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Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivität


(Diskussion bei PhilTalk)


PhilTalk Philosophieforen  Theoretische Philosophie >> Erkenntnistheorie, Wissenschaftstheorie >> Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivität
(Thema begonnen von: Eberhard am 2006-10-16, 14:02 Uhr)

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Titel: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivität
Beitrag von Eberhard am 2006-10-16, 14:02 Uhr
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Hallo allerseits,

In dieser Runde soll die These diskutiert werden, dass ein Anspruch auf allgemeine Geltung für eine Behauptung nur durch eine allgemein einsichtige Begründung dieser Behauptung eingelöst werden kann, wobei "allgemein einsichtig" bedeutet, dass die Begründung intersubjektiv und intertemporal nachvollziehbar und übernehmbar ist.

Vom eigenen subjektiven Standpunkt aus gesehen heißt das, dass jede Behauptung, die für mich gelten soll, für mich einsichtig begründet sein muss. Andernfalls wird von mir Glaube und Gehorsam verlangt.

Als "allgemeingültig" kann nur diejenige Behauptung ausgezeichnet werden, deren allgemeiner Geltungsanspruch durch eine intersubjektiv nachvollziehbare Begründung eingelöst wird.

Diese These wirft viele Fragen auf, einmal was die Definition der benutzten Begriffe (Behauptung, Geltung, Intersubjektivität, Allgemeingültigkeit etc.) betrifft und zum andern, was die Konsequenzen aus dieser These angeht.

Da wir es hier mit relativ abstrakten Grundlagenproblemen der Erkenntnis zu tun haben, ist die Gefahr groß, dass wir aneinander vorbei reden. Deshalb die Bitte an jeden Diskussionsteilnehmer, die eigenen Argumente möglichst verständlich, präzise und übersichtlich zu formulieren und die Geduld aufzubringen, die eine gründliche Erörterung philosophischer Probleme nun einmal erfordert.

Noch eine Bemerkung zum Verfahren bei einer für jedermann frei zugänglichen Internet-Diskussion wie dieser: Stellungnahmen, die das Thema ablehnen oder ignorieren, füllen nur unnötig die Seiten und sind insofern überflüssig und störend. Niemand wird daran gehindert, zu seinen Fragestellungen eine eigene Runde zu eröffnen. Er muss ja nicht diese Runde als Plattform für seine Ideen benutzen.

Na, dann kann es losgehen, meint

Eberhard.


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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Hannes am 2006-10-17, 09:48 Uhr
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Hallo in die Runde,

@ Eberhard

zu der These "Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivität". Ich nehme an, dass für Dich Wahrheit eine Form der Allgemeingültigkeit ist. Ich sehe aber nicht, was Wahrheit damit zu tun hat, dass Hinz und Kunz diese Wahrheit einsichtig gemacht werden kann. Wenn es wahr ist, dass sich die Erdatmosphäre im letzten Jahrhundert erwärmt hat, dann ist das wahr unabhängig davon, ob Hinz das einsieht oder nicht. Die Wahrheit einer wissenschaftlichen Aussage hängt doch nicht von der Begriffsstutzigkeit irgendwelcher Subjekte ab.

Gruß Hannes


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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Abrazo am 2006-10-17, 11:42 Uhr
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Hi,

Hannes spricht damit imho zwei Probleme an: zum einen das Problem der Nachvollziehbarkeit einer Ursache-Wirkungs-Theorie, sofern die Wirkung noch nicht eingetroffen ist; wir können hier auch von Prognosen sprechen. Prognosen haben es nunmal so an sich, dass sie nicht anhand von Tatsachen unmittelbar überprüfbar sind, weil diese Tatsachen - das Eintreffen der Prognose - nun mal noch nicht da sind.

Das zweite Problem ist die Bereitschaft, Tatsachen zu akzeptieren. Vulgo Ignoranz.

Ich sehe im Zusammenhang mit Intersubjektivität allerdings noch ein Problem.

Es dürfte keine größeren Schwierigkeiten bereiten, uns über Wahrnehmbares in der Welt, also äußere Wahrnehmung, intersubjektiv zu einigen. Köln liegt am Rhein. Den Rhein sieht jeder, der gesunde Sinne hat, egal, wie er ihn nennt.

Wie aber steht es mit innerer Wahrnehmung?

Beispiel:
Da erklärt einer Ethik und Ästhetik letzlich zu einer Geschmacksfrage. Etwas, was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann. Ich kann sagen, ob einer diesen oder jenen Popmusikstil bevorzugt, das sei eine Geschmacksfrage, und auch hier stellt sich das Problem der Intersubjektivität.

Aber nehmen wir noch nicht mal die Klassik, nehmen wir mal den Tango. Da gibt es Stücke, die hören sich nett und gefällig an oder auch nicht, Stücke, die einen in eine bestimmte Stimmung bringen oder auch nicht, kann ich sagen, gefällt mir gerade oder auch nicht.

Aber dann gibt es noch andere Tangostücke, da stellt sich mir gar nicht die Frage, ob sie nach meinem Geschmack sind oder nicht, da stellt sich die Frage, was sie zeigen, was durch sie gesagt wird. Das sind Stücke, in denen Menschen über ihre Emotionen reflektieren. Es ist Reflexion, und keine Reizung irgend welcher Gefühle, oder Mitteilung über eine momentane Gefühlslage.

Reflexion ist aber keine Geschmacksfrage. Für mich. Dessen bin ich mir auch hundertprozentig sicher: es ist etwas anderes, unterscheidet sich so wie die Farben rot und grün. Da würde ich auch keine intersubjektive Abstimmung akzeptieren, deren Ergebnis wäre, dass es rot und grün als unterschiedliche Sinneseindrücke nicht gäbe. Ich bin mir dessen gewiss, und wenn einer entgegen meiner Gewissheit behauptet, das sei nicht so, dann kann ich nur entgegnen, Jung, dann biste farbenblind.

Nun kann man Farbenblindheit anhand der Funktion entsprechender Körperzellen untersuchen und nachweisen.
Wie aber steht es mit solchen inneren Wahrnehmungen? Also den uns bedeutendsten, Ethik und Ästhetik?
Ich stelle fest, Intersubjektivität ist da herstellbar.
Allerdings ist diese Intersubjektivität nicht umfassend, sondern auf einen Teil der Menschheit begrenzt; in diesem Teil jedoch ist nicht nur Intersubjektivität feststellbar, sondern auch Intertemporaliät.

Ich erinnere aber daran, dass es beim Versuch eines intersubjektiven Konsenses nicht um die Akzeptanz einer Theorie geht, sondern um die Frage, ob etwas vorhanden ist, da ist oder nicht, nämlich die innere Wahrnehmung. Problem: dass sie da ist oder nicht, ist für den jeweils Wahrnehmenden evident und nicht sinnvoll bezweifelbar.

Gruß
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Xenon am 2006-10-18, 00:28 Uhr
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Hallo allerseits,

dieser Thread könnte eine interessante Fortsetzung des Threads "Warum soll ich moralisch handeln?" werden.

Die von uns nach meiner Einschätzung nicht ausdiskutierte Frage war ja, ob und auf welcher Basis sich moralische Grundsätze allgemeingültig ableiten lassen.

Eberhard hat in seiner Ausgangsfrage die Art der aufgestellten Behauptung offen gelassen.

Offensichtlich ist grundlegend zu unterscheiden zwischen naturwissenschaftlichen Behauptungen und anderen, z.B. ethisch-moralischen oder Geschmacksaussagen (die Notwendigkeit der Unterscheidung bei der Art der Behauptung klingt auch bei Abrazo an).

Die Aussage, dass die Erde sich im letzten Jahrhundert erwärmt hat (s. Posting von Hannes), dürfte man als naturwissenschaftliche Aussage bezeichnen können.

Gegenüber "Hinz und Kunz" könnte man diese These mit konkreten Messergebnissen belegen. Nachzuweisen wäre beispielsweise mittels anerkannter statistischer Methoden die Signifikanz der Messdaten.

"Hinz und Kunz" müßten dann schon gute Gründe darlegen, welche die Aussage widerlegen: Z.B. die statistische Signifikanz bestreiten etc. Sind sie dazu nicht bereit oder fähig, spricht das nicht gegen die These.

Ohne nun auf die wissenschafts- bzw. erkenntnistheoretischen Einzelheiten einzugehen (Was heisst es genau, dass eine naturwissenschaftliche Aussage wahr, gültig ist? Problem der Falsifizierbarkeit etc.):

Es sollte klar sein, dass es "Sinn macht" bei solchen naturwissenschaftlichen Aussagen / Behauptungen von einer allgemeinen Gültigkeit zu sprechen und es ist auch in etwa klar, woraus sich diese ableitet: Aus intersubjektiv nachvollziehbaren Beobachtungen bzw. reproduzierbaren Experimenten.

Hannes` Einwand überzeugt also m.E. nicht. Jedenfalls was die Art von Behauptungen angeht, um die es in seinem Beispiel ging.

Wenn hierüber Konsens erzielt werden könnte, wäre es möglich, dass wir uns dann anderen Arten von Behauptungen widmen: Z.B. Geschmacksaussagen oder moralisch-ethischen Behauptungen.

Liebe Grüße
Xenon

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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivität
Beitrag von Eberhard am 2006-10-18, 12:03 Uhr
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Hallo allerseits,

vorweg meinen Dank für Eure sachbezogenen Beiträge.

Zu der Frage, was mit "Intersubjektivität" gemeint ist, wenn die These lautet: "Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivität".

"Intersubjektiv" heißt in diesem Zusammenhang, dass etwas nicht nur "subjektiv" und damit möglicherweise von Subjekt zu Subjekt verschieden ist, sondern dass es übereinstimmend für beliebige Subjekte ist. In diesem Sinne verwende ich Formulierungen wie "intersubjektiv nachvollziehbar" oder "intersubjektiv geltend". Ob dies dem Sprachgebrauch von K.- O. Apel entspricht, dessen Denken ich Wichtiges verdanke, will ich offen lassen, um die Diskussion der Sachfragen nicht durch Interpretationsfragen zu belasten.

Da die Begrifflichkeit insgesamt problematisch ist, will ich bei dieser Gelegenheit auch meinen Gebrauch anderer relevanter Begriffe erläutern.

Das Gebiet, auf dem wir uns bewegen, ist die Erkenntnis, worunter ich die Beantwortung von Fragen verstehe. Insofern Fragen und Antworten Sätze sind, gibt es Erkenntnis also nur sprachlich formuliert.

Eine Frage kann unterschiedlich beantwortet werden. Auf die Frage: "Stammen Menschen und Gorillas von gemeinsamen Vorfahren ab?" antwortet z.B. A mit "ja" und B mit "nein".

Für A 'gilt' die auf Darwin zurück gehende Abstammungslehre, d.h. A legt diese Lehre seinem Denken und Handeln zugrunde. Für B dagegen gilt diese Lehre nicht. Für verschiedene Individuen können also unterschiedliche Antworten individuelle faktische Geltung besitzen, sie gelten nur subjektiv.

Dies macht keine Probleme, solange sie individuell handeln. Wenn A und B jedoch z. B. gemeinsam ein Biologielehrbuch für die Schulausbildung ihrer Kinder aussuchen sollen, benötigen sie eine intersubjektiv übereinstimmende Antwort zur Abstammungslehre.

Dies Problem verschwindet, wenn z. B. der Staat die nicht-darwinistische Antwort für den Schulunterricht vorschreibt und die kollektive bzw. intersubjektive faktische Geltung dieser Antwort vorschreibt.

Dagegen kann A einwenden, dass die Antwort von B falsch ist und dass deren faktische Geltung nicht gerechtfertigt werden kann. Richtig sei die darwinistische Abstammungslehre. Diese solle sowohl dem individuellen als auch dem kollektiven Denken und Handeln zugrunde gelegt werden.

Dafür kann man auch kurz sagen, dass A die darwinistische Abstammungslehre 'behauptet'.

Behauptungen beanspruchen eine in Bezug auf den Zeitpunkt (intertemporal) und in Bezug auf das Subjekt (intersubjektiv) unbeschränkte Geltung.

Insofern die dauerhafte Geltung einer Behauptung für beliebige verständige Individuen nachvollziehbar und übernehmbar begründet bzw. gerechtfertigt ist, bezeichne ich diese Behauptung auch als allgemein gültig.

Die Gültigkeit von Behauptungen kann durch logischen Bezug zu anderen Sätzen (Argumenten) und/oder durch unmittelbare Evidenz begründet oder entkräftet werden.

Je nach der Art der Fragen kann man verschiedene Arten von Behauptungen unterscheiden, z.B. faktische, normative, hermeneutische, logische oder methodologische Fragen, die jeweils unterschiedliche Methoden der richtigen Beantwortung erfordern.

Hier will ich erstmal abschließen. In der Hoffnung, dass mit diesen Erläuterungen der Begriffe das gegenseitige Verständnis erleichtert wird, grüßt Euch

Eberhard.

p.s.: Auf die einzelnen Beiträge gehe ich noch ein.

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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Eberhard am 2006-10-18, 17:37 Uhr
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Hallo allerseits,
Den Vorschlag von Xenon, sich zuerst auf die Allgemeingültigkeit und die intersubjektive Nachprüfbarkeit von faktischen Behauptungen zu konzentrieren, nehme ich gerne auf. Durch eine Klärung der Fragen im empirischen Bereich, der seit längerem die Forderung nach Intersubjektivität in seinen Methoden berücksichtigt, können wir uns wappnen für die schwierigeren ethischen oder ästhetischen Fragen, die Abrazo angeschnitten hat.

Zu Hannes:

Du schreibst: " Wenn es wahr ist, dass sich die Erdatmosphäre im letzten Jahrhundert erwärmt hat, dann ist das wahr unabhängig davon, ob Hinz das einsieht oder nicht."

In einem bestimmten Sinne gebe ich Dir Recht. Nehmen wir ein einfaches Beispiel, wie es manchmal im Alltag vorkommt. Jemand nimmt ein großes Glas, füllt es bis an den Rand mit kleinen Nägeln und verschließt es fest. Daneben hängt ein Schild, worauf steht: "Wie viele Nägel sind in diesem Glas? Wer die richtige Zahl nennt, gewinnt 1000 ?."

A behauptet: "In diesem Glas befinden sich genau 7.861 Nägel."

Nehmen wir einnmal an, dass eine sorgfältige Auszählung später ergab, dass sich tatsächlich 7.861 Nägel in dem Glas befanden.

Dann war A's Behauptung - von diesem Kenntnisstand aus gesehen - zum Zeitpunkt ihrer Äußerung bereits wahr.

Insofern ist die Wahrheit einer Behauptung unabhängig von der Frage, ob es intersubjektiv nachvollziehbare Gründe für die Wahrheit dieser Behauptung gibt oder nicht.

Betrachten wir einmal konkret die Situation.

A behauptet: "Es befinden sich 7.851 Nägel in dem Glas. Dies ist wahr."

B entgegnet: "Begründe Deine Behauptung!".

A antwortet: "Ich habe das geschätzt.".

Darauf B: "Deine subjektive Schätzung kann ich nicht nachvollziehen. Deshalb kann ich Deine Behauptung nicht anerkennen. Sie mag zufällig wahr sein, aber für mich ist sie solange nicht wahr, wie ich keine Begründung für diese Behauptung habe."

Eine intersubjektiv nachvollziehbare Begründung wäre es, wenn A sagt: "Ich habe die Nägel in dem Glas gezählt."

Zählen ist ein Verfahren, das man allgemeinverständlich beschreiben kann, und das bei Befolgung der angegebenen Schritte zu intersubjektiv übereinstimmenden Ergebnissen führt. Man kann Mengen auch gemeinsam auszählen. Dies wird z.B. mit den Stimmzetteln von Wahlen häufig gemacht.

Wahrheit hat also neben dem Aspekt der Objektivität ("Es ist so, wie behauptet") auch einen sozialen Aspekt ("Meine Behauptung gilt für alle. Ich erwarte von Dir, dass Du ihr zustimmst"). Für den sozialen Aspekt der Wahrheit bzw. Allgemeingültigkeit gilt die Bedingung der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit.

Soviel erstmal von

Eberhard.
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von hhmoeller am 2006-10-18, 19:20 Uhr
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on 10/18/06 um 18:18:57, ich_bins wrote:Wie wärs, wenn du B die Möglichkeit gibst,
s e l b e r nachzuzählen [cheesy]
damit er auch ganz sicher sein kann, dass es stimmt, was A sagt? [grin]

Genau darum geht es. Eberhard hat doch deutlich gesagt:

on 10/18/06 um 17:37:07, Eberhard wrote: Eine intersubjektiv nachvollziehbare Begründung wäre es, wenn A sagt: "Ich habe die Nägel in dem Glas gezählt."

Diese Aussage ist deshalb intersubjektiv nachvollziehbar, weil B nachzählen kann. Wenn weder A noch B sich verzählen, kommen sie zwangsläufig zum gleichen Ergebnis.

Der Satz "Ich schätze ..." ist nicht intersubjektiv nachvollziehbar, denn zwei Schätzungen führen nicht zwangsläufig zum gleichen Ergebnis.

Intersubjektive Überprüfbarkeit besteht also gerade darin, daß jeder die Möglichkeit hat s e l b e r nachzuzählen, und daß das Ergebnis der Überprüfung unabhängig davon ist, wer sie durchführt.

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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Eberhard am 2006-10-18, 21:20 Uhr
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Hallo allerseits,

hallo Abrazo!

Du schreibst: "Es dürfte keine größeren Schwierigkeiten bereiten, uns über Wahrnehmbares in der Welt, also äußere Wahrnehmung, intersubjektiv zu einigen."

Man kann jedoch auch bei empirischen Fragen in Schwierigkeiten mit der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit kommen. Ich liege wohl nicht falsch, wenn ich sage, dass der überwiegende Teil meines Wissens über die Welt nicht auf eigener Wahrnehmung beruht. Ich war z. B. noch nie in Australien. Trotzdem halte ich zahllose Aussagen über Australien für wahr, z.B. dass es dort verschiedene Arten von Beuteltieren gibt. Ich vertraue in diesen Fragen also auf die Berichte, die andere Menschen von ihren Aufenthalten in Australien geben sowie auf die Inhalte audio-visueller Medien. Entsprechendes gilt für den überwiegenden Teil meines Weltbildes. Ist ein derartiges Vertrauen gleichzusetzen mit einer intersubjektiven Nachprüfbarkeit der Aussagen?

Noch schwieriger ist die intersubjektive Nachprüfbarkeit von Behauptungen über Vergangenes. Es kommt vor, dass es keine Augenzeugen für bestimmte Ereignisse gibt, z.B. für das Aussterben der Dinosaurier oder für die Himmelfahrt des Jesus von Nazareth. Was ist in diesem Fall eine einsichtige, intersubjektiv nachvollziehbare Begründung für ein behauptetes Ereignis? fragt

Eberhard.


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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Xenon am 2006-10-18, 21:26 Uhr
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Was ist eine Tatsache anderes als eine Behauptung über faktische Dinge, von deren allgemeiner Geltung sicher ausgegangen wird?

Liebe Grüße
Xenon

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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von mondial am 2006-10-18, 21:59 Uhr
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Braucht es dazu zwei oder mehrere?

Ich behaupte dass, wenn ich jetzt einen Tennisball auf die Strasse werfe, so ist das eine Tatsache. Wird die Tatsache ungeschehen, nur weil niemand ausser mir davon weiss? Klar kann sich jemand davon überzeugen, der Ball liegt vielleicht noch auf der Strasse. Vielleicht aber auch nicht mehr. Aber warum sollte ich das gewesen sein, der ihn geworfen hat? Diese Tatsache lässt sich nicht beweisen. Ist sie darum nun auch für mich keine mehr?

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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Abrazo am 2006-10-18, 23:32 Uhr
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Hi,

denn man von Anfang an:

Ein ungeheueres Problem war (imho) die Frage nach der Realität der Außenwelt. M.E. hat Wittgenstein es gelöst (bin mir aber nicht mehr sicher, ob er das selber gemerkt hat): wir können zwar jedes Einzelne in der Welt bezweifeln, nicht aber die Welt als Ganze, denn um das zu tun, müssten wir ihre Existenz voraussetzen. Unsinniger Zweifel.

Daraus folgt: es ist möglich, Wahres zu erkennen. Definitiv Wahres.

Ein Lebewesen erhält in seinem Umfeld seine Form durch Stoffwechsel. Es nimmt Stoffe auf und gibt Stoffe ab. Das ist nur möglich, wenn es gegen sein Umfeld abgegrenzt ist, wenn es etwas anderes ist. Das Prinzip der Wahrnehmung, ohne die kein stoffwechselndes Lebewesen leben kann, folgt dem, dass sich das, was innerhalb der Grenzen der lebenden Form ist, etwas anderes ist als das, was außerhalb ist. Dieses Prinzip ist auch das Prinzip der Logik.

Weil das Prinzip der Wahrnehmung das Prinzip der Logik ist, ist unsere Welt logisch.

Folgt: was immer über unsere Welt im Einzelnen behauptet wird, muss logisch sein. Ergeben sich logische Widersprüche mit anderen Behauptung anderer, so sind beide Behauptungen zweifelhaft. Ergeben sich logische Widersprüche in der Behauptung selbst, so ist sie falsch.

Wahr und falsch sind, sofern es (zunächst) um empirische Urteile geht, nicht abhängig von einem Konsens.
Wahrheit ist nicht demokratisch.
Frei zu sein hat jedoch die Kritik an der Begründung eines Urteils, denn wir können uns irren.
Folgt: unbegründete Kritik ist irrelevant.
Soweit die Urteile über Wahrgenommenes, die Formeln, das Verarbeitungsprogramm.

Anders verhält es sich mit den Daten, den Wahrnehmungen. Die sind nämlich niemals nur ein einziger Sinneseindruck, sondern eine Kombination sämtlicher äußerer Sinne, verbunden mit den inneren Sinneswahrnehmungen, dazu Erinnerung, und das ganze eingebettet in ein individuelles oder kollektives Weltbild. Folgt, sie können durchaus verschieden sein, wie jeder Richter und jeder Polizist weiß. Hier ist also ein Konsens erforderlich.

Das Problem ist, dass Wahrnehmungen immer evident erscheinen. Im Zweifel hat man also eine Konkurrenz der Evidenzen. Manche Konflikte kann man dadurch lösen, dass man den Ursachen evident erscheinender Wahrnehmungen nachspürt und sie aufdeckt; beispielsweise bei Drogenhalluzinationen.

Manchmal aber haben wir sogar den Konflikt echter miteinander konkurrierender Evidenzen. Dies ist im Bereich der Ethik der Fall, denn da konkurrieren im Zweifel innerlich wahrgenommene und damit evidente Aggression gegen die ebenso innerlich wahrgenommene und damit evidente Bremse der Humanität. Beispielhaft für die offenbar zumindest hier nicht vorhandene humane Bremse: die Foltersoldaten von Abu Ghoreib.

Es ist ein weniger gravierendes Problem, logische und vernünftige Theorien zu konstruieren, die allgemein einsichtig sind.

Es ist jedoch ein Problem, auf der Basis welcher Daten, welcher Evidenzen sie konstruiert werden.

Natürlich müssen wir anderen in ihren Behauptungen vertrauen. Das geht gar nicht anders, denn immerhin sind wir ja mit den Behauptungen anderer, die wir für die absolute Wahrheit hielten, aufgewachsen. Der Zweifel kommt ja erst später, setzt das Für-wahr-halten voraus.

Allerdings wissen wir in der Praxis, dass es seriöse Leute gibt und unseriöse; und auch hier verlassen wir uns weitgehend auf den Konsens der Experten. Immerhin sind etliche Leute schon mal in Australien gewesen, also nehmen wir an, dass es das auch gibt. Zumal es logische und nachvollziehbare Erklärungen gibt, wie man dort hin kommen kann, im Gegensatz zu Atlantis. Wer behauptet, dort gewesen zu sein, müsste erst mal erklären, wo genau es liegt, wie man dorthin kommt und warum es zuvor noch keiner gefunden hat. Heißt, eine Behauptung muss nicht notwendigerweise nachvollziehbar evident sein, sie muss aber in das uns bekannte System der Welt logisch passen und damit potentiell evident sein; in den meisten Fällen genügt uns das.

Gleiches gilt für die Vergangenheit, soweit sie konstruiert und nicht von Zeitzeugen schriftlich belegt ist. Sie muss sozusagen eine Erweiterung unseres logischen Weltsystems nach hinten sein.

Denn wir haben eben kein Sammelsurium von Objekten vor Augen, sondern die Welt als ein vollständiges, komplexes logisches System, in dem nicht plötzlich etwas unlogisches auftauchen kann.

So weit, so gut - und so unvollständig (Mängel bitte der Tatsache zuschreiben, dass ich jetzt müde bin und ins Bett gehe. Aber wenn Mängel vorhanden, dann bitte auch aufdecken!).

Grüße

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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von hhmoeller am 2006-10-19, 12:24 Uhr
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on 10/19/06 um 11:33:27, laertes wrote:sag das mal jemandem, der an phantomschmerzen leidet.

Phantomschmerzen hat nur der Amputierte, nicht aber der Beobachter. Sie sind also nicht intersubjektiv.

on 10/19/06 um 11:39:49, doc_rudi wrote:es gibt auch Wahrnehmung ohne Objekt, sogenannte Halluzinationen.

Weiße Mäuse sieht nur der Betrunkene, nicht aber der nüchterne Beobachter. Halluzinationen sind also nicht intersubjektiv, sie sprechen also nicht für die Anwesenheit weißer Mäuse.

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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von doc_rudi am 2006-10-19, 15:55 Uhr
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hab ich ja gar nicht behauptet
@laertes
Du meinst anscheinend, nur Du hättest Wahrnehmung.
Wenn Du die Augen schließt, nehme ich das Objekt weiterhin wahr - ich verlasse mich auf die Wahrnehmung meiner Mitmenschen, weil ich kommunikativ erfahren habe, dass sie ebenso wahrnehmen wie ich.
Gruß
rudi
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Om am 2006-10-19, 17:50 Uhr
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Quote:Eberhard:
Wenn "sehen" bedeutet: "mit den Augen wahrnehmen", dann sehe ich den wirklichen Baum mit meinen Augen und nicht den gesehenen Baum. Ich nehme den wirklichen Baum mit meinen Sinnen wahr und nicht die Sinneswahrnehmung dieses Baumes.

Einspruch. Der "wirkliche Baum" wird schon kurz nach Eintreffen in der "Rezeption" auf der Netzhaut des Auges verändert, gespiegelt, verarbeitet, codiert, adaptiert. Alles das auf biochemische Weise, durch Moleküle, die aus Atomen und wiederum aus Quantenobjekten bestehen, also sich einer exakten Festlegung entziehen.

Der Mensch hat physiologisch nie Zugriff auf das optische Abbild, das durch das Auge projiziert wird; ausnahmslos jede visuelle Wahrnehmung durchläuft einen komplexen mehrstufigen Verarbeitungsprozess.
(Betz, 1974)
und
"Das Erregungsmuster im Cortex ist alles andere als eine Reproduktion der äußeren Ereignisse". (David Hubel, amerik. Gehirnforscher u. Nobelpreisträger)

Es genügt also schon ein genaues Hinsehen :-) auf den Sehvorgang, und wiederum fällt einem auf, daß die für objektivierbar, für statisch gehaltene Wirklichkeit nur eine "second-hand"-Ausgabe ist.

Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind - wir sehen sie, wie wir sind (Talmud).

Wenn wir also unseren "Filter" nicht abschalten können, was soll dann als intersubjektive Wahrheit gelten ?

Gruß

Om

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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von doc_rudi am 2006-10-19, 20:06 Uhr
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Hallo,
Om: "Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind - wir sehen sie, wie wir sind (Talmud)"
Und da wir alle gleich sind (mit zu vernachlässigenden Unterschieden), sehen wir die Dinge auch gleich.
Gruß
rudi

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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Abrazo am 2006-10-19, 21:02 Uhr
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Hi,

Quote:Ein wichtiger Gesichtspunkt – den Abrazo bereits genannt hat – besteht in der Untersuchung, ob die Behauptung vereinbar ist mit unseren sonstigen Annahmen über die Beschaffenheit der Welt.

Ich gehe darüber hinaus, Eberhard.

Die Realität der Außenwelt (was nicht gleichbedeutend damit ist, dass sie ohne unsere spezifische Wahrnehmungsfähigkeit genau so aussähe) ist unbestreitbar.

Wer hier mit Zweifel, Irrtum, Glaube, Lüge kommt, verkennt, dass all diese Urteile am Wahren gemessen werden. Sie sind das, was vom eindeutig Wahren abweicht. Es sind Negationen des Wahren im Einzelfall, die Wahrheit als Normalfall voraussetzen.

Hinzu kommt als konstituierendes Element unserer Welt die Logik, weil die Logik das Prinzip unserer Wahrnehmungen ist. Daraus folgt, die Struktur unserer Welt ist logisch.

Eine Behauptung, die im komplexen System unserer Welt zu einem logischen Widerspruch führt, ist falsch. Im komplexen System, wohlgemerkt. Denn eine logisch falsche Behauptung kann durchaus wahr erscheinen, wenn man einen Teilbereich des Systems heraus greift und ihn in der Vorstellung vom Gesamten isoliert; dann fallen nämlich die eventuell problematischen Verbindungen weg.

Tatsächlich haben wir ja irrtümliche Annahmen an später auftauchenden Widersprüchen im System entdeckt.

Das ist etwas anderes, als einzelne Annahmen über die Beschaffenheit der Welt und ihre Gesetzlichkeiten. Denn auch in den Annahmen über solche Beschaffenheiten können wir uns irren - der Irrtum wird dann offenbar, wenn es eben zu logischen Kollisionen an irgend einer bisher nicht beachteten Stelle im System kommt.

Die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem logischen System Welt ist die Frage, ob das Behauptete überhaupt möglich ist.

Phantomschmerz ist im logischen System ebenso möglich wie das Werfen eines Tennisballes auf die Straße. Nicht möglich ist es hingegen, mit normalen Körperkräften unter normalen Luft- und Schwerkraftbedingungen einen Tennisball über den Atlantik zu werfen. Hier würde man dem, der behauptet, er habe das getan, den Vogel zeigen.

Ich halte es nicht für fruchtbar, an dieser Stelle das Phänomen des ohne Zeugen auf die Straße geworfenen Tennisballes zu untersuchen (im Zweifel hat ihn Herr Hund mitgehen lassen). Denn unter normalen Umständen ist dies keine Frage, über die es intersubjektive Streitpunkte gäbe, weil keiner davon betroffen wäre, im Gegensatz dazu, wenn einer einen Wackerstein von der Brücke auf die Autobahn wirft; von einem solchen Ereignis sind andere betroffen dadurch, dass sie mit den Folgen zu tun haben. Und die davon Betroffenen sind durchaus fähig, das Ereignis intersubjektiv zu bezeugen.

Im Bereich Diskussion über Ethik und Moral geht es ohnehin vorrangig nur um Handlungsweisen, von denen andere betroffen sind.

Eine Diskussion über die rechte Art und Weise, sich den Allerwertesten zu putzen, ist nur dann von allgemeinem Interesse, wenn nicht genug Klopapier vorhanden ist.

Forderungen nach Intersubjektivität und nach intertemporalen Überprüfungen sind in der Regel ohnehin nur dann von Belang, wenn es intersubjektive Konflikte dazu gibt.

Grüße

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(Beitrag von Eberhard)

Ich schlage vor, dass wir uns – für eine begrenzte Zeit – mir der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit des Satzes "Ich sehe vor mir den Kölner Dom" befassen. Dieser Satz gehört zur Klasse der Aussagen über die eigene gegenwärtige Wahrnehmung, ist also ein introspektiver Satz über etwas faktisch Vorhandenes, eine spezielle Form der faktischen Behauptungen. (Der erfahrungswissenschaftlichen Psychologie sind solche Sätze allerdings eher suspekt.)

Diesmal hart am Thema zu argumentieren, bittet Euch

Eberhard.

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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von laertes am Vorgestern, 17:48 Uhr
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hi eberhard,

hart diskutieren tue ich nicht - immer soft in den schultern bleiben :-), aber lass mich auf dein beispiel eingehen:

"Ich sehe vor mir den Kölner Dom".

Wer sagt das? bestimmt nicht du, eberhard, oder hast du ausblick auf den dom von deinem wohnort aus?
wird eine vorstellung, fantasie beschrieben?
Ich z.b. sehe den kölner dom jetzt nicht.
ist nur eine abbildung oder ein erinnerungsbild des doms gemeint?
nicht zu vergessen die offenkundige sprachliche spaltung der vermeintlichen erstinstanz: i c h sehe vor m i r. ist das 'subjekt' des 'intersubjektiven' jetzt das 'ich' oder das 'mir'?
ist das, was ich vor mir sehe dasselbe was du vor m i r siehst?
das müsste ja gelten sonst, kannstes vergessen mit der 'intersubjektivität'.
ist es jemanden möglich zu einem zeitpunkt x einen gegenstand aus den selben augenwinkel zu sehen?

diese fragen stehen also offen und du tust so als sei dein satz sowas von selbstverständlich (obschon er einer reine fiktion ist), dass darüber nicht gesprochen werden muss und man locker daraus das gespenst der 'intersubjektivität' ableiten könne.

da sage ich nur: gewaltiger irrtum!

viele grüsse

laertes

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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Eberhard am Vorgestern, 18:10 Uhr
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Halo allerseits,
Hallo om,

Ich hatte geschrieben: "Ich sehe den wirklichen Baum und nicht den gesehenen Baum."

Dagegen hast Du Einspruch erhoben mit dem Argument, dass "Sehen" nicht nur die Aufnahme optischer Reize sei sondern auch die Verarbeitung dieser Reize im Gehirn umfasse.

Das ist für mich selbstverständlich. Aber selbst wenn ich durch ein Fernglas auf den Baum vor mir sehe, sehe ich immer noch den wirklichen Baum und nicht den gesehenen Baum.

Du fragst, wie angesichts der beteiligten Filter eine intersubjektive Übereinstimmung der Wahrnehmung möglich ist?

Wie haben wir denn das Wort "Baum" und dessen Verwendung erlernen können, wenn es diese Intersubjektivität nicht gäbe?

fragt Dich Eberhard zurück.-


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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Xenon am Vorgestern, 19:07 Uhr
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Hallo Eberhard,
hallo allerseits,

nachfolgend einige Gedanken zu dem Satz "Ich sehe den Kölner Dom" und weshalb wir ihn als "wahr" ansehen.

Solcherlei Aussagen erscheinen mir so offenkundig "richtig” zu sein, so dass ich für gewöhnlich gar nicht auf die Idee käme, sie zu hinterfragen.

Schon von weitem sah ich die Silhouette des Kölner Doms, als ich mich der Stadt und der City näherte. Ich hatte erwartet, diesen Kirchenbau zu sehen: hier genau im Zentrum Kölns, direkt am Rhein. Und am Bahnhof. Südlich beginnt die Altstadt, südwestlich beginnt das große Einkaufsviertel mit Hohe Straße und Schildergasse. Nun stehe ich vor der monumentalen Westfassade mit den imposanten zwei Türmen.

Alles sieht genauso aus wie vor ein paar Jahren, als ich diese Stätte bereits einmal besuchte. Von unzähligen Bildern kenne ich den Dom, aus unzähligen Erwähnungen in Büchern und in Gesprächen von Kindheit an. Ich sehe den Standort des Doms auf einem Plan in meinem Reiseführer eingezeichnet. An genau diesem Ort stehe ich.

Um mich herum eine Vielzahl von Menschen, die sich wie ich für diesen Prachtbau interessieren. Offensichtlich handelt es sich um einen touristischen Anziehungspunkt.

Theoretisch könnte ich einige dieser Menschen fragen, ob dieser Kirchenbau tatsächlich der Kölner Dom ist. Aber weil mir das zu peinlich wäre, würde ich mich wohl lieber darauf beschränken, die Leute zu beobachten, wie sie die Sehenswürdigkeit anschauen und sich darüber unterhalten. Ich sehe einen Stand, an dem Ansichtskarten verkauft werden. Ich schaue mir eine von ihnen an und erkenne die Aufschrift "Rund um den Kölner Dom". U.a. ist die Westfassade abgebildet. Das Bild auf der Ansichtskarte entspricht meinem visuellen Eindruck, wenn ich die Fassade hinaufschaue.

Um sicherzugehen, dass ich nicht träume, kann ich mir ausgewählte Sehenswürdigkeiten wie den Altar oder die prächtigen Schnitzwerke innerhalb des Doms en detail betrachten und mit den Angaben des Reiseführers vergleichen. Mein Traum-Phantasie wäre wohl nicht imstande, diese Eindrücke so exakt und mit einer solchen Klarheit zu erzeugen.

Ich fotografiere den Dom. Ich bitte andere Personen darum, mich mit dem Dom im Hintergrund zu fotografieren. Ich schaue mir die Aufnahme an. Ich zeige sie zu Hause meinen Bekannten. Wie selbstverständlich gehen sie davon, dass ich tatsächlich dort war.

Alle die von mir genannten – zugegeben trivial anmutenden – Punkte lassen sich mehr oder weniger mit dem Begriff der Intersubjektivität in Verbindung bringen. In gewisser Weise trifft das sogar auf die Heranziehung eigener Erfahrungen in der Vergangenheit zu. Je größer die Distanz zu einem früheren ICH, umso mehr bin ich ja in gewisser Weise zu einer "anderen Person" geworden. Umso mehr kann ich mich und meine Sinneseindrücke hinterfragen. Auf den zweiten Blick stelle ich z.B. fest, dass ich einer optischen Täuschung aufgesessen bin.

Soweit einige Gedanken, wie gesagt: nicht sonderlich originell.

Liebe Grüße
Xenon

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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Eberhard am Vorgestern, 22:05 Uhr
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Ich frage: Was bringt es, die Begriffe "Wirklichkeit" oder "Existieren" entgegen der Sprachkonvention so zu gebrauchen, wie Du, lieber Ichbins, ihn in Deinem letzten Posting verwendest? (ansonsten im Alltag aber ja wohl nicht).

Sprache hat auch etwas mit Zweckmäßigkeit und Konsequenz zu tun.

Begriffe wie "Wirklichkeit" oder "Existenz" dienen als sprachliches Ausdrucksmittel, um z.B. das Nur-Scheinbare, Geträumte, Nur –Vorgestellte von der nachhaltigen und unserem Willen weitestgehend entzogenen "wirklichen" Welt zu unterscheiden.... Nicht mehr und nicht weniger.

Es bleibt höchst fraglich, ob sich die Frage "Was ist die absolute Beschaffenheit der Welt?" überhaupt jeweils auch nur ansatzweise beantworten läßt. Nach meiner Meinung ist hier allenfalls ein behutsames Vorantasten möglich, bei dem in der Tat auch die hergebrachte Bedeutung z.B. solcher Wörter wie Zeit, Raum oder Materie hinterfragt werden kann ...

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(Beitrag von Xenon)

Noch eine kurze Anmerkung zu meinem Posting betreffend den Kölner Dom. Eine wichtige Rolle spielte ja das "eigene" Wissen um den Kölner Dom. Wie er aussieht, wo er sich befindet, dass der Name dieses Kirchenbaus "Kölner Dom" lautet usw. Erst wenn das, was ich erblicke, all den in diesem Wissen fußenden Erwartungen entspricht, gelange ich zu der Aussage: "Ich sehe den Kölner Dom".

Dieses gesammelte Wissen wiederum, ist jedoch nicht vom Himmel gefallen. Es ist erlernt. Es ist vermittelt - durch den Austausch mit anderen Menschen letztlich. Das kann zurückreichen bis in die Kindheit. Bis hin zur Vermittlung der elementaren Fähigkeit, sich selbst als handelnde Person zu verstehen und sich in einer Beziehung zur Umwelt zu sehen.

Bevor ich noch den Kölner Dom sehe, bin ich also ausgestattet mit Fähigkeiten und intersubjektivem (!) Wissen, welche mich in die Lage versetzen werden, sicher berurteilen zu können, ob ich dann tatsächlich vor dem Dom stehen werde.

Insofern steckt das Intersubjektive in mir auf vielfältige Weise als Wissen & Fähigkeit drin und ich kann deshalb auch dann, wenn mich niemand sieht, trotzdem aussagen, dass die Behauptung "Ich sehe den Kölner Dom" wahr ist. Das ist natürlich auch in dem Sinne, wie von Hajo ausgeführt, zu verstehen, daß alle Menschen aufgrund gemeinsamer biologischer Grundlagen, ähnliche Wahrnehmungen haben.

Liebe Grüße
Xenon


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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivität
Beitrag von Abrazo am Vorgestern, 23:28 Uhr
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Hi,

Quote:Abrazo wendet sich gegen Beispiele wie den geworfenen Tennisball: "Forderungen nach Intersubjektivität und nach intertemporalen Überprüfungen sind in der Regel ohnehin nur dann von Belang, wenn es intersubjektive Konflikte dazu gibt."

Eberhard, ich nehme an, Du hast mich missverstanden. Ich halte das Argument mit dem Tennisball durchaus für stichhaltig, weise aber darauf hin, dass es in der Praxis irrelevant ist (bis auf wenige Ausnahmefälle). Wenn Du gerade alleine zu Hause bist und Dich am Kopf kratzt, so kannst Du ja auch die Aussage "Ich kratze mich gerade am Kopf" niemandem beweisen. Allerdings dürfte es auch niemanden interessieren (außer Psychologen vielleicht, die gerade eine statistische Untersuchung machen, wie oft sich Menschen am PC den Kopf kratzen).

Interessieren tun doch nur Aussagen, die ungewiss oder zweifelhaft sind oder über die es zum Konflikt kommt. Das gilt auch für Wahrnehmungen. Farbenblinde merken meist erst relativ spät, dass sie farbenblind sind; dann, wenn andere den für sie gleichen Grauton mit unterschiedlichen Wörtern benennen. Oder beim Führerscheinsehtest. Also dann, wenn es zum Konflikt kommt zwischen dem, was sie als gesehen bezeichnen und dem, was andere als gesehen bezeichnen.

Quote:"Ich sehe vor mir den Kölner Dom" befassen. Dieser Satz gehört zur Klasse der Aussagen über die eigene gegenwärtige Wahrnehmung, ist also ein introspektiver Satz über etwas faktisch Vorhandenes, eine spezielle Form der faktischen Behauptungen. (Der erfahrungswissenschaftlichen Psychologie sind solche Sätze allerdings eher suspekt.).
Eberhard

Quote:Ich sitze mit einem Philosophen im Garten; er sagt zu wiederholten Malen "Ich weiß, daß das ein Baum ist", wobei er auf einen Baum in unserer Nähe zeigt. Ein Dritter kommt daher und hört das, und ich sage ihm: "Dieser Mensch ist nicht verrückt: Wir philosophieren nur."
Wittgenstein, Über Gewissheit, 467

Das musste jetzt raus [grin]

Zentral ist imho dazu diese Passage:

Quote:Unser Wissen bildet ein großes System. Und nur in diesem System hat das Einzelne den Wert, den wir ihm beilegen.
Ebenda, 410

Es kann einer am Kölner Dom zweifeln, weil er nicht weiß, dass er in Köln ist. Er kann zweifeln, weil er nicht weiß, dass das Ding eine Kirche, ein Dom ist. Es kann einer zweifeln, weil er röhrensichtig ist und gar nicht richtig sehen kann. Es kann einer zweifeln, weil er eine andere Kölner Kirche für den Kölner Dom hielt. Heißt, einer kann aus bestimmtem Grund daran zweifeln, den Kölner Dom zu sehen, wenn er davor steht. Heißt, Gründe brauchen wir in diesem Falle nicht dafür zu sagen, das ist der Kölner Dom, Gründe brauchen wir dafür zu sagen, das ist nicht der Kölner Dom. Es ist also die abweichende Auffassung zu begründen. Also wiederum der Konflikt.

Wenn nun einer vor dem Kölner Dom steht und sagt: "Das ist nicht der Kölner Dom", dann werden wir ihn, wenn wir Geduld haben, fragen: "wieso glaubst (!) du, dass das nicht der Kölner Dom ist?" Und dann wird er uns Gründe nennen, die wir natürlich widerlegen können - aus dem Kontext, dem gesamten System unseres Wissens, unseres Daseins heraus.
(Wenn er es dann immer noch bestreitet, dann muss er zu Joy ins Kabuff)

Laertes, der Kölner Dom ist so groß, da sind die unterschiedlichen Augenwinkel irrelevant.
Und im übrigen steige ich Deinetwegen jetzt nicht aufs Dach, um mich davon zu überzeugen, dass der Dom immer noch links hinten an der Deutzer Brücke steht, um danach einen Freund in Nippes anzurufen und ihn zu bitten, aufs Dach zu steigen, um zu prüfen, ob er ihn aus seinem anderen Blickwinkel auch immer noch sieht.

Quote:Um sicherzugehen, dass ich nicht träume, kann ich mir ausgewählte Sehenswürdigkeiten wie den Altar oder die prächtigen Schnitzwerke innerhalb des Doms en detail betrachten und mit den Angaben des Reiseführers vergleichen.

Wenn Du träumen solltest, Xenon, so wäre immerhin zu fragen, woher denn dieser Traum kommt, sprich, woher denn dieses Bild kommt.

Übrigens: woran erkennt man einen Traum? Daran, dass die eigene Handlungsfähigkeit, im Gegensatz zu dem, was man an der Wirklichkeit erfahren hat, doch ganz erheblich beschränkt ist. Der Traum ist außerhalb des Systems reale Welt, daran kann man ihn im Zweifel erkennen.

Quote:Ich fotografiere den Dom. Ich bitte andere Personen darum, mich mit dem Dom im Hintergrund zu fotografieren.

Das geht nicht [cheesy].
Den Kölner Dom kann man nur von zwei geheimen und nicht öffentlich zugänglichen Plätzen aus zur Gänze fotografieren, und dann nicht mit Mensch im Vordergrund. Es ist dem Kölner an sich ein beständiger Quell des Vergnügens, auf dem Rücken liegende Japaner mit der Kamera vor'm Auge zu betrachten; dat Dingen is für Foto zu groß.

Von mir aus können wir nächste Frage machen.

Grüße

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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Xenon am Gestern, 05:46 Uhr
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Hi Abrazo,

on 10/20/06 um 23:28:50, Abrazo wrote:Von mir aus können wir nächste Frage machen.

Nö, so leicht kommst Du nicht davon ;-)


on 10/20/06 um 23:28:50, Abrazo wrote:Interessieren tun doch nur Aussagen, die ungewiss oder zweifelhaft sind oder über die es zum Konflikt kommt. Das gilt auch für Wahrnehmungen. Farbenblinde merken meist erst relativ spät, dass sie farbenblind sind; dann, wenn andere den für sie gleichen Grauton mit unterschiedlichen Wörtern benennen. Oder beim Führerscheinsehtest. Also dann, wenn es zum Konflikt kommt zwischen dem, was sie als gesehen bezeichnen und dem, was andere als gesehen bezeichnen.

Naja und hier sind wir eben in einem Philosophie-Forum. In der Philosophie werden eben auch Dinge bezweifelt, die im Alltag selbstverständlich sind. Man strebt danach, die wahre Natur der Welt offen zu legen und da erscheint der Ansatz, auch das Gewöhnliche zu hinterfragen, statthaft und nicht "verrückt".

Hier geht es um die grundlegende Frage: Was bedeutet es, wenn jemand sagt: "Ich sehe den Baum". Letztlich geht es um das ewige Rätsel: "Was ist die Wirklichkeit?" und welchen Zugang wir zu ihr haben. Man diskutiert dann insbesondere das grundlegende Problem, dass wir ja – über die Wahrnehmung – eben nur einen indirekten Zugang zur "Welt da draußen" haben.

Man kann beispielsweise den Standpunkt einnehmen, es ginge letztlich nicht darum, ob ich jetzt den Kölner Dom mit einer anderen Kirche verwechsele, sondern darum, ob ich überhaupt eigentlich sagen dürfte: "Ich sehe vor mir den Gegenstand XY " und was diese Aussage genau bedeutet.

In dieses Horn stößt Om mit seinem Hinweis darauf, man sehe ja im Grunde nicht die Welt "an sich", sondern nur ein Konstrukt des Gehirns. Auch könnte man z.B. darauf verweisen, dass die Farblichkeit keine Eigenschaft der Dinge an sich ist, sondern erst das Gehirn uns diesen Seheindruck verschafft. Und dass wohl aber eine Isomorphie zwischen diesem Farbsehen und der Oberflächenbeschaffenheit des betrachteten Gegenstands besteht.

Mit anderen Worten: Es kann durchaus sinnvoll sein, Dinge zu hinterfragen, auch wenn sie im alltäglichen Leben NICHT zu Konflikten führen, wenn man zwecks Erkenntnisgewinn etwas über "den doppelten Boden" der Realität erfahren möchte.

Hätte Einstein nicht bestimmte, uns selbstverständlich erscheinende "Eigenschaften" von Zeit und Raum hinterfragt, wäre er nie auf den Trichter der RT gekommen.

Insoweit gilt tatsächlich: Auch wer in einem alltäglichen Sinne "weiß",

dass er in Köln ist.
dass das Ding eine Kirche, ein Dom ist.
dass das Ding keine andere Kölner Kirche ist

kann hinterfragen, was die Aussage "Ich sehe vor mir den Kölner Dom" bedeutet, ohne ins Kabuff zu müssen. Der Philosoph im Garten aus Deinem Wittgenstein-Zitat hat also ganz recht. Nur passen – finde ich – Deine sonstigen Ausführungen nicht zu diesem Zitat.

on 10/20/06 um 23:28:50, Abrazo, Wittgenstein zitierend, wrote:Unser Wissen bildet ein großes System. Und nur in diesem System hat das Einzelne den Wert, den wir ihm beilegen.


Hm, finde ich mißverständlich, insbesondere das Wort "nur". Klingt so, als würde das Wissen nichts über die "Welt da draußen" allgemeingültig aussagen und sich nicht an ihr bewähren müssen... Ich meine das etwa in dem Sinne, dass eine Isomorphie zwischen unserem Wissensfundus und dem solchen einer außerirdischen Intelligenz bestehen würde (z.B. über naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten). Dass letztere in ihrer Sprache eine gänzlich andere Nomenklatur hätte, stellt dies ja nicht in Abrede.

on 10/20/06 um 23:28:50, Abrazo, wrote:"Den Kölner Dom kann man nur von zwei geheimen und nicht öffentlich zugänglichen Plätzen aus zur Gänze fotografieren, und dann nicht mit Mensch im Vordergrund. Es ist dem Kölner an sich ein beständiger Quell des Vergnügens, auf dem Rücken liegende Japaner mit der Kamera vor'm Auge zu betrachten; dat Dingen is für Foto zu groß."

Uuuups, wenn das zutrifft, wären damit vernünftige Zweifel begründet, ob ich tatsächlich vor dem Dom stand;-). GibtŽs denn da in der Nähe noch eine andere Kirche?

Grüße
Xenon

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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von doc_rudi am Gestern, 08:32 Uhr
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Hallo Xenon,
endlich mal wieder ein vernünftiger Beitrag in diesem thread, jedoch leider am Thema vorbei.
Hier wird nämlich über Allgemeingültigkeit und nicht über letzte Wahrheit diskutiert. (wobei die Frage ist, ob Allgemeingültigkeit nur über Intersubjektivität herstellbar ist).
Allgemeingültig ist z.B. die deutsche Rechtschreibung, die bekanntermaßen mal so und mal anders ist.
Hier geht es anscheinend um Übereinkunfts"wahrheiten".
Gruß
rudi

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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Xenon am Gestern, 11:37 Uhr
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Hi Doc,

Du sprichst hier einen wichtigen Punkt an. Auch ich bin geneigt, eine allgemeingültige Aussage von einer "Letztwahrheit" abzugrenzen. Sie ist jedenfalls offenkundig "weniger", um es mal so platt auszudrücken. Was soll aber dieses "weniger" nun konkret bedeuten?

Gibt es überhaupt Letztwahrheiten? Ist die Aussage "die Erde hat eine Kugelgestalt" allgemeingültig oder schon eine Letztwahrheit? Ist 6+5 = 11 eine Letztwahrheit oder vielleicht mehr eine Tautologie? Vielleicht sollte man auf den Begriff der Letztwahrheiten verzichten, weil zu viele problematische Assoziationen damit verbunden sind, insbesondere die der Allwissenheit. Anstatt zu fragen: "Gibt es Letztwahrheiten?" erscheint es vielleicht eher geboten zu fragen: Ist es sinnvoll, diesen Ausdruck zu verwenden? Ich meine, man sollte auf ihn verzichten.

Zugegeben: Die von mir erwähnte Frage "Was ist die Wirklichkeit?" klingt sehr nach einer Suche nach Letztwahrheit. Aber letztendlich geht es darum die Welt und ihre Zusammenhänge zu verstehen. Schicht um Schicht des Unwissens abzutragen und so – ohne zum "Eigentlichen" ganz vordringen zu können - stete Erkenntnisfortschritte zu erreichen, welche in allgemeingültigen Aussagen zum Ausdruck kommen.

Ich möchte mich ein wenig gegen Dein Beispiel mit der Rechtschreibung wenden. Das ist für mich eine Art von willkürlicher Allgemeingültigkeit, um die es hier nicht eigentlich gehen sollte (was Sprache im allgemeinen betrifft, ist allerdings zu bedenken, dass sie sich lebendig entwickelt und somit keineswegs mit einem rein-formalen System gleichzusetzen ist).

Wenn Menschen eine Übereinkunft über Formales treffen, mag dann das Vereinbarte im gewissen Sinne als allgemeingültig anerkannt sein. Das Formale ist jedoch austauschbar. Wenn wir hier von Allgemeingültigem sprechen, dann meinen wir, so verstehe ich es zumindest, eher etwas "Tiefergehendes". Und Spannenderes. Sorry, für diese diffuse Ausdrucksweise.

Ist die Aussage, das Sonnensystem hat xy Planeten allgemeingültig? Ob der Pluto ein Planet ist, wurde kürzlich mehr oder weniger willkürlich entschieden durch die Festlegung, was die Sprachkonvention als Planet ansieht.

Tja, jetzt stelle ich fest, dass das mit der "Allgemeingültigkeit" doch eine ziemlich komplizierte Sache ist, die ich jetzt mal eben so nicht auf die Reihe kriege und unterbreche hier mal meinen Gedanken...

Liebe Grüße
Xenon

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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von doc_rudi am Gestern, 12:17 Uhr
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schon in Ordnung, Xenon,
dass die Sonne um die Erde kreist, war mal ne allgemeingültige Aussage und wer das verneint hat, wurde verbrannt, weil er eben das sagte, was wir als wissenschaftliche Wahrheit betrachten.
Ist doch ganz einfach. Ich interessiere mich für Letzteres (siehe thread Modell der Wirklichkeit)
Gruß
rudi

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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Abrazo am Gestern, 13:39 Uhr
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Hi,


Quote:In der Philosophie werden eben auch Dinge bezweifelt, die im Alltag selbstverständlich sind.

Ja.
Aber bevor man sich daran macht, den Zweifel an Selbstverständlichkeiten aufzulösen, muss man erst einmal danach fragen, ob dieser Zweifel überhaupt sinnvoll ist oder ob er nicht vielmehr unsinnig ist und gar keiner weiteren Beschäftigung bedarf.

Vergleiche das mal mit der Frage nach der Quadratur des Kreises. Damit haben sich Generationen von Mathematikern beschäftigt. Bis Ferdinand von Lindemann bewies, dass diese Aufgabe unlösbar ist. Seitdem ist die Frage nach der Quadratur des Kreises unsinnig.

Zu den sinnvoll bezweifelbaren Selbstverständlichkeiten gehört die Frage, ob denn unsere Welt überhaupt aus einem Sammelsurium an sich existierender Objekte besteht. Ohne darauf einzugehen: die Antwort lautet nein.

Wir leben in einem existierenden Raum, in dem etwas kraft unserer Sinne innehalb des Raumes unterschieden wird; das nennen wir Objekte. Heißt, alle Objekte bestehen als Objekte nur innerhalb eines von unserer Wahrnehmungsfähigkeit und unserer Konstitution bewirkten Systems.

Es ist möglich, jedes Einzelne innerhalb dieses Systems zu bezweifeln. Innerhalb des Systems. Ein Zweifel, der das Ding an sich sieht und damit außerhalb des Systems führt, ist unsinnig. Denn er hat einzig unsere Vorstellung als Basis, nicht aber die Welt, der wir gegenüber stehen.

Quote:Es kann durchaus sinnvoll sein, Dinge zu hinterfragen, auch wenn sie im alltäglichen Leben NICHT zu Konflikten führen, wenn man zwecks Erkenntnisgewinn etwas über "den doppelten Boden" der Realität erfahren möchte.

Die Realität hat keinen doppelten Boden. Wenn Du etwa fragst, wie sieht denn der Kölner Dom, den ich hier sehe, in Wirklichkeit aus, dann fragst Du nach dem Objekt, das Du siehst, das Du kraft Deiner Sinne von seinem Hintergrund unterscheidest. Diese Frage kannst Du aber nur stellen, weil Du kraft Deiner Sinne solche Unterscheidungen machen kannst. Du setzt also voraus, dass der Kölner Dom ein Objekt ist. Dass Du es abgrenzen kannst. Wodurch? Durch Deine Sinne. Du fragst also danach, ob das, was abgegrenzt ist, nicht abgegrenzt ist. Oder auch anders abgegrenzt ist, eine Frage, die ebenfalls Abgrenzungen, wie Du sie kraft Deiner Sinne vornimmst, voraussetzt. Diese Frage enthält einen Widerspruch, ist also unsinnig. Denn Fragen, die die Voraussetzung bezweifeln, unter der überhaupt erst gezweifelt werden kann, enthalten stets einen solchen Widerspruch und sind deswegen stets unsinnig. Mit unsinnigen Fragen aber braucht man sich nicht zu befassen.

Fragen, die im alltäglichen Leben nicht zu Konflikten führen, kannst Du nicht stellen, weil sie gar nicht bestehen. Die Frage, ob der Kölner Dom Traum oder Wirklichkeit ist, setzt voraus, dass Du beides, sowohl Traum als auch Wirklichkeit, erlebt hast und folglich unterscheiden kannst. Wäre die ganze Welt ein Traum, wärest Du nicht im Stande, danach zu fragen, weil Du gar nicht wüsstest, wie man Traum und Wirklichkeit unterscheiden kann.


Quote:Hm, finde ich mißverständlich, insbesondere das Wort "nur". Klingt so, als würde das Wissen nichts über die "Welt da draußen" allgemeingültig aussagen und sich nicht an ihr bewähren müssen...

Und wieder setzt Du hier die Existenz von Dingen an sich voraus, die Welt als Sammelsurium. Nur unter diesem Aspekt ergeben sich die von Dir genannten Probleme. Stellst Du aber fest, dass die Welt etwas ist, was ein von uns kraft Konstitution und Sinne so und nicht anders wahrgenommenes logisches System ist, dann sind all diese Probleme auf einmal verschwunden.
So, wie diverse astronomische Probleme auf einmal verschwanden, als der Aspekt, unter dem der Weltraum betrachtet wurde, sich änderte: eben nicht, die Erde ist der Mittelpunkt der Welt, um den alles kreist, sondern, Mittelpunkt unseres Sonnensystems ist die Sonne, und von solchen Sonnensystemen gibt es eine ganze Menge.


Quote:Ich meine das etwa in dem Sinne, dass eine Isomorphie zwischen unserem Wissensfundus und dem solchen einer außerirdischen Intelligenz bestehen würde (z.B. über naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten).



Wieder setzt Du voraus, dass Naturgesetze an sich bestehen, ebenso wie außerirdische Intelligenzen letztlich, mit paar unwesentlichen Abweichungen, die Welt genau so sehen müssten wie wir.

Ich erinnere an Heraklit: "würden alle Dinge zu Rauch, würden wir sie mit der Nase unterscheiden". Spiel das doch mal durch! Es gäbe keine Körper, auch Deinen eigenen nicht, heißt, Du könntest problemlos durch den Dom durchfliegen (hättest allerdings Schwierigkeiten, Dich selbst dabei zu erhalten und nicht in ihm aufzugehen). Unterscheiden könntest Du nur unterschiedliche Rauchgerüche, heißt, es gäbe unterschiedlich ausgedehnte und unterschiedlich riechende veränderliche Felder, aber gewiss keine Häuser und Dome mehr. Du hättest ein ganz anderes System der Welt, in dem Du ganz anders agieren und wahrnehmen würdest. Nun frage mal innerhalb dieses anderen Systems, wie denn die Welt in Wirklichkeit aussieht. Die Antwort lautet eindeutig: für Dich, insofern Du ein Rauchwesen bist, genau so, wie Du sie wahrnimmst.

Allgemeingültig heißt, allgemeingültig im menschlichen System. Hier können wir uns in jedem Einzelnen irren. Aber wir können nie das System verlassen. Und dass wir uns irren erkennen wir daran, dass Behauptungen innerhalb des Systems zu Widersprüchen führen.

Praktisches Beispiel:

Einer behauptet, Deine Sinne täuschen Dich, neben dem Kölner Hauptbahnhof steht gar kein Dom. Jetzt kann man fragen, ob einen denn die Sinne täuschen.

Ich würde erst mal eine andere Frage stellen, nämlich, wie die Sache denn nach Meinung dessen aussieht, der behauptet, dass mich meine Sinne täuschen. Heißt: die Welt hat keine Löcher. Wenn dort der Kölner Dom nicht ist, was ist denn statt dessen da? Wenn er behauptet, statt dessen sei z.B. ein Parkplatz da, wird er Schwierigkeiten mit dem Beweis bekommen.

Die Welt, das System hat keine Löcher. Wer etwas in der Welt bestreitet, muss angeben, wie sich die Sache denn statt dessen verhält. Tut er das nicht - ab ins Kabuff.

Grüße

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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von laertes am Gestern, 14:02 Uhr
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luhman sagte es bereits:


"jedes subjekt hat seine eigene intersubjektivität."
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von hhmoeller am Gestern, 14:17 Uhr
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on 10/21/06 um 12:17:34, doc_rudi wrote:schon in Ordnung, Xenon,
dass die Sonne um die Erde kreist, war mal ne allgemeingültige Aussage [...]


Es ist eine falsche Aussage, die man für wahr gehalten hat.


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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von doc_rudi am Gestern, 14:42 Uhr
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ja so ist es mit Aussagen, die allgemeingültig sind und intersubjektiv bestätigt.
Sie erweisen sich irgendwann als falsch.
Aber das macht nichts.
Gruß
rudi

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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von mondial am Gestern, 15:01 Uhr
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Tatsachen werden nicht objektiver dadurch das zwischen den Subjekten ein Einvernehmen über deren Gültigkeit besteht. Eine Tatsache bekräftigt sich selbst, in dem sie vom Subjekt als solche erkannt wird. Sonst ist sie nämlich keine. Sie wird bei Zustimmung oder dem Gegenteil davon nicht mehr oder weniger tatsächlicher. Der Begriff "intersubjektiv" dient doch so scheint mir vor allem der Verschleierung der Tatsache, dass eine Meinung an deren Stelle treten soll.


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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von hhmoeller am Gestern, 16:18 Uhr
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on 10/21/06 um 15:01:58, mondial wrote:Eine Tatsache bekräftigt sich selbst, in dem sie vom Subjekt als solche erkannt wird. Sonst ist sie nämlich keine. Sie wird bei Zustimmung oder dem Gegenteil davon nicht mehr oder weniger tatsächlicher.


Wir sprechen keine Tatsachen aus, sondern Sätze, die Tatsachen behaupten. Intersubjektivität besteht in der Möglichkeit, eine behaupete Tatsache mit einer beobachteten Tatsache zu vergleichen. Verzichten wir auf die intersubjektive Überprüfbarkeit, so gibt es nur noch einen einzigen Grund, eine Behauptung für wahr zu halten: Die Tatsache, daß sie behauptet wurde.

Damit ist eine fruchtbare Kommunikation unmöglich, denn unter diesen Bedingungen gibt es nur eine einzige Möglichkeit zu argumentieren: Das Argument aus der Autorität.

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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Eberhard am Vorgestern, 19:51 Uhr
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Hallo allerseits,

kommen wir zur These zurück, dass man eine Behauptung nur dann für allgemein gültig erklären kann, wenn es für diese Behauptung intersubjektiv nachvollziehbare Gründe gibt.

Wir hatten uns zuerst mit den faktischen Behauptungen beschäftigt. Dazu gehören Aussagen darüber, dass etwas existiert, dass etwas in einer bestimmten Weise beschaffen ist, dass etwas bestimmte Eigenschaften hat, das sich etwas Bestimmtes ereignet hat, dass bestimmte Ereignisse regelmäßig aufeinander folgen u.a.m.

Grundsätzlich besteht bei faktischen Behauptungen die Möglichkeit, zwanglos eine intersubjektive Übereinstimmung herzustellen, indem man übereinstimmende Wahrnehmungen verschiedener Subjekte heranzieht. Dabei bedeutet "übereinstimmende Wahrnehmung" nicht "völlige Gleichheit", Es muss nur insoweit Übereinstimmung hergestellt werden, als es die verwendeten Begriffe und deren übereinstimmende Anwendung erfordern.

Eine intersubjektiv verständliche Sprache ist natürlich eine Grundvoraussetzung für die Formulierung intersubjektiv einsichtiger Behauptungen. Die Beiträge von Regelwerk sind ein gutes Beispiel für eine Sprache und Begrifflichkeit, der es an intersubjektiver Verständlichkeit fehlt, weil die verwendeten Symbole nicht hinreichend definiert werden und nicht an die gebräuchliche Umgangssprache anschließen können.

Intersubjektive Verständlichkeit setzt dabei nicht voraus, dass alle die gleiche Sprache sprechen, sondern nur, dass alle benutzten Sprachen und Begriffssysteme ineinander übersetzt werden können. Insofern ist der Streit um Worte häufig unproduktiv.

Zu der Behauptung eines Menschen: "Ich sehe vor mir den Kölner Dom (oder auch: den Erzengel Gabriel)" und deren intersubjektive Nachvollziehbarkeit noch eine Anmerkung. Diese Behauptung ist, wenn ich sie mache, gleichbedeutend mit der Behauptung "Eberhard sieht vor sich den Kölner Dom (den Erzengel Gabriel)." Wieweit lässt sich hier intersubjektive Übereinstimmung herstellen? Zu dem, was ich selbst sehe, habe ich ja gegenüber anderen Individuen einen privilegierten Zugang.

Es grüßt Euch Eberhard.

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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von hhmoeller am Vorgestern, 21:09 Uhr
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Von einem befreundeten Philosophen habe ich folgendes Zitat von Carl Friedrich von Weizsäcker:

Paul Lorenzen, der bedeutende Logiker unserer Zeit, sagte mir im Gespräch über seine dialogische Begründung der Logik: Die Logik entstammt der athenischen Demokratie. Auf dem Markt in Athen stellt Einer eine Behauptung auf. Der Andere sagt: »Das glaube ich nicht.« Der Erste: »Du musst es mir aber glauben.« Der Zweite: »Du bist nicht der Perserkönig. Du darfst mir nicht befehlen, was ich glauben muss.« Der Erste: »Ich kann es dir aber beweisen.« Der Zweite: »Bitte, beweise es!« »Und dann« so fuhr Lorenzen fort »brauchen sie Logik.« Lorenzen will nicht sagen, dass sie dann die Logik erfinden, sondern dass sie dann, durch ihre Freiheit genötigt, die wahre Logik entdecken.

Dieser Text macht eines deutlich: Logik ist die Voraussetzung der Intersubjektiven Überprüfbarkeit.

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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von hhmoeller am Vorgestern, 21:41 Uhr
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on 10/22/06 um 19:51:38, Eberhard wrote:Diese Behauptung ist, wenn ich sie mache, gleichbedeutend mit der Behauptung "Eberhard sieht vor sich den Kölner Dom (den Erzengel Gabriel)." Wieweit lässt sich hier intersubjektive Übereinstimmung herstellen? Zu dem, was ich selbst sehe, habe ich ja gegenüber anderen Individuen einen privilegierten Zugang.

Es gibt hier drei unterschiedliche Situationen.

1. Die Aussage behauptet eine Wahrnehmung.
2. Die Aussage behauptet einen wahrnehmbaren Sachverhalt.
3. Die Aussage behauptet einen Sachverhalt, der beobachtbare Sachverhalte zum Gegenstand hat.

zu 1. Die Aussage "Eberhard sieht vor sich den Kölner Dom (den Erzengel Gabriel)." behauptet eine Wahrnehmung. Der einzige, der sicher wissen kann, ob diese Aussage wahr oder falsch ist, ist Eberhard selbst. Wenn ich Eberhard über die Schulter sehe, und dann ebenfalls den Kölner Dom (den Erzengel Gabriel) sehe, kann ich vermuten, daß die Behauptung wahr ist.

zu 2. Die Aussage "in Köln steht ein Dom" behauptet einen wahrnehmbaren Sachverhalt. Sie kann dadurch Glaubwürdigkeit beanspruchen, daß jedermann die Möglichkeit hat, nach Köln zu fahren um nachzusehen, ob der Dom wirklich da ist. Die Aussage ist allerdings nur solange intersubjektiv überprüfbar, wie der Sachverhalt besteht. Das kann in Gerichtsverfahren zum Problem werden. Der Sachverhalt, der dort verhandelt wird, besteht meist nicht mehr. Intersubjektivität kann man in diesem Fall nur provisorisch herstellen, indem man Zeugenaussagen gegeneinander abwägt und mit Indizien abgleicht.

zu 3. Der Satz "Wasser kocht stets bei 100°C" behauptet einen solchen Sachverhalt. In diesem Fall ist stets intersubjektive Überprüfbarkeit gegeben. Jedermann kann jederzeit und beliebig oft den behaupteten Sachverhalt herstellen, und überprüfen.

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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Abrazo am Vorgestern, 23:14 Uhr
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Hi,
Woran kann ich sicher wissen (heißt: wie wäre denn ein Zweifel daran möglich?), dass Eberhard dieselbe Flasche Wein auf dem Tisch stehen sieht wie ich? Daran, dass er mir daraus ein Glas einschenkt.

Grüße
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Eberhard am Gestern, 09:51 Uhr
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Hallo allerseits,

im Folgenden etwas zur Begriffsklärung (Terminologie).

Ausgangspunkt ist die These:
Man kann einer Behauptung keine Allgemeingültigkeit zusprechen, wenn diese Behauptung (einschließlich ihrer Begründung) nicht allgemein (d.h. intersubjektiv und intertemporal) nachvollziehbar (d.h. einsichtig) ist.

Dies erscheint mir als der methodische Kern des wissenschaftlichen (rationalen) Denkens.

Wer etwas behauptet, ohne der Verpflichtung zur allgemein nachvollziehbaren Begründung nachzukommen, der erwartet Glauben (und keine Einsicht).

Wenn der Appell zu glauben Erfolg hat, erlangt die Behauptung allgemeine Geltung.

Eine tatsächlich "allgemein geltende Behauptung" ist jedoch nicht dasselbe wie eine "allgemein nachvollziehbar begründete Behauptung".

Um diesen Unterschied sprachlich direkt benennen zu können, schlage ich zur Terminologie vor, zwischen "(faktischer) allgemeiner Geltung" und "(begründeter) allgemeiner Gültigkeit" zu unterscheiden. "Gültigkeit" bedeutet dann soviel wie "gerechtfertigte Geltung".

Soweit ein vorläufiger Versuch der begrifflichen Klärung.

"Allgemeingültigkeit" im beschriebenen Sinne beinhaltet also nicht nur intersubjektive sondern immer auch intertemporale Nachvollziehbarkeit. Somit kann eine Behauptung nicht heute noch allgemeingültig sein und schon morgen nicht mehr.

Insofern geht die Kritik von doc rudi ins Leere, wenn er ironisch schreibt:
"Ja so ist es mit Aussagen, die allgemeingültig sind und intersubjektiv bestätigt. Sie erweisen sich irgendwann als falsch. Aber das macht nichts."

Auch seine Entgegensetzung von "wissenschaftlicher Wahrheit" und "Allgemeingültigkeit" trifft nicht, wenn er schreibt:
"Dass die Sonne um die Erde kreist, war mal ne allgemeingültige Aussage und wer das verneint hat, wurde verbrannt, weil er eben das sagte, was wir als wissenschaftliche Wahrheit betrachten… Ich interessiere mich für Letzteres."

Zur Allgemeingültigkeit gehört- so wie zur Wahrheit - die intertemporale Nachvollziehbarkeit, also die Dauerhaftigkeit. Wie hhmoeller bereits anmerkte, können sich bisher für wahr gehaltene Aussagen im Zuge neuer Erkenntnisse als falsch erweisen. Entsprechendes gilt für die Allgemeingültigkeit.

Die Forderung nach intertemporal nachvollziehbaren Behauptungen und Begründungen verlangt übrigens keine "ewigen Wahrheiten". Die sind sicherlich rar. Was allein benötigt wird sind zeitlich unbefristet nachvollziehbare Behauptungen.

Es grüßt Euch Eberhard.


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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Eberhard am Gestern, 11:13 Uhr
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Hallo allerseits,

ein Teilnehmer der Runde hat die Ausgangsthese mit dem Argument verworfen, dass 'Intersubjektivität' die Existenz mehrerer Subjekte voraussetzt, dass es aber gar nicht mehrere Subjekte gibt – was mich allerdings verblüfft.

Wenn A aus dem Fenster guckt und sagt: "Es hat angefangen zu regnen" und B sagt "Au ja. Du hast recht. Wir müssen schnell die Wäsche reinholen", dann handelt es sich nach meinem Sprachgebrauch um 2 verschiedene Subjekte.

Dies wird jedoch bestritten. Wie wird nun die Behauptung: "Es gibt nicht mehrere verschiedene Subjekte" begründet"?

Die Begründung beruht auf den folgenden Prämissen:

1.) Alles Wahrgenommene ist für das wahrnehmende Subjekt ein Objekt.
(folgt aus der Definition von 'Objekt')
2.) B hat A wahrgenommen.
(folgt aus dem Beispiel)
3.) A ist für B ein Objekt.
(folgt aus 1.) und 2.))
4.) 'Subjekt' bezeichnet per Definition - im philosophischen Kontext - kein wahrnehmbares Objekt.
(folgt aus der Definition von 'Subjekt')
5. Etwas, das Objekt ist, kann kein Subjekt sein.
(folgt aus 4.))
6.) A ist für B kein Subjekt.
(folgt aus 3.) und 5.))

Eine entspechende Ableitung kann für A vorgenommen werden, mit dem Ergebnis:

7.) B ist für A kein Subjekt.

8.) Es gibt nicht mehrere verschiedene Subjekte – weder für A noch für B.
(folgt aus 6.) und 7.))

Der Fehler liegt in der Schlussfolgerung von 4.) nach 5.), wobei 4.) mehrdeutig ist.

Ich interpretiere Satz 4.) einmal durch den Satz:
4a.) Zur Definition des Begriffs 'Subjekt' gehört nicht die Eigenschaft 'wahrnehmbares Objekt'.

Dies ist richtig. In diesem Fall enthält die Schlussfolgerung von 4.) nach 5.) jedoch einen ungültigen Schluss.

Um den Fehler an einem einfachen Beispiel zu demonstrieren: Aus dem – richtigen - Satz:
"Zur Definition des Begriffs 'Pferd' gehört nicht die Eigenschaft 'weiblich'.
lässt sich jedoch nicht folgern:
"Etwas das ein Pferd ist, kann nicht weiblich sein."

Wenn Satz 4.) bedeuten soll:
4b.) "Per Definition kann ein Subjekt für sich selber kein Objekt sein", so stimmt diese Definition nicht mit dem üblichen Sprachgebrauch und nicht mit den philosophischen Wörterbüchern überein. Wenn ich z. B. dem oft zitierten Spruch "Erkenne dich selbst!" folge, dann bin ich z.B. zugleich Subjekt und Objekt des Erkennens.

Die Begründung der Behauptung "Es gibt nicht mehrere verschiedene Subjekte" ist also nicht intersubjektiv nachvollziehbar, weil sie in der Version 4a.) nicht logisch schlüssig ist, und weil sie in der Version 4b.) von einer willkürlichen Definition des Wortes "Subjekt" ausgeht.

Dieser Behauptung kommt damit keine Allgemeingültigkeit zu, meint

Eberhard.


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