Ethik-Werkstatt - Volltexte im HTML-Format - kostenlos
-->Übersicht       -->Alphabetische Liste aller Texte       -->Info zu dieser Website       -->Lexikon       -->Startseite
______________________________________________________________________________________________

*** Empfehlung: Nutzen Sie die Suchfunktion Ihres Internet-Browsers! ***

Wie entstehen Begriffe?

(Diskussion bei Philtalk)



PhilTalk Philosophieforen
Theoretische Philosophie >> Erkenntnistheorie, Wissenschaftstheorie >> Wie entstehen Begriffe?
(Thema begonnen von: oskar am 01. Mai 2005, 11:52 Uhr)


________________________________________
Titel: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von oskar am 01. Mai 2005, 11:52 Uhr
________________________________________
Hallo allerseits,

Begriffe sind sowohl Mittel zur Erkenntnis als auch Ergebnis von Erkenntnis. Die ständige Erweiterung und Korrektur der einschlägigen Begriffssysteme kennzeichnet die Entwicklung der Wissenschaften. Ohne die Klärung der Bedingungen für die Begriffsbildung kann es m. E. keine brauchbare Wissenschaftstheorie geben. Die philosophischen Meinungen darüber gehen aber immer noch auseinander. Sind Begriffe reine Erfindungen, die eine allein von der Struktur des menschlichen Verstandes bestimmte Ordnung in die zufälligen und chaotischen Sinneseindrücke hineintragen, wie Feyerabend, die Konstruktivisten u. a. meinen? Oder enthalten die scheinbar zufälligen und chaotischen Sinneseindrücke nicht doch etwas Rationales, das die Begriffsbildung zwar nicht eindeutig bestimmt, aber zumindest in eine bestimmte Richtung zwingt und die Unterscheidung besserer und schlechterer, mehr oder weniger brauchbarer oder viabler Begriffe ermöglicht?

Ausgangspunkt für eine Diskussion über die mich seit längerer Zeit beschäftigende Frage könnte ein Beitrag vom 13.4.05 in "Erkenntnistheorie: Wozu?" sein, in dem Verena die "drei elementaren konstitutiven Momente von Erkenntnis (sinnliche Eindrücke - Gegenstand/Entität - sprachlicher Begriff)" nennt und etwas später hinzufügt: "eine ausführliche Reflexion des sicher nicht einfach zu beschreibenden Verhältnisses bzw. der Beziehung dieser drei Momente zueinander ist mit diesem ersten formalen Grundriss der Erkenntnisstruktur bei weitem noch nicht gegeben."
MfG
oskar
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von Eberhard am 01. Mai 2005, 15:23 Uhr
________________________________________
Hallo Oskar,

die Frage: „Wie entstehen Begriffe?“ ist mehrdeutig.

Sie kann einmal empirisch-deskriptiv verstanden werden. Zur Beantwortung dieser Frage müsste man empirisch untersuchen, wie es dazu kam, dass bestimmte Begriffe wie z.B. „Radioaktivität“, „Einstellung“, „Eiweiß“, „Periodensystem“, „soziale Rolle“, „Tsunami“ oder „Schnittmenge“ in die Physik, Psychologie, Chemie, Soziologie, Geologie oder Mathematik eingeführt wurden.

Die Frage kann jedoch auch methodologisch-präskriptiv verstanden werden. Zur Beantwortung dieser Frage müsste man die Aufgabe der Wissenschaften festlegen (z.B. Erkenntnisfortschritt) und fragen: Welche Regeln der Begriffsbildung sollten gelten, damit dies Ziel erreicht wird?

Zwischen beiden Fragen gibt es zwar Querverbindungen, trotzdem sind es zwei verschiedene Fragen.

Nehmen wir gleich diese Runde als Beispiel dafür, wie Begriffe entstehen und sich verändern.

Da es in dieser Diskussionsrunde offensichtlich um Erkenntnisfortschritt (also um die richtige Beantwortung offener Fragen) geht, halte ich die Regel für nützlich, zentrale Begriffe – wenn nötig – zu definieren.

Unter „Begriff“ verstehe ich erstmal ein Wort einschließlich der Bedeutung dieses Wortes.

Damit wären aber auch Namen Begriffe.

Sollte man den Begriff „Begriff“ deshalb enger fassen und Namen ausschließen? Soll nur „Dom“ ein Begriff sein, aber nicht „Kölner Dom“?

fragt Eberhard.
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von Abrazo am 01. Mai 2005, 22:58 Uhr
________________________________________
Hi, Ihr beiden,

also, der Kölner Dom ist auf keinen Fall ein Begriff. Das ist sogar ein Eigenname für eine Art juristische Person, die sich selbst gehört [spin].

Ich würde Namen ausschließen. wobei natürlich die Frage entsteht, was ein Name ist. Denn wenn ich einen Laubbaum Baum nenne, so ist das ein Name. Einen Nadelbaum aber nenne ich auch Baum, und der sieht doch recht anders aus. Und wenn wir in der Biologie von Bäumen sprechen, meinen wir das nicht viel anders, als wenn wir von Amphibien sprechen - und das ist ein Begriff.

Von daher würde ich sagen, Begriffe sind sowohl Mittel zur Erkenntnis als auch Ergebnis von Erkenntnis ist nicht vollständig. Begriffe können auch Fragen sein, nämlich, was ist eigentlich damit gemeint. Was z.B. ist mit Geschichte gemeint? Oder mit rot? Oder - mit Tsunami, das ist nämlich nur in unserem Kulturkreis ein neuer Begriff.

Natürlich ist es einfacher, sich bei der Diskussion des Problems Begriffe auf die Wissenschaften zu beschränken. Allerdings basiert auch die Wissenschaft auf der Umgangssprache; man denke z.B. an Kraft und Wärme in der Physik. In der Wirtschaft versucht man ja das daraus resultierende Problem der Unschärfe durch eine Kunstsprache, die nur aus genau definierten Begriffen besteht, zu umgehen. Wobei ich den Verdacht habe, dass diese Kunstsprache (hab vergessen, wie sie heißt, ist offenbar im Management Pflicht) auch zu künstlichem, wirklichkeitsfremdem Denken führt. Per eindeutiger Definition festgelegten Begriffen fehlt nun mal der Kontext der Welt.

die eine allein von der Struktur des menschlichen Verstandes bestimmte Ordnung in die zufälligen und chaotischen Sinneseindrücke hineintragen, - weiß zufällig jemand von Euch, woher nach Meinung der Konstruktivisten die Struktur des menschlichen Verstandes kommt? Befriedigende Auskunft hierüber hat mir nämlich bisher noch keiner gegeben.

Ich hoffe, ich ärgere Euch nicht allzu sehr damit, dass ich die schönen Theorien auf die banale Alltagsebene herunterziehe - aber das ist nun mal so meine Macke.
:-)
Grüße
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von Hanspeter am 02. Mai 2005, 04:07 Uhr
________________________________________
Hallo,

die Unterscheidung zwischen Name und Begriff ist recht interessant.
Ich denke, ein Begriff fasst zusammen, in dem er von mehreren Erscheinungen (Gegenständen, Phänomenen) deren Gemeinsamkeiten beschreibt. Er abstrahiert.

Beispiel: Sowohl ein Baum, als auch ein Laubbaum, als auch eine Eiche sind Begriffe. Nur, die "Eiche 20m rechts nach der Kreuzung" ist ein Name, weil sie ein einmaliges Phänomen darstellt.
Genauso ist "Dom" ein Begriff, "Kölner Dom" dagegen ein Name, weil einzigartig.

Gruß HP
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von oskar am 02. Mai 2005, 10:32 Uhr
________________________________________
Hallo Eberhard, Abrazo und Hanspeter,

meine Absicht war es, die Frage zunächst einmal empirisch-deskriptiv zu behandeln, weil ich denke, dass das die Grundlage auch für alles Normative ist.

Eberhard schrieb:
" Unter „Begriff“ verstehe ich erstmal ein Wort einschließlich der Bedeutung dieses Wortes."
Es gibt für mich Gründe, diese Definition erstmal so stehen zu lassen und nicht voreilig irgendetwas auszuschließen, wie z. B. Eigennamen wie "Kölner Dom". Zu Worten mit Bedeutung gehören auch nicht nur Substantive, sondern auch Verben, Adjektive, Präpositionen u. a.

Abrazo schrieb:
"Begriffe können auch Fragen sein, nämlich, was ist eigentlich damit gemeint."
Fragen wie alle Sätze und längere Texte können zu Begriffen werden, wenn sie wiederholt vorkommen und dann auch eine Bezeichnung erhalten. Das gehört auch zur Entstehung von Begriffen.
"Per eindeutiger Definition festgelegten Begriffen fehlt nun mal der Kontext der Welt."
Falls ich "Kontext der Welt" richtig verstehe, ist das genau das Problem, das im vergangenen Jahrhundert immer wieder angesprochen und nicht gelöst wurde, aber gelöst werden muss. Die Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik zeigt, dass vor dem Erfolg gewöhnlich eine lange Reihe von Misserfolgen steht, und dass der Erfolg nur dadurch zu Stande kam, dass sich viele beteiligten und nicht durch die Misserfolge der Vorgänger entmutigen ließen.
"weiß zufällig jemand von Euch, woher nach Meinung der Konstruktivisten die Struktur des menschlichen Verstandes kommt?"
Es gibt da eine gedankliche Entwicklung von den dissipativen Strukturen, die von Prigogine untersucht wurden, über die Interpretation dieser Vorgänge als Selbstorganisation und deren philosophische Verallgemeinerung bis zu der von Maturana und Varela entwickelten Vorstellung autopoietischer, selbstbezogener Strukturen, die ihre eigene Form und Größe unabhängig von der "nährenden" Umwelt annehmen. Das beschreiben beispielsweise Erich Jantsch in "Die Selbstorganisation des Universums" Hanser-Verlag 1979 und Heinz von Foerster in "Einführung in den Konstruktivismus", Taschenbuch, Piper-Verlag, 4. Aufl. 1998 (meine Quellen, nicht unbedingt die besten). Mehr darüber gern später.
"Ich hoffe, ich ärgere Euch nicht allzu sehr damit, dass ich die schönen Theorien auf die banale Alltagsebene herunterziehe - aber das ist nun mal so meine Macke."
Aus meiner (und vermutlich nicht nur meiner) Sicht ist diese Verbindung unverzichtbar.

Hanspeter schrieb:
"Nur, die 'Eiche 20m rechts nach der Kreuzung' ist ein Name, weil sie ein einmaliges Phänomen darstellt.Genauso ist "Dom" ein Begriff, "Kölner Dom" dagegen ein Name, weil einzigartig."
Hierzu meine Gedanken: Begriffe sind die Grundlage für die sprachliche Beschreibung der Sinneseindrücke - was wir sehen, hören usw. Wie ist es nun überhaupt möglich, die ungeheure Vielfalt der Sinneseindrücke, die, wie wir von der Multimediatechnik her wissen, zu ihrer Darstellung eine ungeheure Informationsmenge erfordert, mit Hilfe der um viele Größenordnungen geringeren Informationsmenge eines sprachlichen Textes einigermaßen verlässlich zu beschreiben? Der Schlüssel dazu sind die wiederkehrenden Strukturen, deren Wesenszüge wir ein für allemal (natürlich nicht endgültig) im Gedächtnis haben und die wir mit einem Namen (Wort) bezeichnen. Das ist es, was seit jeher als Begriff bezeichnet wird. Für diese Betrachtungsweise spielt es keine Rolle, ob die Struktur, die ich heute sehe, mit der gleichartigen gestern gesehenen materiell übereinstimmt oder nicht.

Das (oder mein) Problem sind aber nicht diese Abgrenzungsfragen, sondern die heute in der Philosophie weit verbreitete Meinung, dass die Begriffsbildung nach Kant von den Sinneseindrücken nur veranlasst, aber durch diese in keiner Weise bestimmt wird. Man sieht also keine Verbindung zwischen den Sinneseindrücken und der Form der Theorie, "Wahrheit" im herkömmlichen Sinne der Korrespondenztheorie wird zu einem obsoleten Begriff, die Naturwissenschaften sind reine Erfindungen (nach Feyerabend "Mythen") und die andern Wissenschaften dann erst recht! - es gibt keine Annäherung an eine irgendwie geartete Wahrheit, keine besseren und schlechteren Theorien. Das sind keine Außenseiteransichten, sondern diese Grundauffassung durchzieht die gesamte tonangebende Wissenschaftstheorie des vergangenen Jahrhunderts (Kuhn, Quine, Putnam u. a.) und ist von daher schon in alle möglichen Zweige des geistig-kulturellen Lebens eingedrungen.
Wenn man den Zusammenhang zwischen Sinneseindrücken und Begriffen rational erfassen könnte, dann wäre schon viel zur Bekämpfung dieser gefährlichen Fehlentwicklung geschafft -
meint oskar
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von Abrazo am 02. Mai 2005, 13:32 Uhr
________________________________________
Hi, Oskar,

diese Fehlentwicklung sehe ich genau so, wie Du. Das Resultat ist, dass wir Theorien haben, die frei in der Luft schweben und keinen Bezug mehr zu den Tatsachen haben.

Aber lass mich erst mal ganz pragmatisch versuchen, einen Pfahl in den Sumpf zu treiben.

Wir brauchen definierte Begriffe. Weil wir sonst nicht miteinander reden können. Denn ich kann nicht voraussetzen, dass mein Gesprächspartner mit einem Wort dasselbe meint wie ich.

Bei konkreten Gegenständen haben wir damit kein Problem. Ich kann auf den Gegenstand zeigen und sagen: ich meine das da. Dann reden wir allerdings nicht über Begriffe, sondern über Namen für Gegenstände. Einverstanden?

Bei diesem Zeigen habe ich auch mit dem Kontext geringere Probleme. Zwar gehört zu meinem Kontext, der mein Meinen beeinflusst, auch das, was ich gelernt oder gedacht habe und Erfahrungen in meiner Erinnerung, aber beim Zeigen sieht mein Gegenüber (bei dem das natürlich genau so ist) nicht nur den Gegenstand, der ja nie an sich ist, sondern auch den aktuellen Wahrnehmungsraum, in dem er steht. Das heißt, er braucht sich diesen nicht vorzustellen, und meine Vorstellung wird im Zweifelsfalle immer anders sein als Deine.

Daraus folgt: wenn wir von nicht (aktuell) Zeigbarem reden, haben wir immer das Problem des vorgestellten Wahrnehmungsraumes, in dem der Gegenstand notwendigerweise steht, weil er nicht an sich sein kann, und der seine Eigenschaften mit bestimmt.

Die Frage ist, wie weit ein Begriff unabhängig vom Wahrnehmungsraum sein kann. Und inwieweit die Begriffsbildung nicht eine gewisse Unabhängigkeit vom Wahrnehmungsraum voraussetzt (merke: was mir noch nicht klar ist, kann ich auch nicht klar ausdrücken). Denn wenn ich Baum als Begriff benutze, dann rede ich ja nicht nur von verschieden aussehenden Bäumen (Birke und Fichte z.B.), sondern auch von Bäumen in verschiedenen Wahrnehmungsräumen. Ein Baum auf einer Wiese steht in einem anderen Wahrnehmungsraum als ein Baum in einem Wald. Den Baum auf der Wiese sehe ich ganz, vom Baum im Wald oft nur den Stamm mit paar Ästen dran, die sich irgendwo hoch oben mit Ästen anderer Bäume zu einem unauflöslichen Gewirr verbinden. Und weil die Lichtverhältnisse anders sind, sind auch die Farben anders. Dass der Waldbaum tatsächlich ein vollständiger Baum ist, weiß ich hundertprozentig erst, wenn ich ihn umgehauen habe. Da kommt dann in den Begriff noch das hinein, was ich Menschheitserfahrung nennen möchte. Denn dass der Waldbaum vollständig ist, davon gehe ich aus, weil mir vermittelt wurde, dass Menschen seit Jahrtausenden Bäume umgehauen haben - und die waren immer vollständig. Also brauche ich das nicht selbst zu tun, um davon überzeugt zu sein, dass der Waldbaum ein vollständiger Baum ist.
Dies alles bringen alte, mit dem Spracherwerb gelernte Begriffe mit, und weil wir nie genau wissen, wann, wie und warum sie entstanden sind, haben wir Probleme, sie zu definieren. Also können wir sagen: alte Begriffe sind zwar (relativ) unabhängig vom Wahrnehmungsraum, stehen aber in einem kulturellen Kontext. Einverstanden?

Neu definierte Termini haben dieses Problem nicht. Scheinbar. Denn definiert werden sie durch bekannte Wörter. Aber sie erhalten im Laufe der Zeit einen kulturellen Kontext. Beispiel: Radioaktivität.

Damit stehen wir zwischen Scylla und Charybdis. Wenn wir uns im Dialog auf exakt definierte formale Begriffe beschränken, gibt es keine Differenzen über das, was damit gemeint sein könnte. Bestenfalls haben wir einen Begriff an sich. Dafür wissen wir dann nicht mehr, wovon wir eigentlich reden: der Begriff hat keinen Bezug mehr zu den Tatsachen. Nehmen wir aber undefinierte Begriffe, reden wir vielleicht völlig aneinander vorbei.

Das Ideal des Begriffes an sich finden wir in Mathematik und formaler Logik.

Zur Begriffsbildung
? Der Schlüssel dazu sind die wiederkehrenden Strukturen, deren Wesenszüge wir ein für allemal (natürlich nicht endgültig) im Gedächtnis haben und die wir mit einem Namen (Wort) bezeichnen. Das ist es, was seit jeher als Begriff bezeichnet wird. Für diese Betrachtungsweise spielt es keine Rolle, ob die Struktur, die ich heute sehe, mit der gleichartigen gestern gesehenen materiell übereinstimmt oder nicht.
Leuchtet im ersten Moment ein. Aber: Begriffe werden nicht nur aufgrund gemeinsamer Strukturen sinnlich wahrnehmbarer Gegenstände gebildet. Was unterscheidet einen Beistelltisch von einem Hocker? Die Funktion. Ein und derselbe Gegenstand kann mal Beistelltisch, mal Hocker sein.
Was unterscheidet Arbeit von Spiel? Der Zweck?
Was ist Korn? Eine Form? Ein unverarbeitetes Nahrungsmittel? Ein Schnaps? Hat alles miteinander zu tun.

Also: was meinst Du mit Struktur?
(Sorry, dass ich es so schwierig mache - aber es ist nun mal so.)

Was die Theorien der Konstruktivisten betrifft, danke für Deine Ausführungen, aber ich finde in solchen Erörterungen immer das gleiche: das a priori. Strukturen, Selbstorganisation - alles Prinzipien a priori. So was mag ich nicht. [undecided]

Wenn ich mich aber auf ein solches a priori stütze, geht der Bezug zur Welt zwangsläufig verloren. Und dann ist es wirklich egal, ob eine Aussage über die Welt wahr oder falsch ist - denn wie soll man das feststellen, wenn alles von einem ideellen a priori ausgeht?
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von Eberhard am 02. Mai 2005, 13:48 Uhr
________________________________________
Hallo in die Runde, hallo Oskar,

wenn wir den Zusammenhang zwischen den Sinneseindrücken und den Worten, die diese Sinneseindrücke bezeichnen, empirisch-deskriptiv untersuchen wollen, dann müssen wir uns darüber klar sein, dass wir hier in den Bereichen der psychologischen und philologischen Sprachforschung wildern und wir müssen aufpassen, dass wir hier als Sessel-Forscher nicht nur dilettieren. Aber es ist auf keinen Fall verkehrt, sich hier Gedanken zu machen, da jeder von uns ständig mit Begriffen umgeht, also die Empirie parat hat.

Die tonangebenden Wissenschaftstheoretiker des 20. Jahrhunderts waren übrigens nach meinem Eindruck nicht Autoren wie Feyerabend oder Kuhn, sondern die aus dem Logischen Positivismus hervorgegangenen Autoren wie Popper, Carnap, Hempel u.a. – zumindest was den Einfluss auf die Wissenschaften außerhalb der engeren Fachphilosophie betrifft.

Du distanzierst Dich von der „Meinung, dass die Begriffsbildung nach Kant von den Sinneseindrücken nur veranlasst, aber durch diese in keiner Weise bestimmt wird. Man sieht also keine Verbindung zwischen den Sinneseindrücken und der Form der Theorie ..“

Gegen eine derartige Theorie spricht einiges.

So könnte damit nicht erklärt werden, warum es in allen Sprachen Worte gibt, die die Sonne und den Mond bezeichnen, also Namen für diese beiden von der Erde aus gut sichtbaren Himmelskörper.

Ähnliches gilt für Worte wie „Mutter“, „Vater“, „Kind“, „Bruder“, „Schwester“, „Kopf“, „Hand“, „Fuß“, „Finger“, „Tag“, „Nacht“, „Freund“, „Feind“, „essbar“, „giftig“.

Diesen Worten entsprechen jeweils Bündel von zusammengehörigen, „markanten“ Sinneseindrücken, deren Unterscheidung, Identifizierung und Benennung für jedes Individuum lebenswichtig (gewesen) ist.

Eine Beliebigkeit der Begriffsbildung kann es deshalb zumindest auf dieser elementaren Ebene nicht geben.

meint Eberhard.
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von oskar am 02. Mai 2005, 15:53 Uhr
________________________________________
Hi, Abrazo,


Quote:
Das Resultat ist, dass wir Theorien haben, die frei in der Luft schweben und keinen Bezug mehr zu den Tatsachen haben.


Stimmt, aber ich bin mir nicht sicher, ob wir dieselben Theorien meinen.


Quote:
Wir brauchen definierte Begriffe. Weil wir sonst nicht miteinander reden können.


Das möchte ich sehr unterstreichen.

Die Betrachtungen über den Wahrnehmungsraum überspringe ich mal (aufgeschoben soll aber nicht aufgehoben sein).

Quote:
Neu definierte Termini haben dieses Problem nicht. Scheinbar. Denn definiert werden sie durch bekannte Wörter. Aber sie erhalten im Laufe der Zeit einen kulturellen Kontext. Beispiel: Radioaktivität.


Mein Problem sind nicht die möglichen Definitionen durch bekannte Wörter, sondern die Frage: "Was ist in der wahrnehmbaren Welt (genauer: in der Gesamtheit unserer Sinneseindrücke) wert, zum Begriff zu werden?" Wirklich neue, weiterführende Begriffe können nicht auf bekannte Wörter (Begriffe) allein zurückgeführt, sondern nur durch die Beschreibung von Handlungen und Beobachtungen - natürlich mit Hilfe bekannter Wörter - eingeführt werden. Die Rede ist nicht von mathematischen Begriffen, sondern von Begriffen, die wir in der Umgangssprache und in den Wissenschaften zur Beschreibung realer Dinge, Stoffe, Eigenschaften, Sachverhalte, Vorgänge usw. benutzen - dazu gehören die Begriffe der Quantentheorie und Statistischen Physik ebenso wie z. B. der Sprachwissenschaft.

Mir scheint, das Problem, das ich vorstehend als Frage formuliert habe, wurde bisher noch gar nicht so gesehen. Man könnte es auch als das Problem der empirischen Begründung der Begriffe bezeichnen.


Quote:
(merke: was mir noch nicht klar ist, kann ich auch nicht klar ausdrücken)




Quote:
Was die Theorien der Konstruktivisten betrifft, danke für Deine Ausführungen, aber ich finde in solchen Erörterungen immer das gleiche: das a priori. Strukturen, Selbstorganisation - alles Prinzipien a priori. So was mag ich nicht.
Wenn ich mich aber auf ein solches a priori stütze, geht der Bezug zur Welt zwangsläufig verloren. Und dann ist es wirklich egal, ob eine Aussage über die Welt wahr oder falsch ist - denn wie soll man das feststellen, wenn alles von einem ideellen a priori ausgeht?


Dissipative Strukturen und Selbstorganisation sind in vielfältiger Form empirisch nachweisbare und beobachtbare Erscheinungen und Vorgänge (was daran a priori sein soll, kann ich nicht nachvollziehen - bitte erklären). Dass daraus falsche Schlüsse gezogen wurden, liegt daran, dass diejenigen, die darauf ihre Wissenschaftstheorie aufbauten, nicht zu den naturwissenschaftlichen Grundlagen vorgedrungen sind (oder nicht dazu imstande waren). So ist ihnen die Abhängigkeit von den Umgebungsbedingungen völlig entgangen.

Gruß, Oskar
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von Hanspeter am 02. Mai 2005, 16:06 Uhr
________________________________________
Hallo Oskar,

du schreibst:
"Man sieht also keine Verbindung zwischen den Sinneseindrücken und der Form der Theorie, "Wahrheit" im herkömmlichen Sinne der Korrespondenztheorie wird zu einem obsoleten Begriff, die Naturwissenschaften sind reine Erfindungen (nach Feyerabend "Mythen") und die andern Wissenschaften dann erst recht! - es gibt keine Annäherung an eine irgendwie geartete Wahrheit, keine besseren und schlechteren Theorien."
Ich will dir gerne glauben, dass diese Meinung unter Philosophen sehr verbreitet ist, möglicherweise eine "Grundauffassung der Philosophie" ist, wenngleich Eberhard das ja teilweise anzweifelt.

Genau diese Haltung ist es aber, die mich veranlasst, diese Art der Philosophie als Unsinn pur zu erklären. Da gibt es für mich nur eine Antwort:
Was stört es den Mond (Naturwissenschaft), wenn ihn der Hund (Feyerabend) anbellt und als Mythos deklariert.

Gruß HP
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von oskar am 02. Mai 2005, 17:37 Uhr
________________________________________
Hallo Eberhard,


Quote:
dass wir hier in den Bereichen der psychologischen und philologischen Sprachforschung wildern


würde ich nicht sagen, sondern wohl eher im Bereich der Sprachphilosophie (Wittgenstein, Strawson, Saussure). Aber ich denke, wir sind uns darüber einig, dass man zur Lösung von Problemen zuweilen Grenzen überschreiten darf und muss. Eine gewisse Berechtigung dazu kann man durch Literaturstudium erwerben.

Dass "Der logische Aufbau der Welt" von Rudolf Carnap nicht zum Erfolg führte, liegt daran, dass er ein völlig allgemeines System entwickeln wollte und bei dieser Zielstellung die aus rein quantitativen Gründen nicht zu umgehende Frage einer Auswahl überhaupt nicht stellen konnte. Heraus kam dann nur, dass ein allgemeines, völlig theorieunabhängiges Begriffssystem und damit eine neutrale Beobachtungssprache praktisch nicht möglich ist - das ist heute eine gesicherte Aussage und Grundlage aller philosophischen Erkenntnis- und Wissenschaftstheorien. Popper versuchte mit seiner Falsifizierungstheorie die Schwierigkeit wegzudiskutieren - das war sehr publikumswirksam, aber die Wissenschaftstheorie hat er damit keinen Schritt vorangebracht, denn empirische Aussagen können ebensowenig falsifiziert wie allgemein bewiesen werden. Ob sich Hempel auch mit der Frage der Beobachtungssprache auseinandergesetzt hat, weiß ich nicht. Wenn es so wäre, dann hätte ich wahrscheinlich schon irgendwo etwas darüber gelesen.


Quote:
Gegen eine derartige Theorie spricht einiges. ... Eine Beliebigkeit der Begriffsbildung kann es deshalb zumindest auf dieser elementaren Ebene nicht geben.


Für "normale" Menschen, Naturwissenschaftler u. v. a. ist das völlig klar - so klar, dass sie gar nicht zu glauben vermögen, dass es Leute mit anderen Ansichten gibt. Die zahlreichen Diskussionsbeiträge von nofuture im Juli 2003 zum Thema "Mathematik und Wissenschaftskritik" waren für mich der letzte Anstoß zu Studium von Feyerabends Schriften, wo ich alles das zunächst ungereimt erscheinende Zeug fand. Feyerabend hat die Schwierigkeiten mit der Beobachtungssprache ernst genommen und nach seiner 1951 verteidigten Dissertation über die Basissätze offenbar für unüberwindlich gehalten. So blieb ihm als Wahrheitskriterium nur die Kohärenztheorie. Alles andere ergab sich dann zwangsläufig daraus. Dann wunderte ich mich etwas darüber, dass Feyerabend unter den Wissenschaftstheoretikern keineswegs als Außenseiter betrachtet wird, bis mir klar wurde, dass die Unmöglichkeit der Herstellung einer logischen Beziehung zwischen Beobachtbarem und der entsprechenden sprachlichen Darstellung in einschlägigen philosophischen Kreisen common sense ist (man kann daran Insider von Außenstehenden unterscheiden). Mittelstrass drückt das beispielsweise so aus, dass die Fähigkeit, etwas Wahres über einen Sachverhalt zu sagen - die Tatsache, daß Sprache im Grunde verläßlich ist - weder problematisiert noch begründet werden kann.

Damit muss man sich auseinandersetzen

meint Oskar
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von Abrazo am 02. Mai 2005, 23:07 Uhr
________________________________________
Hi in die Runde,

"Was ist in der wahrnehmbaren Welt (genauer: in der Gesamtheit unserer Sinneseindrücke) wert, zum Begriff zu werden?"
Von einem Werbefachmann gesagt wüsste ich, was damit gemeint ist. In einem Philosophieforum habe ich damit aber Schwierigkeiten. Die größten Schwierigkeiten habe ich damit zu überlegen, nach welchem Maßstab man etwas in der wahrnehmbaren Welt zu begriffsunwert erklären könnte.

Die Rede ist nicht von mathematischen Begriffen, sondern von Begriffen, die wir in der Umgangssprache und in den Wissenschaften zur Beschreibung realer Dinge, Stoffe, Eigenschaften, Sachverhalte, Vorgänge usw. benutzen - dazu gehören die Begriffe der Quantentheorie und Statistischen Physik ebenso wie z. B. der Sprachwissenschaft.
Auch da verstehe ich nicht, was Du meinst. Möchtest Du die Sprache normieren? Oder unser Denken, das sie spiegelt? Warum kommt mir jetzt Pygmäleon in den Sinn?

Dissipative Strukturen und Selbstorganisation sind in vielfältiger Form empirisch nachweisbare und beobachtbare Erscheinungen und Vorgänge (was daran a priori sein soll, kann ich nicht nachvollziehen - bitte erklären).
Nun, wenn sie a priori unsere Wahrnehmung organisieren ...
aber mich würde interessieren, an welchen lebenden, von der Wahrnehmung nicht geprägten Gehirnen dies beobachtet wurde.

Genau diese Haltung ist es aber, die mich veranlasst, diese Art der Philosophie als Unsinn pur zu erklären.
Ne vernünftige Begründung ist das nicht, HansPeter. Aber es tut gut. [balloon]

die Unmöglichkeit der Herstellung einer logischen Beziehung zwischen Beobachtbarem und der entsprechenden sprachlichen Darstellung in einschlägigen philosophischen Kreisen common sense ist (man kann daran Insider von Außenstehenden unterscheiden). Mittelstrass drückt das beispielsweise so aus, dass die Fähigkeit, etwas Wahres über einen Sachverhalt zu sagen - die Tatsache, daß Sprache im Grunde verläßlich ist - weder problematisiert noch begründet werden kann.
Setzt das nicht voraus, dass man Beobachtbares (Tatsachen), Sprache und Logik als drei voneinander unabhängige Dinge betrachtet (womit man umgehend das a priori Problem hat)?
So lächerlich es klingen mag, ich werde den Verdacht nicht los, dass diese Trennung, die zumindest in manchen wissenschaftstheoretischen Kreisen populär zu sein scheint, auf einem in meinen Augen schon absurden Missverständnis von Wittgensteins Tractatus beruht.
Irgendwie werde ich den Eindruck nicht los, dass die alle die gleiche Sekundärliteratur gelesen haben. [undecided]
Grüße
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von Eberhard am 03. Mai 2005, 07:07 Uhr
________________________________________
Hallo Oskar.

vorweg ein Vorschlag zum Verfahren. Wir sollten versuchen, alle Argumente möglichst explizit hier einzubringen, soweit das irgend möglich ist, um auch denjenigen die Möglichkeit zum Verständnis und zum Mitdiskutieren zu geben, die die genannte Literatur nicht kennen. Wenn also Feyerabend in seiner Dissertation über die Probleme der Beobachtungssprache zu dem Schluss kam, dass die Probleme unüberwindbar seien, wie du schreibst, so wäre es für unsere Diskussion nützlich, wenn das Hauptargument hier genannt würde.

Nun zum Verhältnis von beschreibender Sprache und beschriebener Wirklichkeit bzw. zum Verhältnis von beschreibender Sprache und zugehörigen Sinneseindrücken.

Dabei steht im Hintergrund für Dich offenbar die These, dass die Sprache und die Begriffe, aus der sie besteht, der beschriebenen Wirklichkeit „entsprechen“ müssen, wenn die Beschreibung stimmt (Korrespondenztheorie der Wahrheit).

Die Idee einer Entsprechung zwischen den beschreibenden Sätzen und der beschriebenen Wirklichkeit liegt nahe, wenn man von der semantischen Bestimmung von Wahrheit ausgeht, die besagt, dass ein Satz dann wahr ist, wenn es so ist, wie der Satz besagt.

Wenn man statt der Sprache ein Foto nimmt, um einen Sachverhalt wiederzugeben, zum Beispiel das erste Tor eines bestimmten Fußballspiels, so ist das Foto dann echt und keine Fälschung, wenn es so war, wie auf dem Foto zu sehen ist: der Ball landet dicht am rechten Pfosten im Tor und der Torwart streckt sich vergebens danach.

Folgt daraus die viel geschmähte „Abbildtheorie“ der Wahrheit?

Ergeben sich nicht aus der Struktur der Sinneseindrücke „ zwingend“ bestimmte Begriffe wie „Ball“, „Torwart“ oder „Pfosten“? (Wobei statt „Torwart“ natürlich auch englisch „keeper“ gesagt werden könnte, da die Struktur des Satzes die gleiche bliebe.)

Wenn man von einem bestimmten Vorverständnis, von einer bestimmten Fragestellung und den damit gegebenen Begriffen ausgeht, („Wie fiel das erste Tor in dem Spiel?“) dann müssen Begriffe wie „Ball“, „Tor“ und „Torwart“ zwangsläufig fallen.

Die Beschreibung und ihre Begrifflichkeit ist jedoch keineswegs mehr festgelegt, wenn man keinerlei Vorverständnis voraussetzt. Jemand, der noch nie einen Ball gesehen hat, geschweige denn weiß, was ein Fußballspiel ist, würde das Foto wahrscheinlich ganz anders in Worte fassen.

Im Extremfall würde er das Foto auch wie ein Scanner beschreiben: als eine Vielzahl von Aussagen über eine in bestimmter Weise angeordnete Menge von Pixeln mit 1000 verschiedenen Farbtönen.

Auch der Satz: „Das 475. Pixel in der 122. Reihe von oben ist hellgrün“ kann wahr sein, weil es so ist, wie der Satz besagt.

Damit will ich zeigen, dass es bei fehlendem Vorverständnis unendlich viele verschiedene Möglichkeiten gibt, über einen realen Sachverhalt wahre Aussagen zu machen, so dass von einer Korrespondenz zwischen den Elementen der Wirklichkeit und bestimmten Begriffen kaum noch gesprochen werden kann.

Soweit erstmal von Eberhard.
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von oskar am 03. Mai 2005, 09:22 Uhr
________________________________________
Hallo Eberhard,
es freut mich, dass wir der Sache schon näher kommen.

Das Problem einer neutralen Beobachtungssprache besteht darin, dass beobachtete Sachverhalte, Versuchsanordnungen, Messergebnisse usw. nur mit Hilfe der vorhandenen Begriffe beschrieben werden können und dieselben Sachverhalte auf der Grundlage unterschiedlicher Begriffssysteme zu ganz unterschiedlichen Beschreibungen führen. Da bei der Überprüfung wissenschaftlicher Theorien durch Beobachtungen und Versuche die Begriffe durch die Theorien vorgegeben sind, kommt Feyerabend zu dem Schluss, dass im Laufe der Weiterentwicklung einer Theorie diese nicht mehr an der Erfahrung, sondern nur an sich selbst überprüft wird, letztlich also nichts Empirisches mehr enthält.

Quote:
Dabei steht im Hintergrund für Dich offenbar die These, dass die Sprache und die Begriffe, aus der sie besteht, der beschriebenen Wirklichkeit „entsprechen“ müssen, wenn die Beschreibung stimmt (Korrespondenztheorie der Wahrheit).



Im Hintergrund steht die Feststellung, dass die Philosophie mit der Korrespondenztheorie nicht klar kommt und daher die verschiedensten Ersatztheorien entwickelt hat.


Quote:
Die Idee einer Entsprechung zwischen den beschreibenden Sätzen und der beschriebenen Wirklichkeit liegt nahe, wenn man von der semantischen Bestimmung von Wahrheit ausgeht, die besagt, dass ein Satz dann wahr ist, wenn es so ist, wie der Satz besagt.


Das ist für mich kein Ausgangspunkt. Ohne eine irgendwie geartete Entsprechung zwischen den beschreibenden Sätzen und der beschriebenen Wirklichkeit wäre die praktische Brauchbarkeit von alltäglichen Erfahrungen und wissenschaftlichen Ergebnissen völlig unerklärlich. Ich bin der Meinung, man muss weiter nach dieser Entsprechung suchen. Ich halte es für falsch und schädlich, auf andere Wahrheitstheorien auszuweichen, die gar keine Entsprechung mehr annehmen wie z. B. die Kohärenztheorie oder die mathematische Konstruktion von Tarski. Die pragmatische Wahrheitstheorie impliziert natürlich eine Beziehung, liefert aber nur ein nachträgliches Kriterium (ganz abgesehen davon, dass sie zu lächerlichen Trivialisierungen verleitet, wie z. B. Johannes Hirschberger in "Geschichte der Philosophie", Band 2 S. 543 so schön beschreibt).


Quote:
Die Beschreibung und ihre Begrifflichkeit ist jedoch keineswegs mehr festgelegt, wenn man keinerlei Vorverständnis voraussetzt. Jemand, der noch nie einen Ball gesehen hat, geschweige denn weiß, was ein Fußballspiel ist, würde das Foto wahrscheinlich ganz anders in Worte fassen.


Das ist der springende Punkt.


Quote:
Damit will ich zeigen, dass es bei fehlendem Vorverständnis unendlich viele verschiedene Möglichkeiten gibt, über einen realen Sachverhalt wahre Aussagen zu machen, so dass von einer Korrespondenz zwischen den Elementen der Wirklichkeit und bestimmten Begriffen kaum noch gesprochen werden kann.


"unendlich viele verschiedene" würde ich durch "gar keine" ersetzen.

Doch was ist das Vorverständnis? Sind es nicht die Begriffe, die man hat? Und wie werden nun Begriffe gebildet? Wonach entscheidet es sich, welche Begriffe gebildet werden? Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Sinneseindrücken, die ein Mensch im Laufe seines Lebens aufnimmt, und den Begriffen, die er sich eigenständig und im Kontakt mit seinen Mitmenschen bildet?

Mit der Sinnesdatentheorie lässt sich das nicht beantworten. Von den Sinnesdaten ausgehend dagegen wohl

meint Oskar

________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von Eberhard am 03. Mai 2005, 15:55 Uhr
________________________________________
Hallo Oskar,

ich freue mich über die kompetente und sachbezogene Argumentation und hoffe, dass so etwas im Philtalk zunehmend möglich sein wird.

Dankenswerterweise hast Du die Argumentation von Feyerabend zum Verhältnis von Begrifflichkeit und Wirklichkeit ausgeführt, so dass hier für alle Mitdiskutierenden (und Mitdenkenden) eine vergleichbare Ausgangsbasis besteht. (Vielleicht kannst Du das auch in Bezug auf die von Dir angeführte Kohärenztheorie der Wahrheit und die pragmatischen Wahrheitstheorien noch machen.)

Ich stimme Feyerabend darin zu, dass „dieselben Sachverhalte auf der Grundlage unterschiedlicher Begriffssysteme zu ganz unterschiedlichen Beschreibungen führen“, wie Du formulierst.

Um bei dem Beispiel des Fotos vom Torschuss zu bleiben: Man könnte z.B. das Geschehen auf dem Foto als etwas zweidimensionales, in einer Ebene stattfindendes, oder als etwas dreidimensionales, in einem Raum stattfindendes interpretieren und beschreiben.

Bei der zweidimensionalen Beschreibung gäbe es zwar die Beziehungen „links von“, rechts von“, „unter“ und „über“ aber nicht die Beziehungen „vor“ und hinter“.

Ob eine Mannschaft ein Tor erzielt hat, hängt davon ab, ob der Ball die gedachte Ebene, die durch Pfosten, Latte und Linie begrenzt wird, überschritten hat.

Da den Fan interessiert, welche Mannschaft gewinnt und da dies wiederum von der Anzahl der erzielten Tore abhängt, wäre ein zweidimensionales Begriffssystem für die Beschreibung des Geschehens unbrauchbar, weil in diesem Begriffssystem die Frage, ob ein Tor gefallen ist, gar nicht gestellt und natürlich auch nicht entschieden werden kann, weil ein „Tor“ nicht in einer zweidimensionalen Sprache definiert werden kann.

Theorien dienen ja der Beschreibung und Erklärung bestimmter Sachverhalte, an denen ein Interesse der Menschen besteht. Von diesem Interesse her lässt sich dann auch entscheiden, welche Begrifflichkeit angemessen ist und welche nicht.

So weit erstmal. Es grüßt Dich und alle Interessierten Eberhard.
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von fockd am 03. Mai 2005, 21:19 Uhr
________________________________________

Quote:
Damit will ich zeigen, dass es bei fehlendem Vorverständnis unendlich viele verschiedene Möglichkeiten gibt, über einen realen Sachverhalt wahre Aussagen zu machen, so dass von einer Korrespondenz zwischen den Elementen der Wirklichkeit und bestimmten Begriffen kaum noch gesprochen werden kann.



@ Eberhard

Wenn Du von einem Photo sprichst, so geht es zuerst einmal um eine Sache und nicht um einen Sachverhalt. Der Sachverhalt ergibt sich aus dem, was Du an einer Sache betrachten willst und wie dieses Wollen im Bezug auf deine , mMitmenschen steht. Wenn Du dich z.B. auf Pixel beziehst, musst Du Dich auf einen anderen Sachverhalt beziehen als wenn Du erklären willst, was ein Ball ist, der auf dem Photo zu sehen ist. Der Sachverhalt ist also das, auf was ich mich beziehe. Es zeigt sich an der Sache relativ zu anderen Sachen, was der Sachverhalt ist. Wenn ich spreche, denke, schreibe beziehe ich mich auf die Beziehungen zwischen Sachen, sofern ich eine faktische Aussage machen will.
Und da es sich nie an einer Sache zeigt, was deren Sachverhalt ist, benötige ich als Vorverständnis Kenntnisse von Sachen.
Insofern ich aber spreche, kann von einer Korrespandenz zwischen wirklichen Beobachtungen und dem sprachlichem Ausdruck dieser Fakten gesprochen werden; denn der Gegenstand und mein Sprechen weisen eine ähnliche Struktur auf, sofern ich mich auf sie beziehe. Das aber zeigt sich an der Sprache.
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von Abrazo am 04. Mai 2005, 01:22 Uhr
________________________________________
Hi, Eberhard, hi Oskar,

mir gefällt nicht, dass Ihr nicht weit genug zurück geht.
Nehmen wir den Ausdruck 'fehlendes Vorverständnis'. Falls Ihr diesen Ausdruck absolut nehmt, also im Sinne von 'gar kein Vorverständnis', ist er leider unsinnig. Denn jemanden, der gar kein Vorverständnis hat, kann man nicht auffordern, ein Foto zu beschreiben - weil der gar nicht sprechen kann. Der Spracherwerb setzt immer ein Vorverständnis voraus. Man kann kein Wort lernen, wenn man nicht weiß, was damit gemeint ist (und alle Theorien können nicht weg diskutieren, dass Kleinkinder mit einzelnen Wörtern anfangen zu sprechen). Aus der Vielzahl möglicher Wörter lernt das Kind zuerst die Wörter für Dinge oder Handlungen, die ihm besonders wichtig sind oder die es für besonders wichtig hält - weil es beobachtet, dass wir sie für besonders wichtig halten. Es wählt also bereits aus, setzt Prioritäten, beurteilt nach Bedeutung (Wichtigkeit).
Wenn Ihr einem Kind, das eben halbwegs sprechen gelernt hat, aber noch nichts von Fußball weiß, das genannte Foto vorlegt, wird es dieses Foto beschreiben. Aber es wird das herausgreifen, was es für wichtig hält. Vielleicht die Trainingsjacke, die in der Torecke liegt. Die ist für uns völlig unbedeutend, aber es ist trotzdem wahr, dass sie da liegt (auch wissenschaftliche Theorien setzen Prioritäten, selektieren danach die Empirie, was schon mal zu Fehlern führen kann).
Und wenn Ihr das Kind fragt, was da passiert, dann wird das Kind Euch das auch erklären. Indem es sich eine Theorie baut, das heißt, mögliche Zusammenhänge denkt. Mögliche Zusammenhänge, die es aus seiner Erfahrung mit der Wirklichkeit entnimmt. Danach ist der Torwart vielleicht ein Mann, der hinfällt, sich weh tut und seine Hose ganz dreckig macht. Auch hier hat es also ein Vorverständnis, aus seiner Erfahrung.

Jeder Physiker und jeder Wissenschaftstheoretiker hat so sprechen gelernt. Wenn einer in der Schule das erste mal was von Physik oder Logik hört, hat er bereits eine fertige Sprache, ein vollständiges Begriffssystem und ein vollständiges logisches Weltbild, also ein grundsätzliches Vorverständnis. Das ist der Ausgangspunkt. Wer den erst mal beiseite schiebt, also so tut, als gäbe es gar keinen Ausgangspunkt, als könne man von einem Nullpunkt anfangen, befindet sich m.E. schon auf dem Holzweg.

Jede wissenschaftstheoretische Diskussion ist eine Diskussion über die Modifizierung einer bestehenden Sprache und eines bestehenden Weltbildes. So wie jede neue (auch neu erlernte) Theorie ein neuer möglicher Zusammenhang zusätzlich zu den bereits bestehenden möglichen Zusammenhängen ist. Nach einer Erklärung gefragt wird ein Mensch diejenige Möglichkeit auswählen, die ihm am wahrscheinlichsten erscheint. Damit hängt die Richtigkeit seiner Erklärung von der Wahrheit der Theorie ab. Wer das Fußballspiel nicht gesehen hat, wird das Foto relativ allgemein beschreiben. Er zweifelt zwar nicht daran, dass es dabei um Fußball geht, aber es kann eben irgend ein Fußball- oder Trainingsspiel sein. Er kann keine Theorie darüber bilden, um welches Spiel es sich handelt. Wer hingegen das Spiel gesehen hat, hat nicht nur eine genaue Theorie, er weiß auch, dass sie wahr ist, empirisch wahr. Denn er hat die Theorie unmittelbar aus der Empirie gewonnen. Folglich ist auch seine Beschreibung richtig. Und wer überhaupt nicht weiß, was Fußballspielen ist, der wird eine möglichst allgemeine andere Theorie bilden, die ihm am wahrscheinlichsten erscheint.

Daraus folgt aber, dass es nicht unendlich viele Beschreibungsmöglichkeiten gibt. Neben der Beschreibung der reinen Wahrnehmung, die immer wahr ist (aber nicht immer vollständig sein muss, woraus wir - fälschlicherweise - schließen, dass sie falsch ist), dem 'scannen' also, gibt es immer nur so viele Erklärungsmöglichkeiten, wie es mögliche wahrscheinlich erscheinende Theorien gibt. Was uns aber wahrscheinlich erscheint, entscheiden wir nach unserem aktuell abrufbaren Weltbild (denn es gibt auch Möglichkeiten, die wir übersehen oder vergessen), in das auch unsere Erfahrungen mit der Wirklichkeit eingeflossen sind. Auf der Basis unseres Weltbildes bilden wir auch neue Theorien, wenn uns keine der vorhandenen befriedigt. Denn nur aus dem, was wir wissen, können wir Theorien bilden. Um zu überlegen, wie etwas zusammen hängt, müssen wir wissen, was zusammenhängt - und dass es Zusammenhänge gibt.

Oder enthalten die scheinbar zufälligen und chaotischen Sinneseindrücke nicht doch etwas Rationales, das die Begriffsbildung zwar nicht eindeutig bestimmt, aber zumindest in eine bestimmte Richtung zwingt und die Unterscheidung besserer und schlechterer, mehr oder weniger brauchbarer oder viabler Begriffe ermöglicht?
Setzt nicht die Annahme, die Sinneseindrücke seien chaotisch, die Annahme voraus, es gäbe Dinge an sich? Das heißt, es gäbe Objekte, die unabhängig von uns so sind, wie sie sind? Tatsächlich nehmen wir Objekte immer nur in einem Gesichtsfeld wahr, immer nur im Wahrnehmungsraum. Und wir nehmen sie nur dann wahr, wenn wir sie vom Hintergrund, im Wahrnehmungsraum unterscheiden können. Was wir nicht unterscheiden können, gibt es für uns nicht.
Unterscheiden tun wir kraft unserer Sinne. Reize, die sie umsetzen können, erscheinen uns als Wahrnehmung, mögliche Reize, die sie nicht umsetzen können, führen zu keiner Wahrnehmung. Verbunden mit der Beziehung zwischen Objekt und Wahrnehmungsraum heißt das, die Form des Objektes wird wesentlich bestimmt vom Wahrnehmungsraum, in dem es sich unterscheidet. Unter diesem Aspekt erscheinen imho die Sinneseindrücke nicht mehr so zufällig und chaotisch.
Und nebenbei erklärt es auch, warum wir von Anfang an Prioritäten setzen: das Chaos im Wahrnehmungsraum des Neugeborenen beginnt sich dann zu lichten, wenn es durch ständig wiederholte Wahrnehmung das immer gleich bleibende Gesicht derjenigen Person, die es versorgt, die es mit sich herumschleppt und die sein Überleben sichert, in seinem Wahrnehmungsraum unterscheiden kann. Bildlich gesprochen: im weißen Rauschen der Sinneseindrücke unterscheidet sich dieses Gesicht durch die Bedeutung, die es hat, so, wie wir von allen Geräuschen immer nur die hören, die eine Bedeutung für uns haben könnten.
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von Hanspeter am 04. Mai 2005, 02:38 Uhr
________________________________________
Hallo Oskar,

du schriebst:
"Da bei der Überprüfung wissenschaftlicher Theorien durch Beobachtungen und Versuche die Begriffe durch die Theorien vorgegeben sind, kommt Feyerabend zu dem Schluss, dass im Laufe der Weiterentwicklung einer Theorie diese nicht mehr an der Erfahrung, sondern nur an sich selbst überprüft wird, letztlich also nichts Empirisches mehr enthält."

Hier irrt Feyerabend!! Genau das tun die Naturwissenschaften nicht.
Sie definieren nämlich ihre Begriffe unabhängig von den Theorie. Einstein musste weder an den Begriffen Geschwindigkeit noch Energie herumfummeln, um seine Relativitätstheorie zu entwickeln. Die Begriffsdefinitionen haben sich dadurch nicht geändert.
Die Begriffe selbst orientieren sich an denen des allgemeinen Vokabulars, werden aber entsprechend präzisiert.

Gruß HP
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von Eberhard am 04. Mai 2005, 10:39 Uhr
________________________________________
Hallo allerseits,

Es sind inzwischen eine Menge Aussagen gemacht worden zu Oscars Problemstellung, die ich hier noch mal wiedergebe:

“Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Sinneseindrücken, die ein Mensch im Laufe seines Lebens aufnimmt, und den Begriffen, die er sich eigenständig und im Kontakt mit seinen Mitmenschen bildet?“

“Wie ist es … überhaupt möglich, die ungeheure Vielfalt der Sinneseindrücke … mit Hilfe der um viele Größenordnungen geringeren Informationsmenge eines sprachlichen Textes einigermaßen verlässlich zu beschreiben?“

“Ohne eine irgendwie geartete Entsprechung zwischen den beschreibenden Sätzen und der beschriebenen Wirklichkeit wäre die praktische Brauchbarkeit von alltäglichen Erfahrungen und wissenschaftlichen Ergebnissen völlig unerklärlich.“

Die Gegenposition zu der von ihm favorisierten Lösung hat Oskar folgendermaßen skizziert:

„Das Problem einer neutralen Beobachtungssprache besteht darin, dass beobachtete Sachverhalte, Versuchsanordnungen, Messergebnisse usw. nur mit Hilfe der vorhandenen Begriffe beschrieben werden können und dieselben Sachverhalte auf der Grundlage unterschiedlicher Begriffssysteme zu ganz unterschiedlichen Beschreibungen führen. Da bei der Überprüfung wissenschaftlicher Theorien durch Beobachtungen und Versuche die Begriffe durch die Theorien vorgegeben sind, kommt Feyerabend zu dem Schluss, dass im Laufe der Weiterentwicklung einer Theorie diese nicht mehr an der Erfahrung, sondern nur an sich selbst überprüft wird, letztlich also nichts Empirisches mehr enthält.“

Für die weitere Diskussion schlage ich vor, dass wir die Frage: „Hat Feyerabend recht?“ Im Folgenden ausklammern, damit wir uns nicht mit der Frage beschäftigen müssen, was Feyerabend wirklich gemeint hat und ob wir ihn richtig verstanden haben.
.
[Die Vorliebe der Philosophen für Textinterpretation (was wohl ein Erbe der Theologie ist) führt oft dazu, dass man zu den Sachfragen gar nicht kommt, sondern in der Auslegung der Bücher verbleibt, bzw. die Sachfragen nur durch die Brille dieser Texte sieht.]

Nach diesem kleinen Seitenhieb nun zur Sache.

Zum einen bleibe ich bei der These, dass ein und derselbe Bereich der Wirklichkeit – nehmen wir als Beispiel ein bestimmtes Auto – auf beliebig viele verschiedene Arten beschrieben werden kann und dass es deshalb auch keine vollständige oder endgültige Beschreibung der Wirklichkeit geben kann.

Der Hinweis von fockd: „Der Sachverhalt ergibt sich aus dem, was Du an einer Sache betrachten willst“, steht dazu nicht in Widerspruch, denn man kann unter den verschiedensten Interessen an ein Auto herangehen, als Fahrzeug, als Notunterkunft, als Tötungswaffe, als Altmetall, als Prestigeobjekt, als Sportgerät usw. usf.

In Bezug auf empirische Theorien gilt diese Beliebigkeit nicht. Ihre Aufgabe ist ja die Erklärung bzw. Voraussage bestimmter Ereignisse. Es kommen also nur solche Theorien in Frage, die das betreffende Ereignis erklären können. Dazu muss das Ereignis aus der Theorie logisch abgeleitet werden. Das setzt aber voraus, dass die Theorie einen Begriff zur Bezeichnung dieses Phänomens enthält.

Wenn das Faktum des Donners erklärt werden soll, so kommen dazu nur Theorien in Frage, die Aussagen über sehr laute Geräusche beinhalten.

Eine lang geglaubte Erklärung des Donners bestand darin, dass der Gott Thor aus Wut seinen Riesenhammer geworfen habe.

Die moderne Theorie geht dagegen wohl von Druckwellen aus, die durch die enorme Hitze des Blitzes und die dadurch hervorgerufene kurzzeitige Erzeugung eines Vakuums entstehen.

Beide Theorien geben eine logische Erklärung des Donners.

Die Hammertheorie kann jedoch keine Antwort auf die Frage geben, warum der Donner in unterschiedlichen zeitlichen Abstand zum Blitz zu hören ist. Insofern die Theorie von der Ausbreitung der Druckwellen in der Luft diesen Unterschied erklären kann, ist sie zumindest in diesem Punkt der Hammertheorie überlegen.

Für die modernen physikalischen Theorien ist die Beobachtungsebene meiner Ansicht nach nicht problematisch. Hier werden im wesentlichen Messinstrumente abgelesen. Die Problematik liegt hier eher auf der Ebene der nicht direkt wahrnehmbaren hypothetischen Konstrukte wie z.B. „Schallwelle“.

Ein und dasselbe Phänomen kann von zwei miteinander nicht zu vereinbarenden Theorien erklärt werden, ohne dass es immer möglich ist, eine der beiden zu widerlegen. Deshalb können verschiedenen Theorien gleichzeitig rational vertretbar sein.

Allerdings werden Naturwissenschaftler alles daransetzen, diesen Zustand möglichst zu beseitigen und experimentelle Anordnungen entwerfen, die eine Entscheidung für die eine oder die andere Theorie ermöglichen.

Es grüßt Euch Eberhard.
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von homo_sapiens am 04. Mai 2005, 10:59 Uhr
________________________________________



..... also ich bin ganz sicher in einem irren haus !

weil wenn jemand auf einer titanic
über begriffsanfänge redet .....

und nicht über das wesen der lage .....

dann kann das mit inteligenz nichts zu tun
sondern nur mit verantwortungslosem wahnsinn .......


________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von Abrazo am 04. Mai 2005, 15:15 Uhr
________________________________________
Hi, Eberhard,

Begriffsbildung bzw. -modifizierung: könnten wir uns darauf einigen, was mit dem Begriff Beschreibung gemeint ist? Ich gebrauche den Begriff so, dass man die Wahrnehmung eines statischen Zustandes (Bild, Objekt) in Worten 'abbilden' (festhalten oder kommunizieren) will oder die Wahrnehmung eines dynamischen Vorganges in der Zeit. Ich fasse darunter nicht, welche Bedeutung man dieser Wahrnehmung oder einem Teil dieser Wahrnehmung gibt. Denn auch wenn die zugeschriebene Bedeutung die Wahrnehmung beeinflusst, gehört sie m.E. doch zum Bereich des Denkens.

Damit wird die Möglichkeit beliebig vieler Beschreibungen, deren Ursache unterschiedliches Zuschreiben von Bedeutungen ist (Notunterkunft, Altmetall usw.) zu einem dialektischen Problem, das dadurch lösbar ist, dass Du der Beschreibung zufügst: dieses Objekt kann unter den folgenden Aspekten gesehen werden als ... .

Beispiel: Wittgensteins Hasen-Enten-Kopf. Du kannst ihn beschreiben als die Zeichnung eines Hasenkopfes, der nach links schaut. Du kannst ihn beschreiben als die Zeichnung eines Entenkopfes, der nach rechts schaut. Damit hast Du einen unvereinbaren Widerspruch: ein und derselbe Gegenstand ist theoretisch gleichzeitig dies und das.

Wenn Du ihn aber beschreibst als die Zeichnung eines Vexierbildes, das Du, je nach der Bedeutung, die Du diesem Artefakt gibst, als Hasenkopf oder als Entenkopf sehen kannst, hast Du keinen Widerspruch mehr.

Gleichzeitig folgt daraus meiner Ansicht nach, dass es nur eine allgemein gültige Beschreibung dieses Objektes gibt: nämlich die Beschreibung der Form und Verteilung der schwarzen Linien auf dem Papier. Und diese Art der Beschreibung ist ja im Grunde das, was wir mit dem Wort objektiv meinen.

(Ich glaube es wäre an der Zeit, auch die Dialektik mal wieder aus der Mottenkiste zu holen ...)

Gruß


________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von Eberhard am 04. Mai 2005, 17:18 Uhr
________________________________________
Hallo abrazo,

Ich unterscheide einen beschreibenden Satz einmal von einem erklärenden Satz.

In einem beschreibenden Satz wird ausgesagt, wie etwas beschaffen ist. [„Das Auto ist rot und ist mit Nebelscheinwerfern ausgestattet.“]

In einem erklärenden Satz wird ausgesagt, warum etwas so ist, wie es ist. [„Das Auto ist rot, weil ich eine entsprechende Bestellung aufgegeben habe.“]


Zum andern unterscheide ich einen deskriptiven Satz von einem präskriptiven Satz. Ein präskriptiver Satz besagt, wie etwas beschaffen sein soll. [„Das Auto soll rot sein.“]

Beschreibungen müssen nicht die Wiedergabe von Wahrnehmungen sein. Ich kann auch ein nur vorgestelltes Objekt beschreiben. [„Der Erzengel Gabriel trägt in der Hand ein Schwert aus Flammen.“]

Du benutzt den Begriff „Beschreibung“ für das „Festhalten eines uninterpretierten Sinneseindrucks in Worten“ also eine sehr spezielle Art von Sätzen.

Mir kommt es jedoch auf die genannten Unterscheidungen an, weshalb ich den Begriff „Beschreibung“ nicht anderweitig vergeben möchte.

Es grüßt Dich Eberhard.
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von Abrazo am 04. Mai 2005, 19:55 Uhr
________________________________________
Hi, zusammen,

prima, Eberhard.

Ohne die Klärung der Bedingungen für die Begriffsbildung kann es m. E. keine brauchbare Wissenschaftstheorie geben.

Also, ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit reicht mir das, was inzwischen alles gesagt worden ist, aus, mit der Klärung der Bedingungen anzufangen.

(Mag keine theoretischen Luftschlösser. Will festen Boden unter den Füßen haben.)

Gruß
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von Eberhard am 05. Mai 2005, 07:34 Uhr
________________________________________
Hallo allerseits,

Muss es zwischen dem Begriff als dem sprachlichen Zeichen und der Wirklichkeit als dem damit Bezeichneten eine strukturelle Entsprechung geben? Ich meine: Nein.

Allerdings erleichtert eine strukturelle Ähnlichkeit zwischen Zeichen und Bezeichnetem das Erlernen und Merken der Zeichen bzw. Begriffe.

ich will das am Beispiel der Zahlen verdeutlichen.

Wir haben in der Wirklichkeit z.B. Folgendes: ( -> -> -> -> )

Um diese Vielheit von gleichartigen Einheiten zu beschreiben, erfinde ich für die Größe der Vielheit Schriftzeichen und kann nun schreiben:

„ |||| ->“.

(Die Art der Elemente symbolisiere ich dabei durch entsprechende Nachbildungen.)

Und für ( Y Y Y Y Y YYY Y Y Y YYY) kann ich schreiben:

„|||||||||||||| Y“.

Damit habe ich ein im wahrsten Sinne des Wortes „ein“faches Zahlensystem, das nur eine Ziffer kennt, den senkrechten Strich „|“, und das die verschiedenen Vielheiten durch Folgen von entsprechend vielen Strichen bezeichnet.

Größenmäßig geordnet habe ich dann die Zahlen: | - || - ||| - |||| - ||||| - |||||| - ||||||| - |||||||| - usw. usf.

Hier haben wir eine strukturelle Entsprechung zwischen der bezeichneten Wirklichkeit und dem Zeichen, weshalb das Erlernen dieses Zahlensystems kinderleicht ist.

Allerdings ist es nicht sehr komfortabel in der Anwendung, da man etwa ab der Zahl ||||| schon leicht durcheinander kommen kann und die verschiedenen Zahlen nicht mehr auf den ersten Blick erkennen und unterscheiden kann, sodass es zu Verwechselungen kommen kann.

Deshalb ist das Dezimalsystem, das alle Zahlen durch eine systematische Kombination der Ziffern 0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8 und 9 bildet, sehr viel praktischer.

Hier gibt es jedoch keine strukturelle Ähnlichkeit mehr zwischen der Wirklichkeit und dem Zeichen für diese Wirklichkeit, wenn man einmal davon absieht, dass wir zehn Zehen (!) haben, die sich wunderbar abzählen lassen.

Ähnlich ist es mit anderen Zeichen. Eine Bilderschrift wie die Hieroglyphen oder das Chinesische haben zwar strukturelle Ähnlichkeiten zwischen Zeichen und Bezeichnetem, jedoch erweist sich ein Lautschrift der gesprochenen Worte, die nur 25 Buchstaben benötigt einer Bilderschrift, die mehrere Tausend Zeichen kennt, in der Praxis als überlegen.

Aus didaktischen Gründen gibt es auch die lautmalerische Kindersprache mit „Wauwau“, „Miau-Katze“, „Muh-Kuh“ und „Husch-Husch-Eisenbahn“ (aus dem Zeitalter der Dampfloks).

Eine solche akustische Strukturähnlichkeit ist jedoch keineswegs nötig. Es genügen eindeutige Regeln für die Zuordnung der Zeichen zu bestimmten Dingen, Verhältnissen und Operationen, damit eine Zeichensprache zur Beschreibung der Wirklichkeit und zu anderen Zwecken geeignet ist,

meint Eberhard.
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von Abrazo am 05. Mai 2005, 13:06 Uhr
________________________________________
Hi,

hm.
Was ist mit struktureller Entsprechung gemeint? Die gleiche äußere Gestalt?
Und was ist mit Regel gemeint? Dass man sich nach Belieben etwas praktikables ausdenkt und das dann verbindlich festlegt?

Was unterscheidet (YYY) von (YY)? (YYY) sieht anders aus als (YY). Was unterscheidet (XXX) von (YYY)? X sieht anders aus als Y. Aber (XXX) und (YYY) sehen beide anders aus als (XX) und (YY). Also kann ich sagen, (XXX) und (YYY) haben vom Aussehen her beide die gleiche Eigenschaft (!). Diese Eigenschaft nenne ich drei. (XX) sieht nicht aus wie drei. Sieht aber aus wie (YY). Also nenne ich die Eigenschaft, in der (XX) und (YY) sich gleichen, aber von (XXX) und (YYY) unterscheiden, zwei.
Habe ich da nicht auch eine Struktur drin, die allerdings nicht der äußeren Gestalt des Wahrgenommenen entspricht, sondern unserer Wahrnehmungsfähigkeit und ihrer (gedanklichen?) Verarbeitung?

Jetzt kommt ein Riesenloch. Wieso kann ich eigentlich die Eigenschaft drei vom Wahrgenommenen separieren und sagen, dass sowohl (XXX) als auch (YYY) beide diese Eigenschaft haben?

Grüße
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von oskar am 05. Mai 2005, 15:07 Uhr
________________________________________
Seid alle gegrüßt,

hallo Abrazo,

das Verständnis deines Beitrags #10 vom 2. 5. bereitet mir immer noch Schwierigkeiten. Ehe ich dazu etwas sage oder frage muss ich noch mehr lesen und nachdenken. Deine Ausführungen in der Antwort #15 vom 4. 5. leuchten mir dagegen nicht nur ein, sondern entsprechen im wesentlichen meinen Auffassungen. Das gilt auch für die Bemerkung in der Antwort #21: Mag keine theoretischen Luftschlösser. Will festen Boden unter den Füßen haben - falls du nicht damit eine grundsätzliche Abneigung gegen alle Theorie verbindest. Ich halte es diesbezüglich mit Ludwig Boltzmann: Es gibt nichts Praktischeres als eine wirklich gute Theorie.

Der letzte Absatz in der Antwort #15:

Quote:
Und nebenbei erklärt es auch, warum wir von Anfang an Prioritäten setzen: das Chaos im Wahrnehmungsraum des Neugeborenen beginnt sich dann zu lichten, wenn es durch ständig wiederholte Wahrnehmung das immer gleich bleibende Gesicht derjenigen Person, die es versorgt, die es mit sich herumschleppt und die sein Überleben sichert, in seinem Wahrnehmungsraum unterscheiden kann. Bildlich gesprochen: im weißen Rauschen der Sinneseindrücke unterscheidet sich dieses Gesicht durch die Bedeutung, die es hat, so, wie wir von allen Geräuschen immer nur die hören, die eine Bedeutung für uns haben könnten.


betrifft direkt das, worauf es mir ankommt:
- Wiederholung von etwas Gleichbleibendem in den Sinneseindrücken
- Bedeutung für das Subjekt
Die Begriffsbildung unterliegt also zwei Bedingungen: einer objektiven und einer subjektiven.

Die subjektive Bedingung hat Ernst Mach im Abschnitt "Der Begriff" seiner Schrift "Erkenntnis und Irrtum", 3. Aufl. 1917 ausführlich behandelt - nachzulesen in der insgesamt empfehlenswerten CD Digitale Bibliothek (http://www.digitale-bibliothek.de) Band 2: "Philosophie von Platon bis Nietzsche"

Die objektive Bedingung wird oft zu eng gesehen und scheint dann weder für Beistelltische und Spiele noch für Photonen zuzutreffen, also gar keine notwendige Bedingung mehr zu sein. Bei einer allgemeineren Betrachtungsweise, die auch die Eliminierung des naiven Realismus durchhält und sich wirklich nur auf die Sinneseindrücke und deren teils unwillkürlich und unkontrolliert ablaufende teils bewusst vollzogene logisch-mathematische Analyse bezieht, ist das aber nicht der Fall. Hier kommt es nur auf das wiederholte Auftreten gleichartiger oder in irgendeiner Hinsicht vergleichbarer Beziehungen zwischen gleichzeitigen oder aufeinanderfolgenden Sinneseindrücken an. Dabei braucht man zunächst nicht zwischen Dingen, Tätigkeiten, Liedern, Leitungsstrukturen usw. zu unterscheiden, muss aber neben den offensichtlichen, sofort erkennbaren Beziehungen auch alle verborgenen einbeziehen. Viele davon werden erst nach und nach durch die Wissenschaften aufgedeckt und führen zur Bildung neuer Begriffe.

Das ist meine Ansicht, sie ist aber nach meiner Kenntnis philosophisch nicht akzeptabel, wenn die "verborgenen Beziehungen" die von den Wissenschaften aufgedeckten sind; denn schließlich ist eines der Ziele der Überlegungen der Nachweis, dass die von den Wissenschaften formulierten Beziehungen tatsächlich ihren Grund in dem haben, was die (miteinander kommunizierenden) Menschen im Laufe ihres Lebens an Empfindungen über ihre Sinnesorgane aufgenommen haben, und nicht etwa allein durch eine immer intensivere Kommunikation zu Stande kommen. Es wäre ein Zirkelschluss, wenn man dafür auf spezielle wissenschaftliche Ergebnisse zurückgriffe. Die ganze Angelegenheit steht und fällt mit dem direkten Nachweis, dass die für die Beschreibung der Sinneseindrücke und ihrer zeitlichen Veränderungen geeigneten Beziehungen und Gesetzmäßigkeiten in der Gesamtheit dieser Sinneseindrücke enthalten sein müssen. Dieser Nachweis ist, soweit ich erkennen kann, nur mathematisch mit der Kodierungstheorie möglich. Lässt man sich nicht auf die Mathematik ein, dann gibt es keinen Nachweis.

Die Naturwissenschaften gehen davon aus, dass es für die Begriffsbildung objektive Bedingungen gibt, die beispielsweise zwangsläufig dazu führten, Phlogiston und Ätherwellen aus der Liste der sinnvollen Begriffe zu streichen. Naturwissenschaftler können sich auf den Standpunkt von Hanspeter stellen, dass die Diskussion und der Versuch der Widerlegung anderer Ansichten vertane Zeit ist. Es kommt hier aber nicht auf die Naturwissenschaften an, die ihren Weg ohnedies unbeirrt fortsetzen. Liest man beispielsweise die von namhaften Vertretern der jetzt aktiven Philosophengeneration verfassten Beiträge zu den in den 90er Jahren an der FU Berlin unter der Leitung von Prof. Sybille Krämer durchgeführten und in Buchform veröffentlichten Ringvorlesungen mit den Themen "Geist - Gehirn - künstliche Intelligenz" und "Medien - Computer - Realität", so gewinnt man den Eindruck, dass mehr und mehr nur die Kommunikation als Quelle der Erkenntnis angesehen wird und der Unterschied zwischen Wirklichkeit und Virtualität verschwindet. Ich halte diese Entwicklung für gefährlich.

Oskar
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von oskar am 05. Mai 2005, 16:54 Uhr
________________________________________
Hallo Eberhard,


Quote:
Muss es zwischen dem Begriff als dem sprachlichen Zeichen und der Wirklichkeit als dem damit Bezeichneten eine strukturelle Entsprechung geben? Ich meine: Nein.


Die Frage ist gut. Soweit ich weiß, bezog sich schon Rudolf Carnap in "Die logische Struktur der Welt" auf strukturelle Entsprechungen. Wenn wir uns aber nicht für das Zustandekommen sprachlicher Zeichen interessieren, sondern wissen wollen, welche Bedingungen für die Bildung von Begriffen maßgebend sind, dann ist höchstens die strukturelle Entsprechung von Teilen vieler verschiedener Felder von Sinneseindrücken (augenblicklicher Wahrnehmungsräume) von Bedeutung, die uns veranlasst, diese Struktur zu benennen, um sie nicht jedesmal wieder in ihren Einzelheiten beschreiben zu müssen.

Die Möglichkeiten komprimierter formaler Darstellungen von Strukturen werden übrigens in der Theoretischen Informatik im Zusammenhang mit der Kolmogoroff-Komplexität behandelt. Das ist aber Mathematik.

Übrigens, um hier nicht als Hochstapler dazustehen: ich bin nur Hobby-Philosophierer. Beruflich habe ich u. a. mit Messungen und Fragen der Strukturerkennung in Messwertreihen mit Hilfe statistischer Auswertungen zu tun.

Gruß, Oskar
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von Eberhard am 05. Mai 2005, 19:49 Uhr
________________________________________
Hallo Abrazo,

Du fragst, was ich mit einer „strukturellen Entsprechung" zwischen Begriff und Wirklichkeit meine. Anstatt von „struktureller Entsprechung“ könnte man auch von einer „irgendwie gearteten Ähnlichkeit“ sprechen. Wenn z.B. ein Topf durch das Zeichen „|_|“ symbolisiert wird, so gibt es eine Ähnlichkeit der Form zwischen dem realen Topf und dem Zeichen für Topf.

Bei dem „einfachen“ Zahlensystem gibt es eine operative Ähnlichkeit zwischen den Zahlensymbolen und den damit bezeichneten Vielheiten, worunter ich Zusammenfassungen gleichartiger Einheiten verstehe.

Nehmen wir z.B. die Vielheit (# # ## #) und das entsprechende Zeichen |||||.

Wenn ich jedes Mal, wenn ich von der realen Vielheit (# # ## #) ein # wegnehme, auch von ||||| ein | wegnehme, dann habe ich dann, wenn ich kein # mehr habe, auch kein | mehr. Dies gilt für Vielheiten mit Einheiten jeglicher Art.

Zwischen (XXX) und (§§§) und (&&&) gibt es auch eine Ähnlichkeit, die man mit „3“ bezeichnen kann, wie Du schreibst. Allerdings ist das keine Ähnlichkeit zwischen Zeichen und bezeichneter Wirklichkeit sondern zwischen verschiedenen Bereichen der Wirklichkeit.

Zu Deiner anderen Frage. Mit eindeutigen „Regeln“ der Zuordnung zwischen Zeichen und Bezeichnetem meine ich eine Festlegung darüber, was ein bestimmtes Zeichen bezeichnet. Bei Zahlen, die in einer bestimmten Folge stehen, kann man dies durch „abzählen“ der gleichartigen Einheiten, also wiederholtes Hinzufügen einer gleichartigen Einheit erreichen.

Zahlen lassen sich nicht unmittelbar durch einfaches Hinsehen erkennen. Man kann z.B. nicht durch einfache Wahrnehmung entscheiden, ob (§§ §§§§§ §§§§§§§§§) dieselbe Zahl an § enthält wie (§ §§§ §§§§§§§ § §§§§).

Insofern verstehe ich Deine abschließende Frage nicht ganz.

Es grüßt Dich und andere Interessierte Eberhard.
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von Abrazo am 06. Mai 2005, 10:43 Uhr
________________________________________
Hi, Eberhard,

Zahlen lassen sich nicht unmittelbar durch einfaches Hinsehen erkennen.
Das stimmt nur teilweise. Mengen bis 6 lassen sich mit dem bloßen Auge erkennen. Entsprechende Spuren findest Du in Sprache und Überlieferung: die 7 ist böse, zwei Sechsermengen sind ein Dutzend und die 13 ist auch böse. Schließlich rechneten die Babylonier mit dem 6-er-System. Darum behaupte ich, bis zur Zahl 6 ist die Anzahl eine Eigenschaft. Alles darüber hinausgehende ist die Entwicklung einer Regel.

Auch für das konkurrierende System des Rechnens mit den Händen gilt: die Anzahl der Finger einer Hand kann man mit bloßem Auge erfassen und zwei Hände sind ein Paar (vgl. den in manchen Sprachen noch vorkommenden Dual; offenbar war in diesen Sprachen die grammatikalische Unterscheidung zwischen eins, Paar und viele bedeutsam).

Wenn ich von Struktur rede, denke ich an etwas anderes als an die visuelle Abbildung, die man allerdings, da gebe ich Dir recht, auch nicht ganz vernachlässigen sollte. Meiner Ansicht nach gibt es eine enge Beziehung zwischen der von unserer Konstitution abhängigen Wahrnehmung und unserem Denken, die sich in der Sprache spiegelt. Für Objekte (Nomen) und Vorgänge (Verben), die wir wahrnehmen, gibt es Namen. Das Namen wegen der Vielzahl gleichartiger Objekte zu Begriffen werden (z.B. Baum), erscheint mir nicht weiter verwunderlich (Frage: sind Welt, Erde, Gott/Götter und Teufel Begriffe? Anscheinend setzt der Begriff eine unüberschaubare Vielheit voraus).

Mir ist aber noch nicht klar, wieso eine Eigenschaft, die ein Objekt mit etlichen ganz anderen teilt, gedanklich von diesen Objekten abgelöst und benamt werden kann wie ein Objekt oder ein Vorgang.

Die Gleichartigkeit von Eigenschaften halte ich, neben der Gleichartigkeit von Objekten, für einen zentralen Punkt der Begriffsbildung.

Grüße an alle
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von homo_sapiens am 06. Mai 2005, 11:18 Uhr
________________________________________




..... also ich bin einfach fasziniert !

wie ihr das wesen der welt nicht erfassen wollt
also philosophie betreiben .....

sondern euch ab lenken
und euch etwas darauf ein bilden

daß ihr das problem seid .......


________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von Eberhard am 07. Mai 2005, 07:02 Uhr
________________________________________
Hallo allerseits, hallo Abrazo,

Die Frage „Wie entstehen Begriffe?“ stellt sich auf verschiedenen Ebenen.

A. Zum einen gibt es eine Neubildung von Begriffen als Weiterentwicklung einer existierenden Sprache. Die Frage ist: Warum werden bestimmte neue Begriffe gebildet und der existierenden Sprache hinzugefügt? Das ist wohl der Ausgangspunkt von Oskar gewesen.

B. Zum andern erlernt ein Individuum beim Erlernen einer Sprache auch die Begriffe dieser Sprache. Wie vollzieht sich dieser Lernprozess?

C. Zum Dritten gibt es die Entwicklung von der Kommunikation der Tiere hin zur begrifflichen Sprache des Homo sapiens (ich meine den echten Homo sapiens und nicht den Quälgeist dieser Runde). Wie kann man sich das Entstehen einer solchen Sprache vorstellen?

Zu A:

Hier gibt es verschieden Gründe für die Neubildung von Begriffen. Das normalste sind wohl Begriffe, die für die Benennung neuer Sachverhalte benötigt werden. Die rapide Entwicklung der Computertechnik und ihre Anwendung auf immer mehr Bereiche hat eine Flut neuer Begriffe mit sich gebracht bis zu solchen sprachlichen Neuschöpfungen wie: „Ich habe die Datei gedownloadet“.

Neben der Benennung neuartiger Sachverhalte sehe ich noch drei Gründe für ein Aufkommen neuer Begriffe.

1. Die Vereinfachung der Verständigung.

Statt immer umständlich sagen zu müssen: „Satz, der eine Aufforderung zu einem bestimmten Handeln bzw. Unterlassen enthält“ kann man den Begriff „normativ“ durch nominale Definition einführen und stattdessen sagen: „normativer Satz“.

2. Die Unterscheidung von Sachverhalten.

So scheint es z.B. sinnvoll, zu sein, innerhalb des Utilitarismus zwischen einem „Handlungsutilitarismus“ und einem „Regelutilitarismus“ zu unterscheiden.

Bei Anwendung des Regelutilitarismus ist es z.B. nicht zulässig, ein Versprechen abzugeben und es dann nicht einzuhalten mit der Begründung, die Einhaltung des Versprechens sei nicht vereinbar mit dem Utilitarismus, da es eine andere Handlungsalternative gäbe, die zu größerem allgemeinen Glück führe als die versprochene Handlung.

Damit treffen auf den Regelutilitarismus verschiedene Kritikpunkte nicht mehr zu, die gegen den Utilitarismus im Allgemeinen erhoben werden.

3. Der Ersatz einer bisher geltenden Theorie durch eine andere.

Wenn sich die Fälle mehren, in denen eine bisher vorherrschende Theorie versagt (weil sie bestimmte Phänomene nicht erklären kann oder weil sie zu falschen Voraussagen führt), kann es sinnvoll sein, diese Probleme nicht durch die Einführung von immer mehr willkürlich postulierten Ausnahmen von der eigentlichen Theorie zu entschärfen, sondern eine von Grund auf neuartige Theorie zu entwickeln, die den wahrgenommenen Fakten besser entspricht und diese besser erklärt.

Die neue Theorie wird dabei auch neue Begriffe enthalten. So kann eine biologische Theorie, die von einem gleich bleibendem Bestand an Tierarten auf der Erde aufgrund eines einmaligen Schöpfungsaktes ausgeht, nicht erklären, weshalb es in Australien ganz andere Tierarten gibt – z.B. die Beuteltiere – als in der Alten Welt.

Durch die Evolutionstheorie, die neue Begriffe wie Gen, Vererbung, Mutation, Artenkonkurrenz etc. enthält, konnte dagegen die bestehende Artenvielfalt erklärt werden.

Zwar gibt es unter Umständen längere Zeiträume, in denen unterschiedliche Theorien nebeneinander bestehen und sogar rational vertretbar sind, aber da die Fakten nicht durch die Theorien hervorgebracht werden, sondern durch unmittelbare Wahrnehmung der Wirklichkeit, kommen Theorien in Konflikt mit diesen Fakten und können nicht beliebig aufrechterhalten werden, wenn es in einer Gesellschaft Informations- und Meinungsfreiheit gibt.

Hier will ich erstmal Schluss machen. Es grüßt Dich und alle an der Klärung unseres Denkens Interessierte Eberhard.
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von homo_sapiens am 07. Mai 2005, 10:31 Uhr
________________________________________
Zwar gibt es unter Umständen längere Zeiträume, in denen unterschiedliche Theorien nebeneinander bestehen und sogar rational vertretbar sind, aber da die Fakten nicht durch die Theorien hervorgebracht werden, sondern durch unmittelbare Wahrnehmung der Wirklichkeit,




.... wenn ihr doch aber ein unter bewußtsein habt !?





kommen Theorien in Konflikt mit diesen Fakten und können nicht beliebig aufrechterhalten werden, wenn es in einer Gesellschaft Informations- und Meinungsfreiheit gibt.




.... wenn ihr doch aber ein unter bewußtsein habt !?

das alles ausschließt
das dem massen schwachsinn widerspricht .....


________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von Abrazo am 11. Mai 2005, 22:29 Uhr
________________________________________
Hi an die Runde, hi Eberhard,

zu A möchte ich auf etwas hinweisen, das imho noch zu wenig beachtet worden ist: die von vorn herein bestehenden Möglichkeiten zur Entwicklung neuer Wörter, vor allem Begriffe, in der Sprache. Denkt allein nur an die Begriffsbildung durch die Suffixe -heit und -ung. In anderen Sprachen, z.B. im Arabischen, gibt es noch weitaus mehr Möglichkeiten der Wort- und Begriffsbildung. Eine Untersuchung über Begriffsbildung müsste m.E. erst einmal da ansetzen: welche Regeln gibt es zur Bildung neuer Begriffe - und welche zu ihrer Anwendbarkeit. Denn noch lange nicht alle möglichen Begriffe werden ja auch gebraucht. Da dürfte sich vieles über unser Wahrnehmen und Denken finden lassen.

B ist in der Tat seltsam.

Zu C habe ich tatsächlich die Hypothese, dass Tiere kein philophisches Ich haben. Das heißt, sie können die Welt nur von innen, nicht von ihrer Grenze her betrachten. Dadurch fehlt ihnen natürlich nicht die Erinnerung, wohl aber der Überblick über Vergangenheit, Gegenwart und mögliche Zukunft und damit über die Kontinuität der Zeit. Als Folge fehlen sowohl 'Ursachenforschung' als auch Planung. Es gibt ein paar von mir beobachtete Phänomene, die mich darauf schließen lassen.

Bei der Begriffsbildung allerdings bin ich mir nicht schlüssig, wie wir die von 'Begriffen' des Viehzeugs abgrenzen wollen. Wenn wir sagen, Baum kann ein Begriff sein, wenn damit nicht das einzelne Objekt, sondern alle gleichartigen gemeint sind, so sind 'Stöckchen' und 'Bällchen' ebenso Begriffe - und die versteht ein Hund.
Denk mal an den Anfang von Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen. Da prüft er die Möglichkeit einer Sprache, die nur aus ganz wenigen Zeichen besteht: Platte, Zeichen für die Farbe, Abzählen der Anzahl. Man kann damit arbeiten, sich z.B. beim Bauen die entsprechenden Gegenstände bringen lassen.
Das kann ein Tier aber auch. Wenn ich meinem Hund sagen würde, 'was immer du tust, hör sofort auf damit, dreh dich um, laufe zu mir und bleib an meiner linken Seite stehen' würde er mich nicht verstehen. Also brülle ich 'Fuß!'. Das meint genau das selbe, den ganzen Vorgang und ist nur ein kurzes Wort; aber das versteht er. Hat er gelernt. Learning by doing.
Ich glaube nicht, dass Tiere keine Begriffe bilden können; sie können allerdings ganz erheblich schlechter differenzieren.

Beim Thema Theorien dürfte es imho hauptsächlich um Begriffe gehen, die Ursachen und Zusammenhänge bezeichnen. Denn wenn eine neue Tätigkeit - downloaden - oder ein neues Objekt - Quarks - entdeckt, gefunden oder erdacht wird, braucht das Kind auch einen Namen und wenn der zu einem Begriff wird, ist es eigentlich kein großes Problem.

Problematischer ist es, wenn Begriffe Zusammenhänge oder Ursachen bezeichnen. Die sind nämlich erdacht und damit stellt sich die Frage, ob sie sinnvoll sind oder nicht. Da wird es also gefährlich. Wir können von Vererbung sprechen. Kann man sich seit Jahrhunderten etwas drunter vorstellen. Begriff ist klar. Sprechen wir aber von Mutation, so ist dieser Begriff imho nur scheinklar. Wir müssen nämlich nicht wissen, wie Mutation abläuft, wir brauchen uns auch nichts darunter vorzustellen. Und wenn ich genauer darüber nachdenke, fällt mir auf, dass Mutation eigentlich nur der Komplementbegriff zu Vererbung ist: alles, was nicht auf Vererbung zurückzuführen ist, ist eben Mutation.

Da wir in Teil- und Komplementmengen denken: müssen wir zu einem Begriff nicht auch immer den komplementären schaffen, wenn nicht, schafft er sich quasi selbst?

(Aber ich glaube, meine Gedanken marschieren mal wieder zu weit weg ... denn wenn Begriffe nach komplementären Begriffen verlangen, kann man theoretisch mit einem unsinnigen Begriff eine ganze falsche Theorie oder gar Weltanschauung bauen.)
Grüße
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von homo_sapiens am 12. Mai 2005, 09:39 Uhr
________________________________________
Zu C habe ich tatsächlich die Hypothese, dass Tiere kein philophisches Ich haben. Das heißt, sie können die Welt nur von innen, nicht von ihrer Grenze her betrachten. Dadurch fehlt ihnen natürlich nicht die Erinnerung, wohl aber der Überblick über Vergangenheit, Gegenwart und mögliche Zukunft und damit über die Kontinuität der Zeit. Als Folge fehlen sowohl 'Ursachenforschung' als auch Planung. Es gibt ein paar von mir beobachtete Phänomene, die mich darauf schließen lassen.



...... könnt ihr deshalb so leistungsfähig katastrophen kreieren ?
und das so eingebildet !

so hartnäckig ......

weil ihr kein gesamt bewußt sein habt ?
sondern von der masse beschlag nahmt wurdet

ihren wahnsinn zu propagieren .....

denkt nur mal an vor 60 jahren !
und arbeit schaffen !

________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von Eberhard am 15. Mai 2005, 09:56 Uhr
________________________________________
Hallo Abrazo,

zum Aufkommen neuer Begriffe, die in erklärenden Theorien benutzt werden, wie z.B. der Begriff „Mutation“ in der Genetik.

Grundsätzlich lässt sich eine bestimmte Menge gegebener Fakten nicht nur durch eine einzigeTheorie erklären, sondern es sind verschiedene theoretische Konstruktionen denkbar, mit denen diese Fakten erklärt werden können. Dies ist das Richtige am Konstruktivismus.

Nehmen wir als Beispiel das unbestrittene Faktum, dass sich Pflanzen- und Tierarten an Veränderungen ihrer Umwelt „anpassen“. So kann es bei langfristigen Änderungen des Klimas dazu kommen, dass sich neue Varianten der bisherigen Pflanzenarten herausbilden, die z.B. größere Kälte oder längere Trockenperioden vertragen als die bisherigen Arten.

Man kann dies Faktum nun verschieden erklären. In der Sowjetunion wurde über viele Jahre die „Milieutheorie“ vertreten, die solche Veränderungen der Arten mit dem Einfluss von Umweltfaktoren erklärte. Die stalinistischen Wissenschaftler waren der Meinung, dass nur diese Theorie mit der offiziellen „historisch-materialistischen Weltanschauung“ des Arbeiter- und Bauernstaates vereinbar sei.

Demgegenüber erklärte die genetische Theorie die Veränderungen der Arten durch Unterschiede im genetischen Material, die u.a. durch Mutationen hervorgerufen werden. Die genetisch unterschiedlichen Varianten besitzen nun unterschiedliche Überlebens- und Vermehrungschancen, was zu einer Auswahl der besser angepassten genetischen Varianten führt.

Die genetische Theorie erwies sich der Milieutheorie in Bezug auf ihre Erklärungskraft schließlich als überlegen. Entscheidend für ihre weltweite Durchsetzung waren die großen Erfolge der genetischen Theorie bei der gezielten Entwicklung neuer Pflanzenarten bzw. -varianten mit bestimmten erwünschten Eigenschaften.

Fazit: Die Einführung neuer Begriffe ist dann gerechtfertigt, wenn sich mit ihnen Theorien formulieren lassen, die die Fakten besser erklären als die bestehenden Theorien. Die Brauchbarkeit eines Begriffs bzw. die Brauchbarkeit einer bestimmten Definition eines Begriffs bemisst sich an der theoretischen Fruchtbarkeit des so definierten Begriffs.

Es grüßt Dich Eberhard.
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von ewiganfangender am 15. Mai 2005, 12:35 Uhr
________________________________________
Grüsse an die Runde,

ich habe den Thread überflogen, vieles überlesen, möchte aber dennoch etwas dazu mitteilen. Begriff kommt doch von begreifen, also etwas greifen. Dieses Greifen von etwas ist die Abstraktion, das Abziehen. Ich ziehe von etwas mir Vorgestelltem ab, nicht alles, nur einen Teil. Und dieser Teil wird umgeformt in sprachliche Codes (Buchstaben, Zahlen), steht dann repräsentativ (als Begriff) für diejenige Art Vorstellung da, die mir passierte, vorüberging. So ist alles Begriff, was, abgezogen von etwas mir Vorgestelltem, auf der sprachlichen Symbolebene zu einem Wort wird. Namen, Zahlen, Verben, Präpositionen, Adjektive etc., dass alles sind in erster Linie Begriffe. Mit Begriffenem versuchen wir dann weiter zu begreifen. Ein Wort gibt das andere. Wenn wir sagen: 'Davon kann ich mir keinen Begriff machen' fehlt uns das Wort oder der Zusammenhang in unserem Erkenntisprozess.


________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von homo_sapiens am Vorgestern, 10:45 Uhr
________________________________________


.... seid ihr deshalb solche katatsrophen ?

weil ihr euere existenz nicht begreifen dürft .....

________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von ewiganfangender am Vorgestern, 11:15 Uhr
________________________________________
Hallo homo sapiens,

Deine Aussage: .... seid ihr deshalb solche katatsrophen ?

weil ihr euere existenz nicht begreifen dürft .....


Da triffst Du den Nagel auf dem Kopf. Gerade das Nichtbegreifen unserer Existenz führt uns zu dem katastrophalen Gedankenaustausch. (griechisch καταστροφή aus altgriechisch katá - einer Vorsilbe, die eine Umkehr oder Abwärtsrichtung ansagt und trephein - wenden). Hierbbei als Umkehrwendung gemeint, als Reflexion. Wir wollen stetig streben. Das fehlende Allerkenntnis kann man keinem vorwerfen.

Übe Dich in Zuversicht, sonst erntest Du nicht, was Du säest.
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von Jochen43 am Vorgestern, 18:16 Uhr
________________________________________
Hallo Ewiganfangender!

Im Prinzip kann ich Deiner Auffassung davon, wie ein Begriff entsteht, zustimmen. Allerdings finde ich es nicht richtig, wenn Du sagst, Die Abstraktion entsteht dadurch, daß wir von unserer Vorstellung etwas abziehen.

Die Vorstellung von etwas setzt die Abstraktion doch bereits voraus! Wenn das nicht der Fall wäre, dann hätten wir ja zwei verschiedene Vorstellungen im Kopf: Eine, von der noch nichts abgezogen wurde, und eine zweite, die erst durch das Abziehen entstanden ist.

Ist es nicht vielmehr so, daß wir von der uns umgebenden Wirklichkeit etwas abziehen und damit zu einer Vorstellung in unserem Kopf machen? Natürlich kann man dann diese erste Vorstellung ebenfalls als 'Ding' betrachten, von ihr etwas abziehen und so zu einer zweiten Vorstellung kommen. Dies wäre dann aber bereits eine Vorstellung zweiten Grades, wenn man so will. Und so kann der Abstraktionsgrad immer höher getrieben werden, bis unsere Vorstellung mit der Wirklichkeit, von der sie einmal ausgegangen war, kaum noch etwas zu tun hat.

Mit freundlichem Gruß
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von ewiganfangender am Vorgestern, 18:53 Uhr
________________________________________
Hallo Jochen43,

tatsächlich hast Du nun schon eine weiterführende Detailfrage beantwortet. Du sagst, dass unsere über die Sinne vermittelte Vorstellung bereits Abstraktion ist. De facto wird diese ja durch die determinierte Fähigkeit unsrer Sinne beinflußt, was unweigerlich zu einer Verzerrung und Verminderung des vollen Gehalts an Realität führt. Das hat ja Kant schon in seiner transzendentalen Ästhetik (KrV) über Raum, Zeit und Kausalität gesagt. Also ist es bestimmt so, dass sich die Abstraktion der Begriffe auf einem entfernteren Ranges befindet. Es muss nicht mal der 2. sein. Wer weiß durch wieviele Kanäle unsere Wahrnehmung schon wirklich geht, um irgendwann einen sprachlichen Begriff zu bilden. Die Abstraktion zum Begriff geschieht also nicht unmittelbar, sondern zieht immer von bereits Vermitteltem ab. Mit Vorstellung meine ich es wörtlich und genau: Das was mir vorgestellt wird. Wie sich also meine Umgebung in welchem durch verschiedene Sinne gekleideten Mantel zu erkennen gibt. Ich glaube auch, dass wir ohne diesen 'Mantel' nicht mit Worten (Begriffe) sprechen würden, weil diese eben immer unzureichend sind. Vermittelte Emotionen und Gedanken über Telephatie würden es dann schon eher vermögen, uns genauere Informationen über Erlebtes und Gedachtes zu transportieren.

Grüsse vom ...anfangenden.
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von Jochen43 am Vorgestern, 22:42 Uhr
________________________________________
Hallo Ewiganfangender!

Das, was Du jetzt ansprichst, nämlich, wie findet unser erster Kontakt mit der uns umgebenden Wirklichkeit statt, und auf welche Weise wird das, was wir aufnehmen, so umgeformt, daß wir es dann in unserem Gehirn wahrnehmen und im geistigen Sinne bearbeiten können, gehört, glaube ich, in das Gebiet der Neurophysiologie.

Leider ist es so, daß viele Geisteswissenschaftler auf diese 'niederen' Wissenschaften herabblicken. Aber das ist dann eine Arroganz, die für sie selbst schädlich ist, weil ihre Gedanken, abgehoben von der Realität, sich im leeren Raum bewegen. Es gibt hier im Forum leider viele Beispiele dafür.

Ich bin selbst kein Neurophysiologe, deshalb ist das, was ich jetzt sage, nur grano cum salis zu sehen. Ich hoffe, daß es dadurch nicht versalzen wird! So ist bekannt, daß das, was wir sehen - also das, was durch die Netzhaut der Augen in unsere Sehrinde gelangt, natürlich nicht das ist, was tatsächlich vor unseren Augen ist. Das wissen wir alle, wenn wir die sog. optischen Täuschungen betrachten, und immer wieder überrascht sind von ihren Auflösungen. Aber diese optischen täuschungen sind nicht nur ein großer Spaß, sondern sie beweisen, daß das Auge eben nicht eine Kamera ist, die einfach alles abbildet, wie es ist, sondern bereits ein informationsverarbeitendes System, daß Daten auswählt, unterdrückt und verändert, bevor es sie weiterleitet. Das können wir bedauern, aber so ist es.

Das wäre sozusagen die 1. Stufe der Begriffsbildung. Diese 1. Stufe läuft mehr oder weniger automatisch ab, d.h. wir können sie nicht beeinflussen. Wir stecken also - wenn man es bösartig sieht - im Korsett unserer biologischen Natur. Wenn wir uns diese Tatsache nicht bewußt machen, sind alle anderen Folgerungen auf Sand gebaut.

Mit freundlichem Gruß
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von homo_sapiens am Gestern, 09:16 Uhr
________________________________________


..... ich habe das ziel der philosophie erreicht !
und das wesen >dieser< welt erfasst .....

>weil alles nur eingebildete wesen

muß ein schmeichler
mit dem verzweifler
mit dem gauckler
mit dem verantwortungslosen
mit dem banditen konkurieren

damit er seinen betrag
zum ende der welt betragen kann

das ist natürlich nicht motivierent
deshalb diese erbärmliche sache
bald ausstirbt ......
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von ewiganfangender am Gestern, 10:10 Uhr
________________________________________
Hallo Jochen43,

es handelt sich bei der Aufnahme und Wahrnehmung durchaus um die erste Stufe der Begriffsbildung und weil diese durch die eingeschränkte, spezialisierte Tätigkeit unserer Sinne determiniert ist, kann man auch sagen, dass kein Begriff eine freie intellektuelle Vorstellungsleistung ist, sondern immer zwangsläufig das Produkt Daseins-verarbeitender, menschlicher Wahrnehmung. Der Mensch ist gezwungen, seine Welt wahrzunehmen. So geschieht die sukzessive Begriffsbildung notwendig aus dem Dasein des Menschen heraus. Seine Begriffe sind seine Krücken, um sich halten und orientieren zu können. Über eine Ahnung der wirklichen Beschaffenheit der Welt kann ein Begriff nie gehen. Er ist und bleibt lediglich Orientierungsmöglichkeit und diese bessert sich mit der zunehmenden Vielfalt und Präzision der Sprache. Am Ende der sprachlichen Entwicklung muß der Begriff als Wort aufhören und wir müssen eine neue Form der Begriffsbildung, also des Begreifens, finden. Ich bin überzeugt, dass Telephatie die nächste Stufe ist. Telephatisches Begreifen, telepathische Begriffe sind naturgemäß, nicht in Worten auszudrücken.

Grüsse
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von Jochen43 am Gestern, 11:35 Uhr
________________________________________
Hallo Ewiganfangender!

Also zu dem, was Du über die Telepathie sagst, möchte ich mich hier nicht groß äußern. Nur soviel, daß ich da sehr skeptisch bin.

Dem anderen Teil des Beitrages kann ich zustimmen. Allerdings bin ich der Meinung daß sich unsere Begriffsbildung nicht auf die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit beschränkt. Du hast geschrieben, seine Begriffe sind Krücken, um sich orientieren und halten zu können. Aber nicht nur das. Ausgehend von den Begriffen, die durch die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit um uns herum entstanden sind, besteht jetzt die Möglichkeit, sich mit diesen Begriffen selbst auseinanderzusetzen, auch ohne Zussammenhang mit der Wirklichkeit. Jetzt tut sich eine ganz andere, nämlich geistige Welt auf, die nicht nur dem Überleben dient - der Daseinsbewältigung wenn man so will -, sondern die ein Reich der Freiheit und des intellektuellen Vergnügens ist. Und das ist Denken doch auch!

Mit freundlichem Gruß
________________________________________
Titel: Re: Wie entstehen Begriffe?
Beitrag von ewiganfangender am Gestern, 13:15 Uhr
________________________________________
Hallo Jochen43,

na klar ist Skeptizismus die Mutter der neuen Erkenntnis und der Beschützer vor Halbwahrheiten und Dogmen. Dennoch handelt es sich bei mir lediglich um eine logische Schlussfolgerung, dass das, was wir unter Telephatie verstehen, eine weiterentwickelte Form der Kommunikation ist. Ob sie jemals stattfinden kann, oder stattgefunden hat würde ich nicht mit Feuer und Schwert verteidigen. Denkbar ist der telephatische Vorgang dennoch und unter gewisser Einbeziehung bestimmter Axiome sogar äusserst realistisch.

Das Auseinandersetzen mit den Begriffen selbst als interlektuelles Vergnügen schließt meine Behauptung nicht aus. Denn das Vergnügen ist ebenso existentiell wie die Nahrungsaufnahme, verhilft uns also eben so sehr zum Halt im Dasein und zur Orientierung, welche das Ersinnen beispielsweise von politischen Ideologien und wissenschaftlicher Theorien impliziert, mit denen wir ja doch auf ganz praktische Art und Weise in unser Leben eingreifen, um es erträglicher zu machen. Kultur und Kunst sind menschliche Grundbedürfnisse, wenn der Hunger und Durst erstmal gestillt ist. Wir klettern eben immer weiter auf der Bedürfnisleiter.......... .

Grüsse vom ....anfangenden
________________________________________


PhilTalk Philosophieforen

 

_______________________________________________________________________________________________
-->Übersicht       -->Alphabetische Liste aller Texte       -->Info zu dieser Website       -->Lexikon       -->Startseite

zum Anfang

Ethik-Werkstatt: Ende der Seite "Wie entstehen Begriffe?" / Letzte Bearbeitung siehe Beiträge / Eberhard Wesche u.a.

*** Wer diese Website interessant findet, den bitte ich, Freunde, Kollegen und Bekannte auf die Ethik-Werkstatt hinzuweisen ***

Ethik-Werkstatt: Wie entstehen Begriffe? (Diskussion)