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*** Wer diese Website interessant findet, den bitte ich, Freunde, Kollegen und Bekannte auf die Ethik-Werkstatt hinzuweisen ***
Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivität
(Diskussion bei PhilTalk)
PhilTalk Philosophieforen
Theoretische Philosophie >> Erkenntnistheorie, Wissenschaftstheorie >> Keine
Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivität
(Thema begonnen von:
Eberhard am
2006-10-16, 14:02 Uhr)
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Titel: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivität
Beitrag von Eberhard
am 2006-10-16, 14:02 Uhr
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Hallo allerseits,
In dieser Runde soll die These diskutiert werden, dass
ein Anspruch auf allgemeine Geltung für eine Behauptung nur durch eine allgemein
einsichtige Begründung dieser Behauptung eingelöst werden kann, wobei "allgemein
einsichtig" bedeutet, dass die Begründung intersubjektiv und intertemporal
nachvollziehbar und übernehmbar ist.
Vom eigenen subjektiven Standpunkt
aus gesehen heißt das, dass jede Behauptung, die für mich gelten soll, für mich
einsichtig begründet sein muss. Andernfalls wird von mir Glaube und Gehorsam
verlangt.
Als "allgemeingültig" kann nur diejenige Behauptung
ausgezeichnet werden, deren allgemeiner Geltungsanspruch durch eine
intersubjektiv nachvollziehbare Begründung eingelöst wird.
Diese These
wirft viele Fragen auf, einmal was die Definition der benutzten Begriffe
(Behauptung, Geltung, Intersubjektivität, Allgemeingültigkeit etc.) betrifft und
zum andern, was die Konsequenzen aus dieser These angeht.
Da wir es hier
mit relativ abstrakten Grundlagenproblemen der Erkenntnis zu tun haben, ist die
Gefahr groß, dass wir aneinander vorbei reden. Deshalb die Bitte an jeden
Diskussionsteilnehmer, die eigenen Argumente möglichst verständlich, präzise und
übersichtlich zu formulieren und die Geduld aufzubringen, die eine gründliche
Erörterung philosophischer Probleme nun einmal erfordert.
Noch eine
Bemerkung zum Verfahren bei einer für jedermann frei zugänglichen
Internet-Diskussion wie dieser: Stellungnahmen, die das Thema ablehnen oder
ignorieren, füllen nur unnötig die Seiten und sind insofern überflüssig und
störend. Niemand wird daran gehindert, zu seinen Fragestellungen eine eigene
Runde zu eröffnen. Er muss ja nicht diese Runde als Plattform für seine Ideen
benutzen.
Na, dann kann es losgehen, meint
Eberhard.
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Hannes
am 2006-10-17, 09:48 Uhr
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Hallo in die Runde,
@ Eberhard
zu der These "Keine
Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivität". Ich nehme an, dass für Dich
Wahrheit eine Form der Allgemeingültigkeit ist. Ich sehe aber nicht, was
Wahrheit damit zu tun hat, dass Hinz und Kunz diese Wahrheit einsichtig gemacht
werden kann. Wenn es wahr ist, dass sich die Erdatmosphäre im letzten
Jahrhundert erwärmt hat, dann ist das wahr unabhängig davon, ob Hinz das
einsieht oder nicht. Die Wahrheit einer wissenschaftlichen Aussage hängt doch
nicht von der Begriffsstutzigkeit irgendwelcher Subjekte ab.
Gruß Hannes
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Abrazo
am 2006-10-17, 11:42 Uhr
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Hi,
Hannes spricht damit imho zwei Probleme an: zum einen das Problem der
Nachvollziehbarkeit einer Ursache-Wirkungs-Theorie, sofern die Wirkung noch
nicht eingetroffen ist; wir können hier auch von Prognosen sprechen. Prognosen
haben es nunmal so an sich, dass sie nicht anhand von Tatsachen unmittelbar
überprüfbar sind, weil diese Tatsachen - das Eintreffen der Prognose - nun mal
noch nicht da sind.
Das zweite Problem ist die Bereitschaft, Tatsachen zu
akzeptieren. Vulgo Ignoranz.
Ich sehe im Zusammenhang mit
Intersubjektivität allerdings noch ein Problem.
Es dürfte keine größeren
Schwierigkeiten bereiten, uns über Wahrnehmbares in der Welt, also äußere
Wahrnehmung, intersubjektiv zu einigen. Köln liegt am Rhein. Den Rhein sieht
jeder, der gesunde Sinne hat, egal, wie er ihn nennt.
Wie aber steht es
mit innerer Wahrnehmung?
Beispiel:
Da erklärt einer Ethik und Ästhetik
letzlich zu einer Geschmacksfrage. Etwas, was ich überhaupt nicht nachvollziehen
kann. Ich kann sagen, ob einer diesen oder jenen Popmusikstil bevorzugt, das sei
eine Geschmacksfrage, und auch hier stellt sich das Problem der
Intersubjektivität.
Aber nehmen wir noch nicht mal die Klassik, nehmen
wir mal den Tango. Da gibt es Stücke, die hören sich nett und gefällig an oder
auch nicht, Stücke, die einen in eine bestimmte Stimmung bringen oder auch
nicht, kann ich sagen, gefällt mir gerade oder auch nicht.
Aber dann gibt
es noch andere Tangostücke, da stellt sich mir gar nicht die Frage, ob sie nach
meinem Geschmack sind oder nicht, da stellt sich die Frage, was sie zeigen, was
durch sie gesagt wird. Das sind Stücke, in denen Menschen über ihre Emotionen
reflektieren. Es ist Reflexion, und keine Reizung irgend welcher Gefühle, oder
Mitteilung über eine momentane Gefühlslage.
Reflexion ist aber keine
Geschmacksfrage. Für mich. Dessen bin ich mir auch hundertprozentig sicher: es
ist etwas anderes, unterscheidet sich so wie die Farben rot und grün. Da würde
ich auch keine intersubjektive Abstimmung akzeptieren, deren Ergebnis wäre, dass
es rot und grün als unterschiedliche Sinneseindrücke nicht gäbe. Ich bin mir
dessen gewiss, und wenn einer entgegen meiner Gewissheit behauptet, das sei
nicht so, dann kann ich nur entgegnen, Jung, dann biste farbenblind.
Nun
kann man Farbenblindheit anhand der Funktion entsprechender Körperzellen
untersuchen und nachweisen.
Wie aber steht es mit solchen inneren
Wahrnehmungen? Also den uns bedeutendsten, Ethik und Ästhetik?
Ich stelle
fest, Intersubjektivität ist da herstellbar.
Allerdings ist diese
Intersubjektivität nicht umfassend, sondern auf einen Teil der Menschheit
begrenzt; in diesem Teil jedoch ist nicht nur Intersubjektivität feststellbar,
sondern auch Intertemporaliät.
Ich erinnere aber daran, dass es beim
Versuch eines intersubjektiven Konsenses nicht um die Akzeptanz einer Theorie
geht, sondern um die Frage, ob etwas vorhanden ist, da ist oder nicht, nämlich
die innere Wahrnehmung. Problem: dass sie da ist oder nicht, ist für den jeweils
Wahrnehmenden evident und nicht sinnvoll bezweifelbar.
Gruß
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Xenon
am 2006-10-18, 00:28 Uhr
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Hallo allerseits,
dieser Thread könnte eine interessante Fortsetzung des
Threads "Warum soll ich moralisch handeln?" werden.
Die von uns nach
meiner Einschätzung nicht ausdiskutierte Frage war ja, ob und auf welcher Basis
sich moralische Grundsätze allgemeingültig ableiten lassen.
Eberhard hat
in seiner Ausgangsfrage die Art der aufgestellten Behauptung offen gelassen.
Offensichtlich ist grundlegend zu unterscheiden zwischen
naturwissenschaftlichen Behauptungen und anderen, z.B. ethisch-moralischen oder
Geschmacksaussagen (die Notwendigkeit der Unterscheidung bei der Art der
Behauptung klingt auch bei Abrazo an).
Die Aussage, dass die Erde sich im
letzten Jahrhundert erwärmt hat (s. Posting von Hannes), dürfte man als
naturwissenschaftliche Aussage bezeichnen können.
Gegenüber "Hinz und
Kunz" könnte man diese These mit konkreten Messergebnissen belegen. Nachzuweisen
wäre beispielsweise mittels anerkannter statistischer Methoden die Signifikanz
der Messdaten.
"Hinz und Kunz" müßten dann schon gute Gründe darlegen,
welche die Aussage widerlegen: Z.B. die statistische Signifikanz bestreiten etc.
Sind sie dazu nicht bereit oder fähig, spricht das nicht gegen die These.
Ohne nun auf die wissenschafts- bzw. erkenntnistheoretischen Einzelheiten
einzugehen (Was heisst es genau, dass eine naturwissenschaftliche Aussage wahr,
gültig ist? Problem der Falsifizierbarkeit etc.):
Es sollte klar sein,
dass es "Sinn macht" bei solchen naturwissenschaftlichen Aussagen / Behauptungen
von einer allgemeinen Gültigkeit zu sprechen und es ist auch in etwa klar,
woraus sich diese ableitet: Aus intersubjektiv nachvollziehbaren Beobachtungen
bzw. reproduzierbaren Experimenten.
Hannes` Einwand überzeugt also m.E.
nicht. Jedenfalls was die Art von Behauptungen angeht, um die es in seinem
Beispiel ging.
Wenn hierüber Konsens erzielt werden könnte, wäre es
möglich, dass wir uns dann anderen Arten von Behauptungen widmen: Z.B.
Geschmacksaussagen oder moralisch-ethischen Behauptungen.
Liebe Grüße
Xenon
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivität
Beitrag von
Eberhard am 2006-10-18, 12:03 Uhr
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Hallo allerseits,
vorweg meinen Dank für Eure sachbezogenen Beiträge.
Zu der Frage, was mit "Intersubjektivität" gemeint ist, wenn die These
lautet: "Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivität".
"Intersubjektiv" heißt in diesem Zusammenhang, dass etwas nicht nur "subjektiv"
und damit möglicherweise von Subjekt zu Subjekt verschieden ist, sondern dass es
übereinstimmend für beliebige Subjekte ist. In diesem Sinne verwende ich
Formulierungen wie "intersubjektiv nachvollziehbar" oder "intersubjektiv
geltend". Ob dies dem Sprachgebrauch von K.- O. Apel entspricht, dessen Denken
ich Wichtiges verdanke, will ich offen lassen, um die Diskussion der Sachfragen
nicht durch Interpretationsfragen zu belasten.
Da die Begrifflichkeit
insgesamt problematisch ist, will ich bei dieser Gelegenheit auch meinen
Gebrauch anderer relevanter Begriffe erläutern.
Das Gebiet, auf dem wir
uns bewegen, ist die Erkenntnis, worunter ich die Beantwortung von Fragen
verstehe. Insofern Fragen und Antworten Sätze sind, gibt es Erkenntnis also nur
sprachlich formuliert.
Eine Frage kann unterschiedlich beantwortet
werden. Auf die Frage: "Stammen Menschen und Gorillas von gemeinsamen Vorfahren
ab?" antwortet z.B. A mit "ja" und B mit "nein".
Für A 'gilt' die auf
Darwin zurück gehende Abstammungslehre, d.h. A legt diese Lehre seinem Denken
und Handeln zugrunde. Für B dagegen gilt diese Lehre nicht. Für verschiedene
Individuen können also unterschiedliche Antworten individuelle faktische Geltung
besitzen, sie gelten nur subjektiv.
Dies macht keine Probleme, solange
sie individuell handeln. Wenn A und B jedoch z. B. gemeinsam ein
Biologielehrbuch für die Schulausbildung ihrer Kinder aussuchen sollen,
benötigen sie eine intersubjektiv übereinstimmende Antwort zur Abstammungslehre.
Dies Problem verschwindet, wenn z. B. der Staat die nicht-darwinistische
Antwort für den Schulunterricht vorschreibt und die kollektive bzw.
intersubjektive faktische Geltung dieser Antwort vorschreibt.
Dagegen
kann A einwenden, dass die Antwort von B falsch ist und dass deren faktische
Geltung nicht gerechtfertigt werden kann. Richtig sei die darwinistische
Abstammungslehre. Diese solle sowohl dem individuellen als auch dem kollektiven
Denken und Handeln zugrunde gelegt werden.
Dafür kann man auch kurz
sagen, dass A die darwinistische Abstammungslehre 'behauptet'.
Behauptungen beanspruchen eine in Bezug auf den Zeitpunkt (intertemporal) und in
Bezug auf das Subjekt (intersubjektiv) unbeschränkte Geltung.
Insofern
die dauerhafte Geltung einer Behauptung für beliebige verständige Individuen
nachvollziehbar und übernehmbar begründet bzw. gerechtfertigt ist, bezeichne ich
diese Behauptung auch als allgemein gültig.
Die Gültigkeit von
Behauptungen kann durch logischen Bezug zu anderen Sätzen (Argumenten) und/oder
durch unmittelbare Evidenz begründet oder entkräftet werden.
Je nach der
Art der Fragen kann man verschiedene Arten von Behauptungen unterscheiden, z.B.
faktische, normative, hermeneutische, logische oder methodologische Fragen, die
jeweils unterschiedliche Methoden der richtigen Beantwortung erfordern.
Hier will ich erstmal abschließen. In der Hoffnung, dass mit diesen
Erläuterungen der Begriffe das gegenseitige Verständnis erleichtert wird, grüßt
Euch
Eberhard.
p.s.: Auf die einzelnen Beiträge gehe ich noch
ein.
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von
Eberhard am 2006-10-18, 17:37 Uhr
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Hallo allerseits,
Den Vorschlag von Xenon, sich zuerst auf die
Allgemeingültigkeit und die intersubjektive Nachprüfbarkeit von faktischen
Behauptungen zu konzentrieren, nehme ich gerne auf. Durch eine Klärung der
Fragen im empirischen Bereich, der seit längerem die Forderung nach
Intersubjektivität in seinen Methoden berücksichtigt, können wir uns wappnen für
die schwierigeren ethischen oder ästhetischen Fragen, die Abrazo angeschnitten
hat.
Zu Hannes:
Du schreibst: " Wenn es wahr ist, dass sich die
Erdatmosphäre im letzten Jahrhundert erwärmt hat, dann ist das wahr unabhängig
davon, ob Hinz das einsieht oder nicht."
In einem bestimmten Sinne gebe
ich Dir Recht. Nehmen wir ein einfaches Beispiel, wie es manchmal im Alltag
vorkommt. Jemand nimmt ein großes Glas, füllt es bis an den Rand mit kleinen
Nägeln und verschließt es fest. Daneben hängt ein Schild, worauf steht: "Wie
viele Nägel sind in diesem Glas? Wer die richtige Zahl nennt, gewinnt 1000 ?."
A behauptet: "In diesem Glas befinden sich genau 7.861 Nägel."
Nehmen wir einnmal an, dass eine sorgfältige Auszählung später ergab, dass sich
tatsächlich 7.861 Nägel in dem Glas befanden.
Dann war A's Behauptung -
von diesem Kenntnisstand aus gesehen - zum Zeitpunkt ihrer Äußerung bereits
wahr.
Insofern ist die Wahrheit einer Behauptung unabhängig von der
Frage, ob es intersubjektiv nachvollziehbare Gründe für die Wahrheit dieser
Behauptung gibt oder nicht.
Betrachten wir einmal konkret die Situation.
A behauptet: "Es befinden sich 7.851 Nägel in dem Glas. Dies ist wahr."
B entgegnet: "Begründe Deine Behauptung!".
A antwortet: "Ich habe das
geschätzt.".
Darauf B: "Deine subjektive Schätzung kann ich nicht
nachvollziehen. Deshalb kann ich Deine Behauptung nicht anerkennen. Sie mag
zufällig wahr sein, aber für mich ist sie solange nicht wahr, wie ich keine
Begründung für diese Behauptung habe."
Eine intersubjektiv
nachvollziehbare Begründung wäre es, wenn A sagt: "Ich habe die Nägel in dem
Glas gezählt."
Zählen ist ein Verfahren, das man allgemeinverständlich
beschreiben kann, und das bei Befolgung der angegebenen Schritte zu
intersubjektiv übereinstimmenden Ergebnissen führt. Man kann Mengen auch
gemeinsam auszählen. Dies wird z.B. mit den Stimmzetteln von Wahlen häufig
gemacht.
Wahrheit hat also neben dem Aspekt der Objektivität ("Es ist
so, wie behauptet") auch einen sozialen Aspekt ("Meine Behauptung gilt für alle.
Ich erwarte von Dir, dass Du ihr zustimmst"). Für den sozialen Aspekt der
Wahrheit bzw. Allgemeingültigkeit gilt die Bedingung der intersubjektiven
Nachvollziehbarkeit.
Soviel erstmal von
Eberhard.
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von
hhmoeller am 2006-10-18, 19:20 Uhr
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on 10/18/06 um 18:18:57, ich_bins wrote:Wie wärs, wenn du B die Möglichkeit
gibst,
s e l b e r nachzuzählen [cheesy]
damit er auch ganz sicher sein
kann, dass es stimmt, was A sagt? [grin]
Genau darum geht es.
Eberhard hat doch deutlich gesagt:
on 10/18/06 um 17:37:07, Eberhard
wrote: Eine intersubjektiv nachvollziehbare Begründung wäre es, wenn A sagt: "Ich
habe die Nägel in dem Glas gezählt."
Diese Aussage ist deshalb
intersubjektiv nachvollziehbar, weil B nachzählen kann. Wenn weder A noch B sich
verzählen, kommen sie zwangsläufig zum gleichen Ergebnis.
Der Satz "Ich
schätze ..." ist nicht intersubjektiv nachvollziehbar, denn zwei Schätzungen
führen nicht zwangsläufig zum gleichen Ergebnis.
Intersubjektive
Überprüfbarkeit besteht also gerade darin, daß jeder die Möglichkeit hat s e l b
e r nachzuzählen, und daß das Ergebnis der Überprüfung unabhängig davon ist, wer
sie durchführt.
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von
Eberhard am 2006-10-18, 21:20 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo Abrazo!
Du schreibst: "Es dürfte keine
größeren Schwierigkeiten bereiten, uns über Wahrnehmbares in der Welt, also
äußere Wahrnehmung, intersubjektiv zu einigen."
Man kann jedoch auch bei
empirischen Fragen in Schwierigkeiten mit der intersubjektiven
Nachvollziehbarkeit kommen. Ich liege wohl nicht falsch, wenn ich sage, dass der
überwiegende Teil meines Wissens über die Welt nicht auf eigener Wahrnehmung
beruht. Ich war z. B. noch nie in Australien. Trotzdem halte ich zahllose
Aussagen über Australien für wahr, z.B. dass es dort verschiedene Arten von
Beuteltieren gibt. Ich vertraue in diesen Fragen also auf die Berichte, die
andere Menschen von ihren Aufenthalten in Australien geben sowie auf die Inhalte
audio-visueller Medien. Entsprechendes gilt für den überwiegenden Teil meines
Weltbildes. Ist ein derartiges Vertrauen gleichzusetzen mit einer
intersubjektiven Nachprüfbarkeit der Aussagen?
Noch schwieriger ist die
intersubjektive Nachprüfbarkeit von Behauptungen über Vergangenes. Es kommt vor,
dass es keine Augenzeugen für bestimmte Ereignisse gibt, z.B. für das Aussterben
der Dinosaurier oder für die Himmelfahrt des Jesus von Nazareth. Was ist in
diesem Fall eine einsichtige, intersubjektiv nachvollziehbare Begründung für ein
behauptetes Ereignis? fragt
Eberhard.
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Xenon
am 2006-10-18, 21:26 Uhr
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Was ist eine Tatsache anderes als eine Behauptung über faktische Dinge,
von deren allgemeiner Geltung sicher ausgegangen wird?
Liebe Grüße
Xenon
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von mondial
am 2006-10-18, 21:59 Uhr
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Braucht es dazu zwei oder mehrere?
Ich behaupte dass, wenn ich jetzt
einen Tennisball auf die Strasse werfe, so ist das eine Tatsache. Wird die
Tatsache ungeschehen, nur weil niemand ausser mir davon weiss? Klar kann sich jemand
davon überzeugen, der Ball liegt vielleicht noch auf der Strasse. Vielleicht
aber auch nicht mehr. Aber warum sollte ich das gewesen sein, der ihn geworfen
hat? Diese Tatsache lässt sich nicht beweisen. Ist sie darum nun auch für mich
keine mehr?
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Abrazo
am 2006-10-18, 23:32 Uhr
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Hi,
denn man von Anfang an:
Ein ungeheueres Problem war (imho) die
Frage nach der Realität der Außenwelt. M.E. hat Wittgenstein es gelöst (bin mir
aber nicht mehr sicher, ob er das selber gemerkt hat): wir können zwar jedes
Einzelne in der Welt bezweifeln, nicht aber die Welt als Ganze, denn um das zu
tun, müssten wir ihre Existenz voraussetzen. Unsinniger Zweifel.
Daraus
folgt: es ist möglich, Wahres zu erkennen. Definitiv Wahres.
Ein
Lebewesen erhält in seinem Umfeld seine Form durch Stoffwechsel. Es nimmt Stoffe
auf und gibt Stoffe ab. Das ist nur möglich, wenn es gegen sein Umfeld
abgegrenzt ist, wenn es etwas anderes ist. Das Prinzip der Wahrnehmung, ohne die
kein stoffwechselndes Lebewesen leben kann, folgt dem, dass sich das, was
innerhalb der Grenzen der lebenden Form ist, etwas anderes ist als das, was
außerhalb ist. Dieses Prinzip ist auch das Prinzip der Logik.
Weil das
Prinzip der Wahrnehmung das Prinzip der Logik ist, ist unsere Welt logisch.
Folgt: was immer über unsere Welt im Einzelnen behauptet wird, muss logisch
sein. Ergeben sich logische Widersprüche mit anderen Behauptung anderer, so sind
beide Behauptungen zweifelhaft. Ergeben sich logische Widersprüche in der
Behauptung selbst, so ist sie falsch.
Wahr und falsch sind, sofern es
(zunächst) um empirische Urteile geht, nicht abhängig von einem Konsens.
Wahrheit ist nicht demokratisch.
Frei zu sein hat jedoch die Kritik an der
Begründung eines Urteils, denn wir können uns irren.
Folgt: unbegründete
Kritik ist irrelevant.
Soweit die Urteile über Wahrgenommenes, die Formeln,
das Verarbeitungsprogramm.
Anders verhält es sich mit den Daten, den
Wahrnehmungen. Die sind nämlich niemals nur ein einziger Sinneseindruck, sondern
eine Kombination sämtlicher äußerer Sinne, verbunden mit den inneren
Sinneswahrnehmungen, dazu Erinnerung, und das ganze eingebettet in ein
individuelles oder kollektives Weltbild. Folgt, sie können durchaus verschieden
sein, wie jeder Richter und jeder Polizist weiß. Hier ist also ein Konsens
erforderlich.
Das Problem ist, dass Wahrnehmungen immer evident
erscheinen. Im Zweifel hat man also eine Konkurrenz der Evidenzen. Manche
Konflikte kann man dadurch lösen, dass man den Ursachen evident erscheinender
Wahrnehmungen nachspürt und sie aufdeckt; beispielsweise bei
Drogenhalluzinationen.
Manchmal aber haben wir sogar den Konflikt echter
miteinander konkurrierender Evidenzen. Dies ist im Bereich der Ethik der Fall,
denn da konkurrieren im Zweifel innerlich wahrgenommene und damit evidente
Aggression gegen die ebenso innerlich wahrgenommene und damit evidente Bremse
der Humanität. Beispielhaft für die offenbar zumindest hier nicht vorhandene
humane Bremse: die Foltersoldaten von Abu Ghoreib.
Es ist ein weniger
gravierendes Problem, logische und vernünftige Theorien zu konstruieren, die
allgemein einsichtig sind.
Es ist jedoch ein Problem, auf der Basis
welcher Daten, welcher Evidenzen sie konstruiert werden.
Natürlich müssen
wir anderen in ihren Behauptungen vertrauen. Das geht gar nicht anders, denn
immerhin sind wir ja mit den Behauptungen anderer, die wir für die absolute
Wahrheit hielten, aufgewachsen. Der Zweifel kommt ja erst später, setzt das Für-wahr-halten voraus.
Allerdings wissen wir in der Praxis, dass es seriöse
Leute gibt und unseriöse; und auch hier verlassen wir uns weitgehend auf den
Konsens der Experten. Immerhin sind etliche Leute schon mal in Australien
gewesen, also nehmen wir an, dass es das auch gibt. Zumal es logische und
nachvollziehbare Erklärungen gibt, wie man dort hin kommen kann, im Gegensatz zu
Atlantis. Wer behauptet, dort gewesen zu sein, müsste erst mal erklären, wo
genau es liegt, wie man dorthin kommt und warum es zuvor noch keiner gefunden
hat. Heißt, eine Behauptung muss nicht notwendigerweise nachvollziehbar evident
sein, sie muss aber in das uns bekannte System der Welt logisch passen und damit
potentiell evident sein; in den meisten Fällen genügt uns das.
Gleiches
gilt für die Vergangenheit, soweit sie konstruiert und nicht von Zeitzeugen
schriftlich belegt ist. Sie muss sozusagen eine Erweiterung unseres logischen
Weltsystems nach hinten sein.
Denn wir haben eben kein Sammelsurium von
Objekten vor Augen, sondern die Welt als ein vollständiges, komplexes logisches
System, in dem nicht plötzlich etwas unlogisches auftauchen kann.
So
weit, so gut - und so unvollständig (Mängel bitte der Tatsache zuschreiben, dass
ich jetzt müde bin und ins Bett gehe. Aber wenn Mängel vorhanden, dann bitte
auch aufdecken!).
Grüße
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von
hhmoeller am 2006-10-19, 12:24 Uhr
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on 10/19/06 um 11:33:27, laertes wrote:sag das mal jemandem, der an
phantomschmerzen leidet.
Phantomschmerzen hat nur der Amputierte,
nicht aber der Beobachter. Sie sind also nicht intersubjektiv.
on
10/19/06 um 11:39:49, doc_rudi wrote:es gibt auch Wahrnehmung ohne Objekt,
sogenannte Halluzinationen.
Weiße Mäuse sieht nur der Betrunkene,
nicht aber der nüchterne Beobachter. Halluzinationen sind also nicht
intersubjektiv, sie sprechen also nicht für die Anwesenheit weißer Mäuse.
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von
doc_rudi am 2006-10-19, 15:55 Uhr
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hab ich ja gar nicht behauptet
@laertes
Du meinst anscheinend, nur Du
hättest Wahrnehmung.
Wenn Du die Augen schließt, nehme ich das Objekt
weiterhin wahr - ich verlasse mich auf die Wahrnehmung meiner Mitmenschen, weil
ich kommunikativ erfahren habe, dass sie ebenso wahrnehmen wie ich.
Gruß
rudi
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Om am
2006-10-19, 17:50 Uhr
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Quote:Eberhard:
Wenn "sehen" bedeutet: "mit den Augen wahrnehmen", dann
sehe ich den wirklichen Baum mit meinen Augen und nicht den gesehenen Baum. Ich
nehme den wirklichen Baum mit meinen Sinnen wahr und nicht die Sinneswahrnehmung
dieses Baumes.
Einspruch. Der "wirkliche Baum" wird schon kurz
nach Eintreffen in der "Rezeption" auf der Netzhaut des Auges verändert,
gespiegelt, verarbeitet, codiert, adaptiert. Alles das auf biochemische Weise,
durch Moleküle, die aus Atomen und wiederum aus Quantenobjekten bestehen, also
sich einer exakten Festlegung entziehen.
Der Mensch hat physiologisch nie
Zugriff auf das optische Abbild, das durch das Auge projiziert wird; ausnahmslos
jede visuelle Wahrnehmung durchläuft einen komplexen mehrstufigen
Verarbeitungsprozess.
(Betz, 1974)
und
"Das Erregungsmuster im
Cortex ist alles andere als eine Reproduktion der äußeren Ereignisse". (David
Hubel, amerik. Gehirnforscher u. Nobelpreisträger)
Es genügt also schon
ein genaues Hinsehen :-) auf den Sehvorgang, und wiederum fällt einem auf, daß
die für objektivierbar, für statisch gehaltene Wirklichkeit nur eine
"second-hand"-Ausgabe ist.
Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind - wir
sehen sie, wie wir sind (Talmud).
Wenn wir also unseren "Filter" nicht
abschalten können, was soll dann als intersubjektive Wahrheit gelten ?
Gruß
Om
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von
doc_rudi am 2006-10-19, 20:06 Uhr
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Hallo,
Om: "Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind - wir sehen sie, wie wir
sind (Talmud)"
Und da wir alle gleich sind (mit zu vernachlässigenden
Unterschieden), sehen wir die Dinge auch gleich.
Gruß
rudi
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Abrazo
am 2006-10-19, 21:02 Uhr
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Hi,
Quote:Ein wichtiger Gesichtspunkt – den Abrazo bereits genannt
hat – besteht in der Untersuchung, ob die Behauptung vereinbar ist mit unseren
sonstigen Annahmen über die Beschaffenheit der Welt.
Ich gehe
darüber hinaus, Eberhard.
Die Realität der Außenwelt (was nicht
gleichbedeutend damit ist, dass sie ohne unsere spezifische
Wahrnehmungsfähigkeit genau so aussähe) ist unbestreitbar.
Wer hier mit
Zweifel, Irrtum, Glaube, Lüge kommt, verkennt, dass all diese Urteile am Wahren
gemessen werden. Sie sind das, was vom eindeutig Wahren abweicht. Es sind
Negationen des Wahren im Einzelfall, die Wahrheit als Normalfall voraussetzen.
Hinzu kommt als konstituierendes Element unserer Welt die Logik, weil die
Logik das Prinzip unserer Wahrnehmungen ist. Daraus folgt, die Struktur unserer
Welt ist logisch.
Eine Behauptung, die im komplexen System unserer Welt
zu einem logischen Widerspruch führt, ist falsch. Im komplexen System,
wohlgemerkt. Denn eine logisch falsche Behauptung kann durchaus wahr erscheinen,
wenn man einen Teilbereich des Systems heraus greift und ihn in der Vorstellung
vom Gesamten isoliert; dann fallen nämlich die eventuell problematischen
Verbindungen weg.
Tatsächlich haben wir ja irrtümliche Annahmen an später
auftauchenden Widersprüchen im System entdeckt.
Das ist etwas anderes,
als einzelne Annahmen über die Beschaffenheit der Welt und ihre
Gesetzlichkeiten. Denn auch in den Annahmen über solche Beschaffenheiten können
wir uns irren - der Irrtum wird dann offenbar, wenn es eben zu logischen
Kollisionen an irgend einer bisher nicht beachteten Stelle im System kommt.
Die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem logischen System Welt ist die
Frage, ob das Behauptete überhaupt möglich ist.
Phantomschmerz ist im
logischen System ebenso möglich wie das Werfen eines Tennisballes auf die
Straße. Nicht möglich ist es hingegen, mit normalen Körperkräften unter normalen
Luft- und Schwerkraftbedingungen einen Tennisball über den Atlantik zu werfen.
Hier würde man dem, der behauptet, er habe das getan, den Vogel zeigen.
Ich halte es nicht für fruchtbar, an dieser Stelle das Phänomen des ohne Zeugen
auf die Straße geworfenen Tennisballes zu untersuchen (im Zweifel hat ihn Herr
Hund mitgehen lassen). Denn unter normalen Umständen ist dies keine Frage, über
die es intersubjektive Streitpunkte gäbe, weil keiner davon betroffen wäre, im
Gegensatz dazu, wenn einer einen Wackerstein von der Brücke auf die Autobahn
wirft; von einem solchen Ereignis sind andere betroffen dadurch, dass sie mit
den Folgen zu tun haben. Und die davon Betroffenen sind durchaus fähig, das
Ereignis intersubjektiv zu bezeugen.
Im Bereich Diskussion über Ethik und
Moral geht es ohnehin vorrangig nur um Handlungsweisen, von denen andere
betroffen sind.
Eine Diskussion über die rechte Art und Weise, sich den
Allerwertesten zu putzen, ist nur dann von allgemeinem Interesse, wenn nicht
genug Klopapier vorhanden ist.
Forderungen nach Intersubjektivität und
nach intertemporalen Überprüfungen sind in der Regel ohnehin nur dann von
Belang, wenn es intersubjektive Konflikte dazu gibt.
Grüße
------------------------------------------------------------
(Beitrag von Eberhard)
Ich schlage vor, dass
wir uns – für eine begrenzte Zeit – mir der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit
des Satzes "Ich sehe vor mir den Kölner Dom" befassen. Dieser Satz gehört zur
Klasse der Aussagen über die eigene gegenwärtige Wahrnehmung, ist also ein
introspektiver Satz über etwas faktisch Vorhandenes, eine spezielle Form der
faktischen Behauptungen. (Der erfahrungswissenschaftlichen Psychologie sind
solche Sätze allerdings eher suspekt.)
Diesmal hart am Thema zu argumentieren, bittet Euch
Eberhard.
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von laertes
am Vorgestern, 17:48 Uhr
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hi eberhard,
hart diskutieren tue ich nicht - immer soft in den schultern
bleiben :-), aber lass mich auf dein beispiel eingehen:
"Ich sehe vor mir
den Kölner Dom".
Wer sagt das? bestimmt nicht du, eberhard, oder hast du
ausblick auf den dom von deinem wohnort aus?
wird eine vorstellung, fantasie
beschrieben?
Ich z.b. sehe den kölner dom jetzt nicht.
ist nur eine
abbildung oder ein erinnerungsbild des doms gemeint?
nicht zu vergessen die
offenkundige sprachliche spaltung der vermeintlichen erstinstanz: i c h sehe vor
m i r. ist das 'subjekt' des 'intersubjektiven' jetzt das 'ich' oder das 'mir'?
ist das, was ich vor mir sehe dasselbe was du vor m i r siehst?
das müsste ja
gelten sonst, kannstes vergessen mit der 'intersubjektivität'.
ist es
jemanden möglich zu einem zeitpunkt x einen gegenstand aus den selben
augenwinkel zu sehen?
diese fragen stehen also offen und du tust so als
sei dein satz sowas von selbstverständlich (obschon er einer reine fiktion ist),
dass darüber nicht gesprochen werden muss und man locker daraus das gespenst
der 'intersubjektivität' ableiten könne.
da sage ich nur: gewaltiger
irrtum!
viele grüsse
laertes
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von
Eberhard am Vorgestern, 18:10 Uhr
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Halo allerseits,
Hallo om,
Ich hatte geschrieben: "Ich sehe den
wirklichen Baum und nicht den gesehenen Baum."
Dagegen hast Du Einspruch
erhoben mit dem Argument, dass "Sehen" nicht nur die Aufnahme optischer Reize
sei sondern auch die Verarbeitung dieser Reize im Gehirn umfasse.
Das
ist für mich selbstverständlich. Aber selbst wenn ich durch ein Fernglas auf den
Baum vor mir sehe, sehe ich immer noch den wirklichen Baum und nicht den
gesehenen Baum.
Du fragst, wie angesichts der beteiligten Filter eine
intersubjektive Übereinstimmung der Wahrnehmung möglich ist?
Wie haben
wir denn das Wort "Baum" und dessen Verwendung erlernen können, wenn es diese
Intersubjektivität nicht gäbe?
fragt Dich Eberhard zurück.-
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Xenon
am Vorgestern, 19:07 Uhr
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Hallo Eberhard,
hallo allerseits,
nachfolgend einige Gedanken zu dem
Satz "Ich sehe den Kölner Dom" und weshalb wir ihn als "wahr" ansehen.
Solcherlei Aussagen erscheinen mir so offenkundig "richtig” zu sein, so dass ich
für gewöhnlich gar nicht auf die Idee käme, sie zu hinterfragen.
Schon
von
weitem sah ich die Silhouette des Kölner Doms, als ich mich der Stadt und der
City näherte. Ich hatte erwartet, diesen Kirchenbau zu sehen: hier genau im
Zentrum Kölns, direkt am Rhein. Und am Bahnhof. Südlich beginnt die Altstadt,
südwestlich beginnt das große Einkaufsviertel mit Hohe Straße und Schildergasse.
Nun stehe ich vor der monumentalen Westfassade mit den imposanten zwei Türmen.
Alles sieht genauso aus wie vor ein paar Jahren, als ich diese Stätte
bereits einmal besuchte. Von unzähligen Bildern kenne ich den Dom, aus
unzähligen Erwähnungen in Büchern und in Gesprächen von Kindheit an. Ich sehe
den Standort des Doms auf einem Plan in meinem Reiseführer eingezeichnet. An
genau diesem Ort stehe ich.
Um mich herum eine Vielzahl von Menschen,
die sich wie ich für diesen Prachtbau interessieren. Offensichtlich handelt es
sich um einen touristischen Anziehungspunkt.
Theoretisch könnte ich
einige dieser Menschen fragen, ob dieser Kirchenbau tatsächlich der Kölner Dom
ist. Aber weil mir das zu peinlich wäre, würde ich mich wohl lieber darauf
beschränken, die Leute zu beobachten, wie sie die Sehenswürdigkeit anschauen und
sich darüber unterhalten. Ich sehe einen Stand, an dem Ansichtskarten verkauft
werden. Ich schaue mir eine von ihnen an und erkenne die Aufschrift "Rund um den
Kölner Dom". U.a. ist die Westfassade abgebildet. Das Bild auf der Ansichtskarte
entspricht meinem visuellen Eindruck, wenn ich die Fassade hinaufschaue.
Um sicherzugehen, dass ich nicht träume, kann ich mir ausgewählte
Sehenswürdigkeiten wie den Altar oder die prächtigen Schnitzwerke innerhalb des
Doms en detail betrachten und mit den Angaben des Reiseführers vergleichen. Mein
Traum-Phantasie wäre wohl nicht imstande, diese Eindrücke so exakt und mit einer
solchen Klarheit zu erzeugen.
Ich fotografiere den Dom. Ich bitte andere
Personen darum, mich mit dem Dom im Hintergrund zu fotografieren. Ich schaue mir
die Aufnahme an. Ich zeige sie zu Hause meinen Bekannten. Wie selbstverständlich
gehen sie davon, dass ich tatsächlich dort war.
Alle die von mir
genannten – zugegeben trivial anmutenden – Punkte lassen sich mehr oder weniger
mit dem Begriff der Intersubjektivität in Verbindung bringen. In gewisser Weise
trifft das sogar auf die Heranziehung eigener Erfahrungen in der Vergangenheit
zu. Je größer die Distanz zu einem früheren ICH, umso mehr bin ich ja in
gewisser Weise zu einer "anderen Person" geworden. Umso mehr kann ich mich und
meine Sinneseindrücke hinterfragen. Auf den zweiten Blick stelle ich z.B. fest,
dass ich einer optischen Täuschung aufgesessen bin.
Soweit einige
Gedanken, wie gesagt: nicht sonderlich originell.
Liebe Grüße
Xenon
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von
Eberhard am Vorgestern, 22:05 Uhr
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Ich frage: Was bringt es, die Begriffe "Wirklichkeit" oder "Existieren" entgegen
der Sprachkonvention so zu gebrauchen, wie Du, lieber Ichbins, ihn in Deinem
letzten Posting verwendest? (ansonsten im Alltag aber ja wohl nicht).
Sprache hat auch etwas mit Zweckmäßigkeit und Konsequenz zu tun.
Begriffe
wie "Wirklichkeit" oder "Existenz" dienen als sprachliches Ausdrucksmittel, um
z.B. das Nur-Scheinbare, Geträumte, Nur –Vorgestellte von der nachhaltigen und
unserem Willen weitestgehend entzogenen "wirklichen" Welt zu unterscheiden....
Nicht mehr und nicht weniger.
Es bleibt höchst fraglich, ob sich die
Frage "Was ist die absolute Beschaffenheit der Welt?" überhaupt jeweils auch nur
ansatzweise beantworten läßt. Nach meiner Meinung ist hier allenfalls ein
behutsames Vorantasten möglich, bei dem in der Tat auch die hergebrachte
Bedeutung z.B. solcher Wörter wie Zeit, Raum oder Materie hinterfragt werden
kann ...
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(Beitrag von Xenon)
Noch eine kurze Anmerkung
zu meinem Posting betreffend den Kölner Dom. Eine wichtige Rolle spielte ja das
"eigene" Wissen um den Kölner Dom. Wie er aussieht, wo er sich befindet, dass
der Name dieses Kirchenbaus "Kölner Dom" lautet usw. Erst wenn das, was ich
erblicke, all den in diesem Wissen fußenden Erwartungen entspricht, gelange ich
zu der Aussage: "Ich sehe den Kölner Dom".
Dieses gesammelte Wissen
wiederum, ist jedoch nicht vom Himmel gefallen. Es ist erlernt. Es ist
vermittelt - durch den Austausch mit anderen Menschen letztlich. Das kann
zurückreichen bis in die Kindheit. Bis hin zur Vermittlung der elementaren
Fähigkeit, sich selbst als handelnde Person zu verstehen und sich in einer
Beziehung zur Umwelt zu sehen.
Bevor ich noch den Kölner Dom sehe, bin
ich also ausgestattet mit Fähigkeiten und intersubjektivem (!) Wissen, welche
mich in die Lage versetzen werden, sicher berurteilen zu können, ob ich dann
tatsächlich vor dem Dom stehen werde.
Insofern steckt das
Intersubjektive in mir auf vielfältige Weise als Wissen & Fähigkeit drin und ich
kann deshalb auch dann, wenn mich niemand sieht, trotzdem aussagen, dass die
Behauptung "Ich sehe den Kölner Dom" wahr ist. Das ist natürlich auch in dem
Sinne, wie von Hajo ausgeführt, zu verstehen, daß alle Menschen aufgrund
gemeinsamer biologischer Grundlagen, ähnliche Wahrnehmungen haben.
Liebe
Grüße
Xenon
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivität
Beitrag von Abrazo
am Vorgestern, 23:28 Uhr
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Hi,
Quote:Abrazo wendet sich gegen Beispiele wie den geworfenen
Tennisball: "Forderungen nach Intersubjektivität und nach intertemporalen
Überprüfungen sind in der Regel ohnehin nur dann von Belang, wenn es
intersubjektive Konflikte dazu gibt."
Eberhard, ich nehme an, Du
hast mich missverstanden. Ich halte das Argument mit dem Tennisball durchaus für
stichhaltig, weise aber darauf hin, dass es in der Praxis irrelevant ist (bis
auf wenige Ausnahmefälle). Wenn Du gerade alleine zu Hause bist und Dich am Kopf
kratzt, so kannst Du ja auch die Aussage "Ich kratze mich gerade am Kopf"
niemandem beweisen. Allerdings dürfte es auch niemanden interessieren (außer
Psychologen vielleicht, die gerade eine statistische Untersuchung machen, wie
oft sich Menschen am PC den Kopf kratzen).
Interessieren tun doch nur
Aussagen, die ungewiss oder zweifelhaft sind oder über die es zum Konflikt
kommt. Das gilt auch für Wahrnehmungen. Farbenblinde merken meist erst relativ
spät, dass sie farbenblind sind; dann, wenn andere den für sie gleichen Grauton
mit unterschiedlichen Wörtern benennen. Oder beim Führerscheinsehtest. Also
dann, wenn es zum Konflikt kommt zwischen dem, was sie als gesehen bezeichnen
und dem, was andere als gesehen bezeichnen.
Quote:"Ich sehe vor mir
den Kölner Dom" befassen. Dieser Satz gehört zur Klasse der Aussagen über die
eigene gegenwärtige Wahrnehmung, ist also ein introspektiver Satz über etwas
faktisch Vorhandenes, eine spezielle Form der faktischen Behauptungen. (Der
erfahrungswissenschaftlichen Psychologie sind solche Sätze allerdings eher
suspekt.).
Eberhard
Quote:Ich sitze mit einem
Philosophen im Garten; er sagt zu wiederholten Malen "Ich weiß, daß das ein Baum
ist", wobei er auf einen Baum in unserer Nähe zeigt. Ein Dritter kommt daher und
hört das, und ich sage ihm: "Dieser Mensch ist nicht verrückt: Wir
philosophieren nur."
Wittgenstein, Über Gewissheit, 467
Das
musste jetzt raus [grin]
Zentral ist imho dazu diese Passage:
Quote:Unser Wissen bildet ein großes System. Und nur in diesem System hat das
Einzelne den Wert, den wir ihm beilegen.
Ebenda, 410
Es kann
einer am Kölner Dom zweifeln, weil er nicht weiß, dass er in Köln ist. Er kann
zweifeln, weil er nicht weiß, dass das Ding eine Kirche, ein Dom ist. Es kann
einer zweifeln, weil er röhrensichtig ist und gar nicht richtig sehen kann. Es
kann einer zweifeln, weil er eine andere Kölner Kirche für den Kölner Dom hielt.
Heißt, einer kann aus bestimmtem Grund daran zweifeln, den Kölner Dom zu sehen,
wenn er davor steht. Heißt, Gründe brauchen wir in diesem Falle nicht dafür zu
sagen, das ist der Kölner Dom, Gründe brauchen wir dafür zu sagen, das ist nicht
der Kölner Dom. Es ist also die abweichende Auffassung zu begründen. Also
wiederum der Konflikt.
Wenn nun einer vor dem Kölner Dom steht und sagt:
"Das ist nicht der Kölner Dom", dann werden wir ihn, wenn wir Geduld haben,
fragen: "wieso glaubst (!) du, dass das nicht der Kölner Dom ist?" Und dann wird
er uns Gründe nennen, die wir natürlich widerlegen können - aus dem Kontext, dem
gesamten System unseres Wissens, unseres Daseins heraus.
(Wenn er es dann
immer noch bestreitet, dann muss er zu Joy ins Kabuff)
Laertes, der
Kölner Dom ist so groß, da sind die unterschiedlichen Augenwinkel irrelevant.
Und im übrigen steige ich Deinetwegen jetzt nicht aufs Dach, um mich davon zu
überzeugen, dass der Dom immer noch links hinten an der Deutzer Brücke steht, um
danach einen Freund in Nippes anzurufen und ihn zu bitten, aufs Dach zu steigen,
um zu prüfen, ob er ihn aus seinem anderen Blickwinkel auch immer noch sieht.
Quote:Um sicherzugehen, dass ich nicht träume, kann ich mir ausgewählte
Sehenswürdigkeiten wie den Altar oder die prächtigen Schnitzwerke innerhalb des
Doms en detail betrachten und mit den Angaben des Reiseführers vergleichen.
Wenn Du träumen solltest, Xenon, so wäre immerhin zu fragen, woher
denn dieser Traum kommt, sprich, woher denn dieses Bild kommt.
Übrigens:
woran erkennt man einen Traum? Daran, dass die eigene Handlungsfähigkeit, im
Gegensatz zu dem, was man an der Wirklichkeit erfahren hat, doch ganz erheblich
beschränkt ist. Der Traum ist außerhalb des Systems reale Welt, daran kann man
ihn im Zweifel erkennen.
Quote:Ich fotografiere den Dom. Ich bitte
andere Personen darum, mich mit dem Dom im Hintergrund zu fotografieren.
Das geht nicht [cheesy].
Den Kölner Dom kann man nur von zwei
geheimen und nicht öffentlich zugänglichen Plätzen aus zur Gänze fotografieren,
und dann nicht mit Mensch im Vordergrund. Es ist dem Kölner an sich ein
beständiger Quell des Vergnügens, auf dem Rücken liegende Japaner mit der Kamera
vor'm Auge zu betrachten; dat Dingen is für Foto zu groß.
Von mir aus
können wir nächste Frage machen.
Grüße
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Xenon
am Gestern, 05:46 Uhr
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Hi Abrazo,
on 10/20/06 um 23:28:50, Abrazo wrote:Von mir aus können
wir nächste Frage machen.
Nö, so leicht kommst Du nicht davon
;-)
on 10/20/06 um 23:28:50, Abrazo wrote:Interessieren tun doch nur
Aussagen, die ungewiss oder zweifelhaft sind oder über die es zum Konflikt
kommt. Das gilt auch für Wahrnehmungen. Farbenblinde merken meist erst relativ
spät, dass sie farbenblind sind; dann, wenn andere den für sie gleichen Grauton
mit unterschiedlichen Wörtern benennen. Oder beim Führerscheinsehtest. Also
dann, wenn es zum Konflikt kommt zwischen dem, was sie als gesehen bezeichnen
und dem, was andere als gesehen bezeichnen.
Naja und hier sind
wir eben in einem Philosophie-Forum. In der Philosophie werden eben auch Dinge
bezweifelt, die im Alltag selbstverständlich sind. Man strebt danach, die wahre
Natur der Welt offen zu legen und da erscheint der Ansatz, auch das Gewöhnliche
zu hinterfragen, statthaft und nicht "verrückt".
Hier geht es um die
grundlegende Frage: Was bedeutet es, wenn jemand sagt: "Ich sehe den Baum".
Letztlich geht es um das ewige Rätsel: "Was ist die Wirklichkeit?" und welchen
Zugang wir zu ihr haben. Man diskutiert dann insbesondere das grundlegende
Problem, dass wir ja – über die Wahrnehmung – eben nur einen indirekten Zugang
zur "Welt da draußen" haben.
Man kann beispielsweise den Standpunkt
einnehmen, es ginge letztlich nicht darum, ob ich jetzt den Kölner Dom mit einer
anderen Kirche verwechsele, sondern darum, ob ich überhaupt eigentlich sagen
dürfte: "Ich sehe vor mir den Gegenstand XY " und was diese Aussage genau
bedeutet.
In dieses Horn stößt Om mit seinem Hinweis darauf, man sehe ja
im Grunde nicht die Welt "an sich", sondern nur ein Konstrukt des Gehirns. Auch
könnte man z.B. darauf verweisen, dass die Farblichkeit keine Eigenschaft der
Dinge an sich ist, sondern erst das Gehirn uns diesen Seheindruck verschafft.
Und dass wohl aber eine Isomorphie zwischen diesem Farbsehen und der
Oberflächenbeschaffenheit des betrachteten Gegenstands besteht.
Mit
anderen Worten: Es kann durchaus sinnvoll sein, Dinge zu hinterfragen, auch wenn
sie im alltäglichen Leben NICHT zu Konflikten führen, wenn man zwecks
Erkenntnisgewinn etwas über "den doppelten Boden" der Realität erfahren möchte.
Hätte Einstein nicht bestimmte, uns selbstverständlich erscheinende
"Eigenschaften" von Zeit und Raum hinterfragt, wäre er nie auf den Trichter der
RT gekommen.
Insoweit gilt tatsächlich: Auch wer in einem alltäglichen
Sinne "weiß",
dass er in Köln ist.
dass das Ding eine Kirche, ein Dom
ist.
dass das Ding keine andere Kölner Kirche ist
kann hinterfragen,
was die Aussage "Ich sehe vor mir den Kölner Dom" bedeutet, ohne ins Kabuff zu
müssen. Der Philosoph im Garten aus Deinem Wittgenstein-Zitat hat also ganz
recht. Nur passen – finde ich – Deine sonstigen Ausführungen nicht zu diesem
Zitat.
on 10/20/06 um 23:28:50, Abrazo, Wittgenstein zitierend,
wrote:Unser Wissen bildet ein großes System. Und nur in diesem System hat das
Einzelne den Wert, den wir ihm beilegen.
Hm, finde ich
mißverständlich, insbesondere das Wort "nur". Klingt so, als würde das Wissen
nichts über die "Welt da draußen" allgemeingültig aussagen und sich nicht an ihr
bewähren müssen... Ich meine das etwa in dem Sinne, dass eine Isomorphie
zwischen unserem Wissensfundus und dem solchen einer außerirdischen Intelligenz
bestehen würde (z.B. über naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten). Dass
letztere in ihrer Sprache eine gänzlich andere Nomenklatur hätte, stellt dies ja
nicht in Abrede.
on 10/20/06 um 23:28:50, Abrazo, wrote:"Den
Kölner Dom kann man nur von zwei geheimen und nicht öffentlich zugänglichen
Plätzen aus zur Gänze fotografieren, und dann nicht mit Mensch im Vordergrund.
Es ist dem Kölner an sich ein beständiger Quell des Vergnügens, auf dem Rücken
liegende Japaner mit der Kamera vor'm Auge zu betrachten; dat Dingen is für Foto
zu groß."
Uuuups, wenn das zutrifft, wären damit vernünftige
Zweifel begründet, ob ich tatsächlich vor dem Dom stand;-). GibtŽs denn da in
der Nähe noch eine andere Kirche?
Grüße
Xenon
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von
doc_rudi am Gestern, 08:32 Uhr
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Hallo Xenon,
endlich mal wieder ein vernünftiger Beitrag in diesem thread,
jedoch leider am Thema vorbei.
Hier wird nämlich über Allgemeingültigkeit und
nicht über letzte Wahrheit diskutiert. (wobei die Frage ist, ob
Allgemeingültigkeit nur über Intersubjektivität herstellbar ist).
Allgemeingültig ist z.B. die deutsche Rechtschreibung, die bekanntermaßen mal so
und mal anders ist.
Hier geht es anscheinend um Übereinkunfts"wahrheiten".
Gruß
rudi
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Xenon
am Gestern, 11:37 Uhr
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Hi Doc,
Du sprichst hier einen wichtigen Punkt an. Auch ich bin geneigt,
eine allgemeingültige Aussage von einer "Letztwahrheit" abzugrenzen. Sie ist
jedenfalls offenkundig "weniger", um es mal so platt auszudrücken. Was soll aber
dieses "weniger" nun konkret bedeuten?
Gibt es überhaupt Letztwahrheiten?
Ist die Aussage "die Erde hat eine Kugelgestalt" allgemeingültig oder schon eine
Letztwahrheit? Ist 6+5 = 11 eine Letztwahrheit oder vielleicht mehr eine
Tautologie? Vielleicht sollte man auf den Begriff der Letztwahrheiten
verzichten, weil zu viele problematische Assoziationen damit verbunden sind,
insbesondere die der Allwissenheit. Anstatt zu fragen: "Gibt es
Letztwahrheiten?" erscheint es vielleicht eher geboten zu fragen: Ist es
sinnvoll, diesen Ausdruck zu verwenden? Ich meine, man sollte auf ihn
verzichten.
Zugegeben: Die von mir erwähnte Frage "Was ist die
Wirklichkeit?" klingt sehr nach einer Suche nach Letztwahrheit. Aber
letztendlich geht es darum die Welt und ihre Zusammenhänge zu verstehen. Schicht
um Schicht des Unwissens abzutragen und so – ohne zum "Eigentlichen" ganz
vordringen zu können - stete Erkenntnisfortschritte zu erreichen, welche in
allgemeingültigen Aussagen zum Ausdruck kommen.
Ich möchte mich ein wenig
gegen Dein Beispiel mit der Rechtschreibung wenden. Das ist für mich eine Art
von willkürlicher Allgemeingültigkeit, um die es hier nicht eigentlich gehen
sollte (was Sprache im allgemeinen betrifft, ist allerdings zu bedenken, dass
sie sich lebendig entwickelt und somit keineswegs mit einem rein-formalen System
gleichzusetzen ist).
Wenn Menschen eine Übereinkunft über Formales
treffen, mag dann das Vereinbarte im gewissen Sinne als allgemeingültig
anerkannt sein. Das Formale ist jedoch austauschbar. Wenn wir hier von
Allgemeingültigem sprechen, dann meinen wir, so verstehe ich es zumindest, eher
etwas "Tiefergehendes". Und Spannenderes. Sorry, für diese diffuse
Ausdrucksweise.
Ist die Aussage, das Sonnensystem hat xy Planeten
allgemeingültig? Ob der Pluto ein Planet ist, wurde kürzlich mehr oder weniger
willkürlich entschieden durch die Festlegung, was die Sprachkonvention als
Planet ansieht.
Tja, jetzt stelle ich fest, dass das mit der
"Allgemeingültigkeit" doch eine ziemlich komplizierte Sache ist, die ich jetzt
mal eben so nicht auf die Reihe kriege und unterbreche hier mal meinen
Gedanken...
Liebe Grüße
Xenon
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von
doc_rudi am Gestern, 12:17 Uhr
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schon in Ordnung, Xenon,
dass die Sonne um die Erde kreist, war mal ne
allgemeingültige Aussage und wer das verneint hat, wurde verbrannt, weil er eben
das sagte, was wir als wissenschaftliche Wahrheit betrachten.
Ist doch ganz
einfach. Ich interessiere mich für Letzteres (siehe thread Modell der
Wirklichkeit)
Gruß
rudi
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Abrazo
am Gestern, 13:39 Uhr
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Hi,
Quote:In der Philosophie werden eben auch Dinge bezweifelt, die
im Alltag selbstverständlich sind.
Ja.
Aber bevor man sich
daran macht, den Zweifel an Selbstverständlichkeiten aufzulösen, muss man erst
einmal danach fragen, ob dieser Zweifel überhaupt sinnvoll ist oder ob er nicht
vielmehr unsinnig ist und gar keiner weiteren Beschäftigung bedarf.
Vergleiche das mal mit der Frage nach der Quadratur des Kreises. Damit haben
sich Generationen von Mathematikern beschäftigt. Bis Ferdinand von Lindemann
bewies, dass diese Aufgabe unlösbar ist. Seitdem ist die Frage nach der
Quadratur des Kreises unsinnig.
Zu den sinnvoll bezweifelbaren
Selbstverständlichkeiten gehört die Frage, ob denn unsere Welt überhaupt aus
einem Sammelsurium an sich existierender Objekte besteht. Ohne darauf
einzugehen: die Antwort lautet nein.
Wir leben in einem existierenden
Raum, in dem etwas kraft unserer Sinne innehalb des Raumes unterschieden wird;
das nennen wir Objekte. Heißt, alle Objekte bestehen als Objekte nur innerhalb
eines von unserer Wahrnehmungsfähigkeit und unserer Konstitution bewirkten
Systems.
Es ist möglich, jedes Einzelne innerhalb dieses Systems zu
bezweifeln. Innerhalb des Systems. Ein Zweifel, der das Ding an sich sieht und
damit außerhalb des Systems führt, ist unsinnig. Denn er hat einzig unsere
Vorstellung als Basis, nicht aber die Welt, der wir gegenüber stehen.
Quote:Es kann durchaus sinnvoll sein, Dinge zu hinterfragen, auch wenn sie
im alltäglichen Leben NICHT zu Konflikten führen, wenn man zwecks
Erkenntnisgewinn etwas über "den doppelten Boden" der Realität erfahren möchte.
Die Realität hat keinen doppelten Boden. Wenn Du etwa fragst,
wie sieht denn der Kölner Dom, den ich hier sehe, in Wirklichkeit aus, dann
fragst Du nach dem Objekt, das Du siehst, das Du kraft Deiner Sinne von seinem
Hintergrund unterscheidest. Diese Frage kannst Du aber nur stellen, weil Du
kraft Deiner Sinne solche Unterscheidungen machen kannst. Du setzt also voraus,
dass der Kölner Dom ein Objekt ist. Dass Du es abgrenzen kannst. Wodurch? Durch
Deine Sinne. Du fragst also danach, ob das, was abgegrenzt ist, nicht abgegrenzt
ist. Oder auch anders abgegrenzt ist, eine Frage, die ebenfalls Abgrenzungen,
wie Du sie kraft Deiner Sinne vornimmst, voraussetzt. Diese Frage enthält einen
Widerspruch, ist also unsinnig. Denn Fragen, die die Voraussetzung bezweifeln,
unter der überhaupt erst gezweifelt werden kann, enthalten stets einen solchen
Widerspruch und sind deswegen stets unsinnig. Mit unsinnigen Fragen aber braucht
man sich nicht zu befassen.
Fragen, die im alltäglichen Leben nicht zu
Konflikten führen, kannst Du nicht stellen, weil sie gar nicht bestehen. Die
Frage, ob der Kölner Dom Traum oder Wirklichkeit ist, setzt voraus, dass Du
beides, sowohl Traum als auch Wirklichkeit, erlebt hast und folglich
unterscheiden kannst. Wäre die ganze Welt ein Traum, wärest Du nicht im Stande,
danach zu fragen, weil Du gar nicht wüsstest, wie man Traum und Wirklichkeit
unterscheiden kann.
Quote:Hm, finde ich mißverständlich, insbesondere
das Wort "nur". Klingt so, als würde das Wissen nichts über die "Welt da
draußen" allgemeingültig aussagen und sich nicht an ihr bewähren müssen...
Und wieder setzt Du hier die Existenz von Dingen an sich voraus, die
Welt als Sammelsurium. Nur unter diesem Aspekt ergeben sich die von Dir
genannten Probleme. Stellst Du aber fest, dass die Welt etwas ist, was ein von
uns kraft Konstitution und Sinne so und nicht anders wahrgenommenes logisches
System ist, dann sind all diese Probleme auf einmal verschwunden.
So, wie
diverse astronomische Probleme auf einmal verschwanden, als der Aspekt, unter
dem der Weltraum betrachtet wurde, sich änderte: eben nicht, die Erde ist der
Mittelpunkt der Welt, um den alles kreist, sondern, Mittelpunkt unseres
Sonnensystems ist die Sonne, und von solchen Sonnensystemen gibt es eine ganze
Menge.
Quote:Ich meine das etwa in dem Sinne, dass eine Isomorphie
zwischen unserem Wissensfundus und dem solchen einer außerirdischen Intelligenz
bestehen würde (z.B. über naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten).
Wieder setzt Du voraus, dass Naturgesetze an sich bestehen, ebenso wie
außerirdische Intelligenzen letztlich, mit paar unwesentlichen Abweichungen, die
Welt genau so sehen müssten wie wir.
Ich erinnere an Heraklit: "würden
alle Dinge zu Rauch, würden wir sie mit der Nase unterscheiden". Spiel das doch
mal durch! Es gäbe keine Körper, auch Deinen eigenen nicht, heißt, Du könntest
problemlos durch den Dom durchfliegen (hättest allerdings Schwierigkeiten, Dich
selbst dabei zu erhalten und nicht in ihm aufzugehen). Unterscheiden könntest Du
nur unterschiedliche Rauchgerüche, heißt, es gäbe unterschiedlich ausgedehnte
und unterschiedlich riechende veränderliche Felder, aber gewiss keine Häuser und
Dome mehr. Du hättest ein ganz anderes System der Welt, in dem Du ganz anders
agieren und wahrnehmen würdest. Nun frage mal innerhalb dieses anderen Systems,
wie denn die Welt in Wirklichkeit aussieht. Die Antwort lautet eindeutig: für
Dich, insofern Du ein Rauchwesen bist, genau so, wie Du sie wahrnimmst.
Allgemeingültig heißt, allgemeingültig im menschlichen System. Hier können wir
uns in jedem Einzelnen irren. Aber wir können nie das System verlassen. Und dass
wir uns irren erkennen wir daran, dass Behauptungen innerhalb des Systems zu
Widersprüchen führen.
Praktisches Beispiel:
Einer behauptet,
Deine Sinne täuschen Dich, neben dem Kölner Hauptbahnhof steht gar kein Dom.
Jetzt kann man fragen, ob einen denn die Sinne täuschen.
Ich würde erst
mal eine andere Frage stellen, nämlich, wie die Sache denn nach Meinung dessen
aussieht, der behauptet, dass mich meine Sinne täuschen. Heißt: die Welt hat
keine Löcher. Wenn dort der Kölner Dom nicht ist, was ist denn statt dessen da?
Wenn er behauptet, statt dessen sei z.B. ein Parkplatz da, wird er
Schwierigkeiten mit dem Beweis bekommen.
Die Welt, das System hat keine
Löcher. Wer etwas in der Welt bestreitet, muss angeben, wie sich die Sache denn
statt dessen verhält. Tut er das nicht - ab ins Kabuff.
Grüße
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von laertes
am Gestern, 14:02 Uhr
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luhman sagte es bereits:
"jedes subjekt hat seine eigene
intersubjektivität."
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von
hhmoeller am Gestern, 14:17 Uhr
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on 10/21/06 um 12:17:34, doc_rudi wrote:schon in Ordnung, Xenon,
dass die
Sonne um die Erde kreist, war mal ne allgemeingültige Aussage [...]
Es ist eine falsche Aussage, die man für wahr gehalten hat.
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von
doc_rudi am Gestern, 14:42 Uhr
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ja so ist es mit Aussagen, die allgemeingültig sind und intersubjektiv
bestätigt.
Sie erweisen sich irgendwann als falsch.
Aber das macht
nichts.
Gruß
rudi
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von mondial
am Gestern, 15:01 Uhr
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Tatsachen werden nicht objektiver dadurch das zwischen den Subjekten ein
Einvernehmen über deren Gültigkeit besteht. Eine Tatsache bekräftigt sich
selbst, in dem sie vom Subjekt als solche erkannt wird. Sonst ist sie nämlich
keine. Sie wird bei Zustimmung oder dem Gegenteil davon nicht mehr oder weniger
tatsächlicher. Der Begriff "intersubjektiv" dient doch so scheint mir vor allem
der Verschleierung der Tatsache, dass eine Meinung an deren Stelle treten soll.
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von
hhmoeller am Gestern, 16:18 Uhr
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on 10/21/06 um 15:01:58, mondial wrote:Eine Tatsache bekräftigt sich selbst,
in dem sie vom Subjekt als solche erkannt wird. Sonst ist sie nämlich keine. Sie
wird bei Zustimmung oder dem Gegenteil davon nicht mehr oder weniger
tatsächlicher.
Wir sprechen keine Tatsachen aus, sondern Sätze, die
Tatsachen behaupten. Intersubjektivität besteht in der Möglichkeit, eine
behaupete Tatsache mit einer beobachteten Tatsache zu vergleichen. Verzichten
wir auf die intersubjektive Überprüfbarkeit, so gibt es nur noch einen einzigen
Grund, eine Behauptung für wahr zu halten: Die Tatsache, daß sie behauptet
wurde.
Damit ist eine fruchtbare Kommunikation unmöglich, denn unter
diesen Bedingungen gibt es nur eine einzige Möglichkeit zu argumentieren: Das
Argument aus der Autorität.
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von
Eberhard am Vorgestern, 19:51 Uhr
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Hallo allerseits,
kommen wir zur These zurück, dass man eine Behauptung
nur dann für allgemein gültig erklären kann, wenn es für diese Behauptung
intersubjektiv nachvollziehbare Gründe gibt.
Wir hatten uns zuerst mit
den faktischen Behauptungen beschäftigt. Dazu gehören Aussagen darüber, dass
etwas existiert, dass etwas in einer bestimmten Weise beschaffen ist, dass etwas
bestimmte Eigenschaften hat, das sich etwas Bestimmtes ereignet hat, dass
bestimmte Ereignisse regelmäßig aufeinander folgen u.a.m.
Grundsätzlich
besteht bei faktischen Behauptungen die Möglichkeit, zwanglos eine
intersubjektive Übereinstimmung herzustellen, indem man übereinstimmende
Wahrnehmungen verschiedener Subjekte heranzieht. Dabei bedeutet
"übereinstimmende Wahrnehmung" nicht "völlige Gleichheit", Es muss nur insoweit
Übereinstimmung hergestellt werden, als es die verwendeten Begriffe und deren
übereinstimmende Anwendung erfordern.
Eine intersubjektiv verständliche
Sprache ist natürlich eine Grundvoraussetzung für die Formulierung
intersubjektiv einsichtiger Behauptungen. Die Beiträge von Regelwerk sind ein
gutes Beispiel für eine Sprache und Begrifflichkeit, der es an intersubjektiver
Verständlichkeit fehlt, weil die verwendeten Symbole nicht hinreichend definiert
werden und nicht an die gebräuchliche Umgangssprache anschließen können.
Intersubjektive Verständlichkeit setzt dabei nicht voraus, dass alle die gleiche
Sprache sprechen, sondern nur, dass alle benutzten Sprachen und Begriffssysteme
ineinander übersetzt werden können. Insofern ist der Streit um Worte häufig
unproduktiv.
Zu der Behauptung eines Menschen: "Ich sehe vor mir den
Kölner Dom (oder auch: den Erzengel Gabriel)" und deren intersubjektive
Nachvollziehbarkeit noch eine Anmerkung. Diese Behauptung ist, wenn ich sie
mache, gleichbedeutend mit der Behauptung "Eberhard sieht vor sich den Kölner
Dom (den Erzengel Gabriel)." Wieweit lässt sich hier intersubjektive
Übereinstimmung herstellen? Zu dem, was ich selbst sehe, habe ich ja gegenüber
anderen Individuen einen privilegierten Zugang.
Es grüßt Euch Eberhard.
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von
hhmoeller am Vorgestern, 21:09 Uhr
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Von einem befreundeten Philosophen habe ich folgendes Zitat von Carl Friedrich
von Weizsäcker:
Paul Lorenzen, der bedeutende Logiker unserer Zeit, sagte
mir im Gespräch über seine dialogische Begründung der Logik: Die Logik entstammt
der athenischen Demokratie. Auf dem Markt in Athen stellt Einer eine Behauptung
auf. Der Andere sagt: »Das glaube ich nicht.« Der Erste: »Du musst es mir aber
glauben.« Der Zweite: »Du bist nicht der Perserkönig. Du darfst mir nicht
befehlen, was ich glauben muss.« Der Erste: »Ich kann es dir aber beweisen.« Der
Zweite: »Bitte, beweise es!« »Und dann« so fuhr Lorenzen fort »brauchen sie
Logik.« Lorenzen will nicht sagen, dass sie dann die Logik erfinden, sondern
dass sie dann, durch ihre Freiheit genötigt, die wahre Logik entdecken.
Dieser Text macht eines deutlich: Logik ist die Voraussetzung der
Intersubjektiven Überprüfbarkeit.
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von
hhmoeller am Vorgestern, 21:41 Uhr
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on 10/22/06 um 19:51:38, Eberhard wrote:Diese Behauptung ist, wenn ich sie
mache, gleichbedeutend mit der Behauptung "Eberhard sieht vor sich den Kölner
Dom (den Erzengel Gabriel)." Wieweit lässt sich hier intersubjektive
Übereinstimmung herstellen? Zu dem, was ich selbst sehe, habe ich ja gegenüber
anderen Individuen einen privilegierten Zugang.
Es gibt hier
drei unterschiedliche Situationen.
1. Die Aussage behauptet eine
Wahrnehmung.
2. Die Aussage behauptet einen wahrnehmbaren Sachverhalt.
3.
Die Aussage behauptet einen Sachverhalt, der beobachtbare Sachverhalte zum
Gegenstand hat.
zu 1. Die Aussage "Eberhard sieht vor sich den Kölner Dom
(den Erzengel Gabriel)." behauptet eine Wahrnehmung. Der einzige, der sicher
wissen kann, ob diese Aussage wahr oder falsch ist, ist Eberhard selbst. Wenn
ich Eberhard über die Schulter sehe, und dann ebenfalls den Kölner Dom (den
Erzengel Gabriel) sehe, kann ich vermuten, daß die Behauptung wahr ist.
zu 2. Die Aussage "in Köln steht ein Dom" behauptet einen wahrnehmbaren
Sachverhalt. Sie kann dadurch Glaubwürdigkeit beanspruchen, daß jedermann die
Möglichkeit hat, nach Köln zu fahren um nachzusehen, ob der Dom wirklich da ist.
Die Aussage ist allerdings nur solange intersubjektiv überprüfbar, wie der
Sachverhalt besteht. Das kann in Gerichtsverfahren zum Problem werden. Der
Sachverhalt, der dort verhandelt wird, besteht meist nicht mehr.
Intersubjektivität kann man in diesem Fall nur provisorisch herstellen, indem
man Zeugenaussagen gegeneinander abwägt und mit Indizien abgleicht.
zu 3.
Der Satz "Wasser kocht stets bei 100°C" behauptet einen solchen Sachverhalt. In
diesem Fall ist stets intersubjektive Überprüfbarkeit gegeben. Jedermann kann
jederzeit und beliebig oft den behaupteten Sachverhalt herstellen, und
überprüfen.
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von Abrazo
am Vorgestern, 23:14 Uhr
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Hi,
Woran kann ich sicher wissen (heißt: wie wäre denn ein Zweifel daran
möglich?), dass Eberhard dieselbe Flasche Wein auf dem Tisch stehen sieht wie
ich? Daran, dass er mir daraus ein Glas einschenkt.
Grüße
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von
Eberhard am Gestern, 09:51 Uhr
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Hallo allerseits,
im Folgenden etwas zur Begriffsklärung (Terminologie).
Ausgangspunkt ist die These:
Man kann einer Behauptung keine
Allgemeingültigkeit zusprechen, wenn diese Behauptung (einschließlich ihrer
Begründung) nicht allgemein (d.h. intersubjektiv und intertemporal)
nachvollziehbar (d.h. einsichtig) ist.
Dies erscheint mir als der
methodische Kern des wissenschaftlichen (rationalen) Denkens.
Wer etwas
behauptet, ohne der Verpflichtung zur allgemein nachvollziehbaren Begründung
nachzukommen, der erwartet Glauben (und keine Einsicht).
Wenn der Appell
zu glauben Erfolg hat, erlangt die Behauptung allgemeine Geltung.
Eine
tatsächlich "allgemein geltende Behauptung" ist jedoch nicht dasselbe wie eine
"allgemein nachvollziehbar begründete Behauptung".
Um diesen Unterschied
sprachlich direkt benennen zu können, schlage ich zur Terminologie vor, zwischen
"(faktischer) allgemeiner Geltung" und "(begründeter) allgemeiner Gültigkeit" zu
unterscheiden. "Gültigkeit" bedeutet dann soviel wie "gerechtfertigte Geltung".
Soweit ein vorläufiger Versuch der begrifflichen Klärung.
"Allgemeingültigkeit" im beschriebenen Sinne beinhaltet also nicht nur
intersubjektive sondern immer auch intertemporale Nachvollziehbarkeit. Somit
kann eine Behauptung nicht heute noch allgemeingültig sein und schon morgen
nicht mehr.
Insofern geht die Kritik von doc rudi ins Leere, wenn er
ironisch schreibt:
"Ja so ist es mit Aussagen, die allgemeingültig sind und
intersubjektiv bestätigt. Sie erweisen sich irgendwann als falsch. Aber das
macht nichts."
Auch seine Entgegensetzung von "wissenschaftlicher
Wahrheit" und "Allgemeingültigkeit" trifft nicht, wenn er schreibt:
"Dass
die Sonne um die Erde kreist, war mal ne allgemeingültige Aussage und wer das
verneint hat, wurde verbrannt, weil er eben das sagte, was wir als
wissenschaftliche Wahrheit betrachten… Ich interessiere mich für Letzteres."
Zur Allgemeingültigkeit gehört- so wie zur Wahrheit - die intertemporale
Nachvollziehbarkeit, also die Dauerhaftigkeit. Wie hhmoeller bereits anmerkte,
können sich bisher für wahr gehaltene Aussagen im Zuge neuer Erkenntnisse als
falsch erweisen. Entsprechendes gilt für die Allgemeingültigkeit.
Die
Forderung nach intertemporal nachvollziehbaren Behauptungen und Begründungen
verlangt übrigens keine "ewigen Wahrheiten". Die sind sicherlich rar. Was allein
benötigt wird sind zeitlich unbefristet nachvollziehbare Behauptungen.
Es
grüßt Euch Eberhard.
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Titel: Re: Keine Allgemeingültigkeit ohne Intersubjektivi
Beitrag von
Eberhard am Gestern, 11:13 Uhr
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Hallo allerseits,
ein Teilnehmer der Runde hat die Ausgangsthese mit dem
Argument verworfen, dass 'Intersubjektivität' die Existenz mehrerer Subjekte
voraussetzt, dass es aber gar nicht mehrere Subjekte gibt – was mich allerdings
verblüfft.
Wenn A aus dem Fenster guckt und sagt: "Es hat angefangen zu
regnen" und B sagt "Au ja. Du hast recht. Wir müssen schnell die Wäsche
reinholen", dann handelt es sich nach meinem Sprachgebrauch um 2 verschiedene
Subjekte.
Dies wird jedoch bestritten. Wie wird nun die Behauptung: "Es
gibt nicht mehrere verschiedene Subjekte" begründet"?
Die Begründung
beruht auf den folgenden Prämissen:
1.) Alles Wahrgenommene ist für das
wahrnehmende Subjekt ein Objekt.
(folgt aus der Definition von 'Objekt')
2.) B hat A wahrgenommen.
(folgt aus dem Beispiel)
3.) A ist für B ein
Objekt.
(folgt aus 1.) und 2.))
4.) 'Subjekt' bezeichnet per Definition -
im philosophischen Kontext - kein wahrnehmbares Objekt.
(folgt aus der
Definition von 'Subjekt')
5. Etwas, das Objekt ist, kann kein Subjekt sein.
(folgt aus 4.))
6.) A ist für B kein Subjekt.
(folgt aus 3.) und 5.))
Eine entspechende Ableitung kann für A vorgenommen werden, mit dem Ergebnis:
7.) B ist für A kein Subjekt.
8.) Es gibt nicht mehrere verschiedene
Subjekte – weder für A noch für B.
(folgt aus 6.) und 7.))
Der Fehler
liegt in der Schlussfolgerung von 4.) nach 5.), wobei 4.) mehrdeutig ist.
Ich interpretiere Satz 4.) einmal durch den Satz:
4a.) Zur Definition des
Begriffs 'Subjekt' gehört nicht die Eigenschaft 'wahrnehmbares Objekt'.
Dies ist richtig. In diesem Fall enthält die Schlussfolgerung von 4.) nach 5.)
jedoch einen ungültigen Schluss.
Um den Fehler an einem einfachen
Beispiel zu demonstrieren: Aus dem – richtigen - Satz:
"Zur Definition des
Begriffs 'Pferd' gehört nicht die Eigenschaft 'weiblich'.
lässt sich jedoch
nicht folgern:
"Etwas das ein Pferd ist, kann nicht weiblich sein."
Wenn Satz 4.) bedeuten soll:
4b.) "Per Definition kann ein Subjekt für sich
selber kein Objekt sein", so stimmt diese Definition nicht mit dem üblichen
Sprachgebrauch und nicht mit den philosophischen Wörterbüchern überein. Wenn ich
z. B. dem oft zitierten Spruch "Erkenne dich selbst!" folge, dann bin ich z.B.
zugleich Subjekt und Objekt des Erkennens.
Die Begründung der Behauptung
"Es gibt nicht mehrere verschiedene Subjekte" ist also nicht intersubjektiv
nachvollziehbar, weil sie in der Version 4a.) nicht logisch schlüssig ist, und
weil sie in der Version 4b.) von einer willkürlichen Definition des Wortes
"Subjekt" ausgeht.
Dieser Behauptung kommt damit keine
Allgemeingültigkeit zu, meint
Eberhard.
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Intersubjektivität I" / Letzte Bearbeitung siehe
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