsens nicht möglich.“ Dies ist richtig und eben deshalb scheidet z.B. eine solche Position als ungeeignet für eine allgemeingültige Ethik aus. Ethische Normen, die sich nicht personunabhängig formulieren lassen, sind nicht allgemein akzeptabel oder anerkennbar. Wenn jemand formuliert: „Alle sollen so handeln, wie es dem Interesse von Person X entspricht“, so gibt es keinen Grund, warum andere Personen als X dem zustimmen sollten.

Damit haben wir bereits folgendes wichtiges ethisches Prinzip gewonnen: Unter gleichen Umständen gelten für alle Individuen auch die gleichen Rechte und Pflichten. Oder anders ausgedrückt: Es darf in der ethischen Beurteilung von zwei gleichartigen Fällen kein Unterschied gemacht werden, nur weil es sich dabei um verschiedene Personen handelt.

Daraus folgt unter anderem: Wenn jemand in einer bestimmten Situation bestimmte für ihn gerade vorteilhafte Normen vertritt, so schafft er damit einen „Präzedenzfall“, auf den man sich ihm gegenüber berufen kann. Er muss deshalb diese Normen auch dann gelten lassen, wenn die Rollen einmal „vertauscht“ sind und ein anderer die Vorteile hätte. Will er den neuen Fall anders beurteilen, so muss er einen für die ethische Beurteilung relevanten Unterschied zwischen beiden Fällen aufzeigen.

In der Alltagssprache heißt dies, dass „nicht mit zweierlei Maß gemessen werden darf“. Ein aktuelles Beispiel dazu: Wenn die Regierung der USA den Irakkrieg damit rechtfertigt, dass dadurch ein Diktator beseitigt werden soll, der über Massenvernichtungswaffen verfügt, so muss sie diese normative Begründung nicht nur in Bezug auf den Irak sondern in Bezug auf alle Länder gelten lassen. Damit hat sich die Regierung der USA jedoch auf zahlreiche „Demokratisierungs- und Entwaffnungskriege“ festgelegt. Und wer will das?

Außerdem haben die Regierungen der USA und Großbritanniens mit der eigenmächtigen Auslegung der Resolution 1441 des UN-Sicherheitsrates (der Begriff „ernste Maßnahmen“ umfasse auch „Kriegführung“) einen weiteren Präzedenzfall geschaffen, der für das Bemühen um eine internationale Rechtsordnung katastrophal ist. Man muss sich nur vorstellen, dass andere Staaten in Zukunft ebenso verfahren werden.

Dies ist besonders problematisch, wenn von der Regierung der USA gleichzeitig der Aufbau einer internationalen Gerichtsbarkeit nicht akzeptiert wird, die durch eine verbindliche Auslegung solcher Resolutionen verhindern könnte, dass die Staaten „Richter in eigener Sache“ sind.

Wenn jemand ethisch problematisch handelt, so muss er sich demnach immer die Frage gefallen lassen: „Was wäre, wenn alle so handeln würden, wie du?“ Wenn er nicht damit einverstanden ist, dass sich auch alle andern „die Maxime seines Handelns“ zu eigen machen, so hat er damit gezeigt, dass seine Handlungsweise nicht konsensfähig ist.


3. An Hanspeter habe ich noch folgende Fragen: Wenn Du neben dem Ziel der Erhaltung der Menschheit noch weitere, davon logisch unabhängige Ziele zulässt, so musst Du deren Allgemeinverbindlichkeit allgemein nachvollziehbar begründen. Wenn ich Dich richtig verstehe, so willst Du Dich jedoch auf das eine Ziel beschränken und nur solche Handlungsweisen normieren, die für den Fortbestand der Menschheit relevant sind. Meinst Du mit „normierter Moral“ die staatlichen Rechtsnormen oder solche moralischen Normen, die für alle verbindlich gelten sollen?

Zum besseren Verständnis hätte ich auch gern Erläuterungen zu dem, was Du mit „Hierarchie“ der Normen oder Ziele meinst, wenn Du z.B. schreibst: „Für einen Christen ist die Arterhaltung als höchstes Ziel nicht anerkennbar, wohl aber im hierarchischen Mittelfeld durchaus akzeptabel“.

Auf eine „konstruktive“ Kritik von Euch wartet Eberhard


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von pitan am 03. Apr. 2003, 12:15 Uhr

Hallo Eberhard,
dein Beitrag über ethische Prinzipien war wirklich sehr gut, am besten fand ich die logischen-ethischen Argumente gegen den dummen Irak-Krieg (ich werde deinen Wortlaut, von nun an, in allen Diskussionen verwenden, wenn du erlaubst)
Trotzdem muß ich einwanden, dass jede ethische Diskussion mir eine Gänsehaut verursacht.
Der Versuch eine perfekte Welt zu errichten, in der das Leiden auf ein Minimum reduziert wird, hat auch etwas Anmaßendes bis Boshaftes.
Jede allgemeingültige Regel wie etwa "Du sollst nicht töten" wird im seinem Absolutismus zu einem Gehilfen des Bösen.
Was natürlich kein Freibrief dafür sein sollte, dass jeder machen kann, was er will.
Nur ist genau dieser Widerspruch, meiner bescheidenen Meinung nach, ohne eine Metaphysik, also ohne Glauben an eine höhere Welt oder höhere Prinzipien nicht auflösbar.
Gruß

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 04. Apr. 2003, 02:09 Uhr

Hallo Eberhard

Zu 2. habe ich nichts hinzuzufügen, insbesondere dein Urteil über den Irak-Krieg ist schlüssig.

Zu 3. Beides. Jeder Staat erwartet, dass die normierte Moral auch für den Einzelnen gilt. Zuwiderhandlungen bestraft er üblicherweise. Im Prinzip ist dies wohl auch richtig. Nicht normierte Details stehen natürlich zur freien Verfügung.

Zu 4. Zur Hierarchie der Normen. Am besten ein Beispiel.

Für einen katholischen Christen ist es das oberste Gebot, den Willen Gottes auszuführen. Was der Wille Gottes ist, steht in der Bibel; bei Auslegungsfragen ist der Ratzinger-Katechismus zuständig. Danach ist eine Familienplanung mit Abtreibung, Pille, Kondom usw. verboten. Selbst wenn nun ein Kathole einsieht, dass eine übermäßige Vermehrung den Fortbestand der Menschheit gefährdet (diese Einsicht ist nicht leicht), darf er sie mittels dieser Methoden nicht verhindern. Wenn er aber einsieht, dass übermäßiger Konsum über die Ressourcenvernichtung ebenfalls den Fortbestand der Menschheit gefährdet (auch diese Einsicht ist nicht leicht), dann darf er ihn sehr wohl verhindern. Für den Christen ist es also der Wille Gottes, dass der Vermehrung keine Grenzen außer der sexuellen Enthaltsamkeit gesetzt sind; es ist aber keineswegs der Wille Gottes, reichlich zu konsumieren. Er kann also argumentieren, dass er zwecks Erhalt der Menschheit eine Förderung des Wirtschaftswachstums ablehnt. Er kann aber nicht eine Begrenzung der Fortpflanzung mittels Pille oder Kondom ablehnen.
Mit anderen Worten: Der Wille Gotte steht in der Hierarchie an oberster Stelle. Der Erhalt der Menschheit ist sehr wohl auch ein Ziel (ein Nebenziel oder Unterziel), doch im Konfliktfall gilt das höhere Ziel.

Ein weiteres Beispiel: Die Frage, ob es moralisch erlaubt ist, sich von einem Partner scheiden zu lassen, tangiert den Erhalt der Menschheit nicht. Daher kann man in diesem zwischenmenschlichen Bereich sehr wohl Normen nach bisher noch nicht definierten Kriterien erstellen, solange sie nicht das oberste Ziel betreffen.

Ich hoffe immer noch, dass du uns deine Meinung zur "Albert-Schweitzer-Problematik" sagst; sie interessiert mich sehr!

Fröhliches Gären!

Gruß HP.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 04. Apr. 2003, 08:31 Uhr

Hallo Hans-Peter [angry]

Es ist schon traurig mit ansehen zu müssen, daß zugunsten irgendwelcher Argumentationstheorien oder der Lust am Argumentiern jeglicher Sinn am Lebenssinn verloren geht. Ich bin Christin und nichts von dem was Du über Christen gesagt hast ist wahr. Im übrigen ist es gerade die kleinste Ebene, die Du als banal und für die Allgemeinheit als unbedeutend darstellst, die überhaupt das gesamte Leben ausmacht. Ich verstehe Deinen Einzelkonflikt, sich vom Einzelleben in seiner Bedeutung lösen zu wollen, was bleibt Deinem Hirn auch anderes übrig, wenn es mit gegebenen Tatsachen dahingehend fertig werden muß, als das die Ethik im kleinsten nicht den äußeren Tatsachen entspricht, die sich somit im Großen aufzulösen scheint, unberücksichtig ihres inneren Wertes, der erhalten bleibt und jegliche Konfliktlösung so nur eine Momentsache ist, die sich im nächsten Moment jedoch wieder explosionsartig im ethischen Bereich zum Fall des Widerspruches wird.

Grüsse, Lina

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von delfinium am 04. Apr. 2003, 11:12 Uhr

Hi HP,
du stelltest anfangs fest, dass eine Moral immer ein bißchen auf ihren Gründer verweist.
Ich schwieg als ich bemerkte, dass mich die Frage, was für eine Persönlichkeit diese Entwürfe produziert, mehr interessierte als die Ethik selbst. Psychologie =Themaverfehlung (Aber was könnte Bernd dazu sagen! )

Du wirst um den Einzelmenschen nicht herumkommen, alle Veränderung beginnt hier.
Das was uns als menschliche Wesen verbindet ist die Tatsache, dass wir alle Glück anstreben und Leid vermeiden wollen -
egal in welcher Lage wir uns befinden (Land/Familienstand/Stellung/Geschlecht/Religion/etc.)
Wenn ich mir der Verbundenheit mit allem Lebenden bewußt bin ("Ich bin Leben, dass leben will, inmitten von Leben das leben will " Albert Schweitzer ), erkenne ich das Recht auch der Anderen dazu an und bemühe mich mitfühlend, verantwortungsbewußt zu leben.
Wenn es uns als Menschen nicht gelingt, zu menschlichem Verhalten und einem sinnerfüllten Leben zurückzufinden,
wird es auch nichts nutzen 'von oben' die Menschheit zu erhalten.
Mich erinnert das an unser heimisches Theater. Es soll geschlossen werden und die Städter,
(die es zu wenig nutzten) laufen Amok. Ich kenne den Filz von innen und ich denke, dass eine Schliessung nur gut sein kann, um dann neu zu bestimmen wie Kultur hier aussehen soll.
Nochmal die Frage, auf die du letztens herablassend ironisch eine Karikatur bürgerlichen Lebens formuliertest:
Was für eine Welt wäre das? Streng geregelt, überwacht, Fortpflanzung nur noch Auserwählten gestattet? Fühlte es sich gut an in ihr zu leben, würde HomoSapiens artgemäß gehalten?
das wars,
ann


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 05. Apr. 2003, 01:35 Uhr

Hallo Sheelina,

nimm bitte zur Kenntnis, dass es auch Nichtchristen gibt, die über Moral anders denken als du. Über sachliche Argumente freue ich mich. Wenn dich das Lesen dieser Überlegungen aber nur traurig stimmt, empfehle ich, sie nicht zu lesen.

Was ich über das Christentum gesagt habe, kann ich anhand von Bibelzitaten, Auszügen aus dem Ratzinger-Katechismus oder anderer Literatur belegen. Habe mich lange genug damit beschäftigt. Wobei ich mich primär auf die katholische Kirche konzentriere, weil sie ihre Aussagen klar definiert. Über die Evangelen rede ich nicht, da ihre Aussagen schwer zu fassen sind. Schließlich ist ja jeder evangelische Theologe sein eigener Papst.

Tschüss!



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 05. Apr. 2003, 01:37 Uhr

Hallo delfi,

du schreibst am Schluss deines Artikels: &#8222;Was für eine Welt wäre das? Streng geregelt, überwacht, Fortpflanzung nur noch Auserwählten gestattet?&#8220; Ist das nicht eine Unterstellung? Habe ich das irgendwo als wünschenswert beschrieben? Ich wäre ja schon zufrieden, wenn Politiker und Teile der Medien endlich aufhören würden, das Gespenst des &#8222;Aussterbens der Deutschen&#8220; an die Wand zu malen und zu diskutieren, dass Kinderlose mehr Steuern zahlen sollen, wenn Frauen, die abtreiben wollen, das problemlos durchführen können und wenn man auf die Problematik der Überbevölkerung öffentlich hinweisen würde.

Ferner schreibst du: &#8222;...dass wir alle Glück anstreben und Leid vermeiden wollen.&#8220; Wenn es nicht mehr ist, würde ich das als blanken Egoismus bezeichnen. Doch du meinst es wohl nicht so, denn du sagst ja, du möchtest verantwortungsbewusst leben. Das ehrt dich, so sehe ich das auch. Aber solange es nicht einmal einen Hinweis darauf gibt, dass die Welt 6 Milliarden Menschen ein Leben bieten kann, wie du und ich es wünschen, bleibe ich dabei, dass es unverantwortlich ist, mehr als zwei Kinder in die Welt zu setzen.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 05. Apr. 2003, 07:11 Uhr

Hallo HP,

ich bleibe bei meiner Meinung. Ach ja, und müssen muß ich gar nichts und Deine Interpretation bez. meines Gemützustandes ist 1. ebenfalls falsch und zweitens folglich nicht tauglich. Selbst wenn ich traurig dabei werden würde, würde es Dich in keinster Weise etwas angehen, ob ich es trotzdem lese oder nicht, es sei denn Du hast einen guten Grund, der mich davon abhalten möchte nicht traurig zu werden. Hast du einen? Du argumentierst nur um des Argumentierens willens, bringst Argumente ein, die ansich nur ein willkürliches Heraussuchen von Wissen ist, um vielleicht Deine Antichristliche Haltung zum Ausdruck zu bringen. Wenn Du die Dinge so übernimmst, wie sie irgendwo stehen und Du sie für Deine Argumentationen benutzt, mußt Du Dir auch gefallen lassen, daß ich meine empfundene Falschheit Dir in die Schuhe schiebe und nicht dem Urheber der Informationen.
Wenn dies aber eine Ethikdiskussion sein soll, muß Du schon selbst zu Deinen Beispielen im Bezug hierzu Stellung nehmen können, will heißen, Du kannst nicht erwarten, daß jemand eine pro/contra Diskussion über den Katholizismus oder das Christentum hier mit Dir führt. Von daher sind Deine Einwände, daß ich sachliche Argumente für meinen Einwurf bringen soll ebenfalls fehl am Platze. An anderer Stelle ggfls. gerne.

verbleibe freundlichst
Lina






Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 06. Apr. 2003, 00:16 Uhr

Hallo Sheelina,

Ehrlich gesagt, Deine Angriffe gegen Hanspeter finde ich nicht ganz fair (…eine moralische Wertung!).

Du schreibst an Hanspeter: „Ich bin Christin und nichts von dem was Du über Christen gesagt hast ist wahr.“

Hanspeter schrieb: „Für einen katholischen Christen ist es das oberste Gebot, den Willen Gottes auszuführen.

Ist das nicht wahr?

Außerdem bringt es nichts Gutes, dem andern zweifelhafte Motive zu unterstellen.

Du schreibst an Hanspeter.: „Du argumentierst nur um des Argumentierens willens.“

Was sollen solche negativen Unterstellungen, die Du nicht belegen kannst und die Hanspeter nicht widerlegen kann?

Auch wenn uns die Position, die jemand vertritt, gegen den Strich geht, sollten wir die Regeln einer fairen Diskussion einhalten. Dazu gehört meiner Meinung nach, dass man bei der Wahrheit bleibt, sich vor pauschalen Rundumschlägen hütet und auf Mittel wie die Unterstellung zweifelhafter Motive verzichtet.

Einverstanden? So oder so, sei gegrüßt von Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 06. Apr. 2003, 09:05 Uhr

Hallo Eberhard,

was willst Du denn? Ich kann mich noch an Deine Einsteigerdisussion erinnern, die übrigens mit mir stattgefunden hat. Nach 2,3 Beiträgen hast Du die Diskussion ohne Abschluß, noch nicht mal ohne ohne Abschluß abgebrochen. Mich einfach mit meinen offenen Fragen stehen lassen. Nennst Du das moralisches Verhalten?

MfG
Lina [cool]

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 06. Apr. 2003, 09:48 Uhr

Hallo Eberhard,

vielen Dank für deine letzte Antwort. Ignorieren wir die Querschüsse und lassen wir uns das Thema nicht kaputt machen.
Zur Sache. Darf ich dich an meine Antwort vom 4.4. 2:09 erinnern. Setzen wir hier unseren Dialog fort. Ich hätte sehr gerne deine Ansichten dazu gehört.

Gruß HP

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 06. Apr. 2003, 10:27 Uhr

[spin] [sun]

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 06. Apr. 2003, 17:38 Uhr

Hallo Pitan,

wenn ich Dich richtig verstanden habe, besteht für Dich das Dilemma, dass man einerseits keine Handlungsregeln aufstellen kann, die unter allen Bedingungen gültig sind, aber dass man andererseits auch nicht auf verbindliche Handlungsregeln verzichten kann.

Dies Dilemma scheint Dir nur durch den Glauben an eine höhere Welt auflösbar.

Bevor ich die letztere Konsequenz ziehe, möchte ich doch noch einmal versuchen, das Dilemma aufzulösen.

Du hast Recht, wenn Du darauf hinweist, dass sich keine Handlungen formulieren lassen, die unter allen möglichen Bedingungen geboten oder verboten sein sollten. Redensarten wie „Ausnahmen bestimmen die Regel“ oder „Keine Regel ohne Ausnahmen“ gelten sogar für Handlungen wie das Töten von Menschen.

Wie kann man das Problem lösen oder zumindest entschärfen?

Eine Möglichkeit besteht darin, dass man die Norm „Du sollst nicht töten!“ durch die Angabe von Bedingungen präzisiert. Ich schlage vor, mal über den Tellerrand der Philosophie zu gucken und nachzusehen, wie z.B. Rechtswissenschaftler das Problem angehen.

In den §§ 212 bis 222 unseres Strafgesetzbuches wird zwischen verschiedenen Umständen der Tötung unterschieden, vom Mord über Totschlag, Tötung auf Verlangen, Schwangerschaftsabbruch, Völkermord und Aussetzung bis hin zur fahrlässigen Tötung.

Solche Normen, die spezielle Anwendungsbedingungen enthalten, eignen sich schon sehr viel besser für eine ausnahmslose Anwendung. Trotzdem erkenne ich an, dass damit das Problem nicht völlig beseitigt werden kann. Jeder Fall liegt anders und wir wissen heute noch nicht, welche völlig neuartigen Situationen sich zukünftig einmal ergeben werden.

Aber deshalb hat der Gesetzgeber ja die Möglichkeit, Gesetze neu zu fassen und für neu aufgetretene Fälle besondere Normen zu formulieren, wobei durch Auslegungsgrundsätze wie „Die speziellere Norm hat Vorrang vor der allgemeineren Norm“ mögliche Widersprüche zwischen den alten und neuen Gesetzen aufgelöst werden können.

Allerdings wird das Gesetzbuch durch die Einbeziehung der Anwendungsbedingungen und durch die Hinzufügung von Ausnahmen nicht gerade dünner und übersichtlicher, weshalb der Spezifizierung von dorther Grenzen gesetzt sind.

Außerdem wird die Norm von Richtern angewandt, die für den jeweiligen Einzelfall die Anwendbarkeit der Norm zu prüfen haben. Aus den Urteilen der höheren Gerichte ergeben sich dann weitere Spezifizierungen der Norm, die in Kommentaren zum Strafgesetzbuch zusammengefasst werden.

Außerdem formuliert das Strafgesetzbuch in seinem vorderen Teil Voraussetzungen der Strafbarkeit, die für alle Delikte gelten. So ist eine Handlung, die die den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt, trotzdem dann nicht rechtswidrig, wenn diese Handlung erforderlich war, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich und anderen abzuwehren.

Nach meiner Einschätzung lassen sich auf diese Weise Normen bestimmen, die dauerhaft gelten können, ohne dass man in den Fehler einer Absolutsetzung bestimmter Regeln verfallen muss.

Wäre das auch für Dich ein gangbarer Weg? Gruß Eberhard

p.s. Ich komme auf Deine Frage zurück, Hanspeter.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 06. Apr. 2003, 19:42 Uhr

Abgesehen davon, kann ich auch nichts dafür, wenn sehr gute Argumente (und das waren meine) aus Symphatie oder Antipathiegründen nicht als gültig anerkannt werden. Und Eberhard setzt mir wieder Prämissen vor, die ich vorher in diesem Diskussionsrahmen für begründet nicht sinnvoll hielt. Soll ich mich jetzt um des Verständnisses wegen, selbst widerlegen?

Und da mein nächster Einwurf an Eberhard keine Berücksichtigung mehr fand, welchen ich aus dem Leben herausgegriffen sah, hat sich meine These, daß diese Diskussion nur um des Argumentationswillens geführt wird bestätigt, zudem noch der Verdacht erhärtet, daß sie am Leben vorbeigeht, es sei denn, das Leben von Euch ist so: [nospeak] [nohear] [nosee]

Grüsse, Lina

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von delfinium am 07. Apr. 2003, 08:43 Uhr

sheelina,
geht es denn in der Philosphie um das Lösen praktischer Probleme? Ich hatte den Eindruck, die Freude am Herumargumentieren sei bereits das Ziel, nein?
@ hansp.
Leid vermeiden/Glück anstreben mag egoistisch klingen, aber scheint mir realistisch die Ausgangslage aller Menschen zu sein. (deine nicht?)
Dass das Glück des Einzelnen nicht das Leid des Andern sein darf
und die Hinwendung zum Andern wiederum Glück bedeuten kann...wenn ich die Andern zu dieser Erkenntnis bringen könnte wäre moralisches Verhalten vorprogrammiert!?


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 07. Apr. 2003, 10:50 Uhr

Hallo Sheelina,
Du bist der Meinung, dass unsere Diskussion zur Bestimmung allgemeingültiger ethischer Regeln „am Leben vorbeigeht“. Und Du wiederholst den Verdacht, hier würde nur argumentiert um des Argumentieren willens. Ich bin da anderer Meinung: Wenn es der Menschheit nicht gelingt, Handlungsnormen aufzustellen und durchzusetzen, die „allgemein“ (= „von allen gemeinsam“) akzeptiert werden können, dann müssen Konflikte weiterhin gewalttätig und kriegerisch gelöst werden. Es steht meiner Ansicht nach deshalb viel auf dem Spiel, und es geht hier nicht nur um „l’art pour l’art“ im wissenschaftlichen Elfenbeinturm.

Da es uns um einen Fortschritt in der Beantwortung der gestellten Frage geht, kommt es vor allem auf die Tauglichkeit der eingebrachten Argumente an. Man mag es bedauern, aber für unterhaltsames „talken“ oder „chatten“ bleibt da wenig Platz. Und wenn man keine gemeinsame Sprache findet, sollte man das Gespräch beenden. Wenn ich das einmal ohne Begründung getan haben sollte, so bitte ich das zu entschuldigen.

Ansonsten wünsche ich mir für diese Diskussion Beiträge, die sich um die Beantwortung der gestellten Frage bemühen, und ich selber werde mich ebenfalls auf dieses sachliche Ziel konzentrieren.

Alles Gute für Dich Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 07. Apr. 2003, 21:31 Uhr

Hallo Hanspeter,

Wir machen weiter!

Du stellst die Frage: „Ist es moralisch zu verantworten, wenn der Westen medizinischen Fortschritt in die ‚Dritte Welt’ exportiert, ohne auch auf die notwendige Geburtenkontrolle zu achten?“ Du verneinst die Frage, weil durch medizinischen Fortschritt die Kindersterblichkeit verringert wird und dies wiederum zum Anwachsen der Bevölkerung führt. Jedes Anwachsen der Bevölkerungszahlen gefährdet jedoch den Fortbestand der Menschheit, da die Ressourcen auf der Erde begrenzt sind und bereits jetzt die Ressourcen nicht ausreichen, um die Weltbevölkerung auf dem Standard der Deutschen zu versorgen.

Von dieser entwicklungspolitischen Frage relativ unabhängig ist die Frage zu beantworten, wie man die Person Albert Schweitzers und seine Tätigkeit in Lambarene beurteilt. Als Albert Schweitzer 1913 zum ersten Mal nach Lambarene ging, um Leprakranke zu behandeln, war von Problemen wie „Zerstörung des Regenwaldes“ und „Bevölkerungsexplosion“ noch nicht die Rede. Auch wenn ich seine religiösen Überzeugungen nicht teile, kann ich dem Menschen Albert Schweitzer meine moralische Anerkennung nicht versagen, denn er hat viele Tausend Menschen vor einem elenden Siechtum bewahrt und dafür auf eine gesicherte Karriere in Europa verzichtet.
Im übrigen kann man in Bezug auf die schwarz-afrikanischen Länder nicht von einer Überbevölkerung reden. So hat Gabun heute – trotz Lambarene – nicht mehr als 1,2 Millionen Einwohner. Ich würde das Problem, das Du meinst, deshalb nicht „Albert Schweitzer – Problem“ nennen.

Nun zur Entwicklungspolitik. Wir sind uns einig, dass das rapide Anwachsen der Weltbevölkerung nicht ungebremst weitergehen sollte, weil das Raumschiff Erde nur begrenzt Lebensmittel bereitstellen kann. Es gibt dabei einmal das Problem des Verbrauchs nicht erneuerbarer Güter wie z.B. Erdöl. Gefährlicher noch ist jedoch die Zerstörung derjenigen Lebensbedingungen, die das Raumschiff Erde erst bewohnbar machen, wie die Ozonschicht, die vor der Krebs erzeugenden ultravioletten Strahlung schützt, Beide Problembereiche – Verknappung der Ressourcen und Zerstörung von Lebensbedingungen – werden jedoch nicht nur davon beeinflusst, wie viele Menschen leben, sondern auch davon, WIE sie leben.

Wir sind uns weiterhin einig, dass durch eine Verbesserung der medizinischen Versorgung in Ländern der 3. Welt die Sterberate herabgesetzt wird und dadurch die Bevölkerung zahlenmäßig wächst. Insofern hat die medizinische Entwicklungshilfe unerwünschte Nebenfolgen. Diese unerwünschte Nebenfolgen sollten bedacht werden und durch „flankierende Maßnahmen“ wie der Ermöglichung von Empfängnisverhütung ausgeschaltet werden.

Ich halte es jedoch für ethisch nicht gerechtfertigt, wegen dieser Nebenfolgen die Einstellung der medizinischen Hilfe zu fordern. Ich sehe dafür keine allgemein akzeptablen Argumente. Soll ich dem Mann aus Gabun sagen: „Du bekommst keine Pockenimpfung weil Du dann länger lebst, womöglich Kinder zeugst und damit die Weltbevölkerung vergrößerst“? Wie siehst Du das? Gruß Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 08. Apr. 2003, 04:15 Uhr

Hallo Delfi,

vieles spricht dafür, dass es in deinem Leben irgendwelche dramatischen Ereignisse gab, die dir viel Leid zufügten. Das ist zweifellos sehr bedauerlich, doch ist eine Lösung nur unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände möglich.
Das Vermeiden von Leid als Basis einer Moral funktioniert grundsätzlich nicht, weil Leid etwas Subjektives und individuell Unterschiedliches ist. Noch einmal zwei Beispiele aus einem schier unendlichen Fundus: Wird die Abtreibung erlaubt, leiden die Personen, für die Abtreibung Mord ist. Wird die Abtreibung verboten, leiden die Personen, die einen sexuellen Fehltritt korrigiert haben möchten. Oder, wird am Arbeitsplatz das Rauchen erlaubt, leidet der Nichtraucher, wird das Rauchen verboten, leidet der Raucher.
Natürlich wird man in einem allgemein gültigen moralischen System versuchen, das Leiden der Menschen zu minimieren. Aber man kann es nicht generell ausschließen. Daher kann grundsätzlich Verhindern von Leiden nicht das oberste Ziel sein, weil man in einem moralischen System nur Handlungen vorschreiben oder verbieten kann, nicht aber deren psychische Konsequenzen für jeden Einzelnen.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 08. Apr. 2003, 04:23 Uhr

Hallo Eberhard,

Zu Albert Schweitzer. Er handelte richtig aus seiner Sicht der Dinge und seiner Zeit; ökologische Probleme kannte er nicht. Mein, zugegeben etwas scharf formulierter Begriff, richtet sich vielmehr gegen seine Nachfolger. Aber ich gebe dir Recht, verzichten wir auf ihn.

Deine weiteren Analysen des Problems teile ich, bleibt nur noch der Knackpunkt: Wie halten wir es mit der 3. Welt?

Das Problem ist, dass hier nur Paketlösungen helfen. Ich würde also dem Mann aus Gabun sagen: "Du bekommst die Pockenimpfung, aber da du bereits 2 Kinder in die Welt gesetzt hast, musst du mit einer Sterilisation einverstanden sein." Allgemein gesprochen, man muss medizinischen Fortschritt mit Geburtenkontrolle koppeln. Wenn aber eine Gesellschaft Geburtenkontrolle als Eingriff in ihre kulturelle Tradition ablehnt, müssen sie eben auch mit ihrer traditionellen Medizin vorliebnehmen. Letztendlich funktioniert es nicht, aus einem System nur die Rosinen herauszupicken. Es bedarf eines Kompromisses aus Wirkung und Nebenwirkung. Dieses wird leider bei sehr vielen Projekten in der 3. Welt nicht bedacht.

Die Sache hat aber noch eine ganz andere Konsequenz - du deutetest es schon an. Unser Wirtschaftssystem basiert ja wesentlich darauf, aus der 3. Welt billige Rohstoffe zu beziehen, um sie sowohl für uns zu verwenden, als auch die daraus resultieren Produkte teuer wieder in die 3. Welt zu verkaufen. Wir haben uns damit auch in eine gewisse Abhängigkeit von dieser begeben. Wenn also der Mann aus Gabun sagt: "Du bekommst unser Öl nur dann, wenn du uns medizinische Hilfe gewährst", dann wird man gewähren müssen, egal mit welchen Konsequenzen. Es sei denn, man schlägt ihm eins über die Rübe und holt sich das Öl trotzdem. Aber das halten wir üblicherweise für moralisch falsch.
Somit wäre es auch die Aufgabe der 1. Welt, ihr Konsumverhalten grundsätzlich zu ändern. Denn eines ist klar. Die maximale Zahl der Menschen, die auf dieser Erde jetzt leben und in Zukunft leben können, wird durch die von ihnen benötigen, nicht erneuerbaren Rohstoffen bestimmt. Wobei letztlich das schwächste Glied entscheidend ist. Sicher kann man den einen oder anderen Rohstoff kompensieren, aber meist nur zu höheren Kosten, was zur Folge hat, dass die Schere zwischen Arm und Reich sich noch mehr öffnet.
Also muss eine Moral, die den Erhalt der Menschheit zum Ziel hat, nicht nur die Bevölkerungszahl senken, sondern auch den Lebensstandard bzw. die Lebensgewohnheiten der Wohlhabenden. Und das ist eine noch härtere Nuss.

Wie siehst du das?


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 08. Apr. 2003, 04:26 Uhr

Gruß Hanspeter, ganz vergessen!

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von delfinium am 08. Apr. 2003, 09:38 Uhr

hallo Männer,
Es scheint, das ich mich nicht verständlich machen kann. Aber danke für die Geduld.
Nein, das meinte ich natürlich nicht. Leid gehört zum Leben.
(Habe in meinem nicht mehr als die übliche Dosis erlebt...Psychologie lassen wir doch raus? )
Bevor es eine allgemeingültige Moral gibt, ist abzuschätzen wem man sie überstülpt:
Glück anstreben/Leid vermeiden sind nicht die Moral, sondern das was uns als Menschen weltweit antreibt. Vielleicht ist es dir nicht global genug, aber nach meiner furchtbar pragmatischen Denkweise (und politischen Erfahrung) hängt die Welt vom Einzelnen ab.(Nein, ich finde die Erkenntnis auch nicht sehr ermutigend, wenn ich mir meine Mitmenschen so betrachte, aber es ist so)
Die Frage wäre für mich: wie kriege ich sie dazu zu begreifen, dass alle Menschen von demselben Wunsch erfüllt und als lebendige Wesen verbunden sind. Die Erkenntnis impliziert, dass mein Glück nicht das Leid eines Andern sein darf, (konkreter als HP das verstanden hatte)
dass der Einzelne bei jeder Entscheidung abzuwägen hat.
Bei Abtreibung bedeutete das: Ich füge dem Kind schlimmstes Leiden zu, dem Vater vielleicht auch...sollte mein Leben nicht ernsthaft in Gefahr sein, habe ich zu aktzeptieren, dass es wieder einen Weltzerstörer mehr geben wird. (Und gefälligst einzusehen, dass es fürs Kinderverhindern zu spät ist, wenn das Kind schon im Entstehen ist, verdammt(sorry)
Dem Gabunesen wäre zu helfen, wenn seine Regierung dafür sorgte, dass er im Alter sich auch ohne Riesenkinderschar versorgt wüßte.

Das es hier wie überall Grenzfälle gibt und Fehlentscheidungen ist logisch. Diese Welt mir aber vorzustellen, mit mehr Menschen mit verinnerlichtem Gefühl der Verantwortung füreinander und der Verbundenheit miteinander, gefällt mir sehr viel besser als eure von 'oben' gesetzlich gerettete Erde mit in Zaum gehaltener Menschheit. (Wer kontrolliert übrigens deine Moralkontrolleure
...das ist immer eine entscheidene Frage.)
Ich bin mir bewußt, das dies hier merkwürdig abgehoben auf eure Strukturen wirken muß.
Aber ich bin überzeugt, das Veränderung nur so funktioniert. Es kann durchaus sein, dass wir uns vor Erreichung einiger Ziele zerstören, weil es einfach lange dauert.
Es hilft aber nix, wir müssen menschlich bleiben, sonst lohnt unsere Erhaltung nicht.
"Der Weise macht sich keine Sorgen um sein eigenes Leben;
sondern er macht sich die Bedürfnisse der Menschen zu eigen.
Ich bin gut zu denen, die gut sind,
aber ich bin auch gut zu denen, die nicht gut sind,
DENN SO VERMEHRE ICH DIE GÜTE."
LaoTse 'tao-te-king'
Darauf kommts an.
Aber Eberhard sagte es, ich denke ganz anders als ihr und will woanders hin...
da fehlt die gemeinsame Sprache!
Ich wünsche euch viel Erfolg!
Tschüss
delfi [smiley=wavey.gif]


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 08. Apr. 2003, 15:15 Uhr

Hallo delfi,

du schreibst "die Welt hängt vom Einzelnen ab". Ja, von Herrn Bush wohl, von mir nicht.....
Ach, du hast dich ja schon endgültig von der Diskussion verabschiedet. Schade. Aber es stimmt wohl, uns fehlt die gemeinsame Sprache, weil es keinen gemeinsamen Denkhorizont gibt.
Vielleicht hat Loriot doch Recht, wenn er sagt: "Männer und Frauen passen einfach nicht zueinander." Vermutlich auch nicht im Denken.

Alles Gute, HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 08. Apr. 2003, 19:40 Uhr

Hallo Hans Peter -

danke für die Einladung, ich habe jetzt nicht alle Beiträge gelesen, und schreibe mir das von der Seele, was ich mir bis hierher so denke.

Kennt ihr Beiden - Eberhard und du das Buch "Balance oder Zerstörung" von Radermacher? Er setzt sich sehr gut mit diesen Problemen auseinander, Fazit ist, dass es an der Zeit ist für jeden Einzelnen umzudenken und wie Fromm in seinem Buch "Haben und Sein" darlegt, zu agieren.

Mit Ethik, das heißt Normen oder Gesetzen allein, auch wenn sie für die ganze Welt Gültigkeit haben sollten, kann ich keine Änderung erzielen, das sind die Schwachpunkte - die Interpretation wird immer dem Individuum entsprechen, und kann auch nicht mit Waffengewalt einem anderen Verständnis zugeordnet werden. Einzig Toleranz und ein gemeinsames Ziel können zu einem gemeinsamen Verständnis führen.

Meiner Meinung ermüßigt sich die Frage nach einer Geburtenkontrolle bzw. med.Versorgung wenn sie darauf ausgerichtet ist, dass es so wenig wie möglich Aussereuropäische geben sollte. Was berechtigt euch zu dieser Annahme? Oder habe ich da was falsch mitgekriegt?

Klärt mich auf wo eure Ansatzpunkte liegen im Erhalt einer lebenswerten Welt und Gesellschaft, oder einem cleenen Europa?!

Bis dann!

Margarete







Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 08. Apr. 2003, 20:55 Uhr

Hallo Eberhard,

nur noch kurz eine Erklärung. Sicherlich habe ich sachliche Argumente, ich bitte allerdings um Verständnis, daß ich zu dem Thema Überbevölkerung derzeit keine allzugroßen Aussagen machen möchte. Die Überlegungen die ich bis jetzt dazu geführt haben endeten meist ziemlich traurig, wenn nicht gar dramatisch. Ich hoffe, daß jetzt nicht näher ausführen zu müssen, hoffe aber auch, daß Ihr vielleicht noch andere Möglichkeiten seht, die auch in der Durchführung realisierbar sind.

Was unseren kurzen Dialog betrifft (zu Deinem Einstieg, der in Dir den Eindruck vermittelt hat, als wenn wir uns nicht verstehen, bzw. andere Sprachen sprechen würden), hat mir einiges deutlich gemacht, und war für mich (wenn auch nicht für Dich), nicht unfruchtbar. Allerdings hatte ich noch die dritte Möglichkeit im Kopf, die ich allerdings von Dir erwartet hatte, und ich nicht in die Leere noch eine Möglichkeit drauf setzen wollte.

Was das Thema Verständigung zwischen Mann und Frau angeht, finde ich, ist dieses bereits als Vorurteil überholt, nicht zuletzt meiner vorangehenden Frauengeneration zu verdanken. Aber auch in dem Bereich Frauen- und Männerrollen gibt es weiterhin enormen Klärungsbedarf, gerade auch im öffentlichen Leben, wie Berufsleben etc.

Doch noch kurz zu dem Thema, ich werde es interessiert verfolgen, ist zu berücksichtigen, daß die Mentalität der Menschen in der dritten Welt eine andere bez. etw. Moralvorstellungen ist. Vielleicht gilt es die erstmal zu verstehen. Empfinden die Frauen dort dieselbe Trauer, wenn ihnen ein Kind stirbt? Wie ist die Einstellung beider Geschlechter zum Liebesakt? Wie sehen sie sich innerhalb des Familiengefüges? Und so weiter, als grundlegende ethische Fragen, denn ein "von oben herabs" befehlen und anordnen ist die Menschen behandeln, als wenn sie in ihrem ethischen Dasein wie Hunde wären, was natürlich auch eine Möglichkeit wäre, denn diese Begrifflichkeit zu verwenden, ist vielleicht nur in europäischen Ländern als deskriminierend zu sehen? Ob so oder so, können wir unsere Moralvorstellung, die sich in Jahren entwickelte, nicht so mir nichts dir nichts einführen. Ich bin aber auch nicht derart auf dem neuesten Stand, als daß ich die derzeitige Entwicklungshilfe auf einen moralischen Stand sehen könnte.

in Frieden
Lina

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 09. Apr. 2003, 04:20 Uhr

Hallo margarete,

ich liebe es, nummeriert zu antworten, ist halt so meine Art.

1. Du musst die leider die Mühe machen, die 5 Seiten, die bisher zu dem Thema entstanden sind, zu lesen. Eine Zusammenfassung schaffe ich jetzt nicht. Aber 5 Seiten machst du doch mit links.

2. Herrn Radermacher kenne ich nicht. Grundsätzlich interessiert mich: "Was ist der Fall", und nicht so sehr, "wer hat das als erster gedacht". Erzähl uns also, was du zu einem konkreten Punkt zu sagen hast, egal, ob es deine oder des Herrn Radermacher Meinung ist.

3. Niemand hat behauptet, dass es unser Ziel ist, die "Außereuropäischen" zu beseitigen. Ich habe stets eine allgemeine Geburtenkontrolle gefordert, wobei die der Ersten Welt sogar noch Priorität hat, wegen deren besonders hohen Ressourcenverbrauchs.
Übrigens, damit du hier durch andere Beiträge keinen falschen Eindruck bekommst. Wenn man zu einer Sache nichts zu sagen hat, muss man das weder mitteilen, noch sich dafür entschuldigen, es genügt, nichts zu sagen.

4. Mir geht es zunächst darum, eine Moral zu entwickeln, die so strukturiert ist, dass sie allgemeine Gültigkeit haben könnte. Die Frage der Umsetzung stellt sich erst später. Also erst das Produkt, dann das Marketing. Ich denke, es ist Usus bei den Philosophen, sich erst zu fragen: "Was ist wahr", und dann, "wie bringe ich meine Wahrheit an den Mann". So wollen wir es auch halten. Wobei du mir glauben darfst, dass ich in Sachen Marketing keine übertriebenen Erwartungen hege.

Gruß HP



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 09. Apr. 2003, 05:35 Uhr

Guten Morgen HP

1. ich versuch's
2. wie 1. - meine Zeit ist knapp
3. Ich wollte nur ein wenig anklopfen, ist mír nicht gelungen
Wie war das noch mit deinem Gleichnis der Ehefr.?
4. ist 1.

Gruß Marg.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 09. Apr. 2003, 19:40 Uhr

Hallo Leute,

ich schlage vor, dass wir nach soviel Irritationen über Stilfragen und Animositäten zur inhaltlichen Fragestellung zurückkehren. Vielleicht ist es dazu einmal ganz nützlich, den Stand der Diskussion festzuhalten. Aus meiner Sicht sind folgende Punkte wichtig gewesen.

1. Ethische Fragestellungen („Wie sollen Menschen handeln?“ „Wie soll das soziale Zusammenleben geregelt werden?“) sind wichtige Fragen.
2. Gesucht wird eine allgemeingültige Beantwortung solcher Fragen.
3. Ein Anspruch auf allgemeine Gültigkeit muss durch allgemein nachvollziehbare und akzeptable Argumente begründet werden. Das schließt eine „von oben“ aufgezwungene Moral aus.
4. Ein Vorschlag zur Lösung des Problems bestand darin, von einem allgemein akzeptablen Ziel auszugehen (der Erhaltung der Menschheit) und daraus Handlungsnormen abzuleiten (Geburtenkontrolle, Schonung nicht erneuerbarer Ressourcen etc.) Einigkeit bestand darin, dass dies Ziel nicht für alle moralischen Fragen ein geeignetes Kriterium abgibt und durch weitere Ziele ergänzt werden muss. Weiterhin bleibt noch genauer zu klären, worin die beanspruchte „Plausibilität“ des Zieles besteht.
5. Ohne Widerspruch blieb die These, dass allgemein akzeptable ethische Normen ohne Ansehen der Person gelten müssen, d.h. dass gleichartige Handlungsweisen auch gleichartig beurteilt werden müssen. Dies ist allerdings nur eine notwendige Bedingung, die nicht hinreicht, um alle ethischen Fragen zu beantworten.
6. Breiten Raum nahm die Auseinandersetzung über eine ethisch verantwortliche Entwicklungspolitik ein. Es wurde die Position vertreten, dass Hilfe nur unter der Bedingung einer Geburtenkontrolle geleistet werden solle, dem teilweise vehement widersprochen wurde. (Mein Vorschlag hierzu ist, eine solche konkrete ethische Frage - bei allem emotionalen Engagement für das Problem - vor allem als ein Beispiel ethischer Argumentation zu nehmen und das Augenmerk darauf zu richten, wie im konkreten Fall argumentiert wird und ob diese Argumente allgemein akzeptabel sind.)
Bis demnächst Eberhard.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 09. Apr. 2003, 20:01 Uhr

Hallo Leute,

machen wir weiter mit der inhaltlichen Diskussion. Ich will dazu einen Vorschlag von Delfinium aufgreifen und etwas verändert zur Diskussion stellen. Wenn alle Menschen eigenes Leid vermeiden wollen und ihr eigenes Glück anstreben, so könnte das ethische Prinzip allgemein akzeptabel sein, dass jeder sein eigenes Glück anstreben darf, sofern damit nicht einem andern Leid zugefügt wird. Anders ausgedrückt: „Es sind alle Handlungen erlaubt, die keinem andern schaden“.

Dies scheint mir ein allgemein akzeptables ethisches Prinzip zu sein. Es setzt allerdings voraus, dass man sich darüber einigen kann, was unter „Leid“ oder „schaden“ zu verstehen ist. Nur dann kann man ja diejenigen Handlungen bestimmen, die keinem anderen Leid zufügen bzw. keinem andern schaden. (Damit wäre auch Hanspeters Kritik ausgeräumt, dass man nur Handlungen vorschreiben kann, nicht jedoch psychische Konsequenzen.)

Es wäre jedoch falsch, wenn man das Prinzip dahin gehend erweitern würde zu sagen: „Alle Handlungen, die anderen Leid zufügen, sind nicht erlaubt.“ Häufig treten Situationen auf, in denen man es nicht allen recht machen kann und irgendeinem wehtut, egal wie man sich entscheidet. Das hat Hanspeter mit dem Raucherbeispiel gezeigt.

Hier käme man nur weiter, wenn man statt zu fragen „Wird einem andern Leid zugefügt?“ fragt „Bei welcher Handlungsalternative ist das Leid aller Betroffenen am geringsten?“ Um dies Prinzip anwenden zu können, müsste man sich jedoch nicht nur darüber einig sein, was „Leiden“ bedeutet, sondern man müsste zusätzlich auch noch das Leid des einen gegen das Leid des andern abwägen können.

Weiterhin stellt sich die Frage, ob dann nicht auch das erzielte Glück berücksichtigt werden sollte, insofern als z.B. ein sehr großes Glück für den einen das damit verbundene geringe Leid eines andern aufwiegen kann.

(Zu den andern Punkten später) Gruß Eberhard


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 09. Apr. 2003, 20:04 Uhr

Hallo Eberhard,

*gähn*, tschuldigung.
Du bezeichnest in 1. die Fragestellung "Wie sollen Menschen handeln" als eine ethische. Sehe ich nicht als ethische Frage, sondern, als eine Frage, die sich aus der Beantwortung einer ethischen Frage ergeben könnte. Die Antwort auf Deine Eingangsfrage: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen, hast Du für Dich wohl schon mit ja beantwortet. In Konsequenz würde ich die Frage stellen, ist vernünftiges Handeln ohne Beantwortung von ethischen Fragen sinnvoll, bzw. überhaupt möglich, wenn ja, wie?

Grüsse, Lina

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 09. Apr. 2003, 20:23 Uhr

Hallo HP, Eberhard und noch Interessierte,

ich habe mich jetzt bis zur dritten Seite durchgekämpft, und möchte einmal Zwischenbilanz ziehen, danke Eberhard für deinen Zwischenbericht, aber er macht mich auch nicht wirklich klüger.

1. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass nicht allen klar ist, was Ethik wirklich bedeutet, nämlich die Auseinandersetzung mit der Moral auf eine kritische Weise - bei Wertungen, Handlungen, Überzeugungen
Ethik ist nicht die Moral im neutralen oder üblichen Sinn.

2.es gibt verschiedene Möglichkeiten Theorien aufzustellen, eine ist z.B. die Normtheorie die sich mit der Gesetzgebung befaßt hat. Es ist nicht die Ethik, die Gebote oder Verbote befolgt.

3. Ethik basiert außer der Theologischen auf reiner Logik bzw. allem Empirischen, des Seins, des Gegebenen usw.

4. Bevor eine Regel oder eine Norm aufgestellt werden kann müßte, man dieselbe Sprache sprechen, um die vielen vorhandenen Mißverständnisse von vornherein auszuschließen, selbst dann wird es durch die Individualität der Einzelnen zu den verschiedensten Ansichten kommen.

5.Der Erhalt des Menschen scheint mir ein so umfangreiches Thema zu sein, zu dem wie gehabt für jeden etwas anderes sinnvoll erscheint bzw. vordergründig ist, hier wäre meines Erachtens eine Zentralfrage zu stellen, auch wenn man den Berg nur mit kleinen Steinen abtragen kann.

6. Dann kommt noch Gott und die Welt dazu

Bis hierher einmal, aber ich gebe zu, dass sehr interessante Fragen angeschnitten wurden.

Ich lese morgen weiter!

Einstweilen Grüße

Margarete


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 09. Apr. 2003, 20:30 Uhr

HI Eberhard -

du scheinst der Philo zu sein, zu deinem letzten Beitrag

Es gibt eine ganz einfache Frage

Wann ist eine Handlung (Theorie) erlaubt oder verboten?

Schönen Abend

Margarete



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 09. Apr. 2003, 20:43 Uhr

Hallo margarete,

du schreibst, daß wohl nicht allen klar ist, was unter Ethik zu verstehen ist. Das mag wohl daran liegen, daß trotz der Entwicklungen in den 80/90ziger Jahren, noch ein gewisser Stillstand mit Kant zu sehen ist, der (zumindest nach meinem Lexikon für Philosophen) die Frage, ob das Glück oder das Wohl des einzelnen genauer zu bestimmen ist, mit als objektiv nicht beanwortbar, zurückgewiesen hat und jegliche Entscheidung diesbezüglich dem Einzelnen überläßt. Kant-Kenner mögen mein Lexikon ggfls. berichtigen. Obwohl ich es nicht verwerfen kann, setzt diese Anschauung aber eine Auseinandersetzung mit dem Einzelnen voraus was in einer Konsumgesellschaft schwerlichst möglich ist. (es sei denn Eberhard gibt mir die Möglichkeit dies allein mit meiner Vernunft auf den Punkt zu bringen),

Gruß
Lina

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 09. Apr. 2003, 21:32 Uhr

Hallo Lina,
Wenn die Frage „Wie sollen Menschen handeln?“ für Dich keine ethische Fragestellung ist, würde ich gern von Dir wissen, ob die Frage „Sollen Wissenschaftler Versuche mit menschlichen Stammzellen machen?“ für Dich eine ethische Frage ist. Wenn „ja“, verstehe ich Deine Kritik nicht. Wenn „nein“, sind wir wieder beim Problem der gemeinsamen Sprache angelangt. Allerdings glaube ich nicht, dass ein Streit um Worte uns inhaltlich weiter bringt.

Du stellst weiterhin die Frage: „Ist vernünftiges Handeln ohne Beantwortung von ethischen Fragen sinnvoll bzw. überhaupt möglich?“
Meine Antwort lautet „ja“. Es gibt viele vernünftige Handlungen, die keinerlei moralische Voraussetzungen enthalten, z.B. einen Kuchen backen, einen Fahrradreifen aufpumpen. Solche Handlungen sind ohne die Beantwortung ethischer Fragen sinnvoll und möglich. Ich sehe allerdings nicht, inwiefern die Verfolgung dieser Frage uns inhaltlich weiter bringt.
Grüße an Dich von Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 09. Apr. 2003, 22:03 Uhr

Hallo Eberhard,

belassen wir es bei Deiner Interpretation des "Sprachproblems", obwohl ich es eher so bezeichnen würde, als das wir nicht an einem Strang ziehen.

Deine ethische Frage zu den Stammzellen, sehe ich bestenfalls als eine moralische Handlungsfolge in Konsequenz der Beanwortung einer ethischen Frage, die da meines Erachtens lauten müsste, können Stammzellen ein Gefühl haben? Und in folge dessen, wie geht man damit um?

Gruß
Lina

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Zampano am 09. Apr. 2003, 22:35 Uhr

Ich frage mich, wieso man immer wieder die selben Fragen tausend mal beantworten muss. Jegliche Ethik, Religion oder Philosophie kommt immer wieder zu den selben "Ergebnissen", wenn es um die Beantwortung der Frage geht, welches die universelle Wahrheit der Spezies Mensch ist, vor allem bei der Frage was eine im ethischen Sinne richtige Moral ist.
Die einzige richtige Moral für den Menschen, ergo die Grundsätze jeglicher Ethik, ist die Lebensbejahung, sind die Ehrfurcht, die Förderung und die aktive Fürsorge für das Leben. Sein eigenes und das anderer Menschen. Dies ist eine der wenigen universellen Wahrheiten und ich kenne keine ernstzunehmende Ethik, die dem widerspricht.

Nach dem Sinn zu suchen, mag philosophisch vertretbar sein, wobei auch da die Antwort stets die selbe ist: der Sinn ist das Leben selbst.

Natürlich reicht das fortschrittsglaubenden Menschen nicht, denn der Mensch entwickelt sich ja weiter. Tut er das wirklich? Strebt er nicht seit jeher nach dem Paradies, denkt, dass er das mit Hilfe des Fortschrittes erreichen kann und weiß dennoch, dass es niemals möglich sein wird.

Finden wir uns damit ab, dass diese einfachen Wahrheiten die einzigen sind, die jemals gegolten haben und auf die man nach gründlicher Überlegung stets auch selbst kommen kann.
Je einfacher eine Wahrheit ist umso universeller und reiner ist sie. Und das ist die einfachste Wahrheit überhaupt: die Liebe zum Leben.
Damit ist das Handeln auch vorgegeben, daran werden auch die nächsten x Generation wohl nicht viel ändern können. Jedes Handeln, dass dem Leben dient, dass das Leben (seines und das eines anderen) nicht beeinträchtigt, wachsen und gedeihen lässt, nicht manipuliert und nicht zwingt, ist „gut“ im ethischen Sinne.
Das haben wir doch nun oft genug gelesen und gehört, oder? Ziehe ich mich ethisch nackt aus wie es Descartes tat, so werde ich auf kein anderes Ergebnis kommen können.

Ich weiß, dass es grausam für Denker ist, wenn es nichts mehr zu denken gibt...:-)


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 10. Apr. 2003, 05:58 Uhr

Hallo zampano,

wenn es nichts mehr zu denken gibt, dann bist du hier im Philtalk, meiner Meinung nach, fehl am Platz.

Du schreibst: "Jegliche Ethik, Religion oder Philosophie kommt immer wieder zu den selben "Ergebnissen", wenn es um die Beantwortung der Frage geht, welches die universelle Wahrheit der Spezies Mensch ist, vor allem bei der Frage was eine im ethischen Sinne richtige Moral ist." So ein Unsinn!! Wäre dem so, gäbe es keinerlei Diskussionen um Ethik oder Moral. Es gibt sie aber, nicht nur im Philtalk. Die Herren G.W. Bush und U. Ibn Ladin sind nicht zum selben Ergebnis gekommen.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 10. Apr. 2003, 06:03 Uhr

Hallo Eberhard - Sheelina

da die Philosophie nicht in der Lage ist, Begriffe zu normieren, müssen wir es selbst tun.
Meines Wissens ist vom Ursprung her Ethik die griechische und Moral die lateinische Version des Begriffs "Sittlichkeit" oder "Sittenlehre", also ziemlich genau dasselbe. Historisch hat, wenn ich das richtig sehe, die Kirche den Begriff "Moral" für das richtige Handeln in Beschlag genommen, wohingegen diejenigen, die sich nicht strikt auf die christliche Linie festlegen wollten, den Begriff "Ethik" bevorzugten.
Mein Philosophie-Lexikon (Schischkow, Kröner Verlag) formuliert das "Prinzip der Vielheit der Moralen und der Einheit in der Ethik". Das scheint mir sinnvoll. Danach hat jede Gesellschaft, letztlich jeder Mensch, seine eigene Moral, die sich von den anderen Moralen mehr oder weniger stark unterscheidet. All diese verschiedenen Moralen gehören dann zum Oberbegriff Ethik.
Im normalen Sprachgebrauch hat der Begriff Moral einen gewissen Hautgout bekommen. Moralist, moralinsauer usw. sind infolge von Auseinandersetzungen mit der traditionellen Moral eher negativ besetzte Begriffe, weshalb man sich heute mehr am weitgehend neutralen Begriff Ethik orientiert.

Für das (katholische) Christentum gibt es logischerweise nur eine gültige Moral: die eigene. Folglich hat es mit der Ethik nichts am Hut, denn diese impliziert ja die moralische Vielfalt. Daher gibt es dort auch nur Moraltheologen, keine Ethiktheologen. Wer also an den christlichen Gott glaubt, kann sich mit Ethik nur so zur Orientierung beschäftigen. Er hat die moralischen Normen, die Gott ihm vorschreibt, zu akzeptieren und nicht nach einer neuen Moral zu suchen!! Wer das nicht so sieht, ist eben kein Christ, auch wenn er sich so nennt. Im Gegensatz zur Philosophie hat sich nämlich das (katholische) Christentum sehr exakt definiert.

Egal, wer nun Ethik oder Moral wie definiert, hier geht es um die Frage: Welches Handeln ist gut, welches ist böse.
Und darüber diskutieren wir.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 10. Apr. 2003, 06:05 Uhr

Hallo Zampanu - du Grausamer - der nichts zu denken hat,

so ganz bin ich nicht deiner Meinung, nach dem Sinn zu suchen ist nicht nur philosoph. zu vertreten, sondern vor allem menschlich.
Du sagt die einfachste Wahrheit ist die Liebe zum Leben!

Welche Wahrheit meist du damit? Was ist an der Liebe einfach? Zu welchem Leben? Was verstehst du unter Wahrheit? Welche Liebe?

Ich finde keineswegs, dass wir uns mit irgendeiner Situation abfinden sollten, außer ich werde dazu gezwungen oder tue es weil es mir Spaß macht und mich glücklich sein läßt.

Findest du, dass wir in einer glücklichen Welt leben? In der größtmöglich glücklichen Welt?

Es ist überhaupt kein Handeln vorgegeben, gerade Philosophie ist dazu da ständig zu hinterfragen, und die Ethik im Speziellen.

Wir leben in einer ständigen Entwicklung oder?

Die universelle Wahrheit, meist du damit die 10 Gebote?(Spaß).

Du klärst uns über ein Ziel auf, aber nicht über den Weg der zu verbreitern wäre.

Guten Morgen

Margarete



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 10. Apr. 2003, 06:12 Uhr

Hallo Eberhard

danke für deine Zusammenfassung.

Dem Versuch, das Leid als Ausgangspunkt einer Moral zu machen, stehe ich nach wie vor skeptisch gegenüber und deine Abhandlung dazu bestätigt mich. Die Forderung: "Es sind alle Handlungen erlaubt, die keinem andern schaden" kann ich akzeptieren, wenn du auch die Interessen künftiger Generationen mit einschließt. Doch dieser Satz führt uns zu nichts, denn diese Handlungen sind zunächst einmal diejenigen, die du zurecht als moralisch irrelevant definiert hast: "Kuchen backen" oder "Fahrradreifen aufpumpen" (wobei ich bei diesen Beispielen nicht ins Detail gehen will). Bei den Handlungen, die aber die Belange anderer Menschen tangieren - und das sind ja wohl die meisten - dann ist dieser Satz als OBERSTES moralisches Prinzip ungeeignet, weil ich mir kaum ein Handeln vorstellen kann, das nicht irgend jemand als für sich schädlich interpretieren kann. Hätte gerne mal ein Beispiel.

Natürlich kommt man der Sache wesentlich näher, wenn man Leiden gegeneinander abwägt. Das sehe ich auch so.
Dann aber ist das Vermeiden von Leid nicht mehr oberstes Prinzip. Dann aber brauche ich ein oberstes Prinzip, um eine Norm für eben diese Abwägungen zu haben. Nebenbei, die Definition und die Bewertung von Leid ist eine subjektive Sache, ein objektiviertes Leid kann ich mir nicht vorstellen. Beispiele?

Ich möchte noch einmal auf das Problem der "humanitären Entwicklungshilfe" wegen ihrer exemplarischen Bedeutung eingehen. Dahinter steht letztlich die Frage des Kulturtransfers, den Lina bereits andeutete. Inwieweit entspricht unsere Moral der von uns missionierten Völker? Anders ausgedrückt, können wir Teile unserer Moral auf andere Gesellschaften übertragen und welche Konsequenzen hat dies. Ich bin mir da nicht sicher, derzeit vermute ich, dass die Kulturen der 3. Welt früher oder später, wenn überhaupt, nur noch als Folklore für touristische Zwecke dienen werden. Vermutlich werden sie völlig verschwinden. Globalisierung heißt auch Globalisierung der Moral.
Dann aber müssen diese Völker, so sie unsere Medizin annehmen, auch für deren Konsequenzen gerade stehen. Wenn wir diese Konsequenzen akzeptieren, halte ich es auch für sehr wahrscheinlich, dass sie es tun. Doch daran hapert es. Voran der Vatikan, aber auch Teile der USA bekämpfen Geburtenkontrolle ganz entschieden.

Ferner wäre es meines Erachtens sehr interessant, darüber nachzudenken, weshalb die so offensichtlich notwendige Forderung nach Geburtenbeschränkung auf so massive Gegenwehr stößt. Auch hier im Philtalk. Vielleicht hilft es uns bei der Frage, warum es so schwer ist, moralische Normen festzulegen.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 10. Apr. 2003, 06:36 Uhr

Morgn,

ich schäme mich jeglicher Ausbeutung und fordere einen Naturschutz, der sich nicht nur auf tierisches Leben beschränkt. Diesen Naturschutz nicht auf die Betrachtung (HP) beschränkt, sondern im Verlangen dafür etwas zurückzubekommen.

Grüsse, Lina

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Zampano am 10. Apr. 2003, 11:42 Uhr

Hallo Hanspeter,


Quote:
>wenn es nichts mehr zu denken gibt, dann bist du hier im Philtalk, meiner Meinung nach, fehl am Platz.


Das war eine ironische Bemerkung, wie unschwer am Smilie zu erkennen...bitte etwas sachlicher. :-)


Quote:
>So ein Unsinn!! Wäre dem so, gäbe es keinerlei Diskussionen um Ethik oder Moral


Klar gibt es diese Diskussionen, und es wird sie immer geben. Weil der Mensch in der Regel nicht in der Lage ist, manche Dinge zu akzeptieren, seine Minderwertigkeit und sein oft „falsches“ Handeln zu rationalisieren versucht. Punkte, die es für die Ethik zu klären gibt, werden nie aussterben. Es gab immer wieder Bestrebungen und Richtungen, gut und böse neu zu definieren. Sie werden aber stets auf die ursprünglichen Bedeutungen zurückgeworfen oder dadurch widerlegt.


Quote:
> Egal, wer nun Ethik oder Moral wie definiert, hier geht es um die Frage: Welches Handeln ist gut, welches ist böse.


Eben darauf antwortete ich ja. Und die erste Maxime, die man aufstellen kann, wenn man darüber nachdenkt ist nun mal: jedes Handeln, dass mir keinen Schaden zufügt, meine Persönlichkeit nicht beeinträchtigt und mir meine Freiheit lässt ist per se „gut“.
Die zweite Maxime bezieht sich dann auf andere Lebewesen. Es bleiben noch unzählige Handlungsweisen und vor allem deren Kombinationen, auch im Zusammenhang mit der Gesellschaft, übrig, über die es sich zu reden lohnt. Aber die Basis, der Kern jeglichen „guten“ und „bösen“ Handelns für uns Menschen, wird stets die selbe bleiben. Das wollte ich damit sagen. Dabei spielt weder Religion, Ideologie noch Moral eine Rolle.

Salve,
Zampano


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 10. Apr. 2003, 11:59 Uhr

Danke, ihr ward mir sehr behilflich, verabschiede mich aus der Diskussion.

Grüsse, Lina

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Zampano am 10. Apr. 2003, 12:14 Uhr

Hallo Margarete,

na so grausam bin ich dann doch nicht...:-)

Welche Wahrheit meist du damit? Was ist an der Liebe einfach? Zu welchem Leben? Was verstehst du unter Wahrheit? Welche Liebe?

Es würde den Rahmen sprengen, würde ich alle Stellen zitieren, die den einen Satz, der die Grundlage jeder Ethik ist, erwähnen.
Die Liebe ist m.E. ausgesprochen einfach, nur mit der Umsetzung mangelt es meist :-)

Aber ich erzähle doch nichts neues, wenn ich sage, dass eine biophile Einstellung die Grundlage jedes ethisch und moralisch „richtigen“ Denkens ist.

Wir leben in einer ständigen Entwicklung oder?

Es gibt in diesem Bereich meines Erachtens keine Fortschritte, global und sozial gesehen.
Nun müsste ich allerdings bei Adam und Eva anfangen und den radikalen Humanismus erklären, aber das haben vor mir Buddha, Jesus, Kant, Spinoza, Hesse, Einstein, etc. etc. getan. Sie kamen alle zu de gleichen Schluss. Sicherlich gab es jede Menge Bestrebungen, hier weiter zu denken, neue Wege der Definition zu suchen und zu finden.
Aber solange der Mensch sterblich ist und infolge dessen das schätzen sollte, was er hat, das Leben, wird sich daran nichts großartig ändern. Und das Streben nach Glück, bzw. Vermeidung von Leid, ist auch keine neue Erkenntnis, wenn es um die Suche nach dem Sinn eines Menschen geht. Was Glück oder Leid ist, sei an anderer Stelle zu diskutieren, doch auch hier wird die Antwort ziemlich individuell ausfallen.

Vorgegeben ist natürlich kein Handeln, das „richtige“ für mich wäre nun aber: alles, was mir gut tut, mich glücklich macht, ist per Definition für MICH „gut“. Wenn ich also meinem inneren „heiligen“ Gesetz folge und mein Leben so angenehm wie möglich gestalte, dann handle ich im ethischen Sinne „gut“. Nun bin ich aber nicht alleine und kann es auf Dauer nicht bleiben, folglich werde ich diese Regel auch bei anderen akzeptieren müssen. Jetzt haben wir Diskussionsstoff genug, aber letztendlich werde ich nun mein Handeln auch auf andere beziehen müssen: was ist gut für andere, was schadet ihnen nicht, was lässt ihnen ihre Freiheit und ihre Entfaltungsmöglichkeiten?

Mit universeller Wahrheit – wenn es denn überhaupt Wahrheiten gibt – meine ich die stets immer wieder fundamentalen Bedingungen des Lebens. Würde ich das Leben nicht schätzen, nicht leben wollen, bräuchte ich mich damit nicht auseinandersetzen. Tue ich es aber so komme ich eben zu dem Schluss, dass ich eine biologische Einheit bin, die das Bewusstsein bekommen hat und den Verstand, um überhaupt überleben zu können. Und das auch eben dies mein größtes Problem ist.
Also kann ich mich dagegen entscheiden oder dafür. Letzteres bedingt, dass ich die Situation akzeptiere und das für mich beste daraus mache – das nenne ich Liebe zum Leben. Ich strebe nach dem für mich Guten. Und das für andere, den ich erkenne bald, dass nur das gut für mich ist, was ich dafür halte, aber andere ebenso denken. Also komme ich nicht umhin, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden – die Liebe zum Leben. Um es kurz zu machen, zwei der universellen Wahrheiten sind: Liebe und Selbstverwirklichung. War das nun überraschend? Was das im Detail ist, dafür gibt es auch dieses Forum...:-)

Die Welt an sich nimmt seit Jahrzehnten eine bedenkliche Entwicklung, je höher der Grad der Zivilisation umso mehr sehe ich eine ernsthafte Gefahr für diese Welt aufkommen. Denn alles was machbar ist, wird auch gemacht werden (Stichwort: Genforschung), das ist der Geist dieser technokratisierten und marketingorientierten Gesellschaft.

Natürlich kläre ich nicht über das Ziel auf, denn diese „Wahrheit“ ist auch schon uralt und ich möchte mich nicht in den heutigen, Marketing- und Konsum- und Fortschrittsverklärten Zeiten nicht in die Gefahr begeben als ein altmodischer, idealistischer und „realitätsfremder“ Kauz zu gelten. Aber den Weg dorthin kann jeder selbst „leicht“ finden, oder?
Der Weg wird allerdings nicht breiter, er bleibt immer sehr schmal...:-)

Salve,
Zampano


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 10. Apr. 2003, 13:10 Uhr

Hi Hanspeter, Eberhard, Zampano und Sheelina (last but not least)

Heute beim Frisör zwischen Gesprächen von Tennis und Golfen meiner Nachbarinnen habe ich mich durch eure Beiträge gekämpft - ein wenig Durcheinander, verschiedene sprachliche Auslegungen, unterschiedliche Begriffsauffassungen, von den Meinungen und der Wichtigkeit davon ganz zu schweigen.
Ich möchte mich mit Niemandem persönlich anlegen, sollte sich der eine oder andere angegriffen fühlen, dann bitte gleich melden.
Zuerst zur eth. Seite, es wurde vielfach von einer Normtheorie für die Werterhaltung bzw. Aufrechterhaltung der Lebensqualität gesprochen. Keine Theorie ist unfehlbar, zur Normteheorie gibt es ausser den praktikablen Fehlern, die theoretischen und dazu noch zwei gravierende inhaltliche Fehler:
1. Gerechtigkeit und zwar im Sinne einer Verteilung, z. B. von Gütern (Ressourcen in der Ernährung)
2. Autonomie (Selbstbestimmung) des Menschen

Es ist unmögliche selbst auf Grund der am besten ausgearbeitetsten Theorien unter Bezugnahme einer möglichen gerechten Verteilung ein für alle befriedigendes Ergebnis zu erzielen.
Selbstbestimmung ist Teil der menschl. Freiheit auch wenn ich damit anderes Leben retten könnte, muß die Entscheidung über z.B. mögliche Organspenden dem Spender überlassen sein.

Hanspeter, du meinst das Ziel ist Präskription, das ist doch nur die Bewertung, welche Probleme könntest du damit lösen, sicher ist es ein Schritt in die richtige Richtung da sind wir wiede beim Berg den es abzutragen gilt.
Es gibt außerdem eine theologische Ethik, die sich von der philosophischen nur dadurch unterscheidet, dass in der Bewertung, also der Präskription auch der Glauben und die göttliche Offenbarung miteinbezogen wirden.
So eine pauschale Verurteilung und Reduktion des Glaubens auf die 10 Gebote, das steht dir gar nicht an, zudem ist es ein wichtiger Faktor möchte ich eine Norm aufstellen die allen gerecht wird. Dann muß ich dir noch ein Geständnis machen, und ich weiß gar nicht ob du nachher mit mir noch reden willst, denn ich habe äußerst unverantwortlich gehandelt und vier Söhne geboren, die sich zu sehr tollen jungen Männern entwickelt haben. Die Gründe des Entstehens hier öffentlich zu diskutieren finde ich nicht für angebracht, aber ich muß delfi Recht geben, wenn sie meint Kinder, die in größeren Familien aufwachsen haben ein anderes soziales Verständnis und Verantwortungsbewußtsein zum Leben als Einzelkinder, wobei ich diese Eigenschaften niemanden absprechen möchte.

Ach so noch etwas, eine Theorie auf "Leidvermeidung" aufzubauen, halte ich schlichtweg auch für unmöglich.

Jetzt noch meine persönliche Meinung - ich würde mich in meiner Freiheit genauso beeinträchtigt fühlen, würde ich zB. "zwangssterilisiert"(hatten wir schon), oder würde mir vorgeschrieben ich dürfte nur zwei Kinder haben, passierts dann doch, gitb's ja noch die Abtreibung - so kann das sicher nicht funktionieren.
Ich glaube außerdem, dass das Problem der Überbevölkerung zu hoch bewertet wird, es findet doch ständig eine Dezimierung statt - Aids, Irak, Hunger, Seuchen, Katastrophen.Außerdem werden in den sogen.zivilisierten Ländern sowieso zuwenige Pensionserhalter geboren.
Zudem glaube ich, dass genug Reserven vorhanden sind, an deren Verteilung es scheitert, meist aus wirtschaftl. Gründen.
Es ist richtig, dass der kleine Mann wie du und ich beginnen sollten umzudenken, aber vor allem wäre es wichtig, dass der große Manitu Wirtschaft Akzente setzt und sich einer Ethik bewußt wird.

Grüße

Margarete

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 10. Apr. 2003, 21:46 Uhr

Hallo an alle, die den Diskussionsfaden weiterspinnen,

ich muss gestehen, dass ich angesichts der Menge der Beiträge kaum noch mit komme. Ich bitte deshalb zu entschuldigen, wenn erwartete Stellungnahmen ausbleiben. Ich begrüße Margarete und Zampano in der Runde und hoffe auf harte und gut begründete Kritik und fruchtbare Anregungen.

Zuerst zu Hanspeter. Ich teile Deine Auffassung, dass die rapide Zunahme der Erdbevölkerung zu großen Problemen führen wird, wenn sie nicht gestoppt wird. Ich bin jedoch der Meinung, dass man die Geburtenzahl nicht durch Verbote oder andere Sanktionen steuern sollte, sondern durch Veränderung des sozialen Umfelds: Das erfordert an erster Stelle den Aufbau einer familienunabhängigen Alterssicherung, und an zweiter Stelle die Verbreitung von Mitteln zur Empfängnisverhütung. An der kontroversen Diskussion wurde übrigens deutlich, welch wichtige Rolle unterschiedliche faktische Annahmen bei ethischen und politischen Überzeugungen spielen: Wer der Meinung ist, dass sich durch die Industrialisierung die Geburtenrate automatisch verringert, der hält das Problem der Überbevölkerung für weniger brennend. Das ist dann jedoch kein Problem der Philosophie mehr sondern der empirischen Sozialwissenschaften.

In diesem Zusammenhang noch eine Anmerkung zur Terminologie: Mir geht es um das, was „normative Ethik“ genannt wird, also um die Beantwortung von Fragen, wie die Welt (und das menschliche Handeln) beschaffen sein SOLL, nicht wie sie beschaffen IST. Und als Philosoph bin ich nicht so sehr an einzelnen Fragen interessiert, sondern allgemein an der METHODE, wie solche normativen Fragen allgemeingültig beantwortet werden können. Solche methodischen Fragen werden gewöhnlich der „Metaethik“ zugeordnet. Aber solche Schubladen-Einteilungen schaffen nur eine sehr grobe Abgrenzung.

An Margarete habe ich die Frage, was Du mit einer „verbotenen Theorie“ meinst, wenn Du schreibst: „Es gibt eine ganz einfache Frage: Wann ist eine Handlung (Theorie) erlaubt oder verboten?“

Nicht so skeptisch wie Du bin ich bei der Frage einer gerechten Verteilung von Gütern. Wenn die Bedürftigkeit der Individuen gleich ist und wenn keine Unterschiede in der individuellen Leistung berücksichtigt werden müssen, so ist nur eine gleiche Verteilung auf alle Beteiligten am ehesten allgemein akzeptabel. Handelt es sich um Güter, die sich nicht beliebig teilen lassen, wie z.B. die Zimmer einer Wohnung, so kann man z.B. in einer Wohngemeinschaft zu einer gerechten Verteilung kommen, wenn man zuerst diskutiert, wie teuer die verschiedenen Zimmer sein sollen, und erst anschließend durch Losentscheid die Zimmer den Einzelnen zuteilt.

Wichtig scheint mir Dein Hinweis auf die Forderung nach Autonomie bzw, Selbstbestimmung zu sein. Das, was man gewöhnlich als Menschenrechte bezeichnet und auch Teil unserer Verfassung ist, gehört in den Bereich der individuellen Selbstbestimmung. Ich denke, dass persönliche Freiheiten wie Bewegungs- und Gedankenfreiheit allgemein akzeptabel sein können, aber man müsste dies noch präziser herleiten.

An dieser Stelle möchte ich noch etwas zum Begriff der „Konsensfähigkeit“ bzw. der „allgemeinen Anerkennbarkeit“ von Normen sagen. Wenn Margarete zu Hanspeter sagt, er solle weniger kritisch zu den christlichen 10 Geboten sein, denn diese seien ein wichtiger Faktor, wenn er allen gerecht werden wolle, so bekommt die Sache eine falsche Wendung in Richtung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner der verschiedenen Positionen. In ähnlicher Weise problematisch wäre es, wenn jemand bei dem Versuch zu einem Konsens hinsichtlich des Problems Schwangerschaftsabruch zu kommen, seine bestehenden Überzeugungen in dieser Frage als Argument einbringen will, das bei der Konsensfindung zu berücksichtigen sei. Dies kann nicht zulässig sein, denn es werden ja gerade alle Überzeugungen in Frage gestellt um die richtige Antwort zu finden. Dann können die faktisch bestehenden Überzeugungen jedoch kein Argument sein.“

Hier will ich erstmal Schluß machen, obwohl ich gerne noch etwas zu Zampano gesagt hätte und zur Frage „menschliches Leid als Gesichtspunkt für ethische Normen“.
Grüße an alle Interessierten und bis demnächst Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 11. Apr. 2003, 00:49 Uhr

Hallo zampano,

verzeih die Schärfe, aber dass ein Smaili ein Synonym für Ironie ist, wusste ich nicht.
Nimm mir ferner nicht übel, dass ich Sätze so beurteile, wie sie dastehen. Und dein Satz, der das, zugegeben scharfe, Urteil "Unsinn" erfuhr, würde es in meinen Augen nach wie vor erfahren, wenn du ihn in deiner Antwort nicht teilweise relativiert hättest.

Nun zu deinen Vorstellungen. Über deine erste Maxime diskutieren Eberhard und ich gerade sehr angestrengt und teilen deine Ansicht keineswegs. Die Gründe findest du in den letzten Kommentaren von uns beiden.
Ferner schreibst du: "Aber die Basis, der Kern jeglichen "guten" und "bösen" Handelns für uns Menschen, wird stets die selbe bleiben. Das wollte ich damit sagen. Dabei spielt weder Religion, Ideologie noch Moral eine Rolle."
Was bitte ist diese Basis, unabhängig von Religion, Ideologie und Moral? Die Basis der Moral, unabhängig von der Moral, das verstehe ich leider nicht.

In deiner Antwort an Margarete schreibst du: "Wenn ich also meinem inneren "heiligen" Gesetz folge und mein Leben so angenehm wie möglich gestalte, dann handle ich im ethischen Sinne "gut"." Das ist in meinen Augen nichts anderes als ein Credo des Hedonismus. Ich glaube übrigens nicht, dass Buddha und Jesus zu demselben Ergebnis gekommen sind.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 11. Apr. 2003, 00:54 Uhr

Hallo Margarete,

das finde ich toll, dass du dich beim Frisör damit beschäftigt hast. Und da sich so ein Aufenthalt bei Damen ja ziemlich hinzieht &#8211; bei mir geht&#8217;s garantiert schneller &#8211; bist du ja nun voll drin. Übrigens, wir sind hart im Geben und hart im Nehmen, tu dir keinen Zwang an.

Zu deinem
1. Themenkomplex. Der Begriff Normtheorie sagt mir wenig, aber das liegt sicher an mir &#8211; bin kein Profiphilosoph. Vielleicht könntest du da helfend eingreifen. Das Problem der gerechten Güterverteilung ist sicher sehr schwierig, wir haben es noch nicht diskutiert, müssten es aber noch tun.

2. Eine Präskription ist das, was sein soll. Jedenfalls verstehe ich diesen Begriff so. Im Gegensatz zur Deskription, die sagt, was bereits der Fall ist. Selbstverständlich präskribiere ich nur Normen, die ich für richtig halte.

3. Ich werde weiter mit dir reden, auch wenn du 4 Kinder geboren hast. Aber vermutlich wirst du mit mir nicht mehr reden, wenn ich sage, dass ich dieses Handeln für verantwortungslos halte, vorausgesetzt du warst über die ökologischen Folgen informiert. So bedeutet das zB. dass deine 4 Söhne allein in ihrem Leben Energie entsprechend einem Äquivalent von über 1000t Erdöl verbrauchen werden; deren Nachkommen nicht berücksichtigt. Und es bedeutet weiterhin, dass mindestens 4 Menschen künftiger Generationen voraussichtlich nicht mehr leben können, weil ihnen diese Energie fehlt. Regenerierbare Energiequellen spielen derzeit und in absehbarer Zukunft keine entscheidende Rolle. Ferner tragen sie zum Treibhauseffekt, zum Artensterben, zur Zerstörung der Regenwälder usw., selbstverständlich auch zu den zunehmenden Kämpfen um die bisherigen Ressourcen bei. Falls sie in den USA leben, auch zum Irakkrieg. Aber dafür hatten sie ja eine glückliche Jugend mit insgesamt vier Geschwistern und sind daher sicher voll sozialisiert.

4. Auch ich bin gegen Zwangssterilisierung, das Beispiel vom "Mann in Gabun", auf das du anspielst, war als Metapher gedacht. Wie ich schon sagte, wäre ich damit zufrieden, wenn die Kindersubvention beendet und die Abtreibung frei gegeben würde, die "Pille danach" rezeptfrei erhältlich wäre, ein vernünftiges Rentensystem errichtet würde usw.

Du hältst das Bevölkerungsproblem für überbewertet. Nun, nimm bitte zur Kenntnis, dass der derzeitige Bevölkerungszuwachs pro Jahr ca. 80 Millionen Menschen beträgt. Das entspricht der Bevölkerungszahl Deutschlands. Pro Jahr!! Die Welt wird aber nicht größer, die Ressourcen nehmen nicht zu, sondern ab. Und du glaubst, dass das auf die Dauer gut geht?

Du glaubst, dass genug Reserven vorhanden sind. Siehst du, das glauben zB die Amerikaner nicht. Ihre eigenen Ölvorräte gehen nämlich bereits bedenklich zur Neige. Und deshalb haben sie sich die zweitgrößten Ölvorräte der Welt unter den Nagel gerissen. Die größten haben sie ja schon. Glaube mir, der Irakkrieg war nicht der letzte Krieg um Ressourcen. Das geht erst richtig los!

Gruß HP

P.S. Über den letzten Bericht von Eberhard muss ich noch nachdenken.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Dubravko am 11. Apr. 2003, 01:16 Uhr

Das ist ja eine Absage an die Welt, die du da vorträgst. Du sprichst ein Grundproblem des Daseins an: den Überlebenskampf. Menschen kämpfen ums Dasein. Du siehst das und akzeptierst es nicht. Würden alle so denken wie du, wäre das Menschengeschlecht innerhalb weniger Generationen ausgestorben. Willst du das?

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 11. Apr. 2003, 07:54 Uhr

Guten Morgen -

@ Eberhard

Ich stimme dir zu im Ansatz wie die Welt beschaffen sein soll, in einer Diskussion fließen als Rechtfertigung der Argumente aber immer wieder Istmomente ein, vor allem wenn die Methodik zur Erstellung einer Theorie nicht ganz klar ist, wobei ich auch nicht immer logisch agiere.
Eine Handlung ist dann verboten, wenn sie nicht erlaubt ist, bzw. wenn der GW aller H,K,A....aber das Spiel kennst du?
Wer bestimmt die Bedürftigkeit der Menschen im Hinblick auf die sagen wir vorrangig Ernährung, das Erdöl etc?
Der kleinste gemeinsame Nenner wäre zu präzisieren
ist es der Mensch, oder eine Gruppe. Im Hinblick auf die Autnomie kann auch beim einzelnen Menschen der Glaube eine herausragende Rolle spielen, wenn ich nur daran denke dass die Zeugen Jehovas Bluttransfusionen nicht zulassen.

Nachstehend ist es wieder meine persönliche Meinung, da Hanspeter mich direkt angesprochen hat -
@
Hanspeter

Wie schon erwähnt bin ich blond!
1. Die Normtheorie ist eine Art der präskriptiven Ethik und befasst sich mit der Ethik des richtigen Handelns. Das heißt ich bin zu dem Schluß gekommen dass die Handlung ethisch richtig ist wenn ich z.B. einen Korb mit Ostereiern verteile, das sagt aber nicht aus wie ich ihn verteile, so könnte ich sagen du bekommst nichts weil du mir bestätigst dass ich blond bin, auf eine etwas zielichtige Art, und Eberhard bekommt 5, und Zampano auch, genauso gut könnte ich aber sagen ihr bekommt alle gar nichts, sondern ich gebe sie meinen Buben die ohnehin zu kurz kommen im Leben (Spaß).
2.die präskripive Ethik ist eine bewertende, eine sollende und die deskriptive eine beschreibende Ethik
3. Jetzt wirds aber spannend, das Argument der Überbevölkerung hörte ich schon bei meinem ersten Kind, und ich machte mir errnstlich Sorgen ob ich es überhaupt ernähren könnte, das ändert sich! Der Weisheit letzter Schluß war,- in welcher Welt leben wir überhaupt, da könnte ich ja gleich von der Brücke springen - ich lebe, und es geht mir noch immer gut, besser denn je! Ich glaube dass ich sie soweit möglich zu verantwortungsbewußen Menschen erzogen haben die auch über ihren Tellerrand blicken um so zu einer positiven Entwicklung beizutragen.
Deine pauschalen Erklärungen kann ich so nicht anerkennen, es gibt zu allem Statisiken die Genaues aussagen, deshalb möchte auch ich nicht wirklich etwas ernst zu nehmendes behaupten, es sind nur meine Schlußfolgerungen die ich hier weitergebe. Vielleicht wüßte ezzo mehr, er beschäftigt sich ja mit Statistiken auch wenn er nur seinen Spaß in den Vordergrund stellt.

4. Probleme und Situationen sind dazu da um gelöst zu werden, ich glaube dass genug Reserven vorhanden sind, bzw. dass wir heue schon techn. in der Lage sind Alternativen aufzugreifen, bzw. verständlich zu machen, dass das eine oder andere so nicht möglich ist.

Der Irakkrieg ist der pure Wahnsinn und hat mit der Verantwortungslosigkeit der Regierung der USA und deren Wirtschaft zu tun und ist ethisch nicht vertretbar!

Grüße Margarete


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Zampano am 11. Apr. 2003, 11:01 Uhr

Hallo Hanspeter et al.

Ist ja kein Problem, das mit den Smilies muss auch erst mal gelernt werden, hatt ich die selben Probleme anfangs. Außerdem bin ich keineswegs leicht zu verärgern, für mich ist der Sinn wichtiger als die Verpackung. :-)

Moral ist meines Wissen per definitionem des Dudens ein „System von auf Tradition, Gesellschaftsform, Religion beruhenden sittlichen Grundsätzen u. Normen, das zu einem bestimmten Zeitpunkt das zwischenmenschliche Verhalten reguliert.“

Die Basis, oder Definition, jeglicher „Moral“ bin ich selbst und meine Liebe zum Leben und zu anderen Lebewesen. Ich nenne es lieber Gewissen, letztendlich sind es erneut Etikettierungen. Sein Leben so angenehm wie möglich zu gestalten, heißt ja nicht hedonistisch zu leben, sondern Leid zu vermeiden. Wie schon Aristoteles in seinem berühmten Satz sagte: „Nicht nach Lust strebt der Kluge, sondern nach Schmerzlosigkeit.“

Und ich schrieb ja, dass das Bewusstsein nicht auf Dauer alleine existieren zu können, dazu führt, dass ich entweder eine Moral „annehme“ oder auf meine eigene innere höre, die es ständig zu prüfen und modifizieren gilt im Bezug auf andere und das soziale Umfeld in dem ich lebe (das ist praktisch leicht zu erklären: ziehe um nach z.B. China und behalte deine jetzigen Moralvorstellungen und Handlungsweisen, es wird wohl hier und da zu Problemen kommen, ergo gibt es keine universelle und einheitliche Moral der gesamten Menschheit, wohl aber eine Grundlage für alle Menschen – und das meinte ich – nämlich eben dies zu akzeptieren). Würde ich alleine existieren können, könnte ich wohl auch rein hedonistisch leben.

Dazu brauche ich im Idealfall keine Religion oder jegliche andere Form der Reglementierung.
Und vor allem hat dies nichts mit Hedonismus zu tun. Sehr wohl sind Buddha und auch Jesus zu dem selben Ergebnis gekommen, in der Aussage, dass man sich selbst ebenso sehr lieben und wertschätzen sollte, wie alle anderen Menschen. Das ist meines Erachtens die Basis jedes Menschen auf dieser Erde, der nicht isoliert leben will, was er auf Dauer auch nicht könnte. Ohne diese Grundlage, wäre es überhaupt nicht möglich anderen Menschen mit Ehrfurcht, Aufmerksamkeit, Konzentration, Toleranz und vor allem Liebe zu begegnen.

Nun, das ist das Ideal und das dies natürlich nur sehr wenige erreichen können (oder besser wollen), da sie zu träge dafür sind und dadurch das es immer wieder Menschen gibt, die ihr eigenes Ego nur dadurch zu besänftigen wissen, in dem sie Macht ausüben wollen (in welcher Form auch immer, defensiv oder aggresiv), entstand überhaupt erst Moral, wie wir es in dem heutigen Sinne verstehen. Prähistorische oder sogenannte „primitive“ soziale Systeme kommen praktisch ohne aus und kennen keine Kriege oder kaum destruktives Verhalten gegenüber anderen.

Es ist dieser ewige Zwiespalt zwischen Eigensinn und Altruismus, der den wahrhaft „edlen“ und „guten“ Menschen ausmacht, im Allgemeinen auch Selbstverwirklichung oder Selbstbestimmung genannt. Sich seines eigene Wertes, seine Größe und seiner Minderwertigkeit bewusst zu werden, führt dazu es universell zu sehen und vor allem zu leben. Jeder Mensch, der eine hohe Stufe der inneren Freiheit und Selbstverwirklichung erreicht hat, wird sich eben seiner eigenen Bedeutungslosigkeit bewusst, wenn er nicht auch altruistisch handelt und beginnt sich selbst nicht mehr so ernst zu nehmen.

Dieses nicht zu erreichen, stets mit sich selbst in Misstrauen, Zweifel und Ängsten (Sicherheitsdenken) verharrend, stets unzufrieden sein, seinen Narzissmus frönen und nach Totem (Geld, Macht, Ruhm) streben, dass ist leider die vorherrschende Menge. Und diese braucht dann natürlich Regeln im Sinne einer Moral, sonst würde sie sich selbst auslöschen.


Salve,
Zampano


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 11. Apr. 2003, 13:42 Uhr

Hallo Eberhard,

auch ich schätze weder Sanktionen noch Zwangsmaßnahmen. Verbesserung des sozialen Umfelds und Förderung der empfängnisverhütenden Mittel sind sicher ein richtiger Weg. Doch vieles spricht dafür, dass das allein nicht hilft. Das zeigen die USA, die einen prozentualen Bevölkerungszuwachs wie etwa China aufweisen. Die wichtigste alle Maßnahmen aber ist, das Bewusstsein für die Problematik zu wecken. Doch das führt leider zu einem Konflikt mit diversen Religionen, vor allem der katholischen Kirche, die es in der Vergangenheit leider immer wieder geschafft hat - besonders auf UNO-Ebene - sämtliche Maßnahmen in dieser Richtung zu torpedieren. Damit ist auch klar, dass jede finanzielle Unterstützung dieser Organisation eine wirksame Methode zur Förderung der Bevölkerungsexplosion ist.

Interessant für mich ist der zweite, theoretische Teil deiner Ausführungen. Verstehe ich das richtig, dich interessiert mehr die Methode, weniger der Inhalt der Antworten?
Weiter, dich interessiert das SOLL, nicht das IST. Im Prinzip ja, aber beeinflusst nicht das IST wesentlich das SOLL? Kann man über das, was der Mensch sein soll, etwas aussagen, ohne zu wissen, wie der Mensch ist? Ich beobachte zur Zeit recht interessiert die Ergebnisse der "Lerntheorie", die offensichtlich in die Richtung laufen, dem Menschen immer weniger Lernfähigkeit, dafür immer mehr genetische Determiniertheit zuzuschreiben. Ändert das nicht das SOLL?

Du schreibst: "Nicht so skeptisch wie Du (Margarete) bin ich bei der Frage einer gerechten Verteilung von Gütern." Das überrascht mich aber sehr! Darüber schlagen sich doch schon seit fast zwei Jahrhunderten die diversen ...ismen die Köpfe ein. Und eine gerechte Verteilung der Güter selbst innerhalb Deutschlands ist ja wohl mehr als umstritten. Nein, da sehe ich auch nicht ansatzweise eine klare Lösung. Allein zwischen der objektiven und subjektiven Bedürftigkeit zu entscheiden, das ist fast die Quadratur des Kreises. In einer Moral lediglich zu sagen, die Güter müssen gerecht verteilt werden, das ist zu wenig. Da müssen schon konkretere Aussagen her. Dies einfach den empirischen Sozialwissenschaften zu überlassen, genügt nicht. Sie mögen die Daten liefern, aber die moralische Bewertung ist ja wohl wieder Sache der Philosophie. Oder will die Philosophie dieses Feld den Religiösen überlassen? Der Teufel liegt im Detail, auch bei der Moral!

Das Thema Autonomie wäre auch noch sehr interessant, aber ich will dich nicht überlasten. Könnte ja sein, dass du noch etwas anderes zu tun hat, als im Philtalk zu referieren.

Gruß HP

P.S. Margarete und Zampano, euch antworte ich morgen!


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 11. Apr. 2003, 16:54 Uhr

Hallo Zampano,

Du meinst, dass wir das Rad noch einmal erfinden, dass alle ethischen Fragen bereits beantwortet sind?
Warum gibt es dann unterschiedliche Auffassungen innerhalb unserer Gesellschaft darüber, ob ein 16jähriges Mädchen die Antibabypille nehmen und bei ihrem Freund übernachten darf, ob Eltern ihre Kinder mit Prügel erziehen dürfen, ob man Wehrdienst leisten soll oder darf, ob Experimente mit menschlichen Stammzellen erlaubt sein sollen, ob die Erbmasse von Pflanzen, Tieren oder Menschen gentechnisch verändert werden darf, ob man Tierfleisch essen darf usw. usf.?

Wenn man verschiedene Kulturen und Länder vergleicht, werden die Unterschiede noch deutlicher, man denke nur mal an die Rechte von Frauen und die Regelung des sexuellen Verhaltens.

Selbst wenn es sich ergibt, dass wir viele tradierte Normen und Werte beibehalten (was ich vermute), so wäre doch ihre Begründung durch Argumente, die jeder verständige Mensch nachvollziehen und akzeptieren kann, ein Gewinn gegenüber Begründungen durch die unterschiedlichsten religiösen Überzeugungen.

Wenn ich Dich recht verstehe. ist die Bejahung und Förderung des eigenen und fremden Lebens der einzige wahre Grundsatz der Ethik. Vielleicht könntest Du mal zeigen, wie Du damit eine konkrete ethische Streitfrage, etwa die Zulässigkeit des Schwangerschaftsabbruchs, entscheidest.

Eine letzte Frage an Dich: Du sagst, dass bei gründlichem Überlegen jeder zu Deinem ethischen Grundsatz kommen kann. Könntest Du diese Überlegungen einmal ausführen?

Gruß Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 12. Apr. 2003, 01:55 Uhr


Hallo Zampano,

ich gestehe, ich habe Schwierigkeiten mit dem, was du schreibst. Nur zu drei Sätzen ein Kommentar.

Du schreibst: "Die Basis, oder Definition, jeglicher "Moral" bin ich selbst und meine Liebe zum Leben und zu anderen Lebewesen". Da die Menschen aber unterschiedlich sind, folgt, dass andere Menschen eine andere Moral haben. Das ist tatsächlich so. Fragt sich nur, nach welchen Kriterien willst du dann eine normierte Moral schaffen, auf deren Grundlage allgemein gültige Gesetze entstehen?
Wir könnten an dieser Stelle natürlich eine Diskussion darüber beginnen, ob Liebe ein oberstes moralisches Prinzip sein könnte, aber ich prophezeie dir, das geht genauso wenig wie beim Leid. Außerdem, wo viel Liebe ist, kann auch schnell viel Hass entstehen.

Weiter schreibst du: "Sein Leben so angenehm wie möglich zu gestalten, heißt ja nicht hedonistisch zu leben, sondern Leid zu vermeiden". Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Ein möglichst angenehmes Auto ist mehr als ein Auto, in dem ich keine blauen Flecke bekomme. Zu einem möglichst angenehmes Leben gehören für mich "sinnliche Lust, das Vergnügen, der Genuss". Und genau das als moralisches Ziel sind die Kriterien des Hedonismus; sagt zumindest mein Philo-Lexikon.
Außerdem bitte ich dich um eine Bibelstelle, aus der hervorgeht, dass es das Ziel Jesus war, sein Leben so angenehm wie möglich zu gestalten und dass er das auch seinen Jüngern empfahl.

Dass es keine universelle Moral gibt, wie du richtig schreibst, haben wir in dieser Diskussion bereits mehrfach festgestellt. Wir versuchen aber trotzdem, ein für alle Menschen akzeptables Moralsystem zu finden. Lies einmal die sehr gute Zusammenfassung von Eberhard eine (oder 2) Seite(n) vorher und schreibe, was du daran falsch findest, vielleicht kommen wir uns dann näher.

Hallo Margarete,

ich habe mal gelesen, dass Blondinen nach jeder Geburt nachdunkeln. Stimmt das? Aber es gibt ja noch Frisöre...

Zur Sache. Ja, was soll ich darauf antworten? Statistiken, die dir nicht gefallen, sind falsch (Churchill...Statistiken..., ich weiß). Und du glaubst, dass alles gut gehen wird und die Techniker schon eine Lösung finden.
Klar, die Richtigkeit einer Vorhersage zeigt sich immer erst dann, wenn das Ereignis eingetreten ist. Wenn du aus dem 5. Stock eines Hauses springst und ich dir vorhersage, dass du unten tot bist, kannst du natürlich argumentieren, kurz vor dem Aufprall kommt die Feuerwehr um die Ecke gepest und öffnet ein Sprungtuch.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 12. Apr. 2003, 07:48 Uhr

Hallo Hanspeter -

du hast Recht, die Haare dunkeln nach, können aber auch wieder heller bis weiß werden, zudem ist es wissenschaftlich erwiesen, dass bei jeder Geburt das Gehirn der Frauen weniger wird - wolltest du das wissen? Dann kann ich dir noch sagen, dass das Gehirn der Männer von vornherein kleiner ist als das der Frauen - das sagt natürlich nicht aus, wie es ausgelastet und gehandhabt wird.

Deine Antwort stimmt mich etwas traurig, vielleicht hätte ich doch die Brücke wählen sollen.

Es mag sein.dass ich den Ausdruck Statistiken falsch gewählt habe, und hätte sagen müssen Hochrechnung, wobei ich dir beipflichten muß, dass angenommene Rechnungen, Thesen oder Theorien sich in der Praxis oft als falsch erweisen,weil die Spezies Mensch sich anders entschlossen hatte als ihr Berechner es wollte, im positiven wie im negativen Sinn.

Natürlich bin ich auch der Meinung, dass eine Geburtenregelung wichtig ist, es ist nur die Frage der Form und des Angebots, und kann nie zwingend sein.

Ich bin im Übrigen der selben Meinung wie Zampano, dass es der Sinn des Lebens ist, das Gute und Schöne zu suchen, und das kann ohne Liebe zu den Menschen bzw.zur ganzen Evolution nicht funktionieren, ich gebe zu das ist ein langes Thema. Die Bibel ist sinngemäß zu übernehmen. Wie jede andere Moraltheorie muß auch sie ständig neu hinterfragt, bzw. der Evolution angepasst werden und kann nicht wie viele Fundamentalisten - auch in der Kirche meinen, wortwörtlich übernommen werden.

Nachdem du als Biologe (habe ich das irgendwo richtig gelesen) nun über meine Biologie Bescheid weißt, könnten wir uns nun mit etwas mehr Freundlcihkeit begegnen?

Besonders liebe Grüße

Margarete


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 12. Apr. 2003, 16:02 Uhr

Hallo Margarete,

mich hatte nur das mit der Haarfarbe interessiert. Außerdem beurteile ich Menschen weder nach der Haarfarbe noch nach dem Gewicht des Gehirns. Daher triumphiere ich auch nicht, wenn meine Bücher Recht haben, die behaupten, dass das Gehirn des Mannes im Schnitt 1375g, das der Frau 1245g wiegt. Übrigens, ich bin kein Biologe, wenngleich ich diese Wissenschaft sehr schätze.

Es freut mich jedenfalls zu hören, dass du eine Geburtenregelung zumindest nicht ablehnst.

Ein bisschen zusammengezuckt bin ich aber bei deinem Vorschlag, die Bibel sinngemäß zu übernehmen. Hast du sie mal gelesen? Auch mit kritischen Augen? Solltest du. Speziell jene Passagen zu Ethik. Kostproben gefällig:

Sippenhaft im 2. Gebot (Ex 20,5), Todesstrafe für Holzsammeln am Sabbat (Num 15,32 ff), Akzeptanz der Sklavenhaltung (Ex 21ff), Todesstrafe darauf, dass man seinen Vater einen gottverdammten Hurenbock schimpft (Ex 21,17), 2-3 Gebote (je nach Zählweise) zur Sicherung des Besitzstands, kein einziges, das soziale Fürsorge anmahnt.
Soll man das alles sinngemäß übernehmen? Übrigens, lies die Stellen ruhig genau durch, sonst heißt es wieder, meine Zitate seien "aus dem Zusammenhang gerissen".

Nebenbei, nirgendwo in der Bibel steht geschrieben, dass ihre Aussagen "an die Evolution" oder sonst eine Entwicklung angepasst werden müssen. Ganz im Gegenteil. In Mt 5,17 ff sagt Jesus eindeutig, dass keines der alttestamentlichen Gebote aufgehoben werden darf. Wenn die diversen Kirchen sich an die Zeit anpassen, so schlicht aus Angst, ihren Einfluss zu verlieren.

Übrigens, eines der für mich völlig unfassbaren Rätsel ist es, dass sich Frauen zur katholischen Kirche hingezogen fühlen. Eine Organisation, die über 200 Jahre lang weltweit schätzungsweise eine Million Frauen systematisch verfolgt, grausamst gefoltert und getötet hat und die sogar heute noch ungestraft Frauen diskriminieren darf (Lehramtsverbot). Ganz zu schweigen von der Diskriminierung der Frau in der Bibel (zB 1 Tim 2,8ff; sehr empfehlenswert!!)

Gruß, in ungetrübter Freundschaft, HP


Titel: ethik in theorie und praxis
Beitrag von noisette am 12. Apr. 2003, 19:04 Uhr


on 04/11/03 um 00:49:32, Hanspeter wrote:
Ich glaube übrigens nicht, dass Buddha und Jesus zu demselben Ergebnis gekommen sind.


vorweg, ich bin keine philo-fachfrau, habe aber den grossteil der beiträge mit interesse gelesen.
ad buddha, kant et al.: hier teile ich weitgehend zampano's meinung, dass man auch bei weiteren hundert jahren diskussion nicht zu viel besseren ergebnissen (nämlich: nächstenliebe/mitgefühl, dem anderen nicht schaden und achtung vor dem leben) kommen wird. viel wichtiger und dringend notwendig erscheint mir die umsetzung. und da gebe ich margarete recht, dass dies nicht nur ein bottom-up, sondern vor allem auch ein top-down-prozess sein muss. die zustände auf der welt sind nicht deshalb so unerfreulich, weil es keine guten ansätze und lösungen gibt, sondern weil in den machtpositionen der politik und wirtschaft menschen sitzen, die von ethik zu wenig oder keine ahnung haben, die ökonomisch statt ökologisch und sozial denken und demzufolge falsche prioritäten setzen und vermitteln. beispiel: millionen für sportsponsoring versus almosen für sozialprojekte.
grüsse, n.





Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 13. Apr. 2003, 07:01 Uhr

Hallo Hans Peter -

Vielleicht hat Größe nicht unbedingt mit Gewicht zu tun?
Seis wie es sei oder ist!

Naja ich gebe zu ich bin kein Bibelleser, und wenn man hineinschmökert, dann steigen einem die Krausperlen auf, aber vielleicht deswegen, weil sich noch fast niemand getraut hat sie laut Interpretation der Kirche neu zu formulieren. Ich kenne Menschen, die gehen regelmäßig in Gebetskreise, und sind vollkommen von dem überzeugt, was Ihnen angeboten wird, das hat Glauben so an sich, eine Überzeugung von etwas das nicht bewiesen werden kann. Die Interpretationen sind so ausgelegt, dass sie im täglichen Leben Platz greifen und eine Berechtigung haben, man kann nicht sagen, dass alles Quatsch ist, und für manche Menschen ist ihr Glaube der letzte Strohhalm der sie am Leben erhält, dazu gibt es keine Alternative, und das ist bei ethischen Betrachtungen miteinzubeziehen!
Je höher der Bildungsgrad desto weniger Gläubige gibt es vor allem im naturwissenschaftl. Bereich, was meiner Meinung nichts aussagt wie ein Mensch dann tatsächlich in einer Notsituation agiert. Ob nicht ein Gebet seinen letzten Atemzug begleitet.
Jeglicher Mißbrauch ist verwerflich im Glauben, in der Wissenschaft, der Wirtschaft im Sozialverhalten - aber wo die Grenze ziehen?
Wie die bestehenden Normen umsetzen?
Ich bin nicht der Meinung wie Noisette dass sich nichts ändern wird im Verhalten, man muß nur vestärkt damit beginnen den Berg abzutragen (der Lieblingsausdruck eines Freundes).
Normen und Gebote sind dazu da um sie auszutricksen und zu umgehen, ergo kann nur das Verständnis in den Menschen selber wachsen.
Ich bin entsetzt über die vergangenen Kriege bzw. die bestehenden, und dachte mir die Menschen hätten nichts dazu gelernt, haben auch viele nicht, aber viele eben doch, und es gibt viele die z.B. demonstrieren gehen, oder Petitionen verfassen auch wenn es scheint, dass es nichts nützt, es trägt zur allgemeinen Meinung bei und hilft Situationen zu klären.


Einen schönen Palmsonntag

Magarete


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 13. Apr. 2003, 10:22 Uhr

Hallo Freunde der Weisheit,

mir fällt auf, dass man sich mit der Suche nach einer nachvollziehbaren und akzeptierbaren Begründung moralischer Normen zwischen alle Stühle zu setzen scheint. Der eine Stuhl ist von denen besetzt, die eine derartige Begründung für ausgeschlossen halten, weil jeder seine eigene Moral für allgemeingültig erklärt usw.. Der andere Stuhl ist von denen besetzt, für die eine Begründung nicht nötig ist, weil die Inhalte der Moral sehr einfach und für alle Zeiten und Gesellschaften praktisch die gleichen sind. Beide Positionen sind einander direkt entgegen gesetzt, sie haben aber gemeinsam, dass man sich in beiden Fällen die Mühen einer expliziten, logisch einwandfreien Begründung oder Kritik der moralischen Normen erspart.

Ein grundsätzlicher Punkt scheint mir der Klärung besonders wert zu sein. Das ist die Frage, inwieweit Leid und Glück von Menschen ein Gesichtspunkt für die Bestimmung allgemeingültiger moralischer Normen sein können. Hanspeter, Du hast da grundsätzliche Zweifel. Du schreibst „Die Definition und die Bewertung von Leid ist eine subjektive Sache, ein objektiviertes Leid kann ich mir nicht vorstellen.“ Mit dieser Position befindest Du Dich in bester Gesellschaft, was die deutschen Philosophen angeht.

Ich meine jedoch, dass es doch so etwas gibt wie eine „Objektivierung“ subjektiven Leids. Um den vieldeutigen Begriff der „Objektivität“ zu vermeiden, würde ich es die intersubjektive Nachvollziehbarkeit fremden Leids oder Glücks nennen.

Tatsche ist, dass jeder Mensch ein eigenes „selbsterhaltendes System“ ist. Das bedeutet z.B., dass seine Nerven nur Verletzungen des je eigenen Körpers per Schmerzgefühl melden, nicht jedoch die Verletzungen fremder Körper. Es bedarf einer besonderen Fähigkeit, z.B. des „Mitgefühls“, um die Schmerzen anderer zu spüren. Und der Gebrauch des griechischen Wortes für „Mitgefühl“ – „Sympathie“ - verrät, dass auch diese Empfindung keine intersubjektiv übereinstimmenden Resultate liefert. Andere Menschen sind uns mehr oder weniger „sympathisch“ und die Stärke unseres Mitgefühls mit einem andern Menschen hängt z.B. davon ab, wie nahe dieser uns steht.

Trotzdem ist es nicht sinnlos, die Stärke des Leids oder Glücks verschiedener Subjekte zu vergleichen, und wir benutzen solche intersubjektiven Vergleiche und Abwägungen im Alltag häufig. Wir sprechen von einem „großen Unglück“, von einem „schweren Los“, von „geringfügigen Vorteilen“, von „riesigem Schaden“ usw. Und wir stellen auch direkte Vergleiche an: „In dessen Haut möchte ich jetzt nicht stecken“, „Es geht ihm sehr viel besser als früher“, „Er hat es schlechter getroffen als sein Bruder“, „Den größeren Schaden bei der Sache habe ich gehabt“, „Im Vergleich zu mir geht es dir doch glänzend“ usw.

Wir können solche intersubjektiven Vergleiche des Wohlergehens anstellen, weil der andere uns sein Leid und sein Glück mitteilen kann, weil er sagen - oder auch nicht-sprachlich ausdrücken – kann, wie er sich fühlt. Große Teile der Literatur bestehen in dem fiktiven Miterleben und Nacherleben fremder Schicksale.

Wenn ich auf andere „Rücksicht“ nehmen will, dann muss ich mich gedanklich „in deren Lage hineinversetzen“ und „die Dinge einmal aus ihrer Sicht sehen“. Diese Fähigkeit zu dieser Art „sozialer Wahrnehmung“ kommt allerdings nicht von selbst sondern muss durch die Erziehung gefördert werden, und oft ist es hilfreich, „einmal am eigenen Leibe verspürt zu haben“, was es heißt, zu hungern oder gehbehindert zu sein. Ich glaube, dass man dann in weiten Bereichen zu intersubjektiv übereinstimmenden Urteilen darüber kommen kann, was die Gewichtigkeit verschiedener Formen von menschlichem Leid oder Glück angeht.

Probleme entstehen jedoch dadurch, dass die Urteile in konkreten Entscheidungssituationen durch die jeweiligen Eigeninteressen verzerrt werden. Wenn die eigenen Interessen tangiert sind, dann sind die Menschen oft „auf einem Auge blind“, der Nachteil der andern ist „nur halb so schlimm“, die eigenen Beeinträchtigungen dagegen „schwerwiegend“ und „unzumutbar“.

Um diese Art „Befangenheit“ und „Voreingenommenheit“ aufgrund des individuellen oder kollektiven Eigeninteresses bei der Abwägung verschiedener Interessen auszuschalten, kann man in manchen Fällen bewusst die Verfolgung des Eigeninteresses unmöglich machen, etwa bei der Aufteilung eines Kuchens nach dem Verfahren: Der eine schneidet aber der andere darf als erster ein Stück auswählen.

Soweit mein „Wort zu Sonntag“. Auf gut geschärfte Einwände freut sich Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 13. Apr. 2003, 12:58 Uhr

Hallo noisette,

selbstverständlich gelten die gleichen Argumente, die ich gegen Zampano nannte, auch gegen deine Meinung. Warum übrigens unterscheiden sich Buddhismus und Christentum so grundlegend, wenn ihre Gründer in ihren Überlegungen eurer Ansicht nach zum selben Ergebnis gekommen sind?

Unsere Probleme liegen übrigens nicht primär an den bösen Menschen in Politik und Wirtschaft. In Sachen Moral unterscheiden sie sich nämlich nicht grundsätzlich von den übrigen Menschen. Sie lügen im Schnitt vermutlich nicht viel öfters als normale Menschen, sie sind so wenig wahrhaftig wie die meisten normalen Menschen und sie schreien so laut wie normale Menschen, wenn sie ihren Besitzstand in Gefahr sehen. Dass sie Millionen für Sportsponsoring ausgeben, entspricht den Interessen von Millionen von Menschen, für die Sportereignisse zum angenehmen Leben gehören. Und die Sozialausgaben in Deutschland liegen nicht im Millionen-, sondern im Milliardenbereich.

Gruß HP





Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von noisette am 13. Apr. 2003, 17:15 Uhr

[quote author=margarete]

Ich bin nicht der Meinung wie Noisette dass sich nichts ändern wird im Verhalten, man muß nur vestärkt damit beginnen den Berg abzutragen (der Lieblingsausdruck eines Freundes) [/quote]

[balloon] darf ich fragen, wo ich das aus deiner sicht geschrieben habe?

[confused] ... n.







Titel: Ethik - ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von noisette am 13. Apr. 2003, 17:26 Uhr

[quote author=Hanspeter]
Warum übrigens unterscheiden sich Buddhismus und Christentum so grundlegend, wenn ihre Gründer in ihren Überlegungen eurer Ansicht nach zum selben Ergebnis gekommen sind? [/quote]

[balloon] abgesehen davon, dass mir als agnostikerin eine auf kant basierende ethik lieber wäre..., kann ich - was den achtungsvollen umgang mit mitmenschen betrifft - keinen grossen unterschied erkennen zwischen dem christlichen appell der nächstenliebe und dem buddhistischen anliegen des mitgefühls.






Titel: Ethik - ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von noisette am 13. Apr. 2003, 17:44 Uhr

[quote author=Hanspeter]
Unsere Probleme liegen übrigens nicht primär an den bösen Menschen in Politik und Wirtschaft. In Sachen Moral unterscheiden sie sich nämlich nicht grundsätzlich von den übrigen Menschen. Sie lügen im Schnitt vermutlich nicht viel öfters als normale Menschen... und sie schreien so laut wie normale Menschen, wenn sie ihren Besitzstand in Gefahr sehen [/quote]

[balloon] hallo hanspeter! ich habe nicht von irgendwelchen menschen in politik und wirtschaft geschrieben, sondern von top-managern und spitzenpolitikern. zwischen letzteren und den 'übrigen normalen menschen' besteht doch, wie mir scheint, ein beträchtlicher unterschied, nämlich: sie haben macht, sie sind entscheidungsträger, sie haben/hätten die möglichkeit zu grossen veränderungen - für dieses mehr an verantwortung bekommen sie ja auch entsprechend bezahlt!
und von leuten in spitzenpositionen erwarte (vermutlich nicht nur) ich nun mal, dass sie nicht nur kurzfristig ökonomisch denken, sondern dass sie auch visionen hinsichtlich einer gerechteren welt haben. zu sagen, 'wir investieren ja ohnedies so viel im sozialbereich', ist mir zu wenig, solange im eigenen land noch immer tausende unter der armutsgrenze leben und auf anderen kontinenten millionen hungern.
grüsse, n.



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 13. Apr. 2003, 18:44 Uhr

Hallo noisette

es war wohl zampanos meinung die du teilst - dass man in weiteren 100 jahren diskussion nicht zu viel besseren ergebnissen kommen wird.

Gruß - Margarete

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 13. Apr. 2003, 23:22 Uhr

hallo Margarete,
ich darf mich noch mal einmischen und gleichzeitig als Liebhaber blonder Frauen outen, besonders wenn sie noch philosophieren und sozial funktionieren,
das ist geradezu ein einzigartige Kombination.
Von den Nachwuchsparolen von HP soltest du dich nicht beleidigen lassen.
Er ist da so fixiert, dass alle Gegenargumente störend sind und ihn nur aufregen. Wir haben hier in Deutschland alles andere als zuviel Nachwuchs.
Als ich eine Ehe einging hieß die Parole:
um Gottes Willen keine Kinder, wir wollen sie nicht dem Atomtod aussetzen. Das mit dem lächerlichen Kindergeld will er auch nicht verstehen. Kinder werden steuerlich nicht gefördert, sondern benachteiligt, das ist ja kein Geheimnis, du hast also etwas sozial sehr nützliches geleistet.
Deine Kinder müssen zum Hohn auch noch die Rente der kinderlosen Atomtodideologen bezahlen.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 13. Apr. 2003, 23:26 Uhr

2
Gegen seinen Ökopessimismus empfehle ich:
Öko-Optimismus
Von Dirk Maxeiner und Michael Miersch
Hardcover:
Metropolitan Verlag,
Düsseldorf 1996
ISBN 3-89623-018-2
342 Seiten
24,95 Euro

Für oder gegen abenteuerliche Bevölkerungsprognosen hatte ich schon
http://www.weltbevoelkerung.de/toppage/nav_index.html
mitgeteilt,
und dass medizinische Versorgung gerade in Entwicklungsländern ökonomisch und ökologisch sinnvoll ist, kann man hier
http://www.who.int/en/index.html
nachlesen,
man muß sich dazu nur ein klein wenig Mühe geben.
Gruß
Paul

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 14. Apr. 2003, 03:33 Uhr

Hallo Margarete,

die männliche und die weibliche Gehirnsubstanz bestehen sicher aus dem gleiche Material, daher liegt die gleiche Dichte vor und dann ist die Masse proportional zum Volumen. Berücksichtigt man aber weiteres Material wie zB. Stroh.... Nein, Schluss mit diesen dämlichen Klischees!! Und wenn ich die Vermutung äußere, dass du Österreicherin bist (von wegen der Krausperlen = Krausbeeren), füge sich selbstverständlich sofort hinzu, dass ich alle Witze, in denen das Wort Ostfriese durch Österreicher ersetzt wurde, zutiefst ablehne.

Zur Sache. Ich denke, man muss davon ausgehen, dass die moralischen Vorstellungen eines Menschen in früher Kindheit "einprogrammiert" werden und sich später, wenn überhaupt, nur unter größten Schwierigkeiten ändern lassen. Max Planck sagte dazu treffend: "Das Neue setzt sich nicht durch, indem die Vertreter des Alten das Neue akzeptieren, sondern indem die Alten sterben und die Jungen mit dem Neuen aufwachsen." Klar, wer an ein Ewiges Leben und an die Erlösung durch Jesus glaubt, der findet Tröstliches in der Bibel, die Theologen filtern die Ungereimtheiten heraus, und die Leute sterben glücklich und zufrieden und träumen vom Himmel. Du weißt ja, 8 Uhr bis 12 Uhr: Halleluja-Singen, 14 Uhr bis 18 Uhr: Hosianna-Singen....

herzliche Grüße HP

PS. Ich habe dich doch hoffentlich niemals beleidigt, wie dieser komische Paul behauptet? Wenn ja, lass es mich wissen, das wäre mir fatal.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 14. Apr. 2003, 03:50 Uhr

Hallo Eberhard,

ich zweifle nicht daran, dass man Leid in einem gewissen Rahmen objektivieren kann. Niemand schätzt es, wenn der Zahnarzt mit der bekannten Nadel auf den blanken Nerv drückt und scheinheilig fragt, ob es weh tut; niemand will durch eine Landmine in die Luft gesprengt werden usw. Ebenso ist unzweifelhaft, dass, entsprechende Empathie vorausgesetzt, fremdes Leid erfasst und verstanden werden kann. Fachleute wie Psychotherapeuten können das und können auch individuelle Hilfe anbieten. Beachte aber: Es ist stets individuelle, nie allgemeingültige Hilfe.
Es ist auch sicher unstrittig, dass man versuchen wird, Leid zu minimieren. Die entscheidende Frage ist aber doch, kann die Minimierung von Leid als oberste Grundlage einer Moral verstanden werden?

Du könntest natürlich argumentieren, dass zB. das Christentum ein moralisches System ist, dessen oberstes Prinzip die Minimierung des Leids ist. Wem es auf der Erde gut geht, der leidet in der Hölle, wem es hier schlecht geht, spart sich die Torturen im Jenseits, addiert man alles, so hat der, der sich an die Christliche Moral hält, ein Minimum an Leid zu erwarten. Doch dieses System setzt voraus, dass all die christlichen Ingredienzien Realität sind.

Auch kann ich mir theoretisch ein moralisches System ohne religiöse Komponente vorstellen, die diesem Prinzip huldigt. Dabei würde ich sogar akzeptieren, dass in strittigen Fragen der eine oder andere Fehler bei der gegenseitigen Abwägung verschiedener Arten von Leid gemacht werden. Dieses Problem existiert ja bereits in der Politik, wo man ohne weiteres "Ausgleich unterschiedlicher Interessen" durch "Minimierung des Leids" ersetzen kann.

Das aus meiner Sicht entscheidende Manko dieses Systems ist es aber, dass es das Schicksal künftiger Generationen nicht involviert; anders gesagt, dass es die ökologischen Probleme nicht berücksichtigt. Unter der Zerstörung zB. der Regenwälder leiden bestenfalls einige Naturfreaks; wenn man den Gewinn einigermaßen ehrlich verteilt, profitieren sowohl die Bewohner dieser Gegenden, als auch die Geschäftswelt. Die Folgen der Zerstörung treten ja erst in Jahrzehnten auf.
Hier spielt wohl der "Fliegeneffekt" eine entscheidende Rolle. Bekanntlich können Fliegen nur rasche Veränderungen wahrnehmen. Ebenso der Mensch. Würden die Folgen des Rauchens innerhalb eines Monats auftreten, würde niemand auf der Welt rauchen. So aber dauert es meist Jahrzehnte und das können viele nicht erfassen. In der Ökologie ist das noch viel extremer. Als ganz grober Schätzwert: 1 Sekunde im Bewusstsein eines Menschen entspricht etwa 1 Jahr in der Natur (für Schnellrechner: 3 Milliarden Jahre belebte Natur entsprechen max. Menschenalter = 100 Jahre = 3 Milliarden Sekunden)

erfolgreiches Brüten und Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 14. Apr. 2003, 07:49 Uhr

Hallo Paul - vielen Dank, es ist schön zu wissen, dass es einen Liebhaber gibt der mir soziale Hilfestellung leistet!

Hi, Hanspeter zu deinen Fatalitäten - Stroh im Kopf ist ein Buchtitel von Vera f Birkenbihl, und sie zitiert auch - Männer kommen vom Mars, und Frauen von der Venus,- also ist Masse nicht gleich Masse, von der "Dichte" ganz zu schweigen.
Ich freue mich, dass du dich dem allgemeinen Rassismus gegen Österreicher und dazu noch B nicht anschließt, das ist doch schon was? - Ich habe Humor!

Hallo Eberhard und alle die mitlesen -

Ich meine um Leid in den Vordergrund zu stellen gehörte es genauer definiert, aber so wie ich es herauslese, stehen eher Organisationen im Vordergrund, die Leid vermeiden bzw. verursachen können. Kirche, Regierung div. Vereine usw.
Ron Smothermon sagt:
Organisationen bieten uns die enorme Möglichkeit, unsere Welt bis zu ihrem vollen Potential funktionieren zu lassen.

Eine Organisation ist eine aus zwei oder mehreren Personen bestehende Gruppe die zur Erledigung einer bestimmten Aufgabe gebildet wurde.
Es gibt zwei Arten wie wir das Funktionieren unserer Organisationen verhindern: 1. wir verbleiben selbst in einem Zustand der Nichtverantwortung für unser Erleben von anderen und 2. wir gehen von der Daseinsbedingung des Mangels aus.
Im ersten Fall bedeutet dies, dass wir unseren Verstand in einem Zustand des "Nichtmögens" unseres Erlebens eines anderen Menschen vorfinden. Aber anstatt für unser Erleben verantwortlich zu sein, sagen wir: So sind die nunmal wirklich.
In Wirklichkeit ist es nur ein falsch/richtig Spiel um sich vor der eigenen Verantwortung zu drücken und damit das negative Erleben auf die Organisation zu projektieren und zum scheitern zu verurteilen.
Die angenommene Daseinsbedingung des Mangels gesagt, dass nicht genügend viel im Umlauf ist: holen sie sich also ihren Teil, sonst wird es ein anderer tun. Mangel rechtfetigt eine Minimalisierung. Auch Erfolg, Zufriedenheit und Leistung stehen unserer Meinung nach dann nur begrenzt zur Verfügung, das schränkt unmittelbar ein, was die Organisation und ihre einzelnen Mitglieder bereit sind als ihre Leistungsfähigkeit zu sehen. Wenn die Dinge erst einmal so definiert sind, fangen sie wirklich an, auch so auszusehen, und die Leute sehen weg, und das ganze Unterfangen bricht zusammen.
Ist jemand bereit die Verantwortung für das Erleben der Organisation zu übernehmen, dann ist er/sie auch bereit es mit dem Kontext des Mangels aufzunehmen und durch den Kontext der hinreichenden Menge zu ersetzen. Eine innerhalb der Organisation gewinnende Person repräsentiert in Wirklichkeit das Gewinnen der gesamten Organisation und wird auch so erlebt.
Was also funktioniert wäre:
1. Das was wir zum Überleben brauchen ist in ausreichender Menge vorhanden
2. Was wir erreichen bekommen wir nicht auf Kosten von anderen, auch wenn es manchmal so aussieht
3.wir sind die Organisation; und
4. entspricht es unserem Zweck uns selbst zu fördern indem wir das Erleben der Oragnisation vervollkommnen.
Was den Nebeneffekt erzeugt, dass die Organisation funktioniert.

Grüße Margarete




Titel: Ethik - Kein sinnloses Unterfangen
Beitrag von noisette am 14. Apr. 2003, 10:44 Uhr

[quote author=margarete] es war wohl zampanos meinung die du teilst - dass man in weiteren 100 jahren diskussion nicht zu viel besseren ergebnissen kommen wird.

[balloon] ich habe die meinung vertreten, dass ich es für sehr unwahrscheinlich halte, dass es in diesem forum gelingt, ethische theorien, richtlinien etc. zu entwickeln, die jene eines buddha oder kant übertreffen. ferner, dass es mir wichtiger erschiene, zu reflektieren, woran die umsetzung der bisher erarbeiteten ansätze scheitert.
der von hanspeter angesprochene 'fliegeneffekt' findet sich bereits in der in meinem gestrigen beitrag angesprochenen erwartung an top-manager und spitzenpolitiker, nicht nur kurzfristig ökonomisch zu denken, sondern auch langfristig ökologisch sowie in meiner forderung an entscheidungsträger, sich bei investitionen, vergabe von sponsorgeldern etc. in deutlich höherem masse als bisher sozial zu engagieren.
unbedingt notwendig erscheint mir auch die einführung eines obligatorischen unterrichtsfaches 'ethik' (zusätzlich oder statt des religionsunterrichts) an den schulen.
grüsse, n.



Titel: Re: Ethik - ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von 2kookai am 14. Apr. 2003, 11:16 Uhr

[quote author=noisette

'wir investieren ja ohnedies so viel im sozialbereich', ist mir zu wenig, solange im eigenen land noch immer tausende unter der armutsgrenze leben und auf anderen kontinenten millionen hungern.
grüsse, n.

[user]ist es nicht so, daß der hunger in der welt und die vielfältigen formen von armut wo auch immer nichts anderes sind als pattern in jenem gigantischen computerspiel, das wir aus unserer 1dimensionalen perspektive <welt> nennen?!

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 14. Apr. 2003, 12:37 Uhr

Hallo Noisette,

1. Mit der christlichen Nächstenliebe ist das so eine Sache. Wer ist der nächste? Für Jesus maximal die Juden, mit Sicherheit nicht die Römer (Lk 10,29). Und was macht man mit denen, die Jesus als König nicht akzeptieren? Man erwürgt sie (Lk. 19,27). Außerdem, er warnt ja deutlich genug vor falschen Vorstellungen: "... Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert." (Mt 10,34). Schau dir doch knapp 2000 Jahre Christentum an. Du kannst sicher sein, all die Untaten der Kirche (aus heutiger Sicht), und das sind nicht wenige, lassen sich biblisch begründen.
Von den Unterschieden zwischen Christentum und Buddhismus im Umgang mit der übrigen Natur wollen wir gar nicht reden.

2. Ich habe auch an Top-Politiker und Top-Manager gedacht. Welche Macht zB Herr Schröder hat, den Sozialstaat zu reformieren, siehst du ja zur Zeit recht deutlich. Und was glaubst du wäre, wenn die jetzige Regierung sagen würde, um Sozialprojekte in der Dritten Welt zu finanzieren, erhöhen wir die Mehrwertsteuer um einen Punkt? Wobei wir aber schon wieder bei der vor einigen Tagen diskutierten Frage sind, wie sinnvoll Eingriffe in die 3. Welt überhaupt sind.
Damit du keinen falschen Eindruck bekommst. Was die Kritik am politischen Estäblischment anbelangt, da singe ich gerne mit: Aber in der Frage, was zu ändern ist, da beginnt bereits der Streitpunkt. Du plädierst offenbar für mehr Engagement in der Sozial- und Entwicklungspolitik, ich plädiere für mehr Engagement in der Umweltpolitik.

Und in der Wirtschaft. Glaubst du, das ist dort anders? Ein Top-Manager hat nur eine Aufgabe, nämlich den Unternehmensgewinn zu erhöhen. Erfüllt er die, ok, erfüllt er sie nicht, weg damit. Innerhalb dieser Grenzen kann er dann tatsächlich agieren.

Ohne eine Änderung in den moralischen Vorstellungen der Bevölkerung geht da nix.

Übrigens, deinen Vorschlag für einen obligaten Ethikunterricht unterstütze ich voll. Nicht zusätzlich, sondern anstatt. Wie in Frankreich.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Zampano am 14. Apr. 2003, 13:45 Uhr

Antworten auf viele Fragen von Hanspeter oder Eberhard, auch eine sehr treffende Formulierung zu eben meinen Aussagen, lasse ich durch das Wort eines Mannes geben, der es verstand westliches und östliches Denken als nicht getrenntes Denken sich zueigen zu machen und diese „Weisheiten“, die doch in allen Kulturen bzw. Religionen gleich sind, in zwar poetischer aber nicht minder scharfsinniger Art und Weise darzustellen, Hermann Hesse:

Auszug aus „Wer lieben kann ist glücklich“:

„...dann ist das weiseste Wort, das je gesprochen wurde, der kurze Inbegriff aller Lebenskunst und Glückslehre, jenes Wort „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, das übrigens auch schon im Alten Testament steht. Man kann den Nächsten weniger lieben als sich selbst – dann ist man der Egoist, der Raffer, der Kapitalist, der Bourgeois, und man kann zwar Geld und Macht sammeln, aber kein frohes Herz haben, und die feinsten und schmackhaftesten Freuden der Seele sie einem verschlossen. Oder man kann den Nächsten mehr lieben als sich selbst – dann ist man ein armer Teufel, voll von Minderwertigkeitsgefühlen, voll Verlangen, alles zu lieben, und doch voller Plagerei gegen sich selber, und lebt in einer Hölle, die man sich täglich selber heizt. Dagegen das Gleichgewicht der Liebe, das Liebenkönnen, ohne hier oder dort schuldig zu bleiben, diese Liebe zu sich selbst, die doch niemandem gestohlen ist, diese Liebe zum anderen, die das eigene Ich doch nicht verkürzt und vergewaltigt!
Das Geheimnis alles Glücks, aller Seligkeit ist in diesem Wort enthalten. Und wenn man will, so kann man es auch nach der indischen Seite hin drehen und ihm die Bedeutung geben: Liebe den Nächsten, denn er ist du selbst!, eine christliche Übersetzung des „tat twam asi“. Ach, alle Weisheit ist so einfach, ist schon so lange, schon so genau und unzweifelhaft ausgesprochen und formuliert worden! Warum gehört sie uns nur zuzeiten, nur an den guten Tagen, warum nicht immer?“

Mehr kann zumindest ich dazu nicht hinzufügen.
Zu einigen Einzelfragen gebe ich später meine Meinung wider.

Salve,
Zampano


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 14. Apr. 2003, 19:01 Uhr

Hallo Hanspeter,
ich bin Dir noch ein paar Antworten schuldig.

1. Wenn ich gesagt habe, dass die Ethik auf „Soll-Fragen“ und die empirische Wissenschaft auf „Ist-Fragen“ antwortet, so bedeutet diese Arbeitsteilung nicht, dass bei der Beantwortung der „Soll-Fragen“ die „Ist-Fragen“ keine Rolle spielen. Ganz im Gegenteil: Immer wenn bei der Beantwortung einer „Soll-Frage“ z.B. die Folgen einer Handlung eine Rolle spielen, müssen „Ist-Fragen“ beantwortet werden. Ob z.B. die Einführung der Todesstrafe zu einer Verringerung der Kapitalverbrechen führt, kann nicht durch philosophisches Nachdenken beantwortet werden, sondern dazu muss man die entsprechenden sozialwissenschaftlichen Untersuchungen durchführen. (Damit habe ich hoffentlich auch Deine Frage, Margarete, beantwortet.)

Aber keine empirische Wissenschaft ist allein ausreichend, um die Frage zu beantworten, wie Menschen in bestimmten Situationen handeln sollen. Zielsetzungen, Wertungen oder Handlungsgebote können die empirischen Wissenschaften nicht vorgeben. Sie können jedoch Fragen nach Ursachen und Folgen, nach Mitteln und Wegen beantworten und den Bereich des Menschenmöglichen und Machbaren erweitern. Insofern bleibt das ethische Nachdenken wichtig und notwendig.

2. Wenn ich gesagt habe, dass ich als Philosoph vor allem an der Methode zur Beantwortung ethischer Fragen interessiert bin, so heißt das nicht, dass mir die einzelnen Fragen und die Antworten darauf gleichgültig sind. Ich bin nur der Meinung, dass wir uns bei unserer Diskussion, bei der es ja um die Ethik im GANZEN geht, nicht an einzelnen ethische Fragen festbeißen sollten.

3. Wenn ich gesagt habe, dass es nicht aussichtslos ist, Prinzipien einer gerechten und allgemein akzeptablen Verteilung von Gütern zu finden, und dazu ein vereinfachtes Bespiel gewählt habe, so heißt das nicht, dass alle Verteilungsprobleme ähnlich einfach zu lösen sind.

4. In diesem Zusammenhang noch eine allgemeine Bemerkung. Bei der Konstruktion einer allgemein akzeptablen Ethik sollte man nicht der Vorstellung nachjagen, dass es in jedem Fall DIE „einzig wahre“ Lösung geben muss. Die Situation ist eher so, dass für bestimmte Konflikte und die daraus entstehenden ethischen Probleme verschiedene Lösungsmöglichkeiten vorgeschlagen werden und dass es dann darauf ankommt, diejenige Alternative zu bestimmen, die vergleichsweise am ehesten allgemein akzeptiert werden kann. Es wird also z.B. nicht DIE allgemein akzeptable Regelung bezüglich der Verteilung der Konsumgüter geben, sondern nur Regelungen, von denen die einen mehr und die andere weniger allgemein akzeptabel ist.

Im übrigen bin ich mit Dir wohl einer Meinung, dass es nicht nur Handlungsbedarf sondern gleichzeitig auch noch reichlich Klärungsbedarf auf dem Gebiet der Ethik gibt.

Gruß Eberhard.

(Entschuldige die etwas abstrakt geratenen Ausführungen.)


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 14. Apr. 2003, 19:49 Uhr

Nanana Eberhard -

ich glaube du mischst ganz gern.
Die Ethik hinterfragt, wann ist eine Handlung erlaubt,bzw. gesollt.

Also will ich etwas hinterfragen muß ich zuerst die Handlung genau beschreiben, dann sämtliche Konsequenzen der Handlung eruieren, diese bewerten und den Gesamtwert der Handlung errechnen, dann folgt die Suche nach Alternativen, den Konsequenzen der alternativen Handlung, wiederum die Bewertung der K von H1, bzw. den Gesamtwert, alternativen K von H, dann kann ich gegenüberstellen und ermitteln was ich soll oder darf oder was abzulehnen ist. So ermittelt man ein Übergewicht des Guten gegenüber dem Schlechten - wenn so vorgegangen wird, sind alle möglichen Berechnungen, Bewertungen inkludiert.

Grüße Margarete

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Zampano am 14. Apr. 2003, 20:18 Uhr

Hallo Eberhard et al.,

hier ein Versuch auf einige gestellte Fragen eine Antwort, besser gesagt: eine Sichtweise darzulegen. Beileibe keine Weisheiten, denn die sind ja, und ich hoffe darüber müssen wir nicht streiten, nicht mitteilbar.
Also, versuche ich es mal:

Warum gibt es dann unterschiedliche Auffassungen innerhalb unserer Gesellschaft darüber, ob ein 16jähriges Mädchen die Antibabypille nehmen ... usw. usw.

Du beantwortest diese und die folgenden Fragen bereits selbst in dem du das Wort Gesellschaft benutzt. Denn jegliche Normen, Gesetze, Religionen, Moralen und Ideologien entspringen der Entwicklung einer Gesellschaftsform.
Der Mensch formt seine Kultur (analog Gesellschaft) und die Kultur den Menschen. Diese Paradoxie ist meines Wissens immer noch gültig.
Doch die wirklichen Fortschritte (welcher Art auch immer) oder besser Wahrheiten und ihre Gegenteile in der Geschichte hat nicht die Masse der Individuen, also die Gesellschaft, selbst vorbereitet und aufgezeigt, sondern einige wenige, die sich eben an die herrschenden Status nicht gehalten haben. Ob die Resultate gut oder, im z.B. Falle der Nazis, schlecht waren, hängt vom bestehenden Charakter der Gesellschaft ab und wie stark die Kräfte der sie verändernden Pole und Gegenpole waren.
Die Kulturen mögen sich unterscheiden, doch nicht das Primärwesen der Menschen, die sie bilden und umgekehrt, sondern nur deren Umfeld.

Vielleicht könntest Du mal zeigen, wie Du damit eine konkrete ethische Streitfrage, etwa die Zulässigkeit des Schwangerschaftsabbruchs, entscheidest.

Die Antwort darauf dürfte implizit schon aus dem vorangegangenem hervorgehen. Im Prinzip kann das nur der Mensch entscheiden, den es angeht. Egal, wie die Regelung aussieht, sie wird niemals die Ansichten aller zufrieden stellen und man wird auch nicht sagen können, welche Entscheidung besser oder schlechter ist. Im diesem Falle ist es das Problem, inwieweit die Mutter des ungeborenen Kindes generell zum Leben steht, bzw. es überhaupt bereits als Leben ansieht. Meine Antwort darauf steht klar fest und kann natürlich eine endlose Diskussion nach sich ziehen, die wir an dieser Stelle jedoch besser vermeiden sollten. Übrigens: Wie sollte jemals ein Mann oder die Gesetzgebung eines immer noch vorwiegend patriarchalischen Systems einer Frau diese Frage beantworten können?

Eine letzte Frage an Dich: Du sagst, dass bei gründlichem Überlegen jeder zu Deinem ethischen Grundsatz kommen kann. Könntest Du diese Überlegungen einmal ausführen?

Nochmals zur Erinnerung: es sind nicht MEINE Grundsätze, noch habe ich den Status eines Weisen oder Heiligen nicht erreicht...:-)
Spaß beiseite: nach zeitweise intensivem Studium philosophischer und humanistischer Literatur konnte (wohl nicht nur) ich einen gemeinsamen Konsens stets wiederfinden. Auf die Frage, was das wichtigste für einen einzelnen Menschen ist, war stets die Aussage zu finden (hier in mehreren Formen): In dir selbst ist die Wahrheit, finde dich selbst, erkenne dich selbst, etc. etc. Der Mensch muss sich selbst genügen, das ist das Ideal der Selbstverwirklichung.
Wüsste ich nichts von allen diesen Werken oder irgendwelchen Wahrheiten, wäre aber zu freiem und kritischen Denken fähig, so würde ich die Methode von Descartes auf die Ethik anwenden und käme nach relativ kurzer Zeit auf die „Theorie“: „Alles, was ich will, dass mir andere tun sollen, das tue ich ihnen auch“ oder „Es gibt keine richtige Moral, nur deine eigene, innere.“

Es sind ja nicht viele „Basisgrundsätze“ und sie mögen von Mensch zu Mensch variieren, doch werden einige wenige wohl stets gleich befürwortet werden. Wohlgemerkt, wir sprechen von freien und selbst-bewussten Menschen, im idealisiertem Sinne.

Salve,
Zampano



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Zampano am 14. Apr. 2003, 20:24 Uhr

Hallo Hanspeter und Margarete,

auch zu deinen Fragen ein paar Anmerkungen oder Versuche der Beantwortung.

Fragt sich nur, nach welchen Kriterien willst du dann eine normierte Moral schaffen, auf deren Grundlage allgemein gültige Gesetze entstehen?

Die Antwort dürfte leicht konstruierbar sein: es gibt keine!
Eine „normierte“ Moral ist ein Widerspruch gegen den freien Menschen an sich. Man müsste jeden Erdenbürger befragen, welche Kriterien diese Moral beinhalten sollte (am besten man fragt die Kinder!), dann hätte man eventuell eine global normierte Moral zur Verfügung. Ob dies jemals erreichbar ist, ist eine andere Frage.

Sein Leben so angenehm wie möglich zu gestalten... Zu einem möglichst angenehmes Leben gehören für mich "sinnliche Lust, das Vergnügen, der Genuss".

Ich gebe zu, der erste Teilsatz war unglücklich formuliert. Besser gesagt: damit meinte ich „Leidvolle“ (oder „Unangenehme“...) zu vermeiden, „angenehm“ also in dem Sinne, dass das individuelle Leiden vermieden werden sollte (wobei: jetzt bitte keine Diskussion über subjektives oder objektives Leid, die wird bereits an anderer Stelle geführt).
Wer als Leid Teilen von Besitz, Verletzung seiner Eitelkeit, Anteilnahme, Mitgefühl oder Verletzbarkeit ansieht, der steht m.E. allerdings noch am Anfang dieses Erkenntnisprozesses.
Mag sein, dass das die Ziele des Hedonismus sind, aber sie sind nicht die Ziele einer höheren ethischen Anschauung, die sind Freude statt Vergnügen, und Lust und Genuss, der nicht anderen etwas nimmt oder auf Kosten anderer ist nicht zu „verurteilen“, maximal im Sinne einer idealistischen Auffassung vom Leben eines Heiligen. Aber davon sind wir Würmer ja weit entfernt...

Damit wollte ich ergo die berühmte Bibelstelle „Liebe deinen nächsten wie dich selbst“ hervorheben, die wichtigsten Worte der Bibel (Hinweis: ich bin kein Theist). Denn wenn sich jemand auf meine Kosten vergnügt oder ich auf seine, handle ich nicht in diesem Sinne, ergo amoralisch.


Zu Margarete:

Hier gebe ich Hanspeter Recht, wenn er sich fragt, wie eine Frau zur katholischen Kirche hingezogen sein kann.
Meine bisherigen Ausführungen zur Moral und Ethik bedürfen überhaupt keiner Bibel, keines Korans und keiner sonstigen Doktrin oder Ideologie und schon gar nicht eines totalitären Systems wie der (katholischen) Kirche.

Zu Beiden:
Was soll man da an die Evolution anpassen? Wir sind immer noch sterblich, werden als die hilflosesten Lebewesen geboren, besitzen zu wenig Instinkte, sind mit der Gabe und dem Fluch Bewusstsein ausgestattet und irren umher sobald unser Verstand einsetzt. Viel hat die Evolution im Falle des Menschen bisher nicht verändert. Die „Gesellschaft“ sehr wohl.

Salve,
Zampano



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 15. Apr. 2003, 02:05 Uhr

Hallo Margarete,

kaum schaut man mal nicht in den Philtalk, schon hagelt es an Beiträgen. Aber zunächst zu dir.

Dein letzter Beitrag war für mich etwas kryptisch.
Der erste Teil ist klar. Männer kommen vom Mars - ein bisschen unwirtlich, aber mit einiger Mühe kann man es dort aushalten. Die Frauen kommen von der Venus - glühend heiß und wahnsinnig ätzend, nicht auszuhalten für einen normalen Menschen.

Den zweiten Teil interpretiere ich so, dass du als B-Österreicherin im Clinch mit den W-Österreichern liegst. Oder sehe ich das falsch?

Den dritten Teil von Ron Smothermon über Organisationen verstehe ich kaum. Könntest du das einem einfach strukturierten männlichen Gemüt wie mir verständlich machen?
a. Verstehe ich dich recht, der Mensch will selbst keine Verantwortung übernehmen und schiebt alles Scheitern auf irgendwelche Organisationen?
b. Verstehe ich dich recht, das mit dem Mangel ist eine Einbildung? Von dem was wir brauchen, haben wir mehr als genug. Auch in der Zukunft. Nicht nur wir, sondern auch künftige Generationen. Es wird nie Mangel geben. Die Erde ist unerschöpflich.

Falls ich dich falsch verstanden habe, korrigiere mich, falls ich dich richtig verstanden habe, muss ich dir sagen, dass es da auch ganz andere Meinungen gibt.

Gruß HP

PS. Der Rest folgt später. Muss ja auch noch darüber nachdenken.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 15. Apr. 2003, 05:32 Uhr

Hallo Eberhard,

zu 1 &#8211; 3 : D&#8217;accord.

zu 4. Das ist ein Problem. Sicher, die "alleinseligmachende Ethik" wird es nicht geben, selbst wenn wir sie hier finden würden, würde sie sich im Laufe der Zeit wandeln. Wenn Regelungen nur danach getroffen werden, wie die momentanen Mehrheiten sind, so ist das politisch sicher vernünftig, doch das spiegelt denn moralischen Ist-Zustand wieder, nicht den Soll-Zustand. Und gerade der interessiert uns doch hier.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 15. Apr. 2003, 05:36 Uhr

Hallo Zampano,

du hast viel geschrieben, ich will nur zu den mE. interessantesten Stellung nehmen.

1. Abtreibung.
Du schreibst: "Vielleicht könntest Du mal zeigen, wie Du damit eine konkrete ethische Streitfrage, etwa die Zulässigkeit des Schwangerschaftsabbruchs, entscheidest."
Die Frage ist letztlich, wann auf dem Weg von Eizelle und Samenzelle bis zum Menschen, der das Licht der Welt erblickt, die Menschwerdung festgesetzt wird. Diese Frage wird kontrovers diskutiert, eine allgemein akzeptierte Lösung gibt es nicht, also überlassen wir es dem, genauer gesagt der Einzelnen, darüber zu entscheiden. Mit anderen Worten, sie wird rechtlich freigegeben.

2. Selbstverwirklichung.
Du schreibst: "Der Mensch muss sich selbst genügen, das ist das Ideal der Selbstverwirklichung." Da haben wir doch den Salat! Alle wollen sich selbst verwirklichen, egal mit welchen Konsequenzen. Wer garantiert, dass in dir die Wahrheit ist? Wer garantiert, dass es zur Selbstverwirklichung eines Menschen gehört, auf andere, auf künftige Generationen Rücksicht zu nehmen?
Du schreibst: "Es gibt keine richtige Moral, nur deine eigene, innere." So hat Hitler auch gedacht.

3. Der Mensch:
Du schreibst: "Die Kulturen mögen sich unterscheiden, doch nicht das Primärwesen der Menschen, die sie bilden und umgekehrt, sondern nur deren Umfeld." Die Menschen ändern sich sehr wohl, weil sich auch ihr Genom ändert. Die Evolution macht nicht Halt, sie geht weiter. Außerdem werden Menschen in unterschiedlichen Kulturen unterschiedlich programmiert und programmieren weiterhin unterschiedlich. Man nennt das kulturelle Tradition. Ein durchschnittlicher Europäer denkt eben anders als ein durchschnittlicher Grieche von vor 2500 Jahren. Du schreibst das doch auch einige Zeilen weiter oben. Paradox finde ich das überhaupt nicht. Aber vielleicht habe ich deinen Satz auch falsch verstanden.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 15. Apr. 2003, 07:43 Uhr

Einen wunderschönen Frühlingstag!

@ Zampano
Zur kath. Kirche - ich stimme bei weitem nicht allem zu was die kath. Kirche so von sich gibt, aber es ist wie überall auch nicht alles schlecht. Ich wurde kath. erzogen, und war in der kath. Jugend, und es verbinden mich schöne und tolle Erinnerungen damit, wir machten Ausflüge, Brauchtumspflege, Lagerfeuer usw. Es gab auf dem Land keine Alternative dazu.
Als Instituion wäre sie vom sozialen Standpunkt zu hinterfragen, aber ich glaube, dass sie vielen Menschen auch Halt bietet die verzweifelt sind, haltlos oder sich an die caritative Seite wenden können. Auch die spirituelle Seite ist nicht zu unterschätzen, und sag mir jetzt nicht es gibt nach wie vor den Exorzismus - natürlich, aber es gibt als Gegenpol zum Sozialismus auch den Kapitalismus in der ärgsten Form.
Wie sagen die Menschen aus dem Morgenland es gibt Yin und Yang!
Zudem gibt es einen Spruch der heißt: Weide meine Lämmer, weide meine Schafe - wieviele Menschen machen sich über ihr Leben Gedanken? Der Mensch ist nunmal ein Herdentier bis auf wenige Ausnahmen, das heißt nicht dass ich es für gut befinde.
Ich denke die Religionsdiskussion würde hier zu weit führen, aber noch etwas, wer sagt dir dass Gott ein Mann ist? Es ist wohl so, dass Männer manchmal seine Hilfe brauchen? (Spaß)

Als hilfloses Lebewesen würde ich uns nicht sehen, Instinkte wurden uns angeboren, manche haben sie verkümmern lassen, manche kramen sie wieder hervor. In einem muß ich dir recht geben, Bewußtsein kann eine Gabe oder ein Fluch sein, es kommt immer auf die Intention an die ich damit verbinde. Die Gesellschaft - das sind Organisationen wie ich sie beschrieben habe, und wir sind ein Teil davon.

@Hanspeter
Frauen sind kryptisch - nicht ätzend!
Birkenbihl meinte damit, dass Männer wenn sie ein Problem haben sich meist in ihre Höhle zurückziehen um allein damit fertig zu werden, und Frauen gerne über Beziehungen reden wenn Männer noch nicht einmal ahnen dass da etwas läuft!
Nein ich bin keine Burgenländerin und auch keine Mühlviertlerin oder Vorarlbergerin wegen der Witze, ich bin nur blond.

a Grobgesagt ja! Es ist entweder die Regierung, oder die Kirche oder die Firma oder die Ehe.
Wir interpretieren meist so wie wir erleben, das heißt wenn etwas schlecht ist, dann rechtfertigt es meist die Oragnisation dafür verantwortlich zu machen, da werden Organisationen Ausbeuter genannt und selber ist man der Ausgebeutete - unabhängig davon, dass es natürlich durchaus möglich ist.
b ich sagte nicht, dass das mit dem Mangel eine Einbildung ist, nehme ich aber von vorneherein an dass es nur Mangel gibt, wie könnte ich daraus schließen, dass genügend viel im Umlauf ist, wie könnte ich Mangel verteilen?
Eine Organisation die sich spiralförmig nach unten entwickelt und nicht funktioniert, zu transformieren, ist im wesentlichen dasselbe wie eine persönliche Beziehung zu transformieren.
Meist ist es nicht notwendig eine neue Organisation zu finden, denn wir sind der Quell für unsere Beziehungen.

Grüße aus dem Frühling

Margarete


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 15. Apr. 2003, 09:26 Uhr

hallo Margarete,
deine Überlegungen zum Individuum und der Organisation haben mir sehr gut gefallen, gerade weil du die emotional besetzten Begriffe Partnerschaft und Gemeinschaft gemieden hast. Sie sind eigentlich identisch mit einem universellen Ethikgebäude à la Kant. Wirklich erstaunlich was in B alles versteckt sein kann. (*grins*)
Die Beschränkung auf das Individuum ist Blinheit gegenüber der Lebensrealität. Unser "organisationsorientierter" Persönlichkeitsanteil ist die neuste evolutionäre Errungenschaft des Neocortex, nähmlich des Frontalhirns. Messungen bei Schwerdeliktsstraftätern haben ergeben, dass dieser Frontalanteil bei ihnen tatsächlich sytematisch (ca.10%) unterentwickelt ist. Ich kann deshalb Punkt 2,3 und 4 von dir (vorletzter Beitrag) nur rückhaltlos zustimmen, vielleicht fallen ja einer Frau solche Gedanken einfach leichter.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 15. Apr. 2003, 09:31 Uhr

2
Punkt 1 fällt mehr unter die männliche Kathegorie "Eroberung der Welt" und auch hier will ich dir zustimmen, hab das ja schon mehrfach (erfolglos) versucht darzustelen (Ökooptimismus). Deshalb ein Beispiel, das ich vielleich auf Grund meines Alters (60J.) besser beuteilen kann als die Jugend. Landwirtschaft in Deutschland:
Unter Hitler noch mit den damaligen agrarintensiven Ostgebieten (heute Polen) waren wir noch ein Volk ohne Raum und er hat daher "zur Zukunftssicherung" ideologisch seinen Krieg gegen Rußland begründet. Wie jeder weis wurde dann mit der Vertreibung in das westliche Restdeutschland die Bevölkerungszahl so erhöht, dass jeder 4. hier ein "Vertriebener" war und ist, das hat durchaus zu Hungersnot geführt. Nun kam die grüne Revolution. Die Agrarwirtschaft in dem überbevölkerten Westteil hat ohne die traditionellen Agrarostgebiete ihre Leistungsfähigkeit so gesteigert, dass sie nicht nur Selbstversorger ist, sondern sogar Überschuß produziert, die EU zahlt inzwischen Stillegungsprämien für die Landwirtschaft, der deutsche Wald nimmt quantitativ und qualitativ zu.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 15. Apr. 2003, 09:33 Uhr

3
Ein gewisses Risiko sind tatsächlich nur Ökobetriebe mit ihren altmodischen Pestiziden (Kupfer) und ihren freilaufenden Hühnern, die das Grundwasser mit Stickstoff belasten.
Das Problem ist nur der verbreitete Pessimissmus, der sinnvolles organisationsförderndes Handeln blockiert und den nihilistischen Individualismus fördert. Erstaunlicherweise hält sich die ganz große pessimistische Mehrheit stets für eine einsame, aber tadellose Minderheit. Nichts ist heute subversiver als Optimismus. Deshalb werde ich mir hier auch sicher einige Beschimpfungen gefallen lassen müssen. Hierzu darf ich eine bekannte Fast-Feministin zitieren:
"Das kritische Bewusstsein der kulturkritischen Bildungselite ist zum volkstümlichen Konsumgut geworden, nicht anders als der Weißwein in der Eckkneipe oder der Anspruch auf Authentizität in jeder anderen Hinsicht," schreibt Katharina Rutschky und fragt: "Traditionell war das kritische Bewusstsein immer negativ - vielleicht müssen wir nun, wo es zum Volksport geworden ist, eines ausdenken, das positiv ist?"
Dem kann ich nur zustimmen.
Gruß
Paul

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von noisette am 15. Apr. 2003, 09:50 Uhr

[balloon] hallo!
nochmals zurück zu meinem lieblingsthema: umsetzung bisheriger ethikansätze (von mir bevorzugt: kant).
ad verantwortung der wirtschaft: ich verlange nicht von einem unternehmer mit ein paar hundert mitarbeitern, dass er vor lauter sozialem engagement auf seine bilanzen vergisst, meine aber, dass die manager und eigentümer von weltkonzernen sehr wohl die wahl haben zu entscheiden, ob sie die millionen-budgets, die sie für werbung und public relations zur verfügung haben, dafür einsetzen, dass die reklamen von 'ibm, cocacola, nokia et al.' an den leitschienen von autorennen leuchten (und damit transportiert wird, dass mit mörderischen geschwindigkeiten im kreis fahren, cool ist) oder ob wenigstens ein teil dieser riesensummen für sozial- und dritte-welt-projekte investiert wird. erfolgreiches beispiel in österreich: 'licht ins dunkel'.
insgesamt beschäftigt mich aber zunehmend die frage: wenn wirtschaft und politik (wie von hanspeter geschrieben) nicht verantwortlich zu machen sind, wenn man, wie sich unter diesem thread gezeigt hat, ethisch-moralische fragen nicht dem einzelnen überlassen kann,
wer dann ist für das 'unterfangen ethik' zuständig?
als lösungsvorschlag wurde genannt: ethik-unterricht an den schulen. also abschieben der ganzen ethik-verantwortung auf die lehrer? und wenn ja, wer beschliesst diese änderung?
grüsse, n.











Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 15. Apr. 2003, 11:30 Uhr

hallo noisette,
mit Kant können wir schnell auf einen Nenner kommen, wobei mir der "Erfinder" der Ethik in der Philosophie (Aristoteles) eher noch sympathischer ist, extrem verkürzt, der Mensch soll seine Vernunft einsetzen.
Das mit der Umsetzung - das hast du schon richtig gemerkt - das ist das Problem.
Unsere Massengesellschaft hat unvermeidlich zu einer extremen Arbeitsteilung geführt, Stichwort: sektorales Rentabilitätsdenken, hier liegt die Gefahr, der Blick für die Handlungskonsequenzen geht verloren, der Blick für die Gesamtrechnung.
Und hier bin ich der bescheidenen Meinung, dass die zitierten Manager ebenfalls überfordert sind, sie bekommen ihre Zielvorgaben ja von den shareholdern.
Nein, hier ist allen liberalen Wunschbildern zum Trotz der Staat gefordert, der diese Gesamtrechnung als eigentliche Aufgabe zu bewältigen hat, der die Spielregeln und Vorschriften für die "freie" Wirtschaft festlegen muß und dieser Staat, und da schließt sich wieder der Kreis wird von uns demokratisch legitimiert.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 15. Apr. 2003, 11:33 Uhr

2
Den "Staat" müssen wir also (zähneknirschen) akzeptieren und versuchen ihn zu verbessern.
In den über- und außerstaatlichen ökonomischen Komplexen sehe ich die größten Risiken für eine Erosion ethischer Prinzipien.
Am wichtigsten scheint mir die fehlende Einsicht, die Margarete so schön formuliert hat, dass Gemeinschaft, gemeinschaftliches Denken und Handeln (Organisation) in der Zweierbeziehung beginnt und, mal ehrlich, hat Mutter Natur nicht dafür eine wuuunderbare Belohnung parat? Warum sollte das nicht mal langsam Schulthema werden? Es könnte doch viel Unglück reduzieren.
Gruß
Paul

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 15. Apr. 2003, 13:53 Uhr

Hallo Noisette,

du fragst, wer für das Unternehmen Ethik zuständig ist. Meine Antwort: Die Menschen, die in diesem Land leben. Sie bestimmen die Moral. Wir haben uns für die Demokratie entschieden, das bedeutet auch eine Demokratisierung der Moral.
Warum leuchtet die Reklame bei Autorennen? Weil Millionen diesen Schwachsinn ansehen wollen. Weil Autofahren wie eine gesengte Sau zur Selbstverwirklichung vieler Menschen gehört.
Was kann man dagegen tun? Durch Überlegung zu einer allgemein akzeptierbaren Moral kommen (was wir ja gerade hier versuchen), einigermaßen danach zu leben und andere davon zu überzeugen. Wenn du die Möglichkeit hast, politisch aktiv zu werden, umso besser. Du hast soviel Verantwortung, wie du Einfluss hast.

Inwieweit übrigens ein Ethikunterricht hilft, hängt wesentlich vom Lehrplan ab. Ist er nur eine Neuauflage des Religionsunterrichts, kannst du ihn vergessen.

Noch ein Wort zu deinem Liebling Kant. Bedenke, Kant hatte einen völlig anderen Horizont als wir. Wir haben Erkenntnisse und Probleme, von denen Kant auch nicht die leiseste Ahnung hatte. Kein vernünftiger Physiker käme auf die Idee, zu sagen "Weil Newton dieses oder jenes gesagt hat, daher gilt..." Was Newton gesagt hat, interessiert nur noch den Historiker. Das Gravitationsgesetz gilt nicht, weil Newton es gesagt hat, sondern weil sich seine Richtigkeit permanent durch entsprechende Messungen bestätigt.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Zampano am 15. Apr. 2003, 14:12 Uhr

Hall Hanspeter et al.

Punkt 1 war eigentlich deine Frage und ich habe darauf geantwortet, nun auch du...:-)

Punkt 2
Von Paul und noisette wurde dieser Punkt auch nochmals aufgegriffen. Klar hatte Hitler auch seine eigene, negative Beispiele gibt es genug. Aber Gegenfrage: Warum war damals niemand so mutig sich ihm entgegenzustellen (bis auf die Attentäter) in der Politik, bzw. diese ziemlich gut gespielte Nekrophilie und Destruktivität zu durchschauen und den anderen die Augen zu öffnen?

Aber da sich niemand, auch keine Gesellschaft anmaßen kann, eine globale Ethik aufzustellen muss es der Einzelne tun. Darin liegt das eigentliche Geheimnis: man selbst muss handeln, zuerst im Kleinen und wenn man sich zu mehr berufen fühlt auch im Großen. So war es bisher immer, manche haben mehr „gewusst“ und wollten mehr erreichen. Das sie dafür verbrannt wurden und ihre humanistischen Ansätze erst posthum gewürdigt wurden, das war ihr Schicksal.

Ohne Gesetze und Moral gäbe es nicht mehr Unheil, Gewalt und Mord als mit (ein Blick auf die Kriminalstatistik zeigt es), aber eines wahrscheinlich auf keinen Fall: Krieg!


Punkt 3 – Evolution

Natürlich entwickelt sich das Denken weiter, und vor allem die Erziehung, da wir ja historische Beispiele haben. Mein Ansatz ist ja der von Descartes: lass einen Menschen völlig ohne Einfluss von außen (im didaktischen Sinne) sich entwickeln, lass ihn selbständig die Dinge erfahren und das herausfinden, was gut für ihn ist.
Da gäbe es nur minimale Unterschiede zu unseren Vorfahren bis auf die Ausbildung von anderen Eigenschaften als Mammuts jagen. Die Probleme der Menschen sind nach wie vor die selben, auch die Erkenntnisse: er ist hilflos, braucht Sicherheit, kann nicht isoliert leben, hat ein Bewusstsein, dass dazu führt, dass er nach einer Weile desorientiert ist, etc. etc.

Dieses Experiment müsste man natürlich auch frei von Systemen und Ideologien durchführen, Henry Miller schlug einmal vor, dass alle Menschen der Erde einmal in der Woche eine Stunde innehalten und mit ihren Nachbarn und Nächsten reden über die wirklich wichtigen Probleme ihres Lebens.

Dieser Satz ist in der Tat ein Paradoxon.
Doch wer ändert die Gesellschaft? Sie ändert sich nicht selbst, zumindest hat es noch nie die Masse geschafft, einen Gesellschaft zu ändern. Es waren immer nur einzelne Menschen, die ihre inneren Überzeugungen zum Wohle der Gesellschaft „durchgezogen“ haben (wenn sie sich auch der Masse „bedienten“ um zu ihrem Ziel zu gelangen, leider auch oft negativer Art), oft auch auf Kosten ihres Lebens.

Wer nimmt diese Last auf sich?

Salve,
Zampano


Titel: Das ist wahre Ethik
Beitrag von Zampano am 15. Apr. 2003, 14:13 Uhr

„Die Antwort lautet also: immer bereit sein, sofort das Mögliche tun und geben, ohne zu knausern. Nicht die Motive des anderen oder die eigenen prüfen, nicht lange herumreden, nicht zaudern, sich nicht fragen nach dem Ergebnis der eigenen Handlungsweise – und ganz gewiß nicht nach Billigung, Bestätigung oder Belohnung Ausschau halten. Wenn das für den Einzelnen gilt, gilt es auch für die Gesellschaft als Ganzes.
Man ist nicht der Gesellschaft verpflichtet, sondern der gesamten Menschheit (Anm: analog dazu könnte ein Pantheist oder Theist sagen: allem Leben oder Gott ).
....
Vergeßt Buddha, Jesus, Mohammed und alle anderen. Tut, was ihr könnt, ohne Rücksicht auf die Folgen. Und vor allem: erwartet nicht, dass euch gleich jemand nachfolgt“

(H. Miller)

Salve,
Zampano


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Zampano am 15. Apr. 2003, 14:39 Uhr

Hallo Margarete,

nicht die katholische (oder evangelische, ...) Kirche hat nur gute Seiten, sondern maximal die religiösen Lehren, bis auf die von dir erwähnten Aktivitäten; aber irgendwie muss man ja seinen Schäfchen auch immer wieder frisches Gras geben und sie zusammen halten....
Die Kirche ist der ideologische und die Masse beherrschende Machtaufsatz auf die Religion, genauso wie es die staatlich und gesellschaftlich verordnete Moral auf die Ethik ist.
Dieser Ansicht werde ich immer sein: um das zu wissen, braucht man nicht wirklich eine Religion, wohl aber einen Glauben (welcher Art auch immer).


Der große Irrtum, dass der Mensch unbedingt ein Herdentier sei, hält sich scheinbar weiterhin sehr hartnäckig....
Er kann nur nicht in völliger Isolation dauerhaft überleben aber auf der anderen Seite kann er auch nicht lange ohne (geistige) Freiheit leben. Als Beispiele kann man Menschen aufzählen, die 30 und mehr Jahre in Isolierhaft verbracht haben: hätten sie nicht die geistige Freiheit und einen Glauben an das Leben gehabt, wären sie verendet. Aber auch ohne Herde haben sie überlebt, allein durch ihre Liebe zum Leben.
Nur die trägen, geistig schwachen und niemals sich selbst bewusst werdenden Menschen sind Herdentiere, das die Mehrzahl so ist, ist eine traurige Entwicklung.

Die Masse, vor allem in unserer heutigen Zeit, ist nur einfach zu träge. Unsere ganze Gesellschaft baut darauf auf zwar subjektiv freie Schäfchen weiden zu lassen aber objektiv Sklaven daraus zu machen, willenlose und manipulierte Marketingkonsumenten. Das ist allerdings an dieser Stelle nicht Gegenstand der Diskussion hier.

Pauschalisiere bitte auch nicht die Männer, manche reden sehr gerne über Beziehungen und Ziwschenmenschliches. Ich habe sogar die Erfahrung gemacht, dass wenn sich ein Mann damit beschäftigt, ihm oft vorgehalten wird, dass er zuviel darüber nachdenkt oder redet. Das ist dann wieder diese ewige Paradoxie in der Kommunikation der Geschlechter. Allerdings ist es auch das beste Mittel, diese ewig charmante Spannung aufrecht zu erhalten, da hat sich Mutter Natur was Feines ausgedacht :-)
Sensibilität ist aber nicht nur Frauen zuteil geworden (wenn auch größtenteils nur denen...)

Salve,
Zampano


Titel: wer ist zuständig
Beitrag von noisette am 15. Apr. 2003, 15:28 Uhr

[balloon] hallo!
wie interessant eure beiträge zu meinem lieblings-unterthema 'umsetzung von ethischen richtlinien' auch sind, äusserst deprimierend erscheint mir jedoch das zwischenergebnis: absolute uneinigkeit hinsichtlich der zuständigkeit (individuum, wirtschaft, politik, organisationen etc.).
also versuche ich einmal, mit einem aktuellen praktischen beispiel an die thematik heranzugehen: kürzlich wurde im österreichischen parlement die uneinheitliche tierschutzgesetzgebung in österreich diskutiert. auslöser für die debatte: in einigen bundesländern gibt es noch immer bauernhöfe, auf denen die stand-fläche eines huhnes nicht mehr beträgt als die grösse eines A4(!)-blattes. es wurde keine einigkeit erzielt..., weil der övp die interessen einiger bauern wichtiger waren/sind als das leben tausender tiere.
wer ist nun verantwortlich für die fortsetzung der tierquälerei?
die betreffenden bauern? landwirtschaftliche organisationen? der bürger? zu letzterem: ich kann doch dem einzelnen wähler nicht vorwerfen, dass entscheidungsträger der tonangebenden partei haarsträubend gefühl- und herzlose entscheidungen treffen und die vertreter anderer parteien zu schwach/dumm sind, sich mit ihren standpunkten durchzusetzen. was meint ihr?
grüsse, n.






Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 15. Apr. 2003, 16:13 Uhr

Hallo Zampano -

wo denkst du hin, ich pauschaliere nie bei Männern - um bei der charmanten Spannung zu bleiben, ich kenne auch blonde Männer!

Was die Kirche(n) anbelangt, so glaube ich kann ich dir nicht ganz folgen, hast du meine vorhergehenden Beiträge gelesen?

Ich behaupte nicht, dass der Mensch ein Herdentier ist, es ist nur einfacher sich einer Ideologie anzuschließen, als selber nachzudenken, und jeder hat nicht die Möglichkeit dazu.
Du sagst die Menschen hätten drei Wochen in der Isolation aus Liebe zum Leben überlebt, da muß ich dich berichtigen, es gehört ein wenig mehr dazu als bloße Liebe. Ich weiß von einem konkreten Fall, ein Mann war drei Wochen in einem Eisenschrank eingesperrt, ohne Trinken und ohne Essen, er hat nicht überlebt weil er verliebt war in sein Leben, sondern weil er einen unbändigen Überlebenswillen hatte, er stellte sich geistig jeden Tag seinen sonst üblichen Ablauf vor, in einer geistigen Vorstellung die der Wirklichkeit entsprach und zwar so dass er auch fühlen konnte wie er aß oder trank, und er so sein Unterbewußtsein überlistete, sodaß er schließlich gerettet werden konnte, wielange er das ausgehalten hätte und wie sein psych. Zustand nachher tatsächlich war weiß wahrscheinlich nur er selber.
Masse ist kein schönes Wort auch nicht für eine Bezeichnung für eine Vielzahl von Menschen.
Grüße Margarete

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Zampano am 15. Apr. 2003, 16:24 Uhr


on 04/15/03 um 16:13:34, margarete wrote:
... er hat nicht überlebt weil er verliebt war in sein Leben, sondern weil er einen unbändigen Überlebenswillen hatte...


Ein unbändiger Überlebenswille ist ja nichts anderes als die Liebe zum Leben; liebe ich das Leben nicht, so habe ich diesen Willen ja auch nicht. Abgesehen sprach ich von 30 Jahren und nicht drei Wochen (z.B. Mandela). Selbstredend sind diese Menschen eben durch die Fähigkeit ihres Geistes, einen Glauben an irgend etwas und ihrer Lebensbejahung dazu imstande.

Wieso hat nicht jeder die Möglichkeit, selbst nachzudenken?
Das wäre mir neu, bis auf die pathologischen Fälle, kann jeder selbst nachdenken.

Salve, Zampano


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 15. Apr. 2003, 16:28 Uhr

Hallo Paul - danke für deine Unterstützung, wir sind auf einer Welle!

Hallo Noisette -

finde ich toll, dass Österr. im Forum so gut verteten ist. Um auf die Zuständigkeit der Regierung zurückzukommen.
Ich bin sehrwohl der Meinung, dass der Wähler verantwortlich ist für die Misere in der Regierung, er hat die Vertretung gewählt, auch wenn ich geschockt war.
Zum Hühnerbeispiel meine ich ist der Bauer verantwortlich der seinen Hühnern kein glückliches Leben ermöglicht. Artgerechte Haltung ermöglicht auch eine entsprechende finanzielle Entlastung bzw. kann ein Gewinn erwirtschaftet werden, auch wenn der Großteil der Bauern jetzt aufschreit, das tun sie doch immer.
Das entbindet aber nicht den Konsumenten darauf zu achten was er konsumiert, oder die Regierung eine Möglichkeit zu schaffen um als Kontrollorgan Mißbrauch zu verhindern.

Grüße Margarete

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 15. Apr. 2003, 19:22 Uhr

Hallo Noisette, hallo Zampano,
wenn ich richtig gelesen habe, so ist für Euch das Prinzip: „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst!“ das entscheidende und auch voll ausreichende Grundprinzip der Ethik.

Dies ist sicher ein wichtiges Prinzip. Die damit formulierte Einstellung ist meiner Ansicht nach hilfreich, wenn sich verschiedene Individuen oder Gruppen „vernünftig“ und das heißt gewaltfrei einigen wollen. Da „Liebe“ ein Gefühl ist und Gefühle sich nicht gebieten lassen sondern unwillkürlich entstehen, bevorzuge ich allerdings die Formulierung: „Berücksichtige die Interessen aller andern so, als wären es zugleich Deine eigenen!“

Dies solidarische Prinzip einer unparteiischen, wohlwollenden Berücksichtigung der Bedürfnisse aller eignet sich jedoch nicht als allgemeine Anleitung zum moralischen Handeln.

Wenn ihr wirklich den Anderen nicht weniger liebt als Euch selbst und danach handeln würdet, dann würdet Ihr z.B. nicht mehr ins Kino gehen, Benzin tanken, verreisen usw., denn mit 10 EURO kann man in den Armenhäusern dieser Erde wahrscheinlich bereits einen Menschen vor dem Tode bewahren. Wenn Euch deren Leben genauso wichtig wäre wie Euer eigenes, dann würdet Ihr das Geld nicht zum Reisebüro oder zur Kinokasse tragen sondern in lebenserhaltende Medikamente anlegen.

Was sagt Ihr dazu? Sind die ethischen Fragen wirklich so einfach zu beantworten?

Nachdenkliche Grüße von Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 15. Apr. 2003, 19:52 Uhr

Hi Zampano - nur kurz

ich gebe zu, das Wort Liebe wurde zuwenig ausreichend klargestellt, es beinhaltet sehr viel.
Nelson Mandela - es wäre möglich, dass ihn seine "Liebe" zum Leben bzw. seine Ideale bestärkt haben in seinem Lebenswillen, dazu kann ich nichts sagen, weil ich die Umstände zuwenig gut kenne.
Aber Überlebenswille hat nicht primär mit Liebe zu tun, es könnte ein reiner Instinkt sein oder Hass, oder irgend ein anderes großes Gefühl.

Margarete

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 15. Apr. 2003, 19:56 Uhr

2 pathologische Fälle sind ausgeklammert,

natürlich kann jeder denken, aber es ist doch ein Unterschied ob ich über eine Situation entsprechend informiert bin, ob ich offen bin für neue Meinungen, ob es mir möglich ist mir einen Überblick zu verschaffen, letztlich ob ich geistig aufnahmefähig bin.

Marg.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Zampano am 15. Apr. 2003, 22:09 Uhr

Hallo Margarete (und auch Eberhard),

auch wenn ich mich nun auf Glatteis begebe:
Liebe an sich ist kein Gefühl, sondern vielmehr ein aktiver Prozess. Ich will jetzt nicht groß aufzählen, was Liebe alles ist und nicht ist, ihre Manifestation empfinden wir als tiefstes Gefühl, aber Liebe an sich heißt, tätig, gebend und offen zu sein, Verantwortung, Fürsorge, Konzentration, usf. usf. für jemanden übernehmen (auch sich selbst).
Liebe ist primär Handeln aus einer nicht-egoistischem Motivation heraus.

[...Überlegung zur Liebe als EIN Gefühl:
Wenn zwei Menschen zur selben Zeit unter den selben Umständen etwas oder jemanden lieben und ihre Gefühle präzise quanti- und qualifizieren könnten, so würde niemals das selbe Ergebnis rauskommen. Ergo sind es Hunderte oder mehr Gefühle, die als „Begleiterscheinung“ auftreten. Aber beide würde sagen, sie „lieben“. ...]

Vielleicht sollten nur die meisten nicht beim Nächsten anfangen, sondern bei sich selbst....

Und damit lassen sich m.E. ethische Fragen relativ leicht beantworten, zumindest was den Nukleus der Ethik betrifft.
Die Beispiele von Eberhard zeigen nur, dass wir eben in einer Welt leben, in der wir uns und unsere Bedürfnisse nun mal zu wichtig nehmen. Tja, so weit zu Ideal und Wirklichkeit, das Maß ist stets verschieden aber man kann es ja steigern....

@ Margarete:
Du betonst wiederholt die Instinkte, der Mensch ist jedoch von der Evolution mit nur sehr wenigen biologischen Instinkten ausgestattet worden, wahrscheinlich aus diesem Grund verfügt er über einen höheren Verstand. Je „höher“ ein Tier in der Evolutionskette steht, desto weniger Instinkte besitzt es.
Und Hass ist wahrscheinlich nichts anderes als unterdrückte Liebe oder fehlende Eigenliebe, denn die Manifestation des Hasses führt zum gleichen Glückszustand wie die Liebe, nur eben in meist negativer Form und schlimmen Auswirkungen. Es ist wie bei vielen anderen nicht-aggressiven Formen der Eitelkeit und des Narzissmus so.

Im Prinzip gibt es nichts, was ich aus einer positiven und nicht durch äußere Umstände erzwungenen Motivation tun kann, das nicht Liebe eben zu dieser Tat oder zu einem Objekt ist. Und sei „es“ nur der Augenblick, den ich genieße bzw. liebe.
Die Heiligsprechung und Mystifikation des „Phänomens“ Liebe führt allerdings immer wieder dazu, dieses Wort nicht zu gebrauchen oder es als zu metaphysisch oder idealistisch darzustellen. Aber eben dieses Wort findet sich stets wieder in allen bisher bekannten ethischen Ansätzen.

Salve,
Zampano


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Zampano am 15. Apr. 2003, 22:21 Uhr

Noch ein Gedankengang:

Wenn man davon ausgeht, dass der Mensch von Natur aus auch mit „Eigenschaften“ (Charakter?) ausgestattet wurde wie Mitgefühl, Hilfsbereitschaft, Einfühlungsvermögen, Liebesfähigkeit, Überlebenswille, Solidarität und weiteren, die sein Zusammenleben mit anderen verbessern und ihnen helfen, dann ist es erschreckend in welchen Momenten sich dies in unserer heutigen (und auch schon früheren) Kultur manifestiert: Krieg am Beispiel der Soldaten oder Menschen in Notsituationen anderer Art.

Wie pervers sind wir geworden?

Salve,
Zampano


Titel: Hallo ZampRe: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 15. Apr. 2003, 23:02 Uhr

Hallo Zampano,

1. zu Hitler, und warum sich damals niemand dagegen gestellt hat.
a. überwog zunächst das Positive (Beseitigung der Arbeitslosigkeit), b. lief das mit dem Krieg zunächst recht positiv (die Amis und die Engländer finden den Irakkrieg ja auch gut) und c. das mit der systematischen Judenvernichtung wusste kaum jemand. Nicht einmal die BBC London hielt dieses Ereignis in ihrem deutschsprachigen Programm während des Kriegs für erwähnenswert.

2. Du schreibst: &#8222;Ohne Gesetze und Moral gäbe es nicht mehr Unheil, Gewalt und Mord als mit (ein Blick auf die Kriminalstatistik zeigt es), aber eines wahrscheinlich auf keinen Fall: Krieg!&#8220; Erläutere mir bitte einmal diesen Blick auf die Kriminalstatistik anhand von exakten Zahlen. Vielleicht solltest du dir deine Sätze doch etwas genauer überlegen.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 15. Apr. 2003, 23:08 Uhr

Hallo Noisette,

in Sachen Hühner-KZ's wendest du dich am besten vertrauensvoll an Paul. Mit seinen 60 Jahren hat der in Sachen Landwirtschaft den großen Überblick und wird dich bestens beraten. Ich zitiere ihn: "Ein gewisses Risiko sind tatsächlich nur Ökobetriebe mit ihren altmodischen Pestiziden (Kupfer) und ihren freilaufenden Hühnern, die das Grundwasser mit Stickstoff belasten." Statt Kupfer (in der Öko-Szene übrigens sehr umstritten, aber speziell im Weinbau wird es noch toleriert) empfiehlt er dann wohl moderne chlorierte Kohlenwasserstoffe, in den Hühner-KZ's löst sich der Hühnerdreck in Nichts auf, Tiermast mit Antibiotika und Hormonen, Zerstörung und Überdüngung der Böden, all das hält er offensichtlich für moralisch gerechtfertigt. Und da sein geliebter Aristoteles sich nicht über den Tierschutz ausgelassen hat, ist das für ihn kein Thema.
Da wunderst du dich über die ÖVP?
Mein Rat. Kauf ausschließlich Öko-Eier und propagiere sie, das ist leider das einzig Mögliche, was du gegen diese Bauern-Mafia ausrichten kannst.

Gruß HP



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 15. Apr. 2003, 23:11 Uhr

Hallo Eberhard,

du sagst es überdeutlich. Die Erfahrung lehrt es, Menschen, die intensiv lieben, pflegen auch intensiv zu hassen. Das führt zu nichts. Eine Moral auf Gefühlen aufzubauen, ist paradox. Die Aufgabe eines Moralsystems ist es ja gerade, das emotionale Handeln zu reflektieren und gegebenenfalls in seine Schranken zu weisen. Außerdem kann kein Mensch alle Menschen einer Gesellschaft lieben. Wer es behauptet, macht sich was vor wie deine Beispiele beweisen.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Zampano am 15. Apr. 2003, 23:42 Uhr

Hallo Hanspeter,

wozu brauche ich genaue Zahlen der Kriminalstatistik um das Maß der heutigen Aggressivität und der Destruktion der Menschen zu belegen? Mord, Raub, Kindesmisshandlungen, etc. gibt es mehr als genug, dazu muss ich jetzt wohl kaum genaue Zahlen bringen.
Das dürfte jeder von uns zu Genüge kennen. Ich sprach auch von der schlimmsten Art der Destruktion: Krieg.

Bei dieser als auch deiner Anmerkung zu der Unmöglichkeit, Ethik auf Gefühle aufzubauen wird wieder einmal ein elementarer Fehler der heutigen (westlichen) Kultur offenbar:
einmal, alles mit Fakten und Zahlen belegen zu wollen bzw. irgendwie zu normieren, quantifizieren oder kategorisieren und andererseits wieder die strikte Trennung in Verstand und Gefühl.
Ich gebe dir statt Gefühl ein besseres Wort als Gefühl: Erfahrung.
Und Erfahrung ist das Produkt des Verstandes in Zusammenarbeit mit subjektiven Empfindungen. Nie ist eines ohne das andere anzutreffen, keine Erfahrung ist ohne Gefühl und ungekehrt kein Gefühl absolut ohne Gedanken (bis auf wenige meditative Ausnahmen höherer Art). Wieso will man das stets trennen, es ist definitiv nicht trennbar?

Und ist Hilfsbereitschaft ein Gefühl? Es ist wohl eher ein Charakterzug und die Gesellschaft besitzt ebenso einen Charakter.

Das Problem mit Hitler und der Nazizeit war nicht Unkenntnis, sondern dieser bekannte Masseneffekt, der auftritt, wenn zu viele Menschen einen gemeinsamen unfreien Gesellschaftscharakter entwickeln oder zu träge werden. Dann bedarf es nur Rationalisierungen um die Schraube der Glaubwürdigkeit hochzudrehen, so absurd sie auch sein mögen, das spielt dann keine Rolle mehr. Das ist die immer gleiche Dynamik einer Gemeinschaft, die zu wenig kritisch und frei denkende Menschen hat. Heutzutage anzutreffen in einigen extremistischen arabischen Ländern (Terror, Jihad, etc.) aber nicht nur dort (siehe auch Nordirland oder Balkan).
Es ist auch im zwischenmenschlichen Bereich täglich anzutreffen: aus Eitelkeit oder Stolz versucht man seine Fehler zu rationalisieren, auch wenn man weiß, dass man im Unrecht ist. Eine typische Form der Kommunikation leider.

Viele Wissenschaftler sind der Meinung, dass heutzutage mehr Potential an Hass und Destruktivität in der Gesellschaft schlummert als vor 70 Jahren nur ist es inzwischen rosarot und marketingtechnisch gut verpackt und dient anderen Zielen als der Weltherrschaft mit Mitteln eines Krieges. $$$

Salve,
Zampano


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 16. Apr. 2003, 07:26 Uhr

Hallo Zampano - guten Morgen an alle

Warum solltest du dich aufs Glatteis begeben, es sind deine Gedanken die du uns mitteilst, und ich finde es toll, dass du den Mut dazu hast.

Aber eines muss ich schon richtigstellen, die Instinkte kamen von dir, indem du meinstest der Mensch hätte seine verloren, und ich bin der Meinung dass sie nach wie vor vorhanden sind, aber weitestgehend unterdrückt werden.
Zum Thema Liebe möchte ich auch ein paar Gedanken weitergeben, die deine Gedanken dazu vielleicht ein wenig rationalisieren oder komprimieren können.

Liebe ist etwas, was man zum Überleben im normal gebräuchlichen Sinn braucht, ein Mensch ohne Liebe verkümmert seelisch, geistig und im Anschluß daran auch körperlich.
Liebe kann ich in dem Ausmaß erleben, in dem ich bereit bin sie als Ausgangspunkt zu nehmen, und nicht versuche sie als Besitz zu ergreifen.
Wenn ich so will, dann ist Liebe die Verbundenheit zum Universum, oder die Art wie das Univesum ist.
Hanspeter - was Liebe betrifft ist der Ausgangspunkt der Menschen meistens der Kontext des Mangels!
Der angemessene Kontext wäre der, der hinreichenden Menge innerhalb dessen man anfangen kann die Wahrheit zu erleben.
Man kann in ausreichender Menge geben und nicht "Brauchen" oder "Haben" müssen.
Wenn man braucht, kann man nicht lieben.
Liebe kann ohne Bedürfnisbefriedigung existieren, sie kann ohne Sexualität, ohne körperliche Anwesenheit, finanzielle Unterstützung usw. existieren.
Liebe ist das einzige was die Zeit nicht auslöschen kann, sie ist was du bist und woher du kommst.
Ein beliebter Ort, um Liebe zu erleben ist die Beziehung.

Grüße Margarete

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von noisette am 16. Apr. 2003, 10:19 Uhr

[quote author=Eberhard]
Hallo Noisette... wenn ich richtig gelesen habe, so ist für Euch das Prinzip: „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst!“ das entscheidende und auch voll ausreichende Grundprinzip der Ethik ... Wenn Euch deren Leben genauso wichtig wäre wie Euer eigenes, dann würdet Ihr das Geld nicht zum Reisebüro oder zur Kinokasse tragen sondern in lebenserhaltende Medikamente anlegen ... Nachdenkliche Grüße von Eberhard [/quote]

[balloon]nochmals: ich bin agnostikerin; habe kant's kat.imperativ (und nicht christlliche nächstenliebe) als grundlage für die ethikdiskussion vorgeschlagen.
zum sozialen engagement: keine sorge, ich möchte uns angehörigen der wohlstandsgesellschaft nicht das wurstsemmerl und die kinokarte wegnehmen. ich mache aber kein hehl daraus, dass mich sehr wohl von zeit zu zeit nachdenklichkeit überkommt, wenn ich im supermarkt vor fünfzig verschiedenen wurst-, käse-, schokoladesorten etc. stehe, während imselben moment anderswo kinder verhungern.
worum es mir in meinen beiträgen (u.a.) ging, war die überlegung eines angemessenen (d.h. sich nach den möglichkeiten des einzelnen richtenden) solidaritätsbeitrags für notleidende menschen hier und anderswo. denn ich finde es schon recht seltsam, dass so mancher kleinverdiener für sozialprojekte spendet, während multimilliardäre, denen offenbar jegliches soziale gewissen fehlt, ihr geld in weltraumspaziergänge und zur ersteigerung von teuren gemälden verwenden.
vielleicht fällt ja die lösung des ethikproblems deshalb so schwer, weil bei der umsetzung nicht nur verstand, sondern auch herz und charakter gefragt sind.
grüsse, n.








Titel: Hallo noisRe: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 16. Apr. 2003, 13:36 Uhr

Hallo noisette,

Du schreibst: "Vielleicht fällt ja die Lösung des Ethikproblems deshalb so schwer, weil bei der Umsetzung nicht nur Verstand, sondern auch Herz und Charakter gefragt sind." Nun, jeder Mensch hat einen Charakter, jeder hat eine Palette von Gefühlen, jeder kann mehr oder weniger gut denken. Daran liegt es nicht. Es liegt daran, dass Verstand, Herz und Charakter unterschiedlich sind.
Ich habe vor einiger Zeit das Buch "Das intelligente Genom" gelesen. Darin legt der Biologe Adolf Heschl dar, dass der Mensch grundsätzlich nicht zu substantiellem Lernen fähig ist. Was nicht prinzipiell im Genom fixiert ist, geht nicht. Du brauchst das Buch nicht zu kaufen, es ist mE. methodisch schlecht gemacht, die Rezension im Internet www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/buch/2395/1.html genügt. Auch wenn in dieser Theorie einiges überspitzt ist, schau dir doch nur den Philtalk an und du siehst völlig unterschiedliche moralische Konzepte, jeder verharrt in seinem, störende Fakten werden ignoriert und wer die Welt nicht so sieht, wie man selbst, sieht sie eben falsch. Das ist nicht Bosheit, es geht eben nicht. Die entsprechenden Programme werden, so sie nicht schon vorhanden sind, in der frühen Kindheit in die neuronale Festplatte eingegeben, Kurskorrekturen sind bestenfalls um einige Grad möglich.
Vermutlich wird in ein paar Minuten die Natur zum Ergebnis kommen, dass das Experiment homo sapiens arrogans eine Fehlkonstruktion war. Wäre nicht die erste. C'est la vie.

Gruß HP


Titel: Ethik - ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von noisette am 16. Apr. 2003, 19:31 Uhr

[quote author=Hanspeter]
Ich habe vor einiger Zeit das Buch "Das intelligente Genom" gelesen. Darin legt der Biologe Adolf Heschl dar, dass der Mensch grundsätzlich nicht zu substantiellem Lernen fähig ist. Was nicht prinzipiell im Genom fixiert ist, geht nicht ...[/quote]

[balloon]... und es ist ja wohl nicht ganz überraschend, dass - in der seit jahrzehnten geführten anlage-umwelt-kontroverse - ein biologe zu diesem (leider sehr) einseitigen ergebnis kommt... demgegenüber steht eine grosse zahl von psychologischen und pädagogischen studien, welche die bedeutung von lernen und erfahrung für die persönlichkeit betonen und belegen. humanistische und kognitive positionen betonen die umwelt als determinante des verhaltens. insgesamt sprechen die studienergebnisse für ein sowohl-als-auch bzw. eine interaktion von erb- und umwelteinflüssen.
grüsse, f.



Titel: Re: Hallo noisRe: Ist Ethik ein sinnloses Unterfan
Beitrag von Solipsist am 16. Apr. 2003, 19:54 Uhr


on 04/16/03 um 13:36:11, Hanspeter wrote:
Ich habe vor einiger Zeit das Buch "Das intelligente Genom" gelesen. Darin legt der Biologe Adolf Heschl dar, dass der Mensch grundsätzlich nicht zu substantiellem Lernen fähig ist. Was nicht prinzipiell im Genom fixiert ist, geht nicht.


Hallo HP
Das ganze Genom besteht aus nichts anderem als einer schier endlosen Kette von vier Nukleotiden (AGCT). Auf diesen DNA-Ketten ist die Information für Aminosäureketten kodiert. Die Aminosäureketten falten sich nach ihrer Synthese zu bioaktievn Substanzen oder Strukturmolekülen.

Lernen ist ein Prozess, bei dem ein Organismus (oder Roboter) mit seiner Umwelt interagiert. Durch die dabei beteiligten, sich in Einzelhandlungen äussernden Reiz-Reaktionmechanimenwerden Teile des Organsimus verändert, so zB. bilden sich neue Axone aus (Conditionning), schon bestehende Verbindungen werden verstärkt (long term potentiation)....
Für die Bereitstellung der bei diesen Prozessen beteiligten Teile ist das Genom notwendige Voraussetzung.
Organisiert werden sie aber von etwas im Genom nicht ersichtlichen.

Kleine Anektote:
Anfang 20. JH gab es neben den beiden heute bekannten Sprachzentren (Brocca, Wernicke) ein drittes, sogenantes Schreibzentrum. Es wurde also postuliert, dass ein bestimmtes Hirnareal die Funktion des Schreibens organisiere.
Nimmt man dieses Modell ernst, haben alle Analphabeten einen Gendefekt [balloon]


Ethik besteht für mcih an erster Stelle aus dem eigenen sittlichen Gewissen (Vermögen zu empatischen Handlungen)
Gruss

Solipsist

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 17. Apr. 2003, 01:26 Uhr

hallo lieber Hans Peter,
dir scheint die ganze Ethik nicht zu behagen,
ich möchte einige Gegenargumente anführen:
Antworten #160
>in Sachen Hühner-KZ's wendest du dich am besten vertrauensvoll an Paul......<

hab schon damit gerechnet, dass dich das aufregt, aber in einem Philosophieforum sollte es doch mehr ums Denken als um Ideologie gehen.

>.....all das hält er offensichtlich für moralisch gerechtfertigt<

bitte keine Unterstellungen, junger Mann. Ich habe selbst als Student begeistert (sagen wir lieber überzeugt) ökologische Apokalypse ("Das Selbstmordprogramm" etc.) gelesen, allerdings dann durchaus auch realisiert, das mag ein kleiner Vorteil meines Alters sein, dass die damaligen Prognosen wirklich abenteuerlich daneben lagen, merkwürdigerweise haben die Namen dieser Autoren aber nach wie vor einen guten Klang, nicht gerade logisch. Die stärkste Rheinverschmutzung war irgendwann in den 60ger Jahren.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 17. Apr. 2003, 01:30 Uhr

2
Dem Grundwasser ist es völlig egal, ober der Stickstoff von den Hühnern oder dem Kunstdünger kommt. Kunstdünger kann man vernünftig dosieren, Hühnerdung (im Freilauf) leider nicht, das ist der kleine Unterschied. Gesammtökologisch ist die nostalgische ökologische Landwirtschaft leider eine Sackgasse, die Wälder würden wieder schrumpfen etc. (einen kleinen Teil können wir uns natürlich "leisten"). In der modernen Landwirtschaft sind dagegen Pestizide überall massiv im Rückgang, biologische Methoden treten an ihre Stelle, wahrscheinlich ist die Gentechnik für dich auch ein Reizwort. Ganz ohne Sachwissen geht es halt nicht. Aber Wissenschaft selbst ist ja schon bei manchen verdächtig. Das wird dann lieber durch Glauben ersetzt. Nur darf man dann auch nicht mehr messen und rechnen.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 17. Apr. 2003, 01:31 Uhr

Hanspeter Antworten #161
>Die Erfahrung lehrt es, Menschen, die intensiv lieben, pflegen auch intensiv zu hassen.<
wird schon mal behauptet, stimmt aber nicht, ist schon gar nicht Erfahrung.
Es gibt verschiedene, von den Psychologen recht gut definierte "love-stiles"
die Hassliebe ist nur typisch für den unsicheren und schwächsten "ambivalenten" Typ, auch noch für den ebenso (innerlich) schwachen Narzist, beides Gott sei Dank Minderheiten und auch entwicklungsfähig.

Hanspeter Antworten #165
>"Das intelligente Genom" gelesen. Darin legt der Biologe Adolf Heschl dar, dass der Mensch grundsätzlich nicht zu substantiellem Lernen fähig ist.<

so etwas zu beurteilen ist mancher Biologe leider nicht fähig. Das klappt beim Philosophen schon etwas besser.
Aristoteles.:
"Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile"


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 17. Apr. 2003, 01:34 Uhr

2
Genome beinhalten keine Fähigkeiten, sondern Potentiale, die Möglichkeiten, Fähigkeiten zu erwerben. Systemeigenschaften (Gehirnfunktion) können durchaus innovativ, also prinzipiell neu sein. Aus diesem prinzipiellen Unverständnis der Tragweite des Satzes von Aristoteles (ich weis, das regt dich jetzt wieder auf) entspringen viele Fehlinterpretationen materieller naturwissenschaftlicher Detailfakten mit entsprechenden falsch deutungsbeladenen Namen wie etwa Glückshormon für Serotonin etc. Eine chemische Formel für Glück wird es nie geben, man sucht allerdings unverdrossen weiter (nicht der Philosoph).
Ich bin deshalb so ausführlich darauf eingegangen, weil alle weiterführenden Fragen wie freier Wille und Ethik von solcherart (überholtem) Biologismus, oder sagen wir Determinismus ad Absurdum geführt werden.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 17. Apr. 2003, 01:35 Uhr

3
Im weiteren Sinne ist imho auch der ständige Hinweis auf frühkindliche Prägung verfehlt. Danach müßte ich als Kriegsjahrgang und brutal entwurzelter und hungerleidender Vertriebener völlig liebesunfähig und assozial sein. Nein man ist lernfähig bis ins Alter, auch wenns weh tut. Natürlich hat der Mensch auch Gefühle und Instinkte, - was ist denn eine Panikreaktion - aber er hat den denkenden Geist zusätzlich und es brauch ein ganzes Leben bis dieser Geist nach langer Lernphase in Form von Vernunft die Oberhand über die ältern Gefühle und Instinkte behält (oder auch nicht).
Nichts für ungut, kann dich verstehen
gruß
paul

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 17. Apr. 2003, 02:19 Uhr

An Paul.
Nicht so arrogant, alter Mann. Für eine Diskussion pro und kontra Öko-Landwirtschaft brauchen wir dieses Forum sicher nicht. Dazu sind von kompetenteren Leuten sachlichere Argumente in zahllosen Veröffentlichungen getätigt worden.

Leider muss ich dich enttäuschen. Das was du schreibst, regt mich nicht auf. Aber es interessiert mich. Vor allem deine Art zu argumentieren.
1.: Aristoteles weiß alles besser.
2.: Argumente, die nicht ins Konzept passen, ignorieren. (zB. Hühnerdreck: a. kann man den auch bei freilaufenden Hühnern ziemlich genau berechnen und b. bleibt das Problem ja auch bei KZ-Hühnern).
3. Eigene Argumente stets dogmatisch behandeln (andere Ansichten sind falsch und werden ad Absurdum geführt).
4. Arroganz: "Ich habe die umfassende Erfahrung, ihr jungen Schnösel lernt endlich, auch wenn&#8217;s weh tut".
Meine Diagnose: Wenn du es nicht schon bist, eignest du dich hervorragend als Politiker: Empfehle CSU, Bauernverband.


Titel: Re: Hallo noisRe: Ist Ethik ein sinnloses Unterfan
Beitrag von Sheelina am 17. Apr. 2003, 04:40 Uhr


on 04/16/03 um 19:54:39, Solipsist wrote:
Ethik besteht für mcih an erster Stelle aus dem eigenen sittlichen Gewissen (Vermögen zu empatischen Handlungen)
Gruss

Solipsist


Hallo Solipsist,

was meinst Du mit "sittlichem Gewissen" und "Vermögen zu empathischen Handlungen"? Ein Handeln aus dem Gefühl heraus, welches sich aus den vorhergehenden Gedanken oder Auseinandersetzungen mit sich und der Umwelt letztendlich als automatische Handlungsabfolge ergibt?

Grüsse, Lina


Titel: Umsetzung ethischer Noremn
Beitrag von Eberhard am 17. Apr. 2003, 07:21 Uhr

Hallo Noisette,

ein paar Gedanken zu Deinem „Unterthema“: Durchsetzung ethischer Normen.

Es gibt vor allem zwei Motivarten, die einen Menschen dazu bewegen können, sich an Normen zu halten: die eine ist die Einsicht, dass diese Normen richtig und sinnvoll sind, und die andere ist die Erwartung von positiven Folgen bei Beachtung der Normen (Lob, soziale Anerkennung etc.) und negativer Folgen bei Verletzung der Normen (Strafe, soziale Verachtung etc.).

Fortschritte in unserer „Hauptfragestellung“ („Wie finden wir zu allgemein akzeptablen Normen, die man also jedem Individuum gegenüber einsichtig begründen kann?“) sind eine wichtige Voraussetzung für die wirksame „Verinnerlichung“ dieser Normen. Die Vermittlung einsichtig begründbarer Normen erscheint mir vor allem deshalb wichtig, weil die Verankerung moralischer Normen in religiösen Überzeugungen („Ich befolge die Normen, weil sie von Gott gegeben sind“) mit dem Schwinden dieser religiösen Überzeugungen zunehmend unwirksamer wird. Insofern ist das philosophische Bemühen um die argumentative Begründung ethischer Normen auch unter Deinem Gesichtspunkt der praktischen Umsetzung wichtig. Natürlich müssen die Ergebnisse dieser Bemühungen auch an Eltern und Lehrer weitergegeben werden.

Mit der abnehmenden Glaubwürdigkeit religiöser Vorstellungen nimmt auch die Motivation durch die Vorstellung einen Belohnung und Bestrafung eigener Taten nach dem Tode (Jüngstes Gericht, Himmel und Hölle) ab. Ich glaube nicht, dass sich dieser Säkularisierungsprozess langfristig umkehren lässt. Die Lücke, die hier entsteht, muss deshalb anderweitig geschlossen werden.

Außerdem schwindet durch die Verstädterung des Zusammenlebens und die damit einhergehende Anonymität der sozialen Beziehungen die Wirksamkeit traditioneller sozialer Kontrollen. Wen ich nicht kenne, den kann ich nicht ächten. Auch hier entsteht eine Lücke in der Motivation, die schwer zu schließen ist.

Außerdem gibt es ein Missverständnis der Marktwirtschaft, die den Einzelnen ja freisetzt, seine eigenen Interessen im Rahmen der gegebenen Eigentumsordnung durch vertragliche Einigung mit andern zu verfolgen. Diese „Entmoralisierung“ des wirtschaftlichen Bereichs wird als allgemeine Aufforderung zu einer „Ellenbogen-Gesellschaft“ und zur persönlichen Bereicherung (Korruption der Inhaber öffentlicher Ämter) missverstanden.

Damit will ich hier erstmal Schluss machen. Wie Du siehst, halte ich die Situation für kritisch und ich teile Deine Meinung, dass wir uns über neue Wege zur wirksamen Verankerung ethischer Normen Gedanken machen müssen.
Gruß Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 17. Apr. 2003, 07:22 Uhr

Hallo Paul, lieber Hanspeter -

auch ein blindes Huhn findet manchmal ein Korn, und so möchte ich eure Altersfrage aufpicken und mit Honig versüßen!

Ein "alter" Mann kann auch durchaus jugendlich sein in seinen Ansichten und Handlungen -

und ein "junger" Mann kann durch seine Erfahrungen schon sehr weise sein.

Es ist nicht das Alter, das zählt! Trotz euren konträren Annäherungsversuchen finde ich euch easy!

Liebe Grüße Margarete

Titel: Re: Hallo noisRe: Ist Ethik ein sinnloses Unterfan
Beitrag von paul am 17. Apr. 2003, 07:40 Uhr


on 04/17/03 um 04:40:04, Sheelina wrote:
Hallo Solipsist,

was meinst Du mit "sittlichem Gewissen" und "Vermögen zu empathischen Handlungen"? Ein Handeln aus dem Gefühl heraus, welches sich aus den vorhergehenden Gedanken oder Auseinandersetzungen mit sich und der Umwelt letztendlich als automatische Handlungsabfolge ergibt?

Grüsse, Lina


"Schmach über uns ... die wir in selbstmörderischer Schadenfreude uns in den polypenhaften Determinismus vergafft haben"
Werfel Veruntreuter Himmel 9
guten Morgen
Paul


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 17. Apr. 2003, 08:26 Uhr

hallo Margarete,
Mein Alter sollte aus meiner Sicht keinefalls als Argument dienen, erweitert lediglich die Sichtweise aus der reinen Gegenwartsbetrachtung. Aber auch das bleibt natürlich relativ und ist nur ein kleiner Teilaspekt.
Deshalb sollte man die nettikette nicht verletzten
HP argumentiert nicht, er gibt persönliche (negative) Wertungen ab,
spätestens dann ist eine Diskussion beendet, ich verzichte daher auf eine Entgegnung, die nicht sehr schmeichelhaft für ihn ausfallen kann.

Alter=Arroganz
setze ich
Alter=Liebe zum Menschen
entgegen

gruß
Paul

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 17. Apr. 2003, 09:07 Uhr

@Eberhard

toller Beitrag, werde darüber nachdenken!

@ Paul

ich habe nichts anderes erwartet!

@ Hanspeter?

Grüße Margarete

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 17. Apr. 2003, 09:41 Uhr

Hallo Solipsist,

du als Biologe hast als einziger in diesem Kreis die Kompetenz, dieses Buch von Adolf Heschl zu beurteilen. Hast du es gelesen?
Es ist mE. methodisch schlecht aufgebaut, denn er bringt zu wenige Beispiele von dem, was lernbar und was nicht lernbar ist. Er spricht von "essentiellen" oder "überlebenswichtigen" Funktionen. Immerhin, zwei Sätze möchte ich doch erwähnen (S.333):
"Denn wenn schließlich unser gesamtes moralisches wie auch kognitives Verhalten evolutiv durch Mutation und Selektion entstanden und somit in unseren Genen verankert ist - und in der Tat, dies kann aus der Evolutionstheorie abgeleitet werden -, dann hat es logischerweise keinen Sinn mehr, darüber zu diskutieren, ob dieses selbe Verhalten in jenen spezifischen Situationen, für die es über viele Generationen hinweg selektiert worden ist, auch praktiziert werden soll oder nicht. Es wird einfach geschehen, mehr kann dazu nicht gesagt werden." (Ende Zitat)

Wenn es nicht stimmt, was er sagt, was hat er dann an der Evolutionstheorie bzw. der Genetik falsch verstanden? Der Herr leitet übrigens das Konrad Lorenz Institut für Evolutions- und Kognitionsforschung in Altenberg.

Gruß HP


Titel: Re: Umsetzung ethischer Noremn
Beitrag von noisette am 17. Apr. 2003, 10:00 Uhr

[quote author=Eberhard]
... Die Vermittlung einsichtig begründbarer Normen erscheint mir vor allem deshalb wichtig, weil die Verankerung moralischer Normen in religiösen Überzeugungen („Ich befolge die Normen, weil sie von Gott gegeben sind“) mit dem Schwinden dieser religiösen Überzeugungen zunehmend unwirksamer wird ... Die Lücke, die hier entsteht, muss deshalb anderweitig geschlossen werden [/quote]

[balloon] hallo eberhard!
hundertprozentige zustimmung meinerseits zu deinen ausführungen! besonders wichtig erscheint mir die von dir angesprochene 'lücke', die durch den abnehmenden einfluss der kirche als moralische instanz entstanden ist. meine überlegung dazu: brauchen wir nicht, wenn man die jahrhundertelange machtvolle position der kirche bedenkt, zusätzlich zur verankerung im schulunterricht) doch wieder eine ähnlich mächtige institution, welche den menschen klare ethische richtlinien vorgibt?
grüsse, n.




Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 17. Apr. 2003, 11:40 Uhr

Hallo Eberhard,

danke für deinen gut formulierten Beitrag. Es freut mich zu hören, dass auch du die Notwendigkeit der Philosophie, zu Fragen der Ethik dezidiert Stellung zu nehmen, siehst. Manchmal entsteht ja der Eindruck, es gäbe heutzutage keine Philosophen mehr, nur noch Historiker der Philosophie.

Ich habe ja bereits einen Vorschlag zu einer allgemein gültigen Moral gemacht. Er ist ziemlich zerpflückt worden, scheint also auf keine Gegenliebe zu stoßen. Wie also lautet deine Vorstellung einer Moral, wie sie sein sollte? Lass die Katze aus dem Sack!

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Solipsist am 17. Apr. 2003, 22:50 Uhr


on 04/17/03 um 09:41:22, Hanspeter wrote:
Wenn es nicht stimmt, was er sagt, was hat er dann an der Evolutionstheorie bzw. der Genetik falsch verstanden? Der Herr leitet übrigens das Konrad Lorenz Institut für Evolutions- und Kognitionsforschung in Altenberg.


Hallo HP
zuerst einmal ein wenig biologisches blabla...

Jeder Organismus lässt sich einer bestimmten Art (Nasenbär, Amöbe, Wurmfarn, Mammuth, Mensch) zuordnen. Die einzelnen Arten sind ALLE miteinander verwandt und lassen sich nach ihrem Verwandschaftsgrad in ein biologisches System einordnen. Dies ist der ganze Hokuspokus der Evolutionstheorie. Ein Biologe hat mal den Ausdruck geprägt, die Evolutionstheorie liefere nichts ausser Ahnengalerien. :-)

Kommen bei der Betrachtung die Gene dazu, ist die Unterscheidung von Genotyp (das Genmaterial eines Organsmus) und Phänotyp (der Organsimus selbst) von zentraler Bedeutung. Mutieren kann bei der Meiose (Keimzellenproduktion) der Genotyp, Selektion betrifft nur den Phänotyp (das Tier wuselt mehr oder weniger erfolgreich in "seinem" Habitat umher).

Soviel zur reinen Theorie.

Was kann aus einem spezifischen Genotyp erschlossen werden?

So gibt es zB. ein (oder sind es mehrere) Gen, das die Augenfarbe steuert, ein anderes die Haarfarbe, noch ein anderes die Blutgruppe.
Jedes Gen codiert für eine bestimmte Substanz (eine Aminosäurenverbindung), also zB. Farbstoffe.

Anhand einzelner Gene eines Genotyps können also einzelne Merkmale des Organsimus bestimmt werden.

Um Verhalten bei Ratten besser studieren zu können, wurden spezifische Stämme gezüchtet, die viel oder wenig Corticosteroide (Stresshormon) produzieren. Es gelang also eine Verbindung zwischen Genmaterial und Verhaltensdisposition (Agressivitätsgrad). Sobald jedoch höhere kognitive oder emotionale Leistungen (zB Sozialverhalten, Ethik) mit im Spiel sind, ist die Beschreibung oder Deutung mit Hilfe des Genmaterials ähnlich sinnvoll wie die Deutung von Shakespeares Sonetten mittels Analyse der Buchstabenkombinationen ohen auf die Bedeutung der Wörter einzugehen.

Gruss

Solipist

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 18. Apr. 2003, 01:38 Uhr

Hallo Solipsist,

danke für die Antwort. Du gehst also davon aus, dass diese These des Herrn Dr. Adolf Heschl kompletter Unsinn ist. Schade, dass er nicht Mitglied des Philtalks ist und sich äußert.
Ich erinnere mich an eine Untersuchung - vielleicht kennst du sie näher - in der gezeigt wurde, dass Interesse an moralischen Fragen genetisch fixiert sei (man sprach von einem "religiösen" Gen bzw. Abschnitten von Genen). Auch Musikalität usw. gelten zuweilen als erblich bedingt. Davon hältst du nichts?

Gruß HP

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 18. Apr. 2003, 04:15 Uhr

Hallo Eberhard -

Gehe ich recht in der Annahme, dass du der Meinung bist, alles was wir tun ist von einer entsprechenden Motivation begleitet? Es gibt also positive wie negative Motivationen, je nachem welches Ziel ich anpeile, welche Handlung ich ausführe.
Du sagst: weil die Verankerung moralischer Normen in religiösen Überzeugungen mit dem Schwinden dieser religiösen Überzeugungen zunehmend unwirksam wird, und nennst auch den Säkularisierungsprozess ( gut und böse, Himmel und Hölle)

Verkörpert die Kirche das Sinnbild einer Moral - auch dualistisch, das heißt die Ethik der Kirche der Glaube an Gott, an das einzig wirklich Gute, Reine, Allmächtige?
Ich bin auch der Meinung, dass bei zunehmender "Gottlosigkeit" die Menschen nicht mehr wissen woran sie glauben sollen - an ihre eigene Unfehlbarkeit, an den Staat, die Wirtschaft?
Zudem kommt, dass wir in einem technischen Zeitalter leben und alles logisch zu funktionieren hat, das ist gut für die linke Gehirnhälfte, aber wo bleibt die Befriedigung der rechten?
Um das auszugleichen suchen sich die Menschen einen anderen Glauben - Sekten,Selbstverwirklichung, Größe in allen Bereichen.
Die Anonymität in den sozialen Beziehungen dient dieser Entwicklung als Rechtfertigung.
Ebenso hängt die Entmoralisierung in der Wirtschaft mit der Globalisierung zusammen, es ist dasselbe Spiel.

Ich glaube es sind nicht unbedingt die Normen in der Ethik die überarbeitet werden müssten, sondern die Werte bzw. die Wertigkeit der Normen die den Menschen bewußt werden müssten, ohne in eine Religion auszuarten.

Wenn ich nur an die allgemeingültigen Menschenrechte denke, müsste ich fragen welche? Es gibt sie aber, und viele Menschen haben sich darüber ihre Köpfe zerbrochen.
Sie werden meist leider erst bewußt gemacht wenn es zu spät ist, wenn es zu strafen gilt, wenn sie als Funktionsorgan tätig sind, um Gerechtigkeit zu beweisen (weils aber wahr ist).

Es stellt sich für mich die Frage Zuckerbrot oder Peitsche?
Wie bringe ich Menschen dazu Anderen ein motiviertes Verständnis entgegenzubringen das Achtung und Toleranz inkludiert damit Ethik überhaupt Platz greifen kann?

Grüße Margarete

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von noisette am 18. Apr. 2003, 10:20 Uhr

[quote author=Hanspeter] Ich erinnere mich an eine Untersuchung, in der gezeigt wurde, dass Interesse an moralischen Fragen genetisch fixiert sei (man sprach von einem "religiösen" Gen bzw. Abschnitten von Genen). Auch Musikalität usw. gelten zuweilen als erblich bedingt. [/quote]

[balloon] und wie kommt es dann, dass beispielsweise bei eineiigen zwillingen einer ein künstler wird, der andere vollkommen unmusikalisch ist? oder: einer wegen raubüberfall im gefängnis landet, der andere ein privat und beruflich geordnetes leben führt?
grüsse, n.




Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Solipsist am 18. Apr. 2003, 10:36 Uhr


on 04/18/03 um 01:38:57, Hanspeter wrote:
Ich erinnere mich an eine Untersuchung - vielleicht kennst du sie näher - in der gezeigt wurde, dass Interesse an moralischen Fragen genetisch fixiert sei (man sprach von einem "religiösen" Gen bzw. Abschnitten von Genen). Auch Musikalität usw. gelten zuweilen als erblich bedingt. Davon hältst du nichts?


Hallo HP
Diese Meinung habe ich vor einigen Jahren auch noch vertreten, die Konsequenzen eines solchen Denkens sind aber zu absurd. Hier ein Beispiel dazu:

Vor ein paar Wochen kam im TV eine Sendung über Massenmörder. Darin meldete sich ein Anwalt zu Wort, der für einen seiner Klienten (einen Soziopathen der mehrere Menschenleben auf dem Gewissen hatte) mittelst Gentest für unschuldig erklärte, der Klient habe halt einen Gendefekt und könne darum gar nicht anders handeln.

In der Intelligenzdebatte ist das Thema Vererblichkeit auch seit Jahrzehnten ein heisses Eisen. Beise Lager versuchen mittels Zwillingsuntersuchungen ihre Thesen zu untermauern.

Ein interssantes Experiment dazu stammt aus der Forschung mit Ratten. Genetisch identische Ratten wurden kurz nach der Geburt in unterschiedlichen Umgebungen grossgezogen, die eine Gruppe in einem kahlen Käfig, die andere in einem grossen Käfig mit Laufrad, Kletterleiter und anderen "Spielgelegenheiten". Nach ein paar Wochen wurden die Ratten geköpft und ihr Hirn untersucht. Die Hirne der zweiten Gruppe waren bedeutend schwerer und verfügten über viel mehr Axone.

Um schliesslich nochmals auf die Meinung des Herrn Heschl zurückzukommen. Geht man davon aus, sämtliche beobachtbaren und beschreibbaren Phänomene der Welt beruhten auf materieller Grundlage (wie dies die moderne Biologie tut), bleibt einem nichts anderes übrig, als Verhalten mittels Genen zu untersuchen.
Will man sich Biologe nennen, hat man sich an die herrschenden Dogmen zu halten, kommt also um die Gene nicht herum. Der erkenntnismässige Nutzen solcher Forschung beschränkt sich halt dann auf den Bereich der Wissenschafter dieser Disziplin.

Ein interessantes Buch zu diesem Thema ist übrigens das zweite Buch des Verfassers von "Das Egoistische Gen" Richard Dawkins "The extended Phenotype", dort wird die ganze Problematik dieser wissenschaftlichen Herangehesweise seriös unter die Lupe genommen.

Hierzu ein Link:
http://www.cscs.umich.edu/~crshalizi/reviews/extended-phenotype/


Gruss

Solipsist

Titel: Ethik - ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von noisette am 18. Apr. 2003, 14:17 Uhr

[quote author=Solipsist]

Ein interssantes Experiment dazu stammt aus der Forschung mit Ratten. Genetisch identische Ratten wurden kurz nach der Geburt in unterschiedlichen Umgebungen grossgezogen, die eine Gruppe in einem kahlen Käfig, die andere in einem grossen Käfig mit Laufrad, Kletterleiter und anderen "Spielgelegenheiten". Nach ein paar Wochen wurden die Ratten geköpft und ihr Hirn untersucht [/quote]

ein 'interessantes experiment'? [hairstand] ... aus meiner sicht ein beispiel für die irr-wege wissenschaftlicher forschung! wie weltfremd (und un-ethisch!) sind wohl leute unterwegs, die ratten köpfen, um zur selben erkenntnis zu gelangen wie jeder (auch nur einigermassen) sorgfältige beobachter, nämlich: dass förderung sinn macht.
n.






Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 18. Apr. 2003, 14:48 Uhr

Hallo Solipsist,

damit da kein falscher Eindruck entsteht, ich bin kein Heschlist. Ich habe, ausgestattet mit einem biologischen Halbwissen, eine ganze Reihe von Widersprüchen und Unklarheiten entdeckt, aber, wie gesagt, ich bin kein Experte in Genetik und Evolutionstheorie und daher im Urteil sehr zurückhaltend. Nur, ich finde das Thema äußerst spannend.

Du schreibst: "Diese Meinung habe ich vor einigen Jahren auch noch vertreten, die Konsequenzen eines solchen Denkens sind aber zu absurd." Hier mahne ich zur Vorsicht. Ich denke, der Primat der Naturwissenschaft sollte doch unbestritten sein. Weist sie eindeutig nach, was Heschl behauptet, dann gilt das, egal ob es der Philosophie gefällt oder nicht. Die Gesetze der Astronomie oder die Evolutionstheorie haben auch vielen Philosophen nicht gepasst; sie gelten trotzdem. Aber, wie gesagt, der Nachweis fehlt noch.
Abwarten, Tee trinken, und Eberhards Konzept einer Moral entgegenfiebern.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 18. Apr. 2003, 14:56 Uhr

Hallo Noisette,

ich habe Verständnis für deine Erregung. In Sachen Tierschutz lasse ich mich nämlich nicht so leicht überholen. Und die moralischen Bedenken sind auch bei mir hoch. Aber, ich gebe zu, da schwanke ich.
Ich nenne jetzt nur die Argumente pro Tierversuche, weil du dich dagegen aussprachst. Ich könnte dir auch eine Reihe dagegen nennen.
a. Auch Tiere machen Tierversuche (Raubtiere verwenden Opfer als Übungsmaterial für ihre Jungen)
b. Was ist moralischer? Eine Ratte zu köpfen, um Erkenntnisse zu gewinnen, oder ein Huhn zu köpfen, um sich den Wanst zu füllen?

Aber schließe jetzt bitte nicht daraus, ich wäre ein Vertreter für Tierversuche. Auf alle Fälle minimieren, so gut es geht.

Gruß HP

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von noisette am 20. Apr. 2003, 08:29 Uhr

[quote author=Hanspeter]
Ich denke, der Primat der Naturwissenschaft sollte doch unbestritten sein ... [/quote]

warum? ist es der naturwissenschaft etwa gelungen, zu beweisen, dass es gott gibt oder nicht gibt? hat sie auf die grossen fragen der menschheit nach dem 'wozu und wohin' irgendwelche brauchbare antworten geliefert?

[balloon] ... n.





Titel: Was ist meine Konzeption?
Beitrag von Eberhard am 20. Apr. 2003, 16:09 Uhr

Hallo an alle,

vorweg bitte ich um Entschuldigung, dass ich nicht immer gleich auf Eure Kritik und Eure Fragen an mich reagieren kann. Aber ich will mein Möglichstes tun.

Als erstes will ich Hanspeter versichern, dass ich kein fertiges System der Ethik in der Hinterhand habe, wie er vermutet, sondern dass ich nur von einer bestimmten Fragestellung ausgehe:

Wie muss ein System von Regeln und Institutionen des Zusammenlebens aussehen, welches von jedem Individuum zwanglos akzeptiert werden kann, das zum einen die Argumente versteht und das zum andern das Ziel einer zwanglosen Einigung teilt?

Das Einlassen auf diese Fragestellung ist die einzige Voraussetzung, die ich mache. Die Begründung für diese Voraussetzung ist einfach: Wem es nicht um allgemein akzeptable Normen und deren - von jedermann nachvollziehbare - argumentative Begründung geht, mit dem erübrigt sich auch eine Diskussion über Normen. Wer eine Norm als für mich verbindlich behauptet, ohne dass diese Norm im Prinzip auch für mich einsichtig gemacht werden kann, der übt auf mich Zwang aus. Und gegen Zwang muss ich mich anders wehren als mit Argumenten.

Meiner Meinung nach lassen sich mit Hilfe dieses Kriteriums (das man auch als „Kriterium der zwanglosen Konsensfähigkeit“ oder kurz als „Konsens-Kriterium“ bezeichnen kann) Normen und deren Begründungen als mehr oder weniger geeignet bestimmen.

Nicht konsensfähig in diesem Sinne sind z.B. „parteiliche“ Normen, die normative Unterschiede zwischen Individuen oder Gruppen machen, nicht weil es sachliche Unterschiede zwischen diesen gibt, sondern allein deswegen, weil es sich das eine Mal um das Individuum bzw. die Gruppe X handelt, und das andere Mal nicht.

Wenn ich z.B. der Regel folge: „Immer wenn mir die Wahrheit unangenehm ist, habe ich das Recht zu lügen“, so muss ich dieses Recht auch allen anderen zugestehen und nicht nur mir, weil ich es bin. Wenn ich das nicht wollen kann, dann kann es keine konsensfähige Norm sein. (Noisette kommt dies sicherlich vertraut vor. Allerdings begründet Kant dies anders. Aber wie dem auch sei, ich will hier keine Kant-Diskussion lostreten!)

Nicht konsensfähig sind weiterhin solche Normen, die normative Unterschiede aufgrund von Merkmalen machen, die für eine normative Beurteilung irrelevant sind. Bei der Beurteilung einer Körperverletzung ist es z.B. irrelevant, ob der Täter blond war oder dunkelhaarig, ob er es an einem Donnerstag oder Freitag getan hat, ob es in Hamburg oder München geschah usw. (Zu klären bleibt hier allerdings, warum diese Merkmale irrelevant sind.)

Nicht konsensfähig sind Begründungen, die Annahmen über die Wirklichkeit enthalten, die nicht intersubjektiv nachprüfbar sind. („Diese Regeln hat Gott Moses am Berg Sinai verkündet“, „Diese Regeln hat Mohammed gegeben und Mohammed ist Gottes Prophet“).

Konsensfähig zu sein scheinen mir gewisse elementare Rechte, die jedem mündigen Individuum zustehen: Das Recht, frei zu handeln (sich zu bewegen, sich zu kleiden, seine Meinung zu äußern, sich mit anderen zusammenzuschließen) solange nicht die konsensfähigen Rechte anderer verletzt werden. Die Konsensfähigkeit dieser „Menschenrechte“ wären noch genauer zu klären.

Konsensfähig zu sein scheint mir auch die Zielsetzung, den Untergang der Menschheit zu verhindern. Allerdings lassen sich daraus nur mit Hilfe zahlreicher zusätzlicher Annahmen konkrete Normen ableiten.

Soviel für heute. Ich hoffe, dass die Luft bei diesen notwendigerweise sehr allgemeinen Gedankengängen nicht zu dünn geworden ist und ich mich einigermaßen verständlich machen konnte.

Gruß an alle Denkerinnen und Denker Eberhard.

p.s. Fast hätte ich es vergessen: Fröhliche Ostern!


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 21. Apr. 2003, 02:00 Uhr

Hallo Noisette,

Unter diesem Primat verstehe ich die Tatsache, dass die Aussagen der Naturwissenschaften von Philosophie oder Religion nicht widerlegt werden können, diese aber die Aussagen von Philosophie oder Religion sehr wohl widerlegen können. Beispiele habe ich ja bereits genannt.

Dass die Naturwissenschaften die Existenz Gottes nicht beweisen können liegt daran, dass die Theisten Gott als etwas Nichtbeweisbares definiert haben. Auf die "großen Fragen" der Menschheit können sie zwar Antworten geben, doch diese gefallen vielen Menschen eben nicht.

Gruß HP

PS. Über Eberhards Beitrag muss ich noch nachdenken.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 21. Apr. 2003, 11:09 Uhr

Hallo Eberhard,

zwei eng verwandte Begriffe sind es, an denen ich beim Lesen deines Beitrags hängen geblieben bin.

1. Konsensfähigkeit. Der Begriff konsensfähig (früher anerkennbar) ist immer noch nicht klar definiert. Wann ist eine Norm konsensfähig?
a. Hängt das von der persönlichen Sicht des Einzelnen ab oder gibt es dafür objektive Kriterien? Ist zB Geburtenkontrolle konsensfähig? Objektiv sicher ja, subjektiv eben nicht.
b. Bedeutet konsensfähig, dass a l l e diese Norm anerkennen, oder genügt dir eine Mehrheit?

2. Zwang. Du möchtest, dass ein moralisches System "... von jedem Individuum zwanglos akzeptiert werden kann, das zum einen die Argumente versteht und das zum andern das Ziel einer zwanglosen Einigung teilt?" Da es bereits X moralische Systeme auf dieser Welt gibt, sehe ich keine Chance, dass eine zwanglose Einigung möglich ist. Noch nie hat sich eine Rechtsordnung (= normierte Moral) in der Welt ohne Zwang etabliert. Im Gegenteil, eine wesentliche Eigenschaft des Rechts ist es, dass eine entsprechende Macht dahinter steht, es durchzusetzen.
Oder akzeptierst du den Zwang der Mehrheit über die Minderheit?

Eine Änderung unser normierten Moral - und auf die kommt es ja in erster Linie an - ist mE. nur durch den "Zwang des Faktischen" möglich. Je eher wir die Zwänge und die Folgen ihrer Nichtbeachtung erkennen, desto verträglicher werden die notwendigen Änderungen sein. Agiert man erst, wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, kriegt man existenzielle Probleme. Ein Blick in die derzeitige innenpolitische Situation der BRD zeigt dies anschaulich.

Vielleicht sollte man in Sachen Moral nicht allzu harmoniesüchtig sein?

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 21. Apr. 2003, 11:53 Uhr

zunächst auch Frohe Ostern an alle!
hallo noisette,
> [quote author=Hanspeter]
Ich denke, der Primat der Naturwissenschaft sollte doch unbestritten sein ... [/quote]

warum?<

dein warum ist völlig berechtigt, das Primat der Naturwissenschaft gilt selbstverständlich nur für die Naturwissenschaft.
Wenn ein Physiker sich über die Wechselwirkung der Atome äußert, hat er die Autorität des Fachmannes, was man ein Primat nennen darf; äußert er sich aber etwa über Sytemeigenschaften von Leben oder gar Moral des Menschen, macht er eine entscheidende Grenzüberschreitung, er spricht dann sebstverständlich nicht mehr mit der Autorität des Physikers und verliert damit natürlich sein Primat, das hat dann der Biologe oder der Philosoph, je nach Problemstellung. Das hat nicht damit zu tun, dass höhere Systeme sich physikalischer Bausteine bedienen - ich erinnere and den Satz von Aristoteles: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Das wollen Physiker oft nicht verstehen.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 21. Apr. 2003, 11:56 Uhr

2
Hierzu noch ein Beispiel. Eines Software benötigt zur "Aktivierung" eine Hardwarebasis. Die Art der Hardware ist dabei meist unwichtig, sie kann Metall, Plastik, Glas oder sontwie äquivalent realisiert werden. Umgekehrt ist es aber vollständig unmöglich, aus der hardware auf die software zu schließen. Aus einem Legostein kannst du nicht herauslesen, was du alles damit bauen kannst.
Der Der Naturwissenschaftler ist also bezüglich der menschlichen Moral nicht kompetent. Selbstverständlich bleibt auch ihm unbenommen sich an der Diskussion zu beteligen. Aber auch "Naturrechte" sind menschliche Erfindungen, man kann die Natur "verschwenderisch" oder "grausam" nennen, keinesfalls aber moralisch oder unmoralisch, sie i s t einfach.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 21. Apr. 2003, 11:58 Uhr

3
Nun zu Kant:
In meinen Augen ist es sein Verdienst ethisches Verhalten ohne mythische oder religiöse Herleitungen ganz auf rationale Vernunftbasis zu reduzieren.
Dies ist sicher ein ganz elementarer philosophischer Durchbruch, hat aber seinen Schwachpunkt, wie du ja selbst mehrfach beklagt hast, in der praktischen Durchführbarkeit. Der Mensch müßte bei jeder Handlung alle Konsequenzen erkennen können, das ist für wahr eine Überforderung.
Das ist ja die Stärke der Religionen, dass sie sozusagen Küchenrezepte für den Alltag anbieten, die auch ohne die Belohnung im jenweits ohne viel Nachdenken unser handeln bestimmen kann. Ich habe mir allerdings früher eine Rüge bei meinem Religionslehrer eingehandelt, als ich feststellen wollte, dass das Wertvollste des Glaubens seine Moralkodex darstellt. Die Antwort war: über allem anderen steht das erste Gebot: du sollst keine fremden Götter neben mir haben. Dies ist wir wie alle aktuell sehen können ein Freibrief für alles einschließlich Mord.
Und hier ist mir Kant doch lieber.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 21. Apr. 2003, 12:06 Uhr

4
Aristoteles - ich bin keinesfalls ein Jünger von ihm - habe ich nur deshalb ins Spiel gebracht, weil er pragmatischer "menschenangepasster" als Kant argumentiert. Man könnte fast sagen seine Ethik ist egoistischer, sie ist identisch mit dem Streben des Menschen nach individueller Glückseligkeit, nicht nur der Verstand auch die Gefühle kommen sozusagen auf ihre Kosten, wobei die Vernunft den Gefühlen ihr rechtes Maß vermittlen soll, eine außerordentlich moderne und realistische Denkweise, wie ich meine.
Damit müßte doch der Wunsch von Eberhard und wohl allen selbstbewußten modernen Menschen nach Verzicht auf Zwang von "außen" zu erfüllen sein.
HP muß ich insofern Recht geben, das nicht nur ein Individuum sich verteidigen darf, sondern die Einhaltung bestimmter Normen ohne Zwang oder nennen wir es Gewalt nicht funktioniert. Das ist aber letztlich kein Widerspruch, da Demokratie ja Sanktionierung dieser Normen durch den einzelnen meint.
Gruß
Paul

Titel: Ist moralisches Verhalten biologisch festgelegt?
Beitrag von Eberhard am 21. Apr. 2003, 17:21 Uhr

Hallo Hanspeter,

zu dem Unterthema „Evolutionstheorie und Ethik“ möchte ich als Nicht-Biologe einige Anmerkungen machen. Heschl schreibt:

"Denn wenn schließlich unser gesamtes moralisches wie auch kognitives Verhalten evolutiv durch Mutation und Selektion entstanden und somit in unseren Genen verankert ist - und in der Tat, dies kann aus der Evolutionstheorie abgeleitet werden -, dann hat es logischerweise keinen Sinn mehr, darüber zu diskutieren, ob dieses selbe Verhalten in jenen spezifischen Situationen, für die es über viele Generationen hinweg selektiert worden ist, auch praktiziert werden soll oder nicht. Es wird einfach geschehen, mehr kann dazu nicht gesagt werden."

Es ist zwar richtig, dass unser gesamtes moralisches wie auch kognitives Verhalten .. in unseren Genen „verankert“ ist, aber diese „Verankerung“ muss nicht in Form von genetisch festgelegten Verhaltensprogrammen erfolgen. Die Verankerung kann sich auch auf die Bereitstellung von Kapazitäten zum Aufbau von variablen und revidierbaren Verhaltensprogrammen beschränken.

Um den Sachverhalt in Analogie zum Aufbau eines Computers zu erläutern: Die veränderlichen Verhaltensprogramme in diesen „Re-Writable“-Speichern werden nicht über den „internen Speicher“ Genom biologisch an die Nachkommenschaft weitergegeben sondern KULTURELL durch sprachliche Weitergabe des Wissens in mündlicher oder schriftlicher Form (Lehren und Lernen).

Das kognitive und moralische Verhalten der Menschen resultiert insofern nicht einfach aus genetischer Mutation und Selektion, sondern bildet sich heraus in Prozessen der Information, Kritik und Erfindung, wie sie im kleinen Maßstab z.B. auch in dieser Diskussionsrunde ablaufen. Die Biologie hat das philosophische Nachdenken also nicht überflüssig gemacht.

Gruß Eberhard


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 22. Apr. 2003, 07:00 Uhr

Hallo
1. An alle Naturwissenschafts-Skeptiker.

Ich habe in meinen beiden Beiträgen zum Thema Primat der Naturwissenschaften klar geäußert, dass es um Aussagen geht, die die Nat.Wiss. b e w i e s e n hat.
Ferner kommt es nicht darauf an was irgend ein Physiker, sonder was die Physik sagt. Wenn ein Physiker sich über Moral äußert, so ist das genauso richtig oder falsch, wie wenn sich ein Theologe dazu äußert, wobei ich davon ausgehe, dass keine Nat.wiss. die Aussage des Physikers bewiesen hat.

Kompetenzüberschreitungen gibt es in der Wissenschaft nicht. Ein Beweis ist richtig oder falsch, unabhängig von der Person oder ihrer Kastenzugehörigkeit, die ihn durchführt. Nebenbei, es waren gerade die Philosophen und Theologen, die sich zu Fragen der Nat.Wiss. sehr dezidiert und auch sehr aggressiv geäußert haben. Aber das stört nicht. Hätten sie Recht behalten, wäre alles in Ordnung gewesen.

Akzeptieren würde ich dagegen den Vorwurf, diesen Primat auf die Nat.Wiss. beschränkt und nicht alle exakten Wissenschaften, wie zB Mathematik, miteinbezogen zu haben. Dann ernenne ich diese eben zu Nat.wiss. h.c.
Ich halte die Trennung von Natur- und Geisteswissenschaften ohnehin für obsolet. Die Kriterien für exaktes wissenschaftliches Arbeiten gelten allgemein.

2. An alle Aristoteles-Fäns.

Paul schreibt zum wiederholten Mal: "ich erinnere and den Satz von Aristoteles: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Das wollen Physiker oft nicht verstehen." Der Grund, warum die Physiker das nicht verstehen wollen, ist klar: Dieser Satz gehört zu den nicht seltenen philosophischen Nonsens-Sätzen, die man immer wieder liest. Sätze vom Kaliber: "Ich weiß, dass ich nichts weiß", oder "Ich denke, also bin ich."

Der Satz soll ja wohl keine mathematische Aussage sein, sondern beinhalten, dass die Eigenschaften des Ganzen mehr sind, als die summierten Eigenschaften seiner Teile. Und das ist Nonsens, weil die Eigenschaften des Ganzen nur peripher etwas mit den Eigenschaften seiner Teile zu tun hat.
Die Eigenschaften des Alkohols lassen sich nicht aus den Eigenschaften der H-, C- und O-Atome erklären. Der Alkohol ist auch nicht mehr und nicht weniger als die Summe seiner Teile, er ist etwas anderes. Skeptikern empfehle ich, eine Kohle-Tablette und ein Wasserstoff-Sauerstoff-Gasgemisch zu schlucken und sich dann eine Zigarette anzuzünden. Sie werden garantiert nicht weniger erleben, als wenn sie rauchend ein Glas Schnaps trinken, sondern etwas ganz anderes!!

Ein weiteres Beispiel: Für den Erbauer einer Kathedrale haben die Bausteine im Wesentlichen die Eigenschaft einer Materie mit einer bestimmten Form, mechanischen Qualität, Farbe und einem bestimmten Preis.
Die Zusammensetzung und die Kristallstruktur der sie aufbauenden Aluminiumsilikate interessieren ihn nicht. Dafür interessiert sich dagegen der Mineraloge. Dem wiederum ist es wurscht, ob aus dem Stein eine Kathedrale oder ein Bordell gebaut wird. Was das "Ganze" ist, ist auch eine Frage des Betrachters. Für einen Mineralogen ist der Stein etwas Komplexeres als die Kathedrale, für den Historiker die Kathedrale etwas Komplexeres als der Stein.

Gruß HP



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 22. Apr. 2003, 07:02 Uhr

Hallo Eberhard,

auch ich nehme an, dass der zweite Teil deines Kommentars zutrifft.

Erstaunt hat mich aber dein Satz: "Es ist zwar richtig, dass unser gesamtes moralisches wie auch kognitives Verhalten .. in unseren Genen "verankert" ist, aber diese "Verankerung" muss nicht in Form von genetisch festgelegten Verhaltensprogrammen erfolgen."
Wenn dieses Verhalten verankert ist, dann müssen es wohl auch die Programme sein, denn die Programme steuern ja das Verhalten. Oder sehe ich das falsch? So gesehen wärst du schon heschlistischer als ich.
Aber noch einmal, wir können das Problem nicht lösen, das geht nur mittels experimenteller Untersuchungen.

Gruß HP




Titel: GENE
Beitrag von margarete am 22. Apr. 2003, 07:39 Uhr

Hallo Hanspeter-

außer meiner Haarfarbe habe ich sicherlich noch andere Gene auf Lager die mir mein Überleben sichern sollen, aber so fertige Programme, da ist mein Rechner schon längst im out.

Ich hoffe ich bin lernfähig, und kann gegebenenfalls untergetauchte und emporwallende, längst vergessene Programme neu aufschlüsseln und der Zeit anpassen.

Sind gespeicherte Informationen für dich eine rein biologische Hardware?

Grüße Margarete



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Majo am 22. Apr. 2003, 13:32 Uhr

Kognitives und moralisches Verhalten sind nicht in den Genen verankert. Welche Gene sind für Kognition und welche für Moral verantwortlich? Gibt es denn bestimmte Enzyme, die Moral katalysieren oder Proteingerüste, an denen sich die Kognition entfaltet? Welche Gene steuern denn die räumlichen und spezifischen Prozesse von Ganglienzellen? Welche Gene werden angeschaltet, damit wir über Moral verfügen? Oder soll ich mir vorstellen, dass irgendwo auf diesem ellenlangen Ketten der DNS Geheimnisvolles sich befindet. Oder ist es einfach nur schick, wenn man sich mit ernster Miene ganz tief runter beugt?

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 22. Apr. 2003, 13:54 Uhr

Hallo Margarete,

gespeicherte Infos sind für mich biologische Software.

Gruß HP

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Marcel am 22. Apr. 2003, 21:13 Uhr

[I]
Hallo Hanspeter,

<Wenn ein Physiker sich über Moral äußert, so ist das genauso richtig oder falsch, wie wenn sich ein Theologe dazu äußert,>
Grundsätzlich würde ich dem zustimmen; Ethiker (oder Theologen) sind sicherlich nicht "moralischer" oder wissen besser, was "moralisch" ist und was nicht (na gut, manche Theologen meinen das vermutlich tatsächlich, Ethiker wird man aber kaum welche finden).

Aber sie haben analytische Methoden als "Handwerk" gelernt, die es ihnen ermöglichen, ethische Urteile zu analysieren, implizite normative Elemente in Aussagen herauszufiltern, diese auf ihre rationale Konsistenz hin zu untersuchen usw. usf.

Das würde ich nicht unterschätzen - es macht schon einen Unterschied, ob ein Ethiker oder ein Nicht-Ethiker (damit meine ich: Ein Laie in der *Ethik*, nicht in der Moral!) Ethik betreibt; die Anzahl an naturalistischen Fehlschlüssen u.Ä. in ethischen Argumentationen steigt gewissermassen propositional zur Anzahl Ethik-Laien in einer Gesprächsrunde (zumindest kommt es mir oft so vor ;-)).

<Kompetenzüberschreitungen gibt es in der Wissenschaft nicht.>
Da wäre ich eher vorsichtig, auch wenn ich denke, dass ich verstehe, was du meinst. Es scheint mir aber so etwas zu pauschal. Wissenschaft ist nun mal Spezialistentum (oder weniger freundlich ausgedrückt: Ein Fachidioten-Verbund ;-) ). Die jeweiligen Vertreter der jeweiligen Disziplinen sind auf ihren Gebieten kompetenter als andere, selbst wenn *prinzipiell* jede Begründung und jeder Beweis selbstverständlich auf rationale Weise intersubjektiv nachvollziehbar sein muss (oder sollte).

Ich denke, diese Grenzen sollte man nicht ignorieren; ein Physiker ist nun mal kein Soziologe, und ein Soziologe kein Physiker. Wenn diese Fachkompetenzen bestritten werden, kommen oft seltsame Dinge heraus (nichts gegen z.B. Prof. W. Singers neurologische Arbeiten, die sind beeindruckend; aber als er sich im Rahmen seiner Unfreien-Wille-Theorie auf die soziologische und sogar medienwissenschaftliche Ebene verlagerte, wurde es dann m.E. schon eher kritisch - dieser Aspekt der Theorie war viel zu unreflektiert und kann m.E. kaum mehr Anspruch erheben als eine persönliche Laien-Meinung, die jeder Mensch über soziologische Verhältnisse anstellen kann. Als "wissenschaftliche Aussage" schien mir dieser Teil der Theorie aber viel zu gewagt; eben, er ist halt Neurologe, nicht Soziologe. Aber das nur als exemplarisches Beispiel).

<Nebenbei, es waren gerade die Philosophen und Theologen, die sich zu Fragen der Nat.Wiss. sehr dezidiert und auch sehr aggressiv geäußert haben>
[confused] Es ist eine seltsame Tendenz, die sich meiner Meinung nach besonders in der populärwissenschaftlichen Philosophie oder Philosophiewahrnehmung entwickelt hat, die Philosophie als "Gegner" der Naturwissenschaften zu sehen.

Rein philosophiegeschichtlich gesehen kann diese These ja schon ziemlich gut widerlegt werden. Philosophen wie Rudolf Carnap, W.V.O Quine, Sellar, heute z.B. David M. Armstrong oder Bernard Williams sind ja alles ausgewiesene Physikalisten oder Naturalisten, die in ihrer Funktion als Wissenschaftstheoretiker das "Primat der Naturwissenschaft" (wenn man's so nennen möchte) begründet haben oder begründen wollen - also alles andere als "aggressive Naturwissenschaftsgegner" sind.

Tatsächlich sind es m.E. eher diese philosophischen Strömungen, die zu diesem "Primat" geführt haben, und nicht die "Naturwissenschaft selbst" (schliesslich wurde der "science war", der "Krieg" zwischen Natur- und Sozial-/Geisteswissenschaften nicht durch die Einzelwissenschaftler, sondern primär durch die Wissenschaftstheoretiker - also Philosophen - ausgelöst; diskutiert wurde und wird er dann freilich überall).

Philosophie und Naturwissenschaft sind keine Gegensatzpaare; es wundert mich immer wieder, dass das in irgendeiner Weise geglaubt oder vermutet wird.

>2

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Marcel am 22. Apr. 2003, 21:16 Uhr

[II]

<Die Kriterien für exaktes wissenschaftliches Arbeiten gelten allgemein.>
Grundsätzlich damit einverstanden. Nicht einverstanden wäre ich aber, wenn damit vernachlässigt wird, dass jede Disziplin eigene Methoden hat und daher "exaktes wissenschaftliches Arbeiten" nicht durch EINE Methode definiert werden kann (z.B. der naturwissenschaftlichen; kommt leider im Rahmen des "science war" relativ oft vor).

Eine hermeneutische Methode in der Geschichtswissenschaft z.B. muss ebenfalls exakt sein (diese Forderung unterstütze ich voll und ganz), aber es ist völlig absurd, diese disziplinenbezogene Methode mit den disziplinenbezogenen Methoden einer anderen Einzelwissenschaft zu vergleichen und dann zu sagen "Ist nicht exakt!" (wie heisst es so schön: Äpfel mit Birnen vergleichen ...). Einfach als kritische Anmerkung.

<Dieser Satz gehört zu den nicht seltenen philosophischen Nonsens-Sätzen, die man immer wieder liest. Sätze vom Kaliber: "Ich weiß, dass ich nichts weiß", oder "Ich denke, also bin ich.">
Zu Descartes cogito-Argument: Darf ich fragen, ob du das ganze cogito-Argument in den "Meditationes" gelesen und nachvollzogen hast oder einfach nur das (allseits bekannte) Enthymem "cogito ergo sum" kennst? Wenn ja, dann würde ich schon gerne ein paar vernünftige Argumente von dir lesen, warum diese Konklusion "nonsens" ist; es ist, auch wenn ich nicht mit allem einverstanden bin (und Descartes auch der eine oder andere Fehler nachgewiesen werden konnte), dennoch ein beeindruckendes Beispiel streng rationaler Argumentation.
Wenn du seine Argumentation gar nicht wirklich kennst, fände ich deine Behauptung nicht gerade "wissenschaftlich"; kritisieren ja, aber man sollte wenigstens ein bisschen Ahnung haben von dem, was man kritisiert.

Selbiges gilt übrigens für das sokratische Nichtwissen, "Ich weiss, dass ich nichts weiss." In dieser verkürzten Form klingt es freilich nicht sonderlich überzeugend; aber auch hier wird vergessen, dass dieser Spruch im Grunde eine Konklusion eines ganzen Argumentationsvorgangs ist. Gemeint ist damit im Grunde eine skeptizistische Konklusion, dass ich mir nie sicher sein kann, tatsächliches (absolutes) Wissen zu besitzen (und da nach der antiken Definition "Wissen" als "absolutes Wissen über die metaphysische Beschaffenheit der Welt" etc. definiert wurde, können wir demnach nie wirklich etwas "wissen") - eigentlich mehr oder weniger eine Position, die man heute "Fallibilismus" nennt und Inbegriff (fast) jeder modernen Wissenschaftstheorie ist, gerade der naturwissenschaftlichen (spätestens seit Karl Popper).

Diese "Sprüche" standen alle in einem Kontext und werden heute tatsächlich oft etwas gedankenlos eingesetzt.

Nun zum Aristoteles-Satz. Ich gebe dir durchaus recht, dass dieser Satz nicht so gehaltvoll ist, und auch deine Beispiele zeigen diese Probleme auf.
Aber man muss vorsichtig sein: Dieses Konzept wird heute stark diskutiert, man nennt es "Emergenz" (nach dem britischen Emergentismus des frühen 20. Jahrhunderts; übrigens waren diese Positionen, wie viele moderne emergentistische Positionen, ausgesprochen naturalistisch). Auf deine Einwände wird dort durchaus versucht, einzugehen, indem versucht wird zu explizieren, was "emergente Eigenschaften" usw. genau darstellen, wo sie vorkommen können, unter welchen Bedingungen etc. (die übrigens ausgesprochen restriktiv sind). Heute werden dazu meistens systemtheoretische Ansätze gewählt, und systemische Eigenschaften (die dann emergent sind) wären Eigenschaften, die ein System nur deswegen ausbilden kann, weil es eben genau dieses System mit einer spezifischen Systemkonfiguration ist. (Der Einwand wurde aber auch schon gemacht, wie man praktisch diese systemischen Eigenschaften von nicht-systemischen unterscheiden können soll).

Freilich bleiben einige Probleme (besonders mit der sog. "downward causation", also abwärts gerichteten kausalen Wirkung), ich glaube aber nicht, dass man das Konzept jetzt schon so einfach, wie du das gemacht hast, ad acta legen kann, dazu wurde noch zu wenig geforscht; der Reduktionismus brauchte auch einige Jahrhunderte bis zu seiner "Perfektion". (Eine gute, einfache Übersicht zum Thema Emergenz bietet z.B. Achim Stephan: Emergenz. Von der Unvorhersagbarkeit zur Selbstorganisation. Dresden UP 1999).

(Nebenbei gibt es sehr wohl auch Naturwissenschaftler, die in diese Richtung gehen oder dazu tendieren; ich halte Pauls Pauschalaussage "Physiker wollen das oft nicht verstehen" für nicht sehr brauchbar; es gibt genauso Philosophen, die das "nicht verstehen" und dagegen argumentieren, nicht nur Physiker ...).

Grüsse,
Marcel

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 22. Apr. 2003, 23:37 Uhr

hallo Marcel,
ich danke für deine inhaltliche Unterstützung,
möchte aber auf einige Aspekte der Wissenschafttheorie noch einmal eingehen, da deine richtigen Ausführungen unverständlicherweise mit Kritik an meinen Formulierungen verküpft wurden. Ich bin halt ein Freund möglichst einfacher Formulierungen.
Es sind nur zusammengefasste Wiederholungen aus früheren threads über das gleiche Thema.
Eine einheitlicher auf Begründung basierender Wissenschaftsbegriff wurde bereits im 19. Jahrhundert aufgegeben.
Die Geisteswissenschaften grenzten sich in ihrer Zielsetzung bewusst von den so effektiven Naturwissenschaften ab: Ihre Methode ist das Auslegen, die Hermeneutik, wie du ja sagst, zielt somit auf das Verstehen. Die Erkenntnisse der Geisteswissenschaften liefern keine Gesetzmäßigkeiten und ermöglichen somit auch keine Voraussagen. Die "Begründungen" der Geisteswissenschaften sind in der Regel nicht exakt zu überprüfen, sondern bieten ihrerseits die Möglichkeit der Auslegung.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 22. Apr. 2003, 23:41 Uhr

2
Für die Naturwissenschaften gilt nach wie vor die Notwendigkeit einer n a c h p r ü f b a r e n Begründung. Die Methode der Naturwissenschaften ist Induktion und ihr Ziel ist das Erklären empirischer experimenteller Fakten durch eine Theorie, die im Gegensatz zur Geisteswissenschaft Voraussagen für zukünftige Fälle ermöglicht. Dies ist ihre Power, auf der letztlich unsere ganze alltägliche Technik aufgebaut ist. Das Primat bleibt aber bei der Empirie, beim Experiment nicht bei der Theorie (wie bei der Theologie). Eine experimentelle Überprüfung setzt eine kontrollierbare Methodik voraus, so dass jeder Interessierte - entsprechende Unterweisungen vorausgesetzt - in der Lage ist, die Resultate zu reproduzieren und damit die Theorie selbst zu überprüfen.
Der von mir zitierte Satz von Aristoteles (stammt möglicherweise gar nicht von ihm) ist alles andere als "nicht so gehaltvoll". Er ist die einfachste Formulierung für das von dir zitierte Emmergenzphänomen. Dies wird sofort klar, wenn man als Gegenprobe seine Ungültigkeit postulieren würde. Dann wäre in jedem Atom von dir ein kleiner Marcel versteckt, oder sagen wir konsequent, das ganze Universum.

Titel: Was heißt "genetisch verankert"?
Beitrag von Eberhard am 22. Apr. 2003, 23:42 Uhr

Hallo Hanspeter,
Zu Heschl: Ich habe das von Heschl benutzte Wort „verankern“ ganz bewusst in Anführungszeichen gesetzt, weil es sich dabei um eine Metapher, um Bildersprache aus der Seefahrt handelt, die ich in wissenschaftlichen Diskussionen möglichst vermeide.

Prompt hat es Missverständnisse gehagelt, weil jeder unter „genetischer Verankerung“ etwas anderes versteht.

Ich habe damit nur gemeint, dass der Aufbau des menschlichen Gehirns mit seiner vergleichsweise riesigen Großhirnrinde, in dem der Erwerb von Sprache, Wissen und moralischen Standards stattfinden kann, genetisch festgelegt ist. Nicht genetisch festgelegt sondern kulturelles Erbe sind dagegen die jeweiligen Inhalte, was daran ersichtlich ist, dass diese variieren. Also: Die Fähigkeit zum Erlernen einer komplexen Sprache ist den Menschen angeboren, nicht jedoch, dass sie deutsch oder französisch sprechen.
D’accord? Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 22. Apr. 2003, 23:43 Uhr

3
Die Emergenztheorie, wie überhaupt alle holistische Denkansätze zeigen den wichtigsten methodische Schwachpunkt der Naturwissenschaft, nämlich der Analytik, also der isolierten Betrachtung der Bausteine, was zwangsläufig zum Verlust von Sytemeigenschaften (Emergez) führen muß.
Dieses Defizit wird aber häufig gar nicht mehr wahrgenommen was insbesondere in leienfreundlichen Formulierungen zu Tage tritt (Glückshormon etc.). Freilich gibt es zahlreiche Grenzwissenschaften, die sich gerade auch mit Emmergenzproblemen beschäftigen, sehr spannend.
Der Physiker war für mich nur ein Beispiel, alles andere als eine Pauschalierung, dafür habe ich viel zu viel Respekt vor diesen Menschen. Er eignet sich im Einzelfall halt besonders gut zur Unterscheidung von analytischer und "holistischer" Denkweise. Einige Physiker, es sind ja auch nur Menschen, wollen doch partout Funktionseigenschaften des Gehirns (Bewustsein) quantenmechanisch erklären, was nun mal nonsense ist. Auf der gleichen Ebene bewegt sich das Verhältnis von Naturwissenschaft und Ethik.
Gruß
Paul


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 23. Apr. 2003, 04:58 Uhr

Hallo Marcel

Ich gebe zu, beim Anblick von Holzklötzen ergreift mich gelegentlich die satanische Lust, zur Axt zu greifen. Aber du mahnst zu Recht feineres Werkzeug an.

1. Ethik - Moral (leider eine Wiederholung). Da die Philosophen Begriffe nicht normieren, gilt für mich nach wie vor die Vielzahl der individuellen und normierten Moralen bei der Einheit der Ethik, sprich, die Ethik ist die Theorie zu den Moralen. Und da stimme ich mit dir überein, dass der Ethiker im Urteil über moralische Fragen mehr Erfahrung hat, als der "Laie", was aber keine Gewähr für seine moralische Integrität ist.

2. Zum Kompetenzstreit: Kompetenz resultiert nicht aus der Zugehörigkeit zu einer Kaste, sondern aus der persönlichen intellektuellen Kompetenz. Natürlich weiß der durchschnittliche Physiker mehr über Physik als über Soziologie und umgekehrt. Deshalb wird auch der durchschnittliche Physiker erst dann ein soziologisches Urteil fällen, wenn er sich entsprechend kundig gemacht hat. Und der Soziologe wird dieses Urteil, so es seiner Ansicht nach falsch ist, nicht mit der Bemerkung kontern, "du bist kein Soziologe, sondern Physiker, deshalb hast du hier das Maul zu halten", sondern er wird entsprechend sachorientiert argumentieren, so als wäre der Physiker ein Soziologe. Das gilt selbstverständlich auch vice versa.

Mein Satz: "Nebenbei, es waren gerade die Philosophen und Theologen, die sich zu Fragen der Nat.Wiss. sehr dezidiert und auch sehr aggressiv geäußert haben" ist tatsächlich missraten. Er sollte besser lauten: "...es gab und gibt auch Philosophen und Theologen...", wobei ich vor allem an die Geschichte der Astronomie dachte. Mea culpa.

3. Deiner Sichtweise über die Fachidioten kann ich nur voll zustimmen. Anders ist die Sache meines Erachtens bei der Philosophie. Der Philosoph (nicht zu verwechseln mit dem Historiker der Philosophie) kann kein Fachidiot, sondern sollte ein Generalist sein, der über alle gängigen Disziplinen einen Überblick hat. Insofern ist es mir auch unverständlich, warum zum Philosophen nicht notwendigerweise auch eine naturwissenschaftliche Grundausbildung gehört. Wie soll er die Welt verstehen, ohne die Natur zu verstehen?
Damit ist klar, dass ich deiner Aussage: "Philosophie und Naturwissenschaft sind keine Gegensatzpaare.." voll zustimme.

4. Die Frage, was eine exakte Wissenschaft ist, lässt sich, so denke ich, gut festlegen (zB. J.A.Moore, Science as a Way of Knowing, Cambridge, 1993 uva.). Gegen die Hermeneutik ist sicher dann nichts zu sagen, wenn sie versucht, nach "bestem Wissen und Gewissen" Texte auszulegen. Wichtig ist nur, dass man die Auslegung nicht als Wahrheit begreift (wozu die Theologen tendieren), sondern als die Wahrheit, wie sie die Verfasser der entsprechenden Schriften sahen.

Fortsetzung folgt.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 23. Apr. 2003, 05:01 Uhr

Hallo Marcel,

5. Philosophische Sätze.
a. Zu "Ich denke, also bin ich".
Du schreibst: "...aber man sollte wenigstens ein bisschen Ahnung haben von dem, was man kritisiert." Ein bisschen Ahnung habe ich vielleicht, aber bestimmt eine etwas andere Sicht. Ich gehe davon aus, dass ein philosophischer Satz so gilt, wie er da steht und frage primär nicht, wie ist der Autor dazu gekommen. Ferner gehe ich davon aus, dass ein Philosoph in der Lage ist, eine conclusio so zu formulieren, dass sie hieb- und stichfest ist. Ich muss ja bei einer physikalischen Formel auch nicht deren historische Herleitung kennen, um festzustellen, ob sie stimmt oder etwas Relevantes aussagt. Und ich erwarte auch von einer physikalischen Formel, dass sie hieb- und stichfest ist.

Eingedenk dieser Sichtweise komme ich zum Resultat, dass der Satz: "Ich denke, also bin ich" zwar stimmt, aber keine relevante Aussage enthält. Wenn ich sage, "ich pinkle, also bin ich" ist das genauso richtig. Und, nach meiner Erfahrung, ist dieser Satz über die Existenz einer Person noch aussagekräftiger, weil ich sehr wohl Menschen kenne, die nicht denken, jedoch niemanden, der nicht pinkelt. Damit sage ich selbstverständlich nichts gegen die denkerischen Leistungen Descartes. Ob dies allerdings das einzige Ergebnis seiner Meditationen ist, weiß ich nicht. Mir kommt es etwas dürftig vor. Aber das ist nicht das Problem.

b. Selbstverständlich gilt dies auch für den Satz von Sokrates. Hätte er gesagt, "ich weiß, dass ich wenig weiß" oder sonstwie das Problem der Erkenntnis relativiert, kein Problem.

c. Das Konzept der Emergenz ist für mich eine Bestätigung meiner Kritik am Aristoteles-Satz: Definiert man mit Emergenz die Tatsache, "dass sich in der Ganzheit eines Seienden oft Eigenschaften zeigen, die sich aus ihrer Substanz nicht erklären lassen" (Encarta-Lexikon), so entspricht das meiner Feststellung, dass das Ganze nicht mehr oder weniger als die Summe seiner Bausteine ist, sondern etwas anderes. Waren das nicht meine Worte?

Noch einmal: Einen Satz, der nur teilweise und nur in einem bestimmten historischen Kontext gültig ist, halte ich für ungeeignet, als Beweis für die Richtigkeit einer Argumentation eingesetzt zu werden.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 23. Apr. 2003, 05:05 Uhr

Hallo Eberhard,

bei dir geht's kürzer. Ich habe mir gedacht, dass du die Heschl-Geschichte so siehst. Daher ein volles und uneingeschränktes
D'A C C O R D !

Gruß HP

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von noisette am 23. Apr. 2003, 13:30 Uhr

[quote author=Hanspeter]

Zum Kompetenzstreit: Kompetenz resultiert nicht aus der Zugehörigkeit zu einer Kaste, sondern aus der persönlichen intellektuellen Kompetenz. Natürlich weiß der durchschnittliche Physiker mehr über Physik als über Soziologie und umgekehrt. Deshalb wird auch der durchschnittliche Physiker erst dann ein soziologisches Urteil fällen, wenn er sich entsprechend kundig gemacht hat. Und der Soziologe wird dieses Urteil, so es seiner Ansicht nach falsch ist, nicht mit der Bemerkung kontern, "du bist kein Soziologe, sondern Physiker, deshalb hast du hier das Maul zu halten", sondern er wird entsprechend sachorientiert argumentieren, so als wäre der Physiker ein Soziologe.

[balloon] erlaube mir, einspruch zu erheben. selbst wenn sich der durchschnittliche physiker zu einem soziologischen thema 'kundig gemacht hat', reichen, von ausnahmefällen abgesehen, sein wissen und seine kompetenz wohl bei weitem nicht an die fachkompetenz des soziologen heran. er braucht deswegen nicht 'das maul zu halten', aber seine meinung wird meines erachtens mit recht weniger gewicht haben.
grüsse, n.





Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von noisette am 23. Apr. 2003, 13:38 Uhr

[quote author=Hanspeter]
... Eingedenk dieser Sichtweise komme ich zum Resultat, dass der Satz: "Ich denke, also bin ich" zwar stimmt, aber keine relevante Aussage enthält. Wenn ich sage, "ich pinkle, also bin ich" ist das genauso richtig [/quote]

[balloon] die philo-fachleute mögen mir meine laienhafte interpretation verzeihen... aber ich habe diesen satz bislang immer so verstanden, dass das denken als beweis des sich-seiner-selbst-bewusstseins betrachtet wird.
demnach würde hp's gegenvorschlag nicht funktionieren: denn bettnässer pinkeln auch im schlaf, und tiere pinkeln, (wahrscheinlich) ohne sich ihrer selbst bewusst zu sein.
;-) ....... n.




Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von ezzo am 23. Apr. 2003, 15:08 Uhr

[quote author=noisette

....aber ich habe diesen satz bislang immer so verstanden, dass das denken als beweis des sich-seiner-selbst-bewusstseins betrachtet wird.

[user]ei freilich wohl! [bounce]weiterführend auch: "sich seinerselbst bewußt sein" und sich dieses umstandes stets von neuem " bewußt sein" ad infinitum..... [bookworm]dieser regreß ist unendlich....siehe auch: gödels theorem. [surprise] [applause] [bounce]

p.s.: danke für die häsin. [smash]

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Marcel am 23. Apr. 2003, 20:29 Uhr

[I]

Hallo Hanspeter,

Vielen Dank für deine ausführliche Antwort. Wie ich sehe, sind wir in vielen gleicher oder ähnlicher Meinung. Dennoch möchte ich nochmals etwas „ausholen“, weil die verschiedenen Punkte verschiedene Themen anschneiden; ich hoffe, es sei mir verziehen (nun ja, Philosophen sind ja für ihren Redeschwall bekannt …).

1. Ethik - Moral (leider eine Wiederholung).
Ja, das Problem kenne ich. Ich habe mir daher angewohnt, in einem Gespräch nicht vorauszusetzen, dass jemand diese Unterscheidung kennt; im Alltagswortgebrauch werden sie i.d.R. ja synonym verwendet.
In diesem Fall habe ich mich geirrt. Zeit für ein mea culpa meinerseits ;-)
(in Bezug auf Punkt 2: Diese beiden Begriffe sind in der Fachethik eigentlich recht stark normiert).

2. <Da die Philosophen Begriffe nicht normieren>
Das ist eigentlich nur bedingt richtig. Ausgewiesene Fachbegriffe werden in der modernen Philosophie ebenfalls normiert (wenn man mal die heutige Ontologie-Debatte anschaut, wird man von eindeutig definierten Begriffen nur so überschwemmt … So käme wohl kein Ontologe auf die Idee, unter diachroner Identität plötzlich synchrone Identität zu verstehen).
Richtig ist aber natürlich, dass vor allem „natürliche Begriffe“ bzw. Begriffe der „Normalsprache“ in der Philosophie nicht normiert werden – das aber aus gutem Grund; Begriffsanalyse, die primäre Methode der Philosophie, wäre sonst ziemlich unproduktiv. (Das möchte ich etwas ausführen).

Begriffe normieren bedeutet i.d.R., sie nominaldefinieren. Eine Nominaldefinition ist bekanntermassen eine Konvention, eine Abmachung, die freilich weder „wahr“ noch „falsch“ sein kann. Sie muss aber zweckmässig sein und vernünftig, und zwar für das, was man mit dieser Begriffsdefinition erreichen will. D.h., wenn eine empirische Wissenschaft einen Normalsprachen-Begriff nominaldefiniert und „normiert“, dann tut sie das, um mit diesem Begriff überhaupt umgehen zu können und ihn für ihre Forschung operationalisierbar zu machen, um z.B. Indikatoren für den Begriff zu bestimmen. Das ist natürlich absolut notwendig.
Aber: Der Begriff ist damit nicht allgemeingültig „für alle Ewigkeiten“ definiert, sondern *disziplinenintern*. Wenn ein Psychologe z.B. das Phänomen „Liebe“ untersuchen will, muss er diesen Begriffen auf eine Weise nominaldefinieren, die es ihm ermöglicht, anhand seiner Disziplin mittels Indikatoren irgendetwas Sinnvolles herauszufinden. Diese Nominaldefinition wäre aber für einen Biochemiker vollkommen nutzlos; er braucht eine seiner Disziplin angepasste Definition, die es ermöglicht, diese theoretische Variable zu operationalisieren. (Dieses Vorgehen nannte u.a. Popper ja „methodologischer Nominalismus“; wir definieren zu methodischen Zwecken Begriffe, ohne aber den Anspruch zu erheben, sie „endgültig“ zu definieren).

Nun gab es natürlich in der Philosophie lange Zeit die Strömung (und ich persönlich fürchte, es gibt sie immer noch), die der Meinung waren oder sind, dass die Philosophie sog. „essentialistische Definitionen“ (Wesensdefinitionen) liefern könne – also Definitionen über das tatsächliche „Wesen“ der Dinge bzw. der durch Begriffe bezeichneten Phänomene. Solche Definitionen könnten theoretisch „wahr“ oder „falsch“ sein (entweder man erkennt das Wesen des Dings richtig oder halt eben falsch).
Hans Albert hat auf die Probleme solcher Definitionen hingewiesen (dass sie z.B. mehr über die impliziten Werturteile desjenigen, der definiert aussagen, als über den zu definierenden Gegenstand …). Dementsprechend würde ich nicht behaupten, dass die Philosophie diesen Zugriff hätte, insofern aus erkenntnistheoretischen Gründen ihn sowieso keiner hat.

Wirklich problematisch scheint mir aber weniger, dass manche Philosophen trotzdem dieser Meinung sind (und dann oft wortgewaltige Metaphysiken abliefern), sondern dass einige empirische Wissenschaftler manchmal vergessen, dass ihre Definitionen von Begriffen eben „nur“ Nominaldefinitionen sind. Wenn eine Biochemikerin ein Buch veröffentlicht, indem sie versucht zu erklären, was „Liebe“ ist („Liebe“ ist ein sehr illustratives Beispiel für dieses Thema), tritt ihre Nominaldefinition der Biochemie plötzlich als essentialistische Definition auf – aus einer Konvention, die zum empirischen Arbeiten in einer bestimmten Disziplin (notwendigerweise) verwendet wurde, wurde unvermittelt die tatsächliche „metaphysische“ Wahrheit über den Begriff bzw. des durch den Begriff bezeichneten Phänomens! Dass hier stets eine Vor-Auswahl einer bestimmten Begriffsbedeutung gemacht wird (und werden muss), sollte man nicht vernachlässigen.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Marcel am 23. Apr. 2003, 20:31 Uhr

[II]

(Noch problematischer scheint mir, dass „Laien“ in der Regel den Unterschied dieser Definitionsarten nicht kennen und vermutlich jede Definition einer Wissenschaft als „essentialistische Definition“ lesen. Ein solcher Anspruch erhebt aber keine moderne Wissenschaft, gerade die empirischen Wissenschaften nicht, da die „blosse Empirie“ keine Rückschlüsse auf die metaphysische oder ontologische Beschaffenheit der Welt zulässt. Damit dies der Fall wäre, müsste man schon bestimmte ontologische Postulate voraussetzen, die aber, wie die ganze Ontologie, prinzipiell spekulativ sind, auf jeden Fall keinen empirischen Halt haben können).

Die Philosophie kann nun mit ihrer Begriffsanalyse das „Begriffs- und Bedeutungsnetz“ eines Begriffes untersuchen und überprüfen, ob die jeweiligen Bedeutungen vernünftig und hinreichend zur Beschreibung eines Begriffs bzw. des bezeichneten Phänomens sind. Dazu kann sie sehr wohl die Nominaldefinitionen und Ergebnisse der Einzelwissenschaften aufnehmen und diskutieren (wird m.E. leider noch zu wenig gemacht). Aber da Begriffe nun mal keine natürliche Bedeutung haben, sondern eben „nur“ konventional vereinbart werden können, müssen Begriffsbedeutungen immer wieder reflektiert und auf ihre (momentane) Gültigkeit hin überprüft werden, mitsamt den Theorien, die aus ihnen folgen.

Begriffsanalyse ist etwas, das sich Einzelwissenschaften in der Regel nicht leisten können (meistens fehlt auch das entsprechende „know-how“; eben: alles Fachidioten ;-) ), weil das ihre Forschung behindern würde. Notwendig ist dies aber meiner Meinung nach, um einerseits auf dem Boden zu bleiben und die Grenzen der Erkenntnis zu beachten, andererseits nicht in blinden Dogmatismus zu verfallen und letztlich zu realisieren, inwiefern die eigene, gesetzte Begriffsbedeutung Einfluss auf die eigene Forschung und Theorie hat (und zu sehen, dass diese Begriffsbedeutung nicht notwendigerweise so sein muss; aber sie kann vielleicht vernünftiger und zweckmässiger sein als andere, aber das kann nicht empirisch festgestellt werden, sondern nur begriffsanalytisch-reflexiv).
Zudem steuert die Philosophie auch einen Wissens-Beitrag zu den untersuchten Phänomenen bei. So waren es z.B. nicht Neurologen oder Psychologen, welche die erste Klausel der eingeschränkten Zurechnungsfähigkeit in der Juristik bewirkt haben, sondern die philosophischen Arbeiten (in Bezug auf den Geist) von David Hume (als historisches Beispiel).

3. <Der Philosoph (nicht zu verwechseln mit dem Historiker der Philosophie) kann kein Fachidiot, sondern sollte ein Generalist sein, der über alle gängigen Disziplinen einen Überblick hat.>
Die Idee des Generalisten hat schon etwas für sich, und ich schliesse mich deiner Meinung durchaus an, dass der Philosoph (in der oben angedeuteten Funktion als Begriffsanalytiker) eine gewisse Übersicht über die gängigen Disziplinen haben sollte; soweit das möglich ist! Denn da jede Disziplin schliesslich hochspezialisiert ist, übersteigt es irgendwann die Möglichkeit eines einzelnen Menschen, in jeder Disziplin ausreichende Kenntnisse für diesen Generalisten-Anspruch zu haben. (Richard Rorty hat diesen Gedanken auch schon mal formuliert, auch aus der gängigen Praxis heraus, die zumindest in der USA anscheinend existiert, wo Philosophen meistens irgendeinem anderem Departement oder einer anderen Fakultät zugeordnet werden, sie sozusagen auf dem „Campus verstreut“ sind und sich nicht eindeutig einordnen lassen; sie sind dort, wo sie gemäss ihrer jeweiligen Spezialisierung am besten gebraucht werden können).

Ich denke, es reicht aus, sich auf ein bestimmtes Gebiet zu fokussieren. Es gibt schliesslich (noch) genug Philosophen, damit alle Fokussierungen zum Zug kommen, und ich meine, diese Fokussierung (mitsamt der fächerübergreifenden Komponente) existiert schon. Wissenschaftstheoretiker der Naturwissenschaft wissen normalerweise sehr gut, wie die Naturwissenschaft funktioniert. Ein Sozialphilosoph dagegen kennt sich besser mit Soziologie oder Psychologie usw. aus. Der Logiker hat auch profunde Kenntnisse in der Mathematik. Der Vertreter der philosophy of mind kennt nicht nur philosophische, sondern auch neurologische und psychologische Modelle und Erklärungsansätze des Geistes. Und so weiter. „Generalisierung“ ja, aber im Rahmen des Möglichen (also nur eine bedingte, praktisch mögliche „Generalisierung“).

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Marcel am 23. Apr. 2003, 20:33 Uhr

[III]
<Wie soll er die Welt verstehen, ohne die Natur zu verstehen?>
Das kommt darauf an, was du unter „Welt“ verstehst. Wie oft scheint sich meine Erfahrung zu bestätigen, dass Vertreter einer eher naturwissenschaftlichen oder naturalistischen Position mit der „Welt“ normalerweise eben genau das meinen, was sie auch vertreten: Die „Welt“ im Sinne dessen, was naturwissenschaftlich erforschbar ist. Man kann aber „die Welt“ auch anders verstehen, z.B. in Berücksichtigung sozialer, ökonomischer und politischer Strukturen in den menschlichen Kulturen usw. Man könnte (m.E. zurecht) sagen, dass dies genauso zur „Welt“ gehört wie die (angenommen) bewusstseins- und menschenunabhängige „Natur“.

Keine der beiden Bedeutungen ist in irgendeiner Weise „wahrer“; aber für einen Philosophen, der sich mehr für den ökonomischen oder „kulturellen“ Aspekt der „Welt“ interessiert, scheint mir deine These (oder Frage) nicht mehr so gültig zu sein. Er kann die „Welt“ (bzw. diesen Aspekt) auch sehr gut verstehen, ohne die Natur (im naturwissenschaftlichen Sinn) zu verstehen.
(Ich habe das Gefühl aus meiner bisherigen IT-Foren-Erfahrung, dass sich aus diesem Begriffsbedeutungs-Missverständnis schon einige „Streitereien“ in IT-Foren ergeben haben, zwischen „naturwissenschaftlichen Positionen“ und „geistes-/sozialwissenschaftlichen Positionen“, und beide Seiten nicht bemerkt haben, dass sie eigentlich aneinander vorbei reden, da sie beide den Begriff „Welt“ anders verstehen).

Doch im Grossen und Ganzen schliesse ich mich deiner Meinung an, dass ein gewisses, nennen wir es mal: „Allgemeinwissen“, erstrebenswert ist. Das sollte aber nicht nur für Philosophen gelten; das naturwissenschaftliche Wissen von Sozialwissenschaftlern ist manchmal wirklich traurig gering; aber das sozial- und geisteswissenschaftliche Wissen von Naturwissenschaftlern ist auch nicht immer viel besser (da mein Bruder Medizin studiert hat, weiss ich in etwa, wovon ich rede ;-) ).

Ich glaube aber, unserem Anliegen wird in Zukunft Rechnung getragen werden. Darauf weist der starke Trend zur Inter- und Transdisziplinarität hin, bis zur Erschaffung ganz neuer, interdisziplinärer Studiengänge, die darauf ausgelegt sind, den Studierenden erstens beizubringen, wie man trotz Disziplinengrenzen zusammenarbeitet (und auch lernt, Respekt vor anderen Disziplinen zu haben!), und zweitens auch Grundkenntnisse aus den jeweiligen Wissenschafts-„Kulturen“ zu vermitteln.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Marcel am 23. Apr. 2003, 20:36 Uhr

[IV]

4. <Ferner gehe ich davon aus, dass ein Philosoph in der Lage ist, eine conclusio so zu formulieren, dass sie hieb- und stichfest ist.> etc.
Ich denke, hier musst du wirklich die „physikalische Sichtweise“ oder „naturwissenschaftliche“ (oder wie man das immer nennen möchte) ablegen und eine eher „geisteswissenschaftliche“ aufnehmen.
Es gibt keine „hieb- und stichfeste conclusio“, allerhöchstens „hieb- und stichfeste“ Argumentationen (obwohl ich das ebenfalls bezweifle; aber es gibt überzeugende und weniger überzeugende oder gar sich widersprechende Argumentationen. Es gibt ganz allgemein m.E. keine wirklich „hieb- und stichfesten“ Konklusionen, in keiner Wissenschaft - Wissen ist fallibel, und erkenntnistheoretisch gibt es immer genug Einwände, um jedes Ergebnis zu kritisieren oder irgendeine Prämisse einer Argumentation anzugreifen usw. usf.).

Es ist notwendig, das ganze Argument zu kennen und zu wissen, welche Prämissen gemacht wurden, warum sie gemacht wurden, und warum diese plausibel sein sollen. (Im Übrigen denke ich nicht, dass das in den empirischen Wissenschaften streng genommen so viel anders ist; bekanntlich ist man beim empirischen Arbeiten aufgefordert, jeden Schritt, den man macht, genau zu dokumentieren, und manche Ergebnisse kann man erst dann wirklich beurteilen, wenn man sich auch angeschaut hat, wie die Forschergruppe zu diesen Ergebnissen gekommen ist – zugegebenermassen gilt das jetzt eher für die empirischen Sozialwissenschaften. Dennoch nehme ich an, auch (oder gerade) in den Naturwissenschaften gehört zum Rechtfertigungskontext einer Theorie nicht „bloss das Ergebnis“, sondern der ganze Beweis und die Herführung des Ergebnisses).

<Eingedenk dieser Sichtweise komme ich zum Resultat, dass der Satz: "Ich denke, also bin ich" zwar stimmt, aber keine relevante Aussage enthält. Wenn ich sage, "ich pinkle, also bin ich" ist das genauso richtig. Und, nach meiner Erfahrung, ist dieser Satz über die Existenz einer Person noch aussagekräftiger, weil ich sehr wohl Menschen kenne, die nicht denken, jedoch niemanden, der nicht pinkelt.>
Hier muss ich leider doch vermuten: Du kennst die Argumentation und auch den Hintergrund der Argumentation zu wenig. [Wie ich gesehen habe, hat noisette da schon eine kurze Anmerkung gemacht. Dennoch:]

Erst einmal bedeutet bei Descartes (bedenke: 16./17. Jahrhundert!) „denken“ nicht das, was wir heute, auch unter dem Einfluss von moderner Psychologie usw., so grosso modo darunter verstehen. Das cogito bezieht sich auf seine res cogitans, also auf die geistigen Substanzen. Als „denken“ ist damit im Grunde jede Bewusstseinsfunktion gemeint, z.B. auch fühlen.

Dass jemand pinkelt, daraus kannst du gemäss Descartes’ Argumentation keinen Rückschluss auf seine Existenz schliessen, denn es geht bei Descartes zumindest beim cogito-Argument nur um DIE EIGENE Existenz; tatsächlich diskutiert Descartes zu Beginn mit seinem methodischen Zweifel, dass er sich nicht sicher sein kann, ob andere Wesen überhaupt existieren (sozusagen der systematische Beginn des Aussenwelt-Skeptizismus’). Also könntest du höchstens sagen, dass der Satz „Ich pinkle, also existiere ich“ ebenso gültig wäre wie „Ich denke, also existiere ich“. Ist er aber nach dem cogito-Argument nicht, denn du kannst dir nicht sicher sein, dass du so etwas wie einen Körper hast, der diese Körperfunktion erfüllen kann. Ein böser Dämon könnte dir das ja vorgaukeln. Du hast (und das ist eben, kurz zusammengefasst, die Konklusion seines methodischen Zweifels) nur EINE Gewissheit, nämlich die, dass du denkst, oder vielleicht moderner gesprochen: Dass du ein Bewusstsein hast. Denn das kann dir der böse Dämon nicht wegnehmen; er kann dir aber alle möglichen falschen Informationen über eine „Aussenwelt“ geben, inklusive einer Illusion über einen „Körper“, von dem du meinst, dass er zu dir gehört.

Auf dieser Basis, dass das einzig Gewisse die Existenz des eigenen Bewusstseins ist, entwickelt Descartes dann seine Metaphysik. Aber das geht über das cogito überaus.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Marcel am 23. Apr. 2003, 20:37 Uhr

[V]

<Selbstverständlich gilt dies auch für den Satz von Sokrates. Hätte er gesagt, "ich weiß, dass ich wenig weiß" oder sonstwie das Problem der Erkenntnis relativiert, kein Problem.>
Ja, das wäre sicherlich verständlicher gewesen. Dabei darfst du jedoch nicht vergessen, dass Philosophie damals im Grossen und Ganzen auch von stilistischer oder literarischer Qualität gezeichnet war (auch Aristoteles, dem man ja das erste „systematische, ‚wissenschaftliche’ Schreiben“ zuschreibt, hat durchaus auch Dialoge und Ähnliches geschrieben, in welchen, wie bei Platon, auch das literarische Moment relevant war); das ist heute (m.E. zurecht) nicht mehr so wichtig, eine klare(re) Sprache wird gefordert.
Aber gerade deswegen ist es wichtig, solche antiken oder klassische Sätze genauer zu analysieren und nachzuvollziehen (eben hermeneutisch), was damit gemeint ist, bevor man sie kritisiert (ausserdem, wenn ich es recht im Kopf habe, ist es beim Sokrates-Satz sowieso ein Übersetzungsproblem. Aber da bin ich mir nicht 100prozent sicher).

5. <Noch einmal: Einen Satz, der nur teilweise und nur in einem bestimmten historischen Kontext gültig ist, halte ich für ungeeignet, als Beweis für die Richtigkeit einer Argumentation eingesetzt zu werden.>
Ich glaube, ich verstehe, was du meinst, aber zu streng genommen erledigt sich dann Wissenschaft u.U. gleich selber, gemäss dem Fallibilismus (da Wissen immer nur momentan wahr ist, könnte man daraus folgern, dass letztlich jedes Wissen eine immer nur zu einer gewissen Zeit gültig ist – „die Newtonsche Physik war wahr bis zur Relativitätstheorie“ -, und durch deinen Satz also auch nicht hinreichend ist. Ist ja keine unbekannte Schlussfolgerung, wissenschaftstheoretische Relativisten gehen oft von solchen Argumentationen aus, siehe z.B. T.S. Kuhn).

Ich vermute, was du meinst, ist, dass der Entdeckungskontext nicht den Rechtfertigungskontext ersetzen darf – da bin ich sofort einverstanden, die Rechtfertigung einer Aussage muss unabhängig ihres Kontextes der Entdeckung bestehen können.

Jedoch sehe ich nicht ganz, inwiefern das beim Emergenzbegriff oder bei den vorher diskutierten klassischen Sätzen der Fall ist. Descartes cogito-Argument kann man möglicherweise erst wirklich nachvollziehen, wenn man auch die (philosophie-)historischen Rahmenbedingungen kennt (z.B. weiss, wie der Begriff „Denken“ im 16./17. Jahrhundert in der rationalistischen Tradition verwendet wurde), aber sein Argument als solches ist eigentlich ahistorisch, da auf die Gültigkeit rationaler Überlegungen gegründet. Wirklich überzeugend widerlegen konnte Descartes bis heute so weit ich weiss niemand (bin kein Descartes-Experte; falls ich mich täusche, soll ruhig jemand korrigieren), auch wenn man den einen oder anderen Fehler oder das eine oder andere Problem aufzeigen konnte, bleibt eine gewisse Überzeugungskraft dieses Argumentes, obwohl 300 Jahre vergangen sind.

Schwierig scheint mir deine Formulierung mit dem „teilweise gültig“. Könntest du das gegebenenfalls nochmals etwas erläutern?

Denn das mit dem „teilweise gültig“ ist heutzutage doch eigentlich nahezu Standard in der empirischen Forschung; diese ist schliesslich probabilistisch orientiert, das heisst eine Wahrscheinlichkeit von 1 bei der Prüfung einer These wird nicht erwartet, und wenn doch, dann zumindest nicht erkenntnistheoretisch (so gibt es zwar „praktisch orientierte“ deterministische Hypothesen, gerade in der Naturwissenschaft, erkenntnistheoretisch werden deterministische Thesen jedoch aufgrund des Induktionsproblems abgelehnt). Streng genommen sind alle wissenschaftlichen Beweise aus der Empirie nur „teilweise“ gültig, insofern All-Aussagen erkenntnistheoretisch unhaltbar sind. (Dass alle Raben schwarz sind, ist insofern nur „teilweise gültig“, als dass wir nie wissen können, ob wir nicht irgendwann auf einen weissen Raben treffen).

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Marcel am 23. Apr. 2003, 20:40 Uhr

[VI]

6. <Das Konzept der Emergenz ist für mich eine Bestätigung meiner Kritik am Aristoteles-Satz: Definiert man mit Emergenz die Tatsache, "dass sich in der Ganzheit eines Seienden oft Eigenschaften zeigen, die sich aus ihrer Substanz nicht erklären lassen" (Encarta-Lexikon), so entspricht das meiner Feststellung, dass das Ganze nicht mehr oder weniger als die Summe seiner Bausteine ist, sondern etwas anderes. Waren das nicht meine Worte?>
Einverstanden, jetzt verstehe ich, was du meinst. Deine Kritik war gewissermassen auf den exakten Wortlaut von Aristoteles’ (oder ihm zugesprochenen) Satz gerichtet. Ich gebe dir recht, dass der moderne Emergenzbegriff eigentlich nicht mit diesem exakten Wortlaut vereinbar ist (vielleicht hat Paul da ein paar triftige Einwände, sooo gut kenne ich mich mit Emergenz auch nicht aus). Jedoch scheint mir diese Definition des Emergenz-Begriffs dann auch etwas zu knapp (ich meine, schon alleine das einleitende Kapitel von Achims Buch, was „Emergenz“ genau bedeutet, umfasst schon mehrere Dutzend Seiten …)

Man könnte aber dafür argumentieren, „Teile“ und „Summe“ weniger als mathematische Begriffe, sondern entweder metaphorisch oder vielleicht einfach mereologisch zu verstehen; es geht nicht um Bauteile, die am Ende eine (mathematische) Summe ergeben, sondern vielmehr um Bauteile, die am Ende durch ihre Kombination als „Ganzes“ (= „Summe“) ein „mehr“ an Eigenschaften oder Funktionen haben, als wenn sie einzeln „daliegen“ würden. Also statt a+b+c+d=e (wobei a, b etc. für Funktionen oder Eigenschaften stehen) wäre es wohl a+b+c+d=e+f, wobei „f“ (dieses „mehr als e“) nur dann existiert, wenn a, b, c und d in einer bestimmten Kombination unter bestimmten Bedingungen zusammen sind (nach Achim gibt es mindestens 10 wichtige Bedingungen; nicht „alles in der Welt“ ist emergent, zumindest nach dieser Position nach – sicher gibt es auch entsprechende holistische Positionen).

So wäre z.B. die Anzahl von Individuen bei der Ameisenart Leptothorax allardycei mathematisch gesehen nie „mehr“ als die Summe, die alle Individuen zusammen ergeben, doch beginnen sie ab einer bestimmten, grossen Anzahl von Individuen „plötzlich“, ihre vorher scheinbar ziellosen Bewegungen und Perioden der Aktivität und Ruhe zu koordinieren; „plötzlich“ laufen die Aktivitätsperioden in regelmässigen Wellen ab. Dieses koordinierte Verhalten wäre das „mehr“ zu der „blossen Summe der Einzelteile“ (= Summe im Sinne von „Summe der jeweiligen Einzelverhalten der einzelnen Individuen“). (Quelle: B.J. Cole (1991): Is animal behaviour chaotic? Evidence from the activity of ants. Proc. Royal Soc. London B, 244, 253-259).

Grüsse,
Marcel

Titel: Konsensfähigkeit und Verbindlichkeit
Beitrag von Eberhard am 23. Apr. 2003, 21:06 Uhr

Hallo Hanspeter,

kommen wir zur Sache zurück, der Frage nach allgemeingültigen ethischen Normen und deren argumentativer Begründung.

Mit Deiner Aufforderung nach einer genaueren Bestimmung dessen, was mit der „Konsensfähigkeit“ ethischer Normen gemeint ist, hast Du gleich ein Problem angesprochen, das auch für mich noch nicht zufriedenstellend geklärt ist. Meine vorläufige Antwort lautet:

Eine ETHISCHE NORM IST DANN ALLGEMEIN KONSENSFÄHIG, wenn ihr unter idealen Diskussionsbedingungen jedes Individuum (das die Argumente verstehen kann und das Ziel eines allgemeinen zwangfreien Konsensus teilt) tatsächlich zustimmt.

IDEALE DISKUSSIONSBEDINGUNGEN herrschen dann, wenn außer dem Vorbringen von Argumenten zur Sache keinerlei Druck auf die Beteiligten ausgeübt wird. Es darf auch kein Zeitdruck bestehen, so dass allen Beteiligten sämtliche Argumente sowohl bekannt als auch verständlich sind.

Der Hinweis auf „Sachzwänge“ in Form der unvermeidlich eintretenden Folgen eines bestimmten Verhaltens ist ein zulässiges Argument („Wenn keine Maßnahmen der Familienplanung ergriffen werden, wird sich die Zahl der Menschen in den nächsten 100 Jahren verdoppeln.“) Die Bedingung der ZWANGFREIHEIT wird jedoch verletzt, wenn als „Argumente“ Drohungen oder Versprechungen vorgebracht werden („Wenn Du meinen Vorschlag nicht akzeptierst, werde ich jegliche Hilfe an Dich einstellen.“)

Wichtig ist die Bedingung, dass ALLE BETEILIGTEN DAS ZIEL TEILEN, ZU EINEM KONSENSUS ZU KOMMEN. Damit ist die Möglichkeit versperrt, die Diskussion mit dem Hinweis zu beenden: „Ihr seht ja, dass wir uns nicht einigen können!“ Man kann das zwar tun, aber damit hat man zugleich jeden Anspruch auf Allgemeingültigkeit der eigenen Position aufgegeben und kundgetan, dass man mögliche Konflikte nicht mit Argumenten sondern mit anderen Mitteln zu lösen gedenkt. Durch den „Zwang“ zum Konsens müssen die Beteiligten von ihren vorgefassten Meinungen und ihren eigeninteressierten Positionen abrücken, Wege der Einigung suchen, die Bedürfnisse und Interessen der andern berücksichtigen, sich im Kompromiss entgegenkommen, einen überparteilichen Standpunkt einnehmen. Hier sind eine ganze Reihe von geeigneten und ungeeigneten Vorgehensweisen zu identifizieren, die man im Einzelnen untersuchen müsste.

Aber Du hast Recht, wenn Du darauf hinweist, dass mit konsensorientierten Argumentationen noch „kein Staat zu machen ist“ und auch keine Rechtsordnung. Der argumentative Konsens bleibt ja revidierbar, weil jederzeit neue Argumente auftauchen können. So wie in den empirischen Wissenschaften gibt es nicht nur die eine richtige Theorie, sondern mehrere Theorien bleiben „vertretbar“ und konkurrieren um die allgemeine Anerkennung (z.B. bei der „Urknall-Theorie“ der Astronomen). Die Kriterium der argumentativen Konsensfähigkeit gibt die Orientierung an, sie kann jedoch in der Praxis, wo nicht endlos diskutiert werden kann, aus sich heraus noch keine tragfähige Grundlage schaffen für die Koordination der individuellen Handlungen. Dazu bedarf es – jenseits der jeweiligen Meinungen und Überzeugungen – einer VERBINDLICHEN SETZUNG UND DURCHSETZUNG VON REGELN (NORMEN) des Handelns. Wie das am Besten zu geschehen hat, wäre zu diskutieren.
Auf einen gut begründeten Dissens wartet streitsüchtig Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Marcel am 23. Apr. 2003, 21:26 Uhr

[1]

Hallo Paul,

<Der von mir zitierte Satz von Aristoteles (stammt möglicherweise gar nicht von ihm) ist alles andere als "nicht so gehaltvoll“>
Ich meinte diese Bemerkung im Kontext von Hanspeters Kritik. D.h., ich gab ihm recht, dass der Satz „einfach so“ vielleicht nicht derart gehaltvoll erscheint und auf einige Leser vielleicht sogar den Anschein von „blosser Rhetorik“ erwecken könnte (was ja im Grossen und Ganzen seine Kritik war).

<Er ist die einfachste Formulierung für das von dir zitierte Emmergenzphänomen.>
Möglicherweise. Wie in der (grossen) Replik an Hanspeter erwähnt, muss das nicht gezwungenermassen sein. (Die Emergenztheorien, die ich gelesen habe, haben z.B. nie auf diesen Satz rekurriert).

<Die Emergenztheorie, wie überhaupt alle holistische Denkansätze zeigen den wichtigsten methodische Schwachpunkt der Naturwissenschaft, nämlich der Analytik, also der isolierten Betrachtung der Bausteine, was zwangsläufig zum Verlust von Sytemeigenschaften (Emergez) führen muß.>
Nun, hier setzt du ja schon allerhand voraus, das zuerst diskutiert werden müsste.

Zuerst einmal sind nicht alle emergentistischen Ansätze automatisch holistische Ansätze, insofern z.B. nicht alle Emergenztheorien behaupten, dass „alles“ nach emergenten Gesetzen funktioniert (vielleicht könnte man es so ausdrücken: Alle holistischen Ansätze sind emergentistisch, aber nicht alle emergentistischen Ansätze holistisch; obwohl ich für den ersten Satz auch nicht gerade die Hand ins Feuer legen würde). Wobei natürlich auch sehr viel davon abhängt, was man unter „Holismus“ verstehen will, ist ja nicht gerade ein eindeutiger Begriff (ich fürchte, „semantischer Holismus“ ist der einzige halbwegs klare Holismus-Begrff).

Dass der Reduktionismus ein „methodischer Schwachpunkt“ ist, ist schon eine ziemlich starke Wertung von dir (die dir durchaus gewährt sei, diese Bemerkung bitte nicht missverstehen). Ich persönlich halte jedoch eine solche starke Kritik für nicht so überzeugend, insofern der Erfolg der reduktiven Methode schlichtweg nicht zu leugnen ist. Ich bin aber durchaus auch der Meinung, dass es einige (Betonung: einige!) Phänomene gibt, welche durch reduktionistische Ansätze unbefriedigend erklärt werden können. Ich sehe da beim Emergenz-Begriff ein Potential. Aber er ist noch zu unklar, und reduktionistische Ansätze könnten sich durchaus verbessern. Daher denke ich, es ist zu früh, einen allgemeinen Rundumschlag zu machen, sondern man sollte etwas Geduld haben und genau prüfen, wo welcher Ansatz etwas „bringen“ kann und wie etc.

Ein Verlust von Systemeigenschaften kann nur dann bestehen, wenn es solche Eigenschaften tatsächlich gibt. Damit meine ich: Die Existenz solcher Eigenschaften setzt du schon voraus. Ich denke, man sollte zuerst ausgiebig diskutieren und prüfen, ob es vernünftig und kohärent ist, solche Eigenschaften überhaupt anzunehmen.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Marcel am 23. Apr. 2003, 21:28 Uhr

[2]

<Dieses Defizit wird aber häufig gar nicht mehr wahrgenommen was insbesondere in leienfreundlichen Formulierungen zu Tage tritt (Glückshormon etc.).>
Ich denke, da verwechselst du zwei Arten des reduktiven Verfahrens; das ist ein m.E. nicht unübliches „Symptom“ bei Kritikern des Reduktionismus oder (allgemeiner) naturwissenschaftlicher Positionen.

Was du (vollkommen zurecht) kritisierst, ist ELIMINATIVES REDUZIEREN, wie dein Beispiel „Glückshormon“ sehr gut illustriert. Eliminatives Reduzieren findet dann statt, wenn Phänomen A nicht nur auf Phänomen B zurückgeführt (reduziert) wird, sondern wenn zugleich Phänomen A eliminiert wird (also: Es gibt kein Glücksgefühl, sondern nur Hormone). Ernest Nagel hat dieses Vorgehen schon in den 50er Jahren des 20. Jh. in seinem Standardwerk „The Structur of Science“ kritisiert und formuliert, dass nur ein „konservatives Reduzieren“ gültig sein kann, welches zudem nur auf der Basis von Theorien stattfindet (nur eine *Theorie* kann auf eine andere reduziert werden). Es dürfen aber keine ontologischen Entitäten reduziert (oder eben gar eliminiert) werden, da das unweigerlich in spekulative Gebiete führt (und ausgesprochen seltsame Schlussfolgerungen zulässt, wie eben, dass es kein Glücksgefühl gibt, oder keinen Schmerz usw.; wer das Phänomen „Schmerz“ auf biochemische Prozesse zurückführt, vertritt zwar eine materialistische Ontologie, behauptet aber nicht, dass es „Schmerz“ nicht gibt und reduziert konservativ. - Hier muss man etwas genauer differenzieren, gerade als Philosoph oder Wissenschaftstheoretiker, sonst wird ungerecht kritisiert und unnötige Pauschalurteile können die Folge sein).

Nicht wenige Naturwissenschaftler sind sich der Gefahr eliminativen Reduzieren aber durchaus bewusst; ein Molekularbiologe, bei dem ich z.B. mal eine Vorlesung über Evolution hatte, wies zu Beginn genau auf diese zwei Arten von reduktiven Verfahren hin und erklärte, dass das eliminartive das „falsche“ Verfahren sei und „Reduktionismus“ das konservative Reduzieren meint.

D.h., eliminativ zu reduzieren ist nicht dasselbe, wie nicht einsehen zu wollen, dass es emergente Eigenschaften gibt (wenn ich dein Argument richtig verstanden habe). Elimatives Reduzieren ist ganz klar zu kritisieren und zu „bekämpfen“. Aber man kann Wissenschaftler, die dies tun, nicht pauschal in denselben Topf werfen wie jene, die korrekt reduzieren, aber emergente Eigenschaften vermutlich aus durchaus nicht unvernünftigen Begründungen ablehnen.

<Freilich gibt es zahlreiche Grenzwissenschaften, die sich gerade auch mit Emmergenzproblemen beschäftigen, sehr spannend.>
Wieso nur Grenzwissenschaften? Das macht m.E. nicht gerade einen guten Eindruck auf die Emergenztheorien!

Der Emergenzbegriff wird genauso in der rationalen Philosophie (insbesondere momentan in der philosophy of mind) diskutiert, aber auch in der Biologie (wenngleich nicht im „Kanon“ der üblichen Theorien; aber um ein paar Namen zu nennen, die in diese Richtung gehen: Brian Goodwin, A. Lima de Faria, Stuart Kauffman). Auch in der Ökologie (soweit diese eine eigenständige Wissenschaft ist) werden emergente Ansätze (in einem weiten Sinn) reflektiert. Oder Niklas Luhmanns systemtheoretischen Ansätzen in der Soziologie, die man ebenso im Bereich „Emergenz“ einordnen kann (gegebenenfalls kann man darüber streiten, aber tendenziell darf man das schon so behaupten, glaube ich).

Den Emergenz-Begriff auf nicht-anerkannte Wissenschaften (oder zumindest „graue“ Wissenschaften) zu begrenzen, fände ich sehr schade und nicht sehr produktiv.

Grüsse,
Marcel

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 24. Apr. 2003, 00:24 Uhr

hallo Marcel,
sehr einverstanden, du hast einen wunderbaren Argumentationsstil.
Dagegen sind meine Aussagen sicher oft etwas zu knapp oder verkürzt wiedergegeben.
ich gebe dir auch recht, dass die Bezeichnung Grenzwissenschaften nicht ganz passend war, das "nur" stammt allerdings nicht von mir, das hast du dazugesetzt, lieber Freund.
Die Emmergenz, also das Entstehen von prinzipiell neuem ist für mich pesönlich das größte Rätzel der Naturwissenschaft, ist irgendwie mit dem Geheimnis des Lebens verbunden.
Die gesamte bisherige Evolutionstheorie, so oft sie auch aus der Schullade gezogen wird, scheitert ja an ihr. Dieses Scheitern wird nur scheinbar durch 1000 Mosaiksteinchen immer wieder zugekleistert.
Um zum Thema zurückzukommen. Auch Ethik besitzt als materielle Basis sicher ein anatomisch zuortbares Gehirnareal (Frontalhirn des Neocortex) und scheint damit doch etwas spezifisch menschliches darzustellen.
Gruß
Paul

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 24. Apr. 2003, 05:06 Uhr

Hallo Noisette,

der Mensch denkt auch im Schlaf, was sich zB. durch Träume äußert.

Gruß HP

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 24. Apr. 2003, 05:11 Uhr

Hallo "streitsüchtiger" Eberhard,

nun verstehe ich deinen Begriff Konsensfähig endlich vollständig. Du beschreibst letztlich das Ideale Diskussionsforum. Dieser Definition stimme ich voll zu, erlaube mir aber noch die boshafte Anmerkung, dass du weiter die Teilnahme von Hochleistungscomputern voraussetzt &#8211; oder zumindestens wünscht. Gut, akzeptiert. Die Frage, wie man dann das Ergebnis in die weltweit üblichen programmierbaren Taschenrechner transferiert, werden wir also vorerst aussetzen.

Damit haben wir zwar eine wichtige semantische Hürde genommen, sind aber, was die "Moral der Zukunft" anbelangt, noch nicht entscheidend weiter. Ich überlasse dir das weitere Procedere. Entweder wir setzen die Diskussion über meinen Vorschlag einer hierarchisch strukturierten Moral mit dem Credo des Erhalts der Menschheit mit all seinen Konsequenzen fort, oder du unterbreitest einen neuen Lösungsweg. Ich selbst würde natürlich die zweite Möglichkeit bevorzugen, denn meine Vorstellungen kenne ich ja in etwa und eine interessante Alternative fasziniert mir mehr.

es grüßt ein neugieriger HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 24. Apr. 2003, 13:19 Uhr

Hallo an alle Marcel-Fäns,

ich habe - mit Marcels Einverständnis - meine Antwort auf seinen sehr umfangreichen und inhaltsschweren Beitrag in einen neuen Thread transferiert. Er steht unter dem Namen "Natur- vs. Geisteswissenschaft?" im Themenbereich "Erkenntnistheorie". Marcel wird darauf antworten und der Dialog geht weiter. Wer also mitmachen will...
Der Sinn der Maßnahme ist, denke ich, klar. Damit soll das sehr interessante Thema Ethik.... nicht erdrückt werden.

Gruß HP

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von ezzo am 24. Apr. 2003, 14:06 Uhr

[quote author=Hanspeter Hallo Noisette,

der Mensch denkt auch im Schlaf, was sich zB. durch Träume äußert.

[user]vielleicht issesauchso: er träumt,daß er denkt.oder er träumt.daß er träumt,er denkt.............et vice versa?!
[surprise] [applause] [bounce]



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von noisette am 24. Apr. 2003, 16:09 Uhr

[quote author=Hanspeter]
der Mensch denkt auch im Schlaf, was sich zB. durch Träume äußert [/quote]
[balloon] muss schon wieder protestieren ;-) : in der modernen psychologie wird denken als ein bewusster vorgang definiert, während es sich beim träumen um un-bewusste prozesse im sinne der verarbeitung von tagesresten, verdrängten inhalten etc. handelt (siehe s.freud's modell).
marcel's erläuterungen von descartes' cogito-begriff bringen mich nun freilich ordentlich ins schleudern: gelten traum-erfahrungen, an deren inhalt und gefühle man sich beim bzw. nach dem aufwachen erinnert, nun auch als 'res cogitans'? ich weiss, für die interessante laufende diskussion nicht sehr wichtig, aber vielleicht hat ja irgendjemand lust auf einen kurzen exkurs.... :-)
grüsse, n.



Titel: Gibt es eine Alternative zur Konsensfähigkeit?
Beitrag von Eberhard am 24. Apr. 2003, 23:01 Uhr

Hallo Hanspeter,
ich freue mich, dass ich Dir verdeutlichen konnte, was ich mit der „Konsensfähigkeit“ in Bezug auf Normen meine. Bevor ich jedoch Deiner Aufforderung folge, meine Vorstellungen zur Begründung von moralischen oder rechtlichen Normen weiter auszuführen, möchte ich Dich doch noch einmal „in die Pflicht nehmen“ und Dich fragen, ob Du den folgenden Thesen zustimmst und falls „nein“, warum nicht:

1. Wenn Normen als allgemein verbindlich erklärt werden und mit Hilfe von Sanktionen durchgesetzt werden, ohne dass für diese Normen zugleich der Anspruch erhoben wird, dass sie allgemein konsensfähig sind, so handelt es sich um ein reines Gewaltverhältnis gegenüber jenen, die dieser Norm nicht zustimmen können.

2. Wenn dem so ist, muss jeder, der keine auf reiner Gewalt beruhende soziale Ordnung will, selber die Frage nach der allgemeinen Konsensfähigkeit der von ihm vertretenen moralischen Vorstellungen stellen.

3. Wenn diese beiden Thesen zutreffen, dann stehe nicht nur ich vor der Aufgabe, Wege zur Bestimmung konsensfähiger Normen zu finden, sondern z.B. auch Du.

Folgst Du den 3 Thesen – oder sind sie nicht zwingend?

Gruß Eberhard.

p.s.: Die Bestimmung allgemein konsensfähiger Normen und normativer Prinzipien (einschließlich der Begründung, warum sie konsensfähig sind) sehe ich als eine nur kollektiv zu lösende Aufgabe an und ich hoffe insofern, dass auch andere Leute Ideen hierzu beisteuern.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 25. Apr. 2003, 04:56 Uhr

Hallo Eberhard,

gleich die Antworten.

1. Allgemein verbindliche Normen sind wohl das, was man landläufig als Rechtsordnung bezeichnet. Diese wird in demokratischen Staaten im Idealfall per Mehrheitsbeschluss durchgesetzt und gilt daher für alle als verbindlich, notfalls durch Sanktionen. Sie hat, im Idealfall, allgemein konsensfähig zu sein. Ist sie es nicht, kann dies als Gewaltherrschaft interpretiert werden. Antwort also: Ja. (Ob alle zur Zeit in der BRD geltenden Gesetze diesem Anspruch genügen, wollen wir vorsichtshalber nicht diskutieren.)

2. Demzufolge ist 2. ebenfalls mit ja zu beantworten. Ein nicht unwichtiger Zusatz: Dieser "jeder" muss natürlich für das von dir bereits definierte Ideale Diskussionsforum (I.D.) die notwendigen Voraussetzungen zur Teilnahme mitbringen und auch bereit sein, mitzuwirken.

3. Der Weg zur Bestimmung konsensfähiger Normen ist die Mitwirkung in einem I.D. Gut, unser Forum besteht im Moment aus zwei Personen. Ist nicht gerade üppig, aber vielleicht steigen ja bei den konkreten Fragen, wie auch bei den vorherigen Versuchen schon geschehen, weitere Teilnehmer zu. Jeder sachliche Beitrag ist willkommen. Außerdem können wir der Chuzpe frönen, alle die uns lesen und nicht wild protestieren, stimmen uns zu. Ferner als Trost: Die Leistungsfähigkeit eines Forums ist nicht direkt proportional zur Zahl der Teilnehmer. Ich vermute eher einen Graphen wie die Ladekurve eines Kondensators.

Zu deinem P.S.: Die Bestimmung allgemein konsensfähiger Normen ist nicht notwendigerweise kollektiv zu lösen, weil nicht gesagt ist, dass das Kollektiv die Teilnahmebedingungen zum I.D. erfüllt.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von zweifler am 25. Apr. 2003, 18:02 Uhr

Also:

Zwei ethische Prinzipien finden offenbar in jeder Gesellschaft Anwendung:

1. Du sollst nicht morden.
2. Du sollst nicht promiskuitiv leben.

Natürlich sind das keine absoluten Regeln, sondern relationale. Das heisst die Auslegung dieser Regeln liegt in den Händen verschiedener Instanzen und ihre Sanktionierung ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Richtig ist, dass diese Regeln auch im Tierreich - mit Einschränkungen - gelten, das heisst von der Lebensweise der jeweiligen Art bestimmt werden. Ethik ist kein sinnloses Unterfangen: Je mehr sie in die Hände einzelner gelegt wird, desto mehr Entscheidung und Verantwortung werden vom Einzelnen gefordert. Und selbstverständlich passt sich die Ethik den Lebensverhältnissen an und ist wandelbar. Aber sie ist eben Richtschnur und nicht ehernes Gesetz. Sie wird durch Leid und Freude reguliert. Und natürlich verlangt der Wandel der Sprache und der Wirklichkeit immer wieder nach ihrer Erneuerung.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Marcel am 25. Apr. 2003, 22:06 Uhr

Hallo Paul,

Diesmal nur sehr kurz, der Korrektheit halber:

<ich gebe dir auch recht, dass die Bezeichnung Grenzwissenschaften nicht ganz passend war, das "nur" stammt allerdings nicht von mir, das hast du dazugesetzt, lieber Freund.>
Damit hast du selbstverständlich recht, das "nur" habe ich hineinprojiziert.
Um die hier übliche Entschuldigungs-Tradition weiterzuführen: mea culpa.

Grüsse,
Marcel

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 26. Apr. 2003, 02:11 Uhr

Hallo Zweifler,

1. Dein Satz "Du sollst nicht morden" ist ein ethischer Pleonasmus und daher wertlos. Morden ist definitionsgemäß das illegale Töten eines Menschen und daher definitionsgemäß immer verboten. Fragt sich nur, wann eine Tötung illegal und wann sie legal ist. Da wird es dann moralisch spannend.

2. Das mit der Promiskuität wird in unterschiedlichen Gesellschaften und zu unterschiedlichen Zeiten sehr sehr unterschiedlich gesehen. Und im Tierreich ist Promiskuität eher die Regel als die Ausnahme.

Gruß HP

Titel: Falsche Normen dennoch verbindlich?
Beitrag von Eberhard am 26. Apr. 2003, 21:12 Uhr

Hallo Hanspeter,

Deine vorsichtige Kritik an meiner These 1 ist berechtigt. Du hast darauf hingewiesen, dass die Verbindlichkeit eines Gesetzes, das vom Parlament mehrheitlich beschlossen wird, nicht einhergehen muss mit der inhaltlichen Konsensfähigkeit dieses Gesetzes. Obwohl hier von mir also die Befolgung einer nicht konsensfähigen Norm verlangt wird, handelt es sich nicht um ein reines Gewaltverhältnis. Was tun?

Ich schlage vor, dem Problem durch eine Unterscheidung zwischen „inhaltlichen Normen“ auf der einen Seite und „Normsetzungsverfahren“ auf der anderen Seite gerecht zu werden.

Unter einer „INHALTLICHEN NORM“ verstehe ich einen Satz, der eine Vorschrift für das konkrete Handeln (oder Unterlassen) enthält. Die beiden von Zweifler genannten Normen („Du sollst nicht morden!“ und „Du sollst nicht promisk leben!“) sind z.B. inhaltliche Normen.

Unter einem „NORMSETZUNGSVERFAHREN“ verstehe ich ein Verfahren, das inhaltliche Normen setzen kann. Beispiele für derartige Normsetzungsverfahren sind: Wahlen und Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip, das Vetorecht, das Eigentumsrecht, das Versprechen, der Vertrag, der Markt, die Hierarchie von Vorgesetzten und Untergebenen, die Bevollmächtigung von Vertretern, die elterliche Erziehungsgewalt oder der Losentscheid.

Die Notwendigkeit von Normsetzungsverfahren ergibt sich daraus, dass es praktisch unmöglich ist, von heute aus für alle möglichen zukünftigen Situationen und für alle Individuen geeignete inhaltliche Handlungsregeln aufzustellen. Selbst wenn es um das Töten anderer Menschen geht, ergeben sich Probleme bei der Formulierung einer allgemeinen Norm, die das Töten verbietet, weil zahlreiche Ausnahmesituationen zu berücksichtigen sind (Notwehr, Krieg, Todesstrafe, Tötung auf Verlangen etc.).

Die erforderlichen Handlungen aller Individuen können nicht vorweg in Form von Regeln festgelegt werden, sondern die Regelungen müssen gewissermaßen „vor Ort“ anhand von Informationen über die konkrete Situation getroffen werden.

Damit stellt sich auch für die Normsetzungsverfahren die Frage, ob sie konsensfähig sind, also von jedem verständigen Individuum zwanglos akzeptiert werden können. Natürlich hängt die Beurteilung eines Normsetzungsverfahren vor allem davon ab, ob die dadurch gesetzten Normen inhaltlich akzeptabel sind. Aber auch das bestgeeignete Normsetzungsverfahren kann kritikwürdige und „falsche“ Normen hervorbringen. Man gerät dann in das oben angesprochene Dilemma des Demokraten, der sagt: „Ich respektiere die Entscheidung der Mehrheit als für mich verbindlich, auch wenn ich sie inhaltlich für katastrophal halte.“

Eine Norm kann also für mein Handeln verbindlich sein und zugleich inhaltlich falsch sein. In diesem Fall handelt es sich nicht um ein Gewaltverhältnis, auch wenn von mir die Befolgung einer Norm verlangt wird, die ich inhaltlich nicht akzeptieren kann. Um ein Gewaltverhältnis würde es sich allerdings dann handeln, wenn für das angewandte Normsetzungsverfahren nicht die Konsensfähigkeit beansprucht wird.

Für die weitere Diskussion stellt sich die Frage, ob wir die Normsetzungsverfahren jetzt mitdiskutieren wollen oder ob wir uns weiterhin auf die Begründung inhaltlicher Normen konzentrieren. Da es Dir ja vor allem um die staatlich sanktionierten Rechtsnormen und deren Rechtfertigung und Kritik geht, müssten wir eigentlich die Normsetzungsverfahren einbeziehen und über den engeren Bereich der Individualethik hinausgehen.

Wie siehst Du das? fragt Dich Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 27. Apr. 2003, 05:48 Uhr

Hallo Eberhard,

ich beginne gleich mit dem Schluss deiner Analyse, der ich inhaltlich weitgehend zustimme.

1. Die Normsetzungsverfahren sollten wir auf alle Fälle vorerst n i c h t diskutieren. Denn damit halsen wir uns die ganze Problematik einer Staatstheorie auf. Außerdem scheint es mir methodisch falsch zu sein. Erst die Moral, dann das Recht, nicht umgekehrt. Erst, wenn die Moral steht, kann man darüber diskutieren, was machbar ist. Möglicherweise nur Teile, möglicherweise auch kaum etwas, möglicherweise erst unter dem Eindruck katastrophaler Veränderungen. Außerdem wäre es ja durchaus denkbar, dass die "richtige Moral" einen anderen Staat verlangt. Ob unsere real existierende Demokratie der Staatsweisheit letzter Schluss ist, weiß ich nicht.
Klar, ich bin Idealist. Ich will wissen, was ist die richtige Moral. Ob und wann sie sich durchsetzt, ist sekundär. Wir können sie entwickeln, bestenfalls propagieren, nicht aber durchsetzen.

2. Es ist richtig, dass wir nicht primär die Individualethik diskutieren sollten. Dazu ein erklärendes Beispiel (etwas drastisch, aber verständlich):
Wenn täglich ein Mensch in München in die Isar scheißt, ist das kein ökologisches Problem. Wenn täglich eine Million Menschen in die Isar scheißen, ist das ein gewaltiges ökologisches Problem. Wenn nun ein Mensch hergeht und sich für einige zehntausend Euros eine private Kläranlage bauen lässt, mag er zwar ein "gutes ökologisches Gewissen" haben, aber der Umwelt ist nicht geholfen. Wenn aber ein oder mehrere Menschen hergehen und per Gesetz eine Kläranlage für Alle in die Wege leiten, ist der Umwelt wirklich geholfen. Daher interessiert mich primär das Gesetz und nicht die Individualethik.

Alles klar? Gruß HP



Titel: Normen, die in allen Gesellschaften gelten?
Beitrag von Eberhard am 27. Apr. 2003, 10:04 Uhr

Hallo Zweifler,

Du hast zwei ethische Normen genannt, von denen Du meinst, dass sie in allen Gesellschaften gelten. Das universale Vorkommen bestimmter Normen ist zwar nicht gleichbedeutend mit ihrer allgemeinen Konsensfähigkeit, aber es ist doch sicher ein sehr starkes Indiz, dass diese Normen allgemein konsensfähig sind.

Die erste Frage, die sich stellt, ist die empirische Frage an Soziologen, Ethnologen oder Anthropologen, ob deine Annahme stimmt. Ist in allen Gesellschaften Mord und Promiskuität verboten? Um diese Frage beantworten zu können, muss man sich einig sein über die Bedeutung der Begriffe „Mord“ und „Promiskuität“.

Hanspeter meint, dass „Mord“ definiert ist als „illegale Tötung eines Menschen“ und hält die Norm „Mord ist verboten (= illegal)“ deshalb für eine Tautologie.

Um diesem Einwand zu begegnen könnte man die Norm etwas umformulieren und sagen: „Es ist verboten ein anderes Gesellschaftsmitglied zu töten, um dadurch selber einen Vorteil zu erlangen.“ Was sagen die Ethnologen? Gilt in allen Gesellschaften eine derartige Norm?
Ich habe da meine Zweifel: Es soll Eskimogesellschaften gegeben haben, in denen es Brauch war, die alt gewordenen Eltern auszusetzen, weil sonst nicht genug Nahrung da war. (Mir fehlt leider die Quelle. Ich hoffe, ich verbreite hier keine Schauermärchen.)

Auch wenn es keine allgemein verbreitete Tötungsnorm gäbe, so bin ich doch der Meinung, dass sich ein allgemein konsensfähiges Tötungsverbot formulieren ließe.

Beim Verbot der Promiskuität stellt sich ebenfalls die Frage: Was ist mit ,Promiskuität’ gemeint. Mein alter Sprach-Brockhaus bestimmt „Promiskuität“ als „häufig wechselnder Geschlechtsverkehr ohne eheliche Bindung“. Da gibt es wohl auch in unserer Gesellschaft zumindest Subkulturen, in denen kein ethisches Verbot für „Geschlechtsverkehr ohne eheliche Bindung“ besteht und wohl auch kein Verbot für „häufig wechselnden Geschlechtsverkehr“, so dass wir die Ethnologen gar nicht erst befragen müssen. Ob ein Verbot von Promiskuität im definierten Sinne allgemein konsensfähig ist, bleibt damit fraglich. (Meines Wissen findet sich das Inzestverbot in allen Gesellschaften.)

Interessant finde ich Deine Äußerungen zur Ethik als einer „Richtschnur“, die sich dem Wandel der Sprache und der Wirklichkeit anpassen müsse, aber offenbar einen unveränderlichen Kern besitzt. Wie kann man diesen Kern näher bestimmen? Ist dieser Kern jedem denkenden Individuum zugänglich?

Gruß Eberhard


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 27. Apr. 2003, 13:49 Uhr

Hallo Eberhard,

Thema "Schauermärchen".
Die Geschichte mit den Eskimos kann ich nicht bestätigen.
Dafür aber einen ähnlichen Brauch in einigen ozeanischen Kulturen. Dort wurde der Vater mit 60 Jahren lebendig begraben. Als Grund wurde genannt, dass man auf diese Weise erreichen wolle, dass der Vater noch wohlbehalten im Jenseits landen und sich dort für die Sippe einsetzen würde. Ein altersschwacher und siecher Vater im Jenseits galt als nicht wünschenswert.
Eine interessante Lösung des Rentenproblems!

Gruß HP

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 27. Apr. 2003, 21:55 Uhr

> Eine interessante Lösung des Rentenproblems! <

die alten Menschen scheinen euch irgend wie schwer im Magen zu liegen.

Paul

Titel: Was sin ideale Diskussionsbedingungen?
Beitrag von Eberhard am 28. Apr. 2003, 06:55 Uhr

Hallo Hanspeter,

ich bin einverstanden, dass wir die Normsetzungsverfahren erstmal nicht diskutieren sondern weiter nach allgemein konsensfähigen inhaltlichen Normen des Handelns suchen. Eine Norm ist dann allgemein konsensfähig, wenn dieser Norm unter idealen Diskussionsbedingungen jedes beliebige Individuum zustimmt.

Ideal ist eine Diskussion, wenn:
- die Diskussionsteilnehmer keinerlei Zwang aufeinander ausüben als den des besseren Argumentes,
- wenn es keinerlei Beschränkungen zeitlicher Art gibt sondern die Fragen „ausdiskutiert“ werden können,
- wenn es keine Missverständnisse gibt sondern alle vorgebrachten Argumente von allen Diskussionsteilnehmern im gleichen Sinne verstanden werden,
- wenn jeder bereit ist, die von ihm benutzten Begriffe zu erläutern und in eine allgemein verständliche Sprache zu übersetzen,
- wenn jeder Teilnehmer die intellektuellen Fähigkeiten zum Verstehen der vorgebrachten Argumente besitzt,
- wenn keinerlei Argumente von vornherein ausgeschlossen werden, z.B. weil sie als gefährlich oder schädlich angesehen werden,
- wenn jeder Diskussionsteilnehmer das Ziel teilt, allein durch Argumente zu einem Konsens zu gelangen,
- wenn jedes Argument unabhängig davon geprüft wird, wer das Argument vorgebracht hat,
- wenn jeder bereit ist, seine bestehenden Überzeugungen durch neue Argumente in Frage stellen zu lassen und gegebenenfalls zu ändern, wenn er einsieht, dass seine Position nicht konsensfähig sein kann,
- wenn jeder auf Überredungsstrategien verzichtet und z.B. keine Argumente vorträgt, die er selber nicht für richtig hält, von denen er aber annimmt, dass sie auf den andern im erwünschten Sinne wirken,
- wenn jeder auf Argumente verzichtet, die andere nicht nachvollziehen und nachprüfen können
- wenn kein Diskussionsteilnehmer Druck auf einen andern ausübt, indem er ihn z.B. als lächerlich, unwissend oder unmoralisch hinstellt.

Kann man das verlangen? Fehlt noch was? Vielleicht müsste man noch etwas sortieren.

Gruß Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 28. Apr. 2003, 17:03 Uhr

Hi Eberhard,

eine tolle Diskussionsrunde wäre das, wenn sie sich so traumhaft verhalten würden. Zum Einschlafen, denn wahrscheinlich würden daran nur KI's teilnehmen.

Bei Menschen die ihre Meinung preisgeben sind Unterbewußtsein und Emotionen im Bewußtsein der Meinung involviert, abgesehen davon, dass die Zeit eine Rolle spielen würde.

Von den verschiedenen Wertigkeiten ganz zu schweigen und von den verschiedenen Facetten der Meinungsaufnahme beim Diskussionsteilnehmer.

Obwohl ich diese Aufstellung toll finde, halte ich sie nicht für durchführbar.
Grüße M.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 28. Apr. 2003, 20:06 Uhr

Hallo Eberhard,

ich weiß, daß Du zu Beginn (in einem anderen Thread glaub ich) einmal sinngemäß danach gefragt hast, ob man nicht annähernd die gleichen Argumentationsgrundsätze innehaben sollte, um überhaupt miteinander diskutieren zu können. (Ich hoffe ich verwechsel Dich jetzt nicht). Deine Aufstellung, so sehr sie mir auch in einzelnen Punkten gefällt drückt die Bejahung gerade genannter Fragestellung aus und widerspricht einem von Dir im letzten Beitrag vielbenutzten Wort "jeder".... Du setzt in Deiner Aufstellung, soweit ich das sehe, schon bestimmte logische Argumentationsmuster voraus, die sich aber als Grundlage nicht aus dieser definieren, sondern vielmehr schon die Weiterführung der von Dir gedachten Argumentationsgrundlage sind. Mit anderen Worten: Was sind für Dich gültige Argumentationen?

Grüsse, Lina

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 29. Apr. 2003, 01:51 Uhr

Hallo Eberhard,

ja, das liest sich gut und entspricht auch dem Idealen Diskussionsforum, keine Frage. Bedenke aber stets, du hast es mit realen Menschen zu tun. Diese verwenden Begriffe, die der andere nicht kennt und bei denen er sich nicht zu fragen traut, sie versuchen, den anderen niederzuwalzen usw. Strenggenommen müsstest du noch hinzufügen, dass jeder Diskussionsteilnehmer im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung sein Selbstbewusstsein dahingehend gefestigt hat, dass er es wagt, durch möglicherweise dumme Fragen und Antworten die geistig Überlegenen zu nerven und fähig ist, eigene Fehler einzugestehen.
Aber die Rahmenbedingungen sind in Ordnung, jeder ist also berechtigt, Fehlverhalten von Diskussionsteilnehmern nach diesem Katalog zu rügen.
Sortieren ist unnötig, besser nummerieren, dann kann jeder brüllen: Verstoß nach Nr. 3 der I.D.-Regeln!!

Ich denke, wir sollten mit der Diskussion beginnen. Welches sind deiner Ansicht nach die Grundlagen einer "Moral der Zukunft"?

Gruß HP

Titel: Was sind relevante und gültige Argumente?
Beitrag von Eberhard am 04. Mai 2003, 10:08 Uhr

Hallo an alle Diskussionsteilnehmer,

da ich dringend verreisen musste, komme ich erst heute zur Antwort.

An Margarete der Hinweis, dass die von mir genannten Diskussionsbedingungen nur ein Ideal sind, an das man sich mehr oder weniger annähern kann. Auch Diskussionen, die von diesem Ideal abweichen, können zu wertvollen Ergebnissen führen. Allerdings wird bei Verletzung dieser Regeln die Wahrheitsfindung erschwert. Die Gefahr, dass es langweilig wird, sehe ich nicht, denn wie beim Fußball müssen die Akteure ihre (Argumentations-) Technik verbessern, wenn die üblichen Fouls in Form von persönlichen Angriffen nicht zugelassen werden. Außerdem kann man mit Diskussionen natürlich auch andere Ziele als Wahrheitsfindung und Erkenntnisfortschritt verbinden. Nicht umsonst gibt es die Rubrik „Philosophie und Humor“.

Lina stellt die Frage, was für mich gültige Argumente sind. Hier der Versuch einer Antwort, der sich zugleich an Hanspeter richtet:

1. Ein Argument besteht aus einem oder mehreren Sätzen, die mit einem allgemeinen Geltungsanspruch geäußert werden. (Sätze, die mit einem allgemeinen Geltungsanspruch geäußert werden, nenne ich im Folgenden „Behauptungen“). Ein Argument besteht demnach aus einer oder mehreren Behauptungen.

2. Behauptungen werden zu einem Argument für (oder gegen) eine strittige Behauptung, wenn sich daraus Schlussfolgerungen ergeben, die mit der strittigen Behauptung (oder deren Verneinung) logisch nicht vereinbar sind. Wenn z.B. die Behauptung „Der Krieg gegen den Irak war ein Präventivkrieg“ strittig ist, so stellt der Satz „Das Regime von Saddam Hussein im Irak war eine grausame Diktatur“ kein relevantes Argument dar. Wenn dazu jedoch die weitere Prämisse kommt: „Diktaturen sind expansiv und deshalb aggressiv gegen ihre Nachbarn“ ergeben sich daraus Schlussfolgerungen, die für die Frage, ob es sich hier um einen Präventivkrieg handelte oder nicht, relevant sind. (Es kann sich dabei auch um statistische Aussagen handeln, die die Wahrscheinlichkeit des Zutreffens der strittigen Behauptung verändern.)

3. Ein gültiges Argument besteht aus logisch miteinander verbundenen Sätzen, deren Prämissen von demjenigen, an den sich das Argument richtet, zwanglos geteilt werden können. Andernfalls hat sich das Geltungsproblem nur von der strittigen Behauptung auf die in Anspruch genommenen Prämissen verlagert.

4. In empirischen Fragen kann diese zwanglose Übereinstimmung letztlich durch die intersubjektiv übereinstimmende Wahrnehmung erreicht werden. Die Behauptung „Quecksilber erstarrt bei ca. -38 Grad Celsius“ kann durch den Hinweis gestützt werden: „Beobachte das Thermometer und merke Dir den Wert, wann das Quecksilber beim Abkühlen fest wird.“ Von den Beschreibungen der individuellen Wahrnehmungen ( Dennis: „Ich sehe den Zieger bei minus 38“, Philipp: „Ich sehe den Zeiger auch bei minus 38“) gelangt man zu der subjektfrei formulierten empirischen Aussage: „Der Zeiger IST bei minus 38, wenn das Quecksilber erstarrt“.

5. Wie kann man nun in Bezug auf normative Behauptungen wie z.B. die moralische Norm „Man soll nicht lügen (es sei denn, es liegen die Bedingungen x,y,z vor)!“ zu einer zwanglosen Zustimmung aller kommen?

Ich habe für die Moral der Zukunft kein Patentrezept, Hanspeter, ich habe jedoch ein paar gedankliche Vorklärungen versucht:

6. Eine Norm beinhaltet, wie etwas sein soll; eine moralische Norm beinhaltet, wie gehandelt werden soll. Eine moralische Norm bejahen und ihr zustimmen bedeutet deshalb: bejahen, dass so gehandelt werden soll. Wenn ich bejahe, dass etwas so sein soll, dann will ich, dass es so sein soll.

7. Damit stellt sich die Frage nach allgemein konsensusfähigen Normen als die Frage nach dem, WAS ALLE GEMEINSAM WOLLEN KÖNNEN, OHNE EINEM ANDEREN ZWANG AUSGESETZT ZU SEIN ALS DEM ZWANG SICH ZU EINIGEN UND ZU EINEM KONSENS ZU KOMMEN.

Dabei geht es auch um eine „Moral der Zukunft“, Hanspeter, insofern als auch zu fragen ist, ob kommende Generationen dieser Norm zustimmen könnten. Wir müssen uns also fragen, ob wir die strittige Norm auch gegenüber unseren Kindern und Kindeskindern verantworten und rechtfertigen könnten.

Soviel erstmal. Es bleibt leider alles noch sehr abstrakt, aber wir können das Problem anhand von konkreten Problemen und Argumenten verdeutlichen.

Mich würde von Euch (und auch von anderen gerne wissen, ob ihr es grundsätzlich für sinnvoll haltet, nach den Bedingungen eines zwanglosen Konsens, also nach den Wegen zu einer friedlichen Einigung zu fragen. Und wenn ja, ob ihr dazu irgendwelche Ideen oder Vorschläge habt?

Alles neu macht der Mai, macht das Denken frisch und frei …

Das wünscht Euch Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 04. Mai 2003, 14:05 Uhr

Hallo Eberhard -

so nach dem Motto - frisch und frei nach Valentin -
können tät' ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut.

Zit. "Ohne einem Zwang ausgesetzt zu sein, als dem Zwang sich zu einigen und zu einem Konsens zu kommen"

Ich meine Zwang ist Druck, auch wenn ich ihn nur auf mich selbst ausübe, so hat er nichts mit dem von Kant beschriebenen Willen zu tun.

Du hast natürlich recht, jede Normtheorie ist idealistisch! Sie ist aber in ihrer Form meist nicht durchführbar, da der Mensch nicht nur logisch oder folgerichtig reagiert.
Auch nicht wenn ich ihn in die Pflicht genommen habe.
Unter zwanglosen Konsens verstehe ich aber auch die Bereitschaft zu einem friedlichen Ziel, einer Einigung zu gelangen. Gerade in unserer heutigen Zeit finde ich es besonders wichtig zu hinterfragen und zu philosophieren. Wenn die Ethik nicht mehr in der Lage ist einen Weg aufzuzeigen, enden wir in Anarchie und Gewalt. Mehr als ein moralisches Gerüst jedoch kann Ethik nie sein, denn die Entscheidungsfreiheit sofern sie gegeben ist liegt immer beim Handelnden.
Ich fände es wichtig, Ethikkommissionen einzusetzen in der Gesetzgebung, der Friedensbewegung, den Umweltproblemen, dem Welthandel usw.
Die Fragestellungen werden immer mehr was die Autonomie des Menschen betrifft, von den Verteilerproblemen hat ja Hanspeter schon einiges auffahren lassen.
Aber bevor ich Normen aufstelle die meinen Kindern die Zukunft sichern sollen, wäre es an der Zeit die eigenen moralischen Vorstellungen und Handlungen oder Handlungsweisen zu überprüfen und nach den bereits bestehenden Normen oder ethischen Begriffen zu leben um damit ein Beispiel zu geben an dem sich die Kinder und Jungendlichen orientieren können, denn damit würde schon ein beträchtlicher Teil an Sozialem und Humanistischem geleistet ohne dass hinterfragt werden müsste, weil es selbstverständlich wäre.
Ein Konsens beginnt in der Zweierbeziehung, der Familie und in der Gesellschaft eines Landes, und der Welt

Naja, mal sehen was der Mai sonst noch bringt!

Grüße

Margarete


Titel: Hallo EberRe: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 05. Mai 2003, 01:16 Uhr

Hallo Eberhard,

schön, dass du wieder da bist.

Der interessanteste Teil deiner Antwort ist für mich Satz 7. Ja, das Wollen-können. Das Valentin-Zitat lag auch mir auf den Tasten, nicht nur Margarete. Was ist, wenn du zB. Arbeiten wollen könntest, aber nicht willst und in die Kneipe gehst? Wenn jemand Arbeitsplätze-Schaffen wollen könnte, aber lieber das Geld auf sein Konto in Luxemburg bringt. Damit kommen wir, so glaube ich, in der Ethik nicht weiter.

Ein weiterer interessanter Teil deiner Antwort ist die Aussage, dass <alles noch sehr abstrakt> bleibt. Und dagegen habe ich ein Rezept. Wir werden konkret.

Nachwievor bin ich der Meinung, dass eine Moral eine Zielvorgabe hat und braucht. Auch wenn keine explizit formuliert ist. Man muss sich dann die Moral nur genauer angucken und dann findet man sie.
Also, was kann die Zielvorgabe sein? Vorschläge:

1. Der Christ sagt: "Mein Ziel sollte sein, das Wort Gottes auszuführen."
2. Der brave deutsche Gesetzesschöpfer sagt: "Mein Ziel sollte sein, ein maximales Glück für eine maximale Zahl von Bundesbürgern zu erreichen."
3. Der Hanspeter sagt: "Mein Ziel sollte sein, den Erhalt der Menschheit zu sichern."

Nun haben wir drei verschiedene Ansätze und können uns nun überlegen:
4. Welche sonstigen Zielsetzungen sind denkbar, und
5. Wie sind die Vorschläge 1 - 3 zu beurteilen.

Bitte um Antworten.

Gruß HP


Titel: Ethik - ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von astra am 05. Mai 2003, 09:53 Uhr

[quote author=Hanspeter]
... habe ich ein Rezept. Wir werden konkret.
Nachwievor bin ich der Meinung, dass eine Moral eine Zielvorgabe hat und braucht [/quote]

hallo hanspeter!
der vorschlag, konkret zu werden, findet natürlich sofort meine begeisterte zustimmung.
dabei ziel-orientiert vorzugehen, erscheint mir sehr verlockend, nur frage ich mich, ob in ethisch-moralischen belangen nicht die Einstellung/Haltung/Gesinnung eine grössere rolle spielt als das ziel.
beispiel: jemand überlegt sich, ob er für die sonntagzeitung den vollen preis bezahlen soll.
welches motiv wird den ausschlag geben für zahlen/nichtzahlen? die bibel (du sollst nicht stehlen)? die bedachtnahme auf das gemeinwohl - solidarität? (dies rückt sehr nahe an deinen ansatz nr.2). oder das ziel: erhaltung der zeitung?
[???] ..... grüsse, astra



Titel: Was können wir gemeinsam wollen?
Beitrag von Eberhard am 05. Mai 2003, 10:36 Uhr

Hallo Hanspeter, Margarete und alle Interessierten,

zuerst muss ich ein Missverständnis ausräumen. Ich habe als zentrale Frage formuliert: "Was können wir alle gemeinsam wollen?" Wenn ich fragen würde: "Was wollen wir alle gemeinsam?", so hätte ich mich auf den aktuellen Willen der Individuen bezogen und die Beantwortung der Frage wäre eine Aufgabe für die empirische Umfrageforschung. Der aktuelle Wille eines Individuums kann jedoch aufklärungsbedürftig sein, indem er auf falschen Annahmen über die Wirklichkeit oder auf unreflektierten emotional verankerten Denkhemmungen beruht.

Wenn man die Formulierung "Was können wir alle gemeinsam wollen?" als Frage nach der Möglichkeit eines allgemeinen Konsens versteht, so lassen sich auch die von Dir, Hanspeter, genannten Beispiele unter diesem Gesichtspunkt beurteilen.

Wenn z.B. Janosch lieber etwas anderes tut als zu arbeiten, dann ist das erstmal nur normal. Wenn Arbeit jedoch notwendig ist, um die notwendigen Mittel zum Leben zu erzeugen, so wäre die Norm "Niemand braucht zu arbeiten, wenn er lieber etwas anderes tut" sicher nicht konsensfähig, denn dann würde die Gesellschaft schnell zu Grunde gehen - und wer will das?

Auch die Norm "Janosch braucht nicht zu arbeiten, wenn er lieber etwas anderes tut. Die Mittel zum Leben bekommt er unabhängig davon" wäre nicht konsensfähig. Eine solche, auf die Identität der Individuen zugeschnittene Norm, die also nicht "person-unabhängig" formuliert werden kann, ist wegen der darin enthaltenen, sachlich nicht begründeten Ungleichbehandlung der Individuen grundsätzlich nicht allgemein konsensfähig. Warum sollten andere, die genauso wie Janosch lieber weniger arbeiten würden als mehr, auch zustimmen, dass sie mehr arbeiten müssen, um Janosch durchzufüttern?

Zu Deinen drei Begründungsvarianten ist unter dem Gesichtspunkt der Konsensfähigkeit Folgendes zu sagen:

1.Warum sollten Nicht-Christen den Normen zustimmen, die nach dem christlichen Glauben von Gott gesetzt sind? Dies würde zusätzlich eine glaubensunabhängige, intersubjektiv nachvollziehbare und nachprüfbare Begründung erfordern.

2. Das Ziel "Maximales Glück für eine maximale Zahl von Bundesbürgern" ist nicht allgemein konsensfähig, weil die Nicht-Bundesbürger keinen Grund haben, der sachlich nicht begründeten Bevorzugung dieser Gruppe zuzustimmen (siehe oben). Außerdem ist das "Ziel" nicht umsetzbar, schon weil die gleichzeitige Maximierung zweier Variablen kein eindeutiges Ergebnis hat. Hier müsste umformuliert werden.

3. Das Ziel "Sicherung des Erhalts der Menschheit" erscheint mir allgemein konsensfähig und wenn dessen Verfolgung in Konflikt mit der Verfolgung anderen Zielen (leben in Bildung, Kultur, Würde, Wohlstand) geraten sollte, hätte das Ziel wohl Priorität. Allerdings spielen sich die meisten Konflikte unterhalb dieser Ebene ab, so dass nicht mit dem drohenden Untergang der Menschheit argumentiert werden kann.

Um auch selber noch einen Vorschlag zu machen:
"Handlungen, die für mindestens ein Individuum vorteilhaft sind und für niemandem nachteilig sind, sind erlaubt." Meiner Meinung nach könnte eine solche Norm - die Wohlfahrtsökonomen nennen das "Pareto-Optimalität" - von allen gewollt werden.

Gibt es weitere Vorschläge? Gruß Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 05. Mai 2003, 15:03 Uhr

Hallo Eberhard,

du setzt große Stücke in die Lernbereitschaft der Menschen. Hoffentlich erlebst du da nicht einmal unangenehme Überraschungen. Mit meinen drei Beispielen habe ich auch versucht, dir indirekt klar zu machen, dass das mit dem gemeinsamen Konsens nicht so leicht geht. Der Kardinal wird sich nicht fragen, ob er Empfängnisverhütung wollen kann, er wird auch nicht nach Aufklärung lechzen, er lehnt das eben strikt ab. Auch wenn du sachlich mit "emotional verankerten Denkhemmungen" richtig liegst. Auch dein Janosch-Beispiel ist vollkommen akzeptabel und im Idealen Diskussionsforum unstrittig. Aber Janosch ist eben ein Faulpelz und nun wirst du Gesetze erlassen müssen, die das Problem in den Griff kriegen.

Zu meinem Vorschlag Nr. 2 ist natürlich zu sagen, dass die Gesetzgeber anderer sogenannter Demokratien genauso argumentieren müssten. Das mit dem Doppelziel ist allerdings ein gewichtiger Einwand, aber steht diese Forderung nicht so ähnlich in der amerikanischen Verfassung?
Deinen Vorschlag: "Handlungen, die für mindestens ein Individuum vorteilhaft sind und für niemandem nachteilig sind, sind erlaubt" akzeptiere ich sofort, wenn du auch künftige Generationen mitberücksichtigst. Aber dies ist kein (Staats-) Ziel. Ich glaube auch nicht, dass es irgend eine Handlungsweise gibt, die zB von unseren Gesetzen verboten ist, aber deiner Forderung entspricht. Weißt du ein Beispiel? Wie Margarete ja richtig erwähnte, haben wir doch ganz konkrete Probleme wie Umwelt, Welthandel usw. Da hilft dein Ziel überhaupt nicht, weil jedes relevante Gesetz für irgend jemanden nachteilig ist.

Dein Vorwurf zu meinem Vorschlag des Erhalts der Menschheit, die meisten Konflikte spielen sich unter dieser Ebene ab, trifft nicht. Nicht nur bei den Beispielen Umwelt und Welthandel ist das von fundamentaler Bedeutung. Aber, noch einmal, ich plädiere ja für die Hierarchie der Normen. Es gibt noch eine Reihe weiterer Normen, klar. Im Grunde taugen alle Normen. Nur sie müssen in die Hierarchie passen. Der Christ darf selbstverständlich dem Wort Gottes gehorchen. Und wenn er aus der Bibel herleitet, dass soziale Gerechtigkeit eine wichtige Forderung ist, dann sehe ich keine Probleme, dies auch mit dem moralischen Credo des Erhalts der Menschheit zu vereinen. Umweltpolitik und soziale Gerechtigkeit schließen sich nicht nur nicht aus, sie bedingen einander. Wenn aber der Christ Gesetze gegen die Empfängnisverhütung fordert, wird man eben dem Problem der Umweltzerstörung den höheren Rang einräumen und das verhindern. Damit ist also die christliche Moral nicht weg, sondern muss sich mit einem mittleren Rang in der Hierarchie begnügen.

Gruß HP

Hallo Astra,

wie ich am 27. April 2003 schon versucht habe zu zeigen, sollten wir meines Erachtens in die Gesetzesebene einsteigen, da diese wirklich relevant ist. Die persönliche Moral ist natürlich wichtig, aber zu sehr an die Person gebunden. Ich habe zB mit dem Bezahlen einer Sonntagszeitung keine Probleme.
Du hast Recht, die <Einstellung/Haltung/Gesinnung> spielt für den Einzelnen eine sehr viel größere Rolle als das Ziel, aber wenn man eine neue Moral entwickelt und an die Gesetzgebung denkt, muss man meiner Meinung nach vom Ziel und nicht von Einstellung/Haltung/Gesinnung der Einzelpersonen ausgehen. Ist eine Frage der Methodik.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von astra am 05. Mai 2003, 18:43 Uhr

[quote author=Hanspeter]
Du hast Recht, die <Einstellung/Haltung/Gesinnung> spielt für den Einzelnen eine sehr viel größere Rolle als das Ziel, aber wenn man eine neue Moral entwickelt und an die Gesetzgebung denkt, muss man meiner Meinung nach vom Ziel und nicht von Einstellung/Haltung/Gesinnung der Einzelpersonen ausgehen. Ist eine Frage der Methodik.[/quote]

mein sonntagzeitung-beispiel war offenbar nicht ziel...führend ;-)
also noch ein weiteres, um zu demonstrieren, dass es meines erachtens nicht nur um die einstellung und gesinnung des individuums geht: ein dritte-welt-land, ohnedies regelmässig von bürgerkriegen gebeutelt, wird nun auch noch von einer hungersnot heimgesucht.
wie soll/könnte gesetzlich verankert werden/sein, dass ländern, die sich ín einer ökonomisch aussichtslosen situation befinden, die schulden erlassen werden? [ruffle]
grüsse, astra




Titel: Was macht man mit eingefleischten Dogmatikern?
Beitrag von Eberhard am 05. Mai 2003, 22:02 Uhr

Hallo Hanspeter,

ein Ordnungsruf wegen Verstoß gegen Diskussionsregel 17c: Meine Behauptung, dass der Erhalt der Menschheit bei den meisten sozialen Konflikten nicht in Frage gestellt wird, ist kein „Vorwurf“, denn sie richtet sich nicht gegen das Handeln einer Person. Meine Behauptung ist nur ein kritischer Hinweis zur Reichweite eines vorgeschlagenen Prinzips.

Aber Scherz beiseite. Kommen wir zur Aufgabe zurück. Meine Frage an Dich, Hanspeter, ist, wie Du mit dem Kardinal argumentieren willst, der sich nicht fragt, ob er Empfängnisverhütung oder Aufklärung der Individuen über ihre wirklichen Bedürfnisse will, sondern dies strikt ablehnt. Mein Argument gegen eine solche – und jede andere – dogmatische Position, die sich mir gegenüber nicht begründen will und die sich von mir nicht argumentativ in Frage stellen lässt, lautet: „Eine solche Position ist im buchstäblichen Sinn nicht ‚diskutabel’.“ Wenn eine solche dogmatische Position auch für mich verbindlich sein soll, dann ist dies Gewalt und dann darf und muss ich mich dagegen anders wehren als nur mit Argumenten.

Also: Wie argumentierst Du mit eingefleischten Dogmatikern? Wie machst Du das Ziel „Erhaltung der Menschheit“ anderen „plausibel“?
Gruß Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 06. Mai 2003, 05:42 Uhr

Hallo astra,

was du meintest habe ich mir schon so in etwa gedacht, bin aber von Natur aus ein boshafter Mensch.

Das mit dem Schuldenerlass ist eine schwierige Geschichte und von Land zu Land verschieden. Der Vorteil des Schuldenerlasses mag sein, dass sinnvolle Projekte besser in Schwung gebracht werden können. Doch der Nachteil scheint mir erheblicher zu sein. Schulden machen ja nicht die einfachen Menschen, sondern die Herrschenden. Erlässt man sie nun, werden die betreffenden Staaten weiter Schulden machen, nach dem Motto, sitzen wir genug in der Scheiße, kriegen wir sie ja wieder erlassen. Außerdem werden die Gelder in der Regel für unsinnige Projekte verbraten, nicht selten für Rüstungszwecke. Schuldenerlass nur dann, wenn keine neuen Schulden mehr gemacht werden dürfen. Und man dafür Sorge trägt, dass das Geld in die richtigen Kanäle fließt.

Gruß HP

Hallo Eberhard,

Ordnungsruf akzeptiert, knirsch.

Zum Kardinalsproblem. Ist tatsächlich eines. Natürlich passt der Kardinal nicht in dein Ideales Diskussionsforum (I.D.). Die logische Konsequenz: Vertreter einer Religion passen letztendlich nie in das I.D., weil sie dessen Regeln Nr. 5, 6 und 8 (wenn ich richtig zähle) nicht akzeptieren können. Nicht aus Bosheit, sondern vom Prinzip her. Damit sind Religionen und ihre Anhänger grundsätzlich ausgeschlossen. Sie können ihre Ansichten zur Diskussion stellen, mehr nicht. Das entspricht ja auch meiner Vorstellung, dass sie in der Hierarchie der moralischen Forderungen einen Platz erhalten, den ihnen die religionsunabhängigen Moralisten zuordnen. In letzter Konsequenz: Es führt zum Machtkampf. Aber das ist beim Erstellen von Gesetzen ja die Norm. Aktuelle Beispiele gefällig?
Klar, dein Ideal der Gewaltfreiheit liegt, fürchte ich, zumindest schon einmal im Bach. Ob es auch hinuntergespült wird, werden wir sehen.

Gruß HP


Titel: Normverstösse und Sanktionen
Beitrag von Eberhard am 06. Mai 2003, 15:34 Uhr

Hallo Hanspeter,

eine Anmerkung zur „Gewaltfreiheit“ und der Rolle, die ich ihr beimesse. Wenn ich nach Normen suche, die alle gemeinsam zwangfrei anerkennen können, so beinhaltet das nicht die Ansicht, dass es ein Leben ohne die Anwendung von Zwang oder Gewalt geben könne. Menschen sind keine Engel, und auch die Verletzung konsensfähige Normen kann für den einzelnen vorteilhaft sein. Deshalb wird z.B. Gewalt und Zwang zur Durchsetzung der Normen erforderlich bleiben.

Ob jedoch eine Norm „richtig“ oder konsensfähig ist, darf keine Frage der überlegenen Gewalt sein. Der Dogmatiker kann natürlich aus der Argumentation aussteigen und mir seine moralischen Vorstellungen aufzwingen, aber er soll dann bitte nicht den Anspruch erheben, mir gegenüber in irgendeiner Weise „recht zu haben“. Diesen Anspruch kann er nur durch „Vernunftgründe“ (Argumente) einlösen, nicht jedoch durch die Schaffung entsprechender „Beweggründe“ (Drohungen).

Da wir gerade bei dem Problem der Durchsetzung von Normen sind, noch einige Gedanken zum Übergang von Moral zu Recht. Ich bin bisher stillschweigend davon ausgegangen, dass die Normen unter der Annahme ihrer ausnahmslosen Befolgung beurteilt werden. Also entsprechend der Frage: „Wäre es akzeptabel, wenn alle die Norm x befolgen würden?“ Hier stellt sich aber sofort die Frage: „Und was ist, wenn sich einige NICHT an die Norm x halten?“ Damit würde die ursprüngliche Frage ja folgendermaßen verändert: „Wäre es akzeptabel, wenn die meisten die Norm x befolgen würden, einige aber nicht?“

Damit verändert sich natürlich die Konsensfähigkeit. Nehmen wir ein Beispiel: Alle waren sich einig, dass an Stelle der unzähligen Trampelpfade, die bequem aber hässlich sind, ein einziger Weg angelegt werden soll und die Fläche ansonsten schön bepflanzt werden soll. Deshalb das Schild: „Nicht betreten! Anpflanzungen!“ Wenn nun manche Leute doch die Abkürzung über die Grünfläche nehmen, so wird für die „gesetzestreuen“ Individuen die Norm unakzeptabel, denn sie nehmen nicht nur den Umweg in Kauf, auch die erwarteten positiven Ergebnisse dieser Einschränkung, die blühenden Blumenbeete, sind hinüber.

Damit wird eine soziale Sanktionsinstanz notwendig und der Weg der „Verrechtlichung“ wird beschritten. Hier trennen sich dann auch die Wege derjenigen, die nach dem moralisch richtigen Handeln nur fragen, weil sie „gute Menschen“ sein wollen und keine Schuld auf sich laden wollen, und denjenigen, die nach der richtigen Moral fragen, weil sie die gesellschaftliche Ordnung „moralisch gerecht“ gestalten wollen. Den Ersteren kommt es vor allem auf die innerpsychische Sanktionsinstanz an, das „Gewissen“. Den Letzteren geht es vor allem um die Rechtfertigung bzw. Kritik der soziale Ordnung und deren Durchsetzung. Ich denke, wir sollten vor allem den zweiten Weg weiter verfolgen.
Gruß Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 07. Mai 2003, 05:10 Uhr

Hallo Eberhard,

du hast Recht, in Sachen Gewalt gibt es Klärungsbedarf. Ich gebe zu, in meinem letzten Beitrag hier die Normenerstellung und die Durchsetzung nicht sauber getrennt zu haben. Es ist klar, dass im Idealen Diskussionsforum Vernunftgründe zählen, weshalb der Kardinal dort nichts zu suchen hat.

Es ist auch sicher richtig, bei der Erstellung der Normen nicht auf ihre Verwirklichung zu schielen, sondern danach zu streben: "Was ist wahr" und nicht, "diese Wahrheit ist nicht durchsetzbar, also verzichten wir auf sie". Hier fällt der Praktiker wieder einmal aus der Rolle.

Auf alle Fälle bin ich auch der Meinung, dass wir den zweiten Weg zu wählen haben, nämlich den, eine "moralisch gerechte" Ordnung zu erstellen.

Damit kehren wir, neu gestärkt, wieder zum Ausgangspunkt zurück. Ich erinnere dich an meinen Bericht vom 5. Mai 2003, 15:03 Uhr, in dem ich meinen Vorschlag verteidigte und an deinem Vorschlag herummeckerte. Da hätte ich doch noch gerne eine Antwort (Brei, heiß, miau).

Gruß HP



Titel: Zur Hierarchie der Güter
Beitrag von Eberhard am 07. Mai 2003, 06:15 Uhr

Hallo Hanspeter,
welches ist der heiße Brei? Dein Plädoyer für die Hierarchie der Normen? Du schreibst: „Im Grunde taugen alle Normen. Nur sie müssen in die Hierarchie passen. .. Wenn .. der Christ Gesetze gegen Empfängnisverhütung fordert, wird man eben der Umweltzerstörung den höheren Rang einräumen. Damit ist die christliche Moral nicht weg, sondern muss sich mit einem mittleren Rang in der Hierarchie begnügen.“
Das Problem, das ich mit dieser Argumentation habe, besteht darin, dass die Vorrangregeln für die Normen ausformuliert werden müssen, damit die nebeneinander stehenden Normen anwendbar werden. Offenbar hast Du eine Gewichtung und Abwägung der verschiedenen Güter im Sinn. Ohne eine ausformulierte Rangfolge dieser Güter (1. Erhalt der Menschheit, 2. Wohlergehen der Menschheit, … 12. Schutz des ungeborenen Lebens, .. 27. Schutz der Tiere vor nicht artgerechter Haltung .. 35. Beseitigung der krassen Einkommensunterschiede zwischen den Staaten .. usw.) lassen sich keine konkreten Entscheidungen ableiten. Und auch dann gibt es noch zusätzliche Probleme, z.B., wenn durch eine Handlung ein vorrangiges Gut nur leicht beeinträchtigt wird, dagegen ein nachrangiges Gut stark gefördert wird.
Die Güterabwägung ist ein unsicheres Feld, wie Dir jeder Verfassungsrichter bescheinigen wird, der zwischen verschiedenen Grundrechten abwägen muss, z.B. zwischen der Freiheit der Wissenschaft und der Würde des Menschen in Bezug auf die Erlaubnis für die Gentechnologie.
Das weitere Problem, das ich mit der Rangordnung der Güter habe, ist die Begründung für die gewählte Rangordnung. Welche intersubjektiv nachvollziehbaren Argumente führst Du für eine bestimmte Rangordnung an?
Wenn es noch mehr heißen Brei gibt, dann nenn ihn mir bitte. Ich hoffe, ich werde mir nicht die Zunge verbrennen und dazu schweigen müssen.

Gruß Eberhard


Titel: Hausfrauenphilosophie
Beitrag von margarete am 07. Mai 2003, 09:57 Uhr

[user]Hi,

es wird nichts so heiß gegessen wie's gekocht wird! [nohear]

Ciao!

Titel: Rechtliche und moralische Normen
Beitrag von Eberhard am 07. Mai 2003, 17:39 Uhr

Hallo astra,
wenn ich Dich recht verstehe, willst Du gegenüber Hanspeter die Grenzen einer rechtlichen Regelung durch Gesetzgebung deutlich machen und auf die Bedeutung und Unverzichtbarkeit der rein moralischen Ebene hinweisen. Ich stimme Dir da grundsätzlich zu und will das aus meiner Sicht noch etwas ausführlicher begründen.

Du hast das Problem an dem folgenden Beispiel demonstriert:
„ein dritte-welt-land, ohnedies regelmässig von bürgerkriegen gebeutelt, wird nun auch noch von einer hungersnot heimgesucht. wie soll/könnte gesetzlich verankert werden/sein, dass ländern, die sich ín einer ökonomisch aussichtslosen situation befinden, die schulden erlassen werden?“

Dein Beispiel bezieht sich auf „rechtserzeugende Institutionen“ wie Eigentum und Vertrag, die ich als „Normsetzungsverfahren“ bezeichnen will. Normsetzungsverfahren sind erforderlich, weil sich viele Konflikt- und Kooperationsbereiche nicht im Voraus durch allgemeine Handlungsnormen detailliert genug regeln lassen und weil der argumentative Konsens als Entscheidungsverfahren in der konkreten Handlungssituation zu langsam, zu kostspielig und in seinem Ausgang zu ungewiss ist.

Dein Beispiel zeigt jedoch die Problematik rechtlicher Normen auf, die häufig allein „formal“ bzw. verfahrensmäßig legitimiert und geprüft werden, wobei von einer inhaltlichen moralischen Prüfung der entstandenen Regelungen abgesehen wird. Der Darlehensvertrag mit dem Dritte-Welt-Land kann rechtswirksam zustande gekommen sein, und doch könnte das Bestehen der Gläubiger auf vollständiger Tilgung des Darlehens und Zahlung der vereinbarten Zinsen moralisch nicht zu rechtfertigen sein.

(Allerdings ließe sich auch eine rechtsförmige Regelung des Schuldenerlasses für das Dritte-Welt-Land denken. Das neue Konkursrecht könnte da einige Anregungen geben.)

Verbindlich gesetzte Rechtsnormen können den Individuen jedoch Planungssicherheit geben und ihnen damit die Verfolgung langfristiger Zielsetzungen ermöglichen. Das kann ein rein moralisches Normensystem nicht. Aus Gründen der Planungssicherheit sollen z.B. Gesetze nicht rückwirkend erlassen werden („Keine Bestrafung ohne bestehendes Gesetz!“, „Vertrauensschutz“ ). Rechtsnormen werden deshalb ausdrücklich ab einem bestimmten Datum in Kraft gesetzt und gelten nur innerhalb der Staatsgrenzen. Moralische Normen, die hier gelten aber zwei Kilometer weiter nicht, oder die seit heute gelten aber gestern noch nicht wären dagegen absurd.

Mein Fazit ist, dass sich die moralische und die rechtliche Ordnung ergänzen müssen, weil jede Ordnung Unterschiedliches leisten kann.

Gruß Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 07. Mai 2003, 18:19 Uhr

Hallo Eberhard -

ich glaube ihr habt die Rechnung ohne den Wirt gemacht.
In Eurem Fall ohne die Wirtschaft.
Recht und Moral lassen sich meist erst dann einsetzen, wenn das "Entwicklungland" sozial frei ist,bzw. auf dem Weg dahin.Denn sonst ist es alles egal was rundherum ist, was zählt ist der Hunger!
Die Verantwortlichen - nämlich die reichen Industriestaaten haben Recht und Ordnung, und auch eine gewisse Moral, aber nur zu ihrem Vorteil. Die Katze fängt beim Kopf zu stinken an!

Nicht nur der einzelne Bürger sondern vor allem der Staat (bzw. die Regierung) der das Wissen und die Macht hat etwas zustande zu bringen hätte die Pflicht sich darüber Gedanken zu machen. Man kann den Bürger nicht in die Pflicht nehmen ein Hilfsprogramm auszuarbeiten, aber ich kann ihn bei der Ausführung verpflichten.

Margarete



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 08. Mai 2003, 04:15 Uhr

Hallo Eberhard,

piano, piano, ich wollte dir nicht auf die Zehen steigen mit dem heißen Brei. Welcher Ordnungsruf ist fällig?
Nein nein, jetzt sind wir da, wo ich hin will. Bei der Ethik-Diskussion.
Es ist richtig, dass die Rangfolge ausformuliert werden muss. Ob vorher oder nachher ist eine Frage der Methodik. Nebenbei, in der Erstellung von Gesetzen wird ja ähnlich vorgegangen. Dass es ein schwieriges Feld ist, ist mir klar. Schließlich arbeitet ein Rattenschwanz von Experten schon einige Zeit an diesem Problem und ein Ende ist nicht absehbar. Doch das mögliche Auftreten von Schwierigkeiten hast du ja in deinen I.D.-Kriterien nicht als Hinderungsgrund aufgeführt.

Ich denke, eine andere Vorgehensweise ist effektiver. Man stellt einen Aspekt in den Raum. ZB. Soziale Gerechtigkeit, Globalisierung , Umweltschutzmaßnahmen usw. Dann setzt man bestimmte Normen, die zunächst plausibel erscheinen und prüft daraufhin, in wieweit sie mit den bereits vorhandenen kompatibel sind und ob sie das gesetzte Staatsziel verletzen. Dann ergibt sich die Hierarchie von selbst.
Also Beispiel Globalisierung: Sind die Kriterien des Freihandels, so wie ihn die WTO sieht, moralisch akzeptabel? Ich denke, mit dieser Diskussion entsprechen wir auch den Intentionen von astra und Margarete.

Zum Thema heißen Brei: Wie beurteilst du mein Gemeckere über deine "Pareto-Optimalität"?


Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 08. Mai 2003, 09:36 Uhr

Hallo an alle,

Thema 3. Welt, ein hübsches Problem.
Wieso bitte schön sind die reichen Industriestaaten für das, was in der sogenannten Entwicklungspolitik geschieht, allein verantwortlich? Wieso haben sie die moralische Verpflichtung, den dort herrschenden Hunger einzudämmen?
Ich denke, wir müssen uns entscheiden. Wenn wir hier eine allgemein gültige Moral erstellen wollen, dann müssen sich auch die Herrschenden der sogenannten Entwicklungsländer daran gebunden halten. Wenn wir dagegen eine deutsch-österreichische Moral entwickeln wollen, dann müssten wir nicht den Erhalt der Menschheit, sondern den Erhalt der Deutschen und Österreicher als moralisches Credo einführen.

Ich gehe zunächst einmal von der ersten Annahme aus. Dann kann man nicht argumentieren, ja, die da "unten" haben Hunger, also müssen wir erst mal Lebensmittel schicken. Das ist blinder Aktionismus, der zwar dem einen oder anderen ein gutes Gewissen beschert, aber kein Problem löst, sondern es nur vergrößert. Wir müssen uns vielmehr grundsätzlich überlegen, woher kommt das Problem. Und hier spielt zum einen die Gier der 1. Welt nach billigen Rohstoffen, zum anderen aber auch die Gier der 3. Welt nach dem Lebensstandard der 1. Welt die entscheidende Rolle.

Argumentiert man aber so, dass man sagt, auf die Entscheidungen der Herrschenden in der 3. Welt haben wir ohnehin keinen Einfluss, sie tun auch nicht das, was für ihr Land gut ist, sie absetzen können wir auch nicht, also machen wir das Beste für u n s. Ich halte diese Denkweise dann nicht für grundsätzlich falsch.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 08. Mai 2003, 10:20 Uhr

Hallo Hanspeter -

Gerade wenn wir eine allgemein gültige Moral entwickeln wollen, dann kann ich nach der Kant'schen Vernunft nur das wollen, was alle wollen können.
Z. B. dass alle Menschen die Grundbedürfnisse befriedigen können.
Natürlich muss bei den wichtigsten begonnen werden, der Hunger gestillt, die med. Versorgung usw., dabei kann es aber nicht bleiben im gleichen Zug müsste man sich überlegen wo anzusetzen ist, damit das Land in der Lage ist sich selbst zu versorgen.
Wie es jetzt aussieht, geht es doch nur darum wie vernichte ich mein Kriegsgerät um wieder neues produzieren zu können. das ist sicher keine Lösung.
Wer soll deiner Meinung nach helfen, wenn nicht die großen Brüder? Wenn die Kleinen nicht in der Lage sind das zu tun, d.h. sich selbst zu helfen.
Eine deutsch-österr.Moral hatten wir schon einmal, das war nicht das non plus ultra?
Es ist einfach anzuerkennen, dass es zwar um Ö oder D geht, beiden kann es aber nur gut gehen wenn es auch den anderen gut geht!
Wer sagt, dass es auf die Herrschenden in der dritten Welt keinen Einfluß gibt? Sie sind doch abhänging von den anderen Ländern!
Einzig der Fanatismus ist nicht zu bekämpfen, der aber wiederum aus der Armut und der Bildungslosigkeit resultiert, also indirekt wäre auch dieser zu lösen.

Grüße M.

Titel: Pflicht zur Hilfe an die 3. Welt?
Beitrag von Eberhard am 08. Mai 2003, 22:55 Uhr

Hallo Hanspeter und Margarete,

dem Vorschlag, über die Verpflichtung zur Hilfeleistung für die 3. Welt zu diskutieren, stimme ich zu. (Es ist allerdings ein derart komplexes und vielschichtiges Thema, dass unsere Unkenntnis und unser Dissens in Bezug auf die Fakten so stark sein können, dass wir gar nicht zu den eigentlich ethischen Fragen kommen.) Wenn wir ein konkretes Gebiet ethischer Fragen herausgreifen, sollten wir uns die Mühe machen, unsere eigene Argumentation kritisch zu analysieren. Das heißt,

dass wir die verschiedenen Fragen sauber auseinander halten,

dass wir uns fragen, ob die vorgebrachten Gründe von jedem andern nachvollzogen und geteilt werden können,

dass wir die einzelnen logischen Schritte in unseren Argumenten transparent machen

uns die Art der aufgestellten Behauptungen bewusst machen,

dass wir immer dann, wenn wir uns auf Fakten berufen, deutlich machen, woher diese Fakten stammen.

Ich behalte mir also vor, die interessante bunte Diskussion von Zeit zu Zeit durch graue methodische Reflexion zu unterbrechen.

In diesem Sinne sollten wir uns als erstes über die Frage klar werden, die wir beantworten wollen. Zentral scheinen mir vor allem folgende zwei Fragen zu sein:

1. Bin ich als einzelner Mensch mit dem Lebensstandard Mitteleuropas in irgendeiner Weise verpflichtet, durch Geldspenden oder praktisches Tun den Hungernden in den armen Ländern der Welt zu helfen – und wenn ja, wie weit geht diese Verpflichtung?

2. Ist die Bundesrepublik Deutschland in irgendeiner Weise verpflichtet, durch finanzielle Zuschüsse oder praktische Entwicklungsprojekte den Lebensstandard in den ärmsten Ländern anzuheben – und wenn ja, wie weit geht diese Verpflichtung?

Dabei bedeutet die „Verpflichtung“ eines Subjekts zu einer Handlung, dass das Unterlassen dieser Handlung dem Subjekt vorzuwerfen ist.

Einverstanden? Womit wollen wir beginnen?

Gruß Eberhard.

p.s.: Zur Optimalität kommt demnächst eine Erwiderung, Hanspeter.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 09. Mai 2003, 02:42 Uhr

Hallo Margarete,

das mit dem <was alle wollen können> hatten wir ja gerade. Ich denke, du verwechselt die Erstellung einer allgemein gültigen Moral mit der Lösung tatsächlich existierender Probleme. Es gibt nun einmal derzeit Herrscher, die Dinge wollen, die andere nicht wollen. Und so lange die nicht anders wollen, geht nichts.

Wenn der Große Bruder in der 3. Welt den Hunger stillt und sie medizinisch versorgt, es ihm aber nicht gelingt, die Bevölkerungsexplosion zu stoppen, dann löst er das Problem nicht. Wenn du in Wien die Tauben fütterst und medizinisch versorgst, darfst du nicht erwarten, dass sie damit rasch in der Lage sind, sich selbst zu versorgen und im Gleichgewicht mit ihrer Umwelt zu leben. Ich weiß, das hörst du nicht gern, aber es ist hat so.
Du schreibst, uns <kann es aber nur gut gehen wenn es auch den anderen gut geht!>. Uns geht es schon ziemlich lange gut und den anderen schon ziemlich lange schlecht. Denkst du da in erdgeschichtlichen Dimensionen?

Ja, lasst uns fanatisch den Fanatismus bekämpfen. Und vor allem die Bildungslosigkeit. Vielleicht wird dann auch die erste Welt begreifen, dass 6 Milliarden Menschen nicht auf dem Level der BRD leben können. Die Ökologen reden sich da schon lange den Mund fusslig.

Gruß HP


Hallo Eberhard,

habe gerade noch deinen Beitrag kurz gelesen. Hast Recht, wenn du die methodischen Zügel ziehst. Detaillierte Antwort folgt.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 09. Mai 2003, 08:23 Uhr

Hallo Eberhard,

rufe zur Geschäftsordnung, wenn du es für nötig hältst.

Meine Antwort zu deinen beiden Fragen:

Ich fühle mich nur dann zur Hilfe verpflichtet, wenn der Empfänger der Hilfe bereit ist, diese Hilfe anzunehmen und ferner bereit ist, die Ursachen der Not zu bekämpfen. Anders formuliert, der Empfänger der Hilfe muss die Kriterien und Normen der von uns zu entwickelnden, allgemein gültigen Moral akzeptieren.

Das ist für mich die Grundbedingung jeder Entwicklungshilfe. Gibt es Einwände gegen diese These?

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 09. Mai 2003, 08:59 Uhr

Hallo Eberhard,

dank Dir für Deine Antwort vom 4. Mai. Was ich da herausgreifen möchte ist folgendes, was mir aufgefallen ist:

Es ist in mir der Eindruck entstanden, daß Argumente, die sich sprachlich im Ausdruck direkt als Eigenschaft zeigen, (beispielsweise: Ich werde geschlagen, das schmerzt.) nicht als Argumente zählen. Erst dann zum Argument wird, wenn dieser Ausdruck im Eigenschaftlichen einen außerhalb von mir stehenden Bezugspunkt erhält (beispielsweise, der Ast schlägt mir ins Gesicht, das schmerzt.)?

Grüsse, Lina

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von margarete am 09. Mai 2003, 10:16 Uhr

Hallo Eberhard, Hanspeter-

ich bin leider ein paar Tage auße Gefecht, wenn ich dann noch Schritt halten kann, melde ich mich wieder.

Liebe Grüße Margarete


Titel: Optimieren oder nicht?
Beitrag von Eberhard am 09. Mai 2003, 14:56 Uhr

Hallo Hanspeter,
Du wolltest noch meine Antwort auf Deine Kritik an dem von mir vorgeschlagenen Kriterium der Pareto-Optimalität hören. Noch mal zur Erinnerung: Ein Zustand ist solange nicht optimal, wie es eine mögliche Veränderung gibt, durch die kein Individuum schlechter gestellt wird aber zumindest ein Individuum besser. Dein „Gemeckere“ an diesem Vorschlag bestand nicht darin, dass dies Kriterium abzulehnen ist, sondern dass dies Kriterium bereits überall erfüllt ist.
Du hattest geschrieben: „Deinen Vorschlag: "Handlungen, die für mindestens ein Individuum vorteilhaft sind und für niemandem nachteilig sind, sind erlaubt" akzeptiere ich sofort, wenn du auch künftige Generationen mitberücksichtigst. Aber dies ist kein (Staats-) Ziel. Ich glaube auch nicht, dass es irgend eine Handlungsweise gibt, die zB von unseren Gesetzen verboten ist, aber deiner Forderung entspricht. Weißt du ein Beispiel? Wie Margarete ja richtig erwähnte, haben wir doch ganz konkrete Probleme wie Umwelt, Welthandel usw. Da hilft dein Ziel überhaupt nicht, weil jedes relevante Gesetz für irgend jemanden nachteilig ist.“
Ich gebe Dir darin recht, dass wir mit diesem Kriterium allein nicht sehr weit kommen. Ich hatte es auch vor allem deshalb genannt, weil es relativ unproblematisch zu sein scheint und so einen geeigneten Einstieg in die Auflistung allgemein konsensfähiger normativer Kriterien ermöglicht. Das harmlose Kriterium hat jedoch seine Tücken, je nachdem wie man bestimmt, was für ein Individuum vorteilhaft oder nachteilig ist. Wenn man von der liberalen Auffassung ausgeht, dass jeder (erwachsene) Mensch selber am besten weiß, was für ihn von Vorteil oder Nachteil ist, so dürfte z.B. „Tötung auf Verlangen“ nicht generell unter Strafe gestellt sein, denn demjenigen, der sein Leben beenden will, ist geholfen und anderen damit nicht notwendig geschadet worden – dies zumindest dann nicht, wenn eine Handlung nicht bereits dann als Schädigung eines Individuum angesehen wird, wenn diese Handlung nicht den moralischen Einstellungen dieses Individuums entspricht. Entsprechend könnte man in Bezug auf das Verbot der Ausstellung präparierter menschlicher Körper argumentieren.
Wo Interessenkonflikte bestehen und nicht nur Konflikte mit vorhandenen Überzeugungen, kann nicht mehr optimiert werden, das ist richtig. Das Kriterium entwickelt jedoch eine gewaltige Dynamik, wenn es mit der Anerkennung von Eigentumsrechten verbunden wird. Dann ist – wieder unter der Voraussetzung, dass jeder selber am besten weiß, was für ihn gut oder schlecht ist – damit das Prinzip der Vertragsfreiheit impliziert: Wenn sich Individuen freiwillig einigen und verpflichten, bestimmte Handlungen zu tun und gegenseitig bestimmte Leistungen zu erbringen, so stellt das eine Optimierung dar. Die Vertragspartner bekommen ihren Willen und das Eigentum anderer wird nicht angetastet (es sei denn, es handelte sich um einen Vertrag zur Gründung einer kriminellen Vereinigung oder ähnliches). Zu fragen bleibt allerdings, ob ein Dritter nicht auch durch einen Vertrag geschädigt werden kann, auch ohne dass in seine Eigentumsrechte eingegriffen wurde.
Mit der Kombination aus Eigentumsrecht und Vertragsfreiheit haben wir also eine Marktwirtschaft und sofern Eigentum auch an Produktionsfaktoren erworben werden kann, haben wir auch einen weltweiten kapitalistischen Freihandel. Womit wir bei unserm exemplarischen Thema „Der Weltmarkt und seine Folgen für die Länder mit gering entwickelter Technologie“ wären.
Mal sehen, ob wir mehr können als dilettieren. (Vielleicht gibt es ja bei Philtalk nicht nur Philosophen sondern auch Experten für internationale Beziehungen, für Weltwirtschaft und afrikanische bzw. lateinamerikanische Länder, die uns in empirischen Fragen notfalls korrigieren können).
Gruß Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 09. Mai 2003, 16:23 Uhr

Hallo Eberhard,

nachdem HP mir ja nun offenkundig zugegeben hat, daß er mich ignoriert, möchte ich Dich (zumindest des Anstands wegen) bitten, mir zu sagen daß (aus welchen Gründen auch immer, interessieren mich nicht) meine Fragen in diesem Thread unerwünscht sind. Du würdest mir damit zumindest ein bisschen Zeit sparen, in dem ich nicht diesen Thread öffnen muß, ich mir jegliche Mühe ersparen kann, die Hoffnung zu hegen, hier in meinen eigenen Überlegungen weiterzukommen. Denn von außen betrachtet sehe ich in Eurer Diskussion keinerlei Problemlösungen, die ich irgendwo in der Realität anwenden könnte. Da wo die Menschen um die es geht nicht gehört werden, ist Ethik tatsächlich ein sinnloses Unterpfangen. Übrigens, noch vielen Dank, daß Ihr Euch um Allerweltsprobleme kümmert und die kleinen Anregungen einfach übergeht, und daß gerade die Euch mal nicht über den Kopf wachsen.

Grüsse, Lina



PS: Keine Antwort bis zu Deinem nächsten Beitrag reicht auch!

Titel: Wollen können im Sinne von Kant?
Beitrag von Eberhard am 09. Mai 2003, 17:59 Uhr

Hallo Margarete,
auch wenn Du ein paar Tage verhindert bist, noch eine Stellungnahme zu einem Punkt, der mir wichtig ist. Ich hatte geschrieben:
Damit stellt sich die Frage nach allgemein konsensusfähigen Normen als die Frage nach dem, WAS ALLE GEMEINSAM WOLLEN KÖNNEN, OHNE EINEM ANDEREN ZWANG AUSGESETZT ZU SEIN ALS DEM ZWANG SICH ZU EINIGEN UND ZU EINEM KONSENS ZU KOMMEN.

Du schreibst dazu: „Ich meine Zwang ist Druck, auch wenn ich ihn nur auf mich selbst ausübe, so hat er nichts mit dem von Kant beschriebenen Willen zu tun.“

Dazu ein Klärungsversuch meinerseits. Mit dem „von Kant beschriebenen Willen“ beziehst Du Dich wahrscheinlich auf den „Kategorischen Imperativ“, mit dem Kant ein Kriterium für sittlich einwandfreies Handeln geben will. Kant fordert darin: „Handle nur nach der Maxime, von der du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“
Kants kritische Frage in Bezug auf eine Handlungsregel lautet:
„Kannst DU wollen, dass alle diese Handlungsregel befolgen?“..
Meine kritische Frage in Bezug auf eine Handlungsregel lautet:
„Können ALLE wollen, dass alle diese Handlungsregel befolgen?“
Mein Kriterium schließt also das Kantsche Kriterium mit ein und geht darüber hinaus.
Ich hoffe, ich habe dem Königsberger Denker mit dieser Interpretation nicht zuviel Gewalt angetan.
Gruß Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 10. Mai 2003, 02:02 Uhr

Hallo Eberhard,

1. Pareto. Im Prinzip klar. Sehe dieses Argument auch bestenfalls als Instrument zur Feinabstimmung.

In der Tat, die <liberale Auffassung, dass jeder (erwachsene) Mensch selber am besten weiß, was für ihn von Vorteil oder Nachteil ist>, halte ich für problematisch. Weniger beim Beispiel "Tötung auf Verlangen". Hier könnte man lediglich argumentieren, mit seinem Tod schadet er den behandelnden Ärzten (Patient weg = Geld weg) und womöglich auch Menschen, die er finanziell unterstützte (Pension weg = Geld weg).
Ob das Prinzip, dass jeder selber weiß, was für ihn gut oder schlecht ist, zutrifft, würden die Psychologen aber sehr in Zweifel ziehen. Der depressiv strukturierte Mensch zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass er sich mehr um das Wohl des Anderen sorgt, als um sich selbst (Helfersyndrom). Aber dem kann man entgegnen, es ist ja in seinem Interesse, wenn es dem anderen besser geht als ihm selbst.

Ein weiteres Problem dieses Prinzips ist, so wie es aufgrund deiner Ausführungen verstehe, das "Über-den-Tisch-ziehen". Theoretisch dürfte es das ja gar nicht geben, denn jeder weiß, was für ihn am besten ist. Da es aber Unterschiede in der Intelligenz gibt, hat das zur Folge, dass der Klügere (= Gerissenere) den Löwenanteil bekommt, denn er weiß es besser.

Ganz allgemein frage ich mich, ob eine moralisch relevante Handlung denkbar ist, die nicht auch einem Menschen schaden kann.

2. Entwicklungshilfe. Ich denke, wir brauchen hier keinen Spezialisten für Welthandel, da wir ja noch bei der grundsätzlichen Frage ja oder nein sind. Zur Begriffsklärung vielleicht zwei Definitionen
Entwicklungshilfe B habe das Ziel, der Bevölkerung zu helfen.
Entwicklungshilfe W habe das Ziel, der eigenen Wirtschaft zu helfen.

Nehmen wir das Beispiel Brasilien, so kann man argumentieren, dieses Land hat, moralisch gesehen, die katholische Kirche voll in der Hand, ergo ist für Probleme, die sich aus dem Bevölkerungszuwachs ergeben, der Vatikan zuständig und hat auch entsprechend zu helfen. Hier würde ich es problemlos akzeptieren, dass ein Staat wie die BRD sich ausschließlich auf Entwicklungshilfe des Typs W konzentriert.

Gruß HP



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 10. Mai 2003, 06:56 Uhr

Von ALLEN kann wohl kaum die Rede sein. Da ist die Ausweichmöglichkeit "die die Wollen" schon etwas realistischer. Die Frage in Anknüpfung an den kategorischen Imperativ Kants bleibt, wie animiert man Menschen dazu etwas zu wollen. Nicht in der Intelligenz sehe ich Defizite, sondern eben in diesem Wollen vielmehr nicht wollen können oder müssen. Was die praktische Entwicklungshilfe angeht, wären vielleicht unsere Psychologen und Pädagogen gefragt, dort tätig zu werden.

Lina

Titel: Moralische Gründe für Entwicklungshilfe
Beitrag von Eberhard am 11. Mai 2003, 00:02 Uhr

Hallo Hanspeter,
Zur Frage nach der Hilfe für die 3. Welt:
Ich hatte als Frage in Bezug auf das Handeln des Einzelnen formuliert: „Bin ich als einzelner Mensch mit dem Lebensstandard Mitteleuropas in irgendeiner Weise verpflichtet, durch Geldspenden oder praktisches Tun den Hungernden in den armen Ländern der Welt zu helfen – und wenn ja, wie weit geht diese Verpflichtung?“
Deine Antwort darauf lautet: „Ich fühle mich nur dann zur Hilfe verpflichtet, wenn der Empfänger der Hilfe bereit ist, diese Hilfe anzunehmen und ferner bereit ist, die Ursachen der Not zu bekämpfen.“
Du bejahst also die Verpflichtung. (Du formulierst allerdings, dass Du Dich verpflichtet „fühlst“, aber ich interpretiere das nicht als bloße Beschreibung deines Empfindens sondern als Bejahung der gestellten Frage.)
Du knüpfst diese Bejahung jedoch an zwei Bedingungen:
1. Der Empfänger der Hilfe muss bereit sein, diese Hilfe anzunehmen.
2. Der Empfänger der Hilfe muss bereit sein, die Ursachen seiner Not zu bekämpfen.
Die erste Bedingung kann man dahingehend interpretieren, dass Du der Regel folgst, dass eine Hilfe zwar angeboten aber nicht aufgezwungen werden soll. Diese Bedingung wird man bei dem Angebot einer finanziellen Hilfe wohl als erfüllbar ansehen können. Hilfsgelder brauchte man wohl niemandem aufzwingen.
Die zweite Bedingung ist schon schwieriger zu erfüllen, denn sie setzt einen Konsens über die Ursachen der Not voraus, was in Bezug auf den Hunger in der 3. Welt eine komplexe empirische Frage ist. Wenn ich dazu heranziehe, was Du an Margarete geschrieben hast, so siehst Du die Ursache im übermäßigen Bevölkerungswachstum: „Wenn der Große Bruder in der 3. Welt den Hunger stillt und sie medizinisch versorgt, es ihm aber nicht gelingt, die Bevölkerungsexplosion zu stoppen, dann löst er das Problem nicht.“ Man könnte als Ursache des Hungers jedoch auch die instabilen politischen Verhältnisse, die mangelnde Industrialisierung, die ungerechten Preisverhältnisse auf dem Weltmarkt, die Zerstörung der tradierten Kultur durch den Kolonialismus oder die heftiger werdenden Naturkatastrophen (Dürre) anführen.
Die Frage ist, welche allgemeine Handlungsregel Deiner Antwort zugrunde liegt. Ich versuche einmal eine Formulierung dieser Norm, die – wie wir uns ja bereits einig waren - personunabhängig formuliert sein muss, wenn sie konsensfähig sein soll. Die Regel könnte lauten:
„Wenn ein Mensch über mehr Mittel verfügt, als zu seiner Erhaltung nötig ist, und
wenn ein anderer Mensch keine Nahrungsmittel besitzt und zu verhungern droht,
dann ist der Wohlhabende moralisch verpflichtet, dem Armen die notwendigen Mittel zum Überleben zu schenken.
Diese Verpflichtung entfällt, wenn der Arme nicht bereit ist, die Ursachen seiner Notlage zu bekämpfen.
Diese Verpflichtung entfällt auch dann, wenn die Beseitigung der Not des Armen neue Notlagen bei anderen Individuen erzeugt.“
Habe ich Deine Handlungsregel in Bezug auf die Verpflichtung des Einzelnen einigermaßen richtig formuliert?
In Bezug auf die Verpflichtung des Staates sind die Handlungsregeln wohl analog. Hinzu kommt noch die Regel:
„Die Verpflichtung zur Hilfeleistung entfällt außerdem dann, wenn eine andere ebenfalls wohlhabende Institution (katholische Kirche in Lateinamerika) die Notlage verursacht oder deren Beseitigung versäumt oder verhindert hat. In diesem Fall ist zuerst diese Institution zuständig und verantwortlich für die notwendigen Hilfeleistungen.“
Gruß Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 11. Mai 2003, 00:53 Uhr

Gut, daß wir in einem freien Land leben. Es ist absolut nicht meine Art mich jemandem aufzudrängen. Aber Eure Institutionalisierung von Menschen legt den Grundstock zur Revolution. Und ... mehr als Euch drauf hinweisen kann ich nun auch nicht mehr, wenn nichts weiter als Ingnoranz zu erwarten ist. Ich sollte diese Diskussion vielleicht in der Schublade ablegen: Zum Spass an der Argumentation mit ernstem Inhalt?!

Part erledigt
Lina

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 11. Mai 2003, 03:31 Uhr

Hallo Eberhard,

deinem analytischen Auge entgeht nichts.

1. Deine Interpretation der Verpflichtung ist richtig. Die psychologische Begründung des etwas unphilosophischen und zögerlichen "Fühlens" ist, dass mir eine rationale Begründung dafür noch nicht eingefallen ist. Aber ich akzeptiere, dass das ebenso wenig nötig ist, wie der Beweis, dass das was ich sehe, auch wirklich existiert.

2. Deine Handlungsregel ist ohne Einschränkungen richtig. Ich habe gegenüber Margarete nur eine mögliche Ursache erwähnt. Selbstverständlich gelten auch deine, nicht nur möglichen, sondern sehr realen Ursachen, gleichermaßen.

Danke, Eberhard.

Falls du diese Argumentation teilst, fragt sich nun, wem gegenüber können wir Entwicklungshilfe vom Typ B überhaupt gewähren? Oder müssen wir dieses Thema ad acta legen?

Gruß HP




Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von ffloo am 11. Mai 2003, 18:58 Uhr

wenn ethik definitiv ein sinnloses unterfangen wäre, dann würde zu dieser fragestellung nicht die größte anzahl an einträgen in allen foren verfasst worden sein...

Titel: Fakten zum Hunger in den unterentwickelten Ländern
Beitrag von Eberhard am 11. Mai 2003, 23:12 Uhr

Einige Fakten zur Problematik der Hilfe für die unterentwickelten Länder.

Quelle: Encarta Enzyklopädie Standard 2003, Artikel „Lebensmittelversorgung der Weltbevölkerung“ , Stichwort „Hungersnot“

Weltweit hungern 800 Millionen Menschen
Davon sterben jedenTag ca. 24.000 Menschen an Unterernährung.
Davon sind ungefähr drei Viertel Kinder.

Chronischer Hunger und chronische Unterernährung in großem Umfang können auf weit verbreitete Armut, unzulängliche Nahrungsmittelverteilung oder ein im Verhältnis zur Produktions- oder Versorgungskapazität einer Region unverhältnismäßig starkes Bevölkerungswachstum zurückzuführen sein.

Afrika, wo es bereits in den siebziger und achtziger Jahren zu großen Hungersnöten kam, könnte auch in den kommenden Jahrzehnten der am stärksten vom Hunger betroffene Kontinent sein. Zu den Ursachen für diese Katastrophen zählen Trockenheit, Desertifikation, arme Böden sowie zahlreiche Umstände, die die Einführung moderner landwirtschaftlicher Methoden bisher verhindern. Hinzu kommt ein schnelles Bevölkerungswachstum sowie die mangelnde Aufmerksamkeit mancher Regierungen für die Probleme in der Nahrungsmittelproduktion.
Die Hungersnöte in Afrika waren in den letzten Jahren jeweils dort am schlimmsten, wo Krieg oder Unruhen herrschten, wie etwa im Tschad, im Süden des Sudans, in Äthiopien, Moçambique und Somalia.

Zur Vorbeugung von Hungersnöten und den Folgen der Fehlernährung sind jedoch weit komplexere Veränderungen notwendig als Verbesserungen in der Saatgutzüchtung, der Lagerhaltung und bei den Anbaumethoden die Lebensmittelversorgung. Diese betreffen u. a. die Verteilung der Nahrungsmittel, die Verbesserung der Infrastruktur, Aufklärungskampagnen zur gesunden Ernährung und dem maßvollen Verbrauch von Lebensmitteln sowie die Familienplanung und die Erforschung der Ursachen von Insektenplagen, wie z. B. durch Wanderheuschrecken.

Um eine bestimmte Menge an Kalorien in Form von Fleisch zu erzeugen, muss ca. die 10fache Menge an pflanzlichen Kalorien verfüttert werden.

China erzielte hinsichtlich der Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung enorme Erfolge, indem es seine Hauptaufmerksamkeit auf die Landwirtschaft und Geburtenkontrolle lenkte und dadurch die Gefahr einer Hungersnot erheblich verminderte.

Seit 1960 hat sich die Weltbevölkerung verdoppelt.

1999 überschritt die Weltbevölkerung die 6 Milliarden-Marke.

Die jährliche Wachstumrate der Bevölkerung betrug 1995 - 2000 in den Entwicklungsländern 1,6 % und in den Industrieländern 0,3 %.

Gruß Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von ffloo am 11. Mai 2003, 23:20 Uhr

finde ich sehr gur, eberhart, dass du mit deiner auflistung von fakten einen effekt des wachrüttlns bewirkst. dadurch wird die wahre bedeutung des leides, egal ob es einen sinn hat oder nicht, unmittelbar vor augen geführt und bewahrt den verwöhnten europärer vor kleingeistigem geschnatter über dinge die den massenhaften tod anderer verursachen...

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von ffloo am 11. Mai 2003, 23:25 Uhr

mist..."gut"...nicht "gur"..also nochmal: ich halte es für furchtbar dekadent, naiv und weltfremd sich solche fragen angesichts des vermeidbaren millionenfachen todes in den ärmeren anteilen der weltbevölkerung zu stellen. gut, dass du hier einlenkst, eberhard!!!

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von ffloo am 11. Mai 2003, 23:27 Uhr

*ähem* ich hoffe, eberhard, dass ich dich hier auch richtig verstanden habe...*hüstel*

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 12. Mai 2003, 03:30 Uhr

Hallo Eberhard,

was sagt uns das, was du da aus dem Encarta-Lexikon zitiert hast?

Der meines Erachtens interessanteste Satz ist: <China erzielte hinsichtlich der Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung enorme Erfolge, indem es seine Hauptaufmerksamkeit auf die Landwirtschaft und Geburtenkontrolle lenkte und dadurch die Gefahr einer Hungersnot erheblich verminderte.> Also, da haben wir es. Ich glaube nicht, dass China so besonders viel westliche Entwicklungshilfe bekam. Die Staaten sollen ihre Probleme selbst lösen und nicht lethargisch auf westliche Wohltaten warten.

Und, ffloo, wenn du der Meinung bist, die <Europäer mit ihrem kleingeistigen Geschnatter> (ich nehme an, du bist kein Europäer) sollten sich diesen Problemen stellen, so steht nichts im Weg, dass du auf jegliche Annehmlichkeiten verzichtest (Auto, Stereoanlage, gute Ernährung, Kneipenbesuch etc.) und das Geld an die 3. Welthilfe überweist. Und selbstverständlich für eine massive Steuererhöhung zugunsten der armen Negerlein eintrittst. An stürmischer Begeisterung wird es da nicht mangeln.

Noch etwas: Eberhard schreibt: Pro Tag sterben 24.000 Menschen an Unterernährung. Also pro Jahr ca. 8,8 Millionen. Die Weltbevölkerung nimmt pro Jahr um ca. 80 Millionen zu. Nur so zum Vergleich.

Ganz anders sieht die Sache aus, wenn es um ökologische Projekte geht, da der Schutz der Umwelt eine Angelegenheit von globalem Interesse ist. So können zB die Drittweltländer zurecht eine westliche Unterstützung bei der Einrichtung und dem Erhalt von Nationalparks fordern.

Gruß HP





Titel: Pflicht zum Spenden?
Beitrag von Eberhard am 12. Mai 2003, 07:02 Uhr

Hallo Hanspeter und sonstige Interessierte,
da ich für 2 Tage verreisen muss, vorher noch ein paar „unfrisierte“ Gedanken zur moralischen Begründung der Entwicklungshilfe.
Generell gilt für mich der methodische Anspruch, dass ich allgemein konsensfähige Argumente finde, denen also sowohl die gut versorgten Mitteleuropäer oder Nordamerikaner als auch die Menschen in den unterentwickelten Ländern zustimmen können. Deshalb darf ich nicht nur aus „meiner Sicht“ und Interessenlage argumentieren, sondern muss mich auch in die Lage der anderen hineinversetzen.

Zur Frage einer moralischen Verpflichtung des Einzelnen zur Hilfeleistung.
Zu fragen ist einmal, ob es sich um eine PFLICHT handelt oder ob eine solche Hilfeleistung eine moralisch lobenswerte und vorbildliche Handlung darstellt, die aber dennoch freiwillig bleibt. Beides muss unterschieden werden. Der aufopferungsvolle Einsatz der Mutter Theresa für die Ärmsten mag lobenswert sein, doch wenn man ein solches Handeln zur Pflicht machen wollte, so wäre das sicherlich eine moralische Überforderung der meisten Menschen und kontraproduktiv.
Über den folgenden Satz: „Wenn ein Mensch über mehr Mittel verfügt, als zu seiner Erhaltung nötig ist, und wenn ein anderer Mensch keine Nahrungsmittel besitzt und zu verhungern droht, dann ist moralisch vorbildlich, wenn der Wohlhabende dem Armen die notwendigen Mittel zum Überleben schenkt“ ließe sich meiner Ansicht nach ein allgemeiner Konsens herstellen. Wenn ein Individuum f r e i w i l l i g für andere mehr gibt, als man von ihm verlangen kann, so ist ein Konsens leicht möglich: Der Gebende ist einverstanden und die Empfangenden werden auch nichts dagegen haben. Allerdings hätten wir dann nur eine moralische Bewertung aber keine Norm.

Das Problem deutet sich schon in der Formulierung „Verpflichtung zu schenken“ an. Genau genommen ist dies ein Widerspruch, wenn „Schenken“ als „freiwilliges Übereignen von Gütern an andere“ definiert ist, denn wozu ich verpflichtet bin, soll ich tun, ob ich es nun will oder nicht.
Eine Frage, die sich anschließt, lautet: „Ist es dann moralisch schlecht, n i c h t zu spenden?“ Ließe sich darüber ein allgemeiner Konsens herstellen? Ich muss die Frage erstmal offen lassen.
Die Pflicht zur Hilfeleistung steht im Konflikt mit dem Eigentumsrecht: Warum soll jemand verpflichtet sein, von seinem ehrlich und womöglich durch harte Arbeit Erworbenen an andere abzugeben?
Im innerstaatlichen Bereich gibt allerdings eine derartige rechtlich normierte Pflicht: einmal gibt es die Pflicht, Steuern zu zahlen, aus denen der Staat die Sozialhilfe an Individuen ohne Einkommen und Vermögen bezahlt und sie so vor dem Hunger schützt.
Und es gibt den Paragraphen im Strafgesetzbuch, der „unterlassene Hilfeleistung“ unter Strafe stellt – übrigens eine der wenigen G e b o t e im Strafrecht.
Ich muss leider hier abbrechen und hoffe, dass andere zu den vielen offenen Fragen Ideen haben.
Bis hoffentlich bald Eberhard.

p.s. Hallo floo, offenbar bist Du der Meinung, alle Fragen seien schon beantwortet. Selbst wenn es überflüssiges Geschnatter wäre, dann zeig mir die Diskussionsrunde im Philtalk, die ihre Zeit sinnvoller verbringt. Warum sollten wir aufhören und andere weitermachen - oder verlangst Du von uns mehr als von den andern, nur weil wir ein besonders wichtiges Problem diskutieren?

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 12. Mai 2003, 09:41 Uhr

Hallo Flo,

die Länge dieses Threads weist in keinster Weise auf die Wichtigkeit, den Sinn oder den sittlichen Nährwert hin. Als Beispiel sei genannt, daß nun hier Fragen rund um das Thema "Spenden" gestellt werden. Diese Problematik wurde aber bereits im Einzelnen unter einem anderen Thema erörtert, obgleich auch nicht ausschöpfend. Bei Interesse suche ich den link heraus, der, wenn Eberhard und HP ernsthaft an diesem Thema und den Ansichten anderer in diesem Forum interessiert sind wohl Einklang finden wird. Nach meiner jetzigen Sicht kann dieser Thread unendlich lang werden, weil kein Ende abzusehen das mit der Frage im Verhältnis zu sehen ist. Und selbst wenn, wird es rein subjektiv bleiben, weil gewisse Arten von Argumenten von vornherein ausgeschlossen wurden bzw. trotz der Kenntnis davon nicht berücksichtigt wurden, die aber deswegen noch lange nicht ungültig sind. Inweit die Seitenanzahl den Diskussionsrahmen sprengt wären unter der Rubrik, Fragen und Vorschläge an Philtalk zu stellen. Deine Antwort auf die Frage, Ist Ethik ein sinnloses Unterpfangen? - Ethik ist kein sinnloses Unterpfangen! - damit zu begründen, daß es nicht sinnlos ist, allein deshalb schon, daß sich hier Menschen getroffen haben, die miteinander reden können, kann ich aus humanistischen Gründen befürworten.

grüsse, Lina

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von ffloo am 12. Mai 2003, 23:08 Uhr

@eberhart: wenn die frage, ob einem menschen in not zu helfen ist (für dich) eine ethische frage ist und du diese frage mit "ja" oder "nein" beantworten würdest, dann wäre die frage, ob ethik ein sinnloses unterfangen ist nur dann mit "ja" zu beantworten, wenn du es auch für sinnlos erachten würdest einem menschen in not zu helfen, d.h. wenn du obige(erstgenannte) frage mit "nein" beantworten würdest.

@sheelina: schon klar, das die "barriere" der subjektivität keien allgemeingültigen schlüsse zulässt...ein weiterer punkt, der die berechtigung der diskussion in frage stellen könnte.

mfg flo

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 13. Mai 2003, 02:06 Uhr

Hallo Eberhard,

ich nummeriere, dann wird die Antwort leichter.

1. Begrenzung. Ich stimme deiner Forderung uneingeschränkt zu, dass es bei der Suche nach konsensfähigen Argumenten keine regionalen oder rassischen Schranken geben darf. Deine Forderungen für ein Ideales Diskussionsforum gelten allgemein.

2. Moralische Verpflichtung. Es ist ein großer Unterschied, ob ich konsensfähige Argumente suche oder mich in die Lage der Menschen der 3. Welt versetze. Bedenke, der Mensch der 3. Welt entspricht nicht deinen Kriterien eines idealen Diskussionsteilnehmers. Er wäre es nur, wie du bereits festlegtest, <wenn jeder auf Argumente verzichtet, die andere nicht nachvollziehen und nachprüfen können>.
Also kann ich sehr wohl v e r s t e h e n, dass ein christkatholischer Südamerikaner eine Geburtenkontrolle ablehnt oder ein Haciendabesitzer nicht bereit ist, seinen ererbten Grund und Boden aufzugeben, nicht aber b i l l i g e n. Daraus ergibt sich: Wenn die relevanten Bewohner der 3. Welt nicht bereit sind, die Ursachen für ihre Probleme wirksam zu bekämpfen, lehne ich Hilfe ab.

3: Dein Satz: "Wenn ein Mensch über mehr Mittel verfügt, als zu seiner Erhaltung nötig ist, und wenn ein anderer Mensch keine Nahrungsmittel besitzt und zu verhungern droht, dann ist moralisch vorbildlich, wenn der Wohlhabende dem Armen die notwendigen Mittel zum Überleben schenkt" ist für mich nicht konsensfähig. Es ist für mich nicht vorbildlich, für das Überleben von Menschen zu sorgen, die sich aktiv an der Vergrößerung der Ursache ihrer Not beteiligen und damit auch aktiv an dem Ast sägen, auf dem ich selber sitze. In der Elektronik nennt man das positive Rückkopplung, die nur in Ausnahmefällen erwünscht ist.

4. Der Vergleich mit der Rechtssituation in der BRD ist problematisch. Zum einen gilt für die Bewohner dieses Staates ein einheitliches Recht. Zum anderen ist der soziale Ausgleich deshalb wünschenswert und geboten, weil in der Regel sich jeder nach Kräften bemüht, die Ursache seiner Not zu bekämpfen. Zumindest sollte das so sein. Dass es in diesem Land auch Sozialschmarotzer gibt - die Zahl der Menschen, die in der BRD ungerechtfertigt Stütze kassieren, soll ja nach Untersuchungen des Bundesrechnungshofs im zweistelligen Prozentbereich liegen - ist bedauerlich und zu bekämpfen.
Das strafrechtlich festgelegte Gebot zur Hilfeleistung habe ich in den meisten Fällen erfüllt, wenn ich die professionellen Helfer alarmiere.

Noch einmal: Eine Entwicklungshilfe vom B-Typ, deren Ziel es also ist, der Bevölkerung des Nehmerlandes zu helfen, halte ich nur dann für gerechtfertigt, wenn auch von Seiten des Nehmers alles getan wird, die vorhandenen Probleme zu lösen. Helfen zur Befriedigung eines wie auch immer motivierten Helfersyndroms der Menschen in den Geberländern halte ich für schädlich.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 13. Mai 2003, 06:14 Uhr

Hallo Hanspeter und andere Interessierte,
ich hatte gesagt, dass die allgemeine Konsensfähigkeit einer f r e i w i l l i g e n Hilfe für Notleidende kein Problem ist. Fraglich bleibt die Begründung einer P f l i c h t zur Hilfeleistung.
Ich lasse mich übrigens durch kein Gezeter davon abbringen, nach dieser Begründung zu fragen.
Auch wenn vielen eine Sache gefühlsmäßig noch so eindeutig scheint, bleibt es die Aufgabe des Philosophen, nach einer „vernünftigen“ allgemein nachvollziehbaren Begründung zu fragen.
Wer Fragen nicht zulassen will und wer Versuche ihrer Beantwortung stören und abwürgen will, ist in einem philosophischen Diskussionsforum fehl am Platz.
Wer meint, sie hier gestellten Fragen seien woanders schon lange beantwortet und diese Diskussion sei überflüssig, der ist hiermit aufgefordert, diese Erkenntnisse hier zu präsentieren und der Kritik auszusetzen. Ich bin darauf sehr gespannt.
Nach dieser notwendigen Zwischenbemerkung weiter in der Sache: Eine bedingungslose Pflicht zur Hilfeleistung ist meines Erachtens deshalb nicht allgemein konsensfähig, weil dadurch die Motivation beeinträchtigt wird, sich anzustrengen und die unvermeidlichen Mühen auf sich zu nehmen, eine nützliche Leistung oder ein wertvolles Gut zu schaffen. Wenn ich weiß, dass es egal ist, ob ich arbeite oder mich vor den Fernseher setze, ob ich sparsam bin oder die besten Dinge verprasse, wenn ich weiß, dass ich die positiven oder negativen Folgen meines Handelns nicht selber tragen muss, dann schwindet meine Motivation, den mühevolleren Weg zu wählen. Und eine allgemeine „Drückebergerei“ und Verschwendung führt zu Ergebnissen, die sicher n i c h t allgemein konsensfähig sind.
Dies ist auch meine Anmerkung zu Margaretes Position, der ich grundsätzlich zustimme. Sie hatte geschrieben: „Gerade wenn wir eine allgemein gültige Moral entwickeln wollen, dann kann ich nach der Kant'schen Vernunft nur das wollen, was alle wollen können.
Z. B. dass alle Menschen die Grundbedürfnisse befriedigen können. Natürlich muss bei den wichtigsten begonnen werden, der Hunger gestillt, die medizinische Versorgung usw. Dabei kann es aber nicht bleiben, im gleichen Zug müsste man sich überlegen wo anzusetzen ist, damit das Land in der Lage ist sich selbst zu versorgen.“
Gruss Eberhard.

p.s. zu den letzten beiden Beiträgen später.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von ffloo am 13. Mai 2003, 18:57 Uhr

@allgemeinheit: Zitat von HP: "Es ist für mich nicht vorbildlich, für das Überleben von Menschen zu sorgen, die sich aktiv an der Vergrößerung der Ursache ihrer Not beteiligen und damit auch aktiv an dem Ast sägen, auf dem ich selber sitze."

diese phrase würde theoretisch korrekten inhalts sein, wenn das "aktiv am Ast sägen" tatsächlich eine massen-suizidähnliche handlung währe. dies ist allerdings in wahrheit die naivste und hanebüchendste interpretation des circulus vitiosus der armut, wie er in den ländern der 3. welt scheinbar unaufhaltsam fortgesetzt wird, die mir jemals vor augen gekommen ist...ich lach mir echt einen ab! *looooooooool*

"sich AKTIV an der Vergrösserung der Not beteiligen"? naiv gesehen stimmt das, HP, aber ist das ziel dieser AKTIVITÄT tatsächlich die NOT? ...NEIN definitiv nicht. die armen schweine, die in diesem teufelskreis der armut gefangen sind unternehmen alles um nur das überleben zu ermöglichen und ihre lebensqualität zu maximieren, was trotzdem noch ein anblick des jammers ist. dabei bleibt ihnen nur die wahl unmittelbar zu sterben oder dem tod zu entgehen, wobei letztere möglichkeit nur derart wahrgenommen werden kann, dass bei ihrer durchführung eine langfristige verbesserung der lage unmöglich ist!
dazu kommt hinzu, dass es dort gruppierungen gibt, die sich ihre lebensqualität gewaltsam sichern, was automatisch zur bildung von machtsrukturen führt, die eine hilfe von aussen zusätzlich in ihrer wirkung dämpfen. AUSSERDEM FEHLT ES DORT VORNE UND HINTEN AN AUFKLÄRUNG, DIE LEUTE WISSEN GAR NICHT MAL, DASS SIE AN IRGENDWELCHEN ÄSTEN SÄGEN!

eine möglichkeit helfend einzugreifen ohne fürchten zu müssen, dass man den ast abgesägt kriegt auf dem man sitzt, ist das SUBSIDIARITÄTSPRINZIP, welches ja schon seit vielen jahren teilweise mit erfolg praktiziert wird.

diese ganze diskussion mutet an wie ein versuch ignoranz zu rechtfertigen.

warum sollte ich gleich ALLE meine besitztümer aufgeben?
was ist denn dass für ein argument?

klar bin ich auch nicht ständig damit beschäftigt mir gedanken über die not der welt zu machen und klar gebe ich nicht wesentliche teile meines einkommens auf um die not zu lindern...so wie die aller meisten von uns...aber ich versuche wenigstens nicht meinen teil von ignoranz, den ich sicherlich nicht verleugnen kann und will, auch noch in irgendwelchen völlig abwegigen theoremen und inhaltsentstellten formulierungen zu cachieren, bzw. zu rechtfertigen.

was soll das denn werden? nehmen wir mal an jemand würde die diskussion "siegreich" zu ende führen (was hier, wie sheelina richtig bemerkt hat prinzipiell absolut unmöglich ist, weil ihr beide euch um eventuell auffindbare konstanten der weltsicht herumschlängelt)...nehmen wir weiter an, die gefundene konklusion wäre: "ethik ist ein sinnloses unterfangen, lasst die notleidenden wegsterben, dann gehts uns allen besser, sind eh selber schuld"...soll das etw der weissheit letzter schluss sein? wenn mann eine frage stellt sollte man auch zur antwort stehen können und zu einer solchen antwort zu stehen ist ziemlich starker tobak, wie ich finde!




Titel: Logik?
Beitrag von Eberhard am 13. Mai 2003, 19:09 Uhr

Hallo ffloo,
eigentlich ist Logik ja dazu da, die Sachen klarer zu machen. Bei Deinen halsbrecherischen Schlüssen fühlt man sich eher wie im Verwirrspiel.
Ich versuche mal, das Knäuel aufzulösen:
Bedingung A:Die Frage, ob einem Menschen in Not zu helfen ist, ist für E. eine ethische Frage, die E. mit ja oder nein beantworten würde.
Notwendige Bedingung B:
E. erachtet es für sinnlos, einem Menschen in Not zu helfen (= E. beantwortet die Frage: Ist einem Menschen in Not zu helfen? mit nein)
Schlussfolgerung
Die Frage, ob Ethik ein sinnloses Unterfangen ist, ist mit ja zu beantworten.
Diesen Schluss kann ich nicht nachvollziehen: Wie kann aus Aussagen über E.s Meinungen eine Eigenschaft der Ethik (sinnlos) folgen?

Richtig ist:
1. Ich halte Ethik für ein sinnvolles Unterfangen insofern ich das Ziel aufstelle, die ethischen Fragen allgemein nachvollziehbar und konsensfähig zu beantworten.
2. Zu den ethischen Fragen gehört auch die Frage: Ist man verpflichtet, einem Menschen in Not zu helfen? und ich versuche sie, unter diesem Gesichtspunkt zu beantworten.
3. Eine unbedingte Pflicht, einem Menschen in Not zu helfen, halte ich nicht für allgemein konsensfähig (siehe meinen vorigen Beitrag).

Wenn darin eine logische Inkonsistenz liegen sollte, bitte ich um entsprechende Hinweise.Solltest Du der Ansicht sein, dass die Barriere der Subjektivität keine allgemeingültign Schlüsse zulässt, so sei bitte so konsequent und gib den Anspruch auf, in irgendeiner Weise recht zu haben. Gruss Eberhard.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von ffloo am 13. Mai 2003, 19:48 Uhr

...wenn die frage, ob einem menschen in not zu helfen ist (für dich) eine ethische frage ist und du diese frage mit "ja" oder "nein" beantworten würdest, dann wäre die frage, ob ethik ein sinnloses unterfangen ist nur dann mit "ja" zu beantworten, wenn du es auch für sinnlos erachten würdest einem menschen in not zu helfen, d.h. wenn du obige(erstgenannte) frage mit "nein" beantworten würdest...

ich gebe zu, dass ich eine unzureichende definition verwendet habe (ethische Frage=Ethik ist falsch). also folgendes: "wenn die frage ob einem menschen in not zu helfen ethik ist und diese frage mit ja oder nein zu beantworten ist..." (beantwortung der frage mit "nein" bedeutete eben, dass ethik (im sinne einer anweisung) "nicht zu praktizieren" ist, dass heisst ja wohl, dass sie als sinnlos bezeichnet wird)

ich werde mich zukünftig aber gern raushalten, ich hasse die barriere der subjektivität nämlich. insbesondere wenn diejenigen, die sich darauf berufen trotzdem für sich in anspruch nehmen allgemeingültiges auszusagen, sobald es um nebulös definierte begriffe geht. im übrigen berufe ich mich hier auf sheelina, die sagt, dass logik in der philosophie mehr konsequentes denken ist als stures herunterleiern von definitionen und aussagen...was ich nicht ganz ohne finde.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 14. Mai 2003, 02:38 Uhr

Hallo Eberhard,

ich versuche, deinem Wunsch nach einer Begründung einer Hilfspflicht nachzukommen.

Die einzige, für mich plausible Begründung ist die der Gegenseitigkeit. Die Hilfspflicht impliziert ja auch die Pflicht, dass einem selbst geholfen wird, was sicher fast jeder irgendwie wünschen kann. Das aber hat zur Folge, dass die Hilfspflicht mit zunehmendem Abstand (räumlich oder emotional) vom Betroffenen sinkt. Nicht ganz zufällig spricht ja auch das Christentum von der Nächsten- und nicht einer allegmeinen Menschenliebe. Ist die Gegenseitigkeit nicht mehr gewährleistet, erlischt auch die Hilfspflicht. Die Gegenseitigkeit kann aber nicht nur durch räumliche oder emotionale Nähe wahrscheinlich gemacht, sondern auch per Gesetz verordnet werden. Damit gelingt es, eine sehr große Zahl von Menschen in die Hilfspflicht zu nehmen und damit die Hilfssicherheit (= Sicherheit, im Falle einer Not Hilfe zu bekommen) zu vergrößern. Damit erlischt aber die Hilfspflicht gegenüber jenen, die nicht vom Gesetz erfasst werden.

Schwierig wird es, wenn jemand argumentiert, ich bin wirtschaftlich auf so sicheren Füßen, dass ich keine fremde Hilfe je in Anspruch nehmen muss. Das mögliche Argument, dass sein Wohlstand auf moralisch schwachen Füßen steht, überzeugt nicht sehr, wenn er argumentieren kann, es steht jedem frei, sich genauso zu verhalten. Auch wenn ich diese Haltung nicht begrüße, ein rationales Gegenargument fällt mir nicht ein.

Ich fürchte, rationale Argumentationen nur auf der Basis der Logik führen in der Ethik nicht zum Ziel. Man braucht zusätzliche Axiome.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 14. Mai 2003, 06:37 Uhr

Hallo ffloo,

ich versuche zumindest einmal, mit dir sachlich über dieses Problem zu diskutieren. Ich denke, mit Emotionen kommen wir nicht weiter.

Warum konnten in den Ländern der 3. Welt vor der Ankunft der Europäer Menschen über lange Zeit ohne Entwicklungshilfe leben? Weil die Menschen dort im Gleichgewicht mit der Umwelt lebten. Ihre Bevölkerungszahl wurde durch die vorhandenen Lebensgrundlagen reguliert. Die damalige Zahl entsprach dem, was die Umwelt ermöglichte.

Warum herrscht in den Ländern der 3. Welt jetzt Hunger? Weil durch die 1. Welt medizinischer Fortschritt, falsche Nahrungsmittelproduktionen und Raubbau an der Umwelt eingeführt wurden, dadurch das dortige Gleichgewicht aus den Fugen geriet, die Bevölkerungszahl anstieg und jetzt die dortige Umwelt die existierende Zahl von Menschen nicht mehr ernähren kann.

Ein schönes Beispiel dazu findet sich in Tansania. Dort existierte über Jahrtausende ein stabiles Ökosystem rund um den Kilimandscharo. Durch die "Segnungen der Zivilisation" setzte eine Überbevölkerung ein, die vorhandenen Nahrungsressourcen reichten nicht aus, klugscheißerische Europäer hielten die dort praktizierte Waldwirtschaft für nicht mehr zeitgemäß und rieten dazu, die Wälder zu roden, kostbare Tropenhölzer wurden von Einheimischen verscherbelt. Die Folge: Der Wald um den Kilimandscharo wird weniger, er kann nicht mehr das Wasser speichern, in der Regenzeit wird wertvolle Erde weggespült und in der Trockenzeit ist zu wenig Wasser da.
Hilft nun die 1. Welt mit Nahrungsmitteln, erhöht sich die Bevölkerungszahl weiter, der Druck auf die Umwelt aber auch, mit der Folge, dass immer mehr Menschen ihre eigenen Lebensgrundlagen zerstören.
Hältst du das für wünschenswert?

Gruß HP



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 14. Mai 2003, 07:07 Uhr


on 05/14/03 um 06:37:46, Hanspeter wrote:
Hallo ffloo,
ich versuche zumindest einmal, mit dir sachlich über dieses Problem zu diskutieren. Ich denke, mit Emotionen kommen wir nicht weiter.


Sehr witzig HP, Denken und Emotionen gehören 1. zusammen, das eine ohne das andere gar nicht denkbar, 2. geht es im Bereich der Ethik doch gerade darum, Emotionen auch in Begriffe fassen zu können. 3. Bevor solche Worte gebraucht werden wäre es sinnvoll diese erstmal abzuklären und 4. Die Benutzung solcher Begrifflichkeiten läßt noch lange nicht darauf schließen, daß man diese auch zum Zeitpunkt des Schreibens hat.

grüsse, Lina


Titel: Argumente verstehen und auch teilen können
Beitrag von Eberhard am 15. Mai 2003, 16:40 Uhr

Hallo Hanspeter,

offenbar hast Du mit dem, was ich unter der „Suche nach allgemein konsensfähigen Normen“ verstehe, noch Deine Probleme. Ich versuche deshalb im Folgenden, das Kriterium der Konsensfähigkeit mit seinen Implikationen noch genauer auszuführen, auch auf die Gefahr hin, wiederum einige zu bissigen Kommentaren zu reizen.

Ich hatte hinsichtlich einer moralischen Begründung der Entwicklungshilfe geschrieben: „Generell gilt für mich der methodische Anspruch, dass ich allgemein konsensfähige Argumente finde, denen also sowohl die gut versorgten Mitteleuropäer oder Nordamerikaner als auch die Menschen in den unterentwickelten Ländern zustimmen können. Deshalb darf ich nicht nur aus ,meiner Sicht’ und Interessenlage argumentieren, sondern muss mich auch in die Lage der anderen hineinversetzen“.

Du entgegnest darauf: „Es ist ein großer Unterschied, ob ich konsensfähige Argumente suche oder mich in die Lage der Menschen der 3. Welt versetze. Bedenke, der Mensch der 3. Welt entspricht nicht deinen Kriterien eines idealen Diskussionsteilnehmers. Er wäre es nur, wie du bereits festlegtest, <wenn jeder auf Argumente verzichtet, die andere nicht nachvollziehen und nachprüfen können>.
Also kann ich sehr wohl v e r s t e h e n, dass ein christkatholischer Südamerikaner eine Geburtenkontrolle ablehnt oder ein Haciendabesitzer nicht bereit ist, seinen ererbten Grund und Boden aufzugeben, nicht aber b i l l i g e n.“

Obwohl es nicht ganz eindeutig gesagt ist, verstehe ich diese Sätze dahingehend, dass Du mit meiner methodischen Regel nicht einverstanden bist. Du hältst es offenbar nicht für sinnvoll, Dich in die Lage jedes Beteiligten hineinzuversetzen, um zu entscheiden, ob jeder einer bestimmten normativen Regelung zustimmen kann. Wenn Du Dich z.B. in einen katholischen Südamerikaner hineinversetzten würdest, dann käme verständlicher Weise heraus, dass er eine Geburtenkontrolle ablehnt, und damit wäre der Konsens schon unmöglich.

Ich habe aber mit dem „Sich-hineinversetzen-in die-Lage-jedes-Beteiligten“ nicht gemeint, dass man auch dessen vorab bestehenden ethischen Überzeugungen übernehmen soll. Die tatsächliche „Lage“, in der sich ein Mensch befindet, lässt sich empirisch beschreiben, ohne deshalb Bezug auf dessen Vorstellungen und Überzeugungen nehmen zu müssen.

Es ist eher umgekehrt: Wenn jeder Beteiligte an seiner bestehenden Überzeugung ohne intersubjektiv nachvollziehbare, von anderen nicht nur verstehbare sondern t e i l b a r e Gründe festhält, dann kann der von allen anzustrebende Konsens nicht erreicht werden. Daraus folgt, dass es m e t h o d i s c h n i c h t z u l ä s s i g ist, an seinen Vor–Urteilen unabhängig von ihrer Begründbarkeit festzuhalten. Jeder Teilnehmer an der diskursiven Suche nach allgemein konsensfähigen Normen muss also bereit sein, die von ihm eingebrachte Meinung und Überzeugung in Frage stellen zu lassen. Das heißt, er muss seine Behauptungen anders begründen als mit dem lapidaren Hinweis, dass dies eben aus seinem Glauben oder seiner Weltanschauung folge.

Soviel fürs Erste. Gruß Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 16. Mai 2003, 14:44 Uhr

Hallo Eberhard,

ich hoffe, ich habe nichts übersehen, aber ich vermute, deine 3 letzten Beiträge sind identisch.

Du siehst Kritik, wo sie nicht vorhanden ist. An deiner Methodik zweifle ich keineswegs.
Es gibt in meinen Augen einen grundsätzlichen Unterschied zwischen "eine Handlung verstehen" und "eine Handlung billigen."
Verstehen muss ich letztlich jede Handlungsweise, sonst könnte man mir den Vorwurf mangelnden Verstands machen. Nicht aber billigen.
So kann ich es durchaus verstehen, wenn jemand seine Schwiegermutter umbringt, weil sie ihn täglich piesackt. Verstehen heißt, sich empathisch in seine Situation versetzen, wie er täglich die Arroganz des Hausdrachens verspürt, wie seine Ehe untergraben wird, wie seine Aggression steigt und wie er dann wütend auf den Tisch - und dann eben auch auf den schwiegermütterlichen Kopf haut. So etwas kann man doch verstehen, nach dem Motto, nichts menschliches ist mir fremd. Aber damit billige ich diese Tat nicht. Ich weiß, dass Unrecht handelt, wer auf diese Weise das Problem löst.
Und genauso versetze ich mich in die Welt eines christkatholischen Südamerikaners. Natürlich ist für ihn die Geburtenkontrolle nicht konsensfähig, weil er diesen Konsens gar nicht sucht. Er nimmt ja an diesem Diskussionsforum auch nicht teil. Übrigens könnte man als Ergänzung zu deinen Diskussionsregeln explizit formulieren: Ideal ist eine Diskussion, wenn jeder es unterlässt, sich auf höhere Mächte zu berufen.
Also noch einmal, keine Kritik an deinen Diskussionsregeln. Nur, man wird sich halt mit diesen Menschen auseinandersetzen müssen, auch wenn denen keine bessere Begründung einfällt, als die, "der Papst hat gesagt". Wir werden es nicht verhindern können: Es wird Menschen außerhalb unseres Diskussionsforums geben.

Gruß HP


Titel: Keine bedingungslos Hilfspflivht
Beitrag von Eberhard am 16. Mai 2003, 18:53 Uhr

Hallo Hanspeter,

danke für den Hinweis. Ich habe die doppelten Versionen gelöscht. Jaja, die (Computer-) Technik!

Noch einmal zurück zu einem früheren Beitrag: Ich gebe Dir Recht mit Deiner Kritik an dem von mir vertretenen moralischen Werturteil, dass jede Hilfeleistung gegenüber Notleidenden vorbildlich ist. Es kann auch Verschwendung sein, jemandem, der wiederholt sein Geld verjubelt und dann Not leidet, immer wieder mit Geldzuwendungen zu helfen. Insofern gilt das positive Werturteil bezüglich der Hilfeleistung für Notleidende nicht bedingungslos.

Du formulierst als eine notwendige Bedingung für die Verpflichtung zur Hilfeleistung, dass der Notleidende sich nicht „aktiv an der Vergrößerung der Ursache seiner Not beteiligt“. (Übrigens ist die mit so farbigen Worten wie „Phrase“, „naiv“, „hanebüchen“, „Ignoranz“, „abwegig“, „inhaltsentstellt“ drapierte Kritik von ffloo an Deiner Position kein Dissens in ethischen Fragen, sondern es ist ein Dissens in faktischen Fragen über das, was die Armen in den unterentwickelten Ländern wissen und tun und welchen Zwängen und Einschränkungen sie dabei unterliegen.) Man könnte Deinen Gedanken vielleicht allgemeiner formulieren in dem Satz. „Man soll einem Notleidenden helfen, es sei denn, seine Notlage ist selbst verschuldet und er ist diesbezüglich uneinsichtig.“

Im übrigen sehe ich für eine u n b e d i n g t e Pflicht zur Hilfeleistung keine Konsensfähigkeit. Dann wäre man womöglich dazu verpflichtet, einen Mörder aus der Not jahrelanger Gefängnishaft zu befreien.

Gruß Eberhard.


Titel: Pflicht zur Hilfe nur bei Gegenseitigkeit?
Beitrag von Eberhard am 16. Mai 2003, 22:46 Uhr

Hallo Hanspeter,

zur Frage, wie man die Pflicht zur Hilfeleistung begründen kann. Du schreibst: „Die einzige, für mich plausible Begründung ist die der Gegenseitigkeit. Die Hilfspflicht impliziert ja auch die Pflicht, dass einem selbst geholfen wird, was sicher fast jeder irgendwie wünschen kann.“ Damit bin ich grundsätzlich einverstanden. Diese Norm könnte etwa lauten: „Wenn jemand bemerkt, dass ein anderer sich in Not befindet, so soll er diesem helfen (, es sei denn, die Not ist selbst verschuldet oder … oder …)“.

Diese Norm ist „unparteiisch“ und ohne Bezug auf die Identität der Beteiligten formuliert. Damit erfüllt sie eine notwendige Bedingung für die Konsensfähigkeit. Nicht nur i c h bin zur Hilfeleistung verpflichtet, sondern es sind auch alle andern mir gegenüber zur Hilfeleistung in Not verpflichtet. Eine solche Verpflichtung zur Hilfeleistung erscheint mir eher allgemein konsensfähig als z.B. die alternative Norm „Wenn sich ein Mensch in Not befindet, so ist man nicht zur Hilfe verpflichtet, sondern jeder muss selber sehen, wie er aus dieser Not wieder herauskommt.“

Als „Notlage“ werden schwerwiegende Beeinträchtigungen und Gefährdungen einer Person bezeichnet. Dagegen wiegen die Nachteile, die der helfenden Person zugemutet werden (z.B. dauert die Hilfeleistung längere Zeit, der Helfer muss sein sonstiges Tun unterbrechen, er macht sich seine Kleidung schmutzig ..) bei weitem weniger schwer. (Deshalb ist auch niemand verpflichtet, die Not eines andern in einer Weise zu beheben, die ihn selber in Not bringen würde.) Wer aber damit rechnen muss, dass er selber in schwere Notlagen geraten kann, aus der andere ihn mit geringem Aufwand befreien können – und das muss wohl jeder, der wird eine Verpflichtung zur Hilfe in Notlagen bejahen. Eine Gesellschaft, in der Hilfe in Not geleistet wird, ist für ihn besser als eine Gesellschaft, in der dies nicht getan wird.

Wenn ich Dich richtig verstehe, so geht der Einzelne bei der Frage, ob er eine bestimmte moralische Norm akzeptieren soll, von seinem Eigeninteresse aus, er fragt sich: Ist es für mich besser, wenn die Norm x (Hilfspflicht) von allen befolgt wird als wenn die Norm y (keine Hilfspflicht) von allen befolgt wird? Durch das Kriterium des Eigeninteresses kommst Du zu der Beschränkung der Hilfspflicht auf diejenigen, von denen man selber auch Hilfeleistungen erwarten kann. Du schreibst: „Ist die Gegenseitigkeit nicht mehr gewährleistet, erlischt auch die Hilfspflicht.“

Hier möchte ich ein Fragezeichen machen. Nehmen wir z.B. einen Todkranken, der mir eine letzte Hilfeleistung mit Sicherheit nicht mehr erwidern kann. Verliert er sein Recht auf Hilfe? Was ist mit von Geburt an Schwerstbehinderten, die ihr Leben lang auf Hilfe angewiesen sind, ohne jemals selber helfen zu können? Obwohl ich gefühlsmäßig sagen würde, dass es hier auf Gegenseitigkeit nicht ankommt, bleibt doch die Frage, was die Begründung dafür ist, auch diese Menschen mit einzubeziehen.

Hier tun sich noch einige Probleme auf und es sind noch einige harte Nüsse zu knacken. Du stellst z.B. die Frage: Was ist, wenn jemand so stark ist, dass er selber keine Hilfe nötig hat? Auch dann würde sich unter dem Gesichtspunkt des Eigeninteresses keine allgemeine Zustimmung zu einer Hilfspflicht ergeben. Unsere grauen Zellen haben sicherlich noch genug zu tun.
Analytischen Scharfsinn wünscht sich und allen Selbstdenkern Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 17. Mai 2003, 06:11 Uhr

Hallo Eberhard,

es ist mir immer eine Freude, wenn auch andere mit dem Internet nicht klarkommen. Man hält sich dann für nicht ganz so dumm.

Deine Neuformulierung zum Hilfeleistung: "Man soll einem Notleidenden helfen, es sei denn, seine Notlage ist selbst verschuldet und er ist diesbezüglich uneinsichtig." kann ich voll unterschreiben.

Die Frage bleibt, was können und was sollten wir tun, um diese Probleme in den Griff zu kriegen. Die 3. Welt einfach in Ruhe lassen,
zu versuchen, sie zur 1. Welt umzuwandeln, oder sie solange ausbeuten, bis nichts mehr zu holen ist?

Gruß HP

Habe gerade deinen zweiten Artikel kurz gelesen. Beim Todkranken ist die Sache wohl einfach: Da er in dieser Gesellschaft zu Lebzeiten selbst aktiv Hilfe geleistet hat, kommt ihm sozusagen die Frucht seiner Hilfstätigkeit zugute. Beim Schwerbehinderten werde ich noch überlegen. Ist ein sehr heißes Thema, das sicher wieder zu flo-artigen Kommentaren reizen wird.

Titel: Der schwierige Konsens
Beitrag von Eberhard am 17. Mai 2003, 11:59 Uhr

Hallo HP,

ich will mal weitermachen mit der Begründung der Hilfspflicht in Notfällen. Die Frage war: Warum sollte jemand, der in jeder Hinsicht so stark ist, dass er nie auf die Hilfe anderer angewiesen sein wird, eine solche Norm akzeptieren? Unter dem Gesichtspunkt seines Eigeninteresses wird er die Norm nicht akzeptieren, da er immer nur der gebende Teil sein wird aber selber nichts bekommt.

Du schreibst angesichts dieses Problems: „Ich fürchte, rationale Argumentationen nur auf der Basis der Logik führen in der Ethik nicht zum Ziel. Man braucht zusätzliche Axiome.“
Meine Antwort darauf ist: Wir haben bereits eine über die Logik hinausgehende Prämisse. Dies ist das für alle Diskursteilnehmer gemeinsame Ziel, nach einem zwangfreien argumentativen Konsens zu suchen. Aus diesem Ziel ergeben sich weitere Regeln für die Argumentation. Die Frage ist, ob diese Prämisse ausreicht. Ich habe da die Hoffnung noch nicht aufgegeben.

Das Problem mit dem Starken, der keine Hilfe benötigt, könnte man natürlich mit empirischen Argumenten angehen und sagen: Jeder kommt mal in eine Notlage, in der er Hilfe braucht: er wird mal krank, verunglückt usw. Aber damit ist das grundsätzliche Problem nicht gelöst, dass der moralische Konsens umso schwerer wird, je unterschiedlicher die Individuen in ihren Lebensbedingungen sind. Wenn man voraussetzen kann, dass alle Individuen in ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten praktisch gleich sind, so ergibt sich eine übereinstimmende Beurteilung der Normen. In diesem Fall ist auch die Regel anwendbar: „Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem andern zu!“ oder positiv formuliert: „Behandle andere so, wie Du von Ihnen behandelt werden willst!“ Bei gleichartigen Bedürfnissen und entsprechend gleichartigem Wollen der Einzelnen, kommt jeder zu den gleichen Resultaten und kann auf einfache Weise die moralischen Regeln bestimmen, die allgemein konsensfähig sind. Insofern handelt es sich hier in der Tat um „goldene“ Regeln.

Der Konsens wird jedoch in dem Augenblick schwerer zu erreichen, wo die Individuen in ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten unterschiedlich sind. Ein Beispiel: Wenn Individuum A in Bezug auf Lärm sehr viel empfindlicher ist als Individuum B, dann kommt es mit Sicherheit zum Konflikt zwischen den beiden, wenn A hinsichtlich der Vermeidung von Lärm an sein Handeln die eigenen großzügigen Maßstäbe anlegt. Ein Geräusch, das A kaum registrieren würde, kann B eine schlaflose Nacht bereiten.

Ich mache mit dieser Darstellung des Problems erstmal Schluss. Vielleicht hast Du Lösungsvorschläge. Gruß Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 17. Mai 2003, 15:45 Uhr

Hallo Eberhard,

1. Thema Schwerbehinderte.

Grundsätzlich gilt meines Erachtens die Linie: Hilfe ja, wenn alle denkbaren Möglichkeiten zur Ursachenbekämpfung wahrgenommen werden. Konkret:
A. Behinderung durch Unfall: Hilfe ohne Vorbehalt, wenn möglich verstärkter Unfallschutz.
B. Behinderung durch Krankheit: Hilfe ja. Falls die Krankheit aufgrund eines genetischen und vererbbaren Defekts beruht, wäre eine Einschränkung der Fortpflanzung zu erwägen.
C. Behinderung schon ab Geburt. Wenn die Mutter von dem Defekt aufgrund einer pränatalen Untersuchung gewusst hat und eine Abtreibung möglich gewesen wäre, könnte man argumentieren, dass für Hilfe solange wie irgend möglich die Mutter und nicht die Gesellschaft heranzuziehen ist. Entsprechende Fortpflanzungsrestriktionen bei den Eltern sind ebenfalls zu erwägen.

2. Der "Starke". Zunächst eine Klarstellung: Unter Hilfe verstand ich bisher eine Zuwendung ohne Entgelt. Wenn der Starke krank wird, braucht er zwar medizinische Hilfe, kann sie aber problemlos vollständig bezahlen. Und ab einem gewissen Vermögen kann man eine Notlage, in der man Hilfe ohne Entgelt benötigt, praktisch ausschließen.
Ja, da hilft weder der kategorische Imperativ, noch der Volks-Kant (Was du nicht willst, dass man dir tu...), wie du richtig analysiert hast. Ist wohl nichts mit dem Allgemeinen Konsens. Aber vielleicht kommt dir noch die Erleuchtung.

Gruß HP



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 17. Mai 2003, 17:13 Uhr

Bei allem Verständnis für Eure Gesprächsliebe zueinander. Aber 1. gilt in Deutschland sowieso schon der Grundsatz "Hilfe zur Selbsthilfe", 2. Sind persönliche Eingriffe des Staates in die Familie besonders geschützt. 3. Greift Ihr in die körperliche Unversehrtheit ein. 4. Wollt Ihr aus den mündigen Bürgern Trottel machen. 5. Der Begriff "Negerlein" (s.HP) gilt mitlerweile als Rassistisch und 6. hege ich sowiesoschon eine ganze Weile den Verdacht eines rassistischen Hintergrundes. 7. Aber ich kann hier nicht weiter Gegenargumentieren, weil meine Antworten deshalb nicht erwünscht sind, weil sie in die rassistischen Grundlagen greifen könnten und ich ggfls. die besseren Argumente hätte.

Lina

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von ffloo am 17. Mai 2003, 18:06 Uhr

sehe ich auch so! ihr zwei könnt ja mitglied in gung's verein werden, nur son' vorschlag.

Titel: Rassismus?
Beitrag von Eberhard am 17. Mai 2003, 22:36 Uhr

Hallo Sheelina,

unsere Frage lautet: Wie lassen sich allgemeingültige Normen des Handelns bestimmen, die durch intersubjektiv nachvollziehbare Argumente begründet werden können und insofern allgemein konsensfähig sind?

Bisher habe ich von Dir trotz zahlreicher Wortmeldungen noch keinen Beitrag zur Beantwortung dieser Frage finden können. Aber vielleicht habe ich was übersehen.

Da auch ich die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen habe, sind meine Ansichten sicherlich korrekturbedürftig.

Du meinst, die besseren Argumente für die Beantwortung unserer Frage zu haben. Im Philtalk gibt es keine Zensur. Also, was hindert Dich daran, diese Argumente vorzutragen? Um mich einmal „gebildet“ auszudrücken: HIc Rhodos, hic salta!

Apropos „Zensur“. Deine Charakterisierung auch meiner Beiträge als „rassistisch“ ruft förmlich nach einem Verbot, insofern Rassismus verfassungswidrig ist.

Für Toleranz und Meinungsfreiheit plädiert Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 17. Mai 2003, 23:14 Uhr

Eine Meinungsäußerung als "Zensur" zu bezeichnen, von der real nicht ausgegangen werden kann, daß diese zu einer Sperrung der Diskussion führt, ist lediglich das Abwehren der Nicht-Gewollten Argumente.

Meine letzten Aussagen bezogen sich überwiegend auf HP`s Argumente, da Eberhard aber entweder aus dauerhafter Solidarität, die grundsätzlich zu einem verklärten Blick führt und daher kaum akzeptabel ist oder aus eigenen Überlegungen heraus Argumente, die vielleicht nicht direkt in das Konzept passen, schlicht zumindest den Eindruck vermittelt diese zu Ignorieren. Auch, wenn ich mich hier permanent einmische, so bin ich doch auch nur ein Mensch, dem eine ständige Ignoranz nicht so ohne weiteres auf Deutsch gesagt "am Arsch vorbeigeht", wie es bei Euch wohl der Fall ist.

Lina

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 18. Mai 2003, 04:00 Uhr

Hallo Eberhard,

ich hoffe, du hast meine bisherigen Äußerungen nicht als rassistisch gesehen, was immer man darunter verstehen mag.
Wenn ja, teile es mir mit, deine Kritik nehme ich Ernst.

Dass der Begriff Neger seit einiger Zeit von irgendwelchen Menschen als diskriminierend angesehen wird, ist wohl der Fall. Das gilt aber nicht für mich. Für mich ist er genauso wenig diskriminierend wie der Begriff Indianer, Mongole usw. Die Ersatzbegriffe wie Afroamerikaner oder Schwarzafrikaner treffen nicht und der Begriff "Schwarzer" ist in bestimmten politischen Kreisen ebenfalls eine Diskriminierung. Jedenfalls gibt es in der anthropologischen Fachliteratur sehr wohl den nicht diskriminierenden Begriff der negriden oder negroiden Völker.
Da die Geisteswissenschaften aber generell Schwierigkeiten haben, Begriffe eindeutig und verbindlich zu definieren, erlaube ich mir, weiterhin wertneutral von Negern zu sprechen.

Diejenigen, die meine bisherigen Ausführungen als rassistisch interpretieren, erinnere ich an die Erkenntnis: "Wenn man überall Dreck sieht, kann es auch an der Brille liegen".

Gruß HP




Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 18. Mai 2003, 07:52 Uhr


on 05/18/03 um 04:00:38, Hanspeter wrote:
Diejenigen, die meine bisherigen Ausführungen als rassistisch interpretieren, erinnere ich an die Erkenntnis: "Wenn man überall Dreck sieht, kann es auch an der Brille liegen".

Gruß HP


= hinkende Metapher, die erkenntnistheoretisch ersteinmal unter die Lupe genommen und auf den Fall bezogen diskutiert werden müsste.

Schade lieber Hans-Peter, daß Du mir so feindseelig gestimmt bist, das läßt meinen Sonntag nicht gerade im besten Lichte erscheinen. Warum eigentlich? Und ... welche Norm, Ansicht, Emotion hindert Dich daran, mir diese Frage zu beantworten?

Grüsse, Lina


Titel: The Moral Point of View
Beitrag von Eberhard am 18. Mai 2003, 10:25 Uhr

Hallo Hanspeter,
wir sind offenbar an einem kritischen Punkt angelangt. Wenn der zwanglose allgemeine Konsens über Regeln des Handelns an der Verschiedenheit der Individuen scheitert, dann kann es eine allgemeinverbindliche normative Ordnung nur als Zwangsordnung geben, die zumindest gegenüber bestimmten Individuen nicht gerechtfertigt werden kann. Wenn man dies nicht will, dann muss man erweiterte Anstrengungen um einen Konsens unternehmen.

Warum sollte also der „Starke“, der keine Hilfe benötigt, einer moralischen Pflicht zur Hilfeleistung zustimmen? Von seinem Eigeninteresse her sollte er dies wohl nicht. Doch ihm muss klar sein: Wenn er auf seinem Eigeninteresse beharrt, dann macht er einen Konsens unmöglich, und das heißt: die soziale Ordnung beruht auf Zwang.

Dann gibt es für diese Ordnung aber auch keine argumentative Rechtfertigung, keine Legitimation mehr. Wenn der „Starke“ stark ist, weil er ein großes Vermögen sein eigen nennt, wie Du sagst, so fragt sich, was unter diesen Bedingungen noch „Eigentum“ heißen kann, wo die vernünftigen Gründe fehlen, irgendein Recht zu respektieren, also auch nicht das Eigentumsrecht. Wenn der argumentative Konsens als Ziel aufgegeben wird, gibt es kein „Vermögen“ und kein Eigentum mehr sondern höchstens noch die faktische Verfügungsgewalt über bestimmte Sachen.
Wenn der „Starke“ diese Konsequenz nicht will, dann muss er jenseits seines Eigeninteresses nach konsensfähigen Normen suchen. So wie der Einzelne um einer „vernünftigen“, d.h. argumentativ begründbaren Ordnung willen darauf verzichtet, die konsensfähige Norm zu verletzen, wenn dies in seinem Interesse wäre, so muss er um einer vernünftigen Ordnung willen in einer zweiten Stufe darauf verzichten, die Normen nur unter dem Gesichtspunkt seines spezifischen Eigeninteresses zu sehen.

Stattdessen muss er einen „allgemeinen“ Standpunkt einnehmen und die zur Entscheidung stehenden Normen nicht nur unter seinem Interesse sondern unter dem I n t e r e s s e a l l e r Betroffenen beurteilen. Das heißt: Bei seiner Beurteilung der beiden normativen Alternativen „Hilfspflicht“ und „keine Hilfspflicht“ darf es keine Rolle spielen, dass er zu den „Starken“ gehört. Er muss also bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen von „Starken“ und „Hilfsbedürftigen“ einen unparteiischen Maßstab anwenden: Er muss die durch die Lage der Individuen bestimmte soziale „Interessenstruktur“ berücksichtigen. Es darf jedoch keine Rolle spielen, w e r sich in welcher Lage befindet.

Daraus ergibt sich das Problem, wie man sicherstellen kann, daß sich jemand bei seinem Urteil tatsächlich nur auf die soziale Interessenstruktur bezieht und unberücksichtigt lässt, welche Position er selbst in dieser Struktur einnimmt. Von einigen Autoren ist die Idee ausgearbeitet worden, die Verfolgung des Eigeninteresses dadurch unmöglich zu machen, dass die Individuen bei ihrer Entscheidung nicht wissen, welche soziale Position sie einnehmen werden. Da sie dann damit rechnen müssen, u.U. die Position desjenigen einnehmen zu müssen, der bei der betreffenden Norm schlechter wegkommt, werden sie eine Norm wählen, die aus jeder Position gesehen akzeptabel ist. Wenn der „Starke“ also nicht weiß, ob er später zu den „Hilfsbedürftigen“ gehört, wird er nach einer Norm suchen, die auch für einen „Hilfsbedürftigen“ akzeptabel ist. Durch den Kunstgriff einer (filtiven) Zufallsauswahl der sozialen Positionen (Harsanyi) oder einer Ungewissheit über die Verteilung der Positionen (Rawls) wird die Orientierung am Eigeninteresse gebrochen.
Ich hoffe, ich habe damit die Suche nach allgemein konsensfähigen Normen wieder „flott gemacht“ so dass die Erkundungsfahrt weiter gehen kann. Gruß Eberhard.

p.s.: Die Bezeichnung “Neger” (von ‚negro’ = lateinisch ‚schwarz’) halte ich nicht für rassisch diffamierend, obwohl heute eher von „Schwarzen“ oder „Farbigen“ gesprochen wird. Enthält der Satz: „Die religiösen Gesänge der nordamerikanischen Neger werden als ‚gospels’ bezeichnet“ Rassismus? Mit Etikettierungen wie „rassistisch“ oder auch „faschistisch“ sollte man vorsichtig umgehen, sie werden nur zu leicht zu bloßen „Totschlagargumenten“. (Was anderes wäre es, wenn von „Niggern“ gesprochen würde.)


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 18. Mai 2003, 10:56 Uhr

Auch wenn die Bezeichnung "Neger" von negro kommt und Schwarz bedeutet, bleibt es rassistisch anmutend, weil diese Bezeichnung so den Menschen ausschließlich an seiner Hautfarbe identifiziert. Es ist wohl etwas Anderes, zu sagen, daß ist ein Afrikaner, analog, daß ist ein Europäer oder das ist ein Weißer. Einem aufgeklärten Menschen dürfte dieser Gedankengang wohl nicht fremd sein.

Und jetzt entschuldigt mich bitte, habe noch zu tuen.

Part erledigt.
Lina

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 18. Mai 2003, 15:23 Uhr

Hallo Eberhard,

dass wir uns im folgenden richtig verstehen. Ich spiele hier den advocatus diaboli, nicht den Interessensvertreter der "Besserverdienenden".

In letzter Konsequenz bedeutet die Idee Rawls meiner Ansicht nach, dass jeder jedem zu helfen hat und demzufolge eine absolute soziale Gleichverteilung das Ziel sein muss, da ja niemand im voraus weiß, ob er sein Dasein als Chef eines Industrieunternehmens oder als Viehhirt in der Sahelzone zu gestalten hat. Dieser Zustand ist nicht nur nicht machbar, selbst wenn er machbar wäre, kann man davon ausgehen, dass bereits einen Tag später die Entwicklung zum sattsam bekannten Ungleichgewicht einsetzen wird. Dahinter steht ja wohl der Wunsch, dass alle Menschen gleich sind, was aber eben nicht der Fall ist. Daraus müsste man eigentlich folgern, dass ein zwangloser Konsens letztlich eine Fiktion ist.
Nebenbei, ich frage mich, warum zB. Ronald Reagan oder G. Bush diese Idee Rawls nicht in ihr Wirtschaftsprogramm aufgenommen haben.

Du schreibst über eine soziale Ordnung, die auf Zwang beruht: <Dann gibt es für diese Ordnung aber auch keine argumentative Rechtfertigung, keine Legitimation mehr>.
Diese Meinung teile ich nicht. Ich halte die Gewalt einer demokratischen Mehrheit als durchaus akzeptabel und legitim.

Weiter schreibst du: <Wenn der "Starke" stark ist, weil er ein großes Vermögen sein eigen nennt, wie Du sagst, so fragt sich, was unter diesen Bedingungen noch "Eigentum" heißen kann, wo die vernünftigen Gründe fehlen, irgendein Recht zu respektieren, also auch nicht das Eigentumsrecht.>
Das verstehe ich nicht. Ich sehe keinen Grund, warum der "Starke" überhaupt kein Recht mehr akzeptieren soll. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit wird er sicherlich aus gutem Grund vehement unterstützen. Und das Eigentumsrecht sowieso. Zwar steht im Grundgesetz der Satz: Eigentum verpflichtet (Artikel 14,2, wenn ich nicht irre), aber dieser Satz hat, wie so mancher Satz des Grundgesetzes, kaum nennenswerten Einfluss auf die normale Gesetzgebung. Wohingegen der Satz "Eigentum ermächtigt" nicht im Grundgesetz steht, aber der Realität entspricht.

Auch der folgende Satz will mir nicht einleuchten: <Wenn der argumentative Konsens als Ziel aufgegeben wird, gibt es kein "Vermögen" und kein Eigentum mehr sondern höchstens noch die faktische Verfügungsgewalt über bestimmte Sachen.>
Wir haben doch in der BRD keinen argumentativen Konsens, aber sehr wohl Eigentum. Oder wie definierst du Vermögen und Eigentum?

Ich denke, hier tut Klärung Not,

Gruß HP



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Sheelina am 18. Mai 2003, 18:05 Uhr

OK, nachdem Antwort 306 von mir unbeantwortet geblieben ist, ist mein Bild nun abgeschlossen. Es scheint eine persönliche Fehde gegen mich und den Menschen zu sein. Das weitere Geschehen in Folge läßt mich bereits jetzt ahnen was beabsichtigt ist und eigentlich wußte ich es von Anfang an. Traurig, traurig ..... Ich werde Eure Diskussion nicht weiter verfolgen.

good Luck
Lina

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von polymatheia am 19. Mai 2003, 05:46 Uhr

Hello everyone ;-)

I have only three short comments to the preceeding discussion:
[bounce]
1) I claim there is no universal ethic. If there is, state it. 2500 years of failure do not bode well for that enterprise.[smash]
2) This does not mean that 'ethic' is pointless. To venture into 'ethics' and ethical problems is to ask oneself important questions. Any answers one might arrive at,though, have only validity for oneself. That, in my view, does not diminish their value. [bounce]
3) About the term 'Neger', or similar ones. A term means and expresses what the user intends it to mean. So when person A tells me that he or she does not define it in a derogatory manner, all that really speaks against its usage is custom (which is local and ever-changing). Also, let me mention that 'nigger' is the customary form afro-americans (the currently politically correct term in the US, as 'black' increasingly falls out of favor) refer to themselves and other afro-americans. The same term used by a person of eurasian descent (anyone notice how bothersome political correctness can be? 'white' is so much more convenient!) is of course highly derogatory in the present local cultural setting.
In other words, take it easy people. [sun]

Titel: Konsens oder Gewalt?
Beitrag von Eberhard am 19. Mai 2003, 18:51 Uhr

Hallo Hanspeter,
wir sind da bei ein paar sehr kniffligen Fragen angelangt, die der geduldigen Klärung bedürfen. Ich schlage vor, die strittigen Punkte nacheinander zu behandeln. Ob die Klärung gelingt, weiß ich nicht, aber ich will es versuchen.
Ich hatte geschrieben: „Wenn der Starke auf seinem Eigeninteresse beharrt, dann macht er einen Konsens unmöglich, und das heißt: die soziale Ordnung beruht auf Zwang. Dann gibt es für diese Ordnung aber auch keine argumentative Rechtfertigung, keine Legitimation mehr.“ Ich sage damit: Wenn jemand das Streben nach einem argumentativen Konsens in Bezug auf einen Konflikt aufgibt, dann kann er seine Lösung des Konfliktes dem anderen gegenüber nicht mehr „vernünftig“ begründen. Wenn er sie trotzdem durchsetzt, so beruht sie für den andern nur auf Gewalt. Damit scheint es für eine Konfliktlösung nur die Alternativen zu geben: entweder sie beruht auf einem „erreichten allgemeinen Konsens“ oder sie beruht auf „Gewalt“.
Dem hältst Du entgegen: „Ich halte die Gewalt einer demokratischen Mehrheit als durchaus akzeptabel und legitim.“ Und Du betonst: „Wir haben doch in der BRD keinen argumentativen Konsens.“ Du wehrst dich also gegen die obige Alternative und sagst: Es gibt auch legitime Gewalt, die nicht auf einem erreichten Konsens beruht, z.B. das mit staatlicher Gewalt ausgestattete, nach dem Mehrheitsprinzip entscheidende gesetzgebende Parlament.

Der Widerspruch lässt sich meines Erachtens auflösen, indem man zwischen verschiedenen Bedeutungen des Begriffs „Gewalt“ unterscheidet. Wenn das Normensystem gegenüber bestimmten Individuen n i c h t argumentativ gerechtfertigt werden kann, so handelt es sich für diese Individuen um ein „Gewaltverhältnis“. In diesem Fall spreche ich davon, dass die soziale Ordnung „auf Gewalt b e r u h t“. Mit „Gewalt“ meine ich also den nicht durch Argumente zu rechtfertigenden Zwang.

Diese „Gewalt“ ist zu unterscheiden vom argumentativ begründbaren, also gerechtfertigten Zwang, wie er z.B. zur Durchsetzung der konsensfähigen Normen notwendig ist (Bestrafung von Normverstößen ..). Vielleicht sollte man hier nicht von „Gewalt“ sprechen, sondern von „legitimem Zwang“. (Im herrschenden juristisch beeinflussten Sprachgebrauch spricht man allerdings von „Staatsgewalt“, „Gewaltmonopol“, „Gewaltenteilung“, auch wenn es sich dabei um „legitimen Zwang“ im oben definierten Sinne handelt).

Dies bedeutet: Nach diesem Sprachgebrauch ist es also nicht ausgeschlossen, dass eine auf einem argumentativen Konsensus beruhende Ordnung sich zu ihrer Durchsetzung der Anwendung von Zwang bedient. Damit „beruht“ sie noch nicht auf Gewalt.
Dennoch bleibt die Frage, wie aus einem Verfahren der Normsetzung, das ausdrücklich n i c h t auf die Erzielung eines allgemeinen Konsens ausgerichtet ist, z.B. parlamentarischen Mehrheitsbeschlüssen, dennoch legitime und akzeptable Normen hervorgehen können.
Die Gründe hierfür liegen in den notwendigen Eigenschaften des „idealen Diskurses“. Der auf die Gewinnung allgemein konsensfähiger Antworten ausgerichtete Diskurs produziert zwangsläufig keine definitiven Antworten, so wie es in der Redensart vom „Streit der Gelehrten, der noch endlos gehen kann“ ausgedrückt wird. Die möglichen Zweifel und Einwände gegen eine Behauptung sind schier unbegrenzt und es können jederzeit neue Argumente auftauchen und die bisherigen Erkenntnisse korrigieren.
Wo es aber um soziale Koordination, um Kooperation, um langfristige Pläne und deren sichere Verwirklichung geht, bedarf es definitiver, für alle Beteiligten verbindlicher Festlegungen. Dies kann der Diskurs nicht leisten. Aufgrund dieser Argumente ist es allgemein konsensfähig, dass der Diskurs durch geeignete N o r m s e t z u n g s v e r f a h r e n ergänzt werden muss, die innerhalb begrenzter Zeit und mit einem vertretbaren Aufwand an Informations- und Entscheidungskosten normative Entscheidungen treffen. Diese Entscheidungen beruhen nicht auf einem i n h a l t l i c h e n Konsens und trotzdem muss deren Durchsetzung gegenüber den Individuen nicht notwendig „Gewalt“ in dem oben definierten Sinne sein, weil diese Normen durch ein konsensfähiges V e r f a h r e n gesetzt und damit legitimiert sein können.
Puh, das musst Du sicherlich zweimal lesen – aber leider konnte ich es nicht einfacher formulieren. Ich hoffe aber, die Mühe lohnt sich, da es sich hier um einen zentralen Punkt der ganzen ethisch-rechtlichen Problematik handelt. Ansonsten wie gesagt: zu Deinen anderen Kritikpunkten später. Gruß Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 20. Mai 2003, 04:27 Uhr

Hallo Eberhard,

ich hoffe, ich habe dich verstanden.

Vielleicht ist es besser, den doch ziemlich eindeutigen Begriff "Gewalt" im argumentativen Bereich nicht zu verwenden. Sprechen wir doch einfach von "nicht konsensfähig". Wenn ich jemandem in einer Diskussion "nicht Recht gebe", so ist es missverständlich, wenn ich stattdessen sage, ich habe ihm Gewalt angetan. Vielleicht fällt dir ein besseres Wort anstelle von "nicht konsensfähig" ein. Aber inhaltlich sind wir uns dank dieser Differenzierung einig.

Ich sehe es also so: Die Argumentation des "Starken" ist nicht konsensfähig, er steigt definitionsgemäß aus dem Idealen Diskussionsforum (I.D.) aus. Wenn sich das I.D. auf eine Norm geeinigt hat und diese demokratische abgesegnet ist, so ist nichts dagegen einzuwenden, wenn der "Starke" durch diese legitime Gewalt in die soziale Ordnung eingebunden wird.

Dem zweiten Teil deiner Argumentation würde ich im Moment nicht so ohne weiteres zustimmen. Da hältst du von deinem I.D. weniger als ich. Warum soll dieses Forum nicht in der Lage sein, für ein gegebenes Problem die bestmögliche Lösung zu finden, die dann von allen Beteiligten akzeptiert wird? Wenn ein Normsetzungsverfahren ein Problem lösen kann, sollte das I.D. doch viel eher in der Lage sein. Sonst wäre es kein I.D.

D'accord?

Gruß HP


Titel: Moralische Urteile nur für mich selbst?
Beitrag von Eberhard am 20. Mai 2003, 06:15 Uhr

Hallo polymatheia,

Du meinst, dass jede Antwort auf eine ethische Frage nur für einen selbst Gültigkeit besitzt. Bedeutet dies, dass es keinen Sinn macht, jemandem moralische Vorwürfe zu machen? Bedeutet dies, dass es keinen Sinn macht darüber zu streiten, ob ein betimmtes Verhalten moralisch in Ordnung war oder nicht? Und was ist mit der moralischen Erziehung von Kindern?

Gültigkeit moralischer Urteile für mich selbst ist wichtig, schon weil ich an mich selbst vielleicht höhere Anforderungen stelle als an andere. Aber wir machen im täglichen Leben ständig moralische Urteile (“Du denkst nur an dich und auf mich nimmst Du gar keine Rücksicht!!!“), die von anderen akzeptiert werden wollen – und ich glaube, das wir ohne sie nicht auskommen. Gruß Eberhard.


Titel: Folgen eines Abbruchs des Diskurses
Beitrag von Eberhard am 20. Mai 2003, 11:20 Uhr

Hallo Hanspeter,
nochmal zum Begriff „Gewalt“. Als „Gewalt“ bezeichne ich etwas, was mir angetan wird, ohne dass ich die Möglichkeit habe, dessen Berechtigung einzusehen. Wenn es für das, was mir angetan wird, keine einsehbaren und nachvollziehbaren Gründe gibt, spreche ich von einem „Gewaltverhältnis“. „Gewalt“ ist demnach „nicht zu rechtfertigender Zwang“.
Es ist deshalb noch keine Gewalt, wenn ich im Diskurs jemand anders „nicht recht gebe“. Dann halte ich ja nur eine andere Antwort auf die gestellte Frage für richtig (d.h. für allgemein konsensfähig) als der andere. Gewalt beginnt dann, wenn jemand den Anspruch „recht zu haben“ nicht mehr aufrechterhalten kann, weil er das Ziel eines argumentativen Konsens aufgegeben hat, aber trotzdem die Befolgung bestimmter Normen erzwingen will. In dieser Situation wird von mir nur Gehorsam gefordert aber keine „vernünftige“ Einsicht. Die Philosophie hat ihre Aufgabe erfüllt, wenn sie Gewaltverhältnisse als solche identifiziert. Dagegen wehren kann man sich jedoch nicht mit Argumenten.
Wenn sich der „Starke“ bei der Frage, ob es eine Pflicht zur Hilfeleistung geben soll, nur von seinem Eigeninteresse leiten lässt, kann es keinen Konsens geben. Wenn er dann darauf besteht, sich in seinen Tätigkeiten auch durch den Anblick eines stark blutenden Verletzten nicht stören zu lassen, und der „Hilfebedürftigen“ darauf besteht, dass der „Starke“ hätte helfen müssen, kommt es letztlich zum Kampf.
Die Frage ist, ob sich der Kampf auf einen Konfliktbereich begrenzen lässt oder ob damit einer konsensualen Ordnung insgesamt der Boden entzogen ist. Ich meine, dass letzteres der Fall ist. Ein Krieg lässt sich nicht auf ein bestimmtes Gebiet begrenzen. Damit ist der ursprüngliche Grund für die Suche nach allgemein konsensfähigen Normen, die Vermeidung von Gewaltherrschaft und „Krieg“ hinfällig geworden. Deshalb hatte ich geschrieben, dass „dann die vernünftigen Gründe fehlen, irgendein Recht zu respektieren.“ (Zwischenbemerkung: Deshalb muss für den idealen Diskurs die Regel gelten: „Es darf keine Frage ausgeschlossen werden.“)
Du hast geschrieben: „Ich sehe keinen Grund, warum der "Starke" überhaupt kein Recht mehr akzeptieren soll. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit wird er sicherlich aus gutem Grund vehement unterstützen. Und das Eigentumsrecht sowieso.“
Das stimmt zwar, aber es nützt nichts, dass er bestimmte Normen akzeptiert und hier am Ziel eines zwanglosen Konsens festhält, wenn wegen anderer Konflikte Krieg angesagt ist.
Die Diskurs als Suche nach allgemein konsensfähigen Antworten kann sich ja nicht des Mechanismus bedienen, mit dem eine Rechtsordnung das Hereinbrechen von Kampf und Krieg verhindert. Im Recht gilt eine Art Status-quo-Klausel die besagt, dass die bisherige Norm weiter gilt, solange keine neue Norm gesetzt ist. Wenn also Dissens darüber besteht, ob eine bestehende Rechtsnorm beibehalten oder geändert werden soll, so wird durch diesen Dissens der Rechtsfriede nicht gefährdet, denn der bisherige rechtliche Status quo gilt davon unberührt weiter.

Weiterhin wird die Möglichkeit von „Lücken“ im Recht durch das Prinzip verhindert: „Was nicht verboten ist, ist erlaubt“. Dadurch lässt das Recht keine Frage offen, d.h. wenn jemand ein Gericht anruft und ein bestimmtes Recht fordert oder einen anderen verklagt, so kann es nicht passieren, dass das Gericht ihm antwortet: „Wir können über Deine Klage nicht befinden, da Recht und Gesetz darüber nichts aussagen.“
Soweit erstmal. Habe ich mich verständlich gemacht? Die Schlüsse sind noch etwas holprig und überprüfungsbedürftig. Gruß Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 21. Mai 2003, 01:40 Uhr

Hallo Eberhard,

dem ersten Teil deiner Argumentationskette zur Gewaltdefinition kann ich im Prinzip zustimmen. Wobei ich ergänzend erwähnen möchte, dass ich mit dem "nicht Recht geben" das Ausscheren aus dem Idealen Diskussionsforum (I.D.) meinte.

Nicht nachvollziehbar ist für mich dagegen, wenn du schreibst: < Die Frage ist, ob sich der Kampf auf einen Konfliktbereich begrenzen lässt oder ob damit einer konsensualen Ordnung insgesamt der Boden entzogen ist. Ich meine, dass letzteres der Fall ist.>
Warum so kompromisslos? Kriege müssen nicht immer Weltkriege sein. Daran kann weder der "Starke", noch der "Hilfebedürftige" ein Interesse haben. Also wird der Konflikt dort ausgetragen, wo er stattfindet und jeder wird seine Bataillone in die Schlacht werfen. Aber deswegen können doch Bereiche, in denen Konsens herrscht, unangetastet bleiben. Ich denke, das solltest du noch überzeugender begründen. (Deiner Ergänzung zur Diskursregel stimme ich zu).

Ich versuche, noch einmal meine Sicht kurz darzustellen. Wir haben ein I.D., in dem versucht wird, über moralische Normen Konsens zu erzielen. Wird in einer Frage kein Konsens erzielt, kann man den Konsensverweigerer ausschließen, da er ja nur seine Eigeninteressen vertritt und sichn nicht an die Regeln hält. Da aber schlussendlich das Problem gelöst werden muss, wird mit Hilfe des Normsetzungsverfahren entschieden, wobei es naheliegt, den Konsens des I.D. (ecxl. dem "Starken") zu verwenden. Da wir ja ein demokratisches Normsetzungsverfahren voraussetzen, sehe ich keinen Anlass für einen Krieg.

Falls du nun dieses I.D. auf die gesamte Welt ausdehnen willst, wo ja ein demokratisches Normsetzungsverfahren nicht möglich ist, kann es tatsächlich zu einem Krieg kommen, weil der "Starke" sich durchsetzen will. Doch um was soll er dort, wo Konsens vorhanden ist, kämpfen?


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von polymatheia am 21. Mai 2003, 03:33 Uhr

Hello Eberhard (and, i guess, Hans-Peter) ;-)

A few comments on your post addressed at myself, and regarding your discussion with Hans-Peter.

1. I do believe you argue from a deeply conceived need for a moral basis for your life and the decissions you have to make in it. While we all might feel that way, this does not imply that there is, in fact, any such basis - that there is any firm ground, any unshakable foundations of rightful action as one might say. My claim in this regard is very simple: There is not. (sorry!)
This claim leaves me open of course for direct refutation. Simply state any principle, system, or basis which is unimpeachable, and which will give us all a difinite guideline as to how to act.
The only two ways in which I see that you could approach this matter are:
1. You devise a de facto metaphysical system, i.e. a 'religion', and derive your moral standards from the presumptions inherent in the belief.
2. A legalistic approach - which as it appears to me is what you and Hans-Peter try to work out at the moment.

The weakness of 1. should be obvious for anyone even remotely familiar with history and anthropology.
The failure of approach 2. is, in my view (feel free to convince me of the opposite :-) ), rooted in a confuscation of independent realms. What 'law' is, or not is, or was, or will be, has nothing to do with its moral standing (which, once more, should be not too surprising, given history or anthropology).

Where does this leave us? Does this mean that any action is as good as the other, or that everybody should be able to do as he or she pleases? How come we do make moral decissions on a daily basis, if there is no such thing as a universally valid moral system?
That we chose a stance on something, for example in favor of a religion, does in no way show that there is such a thing as a 'God' (or however we want to name 'it'). The same goes for a 'general valid system of moral judgement'.
This DOES mean, conduct will be ordered by legalistic means - which has nothing to do with an unimpeachable ethic, but is rather a product of historical, political and social circumstances. Take something classical, i.e. the categorical imperative. I am pretty sure, in one way or the other, we all here partaking in this discussion could agree on making this our maxim of action. Does this make it in any way a truely 'moral' dictum though, or is it not rather just one more example of expressing our personal preferences by legalistic means?
This does NOT mean, that there is no definite right or wrong, do's or don'ts. What it means is, that we will not be able to show any system of values to be valid and compelling. Ethic, and morality, thus remains a private venture.
As far as there is the possibility of interpersonal discussion, it is not about the system of values per se, but rather about logical mistakes in the systems when they are applied to practical life. Take for example Peter Singer's approach in his animal right's activism. He does not argue that his system is right, and theirs ( in essence, those that make certain laws ) wrong, but rather that they have made rational mistakes in drawing conclusions from their own premises.

I think we have to stop hoping for a final truth, for some a priori knowledge we might have missed thus far, for something or someone to tell us what to do. We chose to do what we do for our personal reasons - and we can only hope we are right (if there should happen to be a 'right'). [sun]

P.S.: As a more personal remark, concerning your question about 'What to teach your children', I would humbly suggest 'nothing, but an inquisitive mind, critical thinking and empathy'. I am quite convinced that is the best one can do. ;-)

Titel: Suche nach "letzen Wahrheiten"?
Beitrag von Eberhard am 21. Mai 2003, 19:24 Uhr

Hallo Polymatheia,
nehmen wir einmal an, wir hätten zwei mögliche Normen für das Verhalten gegenüber Menschen in Not:
Norm A: „Wenn ein Mensch in Not ist, so ist man zur Hilfeleistung verpflichtet, vorausgesetzt, die Bedingungen x, y, z … sind gegeben.“
Norm B: „Wenn ein Mensch in Not ist, dann sollte man die eigene Hilfeleistung an möglichst große Gegenleistungen des in Not Befindlichen knüpfen.“
Wir stellen dazu zwei Fragen:
1. „Läßt sich über eine der beiden Normen eher ein zwangloser allgemeiner Konsens herstellen als über die andere?“
2. „Wenn das der Fall ist: Was sind die Gründe für die unterschiedliche Konsensfähigkeit?“
Ich halte beide Fragen für sinnvoll und es scheint auch nicht aussichtslos, sie zu beantworten.
Nicht mehr und nicht weniger ist der Gegenstand der Diskussion. Deshalb kannst Du die Etiketten („final truth“ „a priori knowledge“) getrost wieder in die Schublade tun.
Grüße von Eberhard.

„Wo jeder etwas anderes meint, fehlt es an Wissen.“


Titel: Der Diskurs kennt keine Beschlüsse
Beitrag von Eberhard am 21. Mai 2003, 22:08 Uhr

Hallo Hanspeter,
Die Frage ist: Kann der „Starke“ bei der „Pflicht zur Hilfeleistung in Not“ das Ziel eines allgemeinen Konsenses aufgeben und sich trotzdem bei der „Respektierung der bestehenden Eigentumsverteilung“ auf die – einmal angenommene - Konsensfähigkeit dieser Norm berufen?

Ich vermute hier eine Inkonsistenz des „Starken“, ohne dies aber ableiten zu können. Vielleicht handelt es sich auch um eine „Ungerechtigkeit“, weil er sich „die Rosinen heraus pickt“ ??? Aber Du hast wahrscheinlich Recht, wenn Du bezweifelst, dass aus der punktuellen Abkehr vom Ziel „allgemeiner Konsens“ zwangsläufig ein totaler Konflikt entstehen muss.
Wichtig ist die Klärung des Verhältnisses zwischen Diskurs und Normsetzung. Du schreibst: „Wir haben ein I.D., in dem versucht wird, über moralische Normen Konsens zu erzielen. Wird in einer Frage kein Konsens erzielt, kann man den Konsensverweigerer ausschließen, da er ja nur seine Eigeninteressen vertritt und sichn nicht an die Regeln hält. Da aber schlussendlich das Problem gelöst werden muss, wird mit Hilfe des Normsetzungsverfahren entschieden, wobei es naheliegt, den Konsens des I.D. (ecxl. dem "Starken") zu verwenden.“
Im Großen und Ganzen kann ich dem folgen, doch möchte ich das Verhältnis zwischen Diskurs und Normsetzungsverfahren noch etwas ausführlicher analysieren.
Der Diskurs als Austausch von Argumenten, um zu „richtigen“ Antworten auf bestimmte Fragen zu kommen, ist im normativen Bereich nicht wesentlich anders als im Bereich der Erfahrungswissenschaften. Es handelt sich nicht um ein bestimmtes Gremium, das über die Richtigkeit von Theorien Beschlüsse fasst, sondern es ist ein kaum übersehbares Geflecht von Veröffentlichungen, Kritiken dieser Veröffentlichungen und Gegenkritiken dazu. Dabei wird parallel zu den Sachfragen immer auch die wissenschaftliche Methodik diskutiert, die am Ziel der Erkenntnis ausgerichtet ist und die dazu dient, falsche oder problematische Argumentationsmuster als solche zu kennzeichnen und durch Methodenkritik auszuschalten.
Aus diesem Chor der wissenschaftlichen Positionen schälen sich dann gewöhnlich bestimmte Theorien als die besseren heraus, ohne dass es darüber zu Beschlüssen kommt: Über die Richtigkeit einer Antwort kann man nicht abstimmen. (Man kann höchstens ein Meinungsbild herstellen.) Der Diskurs über eine Frage hat deshalb auch kein bestimmtes Ende, sondern kann immer wieder neu eröffnet werden. Dies erklärt, warum der tatsächlich stattfindende Diskurs keine endgültigen Resultate in Form eines stabilen allgemeinen Konsens liefert. Trotzdem ist der Diskurs mit dem Ziel eines zeitlich dauerhaften und von allen Verständigen geteilten Konsens unverzichtbar.
Hier will ich erstmal Schluss machen. Zu den Normsetzungsverfahren demnächst. Gruß Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von polymatheia am 22. Mai 2003, 05:33 Uhr

Good evening Eberhard :-)

To sum up your position very briefly (as time sadly demands) so as to have a thread upon which to expand, if we have two norms, A and B, then you want to ask:

'1. „Läßt sich über eine der beiden Normen eher ein zwangloser allgemeiner Konsens herstellen als über die andere?“
2. „Wenn das der Fall ist: Was sind die Gründe für die unterschiedliche Konsensfähigkeit?“ '

I will disregard question 2, since it has as its premise that question 1. can be answered in a fruitful manner, which I will attempt to refute.

There is a plethora of objections possible to this point of view, but I will try to keep it short (unlike some do in other discussion threads I have seen here ;-) ):
a. How do you determine what is more likely to be the more generally acceptable consensus? Are you psychic? (And I hope you know what 'assume' stands for ;-) )
b. It follows, from this line of argument, that the 'consensus' is what should be done. In ancient Athens the majority consensus was that slavery is the right thing to do - does this mean slavery was 'right' then? (not to mention that this would also mean that how we answer ethical questions then would be a matter of when and where we are in space and time) This of course leads as well into the well-known paradoxes of democracy and freedom etc., especially if now you try to attempt a way out by claiming that slavery involves 'zwang'. What if the 'free' chose to be 'unfree' etc? I am sure you are familiar with this line of thought. (Objections by the way which have been 'around' for 2500 years - and for 2500 years we can witness a failure to meet them appropriately and convincingly.)
c. The term 'zwanglos' is at best utopian, at its worst, dangerous. Even the german constitution talks, if I do recall right, about 'wehrhafte Demokratie', which would include the forceful resistance (armed if needed), if lets say some 50.1% suddenly voted a new 'Hitler' into control of the country. The impotence of this 'zwanglos' doctrine, as I would like to call it, has been made tragically obvious just recently in the utter failure, of Germany for example, to have any influence on the course of history. While it may not be pretty, and certainly nothing I personally enjoy or condone, it is a matter of fact that falcons eat, and pigeons are eaten.
d. To answer the question in particular, as to whether helping under these or those circumstances is better than in others, it again presupposes that there is a worldwide common denominator - or you would have to say that all your claims of standards apply only to the western world, or to europe, or maybe only germany.. and who knows, maybe only to you and your friends? (see for example American Scientist Vol.91 Nr.3 where there is an intercultural comparison about helping - and as it turns out, there are huge differences from city to city and from country to country as what is perceived to be the 'right thing to do')

Ethics is a personal matter; Laws are a public one. The standard of behaviour is and must be regulated institutionally, whereas those standards do not always reflect the public outlook of right and wrong, but are rather a matter of history, geography etc. (just think for example, that while assisted suicide is illegal almost everywhere, it is one of the main causes of death - which if you do not happen to be in the medical profession, you can find confirmed in about every technical journal I have encountered, and which was also one of the major points of 'pro suicice' lobbyists in the Netherlands in favor of the recent reforms there.)

What you seem to be looking for is to derive, to express it in a more formal manner, sentences stating a norm or decission from sentences stating facts (i.e. about the world itself). This is logically impossible (as has been shown many times before).

'Quo vadis, Eberhard' can only be answered by one person: Eberhard [sun]

P.S.: Witty reply to my signature line! [applause]

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 22. Mai 2003, 07:41 Uhr

Hallo Eberhard,

ich denke auch, dass das Problem mit dem Starken darin liegt, dass er sich, wie du es freundlich formulierst, <die Rosinen heraus pickt>, anders formuliert, dass man die Ursache seiner materiellen Stärke doch einmal genauer unter die Lupe nehmen müsste. Also ob zB Herr Breuer von der Deutschen Bank tatsächlich zu Recht soviel verdient, wie über 2000 seiner Mitarbeiter. Dahinter steht natürlich die Frage einer gerechten Verteilung der materiellen Güter, bei der aber mit Konsens wohl nie zu rechnen ist.

Zum Verhältnis Diskurs und Normsetzung. Deiner Analyse stimme ich zu, wobei mir wieder ein weiteres Postulat für das I.D. einfällt, das allerdings unter Philosophen nicht ungeteilte Zustimmung erfahren dürfte, nämlich dass der Wille vorhanden sein muss, zu Lösungen zu kommen. Oder präziser formuliert, - dass die Diskussion nicht mit dem Hinweis auf Grundsatzfragen torpediert werden darf, für deren Lösung es derzeit keine realistische Chance gibt.

Hallo Polymatheia,

verzeih, wenn ich auf deine Ausführungen nur sehr peripher eingehen kann. Mein Englisch, speziell mein philosophisches Englisch ist sehr bescheiden. Auch steht mir im Moment kein adäquates Lexikon zur Verfügung und eine ständige Nachfrage: Was meinst du mit... halte ich für unfruchtbar. Wenn ich Passagen deiner Ausführungen verstanden habe, wird das sicher in meine Antworten einfließen. Werte dies bitte nicht als Arroganz, aber Fremdsprachen sind nun einmal nicht meine Sache.

Über die Frage, was Ethik sei, empfehle ich dir die Ausführungen von Marcel zum Thema Natur vs. Geisteswissenschaften, er brachte die bisher überzeugendste Definition.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von astra am 22. Mai 2003, 10:08 Uhr

[quote author=Hanspeter]
Zum Verhältnis Diskurs und Normsetzung. Deiner Analyse stimme ich zu, wobei mir wieder ein weiteres Postulat für das I.D. einfällt, ... nämlich dass der Wille vorhanden sein muss, zu Lösungen zu kommen. Oder präziser formuliert, - dass die Diskussion nicht mit dem Hinweis auf Grundsatzfragen torpediert werden darf, für deren Lösung es derzeit keine realistische Chance gibt. [/quote]


wie dringend notwendig die umsetzung dieses postulats ist, möge auch der folgende text veranschaulichen, welchen mir kürzlich eine freundin, welche in der unido arbeitet, anlässlich der national friendship week mailte:

[user] if we could shrink the earth's population to a village of precisely 100 people, with all the existing human ratios remaining the same, it would look something like the following:
there would be

* 57 asians, 21 europeans, 14 from the western hemisphere, both north and south, 8 africans
* 52 would be female, 48 would be male
* 70 would be non-white
* 70 would be non-christian
* 89 would be heterosexual, 11 would be homosexual

* 6 people would possess 59 % of the entire world's wealth, and all 6 would be from the united states

* 80 would live in substandard housing

* 70 would be unable to read

* 50 would suffer from malnutrition

* 1 (yes, only 1) would have a college education.

when one considers our world from such a compressed perspective, the need for acceptance, understanding und education becomes glaringly apparent. [balloon]

grüsse, astra



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 22. Mai 2003, 12:29 Uhr

Hallo Astra,

die Tendenz dieser Statistik kannte ich in etwa, die genauen Zahlen nicht, jedenfalls danke dafür.
Hast du auch noch andere Zahlen? Zum Beispiel, wie hoch das Weltdurchschnittseinkommen, wie groß die Weltdurchschnittsversorgung mit Nahrungsmittel usw. ist? Und wärst du dann bereit, zu teilen? Wenn ja, so ehrt dich diese Haltung. Aber sie ist kaum konsensfähig. Du brauchst dir ja nur das BRD-Hickhack um die Sozialversorgung anzusehen. Und in deiner Heimat läuft es, was man so hört, auch nicht viel besser.

Gruß HP

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 22. Mai 2003, 22:25 Uhr

hallo HP,
so schlimm steht es doch gar nicht mit der Konsensfähigkeit.
Pauschale Erdstatistiken sind allerdings in meinen Augen eher irreführend.
Das subjektive normale Glücks- oder Zufriedenheitsgefühl mit den Umständen des Lebens beginnt übrigens bei einem Jahreseinkommen von ca. 8000 Dollar im Jahr (natürlich nicht in München). Darüber steigt es angeblich nicht mehr an.
Man hat beispielsweise Lottogewinner verhaltenspsychologisch beobachtet und festgestellt, dass der Kick mit dem vermehrten Zufriedenheitsgefühl schon nach 3 Monaten wieder den Ausgangswert vor dem Lottogewinn erreicht.
Gruß
Paul

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 23. Mai 2003, 01:59 Uhr

Hallo Paul,

deine Meinung betreffend Erdstatistiken teile ich, nicht aber die mit dem Glücksgefühl, das ab 8000 Dollar = Euro im Jahr nicht mehr steigen soll. Das Einkommen der Psychologen, die das herausgefunden haben, sollte man sofort auf diesen Wert reduzieren.

Die psychische Situation von Lottospielern ist sicher anders, weil sie sich an die Droge Geld nicht sukzessive gewöhnen konnten. Ich vermute aber, dass Walt Disney mit seinem Dagobert Duck die Wirkung des Geldes auf die Psyche weit besser beschrieben hat, als so mancher "Forscher" an der Psycho-Front.

Gruß HP

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 23. Mai 2003, 02:31 Uhr

hallo HP,
wo bleibt deine Phantasie mit den glücklichen Naturvölkern?
In Estland (war ich gerade) liegt das durchschnittliche Monatseinkommen bei 200- 300 Euro.
Und denk mal etwas zurück in unsere eigene Geschichte, waren die alle unglücklich?
Du streubst dich noch sehr über den entscheidenden Fakt, dass Geld nicht glücklich macht, das ist tatsächlich Stand der Wissenschaft.
Irgendwann wirst du auch noch drauf kommen (hoffentlich).
Gruß
Paul

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von polymatheia am 23. Mai 2003, 04:22 Uhr

Hallo auch :-)

Zwei kurze Bemerkungen, eine zu Hans-Peter, eine als Beitrag zur Diskussion:

1.Schade Hans-Peter. Ich versuche im Normalfall eine einfache Sprache zu wahren - nicht um fremdsprachliche Schwierigkeiten zu umgehen, sondern aus der Ueberzeugung heraus, das klar zu sprechen bedeutet, so zu sprechen, dass es auf die Worte nicht ankommt. Falls Du allerdings mal versuchen solltest meine (ehrlich!) nicht schwierigen Beitraege zu lesen, schau mal unter http://dict.leo.org. Das ist ein ausgezeichnetes Deutsch/Englisch online Woerterbuch. :-)

2. I can only emphasise Paul's comments. There were, as a matter of fact, several worldwide 'happyness' surveys, if I may call them such, conducted over the last 40 years or so.
Some of the most noteworthy were for example the one by the University of Michigan, and there was also an interresting one by the Social Science Research Center in Berlin.
The subjective level of 'well-being' was shown in these to be not correlated with material possessions, and was also not determined (more interrestingly maybe) by the political system. So for example were in the 90s people in China as happy as people in Spain and happier as those in Portugal, while people in Columbia were as happy as people in Germany or France etc etc. (See 'Subjective Well-Being across Cultures', MIT-Press 2000).
[sun]

P.S.: Nice contribution Astra! You happen to know any 1st hand source for this information?

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von astra am 23. Mai 2003, 09:47 Uhr

[quote author=polymatheia]
... There were, as a matter of fact, several worldwide 'happyness' surveys... The subjective level of 'well-being' was shown in these to be not correlated with material possessions... [/quote]


[user] ebenso interessant wie die von paul und polymatheia gebrachten studienergebnisse zur korrelation zwischen wohlstand und glück dürften wohl solche (psychologischen und soziologischen) untersuchungen sein, welche sich damit beschäftigen, ob es einen zusammenhang zwischen wohlstand und altruismus gibt.
im zusammenhang mit hanspeter's frage, ob ich bereit wäre zu teilen, sind mir folgende beispiele eingefallen:
mir persönlich ist es jeweils in zeiten, in denen ich besser verdient habe als etwa derzeit, wesentlich leichter gefallen, z.b. für katastrophenopfer, amnesty international etc. zu spenden.
auf der anderen seite beobachtete ich im zuge meiner früheren tätigkeit in der privatwirtschaft, dass gerade menschen mit sehr hohem einkommen oft gar nicht auf die idee kommen, für mittellose und notleidende menschen etwas zu tun.
ein erklärungsansatz: vielleicht haben (natürlich nicht alle, aber doch überdurschnittlich viele) menschen, welche selbst nie (am eigenen leib) mit armut und not konfrontiert waren, schlicht und einfach kein sensorium dafür...? den bettler an der strassenecke und das verhungernde kind in afrika scheinen sie wie lebewesen auf einem anderen planeten zu erleben, die sie nichts angehen.
und schliesslich gibt es da die gruppe jener mit durchschnittlichem oder unterdurchschnittlichem einkommen, welche, auf die besagte frage ('würden sie teilen?') auf die reicheren verweisen... 'warum gerade ich?' [ruffle].

ich teile hanspeter's ansicht, dass wir nicht darauf warten können/sollen, bis die welt gerechter wird. andererseits erscheint es mir für die lösung der ethik-fragen unverzichtbar, nicht nur bei philosophischen theorien und juristischen rahmenbedingungen anzusetzen, sondern auch bei menschlichen persönlichkeitseigenschaften.

wie kann der mensch, unabhängig von seiner lebensgeschichte und seinen finanziellen ressourcen, geschult werden, mehr fähigkeit zu empathie, mehr soziales verantwortungsgefühl zu entwickeln?
ist in einer gesellschaft, in welcher macht regiert und coolness/oberflächlichkeit im vormarsch sind, altruistisches verhalten überhaupt ehren- und lohnenswert? welchen stellenwert hat SOLIDARITÄT in unserer gesellschaft?

grüsse, astra


p.s. zu meinem gestrigen beitrag liegen mir keine weiteren zahlen und statistiken vor, sorry!


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 23. Mai 2003, 13:30 Uhr

Hallo Polymatheia,
ich will versuchen Deine Einwände und Fragen zu beantworten:
1. Du fragst, wie man feststellen kann, ob eine bestimmte Norm eher allgemein konsensfähig ist als eine andere. Ich gehe von der Prämisse aus, dass ein Individuum einer Norm umso eher zustimmen kann, je besser es bei allgemeiner Befolgung dieser Norm gestellt ist. Dabei nehme ich an, dass auch Aussagen sinnvoll wie: Individuum S wird bei Norm A schlechter gestellt als Individuum P bei Norm B. Zum Beispiel ist die folgende Aufteilung von 10 Äpfeln auf die Individuen S und P (6 für S und 4 für P) für P eher akzeptabel als die zweite Aufteilung (7 für P und 3 für S) für S akzeptabel ist (Dabei sei angenommen, dass hinsichtlich Bedürftigkeit und Leistung etc. zwischen S und P keine Unterschiede bestehen.) . Ich halte also einen i n t e r p e r s o n e l l e n Vergleich in diesem Zusammenhang für möglich.
2. Ich kann Deinen Einwand gegen die Forderung nach zwangfreier Argumentation nicht nachvollziehen. Was wir beide gerade hier machen ist ja ein solcher zwangfreier Diskurs. Ich halte diese Forderung im übrigen für eine äußerst "potente" Waffe gegenüber Weltanschauungen, die Andersdenkende verketzern, kriminalisieren oder "psychiatrisieren".
3. Deine Gegenbeispiele zum Konsenskriterium treffen nicht, da es sich bei Athen oder der Weimarer Republik nicht um einen allgemeinen Konsens handelte.
4. Wo habe ich aus welchen rein faktischen Prämissen unzulässigerweise eine normative Schlussfolgerung gezogen?
Auf die andern Punkte gehe ich später ein. Gruß Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 23. Mai 2003, 15:15 Uhr

Hallo Polymatheia,

auch an dieser Stelle herzliche Gratulation zu deinem hervorragenden Deutsch. Ich rechne es dir sehr hoch an, dass du, ganz im Gegensatz zu deinem Großen Häuptling, ein so positives Verhältnis zum Alten Europa hast. Jedenfalls freue ich mich sehr auf deine Beiträge in deutscher Sprache.
Danke für den Tipp zum Internet-Lexikon. Aber aus technisch/praktischen Gründen kann ich meine Beiträge nur auf einem internetfreien Computer schreiben.

Hallo an alle Altruisten,

ich denke, ich muss das mit der D r o g e Geld noch einmal klären. Man kann ohne Drogen glücklich werden, wenn man aber einmal an eine Droge gewöhnt ist, kommt man ohne diese Droge nicht mehr aus.
Natürlich weiß auch ich, dass man mit viel weniger als mit 8000 Euro pro Jahr glücklich sein kann. Aber nur dann, wenn man an mehr nicht gewöhnt ist. Sobald man aber sieht, wie es sich mit mehr lebt, will man es auch. Und die Entzugserscheinungen sind katastrophal.

Hallo Paul, warte es nur ab mit den Esten. Warum wollen die denn in die EU? Weil sie mit ihrem jetzigen Einkommen zufrieden sind? Sicher nicht. Und versuche doch einmal, deinen Kindern oder Enkelkindern mit dem Hinweis auf deine Lebenssituation nach dem Krieg klarzumachen, wie glücklich man ohne Auto, Computer, Fernsehen, Mobiltelefon usw. sein kann. Was sagen die dazu?

Die glücklichen Naturvölker waren nur in etwa glücklich, solange sie nicht von den Europäern "aus der Steinzeit in die Neuzeit geführt wurden". Jetzt gehören auch zu ihrem Glück die Attribute der Zivilisation. Selbst die letzten Aboriginals sind dem Charme der australischen Sozialhilfe erlegen und denken nicht mehr daran, mit Pfeil und Bogen auf Kängurujagd zu gehen, obwohl es diese Tiere jetzt in viel größerer Zahl gibt als früher. Auch sie sind der Droge Geld verfallen.
Nebenbei, Paul, ich rate dir, deine Beiträge auch an die Herren Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu schicken. Deren Antwort würde mich ebenfalls sehr interessieren.

Hallo Astra,
ich kann mir denken, dass du mich einen gefühllosen Egozentriker, frei von Empathie und sozialem Verantwortungsgefühl hältst. Aber mir hat immer noch niemand eine schlüssige Antwort auf die Frage gegeben, wie der Transfer von Geld in die 3. Welt die vorhandenen Probleme löst.
Gut, du spendest 100 Euro, nehmen wir sogar an, sie kommen "dort unten" an. Du rettest einen Menschen vor dem Hungertod. Du kannst glücklich und zufrieden mir dir sein. Ein Jahr später hält dir der Gerettete nicht nur sich selbst, sondern auch sein Kind hin, ein Jahr später sein zweites usw. Außerdem braucht er etwas zum Heizen und fällt die letzten Savannenbäume, sodass die Wüstenbildung weiter fortschreitet usw. Dieser Mensch wie auch seine Nachkommen werden nie auf diese Weise in die Lage versetzt, sich selbst zu versorgen. Dann muss die Astra und all ihre Nachkommen immer diese Menschen unterstützen. Und da es immer mehr werden (insgesamt zur Zeit 80 Millionen pro Jahr), brauchen wir immer mehr sozial denkende Astras. Ich halte das für keinen Lösungsweg, weil er nicht die Ursachen bekämpft. Mit Empathie und sozialer Verantwortung sind diese Probleme nicht zu lösen.

Vorausgesetzt, dass es Altruismus überhaupt gibt - ich persönlich bezweifle es - ist er zwar offiziell ehrenwert - die Chance auf ein Bundesverdienstkreuz ist nicht schlecht - aber er löst unsere Probleme nicht. Und eine Solidarität mit 6 Milliarden Menschen ist nicht möglich. Wer behauptet, dazu in der Lage zu sein, lügt sich selbst was vor.

Dessen ungeachtet plädiere ich sehr wohl dafür, die "Besserverdienenden" und "Bestensverdienenden", ob sie wollen oder nicht, in die Pflicht zu nehmen. Aber nicht, um das Geld in die 3. Welt zu schicken, sondern zB. um die Umweltsünden der 1. Welt zu korrigieren.

Gruß HP



Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 23. Mai 2003, 16:02 Uhr

hallo HP,
>Dessen ungeachtet plädiere ich sehr wohl dafür, die "Besserverdienenden" und "Bestensverdienenden", ob sie wollen oder nicht, in die Pflicht zu nehmen.<
[cheesy] [cheesy] [cheesy] [cheesy]

Danke für deine Ehrlichkeit.
Du bist wirklich etwas vernebelt von der "Droge Geld"
Keiner hat etwas dagegen, wenn du anständig Moos machen willst, die Betonung liegt allerdings auf anständig, das ist durchaus möglich. Das heißt du mußt irgend etwas vernünftiges dafür leisten und nicht auf die "Besserverdienenden" schielen. Dann könnte es sogar passieren, dass du an deiner Leistung (nicht an dem Moos) Spaß bekommst, andersherum klappt es meist nicht.
Und mit Entwicklungshilfe sollte man sich schon etwas seriöser auseinandersetzten als du.
Gruß
Paul

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von polymatheia am 23. Mai 2003, 23:43 Uhr

My dear Eberhard (not to exclude anyone else who wants to chip in!) :-)

I wanted to actually address the points in order, until I reread your post which might make this superfluous. After all, you have set a premise, and I can simply attempt to nibble away on that a bit. [grin]

To quote you: 'Du fragst, wie man feststellen kann, ob eine bestimmte Norm eher allgemein konsensfähig ist als eine andere. Ich gehe von der Prämisse aus, dass ein Individuum einer Norm umso eher zustimmen kann, je besser es bei allgemeiner Befolgung dieser Norm gestellt ist.' - This is quite right. If you give everything to me, I might just agree with it! ;-)

On a much more serious note, I see the following weakness, that is not in any way, shape or form addressed by your premise (or your other statements): How do you make that judgement? Do you simply assume that you, or whoever makes those decissions, does in fact know what is more 'konsensfaehig'? Or does the society, for which the norm shall be valid, have to vote on it (which would make it openly legalistic right from the start)? Not to mention that a 'norm' as for example, to take all possessions currently held by the 1000 wealthiest people worldwide (a thought that occured to me in retrospect of Astra's 100-people world), and give it in equal shares to everybody else, seems to me quite fine with about 99.999% of the words population - and in case you want to retreat onto some doctrine of abstinence of force, I can only once more remind you of 'real life', and that whatever norm a society selects, to have ANY practical relevance, it will have to be enforced. ( I would claim that if there is something that needs no enforcement, we have discovered not a norm, but a social truism.[even though I am in doubt that there is even that to be found] )

But I suggest to let us try a litmus test, if there at least is a remote chance of finding anything in Ethics, that has meaning beyond your (or mine) private life and our immediate surrounding, and which is not a purely subjective choice, but has some sort of rational basis:
IF there are generally acceptable norms (that need no enforcement of any sorts), THEN one should expect that some of them have been found in 2500 years of pondering. Can you name any?

Yes, we have a force-free discourse. But also one that is utterly without any consequence in practice. The topic here, and I think the bottomline of our discussion as well, is, after all, if 'Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen' should be answered affirmative. Now, if you can agree with me that 'sense' defines itself partly over having practical relevance, then my answer was yes. That view might seem at first quite unphilosophically really, but at least I know myself, historically speaking, in good company (as are you of course).

I do think you are building on a Metaphysical theory, rather than something with practical value - one could call it a pleasant Utopia, a world many of us might like to live in, but it remains 'ou topos'. [sun]

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 24. Mai 2003, 02:09 Uhr

Hallo Paul,

ich hatte gehofft, dass wir auf persönliche Animositäten verzichten könnten.
Wenn du glaubst, dass der Verdienst zB der Spitzenmanager in der BRD proportional zu ihren Leistungen ist, bitte schön. Ich glaube nicht, dass Herr Breuer von der Deutschen Bank mehr als 2000 mal mehr leistet als ein mittlerer Angestellter dieses Unternehmens.
Und wie man das Problem Entwicklungshilfe seriös löst, könntest du ja einmal hier darlegen.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von astra am 24. Mai 2003, 20:59 Uhr

[quote author=Hanspeter]
... ich kann mir denken, dass du mich einen gefühllosen Egozentriker, frei von Empathie und sozialem Verantwortungsgefühl hältst. Aber mir hat immer noch niemand eine schlüssige Antwort auf die Frage gegeben, wie der Transfer von Geld in die 3. Welt die vorhandenen Probleme löst... eine Solidarität mit 6 Milliarden Menschen ist nicht möglich... [/quote]


hallo hanspeter!
irgendein berühmter psychoanalyter hat einmal gesagt, 'zynismus ist die aggression des intellektuellen' ;-) und so verstehe ich auch, dass dich, der du erfreulicherweise unter diesem und anderen threads so lösungsorientiert unterwegs bist, der gedanke, dass bei der 'solidarität mit 6 milliarden menschen' vielleicht nur teil-erfolge möglich sind, ganz und gar nicht froh stimmt. das vorweggenommene scheitern an einer gesamtlösung mag auch ein grund dafür gewesen sein, dass du beim thema entwicklungshilfe nur an den transfer von geld, nicht aber den transfer von know-how und bildung gedacht hast.
auch war vermutlich mein altruismus-argument nicht gerade glücklich gewählt. ich hätte vielleicht mit jenem wesenszug beginnen sollen, den die tibeter 'shen dug ngal wa la mi so pa' nennen, übersetzt: 'die unfähigkeit, das leid eines anderen mitanzusehen'. (der dalai lama schreibt übrigens in 'das buch der menschlichkeit, eine neue ethik für unsere zeit', dass er die meisten seiner landsleute, trotz armut und bedrohung, als nicht unglücklich erlebt, begründet dies mit ihrem inneren frieden, gemeinschaftsgefühl etc.).
jedenfalls unterstelle ich dir mal, dass du, wenn beispielsweise ein kleines kind oder eine alte frau vor dir stürzt, einen gesunden impuls zur hilfeleistung verspürst... auch würde ich jemandem, der als robin hood ;-) im ethik-thread unterwegs ist (genauso engagiert wie ich als mutter theresa [ruffle] ), keinen mangel an sozialem verantwortungsgefühl zuschreiben.
grüsse, astra




Titel: Die Berücksichtigung der menschlichen Natur
Beitrag von Eberhard am 24. Mai 2003, 21:42 Uhr

Hallo Astra,

Du betonst zu Recht, dass es für die Lösung der Ethik-Fragen unverzichtbar erscheint, „nicht nur bei philosophischen Theorien und juristischen Rahmenbedingungen anzusetzen, sondern auch bei menschlichen Persönlichkeitseigenschaften.“

Die Frage nach der menschlichen Natur und nach deren Veränderbarkeit durch veränderte soziale Verhältnisse und gezielte Erziehung - insbesondere was die Orientierung am „Eigenen“ betrifft (Egoismus, Familienorientierung, Vetternwirtschaft, Ethnozentrismus, Wir-Gefühl, Fremdenfeindlichekeit, Korruption, Nationalismus u.a.m.) - ist ein notwendiger Bestandteil jeder Ethik, den wir bisher – um der Vereinfachung willen - weitgehend ausgeklammert haben. Nur dadurch, dass wir die einzelnen Normen immer unter der Voraussetzung ihrer allgemeinen Befolgung beurteilt haben, brauchten wir uns mit der Natur des Menschen und den Möglichkeiten und Grenzen seiner Formbarkeit noch nicht auseinandersetzen.

Die menschliche Natur und ihre begrenzte Formbarkeit muss z.B. beachtet werden, wenn die Menschen durch die rechtlich und moralisch verankerten Normen und Werte nicht überfordert werden sollen. Wenn diese Überforderung eintritt, werden die Werte zu leeren Worthülsen und kollektiver Heuchelei. Das Experiment mit einer am Kommunismus orientierten gesellschaftlichen Ordnung, die unter dem Stichwort „internationale Solidarität“ die Proletarier aller Länder vereinigen wollte, ist – zumindest vorerst – gescheitert und gibt zu denken. Der „neue Mensch“, der aus den sozialistischen Verhältnissen und der sozialistischen Erziehung hervorgehen sollte, war der alte geblieben: Die „Heimat aller Werktätigen“ kämpfte gegen Nazi-Deutschland unter dem Banner des „Großen Vaterländischen Krieges“, die „Kommunistische Internationale“ wurde ein Instrument Stalins, der „1. Sekretär des Zentralkomitees“ war in Wirklichkeit ein gefürchteter Diktator, das Eigentum des Volkes an den Produktionsmitteln endete in bürokratischer Starre und Misswirtschaft, das „Absterben des Staates“ entpuppte sich als dessen Allmacht in Form des Staatssicherheitsdienstes und aus den Vordenkern und Vorkämpfern der ausgebeuteten Klassen wurden Parteibonzen mit einem umfassenden System von Privilegien. Das sollte bei allen „revolutionären“ Gesellschaftsentwürfen im Hinterkopf behalten werden.

Ich bin zwar nicht so skeptisch wie Hanspeter hinsichtlich des Vorkommens „altruistischen“ Verhaltens. Orientierung am Wohl anderer oder der Allgemeinheit ist jedoch nicht die im Alltag vorherrschende Motivation. Der eigene Schmerz fühlt sich anders an als der Anblick fremden Schmerzes und - wie der Volksmund sagt - : „Selber essen macht fett!“ Man kann wohl in besonderen Situationen starke solidarische Empfindungen und Motivationen wecken, aber man kann keine soziale Ordnung auf der Prämisse aufbauen, dass die Menschen „Idealisten“ sind und ihr Handeln am allgemeinen Wohl ausrichten. Deshalb gebe ich Hanspeter Recht, wenn er darauf besteht, dass Wohltätigkeit auf lange Sicht keine Lösung für die Probleme der unterentwickelten Länder sein kann.

Meine sehr allgemein gehaltenen Aussagen zur Natur „des Menschen“ müssten natürlich auf jeden Fall anhand der Ergebnisse der mit der Erforschung der menschlichen Natur befassten empirischen Wissenschaften (Psychologie, Soziologie, Ethnologie, Biologie, Anthropologie, Geschichte, Pädagogik) überprüft und konkretisiert werden. Mit bloßen Bekenntnissen zu einem „optimistischen“ oder „pessimistischen“ Menschenbild kommen wir an diesem Punkt nicht weiter. Vielleicht können wir auf diesem schwierigen Feld wenigstens ein paar Bausteine zusammentragen hofft Eberhard.


Titel: Nur eine angenehme Utopie?
Beitrag von Eberhard am 24. Mai 2003, 23:10 Uhr

Hallihallo polymatheia,

Du sitzt einem grundlegenden Missverständis auf, wenn Du meinst, dass allgemein konsensfähige Normen „in gar keiner Weise einer Erzwingung bedürfen“. „Weit gefehlt!“, wie der Deutsche sagt: Dass ich die allgemeine Befolgung einer bestimmten Norm bejahe, impliziert keineswegs, dass ich keinerlei Motiv haben könnte, diese Norm in einer konkreten Situation selber zu übertreten. Nicht umsonst beten die Christen im Vaterunser: „Und führe uns nicht in Versuchung!“. Um eines der von mir bevorzugten Alltagsbeispiele zu verwenden: Ich halte es zwar für richtig, dass das Parken an bestimmten Stellen in der Stadt nicht erlaubt ist, aber heute habe ich es besonders eilig und stelle mich trotzdem in ein Parkverbot. Ich bin also keineswegs so blauäugig wie Du wohl meinst und gebe hiermit die eidesstattliche Versicherung ab, dass ich an keiner „metaphysischen Theorien“ von einem „angenehmen Utopia“ baue.

Du fragst: „Do you simply assume that you, or whoever makes those decissions, does in fact know what is more 'konsensfaehig'? How do you make that judgement? Or does the society, for which the norm shall be valid, have to vote on it?”
Weder noch, lieber polymatheia! Wenn ich behaupte, dass eine bestimmte Norm allgemein konsensfähig ist, so tue ich das in ähnlicher Weise, wie wenn ich behaupte, dass eine bestimmte
Beschreibung eines Sachverhaltes wahr ist. Für beide Arten von Behauptungen habe ich meine Gründe und gegenüber dem, der meine Behauptungen bestreitet, nenne ich meine Gründe und bin für Gegenargumente jederzeit offen. In Bezug auf Normen kommen als Gründe für deren allgemeine Konsensfähigkeit z.B. in Frage, dass die Norm unparteiisch und „ohne Ansehen der Person“ formuliert ist, dass sie im Falle der allgemeinen Befolgung alle Individuen besser stellt als eine alternative Norm usw. ‚Konsensfähigkeit’ ist also argumentativ zu stützen und kann ebenso wenig wie ‚Wahrheit’ durch Abstimmungen festgestellt werden. Um einen früher populären Werbespruch abzuwandeln: „Millionen können sich irren!“

Und da Du diesen Wunsch wiederholt vorgebracht hast, gebe ich Dir abschließend das folgende Beispiel für eine meiner Ansicht nach allgemein konsensfähige Norm: „Du sollst nicht wildfremde Leute, die neben Dir auf die U-Bahn warten, vor den einfahrenden Zug stoßen!“. Ich vertrete die optimistische Ansicht, dass dieser Norm in einer unter idealen Bedingungen geführten Diskussion, jeder zustimmt, der am Ziel eines allgemeinen zwanglosen Konsenses festhält, und bin auf Deine Widerlegung gespannt. Gruß Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von polymatheia am 25. Mai 2003, 05:11 Uhr

Dear Eberhard ( I wonder who else is still around! [ruffle] )

1. 'Du sitzt einem grundlegenden Missverständis auf, wenn Du meinst, dass allgemein konsensfähige Normen „in gar keiner Weise einer Erzwingung bedürfen“. „Weit gefehlt!'

This has to be a misunderstanding since it was, obviously I thought ( that the sun revolves around the earth seems obvious too! ;-) ), one of my main points that this enforcement will be needed. From that I argued that this is a legalistic norm, not an ethical one. But the point I think we can agree on here now is, that however we call it, it will need enforcement. :-)

2. 'Wenn ich behaupte, dass eine bestimmte Norm allgemein konsensfähig ist, so tue ich das in ähnlicher Weise, wie wenn ich behaupte, dass eine bestimmte Beschreibung eines Sachverhaltes wahr ist. Für beide Arten von Behauptungen habe ich meine Gründe.. '

This is a nice simile, and it is quite enlightning when one proceeds to its conclusion. If one speaks about a certain description being 'true', one commonly speaks about it matching the facts as far as we can be aware of them. Since we can never know all that is to know about a certain 'fact' ( I am abbreviating this argument, since I am assuming you are familiar with it ), we can never be certain that we have actually made a true statement, or found a true theory. This is why we cannot argue for the truth of something, but only for it being wrong or, alternatively, not having been shown wrong as of yet. We of course assume that there is something like 'truth' we can get closer to, otherwise it would make no sense to look for any sort of improvement, and the statement of something being 'false' would become logically non-sensical.
Following this line of thought, one would have to conclude, expanding on your simile, that there are 'definite norms' which one could, theoretically at least, reach (even though we might never know we did reach them). Are you prepared to say that there are definite, unalterable norms (which, as it seems to me at the moment, would have to hold not only for us, but throughout the universe) that could be discovered?
This line of reasoning also can be carried over to your point ->
3. '.. Beispiel für eine meiner Ansicht nach allgemein konsensfähige Norm: „Du sollst nicht wildfremde Leute, die neben Dir auf die U-Bahn warten, vor den einfahrenden Zug stoßen!“. Ich vertrete die optimistische Ansicht, dass dieser Norm in einer unter idealen Bedingungen geführten Diskussion, jeder zustimmt, der am Ziel eines allgemeinen zwanglosen Konsenses festhält.. '

This could be summed up as the maxime 'Don't kill innocent strangers', and it is held by you to be valid in an ideal discussion.
This 'ideal' would have to include quite a few things, so for example that all participants are rational, all share your value system (I am pretty sure there are people who enjoy killing, and who are held back merely by the fear of sanction... some are not even held back by that), nobody has ulterior motives, and there are definite ways to decide between the merits of the argument on opposing sides. This is just to name a few objections, and the list is easily extensible.
The real problem with all this becomes much more obvious, I suggest, when we approach it not from what to many 'westerners' will appear to be a moral truism, but via a contentuous subject, for example assisted suicide.
While I might be a proponent of assisted suicide, I could freely admit that many others are not, and that they are not all bigots, but that at least some of them have a variety of good reasons for their view. While I find those reasons considerably less weighty than those I have for endorsing my own opinion, the important point is, that even in an ideal and rational discussion neither side will have definite, logically compelling arguments that could force the other side to either live with severe inconsistencies in their views, or abandon them.

And to bring this all full circle to the topic, 'Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?', which we could rephrase as, 'Is there a way in which me involving myself with 'ethics' would be fruitful?', which I suggest can simply be put as 'Are there PRACTICAL REAL LIFE applications of ethics - i.e. real results that I could show rationally binding, even to people not of my cultural background?'. This is where your 'ideal' comes in, and the circles closes - 'practical real life' and 'ideal' are the worlds foremost antithesis. [sun]

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 25. Mai 2003, 05:30 Uhr

Hallo Astra,

auch in Sachen Zynismus gilt, ist der Ruf mal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. Ob ich mich als Zyniker sehe, hängt von der entsprechenden Definition ab. Wer mich als Zyniker sieht, bitteschön.

Zur Sache. Du hast richtig erkannt, dass ich mich bei der Entwicklungshilfe vorzugsweise auf den Transfer von Geld eingeschossen habe, weil natürlich der Transfer von technischem Wissen und Bildung an Geld geknüpft ist. Beide lassen sich kaufen. Insofern soll das Geld symbolisch für alle Arten von Zuwendungen stehen. Allerdings muss man sich in puncto Bildung darüber im Klaren sein, dass diese kaum ohne einen fundamentalen Kulturbruch bei den Nehmerländern transferiert werden kann. Und damit sind dort, wo ich schon längst gerne wäre, nämlich bei den Überlegungen, w i e überhaupt diesen Menschen geholfen werden könnte und welche Konsequenzen diese Hilfen haben.
Der Dalai Lama Satz: <die unfähigkeit, das leid eines anderen mitanzusehen> kann sehr unterschiedliche Konsequenzen haben. Helfen oder wegsehen. Letzteres kann man als Zynismus werten. Es kann aber auch auf der Einsicht der Unfähigkeit zur Hilfe beruhen.

Gruß HP

Hallo Eberhard,

deinen Ausführungen zu Astra stimme ich im Wesentlichen zu. Vielleicht nur eine Anmerkung zum Altruismus.
Ich zweifle an dessen Existenz aus grundsätzlichen Erwägungen, weil die üblichen, christlichen Altruismus-Modelle nicht als selbstlos bezeichnet werden können. Der Christ macht ja ein "Geschäft". Selbstlosigkeit auf Erden schafft "himmlische Schätze". Auch kann man die persönliche Zufriedenheit, um nicht zu sagen narzisstische Befriedigung ebenfalls als Profit des Altruismus werten. Lediglich die Sorge für künftige Generationen ist ziemlich altruistisch und stößt daher auf Ablehnung, denn noch nicht existierende Menschen können einen noch nicht dafür loben und ob es dafür "himmlische Schätze" gibt, ist wohl mehr als fraglich.
Daher schätze ich rationale Lösungsansätze mehr als vorzugsweise emotionale.

Gruß HP


Titel: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Eberhard am 25. Mai 2003, 06:50 Uhr

Lieber Polymatheia,

da wir das eine Missverständnis aufklaren konnten - aufgrund nahezu idealer Diskussionsbedingungen – hoffe ich, dass wir auch weitere Schritte zum besseren Verständnis der beiderseitigen Thesen und Argumente machen können.

Ich habe die Diskussion über die allgemeine Konsensfähigkeit von Normen mit der erfahrungswissenschaftlichen Diskussion über die Wahrheit von Aussagen verglichen, um klar zu machen, dass über die Konsensfähigkeit einer Norm weder abgestimmt wird, noch dass irgendein Wissenschaftler darüber entscheidet, ob eine Norm konsensfähig ist oder nicht, so wie über die Wahrheit faktischer Aussagen weder abgestimmt werden kann, noch irgendein Wissenschaftler darüber entscheiden kann.

Trotzdem macht es Sinn, wenn ein Wissenschaftler die Antwort auf eine Frage nach der Beschaffenheit der Wirklichkeit gibt und seine Antwort b e h a u p t e t in dem Sinne, dass er damit den Anspruch an alle andern verbindet, diese Antwort ebenfalls zu bejahen. Als moderner Wissenschaftler, der die Methodologie der Erfahrungswissenschaften mit der Muttermilch eingesogen hat, ist es für ihn selbstverständlich, dass er für seine Behauptung intersubjektiv nachvollziehbare (konsensfähige!) Gründe anführen muss wie z.B. die genaue Beschreibung der Versuchsanordnung und der Gewinnung der Beobachtungsdaten. Dass man zur Beantwortung von Fragen nach der Beschaffenheit der Wirklichkeit kontrollierte Beobachtungen und Experimente machen muss, war noch vor ein paar hundert Jahren keineswegs unumstritten und die Methodologie der Erfahrungswissenschaften ist auch nicht von heute auf morgen entstanden.

Mir geht es um den Aufbau einer in vergleichbarer Weise auf die intersubjektive Nachvollziehbarkeit aller Behauptungen und Argumente ausgerichteten Methodologie im Bereich normativer Fragen. Ich frage: Welche methodischen Regeln müssen beachtet werden, wenn man Fragen danach, wie Menschen unter bestimmten Bedingungen handeln sollen, konsensfähig beantworten will. Und ich hoffe ein wenig, dass die Ausrichtung der Ethik und anderer mit normativen Fragen befassten Wissenschaften an der allgemeinen Konsensfähigkeit der Antworten zu einem ähnlich gesicherten Erkenntnisfortschritt verhilft, wie es das konsensstiftende Kriterium der intersubjektiv übereinstimmenden Beobachtung in den Erfahrungswissenschaften getan hat.

Wir könnten über den Wahrheitsbegriff in den Erfahrungswissenschaften sicherlich noch viel streiten. So bin ich im Unterschied zu Dir der Ansicht, dass man sehr wohl für die Wahrheit einer Aussage argumentieren kann. Für die Wahrheit der Aussage: „Eberhard hat diese Gedanken noch vor 7 Uhr morgens geschrieben“ argumentiere ich z.B. damit, dass ich mich durch Blick auf die Computeruhr davon überzeugt habe. Aber wir sollten uns auf dieses schwierige Gebiet nur begeben, wenn dabei etwas für die Lösung unseres Problems (die allgemeingültige Beantwortung normativer Fragen) herauskommt, sei es bei der Herausarbeitung von weiteren Bedingungen für einen allgemeinen Konsens, sei es beim Nachweis der Sinnlosigkeit eines solchen Unterfangens und der Erkenntnis, dass wir stattdessen lieber ins Schwimmbad gehen sollten.
Einen sonnigen Sonntagmorgen wünscht Dir Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von astra am 25. Mai 2003, 18:16 Uhr

[quote author=Hanspeter]
Auch kann man die persönliche Zufriedenheit, um nicht zu sagen narzisstische Befriedigung ebenfalls als Profit des Altruismus werten. [/quote]


hallo!
ist das nicht gar ein bisschen streng? warum darf z.b. ein (gutbezahlter) baumeister stolz sein auf sein werk, während beim (schlecht bezahlten) sozialarbeiter, welcher drogensüchtigen auf dem weg zurück ins normale leben hilft, hinterfragt wird, ob er sich vielleicht nur zwecks narzisstischer befriediung engagiert? was ist mit all den leuten in pflegerischen, sozial- und gesundheitsberufen, für die es einfach SINN macht, anderen in schwierigen lebenssituationen beizustehen? und warum darf jemand, der trotz niederen einkommens eine hilfsorganisation unterstützt, eine patenschaft übernimmt etc.etc., nicht stolz darauf sein?
haben wir nicht eher das problem, dass 'solidarleistungen' in unserer gesellschaft viel zu wenig anerkannt werden, schlecht bewertet und damit unattraktiv sind?
grüsse, astra






Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 25. Mai 2003, 20:22 Uhr

hallo HP,
ich war dir noch ne Antwort schuldig.

>Wenn du glaubst, dass der Verdienst zB der Spitzenmanager in der BRD proportional zu ihren Leistungen ist, bitte schön. <

du hast mich gründlich misverstanden, wenn du annimmst, das ich die Gehälter von Großunternehmensvorständen verteidige. Sie stören mich allerdings weniger, wenn sie "anständig" verdient werden und das sehe ich z.B. absolut nicht bei Bill Gates, der mit monopolistischen Methoden schlechte Programme für überhöhte Preise verkauft, das führt hier allerdings zu weit.
Gelacht habe ich nur wegen deinem Widerspruch zwischen Besseverdienenden und Schlechterverdienenden. Die Esten liegen ja noch unter den 8000 Dollars, sind aber offensichtlich nicht sichtbar unglücklicher als Deutsche. Sie haben z.Zt. ein Wirtschaftswachstum von über 5% und wir liegen im Minus.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 25. Mai 2003, 20:30 Uhr

Es ist übrigens ein Märchen, dass unsere Entwicklungshilfe wirklich viel Geld kostet, auch wenn sie überaus effektiv sein kann und ist. Denk nur mal an die geliebten und gehaßten "Billigimporte" es kommt hier ganz auf den Standpunkt an, trotz aller Ökonomik geht es hier nicht ganz ohne ethische Normen. Es geht hier gar nicht so sehr um Geldtransfer wie du meinst, sondern z.B. um Marktöffnung, wir wollen ja auch exportieren. Hier gibt es sehr unethische Verhaltensweisen von westlichen Ländern, die eigentlich genau auf das Gegeteil hinauslaufen, was Entwicklungspolitik vorgibt zu sein und was du so vehement ablehnst.
Hier kann ich nur Astra voll zustimmenn

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 25. Mai 2003, 20:43 Uhr

>Vielleicht nur eine Anmerkung zum Altruismus.
Ich zweifle an dessen Existenz aus grundsätzlichen Erwägungen,...<

welche grundsätzlichen Erwägungen?


>persönliche Zufriedenheit, um nicht zu sagen narzisstische Befriedigung <

das liebe ich so, wenn einer was vernünftiges macht, ohne gleich an seinen persönlichen Vorteil zu denken, ist er schon ein Narzist, nein Danke.

>Daher schätze ich rationale Lösungsansätze mehr als vorzugsweise emotionale. <

Das verstehe ich nicht, heißt nun rational egoistisch und emotional altruistisch?

gruß
Paul

Titel: Richtige Antworten auf ethische Fragen?
Beitrag von Eberhard am 25. Mai 2003, 23:11 Uhr

Dear Polymatheia,

Deine Frage war: „Are you prepared to say that there are definite, unalterable norms (which, as it seems to me at the moment, would have to hold not only for us, but throughout the universe) that could be discovered?”

Meine Antwort lautet: “Ja, es gibt richtige Normen.”

Auch auf die Gefahr hin, zu stressen, will ich versuchen, meine Position klarer zu machen, indem ich die verschiedenen Arten von Behauptungen einmal zusammenstelle: immer jeweils eine faktische (oder deskriptive) Behauptung und dazu die entsprechende normative (oder präskriptive) Behauptung:
1. s i n g u l ä r e Behauptungen (bezogen auf ein bestimmtes raum-zeitliches Ereignis)
a.) „Mark hat gestern die ‚Rechtsphilosophie’ von Radbruch aus der Uni-Bibliothek mitgenommen, ohne sie als entliehen verbuchen zu lassen.“ (faktisch / singulär)
b.) „Mark hätte gestern nicht die ‚Rechtsphilosophie’ von Radbruch aus der Uni-Bibliothek mitnehmen dürfen, ohne sie als entliehen verbuchen zu lassen.“ (normativ / singulär)

2. a l l g e m e i n e Behauptungen (bezogen auf wiederkehrende A r t e n von Ereignissen)
a.) „Wenn jemand ein Buch aus einer öffentlichen Bibliothek mitnimmt, dann lässt er es als entliehen verbuchen.“ (faktisch / allgemein)
b.) „Wenn jemand ein Buch aus einer öffentlichen Bibliothek mitnimmt, dann soll er es als entliehen verbuchen lassen.“ (normativ / allgemein)

Gemäß dieser Einteilung gibt es also auch normative Behauptungen, die nur ein bestimmtes singuläres Ereignis betreffen. Singuläre Normen kann man jedoch nur einmal anwenden und wenn man damit das Handeln eines Individuums anleiten wollte, müsste man ständig neue singuläre Normen an das Individuum adressieren.

Bei allgemein formulierten Normen, die auf bestimmte A r t e n oder Klassen von Ereignissen bezogen sind, wird eine unbegrenzte Anzahl von Ereignissen normativ geregelt, weshalb sie sie sich zur Anleitung des Handelns grundsätzlich eignen. Dabei kann die Verallgemeinerung unterschiedlich weit gehen. Die Kunst der Formulierung von Normen besteht deshalb nicht zuletzt darin, die Handlungsanleitungen mit möglichst wenig Normen auszudrücken, ohne deshalb im Einzelfall etwas Falsches vorzuschreiben.

Die Verallgemeinerung, die beim Übergang von Behauptung 1 b.) nach Behauptung 2 b.) vorgenommen wurde, besteht z.B. in dem Übergang von einer bestimmten Person (Mark) auf alle Personen und von einem bestimmten Buch (Radbruch) auf alle Bücher und von einer bestimmten Bibliothek auf alle öffentlichen Bibliotheken.

Durch die Verallgemeinerung ergeben sich jedoch immer Risiken, da durch die allgemeinen Begriffe besondere Umständen, die neuartig oder äußerst selten sind, u.U. nicht berücksichtigt werden. Mir fällt hier z.B. die Möglichkeit ein, dass man dann Bücher aus der Bibliothek ohne Verbuchung mitnehmen darf, wenn sie ausgemustert wurden. Natürlich kann man versuchen, die veränderten Bedingungen und Ausnahmen als Bedingungen in die Formulierung der allgemeinen Norm mit aufzunehmen, aber das hat ebenfalls seine praktischen Grenzen. So würde die obige Norm in einer möglichen zukünftigen Gesellschaftsordnung falsch werden, in der es überhaupt kein Eigentum an Büchern gibt.

Angesichts dieser Schwierigkeiten sind allgemein formulierte Normen immer wieder revisionsbedürftig und wie „Pfähle, die wir in den Sumpf treiben“, um einen von mir geschätzten Autor zu zitieren.

Allerdings bin ich der Ansicht, dass der Satz 1 b.) in vergleichbarer Weise richtig oder falsch sein kann, wie der Satz 1 a.) und dass man darüber sinnvoll argumentieren kann (und das liegt nicht daran, dass das Beispiel auf die Institution der Leihe bezogen ist.) Allerdings ist die Methodologie der Beantwortung normativer Fragen nicht annähernd so entwickelt wie die Methodologie zur Beantwortung faktischer Fragen.

Ich hoffe, ich habe Dich nicht zugetextet und Dir werden meine zweifelhaften und unzeitgemäßen Intentionen jetzt in ihrer ganzen Unverfrorenheit klar. Gruß Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von polymatheia am 26. Mai 2003, 04:57 Uhr

Dear Eberhard

Indeed, it looks as if we are getting closer to some form of common ground. Encouraging and a value in itself.[applause]

You did not make your position known in too elaborate a manner, after all, this is a discussion forum, not a neighborhood bar where two sentences strung together with coherence can constitute sophistication. :-)

Let me try to sum up your views in a short form:
1. Science develops theories ( which might approach something like truth ), and the way it chooses those theories is by the well known informal means of the scientific community.
2. Science, in its present form, was made possible by the recognition that to make real advances one needs to invent theories and experiments which give predictions on the one hand, and which are testable and possible to repeat for other scientists.

So far I think we, and most here, will basically agree ( we leave out the tricky subject of 'truth', since it would not contribute to the discussion at hand )

3. Ethic, in your view, is in a comparable state as science, or rather the scientific method, was a few hundred years ago.

4. If that is so, you reason, then it should be possible to find
similar mechanisms as did science to make rational and informed decisions about ethical matters.

An interresting approach, even though I do not see how that should work. One of my first questions would be, how do we TEST norms? Or how do we invent new ones, and conjecture from there past the boundaries of what are social tautologies?
But my ignorance on that matter of course in no way implies that it is impossible or that some completely different approach can be found. I just cannot imagine it, but then, I cannot imagine quantum electrodynamics either. What I can say though is, that extraordinary claims do require extraordinary proofs....

After this it becomes very fuzzy to me, not to say self-contradictory.

Let me put a two quotes in dialectic opposition:
a1:'Deine Frage war: 'Are you prepared to say that there are definite, unalterable norms (which, as it seems to me at the moment, would have to hold not only for us, but throughout the universe) that could be discovered?'
Meine Antwort lautet: 'Ja, es gibt richtige Normen.' '

a2:'Angesichts dieser Schwierigkeiten sind allgemein formulierte Normen immer wieder revisionsbedürftig und wie 'Pfähle, die wir in den Sumpf treiben', um einen von mir geschätzten Autor zu zitieren.'

Now those two statements cannot be both true. Either there ARE universal, unalterable ethical norms, then they never can be revised, or there are not. Ethical norms, to have any relevance whatever, must be 'general'. The singular, let us say the 'Do not steal a book' derives from the general 'Stealing is wrong.', and not the other way around (see below).

A further point comes up when we consider your elaboration on the deriving of norms. Given your earlier worked out simile with scientific theories, and if this simile is to have any force, one would have to expect that this 'finding' of norms proceeds similar to the finding of theories. On the other hand you write:
'Die Verallgemeinerung, die beim Übergang von Behauptung 1 b.) nach Behauptung 2 b.) vorgenommen wurde, besteht z.B. in dem Übergang von einer bestimmten Person (Mark) auf alle Personen und von einem bestimmten Buch (Radbruch) auf alle Bücher und von einer bestimmten Bibliothek auf alle
öffentlichen Bibliotheken.'

This means, you derive norms from a number of singular observations, you do 'inductive' ethics that claims to find 'true' answers.
I am not sure if you are aware that this is the complete opposite of any modern philosophy of science ( already Kant noted that the world as we know it is our interpretation of the observable facts in the light of the theories we ourselves invent, but of course Kant went wrong later by assuming that scientific theories are actually, and unquestionably true ). Every scientific theory, that has to say anything worthwhile, goes beyond all our observations. It is universal, exact and abstract; it arose out of myths, a few observations,
chance, strokes of genius etc. ; and we can show by purely logical means ( please don't make me do it! ) that it is not derivable from observation statements.

I might have to say more on that, but for now this has to suffice due to time restraints. After all, one little step foreward has already been taken. ( by the way, for a practical problem, maybe you want to chip in on the 'Practical Ethics' thread where I would like to attempt a more real-life approach )
Happy Monday! [bounce]

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 26. Mai 2003, 08:30 Uhr

Hallo Astra,

ja, du hast Recht, dieses Urteil ist wenig differenziert. Unter Sozialarbeitern wird man wohl selten narzisstische Charakterstrukturen finden, da liegt man meist mit einer depressiven Orientierung richtiger. Aber grundsätzlich würde ich in diesen Fällen auch nicht von Altruismus sprechen. Schließlich werden Sozialarbeiter, Krankenschwestern, Ärzte usw. für ihre Tätigkeit bezahlt; ob adäquat zu ihren Leistungen sei allerdings dahingestellt. Wenn jemand in seiner beruflichen Tätigkeit einen Sinn für die Allgemeinheit erkennt, ist das ebenfalls noch kein Altruismus. Der läge erst vor, wenn sie unentgeltlich erfolgte. Sicher sind die Übergänge fließend, wenn eben ein Sozialarbeiter nicht Dienst nach Vorschrift macht, sondern sich stärker engagiert.

Wenn sich jemand sozial unentgeltlich engagiert und darauf stolz ist, ist es in meinen Augen ebenfalls kein Altruismus mehr, sondern ein Geschäft: Engagement für Stolz (bzw. depressive Befriedigung, "Schätze im Himmel" usw.). Aber trotzdem eine wünschenswerte Tat.

Du hast aber Recht mit deiner Vermutung, dass Solidarleistungen zu wenig anerkannt werden. Die Gründe hierfür sind sicher sehr vielfältig und wären ein extra Thema wert.

Ein vernünftiger Staat sollte in meinen Augen nicht auf Altruismus angewiesen sein, sondern soziale Leistungen entsprechend bezahlen.

Gruß HP


Titel: Leider nur Thesen
Beitrag von Eberhard am 27. Mai 2003, 19:26 Uhr

Dear Polymatheia,
wir sind uns einig, dass in ethischen Fragen das Wahrheitskriterium für faktische Aussagen nicht anwendbar ist, da man das beobachten kann, was ist, aber nicht das, was sein soll.
Viele - und Du wohl auch - ziehen daraus den Schluss, dass ethische Urteile notwendig subjektiv sind ohne einen intersubjektiven Geltungsanspruch.

Aber über die Konsequenz muss man sich dabei klar sein: Wenn es auf normative Fragen keine allgemeingültigen Antworten gibt, bleibt dieser Bereich der subjektiven Willkür und dem bloßen Machtkampf überlassen, für mich eine düstere Perspektive.

Ich halte deshalb den Versuch für gerechtfertigt, für die Normen des menschlichen Handelns ein der "faktischen Wahrheit" analoges Kriterium zu bestimmen. Im Folgenden will ich meinen Gedankengang dazu skizzieren, wobei auch für mich noch viele Fragen offen sind.

Ich bin der Ansicht, dass es auf ethische Fragen ("Wie sollen Menschen handeln?") "richtige" und "falsche" Antworten gibt.
Dabei geht der Anspruch auf "Richtigkeit" (so wie der Wahrheitsanspruch) einher mit dem Anspruch auf allgemeine Geltung. Wenn eine Antwort "richtig" ist, dann ist sie das nicht nur heute sondern auch morgen ("intertemporaler" Geltungsanspruch), und sie ist es nicht nur für Peter sondern für jedermann ("intersubjektiver" Geltungsanspruch). Man kann dies in dem Satz ausdrücken, dass für die "richtige" Antwort auf eine ethische Frage ein Anspruch auf allgemeine Geltung erhoben wird.

Wenn dieser allgemeine Geltungsanspruch für eine ethische Norm mehr sein soll als ein reiner Gehorsamsanspruch gegenüber den Adressaten dieser Norm, dann muss dieser Norm jedermann allein aufgrund von Argumenten zustimmen können, oder anders ausgedrückt: die Norm muss allgemein konsensfähig sein.

Das Kriterium der Konsensfähigkeit ist in seiner Anwendung unproblematisch, wo eine gewisse Gleichartigkeit der Interessen und der Lebenslage unter den Individuen besteht: Die Befolgung bestimmter Handlungsnormen ist oft für jeden besser als die Befolgung alternativer Normen. Dies gilt z.B. für den Verzicht auf Tötung oder Verletzung anderer bei der Verfolgung eigener Interessen.

Das Kriterium der Konsensfähigkeit schließt auch „parteiische“ Normen aus, die sich nicht ohne Bezug auf die Identität der Individuen formulieren lassen.

Schwieriger wird es bei großen Unterschieden zwischen den Personen und ihren Lebenslagen, Aber aus dem Zwang zum Konsens angesichts der abschreckenden Alternative von Willkür und Machtkampf ergeben sich weitere Möglichkeiten eines Konsenses.

Ich hoffe, dass ich diese etwas dürren Thesen demnächst noch etwas näher begründen kann. Im Augenblick ist nicht mehr drin. Gruß Eberhard.





Titel: Singuläre Normen und Aussagen
Beitrag von Eberhard am 28. Mai 2003, 05:38 Uhr

Dear Polymatheia,
Zu Deinen Ausführungen noch eine Anmerkung:

Du schreibst in Deiner Zusammenfassung meiner Position: „Science develops theories“. Das ist richtiig, aber man sollte nicht vergessen, dass sich viele wissenschaftliche Fragen auf singuläre Sachverhaltte richten. In Wissenschaften wie Geschichte, Geographie, Archäologie, oder Astronomie nehmen singuläre Aussagen einen zentralen Platz ein. Und singuläre Aussagen spielen auch in den Wissenschaften eine Rolle, in denen allgemeine Theorien entworfen werden. Denn die Anwendungsbedingungen und die Falsifikatoren einer Theorie werden in singulären Aussagen angegeben ( z.B.: „Die Erhöhung der Temperatur ist nicht eingetreten.“). Ich kann eine Theorie nur dann „an den Fakten scheitern lassen“, wenn ich voraussetze, dass die dabei benutzten Aussagen über diese Fakten „wahr“ sind. Ich kann einen Irrtum nur feststellen durch Bezug auf etwas, das ich für irrtumsfrei bzw. wahr halte. Wenn der Richter den Zeugen fragt: „Trug der Täter bei der Tat eine Brllle?“ und der Zeuge bejaht diese Frage; „Ja, der Täter trug bei der Tat eine Brille“, dann ist diese Aussage dann wahr, wenn er tatsächlich eine Brille trug. Dass man sich auch in Bezug auf derartige Aussagen irren kann will ich nicht ausschließen, aber wenn ich z.B. die Brille mit eigenen Augen gesehen habe und zu dem Zeitpunkt nüchtern war, habe ich guten Grund, die Aussage für wahr zu halten.
Meine provokative These „Es gibt richtige Normen“ bezieht sich auf singuläre normative Sätze wie z.B. „Thomas durfte in dieser Situation das Kind nicht ohrfeigen“ und „Thomas durfte in dieser Situation das Kind ohrfeigen“. Beides sind Normen, von denen die eine falsch und die andere richtig ist. Insofern „gibt es“ richtige Normen. Gruß Eberhard.



Titel: Einige Mißverständnisse
Beitrag von Eberhard am 28. Mai 2003, 06:46 Uhr

Dear Polymatheia,
Du weist darauf hin, dass z.B. bei der Frage, ob Hilfe zur Selbsttötung erlaubt sein soll, auch eine Diskussion unter idealen Bedingungen kein definitives Resultat erbringen muss, sondern verschiedene ethische Ansichten „vertretbar“ sind, wie es bei den Juristen heißt. Damit habe ich keine Probleme. Der ideale Diskurs ist kein Allheilmittel, wie ich bereits früher ausgeführt habe, aber die Konsensfähigkeit in einem idealen Diskurs bleibt der Maßstab, an dem sich alle Ansprüche auf „Allgemeingültigkeit“ messen lassen müssen. Selbst in den Erfahrungswissenschaften mit ihrer ausgeklügelten Methodologie bleiben häufig unterschiedliche Ansichten rational vertretbar.

Dies ist der Punkt, wo Normsetzungsverfahren notwendig sind, die v e r b i n d l i c h e Normen setzen und dafür von allen Befolgung dieser Normen verlangen können – auch von denen, die diese Normen inhaltlich für mangelhaft halten. Hier beginnt „real life“.
Es ist ein Missverständnis, wenn Du mir ein „induktives Vorgehen“ unterstellst. Wenn ich sage, dass die Norm „Peter soll x nicht tun“ zu der Norm „Man soll x nicht tun“ verallgemeinert werden kann, so habe ich damit nicht gemeint, dass dies ein gültiger logischer Schluss sein soll. Ich habe damit nur die logische Beziehung zwischen beiden Sätzen erläutert.
Gruß Eberhard.


Titel: Re: Einige Mißverständnisse
Beitrag von dinu am 28. Mai 2003, 15:36 Uhr


on 05/28/03 um 06:46:31, Eberhard wrote:
Dies ist der Punkt, wo Normsetzungsverfahren notwendig sind, die v e r b i n d l i c h e Normen setzen und dafür von allen Befolgung dieser Normen verlangen können – auch von denen, die diese Normen inhaltlich für mangelhaft halten. Hier beginnt „real life“.


Hallo Eberhard,

Mir ist da noch ein weiterer Aspekt eingefallen, der mir persönlich sehr wichtig ist: das eigene Gewissen als ethische Instanz. Normsetzungsverfahren und allgemein verbindliche Normen müssen immer aus ihrem Entstehungskontext beurteilt werden. Die Frage "welche Funktionen haben welche Normen in welcher Gesellschaft zu welcher Zeit" stellt sich immer. Gesellschaftliche Normen können die Funktion haben, den gesellschaftlichen Fortschritt (was immer das sei) zu befördern, sie können aber auch vollkommen destruktiv sein (Beispiel: gesellschaftliche Normen des 3. Reiches). Letztendlich ist man im Raum des Ethischen immer auf sein eigenes Gewissen zurückgeworfen, woraus sich gegebenenfalls innere Konflikte ergeben können, die auch unlösbar sein können. Ethisches Verhalten setzt dauernde Reflexion und Rückbesinnung auf das eigene Gewissen voraus. Das Ethische konstituiert sich aus den Akten der Selbstreflexion.

Gruss, Martin


Titel: Letzte Instanz das Gewissen?
Beitrag von Eberhard am 28. Mai 2003, 22:35 Uhr

Hallo Martin,
mir ist es bisher vor allem um den sozialen Aspekt von Ethik und Recht als Wegen zur
Konfliktlösung und Friedensstiftung gegangen. Du betonst dagegen die Bedeutung des eigenen Gewissens, einer inneren moralischen Instanz und Quelle von Schuldgefühlen.

Das Individuum bemüht sich, im Einklang mit den von ihm verinnerlichten Normen zu leben. Es versucht, mit seinen gerechtfertigten und ungerechtfertigten Schuldgefühlen fertig zu werden, die sich aus der Diskrepanz zwischen seinen verinnerlichten moralischen Standards und seinem tatsächlichem Denken, Wollen und Handeln ergeben.
Ein wichtiges Ergebnis einer „vernünftig“ begründeten Ethik kann es meines Erachtens sein, den Einzelnen zu befähigen, die eigenen bereits frühkindlich verinnerlichten Normen kritischen Argumenten auszusetzen. Dabei muss man im Auge behalten, dass moralische Einstellungen meist in der Persönlichkeit emotional verankert sind, so dass rationale Argumente dagegen manchmal machtlos zu sein scheinen. Rational unbegründete Schuldgefühle erweisen sich oft als ebenso hartnäckig wie rational unbegründete Ängste und können zur Krankheit, zur Schuldneurose anwachsen.
Ein wichtiger und diskussionswürdiger Aspekt ist die Existenz offenbar unauflöslicher ethischer Konflikte, die nicht nur von Dir behauptet wird. Vielleicht können Soziologen oder Psychologen etwas dazu sagen, die sich ja mit Rollenkonflikten und Loyalitätskonflikten befassen. Auch in diesem Fall kann eine rationale und auf expliziten Begründungen basierende Ethik weiterhelfen, so hofft Eberhard.


Titel: Ist Ethik ein Unternehmen auf Gegenseitigkeit?
Beitrag von Eberhard am 29. Mai 2003, 13:54 Uhr

Hallo Hanspeter und alle Interessierten,

zu Eurem Disput über Altruismus noch eine Anmerkung. Altruismus kann man definieren als eine ethische Konzeption, bei der das Wohlergehen des anderen vorrangig gegenüber dem eigenen Wohlergehen (oder zumindest gleichrangig mit diesem) ist. Wenn jemand es also freiwillig zu seiner Aufgabe macht, Notleidenden zu helfen, so handelt er altruistisch. Dabei ist es gleichgültig, welche Motive er sonst noch dabei hat. Er mag anderen helfen, weil er ein guter Mensch sein will, weil er dem lieben Gott gefallen will oder weil er seinem inhaltsleeren Leben einen Sinn geben will. Unterstellung zweifelhafter Motive, die den Betreffenden herabsetzt und entmutigt, ist hier wohl fehl am Platz., denn f r e i w i l l i g e s altruistisches Handeln stellt einerseits die Empfänger der Hilfe besser und stellt niemanden gegen seinen Willen schlechter. Es ist also ohne Probleme allgemein konsensfähig. Etwas anderes ist es, wenn die Aufopferung für andere zur P f l i c h t gemacht wird.

In diesem Zusammenhang ist mir die These von Hanspeter in den Sinn gekommen, dass ethisches Verhalten (sein Beispiel war „Hilfspflicht bei Notfällen“) auf Gegenseitigkeit gegründet sein muss. Das heißt, ich bin nicht zur Hilfe verpflichtet gegenüber jemandem, von dem ich selber in Notlagen keine Hilfe erwarten kann: „Ist die Gegenseitigkeit nicht mehr gewährleistet, erlischt auch die Hilfspflicht.“

Ich würde auf den ersten Blick sagen: Da ist was wahres dran .. aber stimmt das wirklich? Ich will versuchen, die Frage etwas methodischer anzugehen. Wenn man fragt, ob eine Norm „richtig“ ist, so sollte das Kriterium hierfür nach meiner Auffassung sein, ob diese Norm für alle akzeptabel ist, genauer gesprochen: ob die t a t s ä c h l i c h e B e f o l g u n g dieser Norm für alle akzeptabel ist. Wenn ich von der allgemeinen Befolgung der Norm ausgehe, ist die Gegenseitigkeit der Hilfspflicht gewährleistet, abgesehen von dem Fall, dass jemand keine Hilfe leisten kann oder niemals Hilfe braucht.

Es stellt sich aber die Folgefrage: Was ist dann, wenn diese Norm von einigen Individuen n i c h t befolgt wird, wenn sie im Notfall keine Hilfe leisten, obwohl sie es könnten, aber gleichzeitig selber die Hilfe anderer in Anspruch nehmen? Bin ich in dieser Situation weiterhin verpflichtet, die „eigentlich“ richtige Norm zu befolgen? Andere betätigen sich als „Trittbrettfahrer“ und ziehen den Nutzen aus der Norm, ohne sich an den Kosten zu beteiligen, während ich brav meine Pflicht tue und im Notfall im Stich gelassen werde. Eine solche Situation schafft „böses Blut“ und ist für die „Moral“ einer Gemeinschaft kritisch. Und das wohl zu Recht, denn ein solcher Zustand ist sicherlich nicht mehr allgemein konsensfähig. Er gleicht der „parteiischen“ Norm, die Ausnahmeregeln für bestimmte Personen enthält.

Bleibst Du bei Deiner Position, Hanspeter, dass Moral keine Einbahnstrasse ist, sondern Gegenseitigkeit voraussetzt? Ist es deshalb eine zulässige moralische Entschuldigung zu sagen: „Aber die andern machen es ja genauso!“? Machen wir konstruktiv weiter in der Hoffnung, dass unser Nachdenken über die „vernünftige“ Begründung ethischer Normen nicht ohne Resultate bleibt. In diesem Sinne grüßt Dich und die andern Interessierten Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von polymatheia am 30. Mai 2003, 05:13 Uhr

Hallo :-)

Konnte die letzten zwei oder drei Tage keine Zeit fuer hier aufbringen, und nun gibt es viel zu beantworten. Wenn alles klar geht gehe ich auf Deine posts morgen ein Eberhard.

Zu deinem Vorschlag 'Machen wir konstruktiv weiter in der Hoffnung, dass unser Nachdenken über die „vernünftige“ Begründung ethischer Normen nicht ohne Resultate bleibt' doch gleich eine kurze Frage: Ich hoffe es ist in Ordnung wenn ich da auch mitmache - allerdings meiner Doktrin folgend, wuerde ich versuchen gegen Deine ( oder HansPeters oder wer auch immer einen 'pro' Beitrag zusteuert :-) )Ansaetze zu argumentieren. Das wuerde womoeglich das erreichen was ich schon mehrfach angesprochen habe, naemlich die Diskussion von einem Theoretischen auf ein praktisches Niveau zu heben.

Bis spaeter [sun]

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 30. Mai 2003, 15:11 Uhr

Hallo an alle Interessierten,

ich denke, dass wir die aufgetretenden Probleme dadurch lösen sollten, dass wir das persönliche Gewissen (psychische Struktur, anerzogene Programme usw.) außer Acht lassen. Gewissensentscheidungen sind allgemein nicht zu lösen, sondern ausschließlich individuell und wie Eberhard bereits richtig feststellte, Sache vorwiegend der Psychologen.

Moralische Normen, die für die Allgemeinheit gültig sind, sollten sich jeglicher Freiwilligkeit enthalten. Altruismus ist für mich nach wie vor s e l b s t l o s e s Handeln, aber ich bin bereit, diesen Begriff auch so zu erweitern, dass darunter Handeln zum Wohle einer Person ohne adäquate materielle Gegenleistung verstanden werden kann. Da Altruismus eine freiwillige Handlung ist, kann er in der staatlichen Gesetzgebung nicht verankert sein und ich denke, er ist in den Gesetzen der BRD auch nicht verankert.
Ich halte es, wie schon früher gesagt, für falsch, auf den Altruismus zu setzen; je mehr Altruismus in einem Staat notwendig erscheint, desto schlechter ist seine Sozialgesetzgebung.

Hallo Eberhard,
zum Thema allgemeiner Konsens. Ich denke, hier sollten wir noch einmal auf deinen Beitrag vom 18. Mai 10:25 und meine Antwort vom 18. Mai 15:23 zurückgreifen. Es ging dabei um den Gedanken von Rawls und seiner Gerechtigkeitstheorie. Da waren wir der Sache doch schon sehr nahe.
Wenn wir Konsens verlangen, wird jeder jedem helfen, weil er ja im Rawls-Modell vorher nicht weiß, welchen Gesellschaftsplatz er einnehmen wird. Doch die Konsequenzen sind, wie ich damals schon argumentierte, eine volle soziale Egalität. Da diese praktisch nicht erreichbar ist, halte ich dein allgemeines Konsensmodell für tot.

Hallo Polymatheia,
mit deinem Vorschlag, in die Praxis überzugehen, stehst du nicht alleine da. Wir waren in früheren Zeiten dieses Themas schon etwas praktischer. Wir müssen Eberhard nur noch überzeugen, dass eine gute demokratische Mehrheit genug des Konsenses ist.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 30. Mai 2003, 18:32 Uhr

hallo HP, und andere,
mir scheint der Unterschied zwischen dir und Eberhard
liegt auch in der von dir postulierten "sozialen Egalität". Es gibt in der Natur und auch beim Menschen keine zwei identischen Lebewesen.
Konsens heißt eben nicht in letzter Konsequenz Egalität, das ist wohl ein Trugschluß. Und die demokratische Mehrheit ist sicher kein ausreichender Ersatz für Konsens im ethischen Sinn. Mit den Gesetzen ist man schon einen kleinen Schritt weiter, aber die sind eigentlich nur die Folgen von ethischem Konsens.
Rechtsstaat ist also entschieden mehr als demokratisches Mehrheitsprinzip, denn das kann ja verdammt grausam gegen die Minderheit sein.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 30. Mai 2003, 18:50 Uhr

2
Eine Annäherung der Positionen ist imho nur möglich, wenn man nicht von der verdammten Gleichheit aller Menschen ausgeht. Denn gemeint ist eben nicht Gleichheit der Person, sondern von mir aus gleiche Rechte, gleich Pflichten, Gleichheit vor dem Gesetz, aber nicht Gleichheit in der Person. Schon Mann und Frau sind ungleich. Es sind schon genug Scherben zerschlagen worden, die Menschen so gleich wie möglich zu machen.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 30. Mai 2003, 18:52 Uhr

3
Gerade die Tolleranz und Akzeptanz von Ungleichheit ist ein wesentliches ethisches Kriterium. Diese Tolleranz der Ungleichheit macht aber völlig natürlich, dass der Starke dem Schwachen hilft und der Gesunde dem Kranken, die Mutter dem Kind und der Mann der Frau. (früher mal [talker])
Akzeptierst du die Realität der natürlichen Ungleichheit, kommst du auch mit dem Rawls-Modell klar.

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 30. Mai 2003, 18:54 Uhr

Zu dieser Gleichheit der Rechte und Ungleichheit der Person gehört die Freiheit Eigentum zu erwerben, was wiederum mit gewissen Pflichten verbunden ist.
Gleichheit und Konsens über ethische Regeln schließt also die Ungleichheit der Person nicht aus. Demokratische Mehrheit alleine reicht nicht. Ich bin also eher auf der Seite von Eberhard

Gruß
Paul

der philtalk server hat wieder keine größeren Happen akzeptiert

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 31. Mai 2003, 04:19 Uhr

Hallo Paul,

formuliere ich wirklich so unklar? Also noch einmal.
1. Es geht um G e s e t z e.
2. Ich habe keine soziale Egalität postuliert, sondern ich habe gesagt, die Tatsache, dass es sie nicht gibt und auch nicht praktizieren lässt, ist ein Beweis für die Unmöglichkeit eines allgemeinen Konsensmodelles.
3. Wo habe ich jemals die Gleichheit der Menschen als existent oder wünschenswert postuliert? Ich bin weit davon entfernt, dieses zu behaupten.
4. Das Rawls-Modell kenne ich nur von Eberhards Beitrag vom 18. Mai. Ich habe es wiefolgt verstanden: Menschen entwickeln eine soziale Ethik, ohne im Voraus zu wissen, welche Stellung sie in diesem System einnehmen werden, auf deutsch gesagt, sie wissen nicht ob sie als Bill Gates oder als Obdachloser existieren werden. In diesem Falle scheint mir klar zu sein, dass jeder eine soziale Egalität fordern wird. Da diese aber nicht praktikabel ist, ist das Rawls-Modell folglich auch nicht praktikabel. Und damit ist in meinen Augen bewiesen, dass ein a l l g e m e i n e r Konsens nicht möglich ist.
Falls ich das Rawls-Modell falsch verstanden habe, bitte ich um Aufklärung.

Alles klar?
Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 31. Mai 2003, 19:49 Uhr

hallo HP,
ich argumentiere ja nicht gegen dich sondern in deinem Sinne,
wenn ich soziale Egalität als unnatürlich und freiheitseinschränkend beschreibe.


Quote:
... Und damit ist in meinen Augen bewiesen, dass ein a l l g e m e i n e r Konsens nicht möglich ist.


Deine Ansicht ist übrigens erstmals als erfolgreiche Staatstheorie von Hobbes entwickelt worden, der davon ausging, dass die "natürliche" oder auch rationale Motivation nur der Eigennutz ist.

Es ergeben sich nun 2 Fragen:
1.) Kann eine Gemeinschaft so funktionieren?
2.) Ist (nur) Eigennutz das Handlungsmotiv des einzelnen?

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 31. Mai 2003, 19:52 Uhr

2
zu 1.)Rawls hat in seiner A Theory of Justice (1971) geschrieben "No redistribution of resources within such a state can occur unless it benefits the least well-off." Sein allgemeiner Konsensus ist recht nahe am Kantschen Imperativ. Er ist dafür natürlich angegriffen worden wie von dir und hat diese Position gemildert aber verteitigt in dem 2.Buch Political Liberalism (1993) mit der >idea of public reason, "overlapping consensus"<

ich will jetzt die Staatstheorien mal überspringen (es geht um Gesetzte) und gleich
zu 2) gehen.


Titel: trittbrettfahrer Theorie
Beitrag von paul am 31. Mai 2003, 19:57 Uhr

Dass selbst Ganoven oft irrational kooperativ handeln sollten zeigt das bekannte Prisoner's Dilemma aus der Spieltheorie bei dem rationaler Eigennutz zu Nachteilen führt.
Schwieriger ist schon die Situation wenn es sich nicht um 2 Personen handelt, sondern um eine anonyme Masse, bei der man die Vorteile der Gemeinschaft ohne Eigenbeitrag rational als Trittbrettfahrer (freerider) bekommen kann.
Das freerider- Problem ist ein interessantes philosophisches Problem, denn Demokratie funktioniert nur, wenn ein kritischer Teil irrational (ethischer Konsens) und nicht als Trittbrettfahrer handelt. Wenn alle Trittbrettfahrer sein wollen, ist nichts vorhanden, was man mitnehmen kann.

Titel: trittbrettfahrer Theorie
Beitrag von paul am 31. Mai 2003, 20:07 Uhr

Für mich ist z.B. Bill Gates ein Trittbrettfahrer (Monopolist), du siehst leider nur sein Geld. Also auch "die freien Kräfte des Marktes" erfordern allgemeinen Konsens für bestimmte Regeln.
Ein freerider kann z.B. durchaus an sauberer Luft interessiert sein und wünschen, dass die Mehrheit sich daran hält, ohne dass er sich selbst daran halten muß.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 31. Mai 2003, 20:08 Uhr

Das gilt auch für die Wahl, bei der eine (meine) Stimme sicher keine Rolle spielt. Alle Nichtwähler sind also rationale Trittbrettfahrer und die Wähler verhalten sich ohne Zwang irrational (ethisch). Die ethische Mentalität einer Gesellschaft ist also auch ganz gut an der Wahlbeteiligung abzulesen.
Damit ist auch Frage 1) mit nein beantwortet.
Gruß
Paul


Titel: Das dicke Ende der radikalen Gleichheit
Beitrag von Eberhard am 31. Mai 2003, 21:30 Uhr

Hallo Hanspeter,

ich habe Verständnis für Deinen Wunsch, praktische, aktuell anstehende Normentscheidungen zu diskutieren und polymatheia hat ja deswegen eine Diskussionsrunde mit dem Titel „Praktische Ethik“ eröffnet. Aber wie will man eine konkrete ethische Frage richtig beantworten, wenn unklar ist, was in Bezug auf ethische Fragen überhaupt „Richtigkeit“ (bzw. „Wahrheit“ oder „Allgemeingültigkeit“) bedeuten kann? Ohne gesicherte Grundlagen stehen alle Ergebnisse sehr wacklig da. Wir sollten jedoch auf jeden Fall daran festhalten, Grundlagenprobleme möglichst nur dann zu diskutieren, wenn sie bei der Beantwortung einer konkreten ethischen Fragestellung auftreten, so wie wir das bei der Diskussion der Verpflichtung zur Hilfeleistung gemacht haben. (In der Auseinandersetzung mit den grundsätzlichen Einwänden von polymatheia musste ich notgedrungen leider etwas abheben.)

Mein Vorschlag war gewesen, anhand der Verpflichtung zur Hilfeleistung die Konsequenzen zu diskutieren, die sich daraus ergeben, dass jemand sich nicht an allgemein akzeptable Normen hält und zum „Trettbrettfahrer“ der bestehenden Moral wird.

Du willst das Konsenskriterium verabschieden, weil es Dir auf eine unrealistische soziale Gleichstellung hinauszulaufen scheint. Diese Befürchtung ist jedoch unbegründet. Auf den ersten Blick scheint es zwar so zu sein. Auch polymatheia hat damit gegen das Konsenskriterium argumentiert als er schrieb: „A 'norm' as for example, to take all possessions currently held by the 1000 wealthiest people worldwide and give it in equal shares to everybody else, seems to me quite fine with about 99.999% of the words population.”

Dagegen steht die meines Erachtens gut begründete Ansicht, dass eine Gesellschaft, die immer wieder alle Mitglieder gleich gut stellt, keineswegs eine Gesellschaft wäre, die auf allgemeinen Konsens rechnen kann. Man lege dazu die folgenden realistischen Annahmen zu Grunde:
1. Die Bereitstellung der Mittel zum Leben ist mit Mühsal und Anstrengungen verbunden.
2. Die meisten Menschen scheuen Mühsal und Anstrengungen, wenn
es ihnen keinen Vorteil einbringt.
3. Dadurch dass immer wieder alle Mitglieder der Gesellschaft gleich gut gestellt werden, bringen Mühsal und Anstrengungen zur Bereitstellung von Mitteln zum Leben niemandem einen Vorteil ein.
4. Folglich werden die meisten Menschen keine Mühsal und Anstrengungen zur Bereitstellung von Mitteln zum Leben auf sich nehmen.
5. Das hat zur Folge, dass die Gesellschaft zunehmend verarmt und womöglich zu Grunde geht.
6. Eine solche Gesellschaft ist nicht allgemein akzeptabel – im Gegenteil.

Sind Prämissen und Schlussfolgerungen o.K.?

Der „Hungerkommunismus“ ist deshalb weder für Rawls noch für mich die Konsequenz aus der Aufgabe der Position des Eigeninteresses bei der Diskussion darüber, welche Normen alle am ehesten akzeptieren könnten. Du wirst das Konsenskriterium also so leicht noch nicht los. Auf ein Neues! Gruß Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 01. Juni 2003, 03:59 Uhr

Hallo Paul,

du fragst, ob eine Gesellschaft auf der Basis von Eigennutz funktionieren kann. Meine Antwort ist klar: Sie muss. Und sie funktionieren ja auch sosolala. Jedenfalls sind Appelle an den Altruismus bisher noch nie sehr erfolgreich gewesen.

Die Tatsache, dass es in einer Gesellschaft Trittbrettfahrer gibt, kann man als Beweis einer lückenhaften Gesetzgebung interpretieren. Wobei ja bekannt ist, dass zum Beispiel gezielt Gesetzeslücken eingebaut werden (etwa in der Steuerpolitik), um bestimmten Kreisen das Trittbrettfahren zu ermöglichen.

Dass Herr Bill Gates ein Trittbrettfahrer ist, halte ich allerdings für ein Gerücht. Er ist vielmehr das Zeichen einer völlig falschen Wirtschafts- und Sozialpolitik.

Dass ein Nichtwähler, also jemand, der nicht bereit ist, sich zwischen Pest, Cholera, Alzheimer, Aids und SARS zu entscheiden, ein Trittbrettfahrer ist, halte ich angesichts der derzeitigen politischen Situation in der BRD für eine totale Fehleinschätzung.

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 01. Juni 2003, 04:10 Uhr

Hallo Eberhard,

ich halte es selbstverständlich für richtig, grundsätzliche Fragen bei der Aufstellung von Normen zu diskutieren.

Es geht aber im Moment ausschließlich um die Konsensfrage.

Zunächst zu deinen Argumenten. Den praktischen Beweis, dass egalitäre Gesellschaften nicht funktionieren, hat ja wohl die Realität erbracht. Du willst also jetzt den theoretischen Beweis. Nun gut. Wenn ich dazu Kontra gebe, so nur, um die Problematik deiner Beweisführung aufzuzeigen, nicht etwa, um die zu beweisende Tatsache in Frage zu stellen.

1. Nicht akzeptiert. Es gibt Leute, die gerne arbeiten, denen es langweilig wäre, nichts zu tun und die dabei noch viel Geld verdienen.
2. Ebenfalls problematisch. Welche Art von Vorteil akzeptierst du? Die Genugtuung, die ein Geschäftsmann oder ein Altruist verspüren, einen gute Bilanz oder eine Gute Tat vollbracht zu haben?
3. Gilt sicher für viele Menschen. Stimmt aber logisch nicht, da jede persönliche Anstrengung sehr wohl von Vorteil ist. Nur, der persönliche Vorteil muss durch die Zahl der vom Vorteil betroffenen Menschen dividiert werden. Darum sind auch egalitäre Kleingruppen durchaus denkbar, da in diesen Fällen der Divisor ziemlich klein ist.

Noch etwas Grundsätzliches zum Konsens. Deine Konsenstheorie ist ohnehin schon ziemlich verwässert, weil du nicht jeden, sondern nur die Teilnehmer deines Idealen Diskussionsforums für konsensfähig hältst. Und durch entsprechende Manipulationen an dessen Kriterien ließe sich die "Allgemeinheit" weiter einschränken. Also, entweder ein wirklich Allgemeiner Konsens, dann müssen aber auch alle Menschen zählen, oder aber eine entsprechende Auswahl. Du versuchst es, über die intellektuellen und sozialen Fähigkeiten der Menschen, in der üblichen Demokratie läuft es eben über die Mehrheit. Sicher wäre es reizvoll, die Stimmen in einer demokratischen Ordnung zu wichten, aber daran wirst du dir wohl die Zähne ausbeißen.

Gruß HP




Titel: Theorie und Praxis
Beitrag von Eberhard am 02. Juni 2003, 19:14 Uhr

Hallo Hanspeter,

noch einmal zur Funktion der Forderung nach allgemeiner Konsensfähigkeit. Ich halte das Konsenskriterium auf der Ebene der theoretischen Diskussion weiterhin für unverzichtbar.

Was machen wir denn, wenn wir diskutieren und argumentieren? Wir stellen "Behauptungen" auf, worunter ich Sätze verstehe mit dem Anspruch auf „Richtigkeit“, d.h. auf eine zeit- und personunabhängige Geltung. Wir versuchen unsere Behauptungen zu "begründen", d.h. wir bringen "Argumente" vor, um diesen Anspruch einzulösen. "Argumente" bilden logische Brücken zwischen bereits anerkannten Prämissen und den strittigen Behauptungen (oder deren Verneinungen) Das Ziel einer theoretischen Diskussion ist also immer die Zustimmung zu den aufgestellten Behauptungen, d.h. die Herstellung eines dauerhaften und allgemeinen Konsens.

Wer für eine normative Behauptung Geltung beansprucht, unabhängig davon, ob sich über diese Behauptung ein argumentativer Konsens herstellen lässt, der führt keine theoretische Diskussion sondern er fordert in Wirklichkeit nur Gehorsam.

Du hältst dagegen, dass „eine gesunde demokratische Mehrheit Konsens genug ist“. Bei Abstimmungen geht es aber nicht um „Wahrheit“ oder „Richtigkeit“. Hier wird durch ein Entscheidungsverfahren eine Norm als v e r b i n d l i c h gesetzt gerade weil unterschiedliche Überzeugungen fortbestehen. Dass eine Position überstimmt wird, heißt nicht, dass sie falsch ist.

Normsetzungsverfahren befinden sich auf der Ebene der Praxis, wo im Unterschied zum „endlosen Streit der Gelehrten“ zeitliche Beschränkungen, Informations- und Entscheidungskosten eine Rolle spielen. Die Ebenen der Theorie (Diskurs um Wahrheit, Richtigkeit, Allgemeingültigkeit) und der Praxis (Setzung von Normen und Entscheidungen als allgemein verbindlich) müssen deshalb sorgfältig auseinander gehalten werden und deren Beziehungen zueinander müsste von uns noch weiter geklärt werden.

So steht das Mehrheitsprinzip ja z.B. immer im Rahmen einer Verfassung, die festlegt, wessen Stimme zählt, und worüber Abstimmungen überhaupt zulässig sind.
Um Entschuldigung für die Praxisferne bittet Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 03. Juni 2003, 04:16 Uhr

Hallo Eberhard,

es ist sicher richtig, wenn du schreibst: < Das Ziel einer theoretischen Diskussion ist also immer die Zustimmung zu den aufgestellten Behauptungen, d.h. die Herstellung eines dauerhaften und allgemeinen Konsens.> Das möchte jeder Diskussionsteilnehmer, doch das findet in der Realität ja nur selten statt. Denn es setzt vor allem die gleichen Prämissen voraus. Ein Theologe und ein Atheist gehen aber von verschiedenen Prämissen aus. Nun schließt du den Theologen bereits aus, weil er übernatürliche Argumente in die Diskussion bringt. Damit gibt es aber bereits keinen allgemeinen Konsens.
Moralische Normen lassen sich nicht durch "allgemeinen Konsens" erstellen, sonst hätten wir schon längst weltweit akzeptierte Normen, so wie es eine weltweit akzeptierte Mathematik gibt.

Gruß HP


Titel: Ethik ohne allgemein kosensfähige Begründung?
Beitrag von Eberhard am 03. Juni 2003, 10:47 Uhr

Hallo Hanspeter,

wir sind offenbar am „Knackpunkt“ des Projekts „Suche nach allgemeingültigen ethischen Normen“ angelangt. Deshalb gilt es, jeden Schritt in der Argumentation genau zu prüfen.

Ich frage Dich (und ich würde jeden andern Diskussionspartner ebenso fragen):
Willst Du mich (und mögliche Philtalk-Leser) von der Richtigkeit bestimmter Behauptungen durch Einbringen von Argumenten überzeugen?
Würdest Du mit „Nein“ antworten, so wäre jede weitere Fortsetzung der Diskussion sinnlos. (Wir könnten dann vielleicht unter der Rubrik „Rhetorische Schaukämpfe“ weitermachen.)
Wenn Du mit „Ja“ antwortest, kann die Diskussion beginnen.
Angenommen, Du bringst jetzt ein Argument in die Diskussion ein, das ich nicht akzeptieren kann, weil es eine Prämisse enthält, die ich nicht teile.
In diesem Fall würde ich Deine Prämissen mit in die Diskussion einbeziehen und nach der Begründung dieser Prämisse fragen.
Wenn Du das ablehnst, ist das von Dir vorgebrachte Argument für die Diskussion bedeutungslos, da es nicht geeignet ist, das oben genannte Ziel, die Überzeugung anderer, zu erreichen. Das heißt nicht, dass ich Dich von der Diskussion ausschließe. Solltest Du jedoch nur über Argumente verfügen, deren Prämissen Du nicht in Frage stellen lässt, so hast Du Dich als Teilnehmer der Diskussion selber disqualifiziert.
Wenn ich jedoch Deine Prämissen mit in die Diskussion einbeziehen darf, so steht einer wechselseitigen Überzeugung grundsätzlich nichts im Wege.

Um meine Position in dieser wichtigen Frage noch einmal zuzuspitzen: Wenn wir die Ethik zu einer Wissenschaft machen wollen, dann muss – wie in andern Wissenschaften auch – die methodische Regel gelten, dass nur Argumente gelten, die intersubjektiv nachvollziehbar und akzeptierbar sind. Diese methodische Regel ist in der bisherigen ethischen Diskussion nach meiner Kenntnis bisher nicht strikt eingehalten worden und es ist bisher nicht systematisch die Frage gestellt worden: „Was sind die Bedingungen für die intersubjektive Nachvollziehbarkeit und Konsensfähigkeit von Normen und deren Begründungen?“

Wir kommen dem Ziel einer intersubjektiv nachvollziehbaren Beantwortung ethischer Fragen schon näher, wenn jeder Diskussionsteilnehmer folgende methodische Regeln im Hinterkopf behält:
1. Die Frage, die beantwortet werden soll, explizit formulieren.
2. Die Behauptung, die strittig ist, ebenfalls explizit formulieren.
3. Bei jedem Argument im Zweifelsfall angeben, welche Behauptung damit gestützt oder angegriffen werden soll.
4. Nicht weiter begründete Prämissen eines eigenen Arguments als solche deutlich machen.
5. Wenn nötig, das gemeinsame Verständnis eines Begriffs durch explizite Definition verbessern.

Aber diese methodischen Überlegungen sollen uns nicht abhalten, die inhaltlichen ethischen Fragen weiter zu diskutieren, meint Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 03. Juni 2003, 13:56 Uhr

Hallo Eberhard,

deinem Anspruch, die Ethik zu einer Wissenschaft zu machen, mag ich zustimmen. Keine Chance sehe ich dagegen für die Moral. Und auf die kommt es ja letztlich an. Wir können Moralen wissenschaftlich untersuchen - das ist ja die Aufgabe der Ethik - , aber keine Wissenschaft kann sie schaffen. Genau wie der Psychologe die Psyche erforschen, nur schwer verändern, aber schon gar nicht psychische Normen setzen kann. Wir können also nur moralische Normen als plausibel betrachten, ohne ihre Richtigkeit zu beweisen und dann versuchen, sie gegen die stets vorhandenen Widerstände durchzusetzen. Zum Beispiel dadurch, dass die Macht des Faktischen uns dazu zwingt.

Nun zu deiner Diskussion. Betrachten wir ein konkretes Beispiel. Der Theologe argumentiert, dass die moralischen Normen der Bibel zu gelten haben. Er setzt die Prämisse, dass in diesem Buch Gott dem menschlichen Handeln Richtung und Grenzen aufgezeigt hat.
Der Atheist kann diese Prämisse nicht teilen. Eine Begründung dieser Prämisse ist nicht möglich, da sie für den Theologen ein Axiom darstellt. Zwar kann er die Existenz Gottes nicht beweisen, da er aber Gott als ein Wesen definiert, dessen Existenz nicht beweisbar ist, kann der Atheist auch keine Gegenbeweis starten. Eine "wechselseitige Überzeugung" hat folglich keine Chance.
Wie ist da ein allgemeiner Konsens denkbar?

Gruß HP


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 03. Juni 2003, 17:47 Uhr

hallo Eberhard
deinen letzten Beitrag fand ich ganz hervorragen, sonst ist es wirklich nur ein aneinander vorbeireden (showkampf).
In der Existenz von Religionen sehe ich keinen Hinderungsgrund, Ehtik und Moral unabhängig (wissenschaftlich) zu diskutieren.
Gruß
Paul

Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von paul am 03. Juni 2003, 18:01 Uhr

hallo HP

Quote:
Dass ein Nichtwähler, also jemand, der nicht bereit ist, sich zwischen Pest, Cholera, Alzheimer, Aids und SARS zu entscheiden, ein Trittbrettfahrer ist, halte ich angesichts der derzeitigen politischen Situation in der BRD für eine totale Fehleinschätzung.

Deine Antwort hatte ich ganz überlesen, pardon.
Mit Wähler meine ich politische Wahlen, die die Regierung einer Gemeinschaft bestimmt.
Wahl ist zwar nicht gesetzliche Pflicht aber ethisch geboten.
Dass BG ein Trittbrettfahrer ist könnte ich schon nachweisen, es laufen ja genug Klagen gegen ihn, führt aber hier zu weit.
Gruß
Paul

Titel: Falsche Bescheidenheit des Philosophen
Beitrag von Eberhard am 04. Juni 2003, 06:29 Uhr

Hallo Hanspeter,

Du reduzierst den Anspruch an die Ethik zu weit, wenn es reicht, für moralische Normen „Plausibilität“ zu erreichen (wann ist die erreicht?) , um sie dann gegen soziale Widerstände durchzusetzen. Das ist eher das Geschäft des praktischen Politikers, der sein „plausibles“ Parteiprogramm poltisch durchsetzen will.

Als Wissenschaftler und Philosoph sehe ich meine Aufgabe eher darin, die Beantwortug offener Fragen voranzubrngen und nach den geeigneten Methoden und den Kriterien für die richtige Beantwortung dieser Fragen zu suchen. Und im Bereich der Ethik geht es um die Beantwortung von normativen Fragen danach, wie wir handeln sollen oder dürfen. Dabei unterscheide ich inhaltliche ethische Fragen („Darf man bzw. Soll man x tun?“) von methodologischen Fargen („Wie kann man inhaltliche Fragen richtig beanworten?). Deine Defintionen von „Ethik“ und „Moral“ erscheien mir wenig geeignet, Klarheit zu schaffen: Ist das Berufsethos der Ärzte etwas Ethisches oder etwas Moralisches? Ist die empirische Untersuchung vorhandener Moralsysteme Ethik oder Soziologie?

Zur Blockade der Diskussion zwischen einem Gläubigen und einem Nicht-Gläubigen: Wenn der Gläubige seinen Glauben gegen Kritik zu verteidigen sucht und zu Konstruktionen greift wie „Die Existenz Gottes lässt sich nicht beweisen oder widerlegen, sonst wäre Gott nicht Gott“, dann erinnert mich das an einen Witz, wo ein Irrer eifrigst die völlig saubere Straße fegt. Es kommt ein Passant vorbei, sieht sich das eine zeitlang an und entschließt sich dann zu der Frage:“ Sagen Sie, warum fegen Sie da eigentlich?“ Der Irre fegt eifrig weiter und antwortet: „Ich fege die kleinen blauen Männchen weg!“ „Ja, aber ich sehe gar keine blauen Männchen!“ ruft der Passant verwundert, worauf der Irrre stolz antwortet: „Ja, da sehen sie mal, wie gut mein Fegen wirkt!“ Aber Spass beiseite: Ich kann natürlich immer Behauptungen aufstellen und dabei solche Annahmen machen, die eine Widerlegung meiner Behauptung unmöglich machen. Diese Strategie der Abschottung oder „Immunisierung“ gegen Kritik kann man zwar machen, aber dadurch werden diese exklusiven Welten für andere auch irrelevant. Wenn jemand behauptet, er könne mit den Verstorbenen sprechen, aber auf dem Kontroll-Tonband ist von diesen nichts zu hören, dann mag er antworten: „Natürlich bemerken die Geister der Verstorbenen das Tonbandgerät und dann bleiben sie weg“. Aber seine Behauptungen lohnen damit auch nicht die Diskussion. Etwas Wirkliches, was nicht wirkt, ist uninteressant.

Wenn eine Diskussion das Ziel hat, durch Argumente zu einer gemeinsamen Beantwortung der jeweils strittigen Frage zu kommen, dann sind derartige Immunisierungsstrategien nicht dazu geeignet, den anderen zu überzeugen. Insofern ist ihre Anwendung im Diskurs nicht zulässig, meint Eberhard.


Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von Hanspeter am 04. Juni 2003, 09:51 Uhr

Hallo Eberhard,

zunächst einmal zum Moral/Ethikbegriff. Ich halte mich dabei in etwa an mein Philosophisches Wörterbuch (Schischkow, Kröner). Moral fragt, was ist gut, was ist böse. Sie ist von Mensch zu Mensch, vor allem aber von Kulturkreis zu Kulturkreis verschieden. Die Ethik dagegen untersucht die verschiedenen Moralauffassungen: Es gilt das "Prinzip der Vielheit der Moralen und der Einheit in der Ethik". Demzufolge ist das Berufsethos der Ärzte ein Frage der Moral, (empirische) Untersuchungen über vorhandene Moralsysteme ein Problem der Ethik.

Das mit dem Gottesbeweis ist natürlich die Überzeichnung eines Atheisten. Ich weiß aus zahllosen Diskussionen mit Theologen, dass dies keiner zugeben wird, de facto aber argumentieren sie so. Du brauchst dir dazu ja nur den Wandel der Gottesvorstellungen im christlichen Abendland im Laufe der letzten 500 Jahre anschauen.

Du schreibst dazu: <Wenn eine Diskussion das Ziel hat, durch Argumente zu einer gemeinsamen Beantwortung der jeweils strittigen Frage zu kommen, dann sind derartige Immunisierungsstrategien nicht dazu geeignet, den anderen zu überzeugen. Insofern ist ihre Anwendung im Diskurs nicht zulässig,> Wenn es dir gelingt, im Rahmen eines Allgemeinen Konsenses die Frage, ob es eine von Gott verordnete Moral gibt, so oder so zu beantworten, wären wir einen wesentlichen Schritt weiter.

Aber wir brauchen uns nicht nur darauf zu kaprizieren. Fragen im Sozialbereich gehen ebenso ans Eingemachte. Was für den einen soziale Gerechtigkeit ist, hält der andere für einen ausgemachten Neidkomplex. Und einen allgemeinen Konsens dafür, dass jemand einen ordentlichen Teil seiner "sauer verdienten Millionen" der Allgemeinheit zur Verfügung stellt, suchen ja nicht nur wir.

Natürlich würde ich es begrüßen, eine wissenschaftlich exakte Beweisführung zu finden, welche moralischen Normen zu gelten haben. Aber ein allgemeiner Konsens ist nicht drin, wenn allgemein alle beinhaltet. Ein Konsens der "Willigen", also derjenigen, die deinem Idealen Diskussionsforum entsprechen, könnte möglich sein. Lassen wir doch die Praxis sprechen und sehen wir selbst, inwiefern wir einen Konsens der Willigen zustandebringen. Theoretische Einwürfe sind stets willkommen, doch nur mit Diskussionen über die Konsensfrage kommen wir nicht weiter.

Gruß HP

PS. Werde die nächsten 6 - 8 Wochen nur noch spärlich antworten können, hängt davon ab, ob ich unterwegs Zugang zu einem Internet-Computer habe.



Titel: Gibt es eine von Gott gesetzte Moral?
Beitrag von Eberhard am 06. Juni 2003, 19:24 Uhr

Hallo Hanspeter,

auch auf die Gefahr hin „platt“ zu wirken und gegenüber dem universalen und vielschichtigen Phänomen „Religion“ verständnislos zu erscheinen, versuche ich die von Dir aufgeworfene Frage: „Gibt es eine von Gott verordnete Moral?“ zu beantworten.

Vorweg sei noch einmal die Diskurs-Situation skizziert: Eine Frage „beantworten“ meint „richtig“ beantworten. „Richtigkeit“ enthält zum einen unausgesprochen den Anspruch auf dauerhafte (intertemporale) und allgemeine (intersubjektive) Geltung, d.h.: wenn eine Antwort als „richtig“ ausgezeichnet wird, dann soll sie jeder und jederzeit seinem Denken und Handeln zugrunde legen

Zum andern enthält die Auszeichnung einer Antwort als „richtig“ auch die Zusicherung, dass der Geltungsanspruch mehr ist als ein bloßer Glaubens- und Gehorsamsanspruch. Wenn eine Antwort als „richtig“ bezeichnet wird, dann bedeutet das zugleich, dass dieser Geltungsanspruch „vernünftig“ eingelöst werden kann, also aufgrund von Argumenten (Begründungen), die im Prinzip für jedermann und jederzeit zwanglos einsichtig gemacht und nachvollzogen werden können.

Nach dieser zugegebenermaßen sehr komprimierten Vergegenwärtigung dessen, was einen auf Erkenntnis ausgerichteten Diskurs ausmacht, zur konkreten Frage: „Gibt es eine von Gott verordnete Moral?“ Diese Frage lässt sich über die grundlegendere Frage beantworten: „Gibt es Gott?’“

Um diese Frage mit Geltung für alle beantworten zu können, muss der Sinn dieser Frage für alle einheitlich und klar sein. Das setzt voraus, dass über die Bedeutung der benutzten Wörter Einigkeit besteht.

Mit den Worten „Gibt es x?“ wird nach der tatsächlichen gegenwärtigen Existenz von x gefragt. Wenn jemand die Antwort „Gibt es x?“ bejaht und die Antwort: „Es gibt x“, für die richtige erklärt, so muss er dies für andere nachvollziehbar und nachprüfbar begründen. Das heißt, es muss irgendeine zwischen den Subjekten übereinstimmende Wahrnehmung von x geben. Wenn z.B. gefragt wird: „Gibt es 1-Dollar-Banknoten?“, und jemand behauptet: „Ja, es gibt 1-Dollar-Banknoten“, so kann er dafür intersubjektiv nachvollziehbare Argumente vorbringen indem er einen solchen Schein aus der Tasche zieht und ihn zeigt.

Etwas komplizierter ist es bei der Frage, ob es Schlümpfe gibt. Wenn jemand die Frage bejaht, und behauptet: „Ja es gibt Schlümpfe“ und eine kleine blaue Figur aus der Tasche zieht und zeigt, so wird der andere sagen: „So war meine Frage doch nicht gemeint. Ich wollte wissen, ob diese kleinen blauen Kerle wirklich irgendwo leben, nicht dass sich jemand solche Figuren ausgedacht hat und jemand diese Figuren nachgemacht hat.“

Die Frage „Gibt es Gott?“ ist ebenfalls so gemeint, dass jemand, der diese Frage verneint, nicht verneint, dass es weit verbreitete Gottesv o r s t e l l u n g e n gibt.

Die nächste Frage ist, was mit dem Wort „Gott“ gemeint ist. Es könnte jetzt ein Diskussionsteilnehmer gegen diese Frage protestieren und sagen: „Gott lässt sich nicht definieren!“ Dann kann man nur feststellen, dass er ein Wort benutzen will, ohne damit einen intersubjektiv bestimmten Sinn zu verbinden. Damit haben Behauptungen, in denen das undefinierte Wort vorkommt, für die verschiedenen Diskussionsteilnehmer verschiedene Bedeutungen. Damit wird aber der Streit, ob die Antwort „Es gibt Gott“ richtig ist, sinnlos. Denn wenn das Wort mehrdeutig ist, kann sowohl die Bejahung wie die Verneinung richtig sein, je nachdem, was man unter „Gott“ versteht.

Es muss also bestimmt werden, was mit dem Wort „Gott“ gemeint ist. Hier öffnet sich für ein Publikum, das der kirchlichen Lehre in weiten Teilen entfremdet ist, ein weites Feld , wie man auch innerhalb der PhilTalk-Foren feststellen kann. Ich will mich hier nicht auf die modernen Dehnungen des Gottesbegriffs („kosmisches Prinzip“ etc.) einlassen, sondern die Bedeutung des Worte näher an der offiziellen Lehre orientieren und folgende Definition verwenden: „Gott“ ist ein personales Wesen, das ewig und allmächtig ist, das die Welt erschaffen hat und die menschlichen Geschicke lenkt.

(Fortsetzung unten!)

Einen schönen Urlaub wünscht Eberhard.


Titel: Von Giott gesetzte Moral? II..
Beitrag von Eberhard am 06. Juni 2003, 19:29 Uhr

Hallo Hanspeter,

(Fortsetzung)
Wenn jemand nun die Existenz eines solchen allmächtigen Wesens „behauptet“, dann zeichnet er die Antwort „Es gibt Gott“ als die „richtige“ aus und fordert damit implizit andere auf, diese Antwort ihrem Denken und Handeln zugrunde zu legen. Und wenn dies mehr sein soll als eine bloße Aufforderung zum Glauben, so muss es für diese Behauptung Gründe geben, die letztlich auf einer intersubjektiv übereinstimmenden Wahrnehmung beruhen. Die normale sinnliche Wahrnehmung und speziell die Beobachtung der Wirklichkeit, die in den Erfahrungswissenschaften konsensstiftend wirkt, liefert keine Übereinstimmung in Bezug auf die Existenz Gottes .- oder höchstens eine negative. In den Erfahrungswissenschaften kommt Gott deshalb als zu beschreibende Wirklichkeit oder als erklärender Ursache nicht vor.

Nun könnte sich jemand auf seine „religiöse Erfahrung“ berufen und sagen: „Ich habe Gott erfahren und ich erfahre ihn täglich in meinem Leben. Wer Gott wirklich sucht, dem wird er sich nicht verweigern.“ Dabei handelt es sich offensichtlich um eine subjektive innere Erfahrung des Gottgläubigen, ein Erleben, das viele andere Individuen nicht in gleicher Weise haben. Und es gibt keinen intersubjektiv nachvollziehbaren Weg, diese „Erfahrung“ Gottes zu machen.

Damit kann für die Antwort „Es gibt Gott“ keine „Richtigkeit“ beansprucht werden und es kann kein Anspruch auf allgemeine Geltung dieser Antwort erhoben werden. Und folglich kann auch für die Behauptung: „Es gibt eine von Gott verordnete Moral“ kein Geltungsanspruch erhaben werden, weil die intersubjektiv nachprüfbaren Argumente fehlen.

Nun könnte jemand entgegnen: „Nun gut, das mag vielleicht sein, dass sich die Existenz Gottes nicht rational belegen lässt, aber umgekehrt lässt sich auch nicht rational belegen, dass es Gott nicht gibt.“ Aber das heißt nicht, dass man mit der gleichen Berechtigung annehmen kann, dass es Gott gibt, wie dass es ihn nicht gibt. Es heißt nicht zu Unrecht: „Ein Narr kann mehr behaupten, als hundert Weise widerlegen können.“ Die Beweislage ist bei Existenzbehauptungen nicht symmetrisch, denn zu ihrer Bestätigung genügt eine einzige Wahrnehmung, zu ihrer Widerlegung reichen noch so viele Beobachtungsergebnisse nicht aus. Die Beweislast liegt deshalb bei dem, der behauptet, es gebe Schneemenschen, nicht bei dem, der die Existenz solcher Schneemenschen bestreitet. Gruß Eberhard.


Titel: Re: Von Giott gesetzte Moral? II..
Beitrag von dinu am 06. Juni 2003, 22:03 Uhr


on 06/06/03 um 19:29:42, Eberhard wrote:
Hallo Hanspeter,


Die Beweislast liegt deshalb bei dem, der behauptet, es gebe Schneemenschen, nicht bei dem, der die Existenz solcher Schneemenschen bestreitet. Gruß Eberhard.


Hallo Eberhard,

Aus der Sicht logischer Argumentation hast du bei der Frage des Gottesbeweises zweifellos recht. Man kann die Frage nach der Existenz Gottes aber auch aus einer nicht primär der Logik verpflichteten Perspektive betrachten und dabei zu anderen Schlüssen gelangen. Ich begreife Gott als kulturell-gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit. Gott konstituiert sich in der Gesamtheit individueller und kollektiver Gottesvorstellungen, die in einem dauerenden Prozess gesellschaftlicher Diskurse im Verlauf der Zeit Gott neu erfinden. Unbestreitbar scheint mir, dass es keinen "physischen" Gott gibt. Gott ist eine menschliche Schöpfung und wird mit dem letzten Menschen sterben, es sei denn, es gebe andere Kulturen irgendwo im Universum, die zur Gottesvorstellung befähigt sind.
Aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit Gottes ergibt sich auf kollektiver und individueller Ebene Wirksamkeit: Gott wirkt auf die Gesellschaft und auf einzelne Individuen. Wirksamkeit zum Beispiel im Sinn von "Glaube versetzt Berge". Also: den absoluten, von uns unabhängigen Gott gibt es zweifellos nicht, der von uns erschaffene Gott (die erschaffenen Götter) sind aber nicht weniger wirksam als der absolute Gott.


Gruss, Martin


Titel: Re: Gott und Ethik?
Beitrag von paul am 07. Juni 2003, 01:32 Uhr

hallo Martin,
meinst du nicht, es ist eine Scheinlösung mit deinem vom Mensch geschaffenen Gott? Abgesehen davon, dass es ja nicht nur einen bestimmten Gott gibt, das wäre ja auch wieder etwas intollerant,
philosophischer Disput endet sofort im unerklärlichen , mystischen, du darfst das nicht mehr anzweifeln, interpretieren oder sonst was, es ist Glaube.

Titel: Re: Gott und Ethik?
Beitrag von paul am 07. Juni 2003, 01:33 Uhr

2
Natürlich ist dieser Glaube wirksam, wer wollte das bezweifeln, aber Vorsicht, nicht im Sinne von Berge versetzen, das ist Unsinn, nein in dem Sinne, dass alle ethischen Normen, die der Mensch bereit ist sich selbst zu setzen, aufgehoben werden, wenn man sich auf diesen Gott beruft.
Du darfst nicht töten, es sei denn, Gott befielt es dir ???????
Gruß
Paul

Titel: Verstöße gegen ethische Normen
Beitrag von Eberhard am 10. Juni 2003, 14:45 Uhr

Hallo Ethik-Interessierte,

Da Hanspeter den verdienten Urlaub macht, will ich die Gelegenheit nutzen, das Projekt einer Ethik weiterzuverfolgen, die am Ziel allgemein konsensfähiger Normen ausgerichtet ist. (Vielleicht stoße ich ja schon bald auf formulierten Widerspruch, der meinen Monolog beendet.)

Bisher wurden die ethischen Normen immer unter der Annahme diskutiert, dass sie auch befolgt werden. Die Frage, die bei der Suche nach konsensfähigen Normen gestellt wurde, lautete: „Können alle wollen, dass die Norm x allgemein befolgt wird?“ Bestimmte Normen wie „Man soll einen anderen nicht töten (verletzen, beleidigen, belügen, betrügen oder quälen) es sei denn, die Bedingungen r, s, t liegen vor“ können dabei im Falle ihrer allgemeinen Befolgung meines Erachtens als allgemein akzeptabel ausgemacht werden.

Was ist aber, wenn Individuum A die Norm x nicht befolgt, jedoch gleichzeitig den Schutz dieser Norm in Anspruch nimmt. Ein solcher Zustand ist aus zwei Gründen für die „normtreuen“ Individuen nicht konsensfähig: Erstens erlegt sich der Normverletzer A nicht die Einschränkungen der Norm x auf und beteiligt somit nicht an den Nachteilen, die die Einführung der Norm mit sich bringt, und zweitens schmälert er durch sein normwidriges Verhalten den Vorteil, den die Normtreuen aus der Einführung der Norm x ziehen könnten.

Die Konsensfähigkeit der Norm x kann jedoch meist durch ihre S a n k t i o n i e r u n g wieder hergestellt werden, wobei man zwischen verinnerlichten und äußeren Sanktionen unterscheiden kann. Die v e r i n n e r l i c h t e n m o r a l i s c h e n E i n s t e l l u n g e n lösen beim Normverletzer Schuld- und Schamgefühle, Selbstvorwürfe oder Minderwertigkeitsgefühle aus. Das Individuum lernt von Kindheit an, dass „man bestimmte Dinge nicht tut“ und dass jemand, der diese Dinge trotzdem tut, ein „schlechter Mensch“ ist, der Verachtung und eine entsprechende Behandlung durch die andern Gruppenmitglieder verdient. (Bei religiös orientierten Individuen kommt noch das schuldig werden vor Gott hinzu, also die Sünde und ihre angenommenen Folgen.) In Gruppen, wo jeder jeden kennt, können diese durch die „Sozialisation“ und die moralische E r z i e h u n g verinnerlichten Sanktionen eine ausreichende starke Motivation schaffen, um in den allermeisten Fällen die Befolgung der Norm zu sichern.

Zum andern gibt es ä u ß e r e S a n k t i o n e n gegen den Normverletzer wie den Verlust seines sozialen Ansehens und die damit verbundene Beeinträchtigung seiner sozialen Beziehungen sowie institutionalisierte S t r a f e n, deren Erwartung bzw. Androhung zur Befolgung der Norm motivieren soll. Durch eine in der Höhe angemessene Bestrafung des Normverletzers wird zugleich die Konsensfähigkeit der Norm wiederhergestellt, da es jetzt keine sachlich unbegründete Besserstellung des Normverletzers mehr gibt. Unter dem Aspekt der allgemeinen Konsensfähigkeit von Normen hat die Bestrafung deshalb einen eigenen Stellenwert und kann nicht nur unter dem Aspekt der Resozialisierung des Normverletzers beurteilt werden. Dabei entsteht die zusätzliche ethische Frage, was die „gerechte“ und „verdiente“ Strafe für eine bestimmte Normverletzung ist.

Wenn spezielle Verfahren und Institutionen für die Identifizierung, Ergreifung, Verurteilung und Bestrafung von Normverletzern geschaffen werden, kann man von einer „R e c h t s o r d n u n g“ sprechen, die neben der moralischen Ordnung entsteht. Im Unterschied zu den verinnerlichten Sanktionen setzt die Bestrafung von Normverletzungen voraus, dass der Normverletzer identifiziert und ergriffen wird. Diese und weitere Besonderheiten der institutionalisierten Bestrafung können dazu führen, dass moralische und rechtliche Normen einer Gesellschaft nicht deckungsgleich sind.

Alles klar? fragt Eberhard.





Titel: Re: Ist Ethik ein sinnloses Unterfangen?
Beitrag von twork am 11. Juni 2003, 12:08 Uhr

Ich hab nur Bruchteile einiger Beiträge in diesem Thread gelesen, deshalb kann ich nicht sagen, ob jemand schon diese Ansicht geäußert hat.
Alle Ethik basiert auf biologischer und kultureller Evolution. Was wir als schön oder gut ansehen, tendiert dazu das zu sein, was uns selbst, der Gesellschaft und unseren Ideen zur besseren Fortpflanzung dient. Das "Gute" ist der Fortschritt in die Richtung der evolutionären Vielfalt, wobei nach der biologischen Evolutionsfolge nun eine Monokultur die kulturelle Evolution trägt.
Daher sollte die Ethik Theorien für Menschen und höhere Lebewesen entwickeln, die bei möglichst geringem Energieaufwand eine athäquate Lösung für die Problematik der Moral darstellt, ohne den Nachwuchs an Ethikern vollständig zu verhindern solange es noch Forschungsbedarf gibt. Jede neu entwickelte Ethik zieht eine zugehörige Theologie nach sich, die sich damit beschäftigt,
- den Angehörigen der Glaubensgemeinschaft eine Anpassung des Glaubens an aktuelle Erkenntnisse zu ermöglichen, ohne ihren Glauben vollständig zu verlieren
- Glaubensrichtungen in Richtung Effizient zusammenzuführen, damit schädliche Spannung abgebaut werden können, bzw. andere Theologien in der eigenen neutral bis positiv zu belgen.
- die Fortpflanzung einer veralteten Ethik einzudämmen, wenn dieses Vorhaben besser erscheint als die Anpassung an aktuelle Erkenntnisse
- Erkennen der sinnvollen Zielgruppe dieser Ethik und Überlegungen wie diese an die entsprechenden Lebewesen vermittelt werden kann.

Es stellt sich natürlich die Frage, nach welchem Kriterium man nun konkret die Effizienz einer Ethik beurteilen soll. Wobei diese Frage wohl keine einfache Antwort hat, so kann man doch Leitlinien festlegen:
- Verhindern der Wiederherstellung einer frúheren Evolutionsstufe oder etwas das diesem ähnelt (z.B. Atomkrieg)
- Erhöhung der Menge an bio-evolutionsfreien Denkressourcen, Sicherung der zukünftigen Erhaltung und Erhöhung (Nachhaltigkeit)
- Möglicherweise lässt sich Wissen und biologische Vielfalt in Zahlen fassen (z.B. im Sinne von auf sich wiederholende (daher komprimierbare) Strukturen auf Basis von bestimmten Grundbedingungen)



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