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Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
(Diskussion bei PhilTalk)
PhilTalk Philosophieforen: Praktische Philosophie >> Ethik >> Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
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(Thema begonnen von: Eberhard am 2007-03-14, 16:44 Uhr)
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Titel: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-03-14, 16:44 Uhr
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Hallo allerseits,
In dieser Runde soll es um die Frage gehen, ob man
Konflikte durch eine Abwägung der Interessen der Konfliktparteien lösen kann.
Der Konflikt wäre dann gemäß dem überwiegenden Interesse zu entscheiden.
Ich
bin mir darüber im Klaren, dass dies eine ungewohnte Fragestellung ist und
bisher in den PhilTalk-Foren wohl noch niemals so gestellt worden ist. Aber ich
will trotzdem den Versuch wagen, zum einen, weil die Beantwortung dieser Frage
in einer Welt ungelöster und gefährlicher Konflikte erhebliche Bedeutung
besitzt, und zum andern, weil mit der Beantwortung dieser Frage grundsätzliche
philosophische Fragen verbunden sind.
Eine dieser Fragen ist, ob und wie
sich die Interessen verschiedener Individuen in ihrer Gewichtigkeit
intersubjektiv vergleichbar einschätzen oder messen lassen.
Ich bin der
Ansicht, dass dies - trotz aller Probleme - grundsätzlich möglich ist, bin mir
allerdings zugleich darüber im Klaren, dass ich mich mit dieser Meinung auf
ziemlich einsamem Posten befinde. Es interessiert mich, ob und was die
verschiedenen philosophischen Schulen dazu zu sagen haben.
Im Alltag spielt
die Interessenabwägung bei allen Formen der Rücksichtnahme auf die Interessen
anderer eine Rolle, insbesondere bei der freiwilligen Hilfeleistung.
Wir
sagen z. B.:
"Das kannst Du mir nicht zumuten!"
"Es ist ihm zuzumuten,
dass er gewisse Unannehmlichkeiten in Kauf nimmt, wo es um die Rettung eines
Menschen geht."
"Die Gesundheit von Menschen ist wichtiger als jedes
wirtschaftliche Interesse."
"Könnten Sie mir bitte einen Gefallen tun? Sie
würden mir damit sehr helfen."
"Könnten Sie mich bitte vorlassen? Es handelt
sich um einen dringenden Notfall."
"Es geht hier schließlich um das Wohl
unserer Kinder. Da haben andere Interessen zurückzustehen."
Offenbar
wird im Alltag eine interpersonale Abwägung der Interessen praktiziert.
Auch im Bürgerlichen Gesetzbuch finden sich Passagen, wo der Richter sein Urteil
z. B. nach Abwägung der berechtigten Interessen von Mieter und Vermieter zu
fällen hat.
Hat jemand eine Meinung zu der Frage, ob eine interpersonale
Abwägung von Interessen möglich ist? Lassen sich damit Konflikte "vernünftig"
lösen?
fragt Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Gnoseias am
2007-03-14, 17:03 Uhr
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Hallo Eberhard,
das fast identische Problem beschäftigt mich seit ein
paar Wochen, mit dem Unterschied, dass ich die Konfliktlösung zunächst nur für
ein Individuum betrachtete. Dabei stellte ich fest, dass selbst dann, wenn der
Konflikt (so oder so, jedoch immer) gelöst wird, nicht einmal zur Zufriedenheit
des Einzelnen, der ja selbst entscheidet,
ausfallen muss. Folglich glaube ich
nicht recht an Deine doch sehr positive Einschätzung.
Viele Grüße,
Gnoseias
PS: Beziehen sich die Interessen auf Handlungen? Ich kann mir
nur schwer etwas anderes vorstellen.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-03-14, 19:25 Uhr
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Hallo Gnoseias,
mit Konflikt ist hier nicht der innerpsychische Konflikt
"in der eigenen Brust" gemeint sondern der soziale Konflikt zwischen Individuen
oder Kollektiven. Die Interessen der Beteiligten Parteien beziehen sich immer
auf realisierbare Zustände der Welt, zwischen denen eine Entscheidung zu treffen
ist. Diese alternativen Handlungsmöglichkeiten sind für die Beteiligten mehr
oder weniger erwünscht, oder anders ausgedrückt: sie entsprechen dem Interesse
der Beteiligten in unterschiedlichem Maße.
Es grüßt Dich Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Gnoseias am
2007-03-14, 20:16 Uhr
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Guten Abend Eberhard,
ich stimme Dir gerne zu. Doch glaubst Du nicht,
dass das Prinzip der Interessenabwägung mehrerer Individuen dasselbe ist, das
auch bei der begründeten Entscheidung eines Einzelnen zum Tragen kommt?
Viele Grüße, Gnoseias
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Hanspeter am
2007-03-14, 22:11 Uhr
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Hallo Eberhard,
natürlich lassen sich Konflikte durch
Interessensabwägungen und die Ermittlung ausgewogener Kompromisse lösen. Und
zweifellos ist das die beste Methode, Aggressionen zu vermeiden. Doch viele
tausend Jahre Menschheitsgeschichte lehren, dass dies nicht die Norm ist. Man
kämpft für seine Interessen und der stärkere siegt. Wär ja auch blöd, wenn
Bayern München und Real Madrid ihren Konflikt durch Verhandlungen gelöst hätten.
[cheesy]
Stellt sich übrigens die Frage, warum die Methode
Interessensabwägungen, die auch mir sehr sympathisch erscheint, sich in der
Natur nicht durchgesetzt hat.
Gruß HP
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
2007-03-15, 00:06 Uhr
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Yepp!
Auferstanden von den Nondualisten. Freudig begrüße ich endlich mal
wieder nen interessanten Thread von Dir.
Schön, wirklich schön.
Da ich ins Bett muss: Stichwort Mediation.
Bei Konflikten, die vor Gericht
ausgetragen werden, gilt meines Wissens im Zivilrecht ja durchaus das Prinzip
Interessenausgleich. Heißt, es wird angestrebt - deswegen die häufigen
Vergleichsbemühungen - eine Entscheidung zu finden, die beide Parteien als
rechtmäßig akzeptieren können.
Grüße
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von UG am
2007-03-15, 08:08 Uhr
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on 03/14/07 um 22:11:54, Hanspeter wrote:Stellt sich übrigens die Frage, warum
die Methode Interessensabwägungen, die auch mir sehr sympathisch erscheint, sich
in der Natur nicht durchgesetzt hat.
Hallo zusammen.
Ich
erkenne in der Natur sogar ausschließlich Interessensabwägungen: Ökologische
Nischen, Reviere, Rangordnungen, Symbiose etc. Wie sollte sonst jemals
Gleichgewicht entstehen?
Gruß UG
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn
am 2007-03-15, 08:47 Uhr
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Hi, Eberhard,
Du: in dieser Runde soll es um die Frage gehen, ob man
Konflikte durch eine Abwägung der Interessen der Konfliktparteien lösen kann.
Der Konflikt wäre dann gemäß dem überwiegenden Interesse zu entscheiden.
Löbliches Vorhaben. Mit der Bezeichnung "Konflikt" geht es uns aber ähnlich wie
mit der Bezeichnung "Gerechtigkeit" - jeder weiß, wovon er spricht, aber der
andere hört was anderes.
Definition: Konflikt heiße, wenn zwei Meinungen
(= Informationen, die weder beleg- noch widerlegbar sind) zu zwei
Verhaltensweisen führen, die miteinander unvereinbar sind.
Beispiel:
Gebirge, Via Mala, Maximilian heißt unser kaiser, Pferdegespanne, einspurig,
aber Gegenverkehr.
Wer muß mit seinen Pferden den Rückwärtsgang einlegen und
den Absturz riskieren?
Natürllich werden Dir beide Kutscher zustimmen:
"Jawoll, natürlich lösen wir diesen Konflikt gemäß dem überwiegenden Interesse!
Sagen sie dem anderen, er muß zurücksetzen. mein Interesse ist wichtiger!"
Der anfängliche offensichtliche Konflikt "Gegenverkehr" hat sich nun entpuppt
als Konflikt der Interessen, welches Interesse schwerer wiege.
Und
dieser Konflikt ist grundsätzlich.
Abrazo, Dein Vorschlag "Mediation"
paßt zur allgemeinen Mode in der Wirtschaft.
Aber die ist Müll. Selbst die
Worte tausender Mediatoren auf der Via Mala können mit den spitzfindigsten
Begründungen keinen der beiden Fuhrleute zum Meinungsumschwung bewegen.
Aber: Wird auf beide Fuhrleute gemeinsam immer höherer Druck aufgebaut, wird
derjenige zurücksetzen, dem der Druck nun schlimmer erscheint als das
Rücksetzen.
So wirkt ein Mediator im Beruf besondes wirksam: Fliege ihn
mit Hubschrauber und Blaulicht und Spruchband "Mediator" ein.
Damit das ganze
Indrústrieviertel sieht: "Bei der Abrazo-AG können sie sich schon wieder nicht
einigen. Wer eigentlich genau streitet da? Warum kriegt die Vorstandsvorsitende
das nicht selbst hin?"
Schon wackeln Gesichter, das Wackeln der Gesichter ist
der Druck, der den einen zum Rückzug zwingt.
Billiger als täglich
Hubschrauber mit Mediatoren in der Via Mala: Kaiser Maximilian entscheidet eine
Straßenverkehrsordnung "Auf abschüssiger Strecke hat der bergfahrende
zurückzusetzen. Bei ebener Strecke das Gefährt mit mehr PS/Tonne." Oder was auch
immer, aber der Verkehrspoliist auf Motorrad gehört dazu, wie auch Staatsanwalt
und Verkehrsrichter.
Konflikte zwischen Personen können im gemeinsam
übergeordneten Interesse leichter gelöst werden. Besonders, wenn jemand da ist,
der es verkörpert und Druck auf die Streithähne ausüben kann.
Dies
Muster gilt für Interessenkonflikte aller Art - weil sie alle derselben Art
sind: Zwei Personen nehmen ihr jeweils persönliches Interesse wichtiger als das
des anderen.
Der Anteil der Mediatoren-Einsätze in einem Unternehmen ist
ein Maß für die Unfähigkeit des Managements, insbesondere des Vorstands und
Aufsichtsrats.
Ciao Wolfgang Horn
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Gnoseias am
2007-03-15, 09:20 Uhr
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on 03/15/07 um 08:47:54, Wolfgang_Horn wrote:Der anfängliche
offensichtliche Konflikt "Gegenverkehr" hat sich nun entpuppt als Konflikt der
Interessen, welches Interesse schwerer wiege.
Das anfänglich
offensichtliche Interesse „schnell ans Ziel zu gelangen“ hat sich nun entpuppt
als „Interesse des Konfliktes“, wer den Konflikt besser bewältige. :-)
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
2007-03-15, 09:29 Uhr
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Hi,
Quote:Ich erkenne in der Natur sogar ausschließlich
Interessensabwägungen
Sieht mein Hund genau so.
Seine Freundin, eine
kleinere Hündin, ist zur Zeit zu Besuch.
Interessenabwägung: sie will nachts
menschliche Nähe, also in meinem Schlafzimmer schlafen.
Er ist der Ansicht,
menschliche Nähe kommt ihm allein zu, denn dort schläft schließlich seine
Herrschaft.
In der Abwägung der Interessen kommt er selbstverständlich zu dem
Schluss, dass seines absoluten Vorrang hat.
Ergebnis: er wechselt seinen
gewohnten Schlafplatz und legt sich im Schlafzimmer fett und breit vor die Tür
und die kleine Hündin jammert davor, weil sie nicht rein darf.
Irjendswie
haben Menschen eine andere Vorstellung von Interessenabwägung, oder?
@
Wolfgang:
Nach Deiner Theorie müsste ein solches Unternehmen, dass vor
Gericht einen Streitfall auszufechten hat, außer Dokumenten, den Streitfall
betreffend, nichts einreichen müssen. Der Richter entscheidet machtvoll nach
eigenem Gusto.
Sieht aber in der Praxis anders aus. Kann schon mal so
aussehen, dass ein mit gesundem Menschenverstand begabter Richter sagt, so, ich
gehe jetzt ne Stunde frühstücken, und wenn ich wiederkomme, hoffe ich, dass Sie
sich mit Ihren Anwälten geeinigt haben und mir das Ergebnis mitteilen. Sonst
gibt's ein Urteil, und dazu habe ich keine Lust, weil, das macht Arbeit und
kostet Geld.
Man sollte auch bedenken, in den USA z.B. heißt der
Zivilrichter meines Wissens Friedensrichter. Warum? Weil er dazu da ist, den
Rechtsfrieden wiederherzustellen. Eine Aufgabe, die die hiesigen Zivilrichter
durchaus auch als die ihre ansehen. Heißt, es ist nicht gut, wenn eine Partei
sich durch richterliche Entscheidung in ihrem Recht verletzt fühlt. Das schafft
keinen Frieden. Von daher achten die, im Gegensatz zum Strafrecht, schon darauf,
wenn irgend möglich eine Entscheidung zu bewirken, die beide Parteien zwar nicht
unbedingt begrüßen, wohl aber einsehen sollten.
In einem Punkt gebe ich
Dir allerdings Recht: es wird in einem strittigen Fall nicht zu einer halbwegs
friedlichen Lösung kommen, wenn die sie steuernde neutrale Autorität fehlt. Der
Moderator, der eben nicht aus eigener Machtfülle heraus entscheidet (es sei
denn, die sind sich so verhasst, dass eine Einigung absolut nicht möglich
erscheint).
Ich wäre übrigens dankbar, wenn man Konflikte nicht immer
auf persönliche Konflikte unter Einzelpersonen beziehen würde. Der Einzelmensch
in allen Ehren - aber ich meine, es gibt wichtigeres als seine mehr oder minder
privaten Streitigkeiten.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von UG am
2007-03-15, 11:33 Uhr
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on 03/15/07 um 09:29:02, Abrazo wrote:Irjendswie haben Menschen eine andere
Vorstellung von Interessenabwägung, oder?
Hallo Abrazo,
ist es nicht
herrlich, wie einfach die Welt ist?
Wo Du auch hinsiehst - überall Abrazo!
[sun]
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn
am 2007-03-15, 12:42 Uhr
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Hi, Abrazo,
Du: Nach Deiner Theorie müsste ein solches Unternehmen, dass
vor Gericht einen Streitfall auszufechten hat, außer Dokumenten, den Streitfall
betreffend, nichts einreichen müssen.
Hu? Rätsel. Also, wenn die Abrazo
AG einen Streit unter Mitarbeitern hat oder im Management, dann sollte der nur
vor Gericht gehen, wenn ein Recht verletzt worden ist.
Beispielsweise
Arbeitsschutzklage.
Betreffen Klage und Gegenklage aber allein interne
Angelegenheiten der Abrazo AG, die der Vorstand entscheiden darf, dann ist der
Gang zum Gericht ein Mißbrauch der Justiz - und eine Unfähigkeitsbescheinigung
für den Vorstand.
Der große Vorteil des Unternehmens: Solange sich alle
einig sind "wir wollen die Zukunft und das Wachstum der Abraho AG,
Dienstleistungen in Unterholz, Gestrüpp und Gordischen Knoten" , solange ein
gemeinsames höchstes Ziel, ein gemeinsamer Zweck alle anderen Fragen dominiert,
so lange hat die Vorstansdsvorsitzende in allen Fragen das letzte Wort.
Klugerweise wird sie ihre Arbeit weitgehend delegiert haben. Deshalb läßt sich
in jedem Unternehmen zu jeder betriebsinternen Frage ein Manager finden, der in
ihr das letzte Wort sprechen darf - oder sich vielleicht darum drückt.
Du: . Kann schon mal so aussehen, dass ein mit gesundem Menschenverstand
begabter Richter sagt, so, ich gehe jetzt ne Stunde frühstücken, und wenn ich
wiederkomme, hoffe ich, dass Sie sich mit Ihren Anwälten geeinigt haben und mir
das Ergebnis mitteilen. Sonst gibt's ein Urteil, und dazu habe ich keine Lust,
weil, das macht Arbeit und kostet Geld.
Und die Chancen zur Beilegung
sind so gut, wie für mindestens eine Partei der Schrecken des Gesichtsverlustes
größer ist als der Verlust in der Sache.
Du: Von daher achten die, im
Gegensatz zum Strafrecht, schon darauf, wenn irgend möglich eine Entscheidung zu
bewirken, die beide Parteien zwar nicht unbedingt begrüßen, wohl aber einsehen
sollten.
Hier geht's nicht um betriebsinterna, oder? Sondern um
Streitfälle zwischen Unternehmern.
Kommt da ein großer Druck zur Beilegung
von der Öffentlichkeit des Urteils - und des damit verbundenen
Gesichtsverlustes?
Du: In einem Punkt gebe ich Dir allerdings Recht: es
wird in einem strittigen Fall nicht zu einer halbwegs friedlichen Lösung kommen,
wenn die sie steuernde neutrale Autorität fehlt.
"steuernde neutrale
Autorität"? Klingt so nett, so harmlos, so freundlich. Nee.
Du als
Vorstandsvorsitzende der Abrazo AG bist Autorität und sollst steuern, bist aber
nicht neutral in betriebsinternen Angelegenheiten. Sondern Du willst Zukunft und
Wachstum für Dein Unternehmen. Oder was immer Du anstrebst.
Und wegen Deiner
Aufgabe wirst Du jeden betriebsinternenen Streit, der an Dich herangetragen
wird, einer Lösung herbeiführen im Sinne von "Zukunft und Wachstum".
Du
kannst Dich allenfalls um Neutralität gegenüber den Personen selbst bemühen,
solange sie sich erkennbar für das gemeinsame Ziel einsetzen.
Du: Der
Moderator, der eben nicht aus eigener Machtfülle heraus entscheidet
"Ein
Vorstandsvorsitzender muß eine Aura schaffen, in der sein Team sich mit seinen
positiven, negativen, kreativen Elementen voll einbringen kann. Was dabei
herauskommt, ist immer kontrovers. Irgendwann muß die Analysephase aber
abgeschlossen werden und der Vorsitzende auf den Putz hauen: Schluß, aus, ...,
so wird's gemacht." (Helmut Werner, einst Mercedes-Benz)
Das ist ein
Chef, der entscheidet. Der erst Einigkeit in seinem Team herstellt, alle wollen
Zukunft und Wachstum mehr als alles andere in der Arbeitszeit. Der Fragen zur
Entscheidung stellt, ein Forum zum Mitdenken bietet, und schließlich das letzte
Wort auf eine Art und Weise spricht, daß seine Leute ihm weiter vertrauen.
Der braucht keinen Moderator. Protokollführer genügt.
Der typische
Moderator wird geholt, wenn der Manager das ihm zuerkannte letze Wort eben nicht
sprechen will.
Wahrscheinlich, weil er das Mißtrauen der Kontrahenten ihm
gegenüber spürt.
Du: Ich wäre übrigens dankbar, wenn man Konflikte nicht
immer auf persönliche Konflikte unter Einzelpersonen beziehen würde.
Grundsätzlich Zustimmung. Aber: So sehr Personen ihr eigenen Gesicht an eine
betriebliche Frage kleben, so sehr klebt der Ausgang einer Frage an ihren
Gesichtern.
Ciao Wolfgang Horn
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von weatherlady
am 2007-03-15, 18:37 Uhr
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hallo zusammen!
Also Eberhard, ich finde, dass man "Konflikte durch eine
Abwägung der Interessen der Konfliktparteien lösen kann".
Es gibt zwei Arten,
dies zu tun:
Erstens: Können die beiden Parteien miteinander reden, können
sie sich verstehen, verstehen sie auch die Argumente der anderen Partei? Dann
können sie das unter sich lösen und zwar, indem sie miteinander evaluieren, was
für beide Parteien den grösstmöglichen Vorteil und den kleinstmögl. nachteil
bringt. Optimum Prinzip.
Zweitens: Die Parteinen bringen es nicht fertig,
sich vernünftig zu unterhalten, verstehen sich nicht und können sich in keiner
Weise in die Bewegründe der anderen Partei hinein versetzten? Dann muss eine
dritte, neutrale Instanz her und für die beiden Parteien entscheiden. Das wäre
grundsätzlich das Gericht. Oder auch eine Mutter, die den Streit zwischen ihren
Kindern schlichtet (jeder kriegt drei Bonbons - nein, Heiri, nicht du vier und
der Fritzli nur zwei.)
Eine Abwägung der Interessen machen sowohl die
Parteien selbst (bei erstens), oder aber die Mutter und das Gericht (zweitens).
Im ersten Fall geht das jedoch besser, da dann indiviuelle Lösungen getroffen
werden können, die so zum Beispiel von einem Gericht nicht verordnet werden
können. (Das muss sich ja ans Gesetz halten, auch, wenns vielleicht mal besser
wäre, das ein bisschen zu verbiegen).
Generell gilt: Wenn die
Konfliktparteien sich kennen (Kolleg Kurt und Kolleg Hans), funktionierts
meistens besser, als wenn sie sich nicht kennen (Firma Pi und Organisation Ip).
Auch gehts besser, wenn die Streithähne eine gewisse Streitkultur haben und
nicht stur bis weiss ich wo hin sind.
Lg weahterlady
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-03-15, 19:48 Uhr
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Hallo allerseits,
Die Frage lautet: Lassen sich Konflikte durch Abwägung
der Interessen der Konfliktparteien lösen?
Gnoseias hat darauf
hingewiesen, dass auch der Einzelne seine verschiedenen Interessen gegeneinander
abwägen muss, wenn deren Befriedigung nicht gleichzeitig möglich ist und eine
Entscheidung getroffen werden muss. Dies ist das Problem, das die "Theorie der
rationalen Entscheidung" behandelt und - im Falle mehrerer unabhängig ihre
Interessen verfolgender Akteure - die Spieltheorie.
John von Neumann und
Oskar Morgenstern, die Begründer der Spieltheorie, haben sich für die Erfassung
und Gewichtung der Interessen der Akteure ein interessantes Verfahren
ausgedacht, das mit dem "Erwartungsnutzen" (expected utility) der verschiedenen
möglichen Spielergebnisse für die Akteure arbeitet.
Ein Beispiel soll
das Konzept des Erwartungsnutzens verdeutlichen: Angenommen Person A muss mit
vier möglichen Ergebnissen rechnen:
1. Es bleibt für A alles beim Alten,
also Fortdauer des Status quo,
2. A wird zum Abteilungsleiter befördert mit
300 ? mehr Gehalt.
3. A behält seinen Arbeitsplatz aber bekommt 50 ? mehr
Gehalt im Monat.
4. A wird fristlos entlassen.
Gefragt, welches
Ergebnis er denn bevorzugen würde, ergibt sich z. B. folgende Präferenzordnung:
Resultat 2 (Beförderung mit Gehaltserhöhung) entspricht am meisten
seinen Interessen, dann folgt Resultat 3 (nur Gehaltserhöhung), dann Resultat 1
(Status quo) und am wenigsten mag er Resultat 4 (Entlassung), also 2>3>1>4.
Hier ist die Interessenlage von A durch eine Rangordnung der möglichen Resultate
wiedergegeben. Man kann aufgrund einer bloßen Rangordnung jedoch nicht sagen, um
wie viel Resultat 2 für A besser ist als Resultat 3.
Kann man den
subjektiven Wert, den Resultat 2 (Beförderung) gegenüber Resultat 3 ( nur
Gehaltserhöhung) hat, noch genauer bestimmen?
Neumann/Morgenstern
schlagen vor, nicht die sicheren Resultate zu vergleichen, sondern ein Risiko
einzubauen und A zu fragen: "Bei welchem Risiko wird Resultat 2 für Dich
gleichwertig mit dem sicheren Resultat 3?"
Man fängt z. B. an mit einem
Topf von 100 Losen, die alle lauten: "Du bekommst Resultat 2". (In diesem Fall
ist Resultat zwei sicher und es besteht kein Risiko, weil alle Lose Gewinnlose
sind.)
Dann ersetzt man zunächst 1 Gewinnlos durch eine "Niete", auf der
steht: "Es bleibt beim Status quo".
Dann ersetzt man 2 Gewinnlose durch
Nieten, dann 3, dann 4 usw. bis zu dem Punkt, an dem A sagt: "Bei diesem Risiko
ziehe ich die Lotterie nicht mehr gegenüber der sicheren Gehaltserhöhung vor."
Angenommen diese Gleichwertigkeit der Alternativen stellt sich ein, wenn im
Lostopf 50 Gewinnlose und 50 Nieten sind. Dann bedeutet dies, dass der
Erwartungsnutzen des sicheren Resultats 2 für A doppelt so groß ist wie der
Erwartungsnutzen des sicheren Resultats 3.
Allgemein gesprochen: Wenn
die Wahrscheinlichkeit, ein Gewinnlos zu ziehen und Resultat x zu bekommen, 1/3
beträgt - bei Gleichwertigkeit mit y - dann ist der Erwartungsnutzen von x
dreimal so groß wie der Erwartungsnutzen von y.
Ist die
Gleichwertigkeit der Alternativen erst bei einer Wahrscheinlichkeit von 1/10
erreicht, so ist der Erwartungsnutzen von x zehnmal so groß wie der von y.
(Ich habe das Konzept des Erwartungsnutzens etwas länger ausgeführt, damit
gewisse Grundbegriffe bekannt sind.)
Noch mal zur Bestimmung des
überwiegenden Interesses eines Individuums: das Individuum gewichtet bei seinen
Entscheidungen die Interessen und arbeitet nicht nur mit Präferenzordnungen.
Ein Beispiel: Angenommen Herr K möchte lieber ein schnelleres Auto als ein
langsameres, und er möchte lieber ein Auto, das weniger Kraftstoff verbraucht
als mehr.
Nun stehen zwei Autos zur Wahl: Auto 1 ist schneller als Auto
2. Aber Auto 2 verbraucht weniger Kraftstoff als Auto 2. Welches Auto entspricht
dem Interesse des Herrn K mehr? Anhand der bloßen Rangordnungen lässt sich keine
Entscheidung treffen. Wenn man jedoch die Interessen des Herrn K genauer erfasst
und z. B. die beiden Kriterien "Schnelligkeit" und "Kraftstoffverbrauch"
gewichtet, dann ist eine Entscheidung möglich.
Grüße an alle von
Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Hanspeter am
2007-03-15, 19:51 Uhr
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Hallo UG,
du schreibst: "Ich erkenne in der Natur sogar ausschließlich
Interessensabwägungen: Ökologische Nischen, Reviere, Rangordnungen, Symbiose
etc. Wie sollte sonst jemals Gleichgewicht entstehen?"
Im Prinzip ja,
nur glaube ich, Eberhard hat das so nicht gemeint. Die Interessen der Schwachen
werden dort in der Regel nicht in seinem Sinn gewürdigt. Und umgekehrt stellt er
sich mit Sicherheit die Interessensabwägung beim Menschen etwas anders vor als
in der Natur üblich.
Gruß HP
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
2007-03-15, 22:58 Uhr
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Hi,
die Gewichtung der Interessen so pi mal Daumen auszubaldowern,
gehört durchaus zu den praktischen Tätigkeiten professioneller
Konfliktschlichter. Allein schon deshalb, weil man keine Lust hat, ne Woche
später die Bande wieder vor dem Tisch sitzen zu haben. Aber Du hast vollkommen
Recht: Interessen hat man viele, nur einige sind interesser als andere. Wie
wichtig einem sein bestimmtes Interesse ist, muss schon herausgefunden werden,
will man einen entsprechenden Konflikt lösen.
Das führt mich zu einem
weiteren Aspekt. Denn im Konfliktfall - nein, Wolfgang, ich denke nicht an
Konflikte innerhalb eines Unternehmens, eher an so Sachen, wie, ob der andere wg
Schlechtleistung schadenersatzpflichtig ist oder nicht, oder, ob einer ne
Urananreicherungsanlage in seinem Land bauen darf oder nicht, oder, wer auf
welches Eigentum Anspruch erheben kann. Konflikte innerhalb eines Unternehmens
mögen die Unternehmensleitung stören, gesamtgesellschaftlich oder gar
außenpolitisch gesehen sind sie, möchte ich mal sagen, unbedeutend.
Also, im Konfliktfall treffen wir auf unterschiedliche Interessen, die die
Konfliktparteien recht unterschiedlich gewichten. Beispiel: Freiheit und
Sicherheit. Klassisches Beispiel: Reagans Spruch "lieber tot als rot". Die
Empörung sprach dafür, dass zumindest in Deutschland das Ergebnis der
Interessengewichtung genau anders herum lag.
Dahinter steckt imho das
sehr häufige (auch hier oft zu findende) Phänomen der Projektion. Viele sehen es
als selbstverständlich an, dass alle Menschen genau das sehen, genau das wollen,
genau das wünschen, wie man selbst. Also auch die gleichen Prioritäten setzen.
Und sind dann bass erstaunt, wenn ihr guter Wille zu schweren Konflikten führt.
Und nunmehr sehe ich es als problematisch an, Konflikte einfach durch
Interessenabwägung lösen zu wollen. Denn die Frage ist: mit welcher Waage will
man die denn abwägen?
Ich behaupte nun nicht, dass das gänzlich unmöglich
sein soll. Sieht aber nach nem vertrackten Problem aus.
Vielleicht
sollten wir wirklich so im Hinterkopf als Konfliktbeispiel die unterschiedlichen
Gewichtungen der Interessen Freiheit und Sicherheit behalten. Oder auch - da gab
es vor Jahrzehnten einen konfliktträchtigen Diskurs in der UNO zu - die Frage,
ob Arbeit ein Menschenrecht sei; von den Chinesen verlangt, vom Westen
abgelehnt. Ich weiß aber nicht, wieviele Menschen in Deutschland eher der
chinesischen Meinung zuneigen.
Grüße
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Hanspeter am
2007-03-16, 07:50 Uhr
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Die entscheidende Frage ist doch: Will man eine Konfliktlösung durch
Interessensabwägung oder nicht.
Wenn man sie will, kann man sie finden. Die
beste Lösung ist dann eine, die beide Interessen gleichermaßen berücksichtig.
Üblicherweise ist ein neutraler und gut informierter Beobachter auch in der
Lage, eine solche zu finden.
Das Problem ist doch aber, dass oft genug
eine oder beide Konfliktparteien keine Interessensabwägung wollen! Und dann
kommt es eben zum Kampf (Krieg).
Daher Antwort auf die eingangs
gestellte Frage:
Konfliktlösung durch Interessensabwägung ist stets möglich,
sicher auch meist wünschenswert,
doch sie wird häufig nicht von allen
gewünscht bzw. akzeptiert.
Gruß HP
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Gnoseias am
2007-03-16, 08:45 Uhr
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Guten Morgen,
Eberhards sehr schönes Beispiel zielt auf die
Bewertung als solche ab, wobei auf die
vielschichtigen Interessen leider
nicht eingegangen wird. (War auch nur als Muster gedacht)
Die Findung
des genaueren Wertes, ist interessant beim Abwägen mit Interessen, die die
Reihenfolge
(hier 2>3>1>4) nicht beeinflussen, jedoch ungleich schwieriger,
wenn das Interesse Arbeitsplatz mit
dem Interesse Familie und dem Interesse
Freizeit kollidiert.
z.B.:
2. A wird zum Abteilungsleiter befördert
mit 300 ? mehr Gehalt.
Das bedeutet oft auch mehr Arbeitseinsatz und mehr
Zeiteinsatz -> Einschränkung für Familie und Freizeit
Die Bezahlung wirkt
eventuell nur als Entschädigung, nicht als Hebung des Status quo
Demgegenüber
steht die Anhebung von Verantwortung und Macht
die auf die Persönlichkeit
auch in der Freizeit (Verein o.a.) einfliesst.
4. A wird fristlos
entlassen.
Das bedeutet gleichzeitig mehr Zeit, um sich weiterzubilden, sich
um die Familie zu kümmern, uvm.
Wenn die finanzielle Situation, weil die Frau
gut verdient oder man etwas geerbt hat, nicht kritisch wird,
eventuell gar
nicht schlecht.
------------------
Abrazo hat den auch für mich
entscheidenen Aspekt eingebracht, die Freiheit, ich glaube
den eigentlichen
Ansatzpunkt für unser Problem liefert die Handlungsfreiheit.
Wenn eines
in dieser Welt sicher ist, dann das, dass die Welt (irgendwohin) strebt.
Unser persönliches Streben wollen wir möglichst frei gestalten, deshalb scheint
es
überhaupt nur nötig, Interessen abzuwägen, wenn die Freiheit für alle
Konfliktbeteiligten
eingeschränkt ist.
Wer sich bereits jetzt und für
die Zukunft vollkommen frei fühlt, wird nicht zu
Abwägungen bereit sein.
------------------
weatherlady schrieb was für beide Parteien den
grösstmöglichen Vorteil und den kleinstmögl. nachteil bringt
In genau
diesem Punkt wird die Abwägung doch überhaupt kritisch, denn was heute Optimum
ist,
kann einer Konfliktpartei einen solchen Vorteil verschaffen, dass in
Zukunft keine Abwägungen
mehr möglich (nötig) sind, was natürlich alle
vermeiden wollen.
Viele Grüße,
Gnoseias
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn
am 2007-03-16, 09:32 Uhr
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Hi, Abrazo,
Du: Denn die Frage ist: mit welcher Waage will man die
denn abwägen?
Exakt. Ich als Trucker auf der Via Mala bin mit jeder
Waage einverstanden, die meine berechtigten und gesamtwirtschaftlich wichtigeren
Interessen so wichtet, wie sie sind - Weg frei! Subito!
Und wenn ihr noch
lange diskutieren wollt - bevor meine Pferde verdursten, räume ich den Wicht da
im Gegenverkehr aus dem Weg!
Aus dem Legendenarchiv des
Projektmanagements:
Types of Project Managers
If you get in my way, I'll
kill you! -- ideal project manager
If you get in my way, you'll kill me! --
somewhat less than ideal project manager
If I get in my way, I'll kill you!
-- somewhat misguided project manager
If I get in your way, I'll kill you!
-- tough project manager (eats glass, cats, dogs, etc.)
If get kill in will
way I you. -- dyslexic, functionally illiterate project manager
I am the
way! Kill me if you can! -- messianic project manager
Get away, I'll kill us
all! -- suicidal project manager
If you kill me, I'll get in your way. --
thoughtful but ineffective project manager
If I kill you I'll get in your
way. -- project manager who has trouble dealing with the obvious
If you kill
me, so what? If you get in my way, who cares? -- weak, uninspired, lackluster
project manager
If I kill me, you'll get your way. -- pragmatic project
manager
If we get in each others' way, who will get killed? -- An utterly
confused manager
Kill me, it's the only way. -- every project manager to
date.
Der schreckliche Hintergrund: Wenn die Resultatverantwortlichen
eines Unternehmens (Entwicklung, Vertrieb, Abwicklung der Projekte für den
Kunden) gegeneinander arbeiten, dann ist es, als würden im Unternehmen nicht nur
eine Straßenverkehrsordnung gelten, sondern mehrere gleichzeitig.
Die einen
Manager müssen, wie ihr Herr ihnen befahl, auf der linken Straßenseite fahren,
die anderen auf der rechten, und der Vertrieb will mit niemandem anecken und
wählt dafür immer die "goldene Mite"....
Aus weiser Voraussicht für das
persönliche Wohl delegieren diese Herren das Fahren, die Ausführung der
Arbeiten, dann gern an jeweils ihre Projektmanager.
Wer in diesem Stock Car
Rennen dann übrig geblieben ist, der hat Aussicht auf Beförderung.
Das
ist mein bitterer Ernst und die Bitterkeit, die ich seit Jahren empfinde - hier
werden gute, engagierte Leute verheizt - und Kapital und Arbeitsplätze - weil
Verantwortung und Komplexität (Bürokratie) schneller gezüchtet werden können als
die Kunst des richtigen Denkens - die aber um so wichtiger wird, je größer die
Macht.
(Dies ist keine Bauchpinselei: Nein, in der Abrazo AG passiert
dies alles nicht, weil die Vorstandsvorsitzende klug genug ist, die gemeinsame
Arbeit zweckmäßig zu teilen und zu delegieren, - und über eine schreckliche
Waffe zum Abbürsten der Widerspenstigen verfügt - und auch über die Konsequenz,
diese Schreckenswaffe einzusetzen, wenn die Zukunft der Abrazo AG in Gefahr ist
:-)
Wer die Geisterfahrerei auf den Hierarchieebenen vermeiden will,
der darf nicht konfliktscheu sein und auch nicht alle Nase lang nach dem
Mediator rufen und damit seine Inkompetenz erneut beweisen. Nein, er muß das
tun, was getan werden muß, damit das Unternehmen im Markt bleibt, damit noch
mehr Investoren als Trittbrettfahrer aufspringen wollen und noch mehr Leute
eingestellt werden müssen.
Und an Abrazo erleben wir diese Bereitschaft, auch
mal abzubürsten.
) Jetzt ist die angefangene Klammer doch nicht mehr so
gut, weil ich die rote Linie wieder in der Hand habe - wer Konfliktmanagement so
versteht wie der Bilderbuch-Kuschel-Boss (streicheln, loben, ja kein hartes
Wort), der vernichtet das Kapital seiner Investoren und die Arbeitsplätze. Aber
manche Sozialträumer fordern solches Verhalten als "Teamfähigkeit".
Zurück zu den Beispielen "Schlechtleistung" und "Urananreicherung", die Abrazo
genannt hat.
"Schlechtleistung" braucht keine Mediation. Das
Handelsgeetzbuch reicht. Die Kunst ist nur bei der Auftragsvergabe an den
Friseur nicht nur zu sagen "Manchen sie mir mal ne schöne Frisus, machen sie
mich glücklich", sondern auch das zu spezifizieren, was nachher geprüft werden
kann.
Den Rechtsanwalt fragt man gemeinsam besser vor dem Vertrag als ihn
nacher vor dem Richter gegen seinen Kollegen zu hetzen.
"'Urananreicherung" - ich kenne bisher noch keinen legale Grundlage, einen
Staat, dessen Erdölressourcen auf der Bestell- nein, Raubliste der USA stehen,
davon abzuhalten, sich das Verteidungsmittel zu schaffen, das als Einziges
tauglich ist, die Raubmördertruppen der USA fernzuhalten.
Daß der Klub der
Atommächte seine Eingangstüren geschlossen hat, um seine Macht zu erhalten, gibt
ihm noch nicht das Recht, anderen die Entwicklung solcher Waffen zu verbieten.
Als sich USA und UdSSR noch jeweils als Garantiemächte für das Glück dieser Erde
verstanden, wenn auch unterschiedlich, da habe ich Furcht gehabt vor einer
Ausweitung der Kernwaffen.
Aber seitdem die USA zur Raubmördernation
geworden sind "Wir rauben, unterdrücken und foltern für das uns als größter
Verschwender rechtmäßig zustehende Erdöl", muß man heute schon Verständnis haben
für die bereits auserwählten Raubmordopfer.
Seufz.
Zurück
zum Thema Konflktlösung. Wenn an der Via Mala nicht gerade zwei konfliktscheue
Sozialträumer ihre Konfliktscheuheit umsetzen, indem sie über Konfliktmanagement
reden und reden, bis alle Pferde verreckt sind und die Kadaver den Konflikt
beendet haben, sondern zwei echte Trucker, dann ist denen das Ergebnis der
Konfliktlösung wesentlich wichtiger als die Methode.
Welche Waage? Nein,
nur meine. Aber ich werde berücksichtigen: "man trifft sich immer zweimal",
"auch ich brauche mal Hilfe", "mein Ruf ist mir wichtig", und daher wird mir
ungebührliches Verhalten gar nicht erst in den Sinn kommen und ich mich eher an
die Goldene Regel halten.
Damit verringert sich die Menge der möglichen
Konflikte. Wo die Sachlage klar ist, da setzt man wortlos zurück und baut so
seinen guten Ruf aus. Und die Auslegungssachen werden so seltener - und
verlieren an Wichtigkeit.
Jetzt wieder zurück ins Unternehmen: Die
Projektmanager könnten ihre Sachkonflikte viel schneller lösen, müßten sie keine
Angst vor Nachteilen haben, wenn sie gegen die Verkehrsordnung ihres Chefs
verstoßen.
Auch deshalb ist derjenige Mediator im Unternehmen Dummfug,
der im Konfliktfalle nur zwischen den streitenden Projektmanagern vermitteln
wollte - nein, er muß eher lautlos zwischen deren Chefs vermitteln! Haben sich
die Bosse geeinigt, klappts auch unter deren Mitarbietern wieder.
Deshalb ist das Gerede über die "richtige Methode zur Lösung von Konflikten
zwischen Projektmanagern" Beweis für Weltfremdheit der Redner. Die Lösung der
Konflikte liegt selten auf der Ebene der Konflikte, sondern in der Bossetage.
Und dann reichen "gesunder Menschenverstand" und die sanfte Drohung von
Eskalation eine Ebene höher und Gesichtverlust.
Ciao
Wolfgang Horn
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-03-16, 20:35 Uhr
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Hallo allerseits,
richtig ist, dass durch eine Interessenabwägung allein
kein Konflikt beseitigt wird, wenn nicht anderweitig gewährleistet wird, dass
dann auch entsprechend dem Ergebnis dieser Abwägung verfahren wird.
Ich
möchte aber das Problem der Durchsetzung einer durch Abwägung aller beteiligten
Interessen gewonnenen Entscheidung ausklammern. (Wir brauchen uns ja mit diesem
Problem überhaupt nicht zu beschäftigen, wenn wir zu dem Ergebnis kommen, dass
eine Interessenabwägung als solche gar nicht möglich ist.)
Abrazo
schreibt: "Die Frage ist: mit welcher Waage will man die denn abwägen?
Ich
behaupte nun nicht, dass das gänzlich unmöglich sein soll. Sieht aber nach nem
vertrackten Problem aus."
Ich wähle mal mit Absicht ein etwas irreales
und banales Beispiel, um die Probleme der Interessenabwägung besser zu
verdeutlichen.
Es geht um einen Verteilungskonflikt.
Für das
Fußballspiel Werder Bremen gegen Bayern München gibt es zehnmal soviel
Interessenten wie Plätze im Stadion. Damit ist ein Konflikt unter den
Interessenten gegeben, denn jeder möchte gern der 10. sein, der die
Eintrittskarte bekommt, was nicht realisierbar ist. Der Konflikt soll durch
Interessenabwägung entschieden werden.
Man könnte die Dringlichkeit der
Interessen, das Spiel im Stadion mitzuerleben, auf verschiedene Weise messen.
Man könnte z. B. die Gewichtigkeit des Interesses an einer Eintrittskarte
durch die Zeit messen, die jemand bereit ist, für diese Eintrittskarte in einer
Warteschlange anzustehen.
Oder man könnte die Gewichtigkeit der
Interessen durch den Geldbetrag messen, den jemand bereit ist, für die
Eintrittskarte zu zahlen. Das würde bedeuten, dass die Eintrittskarten an den
Meistbietenden versteigert werden.
Soviel erstmal von Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
2007-03-16, 21:10 Uhr
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Die kölsche Lösung ist: Schlange stehen.
Warum?
Geld, das man nicht hat,
kann man nicht opfern.
Heißt, wer mehr als jeder andere zahlen würde, aber
nicht kann, der würde aus der Wahl fallen.
Das haben nicht nur die
Veranstalter (bei uns liegt das Problem eher bei berühmten
Karnevalsveranstaltungen) nicht so gern. Frage der Chancengleichheit. Man kann
nicht etwas zum Maßstab des Interesses machen, was aus anderen Gründen ungleich
verteilt ist.
Das Ergebnis wäre alsbald eine Prügelei um die Karten, denn
die, die von vorn herein mangels Geld keine Chance haben, würden das
erfahrungsgemäß nicht auf die Dauer hinnehmen.
Für uns kommt also, mit Blick
auf die Chancengleichheit, heißt, überhaupt einen Maßstab anzulegen, der auf
alle passt, also nur das Schlange stehen in Frage.
Nun kann man einwenden, es
gibt aber auch genug Menschen, die haben zum Schlangestehen keine Zeit. Dann
haben sie aber auch entweder keine Zeit, zur Veranstaltung zu gehen, oder sie
haben Geld.
Und wer Geld hat, kann nen Studenten für's Schlange stehen
zahlen.
Fazit: wer Interessen abwägen will, muss auf den Kontext achten,
die Lebensumstände. Er darf keinen Maßstab setzen, der für einen Teil von
vornherein unmöglich zu erfüllen ist; so etwas dann noch als Interessenabwägung
zu bezeichnen wäre zynisch. Und nicht der Friedlichkeit förderlich.
Es
dürften uns eine Menge Beispiele, außerhalb von Fußball und Karneval, für einen
solchen Zynismus einfallen.
Grüße
P.S.: es wäre sogar mehr als
zynisch. Es wäre eine Interessenabwägung, die bei Licht besehen gar keine ist,
sondern eine ideologisch schöngefärbte Verkleisterung privilegierter Interessen.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn
am 2007-03-17, 10:46 Uhr
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Hi, Abrazo,
Du: ...Die kölsche Lösung ist: Schlange stehen....Und
wer Geld hat, kann nen Studenten für's Schlange stehen zahlen....Er darf keinen
Maßstab setzen, der für einen Teil von vornherein unmöglich zu erfüllen ist; so
etwas dann noch als Interessenabwägung zu bezeichnen wäre zynisch. Und nicht der
Friedlichkeit förderlich.
[applause] [applause] [applause]
Kurz, prägnant,
stimmig, einleuchtend, - und ich fühle mich bestätigt - Klasse.
Ciao
Wolfgang Horn
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-03-18, 12:52 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo Abrazo,
um die Dringlichkeit oder
Gewichtigkeit der Interessen verschiedener Individuen zu vergleichen, kann man
fragen, was die Einzelnen bereit wären, für die Befriedigung dieses Interesses
zu opfern.
Das Problem dabei ist, dass das Ergebnis davon abhängt, wie
reichlich die Individuen mit dem zu opfernden Gut ausgestattet sind.
Je
ungleicher die Verteilung, desto problematischer erscheint die daraus
entstehende Gewichtung der Interessen zu sein.
Deshalb hat Abrazo
offenbar dem Schlangestehen den Vorzug gegenüber der Versteigerung an den
Meistbietenden gegeben.
Allerdings sollte man auch die Kosten der
jeweiligen Verfahren mit in die Überlegungen einbeziehen. Das Schlangestehen ist
im Unterschied zur Abgabe an den Meistbietenden mit erheblichen "Kosten"
verbunden in Form verlorener Zeit.
Zu fragen wäre deshalb: Was ist denn
das Kriterium für die Anerkennbarkeit verschiedener Abwägungsverfahren?
Offenbar suchen wir nach einem "gerechten" oder "fairen" Verfahren, das
allgemein akzeptabel ist. Es fiel auch schon das Wort "Chancengleichheit".
Frage: Wie könnte ein solches Verfahren aussehen?
Weatherlady hat dazu
bereits einiges ausgeführt. Danach scheinen für eine einvernehmlich vernünftige
Lösung des Konfliktes durch die Konfliktparteien selber verschiedene Dinge
wichtig zu sein:
dass die Konfliktparteien miteinander reden,
dass
sie sich verstehen,
dass sie auch die Argumente der anderen Partei
verstehen,
dass sie sich vernünftig unterhalten,
dass sie sich in die
Beweggründe der anderen Partei hineinversetzen,
dass sie miteinander
herausfinden, was für beide Parteien den größtmöglichen Vorteil und
den
kleinstmöglichen Nachteil bringt und
dass neutral entschieden wird.
Kann man sich in die Beweggründe der andern Konfliktpartei hineinversetzen? Ist
so etwas möglich und wenn ja, wie? fragt
Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
2007-03-18, 14:20 Uhr
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Hi,
Quote:Kann man sich in die Beweggründe der andern
Konfliktpartei hineinversetzen? Ist so etwas möglich und wenn ja, wie? fragt
Nein.
Und erfahrungsgemäß gibt dat nur Ärger.
Denn was unter
'sich in einen anderen hinein zu versetzen' gemeint ist, ist letztlich immer,
die eigenen Vorlieben und Wünsche und, besonders nervend, Gefühle in einen
anderen hineinzuprojizieren. Das führt zu der ach so 'beliebten'
Sozialtherapeutenantwort: "ja, ich verstehe, wie du dich fühlst", auf die nicht
immer, aber fast immer die meist unausgesprochene Antwort folgt: "Arschloch".
Auch im politischen Bereich. Auch die kriegslüsternen Amerikaner haben ihre
eigenen Gefühle in die Iraker projiziert, indem sie glaubten, die würden ihnen
ob der Befreiung von allem Übel um den Hals fallen. Dass sie selbst denen als
das größte Übel gelten könnten, ist denen nicht eingefallen, schließlich sind
die Amerikaner für sich selbst ja auch nicht das größte Übel.
Also: wenn
ich wissen will, wie der andere denkt und fühlt, muss ich ihn fragen, denn außer
ihm weiß das keiner. Führt kein Weg dran vorbei. Heißt, führt kein Weg am Dialog
vorbei.
Nächste Frage dazu: wat interessiert mich eigentlich, ob du
dich in mich hineinfühlen kannst oder nich? Wat mich interessiert is, wat dabei
herauskommt, wat du tust. Ob mir das, was du tust, passt oder nich. Aus welchem
Grund du das tust, is mir primär erst mal wurscht.
Desweiteren: was
heißt verstehen? Wenn verstehen heißt, ich fühle mit dir, s.o., es mr ejal. Wenn
Verstehen aber heißt, ich verstehe den Sinn deiner Sätze, ich verstehe, was du
damit meinst, dann ist mir das ganz und gar nicht egal; denn wenn du meine Sätze
nicht verstehst, brauche ich sie ja auch nicht zu sagen. Dann ist meine Rede
sinnlos.
Folgt: wenn ich Interessen abwägen will, und das gilt für mich
als Vertreter meiner Interessen ebenso wie für einen möglichen Neutralen, muss
ich erst einmal für die Verstehbarkeit von Sätzen sorgen. Sowohl für meine
eigenen Sätze als auch dafür, dass ich den anderen richtig verstehe, verstehe,
was er meint. Ich muss mich auf den Gesprächspartner einlassen, muss zu ihm in
Beziehung treten. Gegenseitiges Anmonologisieren ist kein Dialog.
Verstehen, was der andere meint, kann ich nur dann, wenn ich den Kontext
verstehe, in dem er denkt. Den kenne ich nicht. Im Zweifel muss ich ihn
erfragen. Kontext läuft letztlich auf Weltbild hinaus. Das kann meinem sehr
ähnlich sein, erleichtert das Verständnis. Kann aber auch sehr verschieden sein,
dann wird das Verstehen zur mühseligen Arbeit. Setze ich jedoch voraus, dass der
andere das gleiche Weltbild hat wie ich, dass er also mit seinen Worten dasselbe
meint wie ich, dann wird eine Verständigung unmöglich und ich breche den Dialog
de facto ab.
Quote:dass sie miteinander herausfinden, was für beide
Parteien den größtmöglichen Vorteil und den kleinstmöglichen Nachteil bringt
Das ist natürlich die ideale Lösung. Aber setzt sie nicht ein für
beide zunächst ungelöstes Problem voraus, an dessen Lösung man gemeinsam
arbeitet? Von einem Konflikt sprechen wir doch eher, wenn beide Parteien bereits
je eine Lösung für ein Problem haben, bloß, dass diese beiden Lösungen
miteinander unvereinbar sind. Allerdings - so mal ins Unreine - wäre wohl eine
kooperative Lösungssuche dann möglich, wenn beide Parteien ihre jeweilige Lösung
wegen der Unvereinbarkeit mit der Lösung der anderen Partei nicht als Lösung
ansehen könnte. Anders gesagt, wenn sie der Auffassung wären, eine Lösung wäre
nur dann eine Lösung, wenn sie Allgemeingültigkeit beanspruchen könnte. Das wäre
jedoch wohl eine Frage der grundsätzlichen Einstellung dazu, was eine Lösung
ist, was eine Lösung zu einer Lösung macht.
Setzt aber
Interessenabwägung nicht im Grunde voraus, dass eine gemeinsame Lösung nicht
möglich ist? Dass also gegen die Interessen einer Partei notwendigerweise
verstoßen werden muss?
Gruß
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn
am 2007-03-18, 15:14 Uhr
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Hi, Eberhard,
Du: Offenbar suchen wir nach einem "gerechten" oder
"fairen" Verfahren, das allgemein akzeptabel ist.
Du vielleicht. Ich
nicht.
Denn was in Kölle wohl mit Schlangestehen gelöst wird, dafür
kennt Bayern die Amigo-Lösung.
Jede Gruppe von Menschen, die sich "Wir"
bezeichnen, entwickelt ihre eigene Vorliebe für Lösungen, die eben keine
Patentlösngen sind.
Wenn Du keine Patentlösung hast, allgemein
anerkennbar und von deutlich größerem Vorteil für alle und jeden als die
zweitbeste, dann schätze ich den Vorteil der Verordnung der besten
allgemeingültigen Notlösung geringer als den Schaden durch die Verordnung
selbst.
Und wenn es sie gäbe, dann, vermute ich, wäre sie schon seit dem
Alten Testament bekannt.
Ciao
Wolfgang Horn
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-03-19, 08:18 Uhr
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Hallo Wolfgang,
wenn ich frage, ob und wie man die Interessen von
Konfliktparteien gegeneinander abwägen kann, um einen Konflikt zu lösen, dann
suche ich in der Tat nach einer "gerechten" oder "fairen" Lösung des Konfliktes.
(Deshalb steht diese Runde auch in der Abteilung "Ethik" und nicht in der
Abteilung "Public Relations" oder "Personal Management".) Wenn Du nicht nach
allgemein akzeptablen Lösungen suchst, dann bist Du offenbar in der falschen
Diskussionsrunde gelandet.
Allerdings muss Dir klar sein, dass jede
andere "Lösung" des Konfliktes den Konflikt fortbestehen lässt, und zwar für
diejenigen, die das Verfahren der Abwägung nicht akzeptieren konnten.
Darüber muss man sich ganz klar sein: entweder man sucht nach Lösungen, die für
alle Seiten akzeptabel sind, oder der Konflikt wird durch überlegene Macht
entschieden.
Weatherlady hatte zu den Möglichkeiten der Einigung in
Interessenkonflikten einiges angerissen, was allerdings noch näher ausgeführt
werden müsste.
Sie sprach von den Vorteilen und Nachteilen der
verschiedenen denkbaren Konfliktlösungen für die am Konflikt Beteiligten. Wenn
z. B. gesagt wird: "A hat bei dieser Lösung weitaus größere Vorteile als B", wie
kann man solche Aussagen begründen. Wie sind Vor- und Nachteile größenmäßig
bestimmbar? Es handelt sich ja hier offenbar nicht um ein empirisches
Messproblem, wie z. B. die Messung des Zufriedenheitsgrades der Beteiligten mit
den verschiedenen Lösungen. Eher ähnelt es der in der Rechtsprechung
praktizierten "Güterabwägung".
Hat jemand dazu eine Meinung? fragt
Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von weatherlady
am 2007-03-19, 11:15 Uhr
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Jep, weatherlady selbst ;-)
Aber ich muss erst noch kurz ausholen:
Zur Spieltheorie: Diese Möglichkeit ist interessant und kann einem einzelnen,
der seine Entscheidung möglichst mit allen Mitteln abwägen will auch gute
Dienste leisten (Bsp. A mit seinen möglichen Lohnerhöhungen). Für den Alltag
kann dieser Lösungsansatz mMn jedoch nicht verwendet werden. Wenn die von mir
beschriebene Mutter ihren Heiri und ihren Fritzli fragt: Ok, ihr zwei, jetzt
gebt mal dem x eures angestrebten Ergebnisses eine Wahrscheindlichkeit von 0-1.
--> Die werden ihre Mutti wohl ziemlich komisch angucken. Oder angenommen, sie
verstehen die Spieltheorie: Dann sagen beide: Wahrscheindlichkeit 0 (oder 1?
Wenn ichs falsch herum verstanden habe...). Aber auf jeden Fall sind sie wohl
nicht in der Lage, ihre Interessen losgelöst von ihren eigenen
Wunschvorstellungen zu beurteilen. Auch die beiden Trucker auf der Via mala,
können mit dieser Theorie nichts anfangen. Aber als Theorie ist sie dennoch
interessant.
Zu dem sich-in-andere-hineinversetzten:
Ich hab nicht
die psychologische Variante im Sinne von "Ich verstehe, wie du dich fühlst",
gemeint. Es sei denn, der Lösungsweg des Problems führt unweigerlich an deinen
Gefühlen vorbei, dann muss ich wohl versuchen, die zu verstehen.
Was ich
meine, ist, dass beide Konfliktparteien erst mal verstehen müssen, was der
andere will und warum er denkt, dass ers bekommen soll. Und da geb ich Abrazo
völlig recht: Das geht am besten mit reden.
Aber da gibts zwei (oder mehr)
Probleme:
1.: Der, der auf den Mund gefallen ist, ist dem, der das nicht ist
unterlegen. Bin ich ein genialer Demagoge (manche würden auch Vertreter sagen
;-)) kann ich dir einreden, dass meine Lösung auch für dich das Beste ist.
2.: Hab ich jetzt leider vergessen... wenns mir wieder in den Sinn kommt,
liefere ichs nach..
Aber eigentlich ist das Problem 1 der
Dialog-Variante auch das Problem jeder Lösungssuche: Die eine Partei ist
mächtiger als die andere und nutzt ihren Vorteil aus. Dann helfen natürlich
weder Vernunft noch Spieltheorie und die andere partei wird sich die Haare
raufen und die Konsenssuche abbrechen.
So zum Beispiel auf der Via mala: A
kommt von oben und hat gleich hinter sich einen Ausweichplatz. B kommt von unten
und der nächste Ausweichplatz hinter ihm ist 2 km weiter unten. B versucht das A
zu erklären: Senor, podria usted por favor... - Werter Herr, könnten sie
bitte... weiter kommt er nicht, da ihm A ins Wort fährt: NO! Tu bajas! - Nein,
du gehst runter!
So, jetzt kann B noch eine Weile lang auf A einquatschen,
aber wenn der keine Lust hat, dann hilft das nix. Wenn B klug ist, dann erklärt
er A: Tengo mas agua. - Ich hab mehr Wasser --> ich kann hier länger ausharren
als du, also hast du durchaus Interesse an einer schnellen Lösung.
Die
Bereitschaft zur Verhandlung ist Voraussetztung, dass die Lösung des Konfliktes
mittels hier diskutierten Mitteln überhaupt möglich ist.
Ok, jetzt zur
Frage von Eberhardt
"Wie sind Vor- und Nachteile größenmäßig bestimmbar? Es
handelt sich ja hier offenbar nicht um ein empirisches Messproblem, wie z. B.
die Messung des Zufriedenheitsgrades der Beteiligten mit den verschiedenen
Lösungen. Eher ähnelt es der in der Rechtsprechung praktizierten
"Güterabwägung". "
Ich würde sagen, ja, es ähnelt der Güterabwägung
(aber ich kenne mich in Rechtsdingen zuwenig aus... Abrazo?). Es ist eine
Abwägung der Zugeständnisse und Gewinnen und beruht auf Vernunft und
Verständniss.
(Heiri sieht ein, dass Fritzli auch Anrecht auf 3 Bonbons hat.
Oder die Mutter erfährt, dass Heiri viel mehr Beete gejätet hat, als Fritzli
(sie hat die Bonbons als Belohnung dafür versprochen) und deshalb wirklich ein
Anrecht auf mehr Bonbons hat... und gibt ihm vielleicht 4 und dem Fritzli 3)
Ich glaube nicht, dass es eine praktikable, allgemein gültige Art der Vor-,
Nachteil-Bewertung gibt. Oder sieht jemand eine?
Lg weatherlady
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
2007-03-20, 01:04 Uhr
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Quote:Ich würde sagen, ja, es ähnelt der Güterabwägung (aber ich kenne mich
in Rechtsdingen zuwenig aus... Abrazo?). Es ist eine Abwägung der Zugeständnisse
und Gewinnen und beruht auf Vernunft und Verständniss.
In
rechtlich regelbaren Angelegenheiten kann man Güterabwägung betreiben. Nach dem
Motto keine Strafe ohne Gesetz (Strafrecht) sind Rechtsgüter klar definiert,
letztlich über das Grundgesetz. HIer kann man dann abwägen, ob, in welchem Maße
und vor allem mit welchem Maß an Schuld ein definiertes Rechtsgut verletzt
worden sein mag. Ein altbewährtes Verfahren, das in der Regel zu für alle Seiten
befriedigenden Ergebnissen führt. Setzt allerdings geschriebenes Recht voraus,
das in seinen wichtigsten Grundzügen ebenfalls sehr alt ist - und de facto nicht
mehr hinterfragt wird. In der Praxis steht es da, ohne dass es einer Begründung
bedarf. Letztlich ist es selbstbegründend. Denn es bedarf keiner Begründung, mit
der man die Mitglieder einer Gesellschaft dazu überreden müsste, Totschlag,
Diebstahl und Betrug unter Strafe zu stellen; im Gegenteil. Die politische
Erfahrung in unterschiedlichen Kulturen zeigt, wenn man dies nicht unter Strafe
stellt, werden die früher oder später verdammt sickig.
Im Zivilrecht ist das
anders. Da geht es meist darum, dass Parteien einen Vertrag geschlossen haben,
der nun von einer Partei - meint jedenfalls die andere - nicht eingehalten wird.
Da geht es im Wesentlichen um Regeln, um die berühmten Verfahrensfragen, die so
nerven können, die keinen groß kümmern, nur im Streitfall entscheidend werden.
Recht bekommt der, der nachweisen kann (oder glaubhaft machen kann), dass er die
Regeln zumindest am meisten eingehalten hat. Es ist in meinen Augen schon eine
Art ritualisiertes Verfahren der Auseinandersetzung (oder Streitschlichtung),
und die friedensstiftende Bedeutung von Ritualen sollte man ganz und gar nicht
unterschätzen. Allerdings setzen sie eine bereits bestehende Gemeinschaft
voraus, denn die Rituale müssen akzeptiert sein.
Hier ist übrigens das
diplomatische Protokoll hochinteressant, ein strenges Ritual mit genauen Regeln,
da einzig zu dem Zweck, Konflikte unter sich nicht sonderlich Grünen zu
vermeiden oder abzuschwächen. Unter Menschen, die nun weiß Gott keine
Gemeinschaft sind - und doch sind, denn sie werden es durch ihren Status, der in
einem der m.E. absonderlichsten und für unsere Zeit urtümlichsten Gesetzeswerke
festgeschrieben ist, der Wiener Konvention.
In der Pädagogik sind ja im
Moment Regeln ganz en vogue. Problem: es sind sozusagen bilaterale Verträge,
zwischen Zögling und Erzieher oder Patienten und Therapeuten; das bringt's
nicht. Regeln sind keine Verträge. Verträge hat man zu halten und tuts oft genug
nicht. Regeln hält man, die bieten allgemeinen Halt und Sicherheit, weil sie
moralischen Wert haben. Das tut man nicht, sonst wird man von allen geschnitten
und fliegt raus aus der Gemeinschaft.
Hier fällt mir auf, dass die
individuelle, sozusagen bilaterale, auf Verträgen beruhende Streitschlichtung im
Grunde nicht allzu viel taugt. Wie gesagt, es sind meist Vertragspartner, die
vor dem Zivilgericht ihr jeweils wohlverstandenes Recht suchen.
Man
glaube allerdings nicht, es ließe sich jeder Konflikt mit einer vernünftigen
Güterabwägung lösen. Die schärfsten Konflikte sind die, bei denen es gar nicht
um Güter geht, sondern um Werte. Wenn man da mit Güterabwägung kommt (und ich
meine das als Art zu Denken, nicht unbedingt als Abwägung materieller Güter),
dann kann einem schon mal jemand an die Gurgel springen wollen.
Scheiterten nicht Integrationsbemühungen in unserer Gesellschaft vielfach daran,
dass man sich auf die Macht des Faktischen verließ und darunter verstand, die
Attraktivität des möglichen Lebens in individueller, bindungsloser Freiheit und
Wohlstand? Welche Güter will man denn im Konfliktfall da abwägen?
Gruß
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-03-20, 19:39 Uhr
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Hallo allerseits,
nach dieser Skizzierung der rechtlichen
Verfahrensweisen will ich noch mal das Ausgangsproblem deutlich machen:
Meiner Ansicht nach wägen wir im Alltag ständig Interessen verschiedener
Individuen gegeneinander ab und rechtfertigen auf dieser Grundlage viele unsere
Entscheidungen.
Ich nehme mal ein krasses Beispiel.
Ich sehe,
dass jemand auf der Straße zusammenbricht. Wenn ich ihm helfen würde, käme ich
zu spät zum Konzert.
Hier würde wohl jeder sagen: Das Interesse dessen,
der möglicherweise in Lebensgefahr schwebt, an Erster Hilfe überwiegt mein
Interesse an dem vollständigen Hören eines Konzertes. Also sollte ich ihm
helfen.
Auf welcher Grundlage treffen wir diese Abwägungen? Die
Erfahrungswissenschaften sagen: "Das ist keine wissenschaftliche Frage, denn es
handelt sich um einen interpersonalen Nutzenvergleich (engl.: interpersonal
comparison of utilities), der Werturteile impliziert. Werturteile lassen sich
aber nicht erfahrungswissenschaftlich begründen."
Ich halte das für
einen philosophisch unhaltbaren Zustand und suche deshalb nach einem Ausweg aus
diesem Dilemma.
Ich sehe eine Lösungsmöglichkeit durch eine
unparteiische und wohlwollende Berücksichtigung und Gewichtung der Interessen
aller Beteiligten.
Könnte man sich darüber einige werden? Was spricht
dagegen? Lassen sich die sicher vorhandenen Schwierigkeiten methodisch
bewältigen und kann man auf argumentativem Wege zu übereinstimmenden
Gewichtungen der jeweiligen Interessen kommen? fragt
Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
2007-03-20, 19:57 Uhr
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Eberhard, Du kennst meine Ansicht, die ich deswegen nicht wiederhole: es geht.
Es geht aber nicht auf den Wegen, die Du Dir vorstellst. Und zwar deshalb nicht,
weil unsere empirischen Humanwissenschaften ideologisch begründet sind. Sie
unterschlagen wesentliche Aspekte des Menschseins, genau die, die Menschen erst
zu Menschen machen.
Gruß
--------------------------------------------------------------------------------
Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von laertes am
2007-03-20, 19:58 Uhr
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unnötige denke.
in solchen konfliktsituationen handelt man, wie man
eben handelt.
der denkkommentar, falls überhaupt ressourcen und zeit dafür
vorhanden sind, ist allenfalls dekoration, die der selbstadelung dient oder dem
völlig virtuellen theater des inneren sich-selbst-verurteilens und dann doch
wieder freisprechens qua 'neuen' argumenten.
für dieses theater braucht es
moral, und von dort stammt sie auch.
viele grüsse
laertes
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn
am 2007-03-21, 00:58 Uhr
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Hi, Eberhard
'Du: wenn ich frage, ob und wie man die Interessen
von Konfliktparteien gegeneinander abwägen kann, um einen Konflikt zu lösen,
dann suche ich in der Tat nach einer "gerechten" oder "fairen" Lösung des
Konfliktes.
Schon so verstanden. Mit der Entgegnung: Die Absicht, so
etwas finden und dann umsetzen zu wollen, ist selbst pure Unfairneß, böse.
Diese Absicht hat mit Ethik nichts zu tun, sondern mit Diktatur. Und zwar
technokratische Diktatur, die das letzte Wort in einer Auseinandersetzung keiner
Person lassen, sondern einer unpersönlichen Regel übertragen will.
Du
hast es sicher nicht so gemeint, aber ich vermute, nicht jeder Diktator wollte
schon zu Anfang einer sein, sondern hatte eigentlich nur Gutes im Sinn.
Eigentlich ist es logisch: Gäbe es ein allgemeingültiges Kriterium für diese
faire Entscheidung, dann wäre es schon längst gefunden.
Oder willst Du all
unseren Vorfahren eine Dummheit unterstellen, die ausgerechnet Dich - oder auch
uns - nicht geschlagen hätte?
Du: Allerdings muss Dir klar sein,
dass jede andere "Lösung" des Konfliktes den Konflikt fortbestehen lässt, und
zwar für diejenigen, die das Verfahren der Abwägung nicht akzeptieren konnten.
Jede andere? Ohne Ausnahme?
Zugestanden, immer dann, wenn nicht beide
Kontrahenden nachher zufrieden ist, schiebt mindestens einer Frust.
Frust
aber ist kein Konflikt.
Du: ...entweder man sucht nach Lösungen,
die für alle Seiten akzeptabel sind, oder der Konflikt wird durch überlegene
Macht entschieden.
Klar bin ich mir über dies: Jeder Konflikt kann nur
durch überlegene Macht entschieden werden. Für die betroffene Gesellschaft kommt
es darauf an, daß diese Macht im Sinne dieser Gesellschaft genutzt wird. Und
zwar so, daß
a) die frustrierte Partei sich trösten kann, diese überlegene
Macht bemühe sich um Fairneß,
b) die frustrierte Partei mit dem Frust - und
vor allem dessen Demonstration - sich selbst mehr schadet, als wenn sie die
nicht-perfekte, aber gute Entscheidung akzeptiert.
Diese Macht kann der
Gruppendruck sein. Falls die Gruppe dazu nicht fähig oder willens ist, brauchen
wir eine mächtige Person in der Gruppe.
Du: ...Vorteilen und
Nachteilen der verschiedenen denkbaren Konfliktlösungen für die am Konflikt
Beteiligten. Wenn z. B. gesagt wird: "A hat bei dieser Lösung weitaus größere
Vorteile als B",
Richtig, da haben wir dasselbe Problem erneut: Die eine
Person wertet die "größere" eben anders als die andere.
Eberhard,
solange wir jedem Individuum das Recht auf eigene Meinung zuerkennen, solange
sind Meinungsunterschiede unvermeidlich. Und statt diese als "böse" abstellen zu
wollen durch eine perfekte Entscheidungsregel, akzeptieren wir die Unterschiede
besser als Preis für das Recht auf eigene Meinung.
Ciao
Wolfgang
Horn
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von laertes am
2007-03-21, 01:14 Uhr
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hi wolfgang,
Eberhard: wenn ich frage, ob und wie man die Interessen von
Konfliktparteien gegeneinander abwägen kann, um einen Konflikt zu lösen, dann
suche ich in der Tat nach einer "gerechten" oder "fairen" Lösung des Konfliktes.
Wolfgang:"Schon so verstanden. Mit der Entgegnung: Die Absicht, so
etwas finden und dann umsetzen zu wollen, ist selbst pure Unfairneß, böse. Diese
Absicht hat mit Ethik nichts zu tun, sondern mit Diktatur. Und zwar
technokratische Diktatur, die das letzte Wort in einer Auseinandersetzung keiner
Person lassen, sondern einer unpersönlichen Regel übertragen will."
damit hast du die herstell- und fixierbare gerechtigkeitsidee eberhards
beispielhaft demontiert.
volle zustimmung.
was sagst du jetzt, eberhard?
schliesst du deine ethik-diktatur-werkstatt?
viele grüsse
laertes
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
2007-03-21, 10:01 Uhr
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Hi,
Quote:Klar bin ich mir über dies: Jeder Konflikt kann nur durch
überlegene Macht entschieden werden. Für die betroffene Gesellschaft kommt es
darauf an, daß diese Macht im Sinne dieser Gesellschaft genutzt wird. Und zwar
so, daß
a) die frustrierte Partei sich trösten kann, diese überlegene Macht
bemühe sich um Fairneß,
b) die frustrierte Partei mit dem Frust - und vor
allem dessen Demonstration - sich selbst mehr schadet, als wenn sie die
nicht-perfekte, aber gute Entscheidung akzeptiert.
Diese Macht kann der
Gruppendruck sein. Falls die Gruppe dazu nicht fähig oder willens ist, brauchen
wir eine mächtige Person in der Gruppe.
Praktisches Beispiel:
Wehrdienst Heute fast vergessen, aber noch zu meiner Schulzeit ein großes
Problem - und in den Jahrzehnten zuvor noch mehr. Es hatte jeder Wehrdienst zu
leisten. Nun gab es aber immer Menschen, die diesen verweigerten, aus
Gewissensgründen. Die standen nicht nur unter dem früheren Strafvorbehalt des
Gesetzes - stellvertretend für die mächtige Person - sondern auch unter massivem
Gruppendruck. Nicht nur, dass in patriarchalisch geprägten Gesellschaften ein
Wehrdienstverweigerer als asoziales, feiges Weichei galt, er hatte auch
praktisch keine Chancen, eine seinen Qualifikationen entsprechende Position zu
erreichen, denn, wie Tucholsky auch so schön schilderte, die erste Frage beim
Einstellungsgespräch war, "Wo hammse gedient?"
Wir haben heute das Recht
auf Wehrdienstverweigerung. Warum? Weil das Gegenteil nicht durchsetzbar ist.
War es auch nicht z.B. in der DDR ('Bausoldaten'). Was auf das schöne Wort
hinweist "das ist politisch nicht durchsetzbar".
So einfach ist das also
nicht mit den Entscheidungen unter Druck . Kommt drauf an, worüber entschieden
wird.
Gruß
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn
am 2007-03-21, 12:55 Uhr
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Hi, Abrazo,
Du: So einfach ist das also nicht mit den Entscheidungen
unter Druck
'türlich nicht Vor allem da nicht, wo der Gruppendruck zu
Mobbing eskaliert, zu Hexenjagd, Lynchen und Pogrom.
"Kompliziert" aber
ist nicht das Gegenteil von "einfach".
Sondern "schwer" ist das Gegenteil zu
einfach.
Die weise Konfliktlösung ist so schwer wie die Entscheidungen
Salomos salomonisch waren.
Der schwerere Teil: Die Vorstandsvorsitzende
der Abrazo AG kann nicht nur entscheiden, das wäre Pfusch. Sie muß auch für die
Umsetzung der Entscheidung sorgen. Und zwar so, daß sie nachher immer noch
anerkannt wird wie "Also, montags morgens darfst du ihr nicht auf dem Flug
begegnen, da ist sie unausstehlich, da bürstet sie jeden ab. Das muß man
abwettern. Aber sie weiß in unserem Geschäft bestens Bescheid, sie will die
Zukunft für unser Unternehmen, sie ist kompetent, lieber die als irgendeinen
anderen."
Diese Umstände der Konfliktlösung halte ich für viel wichtiger
als das, was beim Versuch einer Regel für faire Konfliktlösung rauskommen
könnte.
Ciao
Wolfgang Horn
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-03-21, 14:15 Uhr
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Hallo Wolfgang,
ich beziehe mich auf Deine Antwort #31 vom 21.03.07.
Darin erhebst Du schwere Vorwürfe gegen mich, die ich Ernst nehmen muss, es
sei denn, Du wolltest selber mit Deinen Äußerungen nicht ernst genommen werden.
Der eine Vorwurf lautet:
"Die Absicht, so etwas (eine "gerechte"
oder "faire" Lösung des Konfliktes) finden und dann umsetzen zu wollen, ist
selbst pure Unfairneß, böse. Diese Absicht hat mit Ethik nichts zu tun, sondern
mit Diktatur. Und zwar technokratische Diktatur."
Außerdem unterstellst
Du mir, die Meinungsfreiheit einschränken zu wollen, indem ich
Meinungsunterschiede als "böse" abstelle.
Angesichts derart massiver
Angriffe stellt sich die Frage umso schärfer, wie Du Deine Vorwürfe begründest.
Erstaunlicherweise findet sich so gut wie kein Argument, das Deine schweren
Vorwürfe gegen mich irgendwie rechtfertigen würde.
Das einzige, was
finde, ist die Unterstellung, dass ich die Diktatur einer unpersönlichen Regel
übertragen wolle.
Da ich jedoch immer wieder betont habe, dass es um
eine allgemein akzeptable Methode der Interessenabwägung geht, ist mir
unerfindlich, wieso Du darauf kommst, ich wollte eine technokratische Diktatur
errichten. Was ist das denn für eine Diktatur, die zusammenbricht, wenn nur
einer aufsteht und sagt: "Für mich ist diese Lösung aus den-und-den Gründen
nicht akzeptabel?"
Die Frage der Durchsetzung von gefundenen Lösungen
hatte ich ausdrücklich ausgeklammert. Ich bin - wie man aus meinen Beiträgen
unschwer erkennen kann - kein Befürworter einer Philosophenherrschaft und kann
das auch begründen.
Wieso schränkt eine Methode, die allgemein
nachvollziehbar sein soll, die Meinungsfreiheit ein? Im Gegenteil, sie erfordert
sogar die Meinungsfreiheit. Wie könnte denn sonst überprüft werden, ob die
Methode allgemein nachvollziehbar und anerkennbar ist?
Mein Fazit: Wenn
Du als Diskussionspartner von mir ernst genommen werden willst, dann begründe
Deine Vorwürfe entweder genauer oder nimm Sie zurück.
Es grüßt Dich
Eberhard.
p,s.: Da Laertes sich prinzipiell von der Verpflichtung
distanziert hat, seine Behauptungen zu begründen, hat er sich als
philosophischer Diskussionspartner bereits selber disqualifiziert.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Patrik am
2007-03-21, 15:17 Uhr
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Ein vehementer Einspruch zur Antwort 31 am: Heute, 00:58 Uhr von Wolfgang Horn.
Quote:aber ich vermute, nicht jeder Diktator wollte schon zu Anfang
einer sein, sondern hatte eigentlich nur Gutes im Sinn.
Kein
Diktator hatte jemals das „Gute“ beabsichtigt, die Zielrichtung war immer auf
das Verbrechen ausgerichtet.
Noch etwas, wer in Philtalk öffentlich
einem Verbrecher, nämlich dem Teilnehmer Abrazo, der das geistige Eigentum einer
Firma (Oscar Weil GmbH) klaut und das noch öffentlich besudelt, dieses
befürwortet, der ist mit Abstand von der Erfassbarkeit einer Lösungsbereitschaft
am weitesten entfernt.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn
am 2007-03-21, 15:50 Uhr
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Hi, Eberhard,
nein, so ganz ernst sind meine Angriffe nicht zu nehmen.
Sondern:
a) nicht ernst gegen DICH, Eberhard, Dir unterstelle ich, die
Nebenwirkungen noch nicht bedacht zu haben,
b) durchaus ernst aber gegen die
Vorstellung, nach mehreren Jahrtausenden seit dem Alten Testament könne ein
heutiges Genie die größten Probleme der Menschheit mit sich selbst durch eine
einfache Regel lösen.
Wiederholung der Begründung.
"...die
Unterstellung, dass ich die Diktatur einer unpersönlichen Regel übertragen
wolle. "
Keine Unterstellung, sondern die logische Fortführung Deiner
Überlegungen. Wenn Deine Überlegungen nicht von Anfang als Selbstzweck gedacht
waren, dann würdest Du das Ergebnis umsetzen wollen.
Das Ergebnis wäre
eine "neue Weltordnung", eine Regel, wie Konflikte in allen Teilen der Welt zu
lösen seien.
Ich traue Dir zu, eine Regel finden zu können, die auch ich für
klug halten könnte, sogar für brauchbar.
Aber - Muslime und Christen haben
schon ihre solche Regel. Ebenso alle anderen, die tief gläubig sind, und manche
Sizilianer bevorzugen die Blutrache.
Gegen sie und gegen ihren Glauben
müßtest Du Deine Regel durchsetzen, und das ohne die Unterstützung der größten
unterdrückungswilligen Armee der Welt.
Du: Da ich jedoch immer
wieder betont habe, dass es um eine allgemein akzeptable Methode der
Interessenabwägung geht
Genau das ist es: "allgemein akzeptable
Methode". Diese ist solange nicht denkbar, wie wir den Menschen eine eigene
Meinung zubilligen.
Du: Was ist das denn für eine Diktatur, die
zusammenbricht, wenn nur einer aufsteht und sagt: "Für mich ist diese Lösung aus
den-und-den Gründen nicht akzeptabel?"
Hihi, guter Gedanke - vermutlich
das Problem all derer, die erst eine tolle Idee hatten, im Zuge der Umsetzung
auf Widerstand stießen und meinten, die Nutzen der guten Sache rechtfertige die
Opferung der Widerständler - und plötzlich nannten Journalisten sie Diktator.
Du: Die Frage der Durchsetzung von gefundenen Lösungen hatte ich
ausdrücklich ausgeklammert.
Das geht aber nicht, denn solch eine Regel
kannst Du nur durchdenken, wenn Du Dir ihre Umsetzung vorgestellt hast,
zumindest im kleinen Kreise.
„Ich habe drei Arten von Geheimhaltung. Die
erste, wenn wir beide unter vier Augen sprechen; die zweite, die behalte ich für
mich; die dritte, das sind Probleme der Zukunft, die ich nicht zu Ende denke.“
(Adolf Hitler gegenüber Großadmiral Raeder, 23.5.1939)
Verkürztes
Denken, Dinge nicht zu Ende denken wollen, das ist eine der Ingredienzen des
Bösen.
Wer den Anfängen wehren will, muß auf die Anfänge achten. Selbst
da, wo sie noch unschuldig aussehen.
Du: Wieso schränkt eine
Methode, die allgemein nachvollziehbar sein soll, die Meinungsfreiheit ein?
Nicht jede Methode. Aber eine, die bestimmt, welche von zwei widersprüchlichen
Meinungen Recht zu bekommen hat, ganz egal, was die Betroffenen dazu meinen.
Ciao
Wolfgang Horn
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-03-21, 19:56 Uhr
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Hallo Wolfgang,
Ich erspare es mir, auf Deine Voraussagen über die - von
mir noch nicht erkannten angeblichen Konsequenzen - meiner Fragestellung
einzugehen. Du hast wirklich eine blühende Fantasie!.
Wollte man Deine
Ausführungen ernstnehmen, dann dürfte man sich auch nicht mit den Kriterien für
die Wahrheit empirischer Aussagen beschäftigen, weil dadurch abweichende
Meinungen unterdrückt werden und eine Diktatur zu erwarten ist..
Wenn
Du Dich sachkundig machen willst über das, was ich hier diskutieren möchte, dann
gib bei GOOGLE ein "interpersonal comparison of utility". Vielleicht löst sich
dann Deine fixe Idee etwas auf.
Es grüßt Dich Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn
am 2007-03-21, 21:28 Uhr
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Hi, Eberhard,
Du: Wollte man Deine Ausführungen ernstnehmen, dann
dürfte man sich auch nicht mit den Kriterien für die Wahrheit empirischer
Aussagen beschäftigen
Abgelehnt, weil nicht vergleichbar aus folgendem
Grunde: Wenn es um Wahrheit geht, dann geht um die treffende Modellierung der
Materie - und eben nicht um Meinungen und Wertungen.
Das Recht jedes
Individuums - die große Errungenschaft von Aufklärung, Freiheitskämpfern und
Menschenrechten - ist, seine eigene Meinung haben zu dürfen.
Du:
Wenn Du Dich sachkundig machen willst über das, was ich hier diskutieren möchte,
dann gib bei GOOGLE ein "interpersonal comparison of utility". Vielleicht löst
sich dann Deine fixe Idee etwas auf.
Schön, wir beiden sind schon im
Konflikt. Ich bin bereit für Deine Verteidigung und Deine Angriffe.
Eine
ausweichende Antwort wie Deine gerade aber akzeptiere ich nicht von Dir.
Allenfalls von einem mentalen Leichtgewicht, das nur nachplappern kann.
Interessant wäre jetzt: Kannst Du die grundsätzliche Möglichkeit einer Synthese
aufzeigen zwischen solch einer Regel und dem Menschenrecht der Meinungsfreiheit?
Ciao
Wolfgang Horn
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-03-21, 22:12 Uhr
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Ich schrieb beireits:
"Wieso schränkt eine Methode, die allgemein
nachvollziehbar sein soll, die Meinungsfreiheit ein? Im Gegenteil, sie erfordert
sogar die Meinungsfreiheit. Wie könnte denn sonst überprüft werden, ob die
Methode allgemein nachvollziehbar und anerkennbar ist?"
Ohne
Meinungsfreiheit bleibt jeder Anspruch, richtig zu denken und zu handeln, eine
hohle Phrase.
Dieser Punkt ist zentral für mein Denken, weshalb ich die
von Dir behaupteten Konsequenzen meiner Fragestellung als besonders entstellend
betrachte.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
2007-03-21, 23:17 Uhr
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Ich denke, man benötigt mal wieder ein bisschen Anschaulichkeit. Also ein
Beispiel für Interessenkonflikte mitten aus dem Leben.
Uns Oma, die mit
Fug und Recht uralt genannt werden kann, ist zwar noch recht rüstig, aber ein
Haus mit Garten zu besorgen fällt ihr langsam doch zu schwer. Also hat sie sich
folgendes überlegt:
Ich solle doch zu ihr ziehen und mich um Haus und
Garten kümmern, welche zum Teil sowieso schon mir gehören. Und natürlich um sie.
Im Prinzip ist sie der Ansicht, sie habe darauf einen Anspruch; wozu ziehe man
schließlich Kinder groß? Meine Arbeit müsste ich dann natürlich aufgeben. Worin
Oma kein Problem sieht, denn sie war immer Hausfrau und findet arbeiten außer
Haus abscheulich. Wobei sie ihr Empfinden als normal betrachtet; wer das anders
sieht, denkt unnormal. Nicht arbeiten heißt, Hartz IV in Anspruch nehmen. Findet
Oma nichts dabei, machen doch andere auch. Und nebenher einen 400 ? - Job
annehmen. Dann ist man den Rest der Zeit ein freier Mensch, Oma unterstützt
fleißig mit nicht gar so geringer Rente - natürlich schwarz, was geht das den
Staat an - alles ideal, alles in Butter.
Der Staat, also unsere Gesellschaft,
hätte für derlei Maßnahmen natürlich nicht das geringste Verständnis; ich als
Staatsbürgerin übrigens auch nicht.
Bleiben drittens meine persönlichen
Interessen; dass die in andere Richtungen gehen, brauche ich wohl kaum zu
erwähnen.
Nichts desto trotz haben wir hier divergierende Interessen, von
denen jede Seite für die zentralen Interessen der anderen fast kein Verständnis
hast.
Wie willst Du das anfangen, mit dem Abwägen von Interessen?
Wenn Du
diskutieren willst, ich übernehme den advocatus diaboli - die Oma. [cheesy]
Gruß
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn
am 2007-03-21, 23:25 Uhr
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Hi, Eberhard,
Du: "Wieso schränkt eine Methode, die allgemein
nachvollziehbar sein soll, die Meinungsfreiheit ein?
Das habe ich
ausdrücklich nicht behauptet.
Hast Du es nötig, Thesen als verfälschte
Fragestellung zu wiederholen?
So würde die Fragestellung zu meiner
Behauptung passen: "Wieso schränkt eine Methode zur Definition, welche zweier
Meinungen grundsätzlich als die bessere gilt, die Meinungsfreiheit ein?"
Aber
so hast Du eben nicht gefragt. Wozu nicht?
Du: Ohne
Meinungsfreiheit bleibt jeder Anspruch, richtig zu denken und zu handeln, eine
hohle Phrase.
Da lauert eine Mehrdeutigkeit. Denn "richtig" denken
verstehen die einen als "das Richtige denken", ich aber im Sinne von "richtig
rechnen".
Du: Dieser Punkt ist zentral für mein Denken
Ja,
das habe ich schon so verstanden.
Du: ..weshalb ich die von Dir
behaupteten Konsequenzen meiner Fragestellung als besonders entstellend
betrachte.
Tja, leider ergeben sie sich als folgerichtige Weiterführung
Deiner Gedanken, die Du ja gerade nicht weiterdenken willst: Wenn Du eine Regel
durchsetzen willst, welche Meinungen im Konfliktfalle zu bevorzugen sind, dann
bist Du ein Diktator.
Ciao
Wolgang Horn
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-03-22, 06:56 Uhr
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Es gab mal zwei Meinungen über den Kosmos, die eine betrachtete die Erde als
Mittelpunkt, um das sich alles dreht. Die andere nahm an, dass die Erde ein
Planet der Sonne ist.
Derjenige, der sagte: "Das Weltbild mit der Erde
als rotierendem Planeten der Sonne ist die richtige Meinung, weil damit besser
die Erscheinungen (Bahn der Wandelsterne, Mondfinsternisse, Sonnenfinsternisse,
Mondphasen etc.) erklärt werden können", war ein Diktator, und ab da begann die
Diktatur der modernen Wisssenschaft. Das sind die unvermeidlichen Konsequenzen
des empirischen Wahrheitskriteriums, nicht wahr Wolfgang?
p.s.: Vielen
Dank noch zu der Gleichsetzung mit Adolf Hitler, der es genauso machte wie ich
bei der Geheimhaltung seiner wahren Absichten.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Gnoseias am
2007-03-22, 07:58 Uhr
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Guten Morgen Eberhard,
das Problem besteht doch darin, dass die
allgemeine
Nachvollziehbarkeit einer Methode nicht automatisch dazu
führen
muss, diese Methode auch anzuwenden.
Wird jedoch diese Methode
freiwillig von allen angewandt,
ist kein Zwang nötig, allerdings besteht
bereits zu diesem
Zeitpunkt kein Konflikt mehr, den es zu lösen gilt.
-------------------
Wir diese Methode nicht freiwillig angewandt, wird daraus
eine "Diktatur", unabhängig ob es die Gemeinschaft ist,
die diesen Druck
ausübt oder die eigene Vernunft:
Unser Verhalten ist dann hereronom.
(Tugendhat spricht sich gegen diese kantianische
Vernunftdiktatur aus und
betont:
"Wir sind nicht mit unserer Vernunft ident")
Nur wenn bei
allen freier Wille vorhanden ist, lässt sich Deine
Vorstellung verwirklichen,
was sich jedoch kaum voraussetzen
lässt.
-------------------
Als
Beispiel sieht man bei laertes, wie sehr er sich von
moralischen Gedanken
geradezu zwingen lässt, diese
abzulehnen: Er hat Moral noch nicht verstanden,
doch wie
willst Du es ihm beibringen?
Gruß, Gnoseias
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-03-22, 17:16 Uhr
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Hallo allerseits,
ich will mal weitermachen mit dem Weg ins Böse, in die
Diktatur.
Danke Abrazo für das anschauliche Oma-Beispiel. Ich denke,
hier überwiegt Dein Interesse an einer Berufstätigkeit und die alte Oma kann
sich sicherlich nicht mehr so gut in Deine Situation hineinversetzen, so wie es
auch in empirischen Fragen trotz begründeter wissenschaftlicher Standards immer
Menschen geben wird, die durch kein noch so einleuchtendes Argument akzeptieren
werden, dass unsere Antipoden mit dem Kopf in dieselbe Richtung weisen, wie wir
mit unseren Füßen.
Ich möchte noch mal auf meine offenbar untergegangene
Frage zurücckkommen. Ich hatte geschrieben:
" Meiner Ansicht nach wägen wir
im Alltag ständig Interessen verschiedener Individuen gegeneinander ab und
rechtfertigen auf dieser Grundlage viele unsere Entscheidungen.
Ich sehe,
dass jemand auf der Straße zusammenbricht. Wenn ich ihm helfen würde, käme ich
zu spät zum Konzert.
Hier würde wohl jeder sagen: Das Interesse dessen,
der möglicherweise in Lebensgefahr schwebt, an Erster Hilfe überwiegt mein
Interesse an dem vollständigen Hören eines Konzertes. Also sollte ich ihm
helfen.
Auf welcher Grundlage treffen wir diese Abwägungen?"
Hierzu hätte ich gerne eine Stellungnahme.
Entweder sagt man:
(1)
"Ich wäge bei einer derartigen Entscheidung keine Interessen oder Güter ab, weil
ich meine Entscheidungen unter anderen Kriterien entscheide (eigenes
Wohlergehen, 10 Gebote, Kategorischer Imperativ, Goldene Regel, soziales Ansehen
bei den Leuten, geltende Rechtsnormen u.a.m.) "
oder man sagt:
(2)
"Das Interesse an einem Konzertabend wiegt ebenso schwer oder sogar schwerer als
die Rettung eines Menschen aus Lebensgefahr und ich begründe diese Ansicht
so-und-so",
oder man sagt:
(3) "Ich wäge in einem solchen Fall die
beteiligten Interessen ab und bin davon überzeugt, dass das Interesse eines
Menschen an lebensrettenden Maßnahmen gewichtiger ist als das Interesse an einem
Konzertabend. Ich begründe meine Ansicht so-und-so"
oder
(4) ?
Welcher Position neigt Ihr zu? fragt Euch Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von weatherlady
am 2007-03-22, 20:25 Uhr
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Hy
@Wolfgang: Eberhardt der Diktatur zu bezichtigen ist deshalb falsch,
weil er nicht sagt, dass jeder seine Lösung-Find-Methode anwenden MUSS. Er will
sie lediglich finden. Und dann vielleicht selbst einsetzten und sie seinen
Kollegen und Philosophen erzählen (oder hab ich da was falsch verstanden,
Eberhardt?)
@ alle: Wenns eine allgemeingültige Lösungsmethode für
Konflikte gibt, dann wärs doch nett, diese zu kennen? Ich glaube aber nicht,
dass es sie gibt. Dazu sind die Menschen zu unberechenbar (ist doch schön so).
Und zu verschieden. Deshalb brauchts auch für jeden Konflikt eine individuelle
Lösung.
Aber selbst, wenns jetzt so eine Methode gäbe, glaube ich nicht, dass
sie in Alltag verwendbar ist, da zu aufwändig. Auch vermute ich stark, dass
viele die methode nicht verstehen und somit auch nicht anwenden könnten, weil zu
kopliziert. Da's die Lösung aber wohl nicht gibt, ist das pure guess of me.
Zu Eberhardts Beispiel mit dem Konzert... Ich würde dem anderen helfen. Warum?
Hmm, ich glaube, ich hab ein Helfersyndrom. Und ich bin der Meinung, ein
Menschenleben ist mehr Wert als ein verpasster Konzertanfang. Und ich versuch
mich anderen gegenüber so zu verhalten, wie ichs gerne hätte, dass sie sich mir
gegenüber verhalten würden. Aber in Grenzen. Und ich versuch mich an Kants Imp.
zu halten. Und, und, und... Und andere Menschen haben noch andere Gründe. Das
kann man nicht vereinheitlichen.
Lg weatherlady
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-03-23, 10:19 Uhr
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Hallo allerseits,
Hallo weatherlady,
ich glaube, dass es sich die
Philosophen zu leicht machen, wenn sie ihre Hände in Unschuld waschen und sagen:
Die Konflikte dieser Welt müssen wir dem Gang der Dinge (und damit den aktuellen
Machtverhältnissen) überlassen, denn wenn wir dazu kritisch Stellung beziehen,
dann enthält das Werturteile und die kann man nun mal nicht begründen.
Ich glaube allerdings nicht, dass es ein patentiertes Verfahren geben wird, dass
- nach Einfütterung der relevanten Daten eines Konfliktes - die gerechte Lösung
fertig ausdruckt.
Wissenschaft kommt wegen der prinzipiell nicht zu
beseitigenden Offenheit für neue Argumente und wegen der prinzipiell nicht zu
beseitigenden Ungewissheit bei der Beantwortung von Fragen nicht zu
ein-für-alle-mal feststehenden, definitiven Ergebnissen.
Deshalb wäre
ein Philosophenkönig auch kein Philosoph mehr sondern ein König, der -
angesichts von Ungewissheit und unvollkommenem Wissen Entscheidungen zu fällen
hat.
Wer behauptet, dass derjenige, der die Kriterien für gerechte
Entscheidungen zu klären versucht, immer ein Möchte-gern-Diktator ist, - ob er
es sich nun eingesteht oder nicht -, der verkennt das Verhältnis zwischen
Theorie und Praxis grundlegend.
Die Philosophie hat für mich die
Aufgabe, möglichst genau den Weg zu einer allgemein akzeptablen Lösung von
Konflikten zu bestimmen.
Sie kann damit ein ethisches Kriterium
präzisieren, an dem dann konkrete soziale Entscheidungsverfahren beurteilt
werden können - seien es Abstimmungen und Wahlen auf staatlicher und regionaler
Ebene oder seien es - auf Eigentumsrechten und Vertragsfreiheit beruhende -
Märkte, seien es gerichtliche Verfahren, seien es hierarchische Strukturen in
Organisationen oder seien es die elterlichen Bestimmungsrechte innerhalb der
Familie, um nur die wichtigsten Institutionen zu nennen.
Aber nun zu
konkreten Punkten Deines Beitrags.
Du schreibst: "Deshalb brauchts auch
für jeden Konflikt eine individuelle Lösung."
Da ist was Wahres dran,
was sich in dem Spruch niederschlägt: "Jeder Fall liegt anders".
Die
Probleme einer radikal situationsbezogenen Ethik sehe ich allerdings in zwei
Punkten:
Zum einen: Wenn man einen Konflikt x beschreibt und eine auf
diesen speziellen Fall zugeschnittene Lösung gefunden hat, dann kann es einen
gleichartigen Fall y geben, auf den genau dieselbe Beschreibung zutrifft und der
sich nur in den Personen und raumzeitlichen Bezügen unterscheidet.
Wäre
es nun gerecht, zwei ihrer Beschreibung nach völlig gleichartige Konflikte das
eine Mal so und das andere Mal so zu entscheiden? Ich meine nicht.
Zum
andern will man doch nicht warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist, um
dann den Schuldigen zu bestrafen, sondern das Kind soll gar nicht erst in den
Brunnen fallen.
Deshalb formuliert man von vornherein bestimmte Normen,
die so gestaltet sind, dass bestimmte Katastrophen oder Schädigungen nicht
eintreten können.
Solche Normen können jedoch nicht ohne
Konkretisierung bestimmter verbotener Handlungen formuliert werden. Es wäre
wenig hilfreich zu sagen: "Handelt richtig! Ob ihr richtig gehandelt habt, wird
sich dann anhand des jeweiligen Einzelfalles zeigen."
In Bezug auf mein
Beispiel (Hilfeleistung) führst Du eine ganze Reihe verschiedenster
Gesichtspunkte an, die für Dein Handeln maßgebend sind. Ich frage mich, wie Du
entscheidest, wenn diese verschiedenen Kriterien einmal nicht zu den gleichen
Ergebnissen führen. Dann müsstest Du in Deiner Vielfalt ethischer Maßstäbe wohl
doch etwas aufräumen.
Für unsere Fragestellung ist wichtig, wenn Du
sagst: "Ich bin der Meinung, ein Menschenleben ist mehr Wert als ein verpasster
Konzertanfang."
Diese Meinung teile ich auch und ich finde eine
philosophische Position armselig, die z. B. besagt, dass man nicht wissen könne,
ob nicht das ästhetische Vergnügen Neros am brennenden Rom den Schaden der
römischen Bürger aufgewogen hat.
Die Frage ist: Woher weißt Du, dass das
Interesse von A an der Beseitigung einer Gefahr für sein Leben schwerer wiegt
(mehr Wert besitzt) als das Interesse von B, den Anfang eines Konzertes nicht zu
verpassen?
Bleibt es beim Rückzug auf die Position: "Das ist alles
subjektiv?!" Können wir nicht doch intersubjektiv nachvollziehbar begründen,
dass ein Menschenleben mehr wiegt als ein verpasster Konzertanfang?
Ich
hoffe dass der Beitrag nur lang und nicht auch langweilig geworden ist und grüße
alle, die ethische Fragen mit vernünftigen Argumenten zu beantworten suchen,
Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von philautos am
2007-03-23, 11:08 Uhr
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Eberhard,
Sie verkörpern ja die reinste Ausprägung der
Seinsvergessenheit. Sie generieren hier Pseudo-Probleme und meinen auch noch,
das wäre philosophisch wertvoll.
Sie wollen einen allgemein gültigen
Handlungskatalog zur Konfliktlösung, den Sie dann für konkrete Anlassfälle
zupfen können, darin nachschlagend ein sicheres Geleit für alle Zukunft an der
Hand.
Schön, Eberhard, da können Sie dann beruhigt Ihre Wampe weiter
vollstopfen, alles geregelt und der Betrieb kann weiterlaufen - beruhigt und
seeligst.
Wesentlicher aber als alle Aufstellung von Regeln ist,
dass der Mensch zum Aufenthalt in die >Wahrheit des Seins< zurückfinde - nur das
verbürgt den rechten Halt - den Halt für alles Verhalten.
philautos
PS: In einem Punkt wohl haben Sie den Nagel auf den Kopf
getroffen: Ihre Beiträge sind >elendslangweilig< - nicht wegen der Länge,
sondern inhaltlich ! [cheesy]
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-03-23, 19:05 Uhr
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Hallo allerseits,
ich hatte geschrieben:
"Die Frage ist: Woher weißt
Du, dass das Interesse von A an der Beseitigung einer Gefahr für sein Leben
schwerer wiegt (mehr Wert besitzt) als das Interesse von B, den Anfang eines
Konzertes nicht zu verpassen?"
Ich will mal skizzieren, wie ich mir eine
Lösung vorstelle, dann könnt ihr den Vorschlag kritisieren.
(Allerdings
muss ich aufpassen. Denn ich bin gerade darauf hingewiesen worden, das Sein
nicht zu vergessen. Na, ich hoffe, ich denke dran …)
Aber Spaß
beiseite. Wie kann man angesichts der obigen Frage vernünftig argumentieren und
die eigene Position begründen gegenüber jemandem, der auf dem Standpunkt steht,
sein Musikerlebnis sei wichtiger als das Leben irgendeines Menschen?
Ich
könnte mir folgenden Dialog zwischen mir und ihm - nennen wir ihn Kool -
vorstellen:
Ich zu Kool: Wir sind hinsichtlich des vergleichsweisen
Wertes eines Konzerterlebnisses und eines Menschenlebens unterschiedlicher
Meinung. Deshalb diskutieren wir und suchen nach der richtigen Antwort auf die
Frage: "Ist Dein Musikerlebnis wichtiger als die Rettung eines Menschen aus
Lebensgefahr?" Sind wir uns da einig?
Kool: O.K. Das kann man so
formulieren, aber damit darf nicht vorausgesetzt werden, dass es eine richtige
Antwort hier überhaupt gibt.
Ich: Nein, das bleibt offen. Wir suchen
nicht irgendeine Antwort sondern eine Antwort, die für Dich wie für mich gilt
und die für uns beide akzeptabel ist.
Kool: Das ist wohl der Sinn jeder
Diskussion - oder sollte es zumindest sein.
Ich: Das bedeutet, dass die
Antwort mit Argumenten begründet werden sollte, die wir beide nachvollziehen und
auch übernehmen können. Sehe ich das so richtig?
Kool: Ich denke schon.
Ich: Na gut, dann können wir ja loslegen. Mal sehen, wie weit wir
kommen.
Also Du stehst auf dem Standpunkt, Dein Konzerterlebnis sei
wichtiger als die Rettung eines Menschen aus Lebensgefahr. Dir muss doch klar
sein, Kool, dass zumindest der Zusammengebrochene deine Wertung nicht teilen
wird.
Kool: Das ist sein Problem, wenn er das nicht einsieht. Ich rücke
von meiner Position deswegen nicht ab.
Ich: Dann frage ich Dich: Was
wäre denn, wenn die Rollen vertauscht wären: Du wärst zusammengebrochen und der
andere zieht den Konzertbesuch der Ersten Hilfe bei Dir vor.
Wärst Du dann
immer noch der Meinung, dass der Konzertbesuch wichtiger ist als die Hilfe in
Lebensgefahr?
Kool: Das ist ja ganz etwas anderes. In dem Fall geht es
ja um mein Leben.
Ich: Wenn Du Unterschiede in der Lösung der Konflikte
machst, nur weil es sich einmal um Dich und ein andern Mal um jemand anders
handelt, dann kannst Du nicht erwarten, dass andere diese prinzipielle
Bevorzugung Deiner Person freiwillig akzeptieren. Deshalb ist auch sinnvoll,
dass wir von der Frage, welche Person welche Rolle in dem Konflikt einnimmt,
völlig absehen und nur fragen: "Wiegt das Interesse eines Menschen an der
Rettung aus Lebensgefahr schwerer als das Interesse eines Menschen an einem
ungestörten Konzertabend?"
Kool: Führst Du mit der Forderung, die Frage
ohne Ansehung der jeweiligen Personen zu entscheiden, nicht unter der Hand eine
Wertprämisse, eine bestimmte Vorstellung von Gerechtigkeit ein?
Ich:
Nein, der Meinung, dass ich hier Wertprämissen einschmuggele, bin ich nicht. Ich
leite die Forderung nach einer neutralen Berücksichtigung aller Interessen aus
dem auch von Dir geteilten Ziel ab, zu einer allgemein akzeptablen Antwort zu
kommen.
Da bei dieser Form der Fragestellung die Zuordnung bestimmter
Rollen zu bestimmten Personen keinen Einfluss auf das Ergebnis mehr hat, muss
jeder die Frage unter der Annahme beantworten, dass er jede dieser Rollen
einnehmen könnte.
Und ich bin der Ansicht, dass sich unter diesen
Bedingungen alle für die Lösung entscheiden werden, dass die Hilfe in
Lebensgefahr wichtiger ist als der ungestörte Konzertabend.
Wenn die
Einzelnen vor der Entscheidung zwischen zwei Alternativen stehen würden, die
sich nur darin unterscheiden würden, dass sie bei Alternative 1 in Lebensgefahr
geraten und bei Alternative 2 den Anfang eines Konzertes verpassen, so ist die
Entscheidung für die Alternative 2 wohl allgemeiner Konsens.
Soweit
unser fiktiver Dialog. Ich glaube nicht, das ich Kool damit auf Anhieb davon
überzeugt habe, dass man auch Werturteile rational diskutieren und begründen
könne. Aber im Augenblick fand er keine Argumente gegen meine
Schlussfolgerungen.
Ich hoffe, ihr habt etwas zum Nachdenken und zum
Zerpflücken für das Wochenende.
Es grüßt Euch Eberhard.
p.s.:
Oh, jetzt habe ich ja doch wieder das Sein vergessen. Wie kann man nur so
vergesslich sein ...
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hythlodeus am
2007-03-24, 13:16 Uhr
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Da gibt es ein sehr schönes Kommunikatiosn-Spiel, in dem Streitkultur, Zuhören
und Analysefähigkeit geschult wird.
Es ist das "Ugly-Orangen" Spiel.
Unter diesem Stichwort wird man sicher in Google fündig und da kann anhand der
vorgegebenen Ausgangslage -wie im Vorpost dargestellt - mal eine Diskussion
führen.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von weatherlady
am 2007-03-24, 17:47 Uhr
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Hy
Ich glaube nicht, dass es zwei völlig identische Situationen gibt.
Ähnliche schon. Somit haben die auch ähnliche Lösungen, aber eben nicht
identische. Man kann also nicht die Lösung von Problem A ohne Nachdenken für
Problem B auch verwenden.
Hmm, Kool und Eberhard. Ich glaube, dass für
eine bestmögliche Antwort Kant herzitiert werden sollte. Und zwar sein
kategorischer Imperativ. Wenn Kool so handelt, wie er's gerne hätte, dass sich
die ganze Welt verhält, dann wird er den Notfall-Patienten versorgen (nach dem
ABCD-Schema ;-)). Aber, er wird auch nicht jedem sein Geld schenken
(übertriebener Altruismus), da es ja keinen Sinn macht, wenn die ganze Welt
dauernd Geld verschenkt und niemand was damit anfängt.
So wäre also die
beste allgemeine Richtlinie, waron man seine Entscheidungen anlehnen kann, der
kantsche kategorische Imperativ, oder nicht?
lg weatherlady
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-03-24, 20:46 Uhr
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Hallo weatherlady,
mit der Diskussion zwischen Kool und mir will ich
skizzieren, wie eine nachvollziehbare Argumentation zur Bestimmung der relativen
Gewichtigkeit unterschiedlicher Interessen aussehen könnte. Kool kann seine
egozentrische Position nicht durchhalten und stimmt zu, dass das Interesse an
einer Rettung aus Lebensgefahr interpersonal gößeres Gewicht hat als der
ungeschmälerte Konzertabend.
Der Kategorische Imperativ passt nicht so
recht in die Problemstellung. Wenn das allgemein richtige Handeln durch
unparteiische Abwägung aller Interessen bestimmt werden soll, dann hat man eine
Variante der Wert- oder Güterethik, die Kant ablehnte. Der Kategorische
Imperativ lautet ja in seiner meistzitierten Fassung:
"Handele so, dass die
Maxime Deines Willens jederzeit Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung sein
könnte."
Kool könnte sagen: "Ja, das könnte Grundlage einer allgemeinen
Gesetzgebung sein: Die Interessen vom Kool sind von größerer Gewichtigkeit als
die entgegenstehenden Interessen anderer Individuen. Also "Alle außer mir sind
verpflichtet, Menschen in Lebensgefahr zu helfen."
Nun könnte man sagen:
"Das ist mit einer allgemeinen Gesetzgebung nicht gemeint. 'Allgemein' heißt,
dass für niemanden eine Ausnahme gemacht wird."
Auch dann verlangt der
Kategorische Imperativ keine interpersonale Abwägung von Interessen oder Gütern,
sondern jeder muss nur sich selber befragen, ob er damit einverstanden ist, dass
andere nach demselben Grundsatz handeln wie er.
Es muss sich deshalb
auch nicht notwendigerweise ein Konsens aller aus der Anwendung des
kategorischen Imperativs ergeben.
Dazu ein Beispiel: Angenommen, ein
Mann möchte gern, dass seine Frau sich seinen Entscheidungen unterordnet. Dann
kann er ohne Probleme wollen, dass dies zum allgemeinen Gesetz erhoben wird. Die
Frau, die ihre Meinung auch berücksichtigt sehen will, kann der allgemeinen
Anwendung der patriarchalischen Maxime ihres Mannes keineswegs zustimmen.
Ich glaube also nicht, dass Kants Kategorischer Imperativ die ethischen Probleme
besser löst.
Es grüßt Dich und andere freundliche Leute unter den
PhilTalkern Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
2007-03-24, 22:33 Uhr
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Hi,
Quote:Danke Abrazo für das anschauliche Oma-Beispiel. Ich
denke, hier überwiegt Dein Interesse an einer Berufstätigkeit und die alte Oma
kann sich sicherlich nicht mehr so gut in Deine Situation hineinversetzen, so
wie es auch in empirischen Fragen trotz begründeter wissenschaftlicher Standards
immer Menschen geben wird, die durch kein noch so einleuchtendes Argument
akzeptieren werden, dass unsere Antipoden mit dem Kopf in dieselbe Richtung
weisen, wie wir mit unseren Füßen.
Eberhard, Du hast die Pointe
nicht verstanden - vielleicht weil ich sie nicht klar genug ausgedrückt habe.
Die Pointe ist, dass die Oma sich sehr wohl in meine Situation hinein versetzt,
so, wie sie sich in die Situation aller möglichen Leute hineinversetzt; nur: sie
ist nicht dieser 'Leut'. Sie projiziert ihr Denken in andere Leute hinein, weil
sie gar kein anderes kennt (vergleiche das mal in größerem Rahmen mit den Amis,
die ihr Denken in die Iraker projizierten). Wer anders denkt, denkt für sie
nicht, sondern der ist entweder dumm oder krank oder böse. Kommt Dir das nicht
bekannt vor?
Kool kann ich im Zweifel besser, Eberhard: ein Mann bricht
zusammen. Ist er denn noch bei Sinnen, so dass ich ihn fragen könnte, ob er
überhaupt Hilfe will? Kann ich nicht. Also gehe ich zum Konzert, denn es
widerspricht der Freiheit des Menschen, anderen Menschen etwas anzutun, was man
selbst für etwas Gutes hält, ohne den anderen zu fragen, ob er das genau so
sieht.
Amplifikation: der Mann steht gerade mit Strick um den Hals am
Brückengeländer. Offenbar will er runterspringen. Du verlangst, ich soll mein
Konzert verpassen, um einen Menschen an etwas zu hindern, was er doch
offensichtlich will?
Amplifikation: der Zusammengebrochene ist offenbar
ein Penner, der zu viel Stoff im Balg hat und nach Schnaps stinkt. Soll ich
seinetwegen mein Konzert verpassen? Selbst, wenn ich ihm etwas täte, was er
wünscht, nämlich Erste-Hilfe-Leistung; ist dies im Interesse unserer
Gesellschaft, die ihn ernähren und sich auch sonst mit ihm abplagen muss, und
sind das nicht viel mehr Menschen?
Willste noch mehr von Kool hören?
Vielleicht ein bisschen Nietzsche gefällig, wonach das Kranke, Schwache
einzustampfen ist?
Philautos, Du Eremit, Abrazo ist promisk; lass den
Eberhard in Ruhe.
Eberhard, die Wege des Metaphysikers sind
unergründlich. Also lass mich Dir mal was vorgründeln, wenn ich das eigentlich
auch nicht vor hatte.
Siehe, Wittgenstein behauptete, es gäbe in der
Welt keinen Wert; die Ethik könne nur außerhalb der Welt sein. Alldieweil wohl
auch Du einst als junger Student im Rahmen der wissenschaftstheoretischen
Propädeutik seine Wahrheitstafeln lernen musstest, konnte er wohl kein Dummkopf
sein; seine Auffassung ist also diskussionswürdig.
Sie besagt allerdings
nichts weniger, als dass Deine Bemühungen tatsächlich vergeblich sind. Du kannst
aus der Welt heraus moralisches Handeln nicht begründen. Jede Begründung endet
im Utilitarismus und ist damit wertlos. Denn Nutzen ist abhängig, abhängig von
denen, denen er Nutzen ist. Etwas finden zu wollen, was für alle Menschen
gleichermaßen von Nutzen ist, halte ich für vergebliche Liebesmüh, da meist dem
einen genau das von Nutzen ist, was dem anderen von Schaden ist. Insofern kannst
Du zwar innerhalb einer Gesellschaft, denen gemeinsam etwas von Nutzen ist -
gemeinsam, weil jedes ihrer Mitglieder diesen Nutzen gegen andere Gesellschaften
und Subgesellschaften als sein Interesse verteidigen will, denen er zum Schaden
ist - zu von allen gleichermaßen akzeptierten Normen finden, nicht jedoch
darüber hinaus.
So ziehe ich denn - unverantwortlich abgekürzt - doch
das Sein aus dem Hut. Es ist alles, was der Fall ist. Alles, worüber einer reden
kann. Alles, was ist. Alles, was Du denken, empfinden, fühlen kannst, wird
hervorgerufen von dem, was ist, und ist selber. Du, der das merkt, der das Sein
und nichts anderes reflektiert, bist ohne Sein nichts, weißt noch nicht einmal
von Dir selbst. Dies zu erkennen heißt, zum Sein, zur Welt in eine Beziehung zu
treten. Sofern dies eine Beziehung des Ja zum Sein ist - ein Nein schließt die
Selbstvernichtung ein - so ist diese Beziehung der Wert. Der einzige Wert. Sein
ist aber alles. Folglich ist alles wertumfasst. Was aber Wert hat, zerstört man
nicht und schmeißt man nicht weg. Wenn Du nach gemeinsam Menschlichem suchst,
findest Du die Abscheu vor der Zerstörung, vor einer Art Vandalismus, auch, was
Menschenleben betrifft, auch das Leben von Menschen, die einen überhaupt nichts
angehen - und selbst die Zerstörung von tierischem Leben. Mythen von heiligen
Hirschkühen, Rituale von Naturvölkern, Kunstwerke aus der Steinzeit weisen
darauf hin, obwohl es dafür keinen vernünftigen Grund gibt. Kein Tier rührt
Zerstörung, sofern es nicht höchstselbst davon betroffen ist. So rührt es auch
nicht den Menschen, wenn das Menschliche in ihm, aus welchem Grund auch immer,
verschüttet ist, denn ohne dies ist er ein Viech wie jedes andere auch.
Allerdings zeigt die Menschheitsgeschichte, dass sich das Menschliche nicht
dauerhaft verschütten lässt; irgendwo dringt es immer wieder durch.
Schlimmstenfalls dringt es durch im plötzlichen Entsetzen über das eigene, nun
begriffene Tun (siehe Deutschland nach Krieg und Nationalsozialismus).
Nachtrag zur an anderer Stelle von Dir gestellten Sinnfrage:
Die Frage
nach dem Sinn des Lebens ist unsinnig. Auf eine unsinnige Frage gibt es aber
keine wahren oder falschen Antworten, sondern nur unsinnige Antworten. So, wie
es auf die Frage danach, wie man den Tod erlebt, keine sinnvolle Antwort gibt,
weil man den Tod nun mal nicht erlebt.
Da die Frage aber offenkundig
nicht, wie es bei unsinnigen Fragen häufig der Fall ist, aus purer Laberlust
gestellt wird, ist zu fragen, warum denn Menschen sich mit einer unsinnigen
Frage abplagen; normal ist das nicht, denn unsinnige philosophische Fragen
rühren im Grunde keinen Schwanz. Was also steckt dahinter?
Meiner
Ansicht nach das, was man mit Philautos Seinsvergessenheit oder
Seinsverlassenheit nennen könnte (allerdings verstehe ich da wohl etwas anderes
drunter als er). Es ist eine Art innere Einsamkeit, Verlorenheit, Nichtigkeit,
die die Folge der nicht vorhandenen Beziehung eines Menschen zur Welt, zum Sein
ist. Also sucht man letztlich nach etwas Höherem, was der eigenen, individuellen
Person Sinn verleiht. Fleutjepiepen, so etwas kann nicht gefunden werden (man
kann es sich freilich einbilden, sich den Glauben daran einreden und, damit die
eigenen Zweifel daran ersterben, damit hausieren und missionieren gehen nach dem
Motto, Scheiße ist lecker, Millionen Fliegen können nicht irren).
Wenn
man denn unbedingt auf einem Sinn des eigenen Daseins bestehen will, so ist es
der, zu begreifen, dass Sein Wert ist. Allerdings ist der Sinn in dem Moment
erfüllt, wo man es begriffen hat. Und dann gibt es eben keine Frage nach dem
Sinn mehr, denn niemand fragt nach dem Sinn von etwas, was Wert ist; täte er es,
so wäre es kein Wert.
Grüße
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-03-25, 10:32 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Abrazo,
Du hast Dein Verständnis von Ethik
eindrucksvoll formuliert, doch schätze ich die Schwierigkeiten einer
utilitaristischen Ethik - die bei deutschen Philosophen schon immer als Ausfluss
englischen Krämergeistes angesehen wurde - nicht als so unüberwindlich ein, wie
Du es tust.
Dass moralische Normen etwas mit der Berücksichtigung von
Interessen zu tun haben könnte, geht vielen deutschen Philosophen immer noch
gegen den Strich. Für viele ist Moral das Reich der Pflicht um der Pflicht
willen. Da hat das menschliche Wünschen und Wollen nichts zu melden.
Unter diesen Bedingungen ist die Abstempelung einer ethischen Konzeption als
"utilitaristisch" meist schon ausreichend, um diese Position zu "erledigen".
Dass Du Deine Ablehnung auch begründest, ehrt Dich.
Deine Kritik am
Utilitarismus und an der Vergleichbarkeit menschlichen Wohlergehens bzw.
menschlicher Interessen ist ohne wenn und aber. Du schreibst:
"Jede
Begründung endet im Utilitarismus und ist damit wertlos. Denn Nutzen ist
abhängig, abhängig von denen, denen er Nutzen ist. Etwas finden zu wollen, was
für alle Menschen gleichermaßen von Nutzen ist, halte ich für vergebliche
Liebesmüh, da meist dem einen genau das von Nutzen ist, was dem anderen von
Schaden ist. Insofern kannst Du zwar innerhalb einer Gesellschaft, denen
gemeinsam etwas von Nutzen ist - gemeinsam, weil jedes ihrer Mitglieder diesen
Nutzen gegen andere Gesellschaften und Subgesellschaften als sein Interesse
verteidigen will, denen er zum Schaden ist - zu von allen gleichermaßen
akzeptierten Normen finden, nicht jedoch darüber hinaus."
Kernargument
Deiner Kritik ist wohl der Satz: "Meist ist dem einen genau das von Nutzen, was
dem anderen von Schaden ist."
Aber ist eine menschliche Gesellschaft
tatsächlich notwendigerweise so aufgebaut, dass das, was der eine gewinnt, der
andere notwendigerweise verliert? Ist das Ergebnis immer Null? Gibt es
gemeinsame Interessen nur nach außen, also dann, wo man sich vor einem Dritten
gemeinsam schützen oder ihn gemeinsam ausbeuten will?
Ich sehe die
gesellschaftliche Ordnung dagegen auch als eine Möglichkeit, durch umfassende
Abstimmung der individuellen Handlungen aufeinander und durch Zusammenarbeit mit
vereinten Kräften die Lage aller zu verbessern. Das sind dann keine
Nullsummenspiele, um es in der Sprache der Spieltheorie zu sagen.
Es
bleiben dabei nicht nur Optimierungsverfahren, wie der Vertrag und speziell der
Tausch, den die Beteiligten zum gegenseitigen Vorteil abschließen, während
grundlegende Ungerechtigkeiten nicht angetastet werden dürfen.
Wenn man
eine moralische oder allgemein eine soziale Ordnung rechtfertigen (oder
kritisieren) will, dann muss man dafür allgemein nachvollziehbare Argumente
haben, d.h. die Ordnung und die sie stützenden (oder angreifenden) Argumente
müssen konsensfähig sein.
Jeder, der in diesem Sinne vernünftig
argumentieren will und in einem allgemeingültigen Sinne recht haben will, der
muss sich auf das Kriterium der Konsensfähigkeit festlegen lassen.
(Eine Nebenbemerkung: Der oft geschmähte Thomas Hobbes formulierte in ähnlicher
Weise folgende 'allgemeine Regel der Vernunft': "Der erste Teil dieser Regel
enthält das erste und grundlegende Gesetz der Natur, nämlich: Suche Frieden und
halte ihn ein. Der zweite Teil enthält den obersten Grundsatz des natürlichen
Rechts: Wir sind befugt, uns mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu
verteidigen.")
Und da jedes Sollen Ausfluss eines Wollens ist, stellt
sich das Problem dar als die zwangfreie Bildung eines Gesamtwillens, einer
volonté générale oder eines allgemein akzeptablen Gesamtwillens bzw.
Gemeinwohls.
Ich teile nicht die Skepsis, dass die Regel:
"Berücksichtige bei der Suche nach Normen für das gemeinsame Verhaltens die
Interessen jedes Beteiligten so wie Du Deine eigenen berücksichtigst" entweder
inhaltlich leer oder aber nicht zu befolgen ist.
Es gibt viele Wege, um
die eigene Interessenlage andern mitzuteilen, und es gibt viele Wege, um die
Interessenlage eines anderen zu erkennen. Wichtigster Bezugspunkt sind die
äußeren Lebensbedingungen, die sich empirisch bestimmen lassen.
Ich
weiß in vielen Fällen meist recht gut, warum ich nicht "in seiner der Haut
stecken möchte", und "warum ich mit denen nicht tauschen möchte".
Und
nicht ganz sinnlos begrüßen wir uns gegenseitig mit der Frage nach dem
Wohlergehen des andern: "Hallo, wie geht es Dir?"
Soviel erstmal zur
Verteidigung einer ethischen Konzeption, die auf einer Abwägung der Interessen
aller Beteiligten beruht.
Sonntägliche Grüße an Dich und alle
Interessierten.
Eure vernichtende Kritik erwartet Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
2007-03-25, 16:59 Uhr
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Hi Eberhard,
lass mich erst mal Hobbes fleddern.
Quote:Der
oft geschmähte Thomas Hobbes formulierte in ähnlicher Weise folgende 'allgemeine
Regel der Vernunft': "Der erste Teil dieser Regel enthält das erste und
grundlegende Gesetz der Natur, nämlich: Suche Frieden und halte ihn ein. Der
zweite Teil enthält den obersten Grundsatz des natürlichen Rechts: Wir sind
befugt, uns mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen
Dass "suche Frieden und halte ihn ein" das erste und grundlegende Gesetz der
Natur sei, wird bestritten. Es sei denn, man pervertiert die Sache ein wenig,
wie z.B. auf einer Briefmarke aus den frühen Sechzigern der DDR zu sehen war.
Darauf abgebildet war nämlich ein bis an die Zähne bewaffneter Soldat mit der
Unterschrift: "Kämpft für den Frieden in der Welt." Hat mich schon als Kind ob
der Paradoxie schwer beeindruckt.
Problem: wessen Frieden ist zu suchen?
Herr Hund ist im Rudel ein wahrer Friedensfürst. Denn er hat dafür gesorgt, dass
alle ihm bekannten Rüden ihn ehren, achten, respektieren, ihm aus dem Weg gehen
und ihm freiwillig alle Bälle, Stöcke und Weiber überlassen. Diese Art Frieden
war und ist ja auch bei Menschens durchaus populär, ebenso wie das angebliche
Naturrecht, sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen diejenigen zu
verteidigen, die diesen wunderbaren Frieden stören - z.B. Deutschland mit
Tornados am Hindukusch.
Wenn Du meinst, Kants kategorischer Imperativ
tauge nix für die Praxis - worin ich Dir durchaus recht gebe - dann meine ich,
Hobbes auf wahrlich tönernen Füßen stehendes 'Naturrecht' taugt mindestens genau
so wenig.
Quote:Aber ist eine menschliche Gesellschaft tatsächlich
notwendigerweise so aufgebaut, dass das, was der eine gewinnt, der andere
notwendigerweise verliert?
Nicht notwendigerweise, meinte Marx,
das glorreiche Ziel und Ende der Menschheitsentwicklung und damit der Geschichte
sei die klassenlose kommunistische Gesellschaft, in der Staat und Eigentum
abgeschafft seien und damit auch die Notwendigkeit, seine Interessen zum Schaden
anderer Leute durchzusetzen.
Ich bin da einerseits skeptisch,
andererseits pragmatisch: was haben wir heute davon, wenn in 250 Jahren der
friedliche Kommunismus ausbricht?
Dass jedoch die eigenen Interessen, im
Falle Rudeltier Mensch im Zweifel die des Rudels, nur zum Schaden anderer
durchgesetzt werden können, die ja auf der Erde überall vorhanden sind, halte
ich für ein Naturgesetz. Heißt, für eine biologische Steuerung. Die sich auch am
Menschen zeigt, sofern, aus welchen Gründen auch immer, seine spezifisch
menschlichen Eigenarten unterdrückt sind.
Hier stellt sich nun die
Frage, warum soll der Mensch denn nicht wie jedes andere Viech seiner
biologischen Natur gemäß leben.
Wenn Du nun mit den Interessen kommst,
so überlege, welche das denn sind. Offenbar sind es grundverschiedene. Nimm das
Beispiel Sklaverei. Es war in allen Kulturen zweifellos das Interesse der
Landeigentümer, zur Bewirtschaftung Sklaven zu halten (in Stadt und Fabrik ist
das weniger opportun, denn da können sich die Sklaven nicht, wie auf dem Land,
durch ihrer Hände Arbeit selber mit den notwendigen Nahrungsmitteln versorgen;
die muss man ihnen dann ranschaffen, und das wird zu teuer). Nun gab es aber
auch andere freie Menschen, die grundsätzlich gegen Sklavenhaltung waren; die
haben sich letztlich durchgesetzt. Je nach Standpunkt kann jede Seite der
anderen vorwerfen, den Frieden gebrochen zu haben, kann jede Seite der anderen
ihr Naturrecht auf Verteidigung vorhalten. Haben sie meines Wissens ja auch
getan.
Das gleiche, was für die Interessen gilt, gilt im Prinzip für die
Vernunft. Die Vernunft kalkuliert mit Daten. Je nach zugrunde liegenden Daten
kann das Ergebnis so oder genau gegenteilig aussehen. Also kann die Vernunft
keine Basis für die Ethik sein.
Das ist nun keineswegs eine Absage an
Vernunft und Interessenausgleich. Ich sage nur, Du wirst damit nicht erreichen,
was Du wünschst, solange die Sache nicht auf einer sicheren, und das heißt ob
ihrer Wahrheit gültigen, humanen ethischen Basis steht. Dass eine solche Basis
niemals in einem Soll liegen kann sondern nur in einem Ist, müsste sich von
selbst verstehen.
Als praktisches Beispiel siehe unser Rechtssystem.
Art. 1 GG ist ein ethisches Prinzip, eine Grundlage. Doch macht diese Grundlage
Vernunft und Interessenausgleich keineswegs überflüssig, im Gegenteil.
Quote:Und da jedes Sollen Ausfluss eines Wollens ist ...
Sieh, genau da stimme ich Dir zu. Die Basis kann kein Soll sein, sondern nur ein
Ist. Also stellt sich die Frage, was Menschen wollen.
Was Menschen
wollen, ist offenbar verschieden, und damit meine ich hier nicht, je nach Mensch
verschieden. Vielmehr verweise ich auf ein altbekanntes menschliches Phänomen:
die Reue. Reue gleich "das habe ich nicht gewollt". Wobei Reue ja nicht nur dann
zutage tritt, wenn einer die Konsequenzen seines Tuns nicht übersehen hat (oder
zu bequem war, sich vorher darüber Gedanken zu machen), sondern auch dann, wenn
er das, was er nun bereut, tatsächlich hat tun wollen. Jetzt aber will er es
nicht mehr, ja, wenn es ginge, würde er die Zeit zurück drehen und es
ungeschehen machen. Der, der jetzt entscheidet, ist offenbar ein anderer als
der, der zum Tatzeitpunkt entschieden hat. Er sieht die Dinge aus einer anderen
Perspektive, aus der humanen. Und Mensch hat andere Handlungsmaxime als Viech.
Reue kann verdammt weh tun. Sie kann Menschen in dauerhafte Depression oder
gar in den Selbstmord treiben. Nicht umsonst gibt es in unterschiedlichen
Kulturen diverse Entsühungsrituale. Umgekehrt scheint es mir aber auch eine
spezifische, oft gefährliche Borniertheit aus Angst vor der eigenen Reue zu
geben.
Fazit: wie ich schon sagte, so leicht lässt Mensch sich nicht
dauerhaft unterdrücken; der bricht immer wieder aus. Stand und steht allerdings
auch immer im Zwiespalt zwischen biologischer Steuerung und humaner Ethik. In
Anbetracht des Leides, das der Verlust humanen Denkens und Entscheidens nicht
nur über andere, sondern auch über den Handelnden selbst bringen kann, halte ich
es durchaus für einen Akt der Menschenfreundlichkeit, der schlafenden Biomasse
ab und an mal den nassen Scheuerlappen ins Gesicht zu schlagen. :-)
Gruß
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Xenon am
2007-03-25, 20:49 Uhr
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Hallo Abrazo,
Du "erzählst" Du immer sehr schön blumig mit Beispielen, aber
scheinst irgendwie derart deskriptiven und normativen Ansatz zu vermischen, dass
mir geradezu schwindlig wird...
Einerseits echauffierst Du Dich über
unethisches Verhalten und beziehst dabei selbst den moralischen Standpunkt,
andererseits ...
Aber ich habe da schon bei Deinen früheren Beiträgen
den roten Faden nicht gefunden.
Worauf willst Du hinaus?
Ethik
soll irgendwie außerhalb der Vernunft stehen? Dennoch gibt es einen Maßstab für
"richtiges ethisches Handeln"? (sonst könntest Du Dich über falsches ethisches
Handeln nicht empören)
Die Durchsetzbarkeit ethischer Normen steht ja
auf einem anderen Blatt. Ich kann mich erinnern, dass ich schon einmal
nachgehakt hatte, aber irgendwie ist mir Deine Position nicht klargeworden...
Liebe Grüße
Xenon
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-03-25, 22:01 Uhr
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Bin leider die nächsten Tage verhindert. Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn
am 2007-03-25, 22:08 Uhr
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Hi, Eberhard,
Du: ...Meinungen...Erde als Mittelpunkt...Erde ein Planet
der Sonne ist.
Das waren einmal beides Meinungen. Bis die Astrologen
seit Galilei diese Meinungsverschiedenheit entschieden.
Definition:
a) Meinung nenne ich eine Information, die eine Person für eher wahr hält als
ihr Gegenteil, dies aber nicht belegen kann.
b) Wissen nenne ich eine
Information, die eine Person ebenfalls für eher wahr hält als deren Gegenteil -
und der dies belegen kann.
Wie eben die Astrologen alle vernünftigen
Zweifel am Planetensystem ausräumen konnten.
Wenn wir uns streiten, dann
behandelen wir Meinungen besser anders als Wissen.
Wir belegen unser Wissen,
und dann wird der Vernünftige sicher erst so viele Zweifel haben, wie er eben
kein Leichtgläubiger ist.
Aber wenn die ausgeräumt sind, dann wird er die
Realität so sehr anerkennen, wie er lieber exakte Landkarten in seinem
Handschuhfach hat als illusorische.
Meinungen - über die läßt sich
genausowenig streiten wie über Geschmack, da hat jeder seinen eigenen.
Das
macht auch so lange nichts, wie er uns seinen Geschmack nicht aufzwingen will.
Über Meinungen kann man auch nicht streiten, da sie per definitionem weder
belegbar sind noch widerlegbar. Denn wären sie es, wären sie Wissen.
Mit
Deinem Beispiel vom Sonnensystem hast Du nun den Übergang von Meinung zu Wissen
beschrieben, bewirkt durch die naturwissenschaftliche Aufklärung.
Das
aber ist kein Gegenargument gegen die Gründe meiner Ablehnung einer Methode, mit
der man kalkulatorisch entscheiden könne, welche zweier Meinungen mehr recht
habe als die andere, so daß einer der beiden Kontrahenten verpflichtet wäre,
seine Meinung aufzugeben.
Wie man Meinungen in Wissen wandelt, das
lehren Naturwissenschaft und Logik.
Wie man Meinungen zur Synthese auflöst,
das zeigt die Dialektik.
Aber das, was Du suchst - ohne weiter
denken zu wollen - ist eine Methode zur kalkulatorischen Bestimmung, welche von
zwei widersprüchlichen Meinungen eher zu gelten habe.
Und das ist nur mit
diktatorischen Mitteln durchzusetzen.
Ja, überhaupt der Gedanke, solch eine
Entscheidung suchen zu wollen, ist ein Keim der Diktatur.
Und weil ich
denkfaul bin, greife ich auch zu drastischen Vergleichen - sofern sie sachlich
richtig sind.
Ciao
Wolfgang Horn
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
2007-03-25, 22:45 Uhr
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Hi Xenon,
das liegt wahrscheinlich daran, dass Du etwas anderes
erwartest als das, was ich tue, und das Erwartete nun natürlich nicht findest.
Quote:Ethik soll irgendwie außerhalb der Vernunft stehen? Dennoch gibt
es einen Maßstab für "richtiges ethisches Handeln"? (sonst könntest Du Dich über
falsches ethisches Handeln nicht empören)
Es geht mir gerade nicht
um Sollnormen, um Maßstäbe (damit hatte es Augustinus), um richtiges ethisches
Handeln, sondern um die Frage, warum wir überhaupt ethisch handeln bzw. handeln
sollen. Also nicht um die Frage eines richtigen oder falschen ethischen
Handelns, wobei es nur ethisches Handeln und anderes Handeln gibt, also kein
falsches ethisches Handeln.
Ich kann die Frage auch ganz einfach
zusammenfassen: es heißt, du sollst nicht töten. Warum soll ich eigentlich
keinen Menschen umbringen, wenn es mir Vorteile bringt oder mir - z.B. aus Wut -
danach ist?
Die Frage ist nicht neu und m.E. der Kern aller Philosophie.
Ich verweise auf die Sophisten, insbesondere Thrasymachos: "Das Gerechte
ist nichts anderes als der Vorteil des Stärkeren". Und der Stärkste ist der, der
am besten reden kann, also ist es gerecht, wenn er die Menschen dazu bringt, das
zu tun, was ihm passt. "Thrasymachos war fähig, wie er sagte, eine Masse in
Leidenschaft zu bringen und die leidenschaftlich Erregten wieder durch
Besprechung zu besänftigen." (Diels 6. und 6a.)
Die Antwort waren
Sokrates, Platon und Aristoteles. Daran siehst Du schon, wie komplex diese Frage
ist, denn eine Antwort lässt sich tatsächlich nur finden, wenn man denkend das
ganze Sein und seine Prinzipien durchmisst.
Eine Menge hervorragende
Philosophen haben sich in der Folge mehr oder minder intensiv mit dieser
Kernfrage beschäftigt; ich greife einen heraus: Descartes. Schau Dir seine Zeit
an, geprägt von Inquistition, Hexenverbrennung, Religionskriegen, Entwürdigung,
Missachtung und Verarmung von Bauern und Bürgern. Und all dies im Namen Gottes.
Könnte es sein, dass dies alles so seine Ordnung hat? Ist Gott böse?
Uns
hat der Nationalsozialismus den Schuss vor den Bug versetzt. Denn der erklärte
die humane Ethik zu einer Lüge, erfunden von den Juden, um ihr eigenes
schmarotzendes Überleben zu sichern, indem sie den Menschen an der Entwicklung
seiner natürlichen Vollkommenheit hindern; ohne diese Lüge wären sie längst
zugrunde gegangen. Die Juden waren historisch die Naheliegendsten, aber man kann
eine Lüge Ethik aus Eigennutz ohne weiteres auch anderen zuschreiben.
Mit der Vernunft kommst Du hier nicht mehr weiter, denn Aristoteles und auch
Descartes lebten in Zeiten, in denen der Unterschied zwischen Mensch und Tier
schier unermesslich und selbstverständlich, weil gottgeschaffen war und das, was
sie als Vernunft betrachteten, überhaupt nicht in Frage zu stellen war. Es gab
keine Psychologie, keine Genforschung, keine Hirnforschung, keine Mendelschen
Erbgesetze und auch nicht Darwin (dafür aber Barbaren, denen man die Vernunft
absprach).
Heute hingegen bleibt gar nichts anderes übrig als danach zu
fragen, wie Mensch und Welt denn eigentlich beschaffen sind, um zu klären, ob es
denn humane Ethik, unabhängig von Einzel- und Gruppeninteressen, von Historie
und Kulturen, überhaupt gibt. Denn wenn nicht, dann kannst Du die Humanität als
alten Aberglauben auf den Schrotthaufen werfen.
Gruß
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von weatherlady
am 2007-03-27, 11:21 Uhr
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Grüezi mitenand!
Gibts ein Interesse, das alle Menschen haben?
Ich
sage: Jep. Und dafür nehm ich jetzt die Menschlichkeit (die ja laut Abrazo den
Mensch vom Viech unterscheidet). Ih glaub, die ist in jedem Menschen vorhanden.
Was ist die menschlichkeit? Können wir nicht eingrenzen, weil sie nicht
vernünftig ist, oder wir sie mit unserer vernunft noch nicht durchleuchten
können (wir sind also zu doof dazu).
Jetzt nehm ich noch den Kant hinzu:
("Handele so, dass die Maxime Deines Willens jederzeit Grundlage einer
allgemeinen Gesetzgebung sein könnte." --> Kool hat da einen Fehler gemacht: Die
Formulierung der Maxime des Willens muss unpersönlich sein (also nicht: Kools
Wohl steht über allem, sondern des Menschen Wohl steht über allem). Hat Kant
aber leider nicht in seinen Satz verpackt.)
Eberhard: "Auch dann verlangt der
Kategorische Imperativ keine interpersonale Abwägung von Interessen oder Gütern,
sondern jeder muss nur sich selber befragen, ob er damit einverstanden ist, dass
andere nach demselben Grundsatz handeln wie er."
Genau. Dieser Grundsatz kann
aber nicht beliebig sein (wie Eberhard ja oben erklärt hat), denn der einzelne
Mensch hat individuelle Wünsche, welche bei Erfüllung derer meist irgendwelchen
anderen Schaden zufügen würden.
Ich finde aber nicht, dass das für alle
Wünsche gilt. Was ist jetzt mit dem Wunsch nach Menschlichkeit?
Wenn alle
gerne menschlich behandelt werden würden, dann hätten sie es somit gerne, wenn
die allgemeine Gesetzgebung so lauten würde: handle menschlich.
Ich behaupte
jetzt, dass durch Menchlichkeit keine Nachteile für andere entstehen (Denkfehler
der Handelnden sind mal ausgeschlossen).
Noch mal zum Beispiel mit dem armen
tropf, der auf der Strasse zusammenbricht und dem armen Konzertbesucher, der ihn
rettet und den Anfang seines Konzertes verpasst.
Der zweite Arme rettet also
den ersten Armen. Dann geht er ans Konzert, regt sich darüber auf, dass er
seinen Lieblingssong verpasst hat, aber da er den zweitliebsten Song hört,
findet er das Konzert trotzdem toll und hat Freude dran. Dann geht er nach Hause
und ins Bett. Am nächsten Morgen steht er auf und da kommt ihm der gestrige
Abend wieder in den Sinn: Mist, den Song habe ich ja verpasst, weil der Arsch da
auf der Strasse rumlag!
Dann denkt er an den "Arsch" und daran, dass er ihm
vielleicht das Leben gerettet hat. Und er ist ein bisschen stolz auf sich.
Dann am Nachmittag klingelt das Telefon und die Frau vom armen Arsch ist dran
und bedankt sich ganz doll beim Retter. Der sagt: Ach, war doch nich der Rede
wert. Gehts ihm gut? - Ja.
Nochmal vier Tage später steht der Arsch vor der
Haustüre seines Retters und bedankt sich bei dem, dass er noch lebt. Die beiden
verquatschen sich eine Weile und dann gehen sie gemeinsam in die Lieblingsbar
vom Arsch einen heben. Zwei Wochen später hat der Retter Geburtstag. Und da
bringt ihm der Postbote ein Päckli. Er packts aus und: Hurra, die DVD des
verpassten Konzertes. Und ne Karte dazu: "Habs nicht vergessen. Viel Freude
daran und nen schönen Geburtstag wünscht dir Arsch."
Der Retter ruft den
Arsch an und lädt ihn ein, die DVD mit ihm zu gucken...
So. Beide haben
Freude, nen neuen Kollegen, Arsch lebt noch und der Retter ist ein Retter und
stolz drauf.
Ist das jetzt utopisch? Ein bisschen. Aber nicht viel. Denn
zumindest bei gesunden Menschen kommts bis zu dem teil der Story, wo Retter
stolz auf sich ist und sich darüber freut, ein Held zu sein.
Jetzt komm
ich mal mit einer theorie von mir:
Wenn jeder Mensch das, im Rahmen der
Möglichkeiten (alle Menschen leben auf der gleichen Erde und sind gleichwertig),
schönste überhaupt mögliche Leben führen würde... würden wir es bemerken? -
Nein, weil es für uns normal ist. - Dann ist es vielleicht so.
So, ich
warte auf eure Kommentare [cloud]
lg weatherlady
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
2007-03-27, 12:29 Uhr
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Ein nicht mehr taufrischer oller Junkie war, wie ich hörte, im Park nach einem
Schuss zusammengebrochen. Seine Kameraden, dessen als olle Junkies durchaus
kundig, machten Wiederbelebungsversuche, und als sie erkannten, dass das nicht
reichen würde, riefen sie den Notarzt.
Der Junkie kam ins Krankenhaus,
Ambulanz, wo ich ihn zwei, drei Stunden später aufsuchte.
Ich sprach mit ihm,
als er im Rollstuhl aus der Intensivstation gefahren wurde.
"Was machst Du
denn? Hast Du nicht aufgepasst? Du hättest tot sein können!"
Antwort:
"War
aber geiles Zeug."
Wie üblich, wurde er zwei, drei Stunden später entlassen
(die sind nicht zu halten) und machte weiter wie bisher.
Dank?
Nada.
(Das sind Rettungsmannschaften und Krankenhausnotärzte allerdings auch nicht
gewohnt).
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von weatherlady
am 2007-03-27, 17:18 Uhr
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Nein, Ärzte wohl nicht. Das kratzt die aber auch nicht so. Das ist ihr Beruf.
(Wenn sich einer bedankt, dann ist das schon schön, aber stell dir mal vor,
jeder Patient, der das Krankenhaus verlässt, schenkt edm Arzt ne Schachtel
Pralinen... bald würden wir einen Ärztemangel haben, da alle an Fettsucht
gestorben sind.) Eine Einzelperson, die zum ersten Mal ein Leben rettet, die
schätzt das viel mehr.
Aber, ich habe vorhin geschrieben, dass ich mich
auf (ich find die Stelle grad nicht drum ists vielleicht ein anderes Wort)
"gesunde" Menschen beziehe. Damit meine ich auch und vorallem die psychische
Gesundheit eines Menschen. Der Junkie ist meiner Meinung nach psychisch krank.
Er findet sein Leben nicht wertvoll und hat darum auch nicht sonderlich Freude,
wenns gerettet wird (Oder zumindest will er, dass die anderen das von ihm
denken).
Aber du hast Recht (auch wenn du nichts ausserhalb des
Beispiels gesagt hast), ich darf die Ausnahmen nicht auslassen. Frage ist aber
auch, wer alles als Ausnahme gilt?
Und was man da als Richtlinie für
Konfliktlösungen finden kann... Mach ich jetzt grad nicht, weil mein Hirn qualmt
und ich mit dem Hunchen spazieren muss.
Aber doch noch schnell:
manchemal weiss der Mensch nicht, was gut für ihn ist. Wissen tuns die anderen
auch nicht. Aber, wenn sie jemanden davor bewahren, sich von ner Brücke zu
stürzen, also das leben rettet, dann tun sie mMn nie das Falsche. Die so
"Geretteten" werden erst furchtbar sauer sein, aber oft - später - dankbar sein,
da sie doch noch die Freude am Leben gefunden haben.
Zum "Dank" noch.
Ich habe oben geschrieben, das auch ohne Dank eine gewisse Freude für den Retter
anfällt. Einfach, weil er sich sagen darf: Hab ich gut gemacht.
Ist ja wohl
nicht schlecht so.
Lg weahterlady
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Xenon am
2007-03-27, 21:51 Uhr
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Hallo Abrazo,
wir reden nach meinem Eindruck tatsächlich aneinander
vorbei.
Mir ging es um DEINEN Standpunkt, mit dem Du Deine Ausführungen
vorträgst.
Du versuchst gleichsam "von außen" die Beliebigkeit bzw.
Machtabhängigkeit des moralischen Standpunkts vorzutragen.
Aber es
gelingt Dir nicht, denn Du nimmst ja selbst Wertungen vor und beanspruchst für
diese Gültigkeit (schließlich möchtest Du diskutieren und erwartest, dass man
Dir zustimmt oder widerspricht). Ich entdecke jedenfalls normative Überzeugungen
bei Dir - etwa wenn Du schreibst, es gebe ethisches Verhalten und unethisches
Verhalten.
Wer aber legt fest, welches die Maßstäbe für ethisches
Verhalten sind? Derjenige, der die Macht dazu hat? Aber wenn Menschlichkeit nur
eine Machtfrage wäre, dann würde doch die Unterscheidung in ethisches und
unethisches Verhalten entweder unnötig, sinnlos und unmöglich oder eine bloße
Frage der Titulierung (der Mächtige legt aufgrund seiner Definitionsmacht fest,
was "gut" ist).
Wäre "Gerechtigkeit" immer nur die Gerechtigkeit aus
der Sicht des Stärkeren, wieso führte gerde der Stärkere dann dieses Wort so
häufig im Munde? Womöglich mit der Absicht der Legitimation seiner
Machtausübung, die er umso dringender benötigte, je mehr er die Gerechtigkeit
eigentlich pervertiert ... ?
Der "Witz" an der Gerechtigkeit ist, dass
sie von der Idee des ursprünglichen Begriffes her, eben nicht an Machtpositionen
und Einzelinteressen gebunden ist, ja sogar regelmäßig in Opposition zu ihnen
steht.
Gruezi Weatherlady,
bist Du aus der Schweiz?
Sehr sympathisches Plädoyer für Menschlichkeit... Irgendwie scheint mir die
menschliche Vernunft mehr zu sein als nur ein "gutes Gefühl". Ich wüßte die
Vernunft gern besser verankert, aber da bin ich immer noch auf der Suche :-)
Allesamt liebe Grüße
Xenon
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
2007-03-27, 22:40 Uhr
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Hi Xenon,
Quote:Aber es gelingt Dir nicht, denn Du nimmst ja selbst
Wertungen vor und beanspruchst für diese Gültigkeit (schließlich möchtest Du
diskutieren und erwartest, dass man Dir zustimmt oder widerspricht). Ich
entdecke jedenfalls normative Überzeugungen bei Dir - etwa wenn Du schreibst, es
gebe ethisches Verhalten und unethisches Verhalten.
Du wirst
gewiss nicht bestreiten wollen, dass es ethisches und unethisches Verhalten in
dem Sinne gibt, dass in zahlreichen unterschiedlichen Kulturen und zu
verschiedenen Zeiten Menschen etwas - keineswegs alles! - gleichermaßen mit
einer Scheu, Abscheu, Verurteilung oder wie auch immer negativ betrachteten,
ohne dass dies vernünftig begründbar wäre (jedenfalls wenn man über das
Oberflächliche hinaus geht). Dies nenne ich ethisches Verhalten.
Was Du
automatisch hineinbringst, ist durchaus interessant: nämlich die Wertung. Um die
geht es mir aber nicht. Es geht mir nicht darum, wie Menschen sich verhalten
sollen - das gehört m.E. zur Moral - sondern wie sie sich tatsächlich verhalten,
wie sie urteilen, wie sie entscheiden, was sie tun. Da sehe ich nun einmal einen
Unterschied zwischen ethischem Verhalten, das von mir beschriebene, und
unethischem Verhalten. Wie es z.B. die biologisch gesteuerten Viecher tun, aber
meist auch der Mensch.
Nun werten wir aber automatisch ethisches
Verhalten als gut und unethisches als böse.
Was aber wäre der Fall, wenn
ethisches Verhalten auf einer Lüge oder einem Irrtum beruhen würde, wenn es also
keine Ethik gäbe? Wie wäre ethisches Verhalten dann zu werten? Gar nicht, weil
es dann gar keine Werte gäbe; oder fällt Dir einer ein? Angenommen, einer würde
nachts in Dein Haus einbrechen, um zu stehlen, und Du erwischst ihn. Würdest Du
natürlich Dein Eigentum verteidigen. Ihn z.B. ein bisschen totschießen. Warum?
Weil es Dein Eigentum ist, Dein Revier, und das brauchst Du zum Leben. Haut der
Dieb ab, bevor Du ihn triffst, hat er Deine überlegene Stärke erkannt und Glück
gehabt. Erkennt er das nicht und Du schießt ihn tot, hat er eben Pech gehabt.
Fertig is die Laube. Und wenn er Dich aus Deinem Haus schmeißt, um es selbst in
Besitz zu nehmen, dann hast Du eben Pech gehabt und es nicht besser verdient.
Nun nimm an, er würde Dich vertreiben, Du suchst Zuflucht bei Deiner
Gemeinschaft. Die sagt, Du gehörst zu uns, wir verteidigen uns gegenseitig, wir
ziehen jetzt los und bringen den Kerl um. Jetzt würdest Du vielleicht sagen, nö,
nicht umbringen, er soll am Leben bleiben. Würden die anderen Dich für bekloppt
halten und sich nicht drum scheren. Aber könnten sie Dich deswegen verurteilen?
Aus welchem Grund? Sagen sie, Dein Wunsch ist schlecht oder böse, dann machen
sie eine Gegenethik auf, bestätigen also das, was sie als Lüge ablehnen. Sagen
sie, das ist unvernünftig, man bringt sich in solchen Fällen immer gegenseitig
um, müssen sie diese Norm begründen; wie?
Werden diese Überlegungen
nicht langsam aberwitzig und vollkommen irreal? Denn so denken, reden, urteilen
und entscheiden wir ja gar nicht.
Wir hier. Doch gibt es für unethisches
Handeln auch das Argument, "das haben wir immer schon so gemacht". Heißt, das
steht außerhalb jeder Wertung. Aber so ist Natur.
Mensch ist nun
allerdings anders.
(Spontan in's Unreine - meine Gedanken dazu sind noch
keineswegs systematisiert und ausgegoren)
Gruß
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-03-31, 22:30 Uhr
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Hallo allerseits, hallo weatherlady,
ich habe etwas Probleme, deinen
Gedankensprüngen hinterher zu springen.
Wenn ich Dich richtig verstehe,
so bist Du der Meinung, dass alle gern menschlich behandelt werden wollen.
Daraus folgerst Du, dass alle zustimmen können, dass die Norm: "Handele
menschlich!" zum allgemeinen Gesetz erhoben wird.
Das Problem ist, dass
der Satz
"Alle wollen, dass alle menschlich behandelt werden" zweierlei
bedeuten kann:
Er kann zum einen bedeuten: "Jeder will, dass er selber
menschlich behandelt wird".
Daraus folgt jedoch nur, dass jeder
zustimmen kann, dass die jeweils anderen ihn menschlich behandeln, jedoch nicht,
dass jeder nun auch selber die andern menschlich behandeln soll.
Der
Satz "Alle wollen, dass alle menschlich behandelt werden", kann zum andern auch
bedeuten: "Alle wollen gemeinsam (im Sinne von: "Es besteht ein allgemeiner
Konsens darüber, …"), dass Jeder menschlich behandelt werden soll."
Wenn dem so wäre, dann wären die moralischen Fragen der Lösung näher. Aber das
Problem ist, dass nicht feststeht, welches Handeln "menschlich" ist und welches
nicht. Ist z.B. die Verwendung einer Antibabypille menschlich oder nicht? Wenn
'Menschlichkeit' eine Leerformel bleibt, kann damit die Frage, wie man handeln
soll, nicht beantwortet werden.
Du sagst, dass durch Menschlichkeit
keine Nachteile für andere entstehen. Das Problem sind hier jedoch die
entgangenen eigenen Vorteile, die ich mir aus "Menschlichkeit" versage. Etwa,
wenn man die Notlage eines andern Menschen ausnutzen könnte.
Grüße an
alle von Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
2007-04-01, 00:43 Uhr
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So isses, Eberhard.
Praktisches Beispiel: Gäfgen beschwert sich auch darüber,
dass er nicht menschlich behandelt wird.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von laertes am
2007-04-01, 01:08 Uhr
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Der Eberhard, der springt so sehr
vergeblichen Gedanken her.
Die
Werkstatt kommt nun bald zur Ruh.
Die Eule ruft schon dunkel: 'huh'.
Zu was ist denn Moral noch nütze,
wenn Ebi schläft mit seiner Mütze?
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-04-01, 10:50 Uhr
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Hallo allerseits,
ich will im Folgenden noch einmal meinen ethischen
Ansatz im Zusammenhang darstellen.
Ausgangspunkt ist der
Interessenkonflikt zwischen Menschen, seien es nun Einzelne oder Gruppen.
In einem Interessenkonflikt gibt es mehrere Möglichkeiten, zu entscheiden. Jede
Alternative ist mit der Befriedigung bestimmter Interessen und der
Nicht-Befriedigung anderer Interessen verbunden.
Die Fragestellung
lautet: Kann man die Interessen der Konfliktparteien gewichten und den Konflikt
entscheiden, indem man die Alternative wählt, bei der diejenigen Interessen
befriedigt werden, die am gewichtigsten sind?
Das letzte Beispiel war
ein Zwei-Parteien-Konflikt. Etwas umformuliert ist die Konfliktlage dabei wie
folgt:
Person A hat einen Kreislaufkollaps und bedarf dringend
medizinischer Hilfe. Person B ist die einzige, der dies mitbekommt. B ist gerade
auf dem Weg zu einem Konzert. Wenn B sich um A kümmern würde, käme er zu spät
zum Konzert.
Wir haben also zwei Interessen, die miteinander
"konfligieren", die also nicht beide zugleich befriedigt werden können: das
Interesse von A, zu überleben, und das Interesse von B, den Anfang des Konzertes
nicht zu versäumen.
Ich behaupte, dass bei einer unparteiischen,
wohlwollenden Abwägung der beiden Interessen das Interesse von A moralisch
schwerer wiegt als das Interesse von A.
Dies ist keine empirische
(positive) Aussage, die ein Faktum feststellt wie die Aussage: "Das
Körpergewicht von A ist größer als das von B". Die Richtigkeit dieser Behauptung
kann also nicht durch gewöhnliche Sinneswahrnehmung intersubjektiv
nachvollziehbar begründet werden. Es gibt keine Waage, auf der man die
Interessen wiegen könnte und das Gewicht durch Hinsehen ablesen könnte.
Trotzdem ist die Aussage: "Das Interesse von A an der Erhaltung seines Lebens
wiegt (moralisch) schwerer als das Interesse von B an einem ungeschmälerten
Konzertvergnügen" meiner Ansicht nach nicht sinnlos oder subjektiv beliebig,
sondern ist vernünftiger Argumentation zugänglich.
Voraussetzung dafür
ist allerdings, dass das Ziel einer zwangfreien Einigung von allen an der
Argumentation Beteiligten geteilt wird.
Nun kann jemand dies Ziel zwar
ablehnen und stattdessen auf seine überlegenen Möglichkeiten zur Durchsetzung
seiner Interessen vertrauen, jedoch hat er sich damit von vornherein als
Amoralist zu erkennen gegeben.
Er kann damit für sein Handeln in keiner
Weise so etwas wie allgemeine Richtigkeit oder Rechtfertigung beanspruchen. Er
kann nur seine überlegene Gewalt demonstrieren.
Die Moralphilosophie
kann und muss in einem solchen Fall nicht mehr tun als dies ganz klar zu machen.
Alles Weitere ist keine Frage der besseren Argumente sondern eine Frage der
überlegenen Macht.
Wer dagegen das Ziel einer vernünftigen Einigung
teilt, der ist dadurch gehalten, Lösungen vorzuschlagen, denen alle
Konfliktparteien zustimmen können.
Er ist weiterhin gehalten, nur solche
Argumente zur Begründung der von ihm vertretenen Lösung einzubringen, die
ebenfalls für alle andern nachvollziehbar sind und von ihnen geteilt werden
können.
Für alle nachvollziehbar können m. E. nur solche Lösungen und
Begründungen sein, die unparteiisch und gleichermaßen wohlwollend sind.
Deshalb können Argumente nach dem Muster "… weil es für mich das Beste wäre"
nicht zählen.
Deshalb können auch Lösungsvorschläge nicht akzeptiert
werden, die der Vorschlagende selber nicht akzeptieren würde, wenn die Rollen
vertauscht wären. Denn das heißt, dass er die Lösung eigentlich selber nicht für
allgemein konsensfähig hält.
Auf das Beispiel bezogen heißt das, dass B
die Interessen von A genauso gewichten muss wie seine eigenen Interessen. Wenn B
das Konzert für wichtiger als den Kreislaufkollaps hält, dann müsste er für sich
selber ebenfalls so entscheiden.
Könnt ihr der Logik dieser
Argumentation folgen und wenn nicht, warum nicht?
fragt Eberhard.
p.s.: Offenbar haben Joy und Co. für jeden wichtigen Thread jemanden eingeteilt.
Eine gut organisierte Truppe.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?"man
Beitrag von
Wolfgang_Horn am 2007-04-01, 12:11 Uhr
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Hi, Eberhard,
Du: [i]In einem Interessenkonflikt gibt es mehrere
Möglichkeiten, zu entscheiden. Jede Alternative ist mit der Befriedigung
bestimmter Interessen und der Nicht-Befriedigung anderer Interessen verbunden.
Die Fragestellung lautet: Kann man die Interessen der Konfliktparteien
gewichten und den Konflikt entscheiden, indem man die Alternative wählt, bei der
diejenigen Interessen befriedigt werden, die am gewichtigsten sind?[i]
Nein, solange
a) "man" eine menschliche Person bezeichnet und nicht einen
Gott mit der Fähigkeit, Naturgesetze außer Kraft zu setzen,
b) die Parteien
ihr jeweiliges Interesse für wichtiger nehmen als das der anderen
c) und
"man" auch nicht zum Schmieren bereit ist (Beschwichtigen, indem "man" die
Interessen der Streithähne befriedigt) ("befriedigt" im doppelten Sinn).
Solange eines der Kriterien a)...c) nicht erfüllt ist, sehe ich Chancen. Im
Falle c) sehe ich bei jeder Reise eines Politikers in ein Streitgebiet einen
Teil meiner Steuergelder mitreisen.
Und bekannt ist wohl auch die Taktik
des Schau-Konfklikts, in dem sich zwei Wrestler beispielsweise lauthals streiten
und sogar zu kämpfen scheinen, um durch den Kampf gemeinsam Geld zu verdienen.
Zur Frage des "man": Dieser Schlichter benötigt die Legitimation durch jede
der streitenden Parteien.
Im Tarifkonflikt, wenn die Delegationen beider
Tarifparteien gemeinsam-demonstrativ die Nächte durchfechten, um ihrer jeweilige
Klientel zu verdeutlichen, wie hart sie ihren Job gemacht haben, dann genügt
auch ein Bundesarbeitsminister a.D., damit beide Delegationen meinen, nun sei
der Schau Genüge getan.
Eberhard, Deine Absicht, eine Methode der
Konflktlösung erarbeiten zu wollen durch lediglich Kalkulieren der Konstellation
der Interessen, das erleben wir bereits umgesetzt in beispielsweise
Routenplanern, Fahrzeugnavis. Dort könnten wir Weg A und Weg B zum Ziel als
Kontrahenden auffassen, und der Routenplaner kalkuliert einfach.
Sobald
es aber um Menschen geht, muß nachher jeder von ihnen überzeugt sein, er hätte
das Maximum herausgeholt - oder weiteres Streiten lohne sich nicht mehr.
Vor
der Entscheidung "ich bin überzeugt" geht uns Menschen mehr durch den Kopf als
nur die Kalkulation.
Deswegen - soillte mir als Trucker auf der via Mala
ein Schwächling entgegenkommen und hat nach meiner Berufsehre Vorfahrtsrecht,
dann lasse ich ihn fahren - und wenn er kein Recht, mir meines aber nicht gibt,
dann stelle ich ihn an die Seite. Basta.
Ciao
Wolfgang Horn
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
2007-04-01, 12:30 Uhr
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Hi Eberhard,
Quote:Nun kann jemand dies Ziel zwar ablehnen und
stattdessen auf seine überlegenen Möglichkeiten zur Durchsetzung seiner
Interessen vertrauen, jedoch hat er sich damit von vornherein als Amoralist zu
erkennen gegeben.
Er kann damit für sein Handeln in keiner Weise so
etwas wie allgemeine Richtigkeit oder Rechtfertigung beanspruchen. Er kann nur
seine überlegene Gewalt demonstrieren.
Die Moralphilosophie kann und
muss in einem solchen Fall nicht mehr tun als dies ganz klar zu machen. Alles
Weitere ist keine Frage der besseren Argumente sondern eine Frage der
überlegenen Macht.
Einverstanden.
Dieser Ansatz hat in
meinen Augen Hand und Fuß (wenn wir uns nicht von dem Wort 'Amoralität'
beeinflussen lassen, heißt, es rein als Beschreibung einer Tatsache ansehen und
alle Wertung außen vor lassen).
Das Interssanteste scheint mir die
allgemeine Gültigkeit zu sein, oder vielmehr, die Ablehnung der allgemeinen
Gültigkeit. Denn nun frage ich mich: ist das überhaupt möglich?
Denn
wenn man dies zum Prinzip abstrahiert, so folgt dem letztlich das Handeln ohne
jede Regel. Kann Robinson ohne jede Regel handeln? Ist es möglich zu handeln,
ohne dabei auf irgend eine Regel zu bauen - und wie sähe ein solches Handeln
aus?
Das führt nur scheinbar vom Thema weg. Denn wenn einer seine
persönlichen Interessen zum Maßstab seines Handelns macht, so ist auch dies eine
Regel, für die er Allgemeingültigkeit beansprucht. Begibt er sich damit nicht in
eine Paradoxie?
Laertes, lass die anderen Herrschaften in Ruhe. Es
reicht, wenn Du Deine Gesänge Abrazo widmest, der macht dat nix, die is dat
gewöhnt; aber andere sollst Du nicht damit belästigen.
Entschuldige,
Eberhard, aber mein Hofstaat hat leider lausige Manieren.
Gruß
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von laertes am
2007-04-01, 13:23 Uhr
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dem ebi tut ein liedchen gut,
jetzt steht er auf, fasst neuen mut.
konflikt, problem und interesse,
auf dass es ja niemand vergesse.
in
lösungsrichtung schreitet er
zum selbstgemachten problemmeer.
dort rudert
ebi, pass schön auf,
moral und ethik im verkauf.
doch fische wollen
nichts verwalten,
teilen, wägen, setzen, halten.
so wird zum köder ebi's
gut
was lösung meinte, führt zu blut.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hhmoeller am
2007-04-01, 19:50 Uhr
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AUFHÖREN!
Wie grausam kann das Lesen seim,
begengnet man laertes
Reim!
Viel schlimmer noch der Rhythmus holpert,
über den man beim
Durchlesen fürchterlich stolpert.
Der Inhalt ist an sich schon schwer,
doch Dichtkunst, die verlangt noch mehr:
Der Reim muß passen, welche Qual,
der Rhythmus auch, so ist's nun mal!
Des Dichters Kunst zu schwierig
ist,
d'rum kommt heraus nur großer Mist.
Des Klemptners Dichtkunst, das
wä'r besser
dein Steckenpferd als Herr der Wässer!
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von laertes am
2007-04-01, 22:40 Uhr
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du bist aber nicht gerade ein vorbild, moeller
Viel schlimmer noch der
Rhythmus holpert,
über den man beim Durchlesen fürchterlich stolpert.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Joy am
2007-04-01, 22:47 Uhr
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on 04/01/07 um 10:50:46, Eberhard wrote:p.s.: Offenbar haben Joy und Co.
für jeden wichtigen Thread jemanden eingeteilt. Eine gut organisierte Truppe.
Was sich alles so einbilden lässt...
Was sind denn
wichtige Threads?
Etwa die, wo blind moralisiert wird?
Joy
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-04-02, 10:10 Uhr
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Hallo allerseits,
in dem vorgestellten ethischen Ansatz wird kein
Schlichter vorausgesetzt, der den Konflikt entscheidet. Es ist die Aufgabe aller
Beteiligten, nach einem Konsens suchen. Dieser Konsens ist ein argumentativer
Konsens, der frei von irgendeiner Form des Zwanges sein muss.
Ein
Schlichter, der von allen Konfliktparteien gemeinsam bestellt wird mit dem
Versprechen, den Schiedsspruch dieses Schlichters als für sich verbindlich
anzuerkennen und zu befolgen, ist ein Verfahren, um verbindliche Normen zu
setzen, das schon von den Römern angewendet wurde.
Ein derartiges
Normsetzungsverfahren kann verbindliche Normen erzeugen. Die so gesetzten Normen
müssen jedoch nicht inhaltlich richtig sein im Sinne eines argumentativ
gewonnenen normativen Konsenses. Die Setzung von verbindlichen Normen und die
inhaltliche Bestimmung konsensfähiger Normen bewegen sich auf unterschiedlichen
Ebenen der Geltung.
Allerdings sind diese Ebenen nicht unabhängig
voneinander. Der Schlichter soll ja auch nicht willkürlich entscheiden, sondern
er sollte das Wohl aller Beteiligten im Auge haben und insofern wohlwollend
entscheiden und er sollte nach einer allgemein konsensfähigen Lösung streben,
also unparteiisch entscheiden.
Letztlich muss er jedoch nach "billigem
Ermessen" entscheiden, und zwar auch und gerade dann, wenn bestimmte Fragen
nicht mit Gewissheit beantwortet werden können und deshalb mehrere Lösungen
argumentativ vertretbar bleiben.
Deshalb kann gegen die Verbindlichkeit
des Schlichterspruches auch nicht mehr inhaltlich argumentiert werden in dem
Sinne, dass der Schlichterspruch in bestimmten Punkten von falschen Annahmen
ausgehe.
Die argumentative Interessenabwägung als solches verstehe ich
nicht als ein verbindliches Entscheidungsverfahren sondern als normativen
Orientierungspunkt für die Gestaltung und die Arbeitsweise der verschiedenen
sozialen Institutionen (Abstimmungen, Verträge, Gerichte, Hierarchien etc.), die
sozial verbindliche Normen setzen.
Die normsetzenden Institutionen sind
an dem möglichst deutlich herauszuarbeitenden Maßstab zu messen, der sich als
"Gemeinwohl" und "soziale Gerechtigkeit" aus der wohlwollenden und
unparteiischen Berücksichtigung aller Interessen im ethischen Diskurs ergibt.
Ich wiederhole meine Frage:
Könnt ihr der Logik dieser
Argumentation folgen und wenn nicht, warum nicht?
Um möglichst eng an
meinem Text festgemachte Kritik bittet
Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hedgi am
2007-04-02, 10:53 Uhr
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Sorry, ich kann der Logik deiner Argumentation nicht folgen.
Ein
Schlichter ist ein Kind dieser Gesellschaft und wird immer einen Standpunkt
begünstigen, weil auch er einen Erziehungsprozess durchlaufen ist.
Das
möglich Machbare in einem Dialog unter Gleichberechtigten, wäre die
konsensfähigen Punkte herauszustellen. Dann könnte es leichter fallen, sich auf
einen Kompromiss zu einigen, der von allen Beteiligten getragen werden kann. Es
gibt aber sich unversöhnlich gegenüber stehende Interessen, die vom Schlichter
nur willkürlich entschieden werden können. Dann muss der sich benachteiligt
fühlende entscheiden, ob er sich weiterhin wehren will, oder sich beugen soll.
Quote:Der Schlichter sollte das Wohl aller Beteiligten im Auge haben.
Es gibt Unmöglichkeiten, die eben genannte Forderung ist so eine.
Quote:Ein Schlichterspruch soll auch nicht mehr inhaltlich
argumentiert werden in dem Sinne, dass er von falschen Annahmen ausgehen könnte
Das würde in Despotismus ausarten.
Die normsetzenden
Institutionen selbst sind widersprüchlich, weil sie vorgeben, sich am
"Gemeinwohl" und der "sozialen Gerechtigkeit" zu orientieren, aber von der Lobby
der herrschenden Klasse besetzt sind und die, um die es letztendlich geht, mit
keiner Stimme in den Institutionen vertreten sind.
Um die es geht, das
sind die Individuen der beherrschten klasse, um die wir uns angeblich sorgen.
hedgi
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hhmoeller am
2007-04-02, 17:24 Uhr
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on 04/01/07 um 22:40:41, laertes wrote:du bist aber nicht gerade ein
vorbild, moeller
Viel schlimmer noch der Rhythmus holpert,
über den
man beim Durchlesen fürchterlich stolpert.
Aber Du bist meines!
Wie wär's damit?
Des Klemptners Dichtkunst, Herr der Wässer,
ist Dein Talent, das kannst Du besser!
oder auch nicht!
Des
Klemptners Dichtkunst, Herr der Wässer,
beherrschst Du, fürcht' ich, auch
nicht besser!
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von laertes am
2007-04-02, 17:33 Uhr
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gut gemacht
takt vollbracht!
zäsuren ehre auch,
sie weiten engen
brauch.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von weatherlady
am 2007-04-02, 22:00 Uhr
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Dia dhuit!
Hallo Eberhard.
Ich verstehe deine Argumentation. Freut
mich, dass du auch meinen Gedankensprüngen folgen kannst.
Ein Problem
deiner Voraussetzung ist, dass du von einem Konflikt ausgehst, bei dem zwei
Menschen je ein Interesse haben (oder nicht?). A will leben, B will ans Konzert.
Ich glaube nicht, dass man einen Menschen auf ein Interesse reduzieren kann.
Sein Ziel auf X festlegen und alles andere ausser vor lassen.
Was ein Mensch
will ist ein Komplex aus verschiedenen Interessen, die er alle neben- oder
nacheinander zu befriedigen sucht.
Der Versuch einen allgemeinen Lösungsweg
für Konflikte zwischen zwei Parteien zu finden ist gut, aber ich fürchte, dass
die Voraussetzungen, welche du im Leben vorfindest (Interssenskomplexe,
Egoismus, Launen, ungleiche Voraussetzungen der Parteien für die Gewichtung der
Interesen, sprachliche Verständigung, bzw. das Nachvollziehen der Gründe der
anderen Partei als Hinderniss,...), zu kompliziert sind, als dass sie sich in in
einzelne Gruppen und Ereignissketten gliedern lassen.
Das ist wie bei einem
Computerprogram. Wenn der Computer alle erfoderlichen Daten hat, kann er mit
Eberhards-Lösungs-Program jeden Konflikt nach demselben Muster lösen.
Es gibt
zu viele mögliche "Zustände", zu viele Bedingungen (wenn Feld A1 gleich 3, dann
Feld A2 gleich 5, wenn Feld B4 gleich 77, ausser Feld F4 sei 8 oder 7...).
Aber vielleicht blicke ich nicht durch und es gibt für jeden Konflikt einen
roten Faden, dem man folgen kann.
Allerdings bin ich der Meinung, dass
ein unparteiischer Richter durchaus neutral richten kann. Er kann sich von
seinen anerzogenen Werten für eine Weile lossagen. Alles im Rahmen des ihm
Möglichen. Aber, das ist jetzt nicht Hauptdiskussionspunkt.
weatherlady
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
2007-04-02, 23:34 Uhr
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Ne, et geht nich mehr, et is nich mehr zu unterdrücken, et muss eraus.
Laertes, wenn in einem ansonsten flüssigen Gedicht, das sich mit
stümperhaft-stolperndem Rhythmus befasst, plötzlich eine Zeile in
stümperhaft-stolperndem Rhythmus steht -
DANN IS DAT ABSICHT!
Dat dient zu
Demonstrationszwecken.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von laertes am
2007-04-03, 02:14 Uhr
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eben, meine liebe!
eben!
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Joy am
2007-04-03, 04:46 Uhr
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on 04/02/07 um 23:34:21, Abrazo wrote:Ne, et geht nich mehr, et is nich
mehr zu unterdrücken, et muss eraus.
Laertes, wenn in einem ansonsten
flüssigen Gedicht, das sich mit stümperhaft-stolperndem Rhythmus befasst,
plötzlich eine Zeile in stümperhaft-stolperndem Rhythmus steht -
DANN IS DAT
ABSICHT!
Dat dient zu Demonstrationszwecken.
on
04/03/07 um 02:14:35, laertes wrote:eben, meine liebe!
eben!
Naja, das alte Lied, dass Abrazo genau das eben nicht erkennt. Hätte sie sonst
das geschrieben, was sie geschrieben hat? Ihr Kommentar offenbart ja geradezu
ihre Unkenntnis, die sie in ihrem Kommentar bestreitet. Abrazo, so meine ich,
versteht eigentlich gar nichts, noch nicht einmal, um was es eigentlich geht...
Daher ja auch stets ihre geistig völlig konfusen Kommentare. :-)
Joy
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn
am 2007-04-03, 08:39 Uhr
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Hi, weatherlady
Du: Ich glaube nicht, dass man einen Menschen auf
ein Interesse reduzieren kann. Sein Ziel auf X festlegen und alles andere ausser
vor lassen.
Richtig, "man" kann das nicht. Aber jeder kann in seiner
eigenen Not entscheiden, was ihm wichtiger ist.
Zu lesen in großen Dramen bei
Homer, Bibel, Shakespeare, Goethe und Schiller, vermutlich in jedem Drama, das
groß genannt wird.
Voraussetzung: Der Einzelne hat die Not dazu.
Freiwillig tut das wohl keiner.
"Messy" nennt man wohl die Leute, deren
Wohnung zur Gerümpelbude verkommen, weil sie nichts aufgeben können.
Wie ich
meine elektronischen Bauteile zum Basteln oder meine Oma damals ihre Sammlung
Knöpfe zum Nähen - man hat eigentlich zu viel, aber wenn man dann doch mal etwas
braucht, dann fehlt genau das...
Solche Personen sind als Vorgesetzte
untauglich, denn bis sie sich auf ein Ziel fokussiert haben und es erreichen,
ist die Konkurrenz schon dagewesen.
Ihnen fehlt wohl das Dramatische im
Leben. Ich vermute, eine Vertreibung, einmal bittere Not, und dann weiß man
wieder, wofür sich das Leben lohnt.
Ciao
Wolfgang Horn
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-04-03, 18:13 Uhr
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Hallo allerseits,
bevor ich auf Kritik eingehe, will ich noch mal meine
Argumentationsstrategie verdeutlichen.
Ich wende mich gegen die - weit
verbreitete - Auffassung, dass ein allgemeingültiger Vergleich der Gewichtigkeit
bzw. Dringlichkeit von Interessen verschiedener Personen (ein "interpersonaler
Nutzenvergleich") prinzipiell nicht möglich sei, weil es sich dabei um
Werturteile handele.
In anderen Begriffen formuliert lautet diese
These: Der Wert, den Alternative x für Person A hat, kann nicht mit dem Wert
verglichen werden, den Alternative y für Person B hat.
Um diese Position
anzugreifen, habe ich bewusst ein sehr einfaches und drastisches 2-Personen mit
nur 2 Alternativen gewählt. (Damit sind die Fragen von wheatherlady wohl
beantwortet.)
In diesem Beispiel vertritt A die Ansicht, dass sein
Konzertgenuss wichtiger sei als der Wunsch von B, in Lebensgefahr Hilfe zu
bekommen.
Wer eine Abwägung der Gewichtigkeit dieser Interessen
verschiedener Personen für unmöglich hält, kann gegen die Ansicht von A nichts
einwenden. Damit nimmt er allerdings eine etwas ungemütliche Position gegenüber
seinen Mitmenschen ein.
Wer eine solche Position jedoch nicht einnehmen
möchte sondern der Meinung ist, dass die Rettung eines Menschen aus Lebensgefahr
gegenüber dem Konzertgenuss eines anderen Menschen größeres Gewicht bzw. Vorrang
besitzt, der müsste sagen, wie er diesen interpersonalen Wertvergleich
nachvollziehbar begründet.
Bisher sehe ich dazu noch wenig klare
Stellungnahmen.
Zu den Einwänden von Hedgi gegen das
Schlichtungsverfahren und allgemein gegen die Interessenabwägung:
Die
Schlichtung im Sinne einer freiwilligen Gerichtsbarkeit der Konfliktparteien ist
m. E. dort von Bedeutung, wo psychologische Mechanismen zur Eskalierung des
Konflikts und zum Abbruch des Gesprächs zwischen den Parteien führen. Sie stellt
keineswegs das dominierende Entscheidungsverfahren dar.
Dass eine
unparteiische Schlichtung grundsätzlich unmöglich ist, kann ich nicht einsehen.
Ein Schlichter der "befangen" ist, muss durch einen Schlichter ersetzt werden,
der sich nicht mit einer der Parteien identifiziert.
Wichtig ist
natürlich die möglichst genaue Herausarbeitung dessen, was eine wohlwollende und
unparteiische Berücksichtigung der Interessen ausmacht und wie dabei im
Einzelnen vorzugehen ist, um zu intersubjektiv übereinstimmenden Gewichtungen zu
kommen. Auf diesem -von den Philosophen weitgehend vernachlässigten - Bereich
ist noch reichlich zu tun.
Dass es Interessen gibt, die sich
unversöhnlich gegenüberstehen ist m. E. kein Grund gegen eine Gewichtung und
wertende Beurteilung dieser Interessen.
Zu Deiner Kritik der
bestehenden gesellschaftlichen Ordnung als Herrschaft einer Klasse über eine
andere. Die sich unversöhnlich gegenüberstehenden Klasseninteressen und die
unüberwindlichen ideologischen Schranken ("Das gesellschaftliche Sein der
Menschen bestimmt ihr Bewusstsein") machen Deiner Meinung nach eine
allgemeingültige Interessenabwägung unmöglich.
Dies ist nicht
einsichtig, denn in dem von mir eingebrachten Beispiel handelt es sich ebenfalls
um entgegengesetzte Interessen, die keinen Kompromiss oder "Mittelweg" zulassen.
Ich halte es auch nicht für prinzipiell ausgeschlossen, dass man bei
wohlwollender und unparteiischer Berücksichtigung aller Interessen zu dem
Schluss kommt, dass eine andere Gesellschaftsordnung als die bestehende die
überwiegenden Interessen auf ihrer Seite hat. Denkbar ist z. B. die Position
eines ethisch begründeten Sozialismus.
Ich sehe allerdings gegenwärtig
keine ernst zu nehmende leistungsfähige Alternative zum System einer
parlamentarisch korrigierten Marktwirtschaft.
Solange dies so ist,
haben nicht nur die Kapitaleigner sondern auch die abhängig Beschäftigten ein
Interesse am Funktionieren des parlamentarisch-marktwirtschaftlichen Systems.
Solange die gesellschaftliche Umwälzung nicht auf der Tagesordnung steht,
haben sowohl die Kapitaleigner wie auch die abhängig Beschäftigten ein Interesse
an der Rentabilität ihres Betriebes.
Solange reiche Staaten für ihre
Bevölkerung erhebliche wirtschaftliche Vorteile gegenüber ärmeren Staaten
erlangen, solange wird der kollektive Egoismus der Staatsvölker, der
Nationalismus, ein stärkeres Gewicht haben als die Gemeinsamkeiten aufgrund der
Zugehörigkeit zur selben ökonomischen Klasse. Der Aufruf: "Proletarier aller
Länder! Vereinigt Euch!" stößt deshalb nur auf geringe Resonanz.
Grüße
an alle Interessierten und auch an die, die durch Spielchen am Rande unsere
Diskussion begleiten, von
Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von laertes am
2007-04-03, 18:40 Uhr
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"Grüße an alle Interessierten und auch an die, die durch Spielchen am Rande
unsere Diskussion begleiten, von
Eberhard."
ein bisschen
erfrischung im parlamentarisch-marktwirtschaftlichen tut doch gut!
wünsche schönen abend
laertes
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hythlodeus am
2007-04-03, 21:41 Uhr
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[user]
Hallo Eberhard,
du hast leider vergessen in deiner
Beschreibung den Aspekt zu berücksichtigen, dass je mehr As mit x und Bs mit y
eine Vielfaches von Entscheidungen zu einem Konzertbesuch oder Lebensrettung
vorhanden sind.
Die Ebenen von 2 Involvierten in deinem Beispiel führt
bei aufsteigender Personen Zahl zu anderen Ergebnissen.
Beweis:
Ungelöste Probleme nehmen in der Vielzahl und der Vielschichtigkeit zu, je mehr
Personen an der selben Sachen knabbern.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
2007-04-03, 23:26 Uhr
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Hi Eberhard,
was ist eigentlich Dein Problem und worauf willst Du
hinaus?
Es gibt Richter, Streitschlichter, Schiedsmänner, Mediatoren usw. und
vergleichbares schon seit etlichen hundert oder gar tausend Jahren in den
unterschiedlichsten Kulturen. Das wird Dir nicht unbekannt sein, also - was
willst Du eigentlich?
Gruß
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-04-04, 06:39 Uhr
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Ich will zeigen, dass eine Wertethik möglich ist.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn
am 2007-04-04, 09:11 Uhr
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Hi, Eberhard,
Du: Ich will zeigen, dass eine Wertethik möglich ist.
"Wert-ethik", das ist doppelt gemoppelt.
Die Wortwahl nehme ich als
Indiz, Deine Begeisterung war schneller als Deine Reflektion.
Ich habe
Dich so verstanden
1. Du willst gedanklich probieren, ob eine
allgemeingültige, objektive Befriedungsmethode machbar sei. Kein Unkraut-Ex,
sondern Streit-Ex. Das auf jeden Streit angewendet werden könne und nur zwei
Lösungen kennt:
a) die Streitenden streiten nicht mehr
b) mindestens
einer der Streitenden wird aus der Gesellschaft verbannt mit dem Urteil, er sei
eine unethische Person, die das Wertesystem der Gesellschaft, exekutiert durch
Streit-Ex, nicht angenommen habe.
2. In weiser Voraussicht der
Problematik der Umsetzung (deshalb habe ich das Wort "exekutiert" gewählt) hast
Du diese ausgeklammert, Dir ginge es erstmal nur um die Kalkulation der
Interessenabwägung.
Grundsätzllich halte ich solche
Gedankenspielereien "was wäre, wenn" für sinnvoll.
Denn so erkennen wir die
Grenzen zwischen Machbarem und Nicht-Machbarem klarer.
Ich halte
Streit-Ex für nicht machbar in einer Gesellschaft von Individuen. Warum, habe
ich schon in meiner ersten Antwort ausführlich dargelegt.
Ein weiterer
Gedanke: Würde eine Gesellschaft Streit-Ex anerkennen und sich ihm unterwerfen,
wäre das die Sofort-Erstarrung dieser Gesellschaft. Null Fortschritt. Die
Ewiggestrigkeit sofort.
Warum? Weil Konflikte das Begleitgeräusch des
Fortschritts sind.
Die einen in der Gesellschaft denken flinker als die
anderen, die dritten sogar so flink, daß sie sich auf Holzwege verirren und
zurückgepfiffen werden müssen.
Streit-Ex würde die Auseinandersetzungen des
Fortschritts als gesellschaftsschädlich verhindern.
Schon jetzt, in der
aktuellen politischen Lage, erleben wir, wie jede Auseinandersetzung in einer
Partei um die beste Lösung von Journalisten zerrissen wird als "Streit, bäh,
pfui".
Diese Journalisten sind im Herzen böse Antidemokraten, weil sie der
Demokratie das notwendige Mittel der Auseinandersetzung verbieten wollen.
Ciao
Wolfgang Horn
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung??
Beitrag von Abrazo am
2007-04-04, 09:54 Uhr
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Hi Eberhard,
dann sage mir, wie eine Wertethik möglich sein soll ohne
Wert.
Müsste nicht erst einmal untersucht werden, was Wert überhaupt ist? Was
damit gemeint ist?
Mit dem Wert des Euro gegenüber dem Dollar ist doch
offenbar etwas anderes gemeint als mit dem Wert eines Bauwerkes, das zum
Weltkulturerbe erklärt wird.
Gruß
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hedgi am
2007-04-04, 15:35 Uhr
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Es geht noch einmal um das für und wider von Schlichtern.
Wir können
uns zwischen verschiedenen Alternativen entscheiden, und werden bei jeder etwas
finden, das einer Lösung bestehender Konflikte entgegensteht. Wir können dann
von Fall zu Fall uns für die uns am besten geeignete Lösung entscheiden.
Fall 1: Konflikte zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften werden oft über einen
Schlichter versucht zu lösen. Vom Schlichter wird einerseits erwartet, dass er
über ökonomisches Expertenwissen verfügt, anderseits soll er sich völlig
unparteiisch verhalten. Das sind zwei sich widersprechende Forderungen, weil ein
Schlichter gewöhnlich eine leitende Position in der Wirtschaft innehatte. Ein
völlig vom ökonomischen Wissen Unbeleckter würde dieser Aufgabe völlig hilflos
gegenüberstehen. Eine leitende Position in der Wirtschaft konnte er aber nur
einnehmen, weil er sich mit den wirtschaftlichen Interessen seiner Auftraggeber
identifizierte. Um seiner Aufgabe als Schlichter gerecht zu werden, müsste er
all das vergessen, wofür er sein Leben lang gestanden hat. Da niemand seine
Lebenserfahrungen von einem Moment zum anderen ablegen kann, ist er gezwungen,
zumindest eine Seite der streitenden Parteien zu täuschen.
Fall 2: In
entscheidenden Fragen, wie der Verabschiedung von Verfassungen, könnten
Volksbefragungen die beste Alternative darstellen. Damit ist sicherlich nicht
die beste Lösung sichergestellt. Aber diese Alternative ist auf jeden Fall die
bessere, als wenn die Abgeordneten über die Köpfe der Bevölkerung hinweg
entscheiden, die dazu verurteilt ist mit dieser Verfassung zu leben. Wir sind
uns natürlich darüber im Klaren, die Leute, die die Unternehmen im Staat
besitzen, haben alle Möglichkeiten über ihre Presse Meinungen wie Wachs in ihrem
Sinne zu formen. Dass Entscheidungen des Volkes unzuverlässig sind, konnten wir
am Beispiel der Athener sehen, als sie über das weitere Schicksal Sokrates
abstimmten. Sokrates wurde zum Tode verurteilt, weil er mit seiner Philosophie
die Jugend verdorben haben soll. Diese Gefahr der Fehlentscheidungen eines nicht
aufgeklärten Volkes erscheint mir immer noch das kleinere Übel zu sein, als wenn
wir uns einer despotischen Instanz ausliefern. Despotisch sind Entscheidungen im
Parlament, die nicht im Interesse des Volkes sind, deren Folgen der Bürger erst
zu spüren bekommt, wenn es zu spät ist.
Die von mir eingewendeten sich
gegenüberstehenden Klasseninteressen könnten neutral verhandelt werden, gäbe es
eine neutrale Instanz, die die Bezeichnung neutral verdient. Nehmen wir als
Beispiel die UNO, diese Organisation gibt vor neutral und gerecht zu
entscheiden. Sie wird aber vom militärisch mächtigsten Staat der Welt dominiert.
Das konnten wir am Beispiel als die Entscheidung, Krieg gegen den Irak anstand,
sehen. Die angeblichen Beweise über MVW waren derartig fadenscheinig, sodass es
offensichtlich wurde, der USA war es völlig egal, ob die anderen Staaten von der
Notwendigkeit eines Überfalles auf den Irak überzeugt waren.
Da wir nun
die vielen Widersprüche in unserer Gesellschaft erkennen, die die Ursache sind,
dass in vielen Angelegenheiten von den Verhandelnden kein Konsens erreicht wird,
ist das Sache der Politiker praktisch zu handeln und sich durch die Probleme
hindurchzulavieren. Mit Philosophie hat das nicht viel zu tun, denn ein
Philosoph kann einem Schlichter keine Verhaltensregeln für seinen Fall geben. Es
ist Sache der Philosophen zu überlegen, wie wir aus dem mit unserem System
verbundenen Dilemma herauskommen können. Es ist keine Frage mehr zwischen
bekannten Systemen. Dass wir mit dem sozialistischen System nicht weiterkommen,
wissen wir inzwischen. Gefragt ist vielmehr eine Synthese aus den
gegensätzlichen Interessen der Klasse, die die Reichtümer des Landes besitzen,
und der Klasse, die dadurch in Abhängigkeit gerieten, weil einige wenige alle
Reichtümer dieser Welt besitzen.
Die unterschiedlichen
Klasseninteressen sind nicht Verhandlungsgegenstand heutiger Politik. Sie sind
vorhanden, und sorgen für ein stetiges Anwachsen der Spannungen. Was über
scheinbare Schlichter versucht werden kann, bestehende Spannungsspitzen
abzubauen, sodass eine unkontrollierte Entladung auf einen Zeitpunkt in ferner
Zukunft verschoben werden kann.
hedgi
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-04-04, 15:38 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Abrazo,
wenn ich die Interessen der an einem
Konflikt beteiligten Parteien in ihrer Gewichtigkeit abwäge, um zu entscheiden,
welches Interesse Vorrang besitzt und befriedigt werden sollte, dann bewerte ich
die Interessen. Die jeweilige Terminologie ist erstmal zweitrangig, ob ich nun
von Wille, Interesse, Nutzen oder Wert spreche, ist nicht entscheidend, solange
die Frage klar ist, um die es geht.
Deshalb noch einmal meine Frage, die
jeder möglichst beantworten sollte:
Besitzt der Wunsch (der Wille, das
Interesse) eines Menschen nach Hilfe in Lebensgefahr ein größeres Gewicht (einen
größeren Wert) als der Wunsch (der Wille, das Interesse) eines Menschen nach
ungeschmälertem Konzertgenuss?
Bitte begründet Eure Antwort.
Dass diess nicht zuviel verlangt ist, hofft
Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von laertes am
2007-04-04, 16:37 Uhr
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wer stellt die waage her?
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hedgi am
2007-04-04, 19:59 Uhr
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Erste Priorität für Hilfe von Menschen in Lebensgefahr, dann zweitrangige
Freuden durch Genuss, sollte prinzipiell die Reihenfolge unserer Werte sein, und
das ohne Ausnahme.
Ich meine damit, das sollten nicht nur Werte des
kleinen Mannes sein, über die Menschen aus gehobenen Kreisen stehen dürfen.
Ist unser Wertesystem noch in Ordnung, wenn wir Tornados in ein Land
schicken, um gemeinsam mit unseren Verbündeten Leben auszulöschen, in einem Land
in dem wir nichts verloren haben. Dort geht es nur um die Sicherung eines
Vergnügens unserer Wirtschaftsführer, nämlich um die Ausbreitung ihrer Macht.
Werte können nur Bestand haben, wenn sie prinzipiell Gültigkeit haben
und nicht, wenn das nur für eine Klasse gelten soll.
hedgi
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-04-04, 22:15 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo Hedgi,
Du bewertest den Wunsch nach Erhaltung
des eigenen Lebens höher als den Wunsch nach einem ungeschmälerten
Konzertgenuss.
Ich bin der gleichen Ansicht.
Frage: Wie kann
man dies begründen gegenüber jemandem, der das Gegenteil behauptet?
Grüße an alle, die noch überlegen von
Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
2007-04-04, 22:47 Uhr
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Da ich langsam etwas ungeduldig werde, lieber Eberhard, habe ich mal gebuddelt,
nach dem Motto: da war doch mal was.
Kursbuch 60 von 1980
In einem
Essay wird der Rechtsphilosoph Gustav Radbruch zitiert:
"Der
transpersonalen Auffassung gibt das Wort Kurt Eisners Ausdruck: 'Ich wenigstens
werte mein Leben nicht so hoch wie die Schöpfung ewiger Kunst und schätze die
Kunst nicht so niedrig ein, dass sie weniger wert sei als lebendige Wesen' , wie
jenes andere, unsäglich harte Wort: 'Eine Statue des Phidias wiegt alles Elend
der Millionen antiker Sklaven auf' (Treitschke) ... Als der Tempel auf der
Nilinsel Philä einer Bewässerungsanlage geopfert wurde, erhob Sir George
Birdwood darüber in der Öffentlichkeit Klage. Darauf richtete Sir George Knollys
an ihn die Frage: Was würde Sir George Birdwood tun, wenn er sich in einem
brennenden Haus allein befände mit einem lebenden Kinde und der Dresdener
Madonna Raffaels? Sir George Birdwood erwiderte, er würde der Dresdener Madonna
den Vorzug geben." (Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie, (5) 1956, S. 150)
So. Nu redet weiter.
Gruß
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hedgi am
2007-04-05, 00:56 Uhr
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Eberhard schrieb:
Quote:Du bewertest den Wunsch nach Erhaltung des eigenen
Lebens höher als den Wunsch nach einem ungeschmälerten Konzertgenuss.
Frage: Wie kann man dies begründen gegenüber jemandem, der das Gegenteil
behauptet?
In diesem thread ging es vielmehr um die
allgemeine Frage nach Hilfe für in Gefahr geratene Menschen in Lebensgefahr.
Dies ist etwas anderes, als wenn es nur um persönliche Belange gehen soll.
Wenn jemand einem nicht allgemeingültigen Wertesystem folgt, kann man ihn
überhaupt nicht überzeugen und deren Einhaltung nur noch erzwingen, so wie das
in unserem Staat üblich ist.
Dazu möchte ich auf den §323c des StGB
(http://dejure.org/gesetze/StGB/323c.html) hinweisen.
hedgi
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Sheelina am
2007-04-05, 06:47 Uhr
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Guten Morgen Eberhard, hedgi, Wolfgang_Horn, hytlodeus, weatherlady... und alle
Achtung, vielleicht interessantes: [smiley=schilder0367.gif] für Euch, aber
eher so --> :-) --> Es organisiert sich grade ein Philtalkreallivetreffen. Es
wäre schön, wenn Ihr Euch auch beteiligen könntet und mitteilt, ob ihr
vielleicht auch kommen möchtet.
http://www.philtalk.de/msg/1175486433.htm
Kurze zusammenfassende
aktuelle Informationen (wer zum derzeitigen Stand teilnehmen möchte, wo, etc.
findet ihr in Antwort 10 und 18).
Mir scheint, dass Interessenabwägung
dann in Frage kommt, wenn keine Problemlösung gefunden werden kann.
Interessenabwägung hat ja zur Lösung entweder ein Ja und ein Nein bzw. ein Für
und Dagegen von dem Gegenübergestelltem. Wenn ich versuche Probleme zu lösen,
dann steht am Ende z.B. ein gewünschtes Ja, nur die Frage ist, wie können wir
das erreichen? Wenn mich nicht alles täuscht.
viele Grüße
Sheelina
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-04-05, 22:08 Uhr
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Hallo allerseits,
ich hatte in der Einleitung zu dieser Diskussion
geschrieben:
"Frage ist, ob und wie sich die Interessen verschiedener
Individuen in ihrer Gewichtigkeit intersubjektiv vergleichbar einschätzen oder
messen lassen. Ich bin der Ansicht, dass dies - trotz aller Probleme -
grundsätzlich möglich ist."
Das Problem stellt sich für mich
folgendermaßen dar:
Es gibt Konflikte zwischen Menschen, insofern als
sich die Ziele, die Menschen verfolgen, das was sie wollen, ihre Interessen,
nicht immer miteinander vereinbaren lassen. Es können nicht alle Interessen
befriedigt werden. Damit ist der Konflikt gegeben und es stellt sich die Frage,
wer sich mit seinen Interessen durchsetzt.
Wenn dies allein den
bestehenden Stärkeverhältnissen überlassen bleibt, kommt es zum Kampf, in dem
die Partei mit der überlegenen Kraft siegt. Oft genügt schon die Drohung mit der
überlegenen Stärke, um sich durchzusetzen. Das Beste, was dabei herauskommen
kann, ist eine Hackordnung, die von Zeit zu Zeit in Frage gestellt wird, das so
genannte "Recht" des Stärkeren.
Wenn man dies nicht will, wenn man den
Konflikt nicht immer im Sinne des Stärkeren entscheiden will, dann muss man
versuchen, sich - gewaltfrei - zu einigen. Das heißt, aus den widerstreitenden
Interessen muss ein gemeinsames Interesse gebildet werden, es muss nach der
Lösung gesucht werden, die am ehesten konsensfähig ist.
Auf das Beispiel
"Lebensrettung oder Konzertgenuss" bezogen heißt das, es müssen Wege gefunden
oder gebahnt werden, um zu einer gemeinsamen Einschätzung darüber zu gelangen,
wie der Konflikt für alle Beteiligten gemeinsam am besten zu lösen ist.
Mit der Formulierung "es müssen Wege gebahnt werden" will ich deutlich machen,
dass es sich bei der Herstellung eines Konsens um eine konstruktive Aufgabe
handelt. Es ist also nicht so, dass man nur nachsehen muss: "Sind sich die
Parteien einig oder nicht?" und dementsprechend das Kriterium des gewaltfrei
erzielten Konsens für brauchbar oder für gescheitert erklären kann.
Die
Wege zum gewaltfreien Konsens müssen durch Nachdenken und Ausprobieren erst
gebahnt und argumentativ begründet werden. Allgemeingültigkeit von Normen und
Werten liegt nicht einfach vor oder auch nicht, sondern ist durch unser
gemeinsames Bemühen erst zu schaffen.
Soweit die allgemeine
Vorbemerkung.
Nun zum konkreten Beispiel. Das Beispiel ist so
konstruiert, dass es nur zwei Lösungen gibt:
Alternative 1: A bleibt
mit Kreislaufkollaps liegen und B kommt rechtzeitig zum Konzert und
Alternative 2: B leistet A Hilfe (ruft einen Notarzt etc.) und versäumt den 1.
Satz der 3. Sinfonie von Beethoven (oder auch die ersten 3 Stücke von Lionel
Ritchies Tourneeprogramm).
Alternative 1 ist für B besser (hat für B
einen größeren individuellen Wert, wird von B vorgezogen, hat für B einen
größeren individuellen Nutzen).
Alternative 2 ist für A besser (hat für
A einen größeren individuellen Wert, wird von A vorgezogen, hat für A einen
größeren individuellen Nutzen).
Die Aufgabe besteht in der Einigung
darüber, welche der beiden Alternativen für beide gemeinsam besser ist (welche
Alternative für A und B gemeinsam einen größeren kollektiven Wert hat, welche
Alternative von A und B gemeinsam am ehesten gewollt bzw. vorgezogen werden
kann, welche Alternative für A und B gemeinsam einen größeren kollektiven Nutzen
hat).
Ich halte diese Fragen nicht für sinnlos und auch nicht für
unbeantwortbar.
(Ich hoffe, es ist klar geworden, in welchem Sinne ich
das Wort "Wert" hier benutze. "Wert" ist immer "Wert für jemanden". "Werte"
stehen nicht wie die Sterne am Himmel und auch nicht als nicht-hinterfragbares
Urgestein im Grundgesetz.)
Grüße an alle, die die aufgeworfenen Fragen
ruhig und gründlich durchdenken wollen, von
Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
2007-04-05, 22:58 Uhr
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Also gut.
Damit es weiter geht - ich halte nicht viel von Fragen, die keine
sind - es dürfte zu einem weitgehenden Konsens darüber kommen, dass einer, der
auf dem Weg zu seinem vierzehntägigen Konzertabonnement ist, dieses Konzert
wenigstens teilweise sausen lassen wird, um einem sauber gewaschenen normalen
Durchschnittsbürger Hilfe zu leisten, der zusammengebrochen ist.
So.
Und
nu weiter?
Gruß
P.S.:
Quote:Ich hoffe, es ist klar
geworden, in welchem Sinne ich das Wort "Wert" hier benutze. "Wert" ist immer
"Wert für jemanden". "Werte" stehen nicht wie die Sterne am Himmel und auch
nicht als nicht-hinterfragbares Urgestein im Grundgesetz.
Philosophen sind aber hartnäckige Zweifler.
Die fragen auch, was denn mit
Wert überhaupt gemeint ist und wieso es so etwas wie Wert, egal für wen,
überhaupt gibt.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von laertes am
2007-04-06, 02:50 Uhr
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abrazo merkt was.
eberhard tendiert dazu, probleme herzustellen, statt
sie aufzulösen.
gefangen in den klauen der eigenen trockenen theorien,
möchte er wenigstens auch ein paar andere in seinen vorschlägen mitgefangen
wissen, um die welt der ethik mit sozialer engreibung aufzubauen.
meint laertes
und grüsst alle teilnehmer, die sich nicht einteilen
lassen wollen.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-04-06, 09:10 Uhr
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Hoffentlich bin ich nicht der Alptraum Deiner schlaflosen Nächte ...
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-04-06, 10:11 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Abrazo,
Philosophen sind nicht nur hartnäckige
Zweifler, sie sind auch sehr genau - oder sollten es doch zumindest sein.
Das Problem, um das es mir geht, ist die Frage, ob und wie man angesichts
widerstreitender Interessen (Willensinhalte, individueller Werte oder Nutzen) zu
einer Einigung kommen kann, zu einem gemeinsamen Interesse (Willen, Wertung,
Nutzen).
Ich habe die Ansicht geäußert, dass das Interesse von A an
Hilfeleistung gewichtiger ist als das Interesse von B am Konzert. Wer diese
Ansicht teilt, muss sich als hartnäckig fragender Philosoph auch fragen, wie ein
solches Urteil begründet werden kann.
Was dagegen in einer solchen
Situation tatsächlich geschieht, ist eine empirische Frage und steht auf einem
anderen Blatt. Deshalb verfehlst Du das Problem, wenn Du schreibst:
" …
es dürfte zu einem weitgehenden Konsens darüber kommen, dass einer, der auf dem
Weg zu seinem vierzehntägigen Konzertabonnement ist, dieses Konzert wenigstens
teilweise sausen lassen wird, um einem sauber gewaschenen normalen
Durchschnittsbürger Hilfe zu leisten, der zusammengebrochen ist."
(Kürzlich gab es übrigens eine Fernsehsendung, in der solche Notsituationen
simuliert wurden, um die Reaktionen der Passanten zu testen. Die Ergebnisse
waren eher niederschmetternd.)
Ohne hier eine abgehobene Diskussion über
die Wörter "bewerten" oder "Wert" anfangen zu wollen, dienen Wertbegriffe wie
"gut" und "besser" bzw. "schlecht" und "schlechter" nach meinem Verständnis der
Anleitung des Handeins: Wenn x besser ist (einen größeren Wert besitzt) als y,
dann sollte im Falle einer Entscheidung zwischen x und y die Alternative x
gewählt (gefördert, erhalten, verstärkt etc.) werden. Wenn man etwas positiv
wertet, empfiehlt man etwas.
Man muss bei Wertbegriffen jedoch
vorsichtig sein, weil sie auch deskriptiv verwendet werden, etwa wenn man die
Werthaltungen einer Person beschreibt.
Außerdem entsteht Verwirrung
dadurch, dass das positiv bewertete Objekt selber als "Wert" bezeichnet wird,
wobei dann "Wert" dem entspricht, was man gewöhnlich ein "Gut" nennt.
Man muss je nach der Art des Subjektes unterscheiden zwischen individuellen
Werten ("Welchen Wert hat x für mich bzw. für A?") und kollektiven Werten
("Welchen Wert hat x für uns bzw. für A und B gemeinsam?").
Wenn von
Werten die Rede ist, ohne dass der Bezug zu einem Subjekt hersgestellt wird,
dann handelt es sich gewöhnlich nicht um "Werte an sich" sondern um allgemeine
Werte, also Werte für alle gemeinsam.
Ich hoffe, damit ist der
philosophischen Zunft und ihren Regeln erstmal genüge getan.
Wie bereits
gesagt: Mir kommt es darauf an, dass die Problemstellung richtig verstanden wird
und wenn möglich auch akzeptiert wird. Nur dann hat es Sinn, weiter zu
diskutieren,
meint Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Xenon am
2007-04-06, 11:04 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo Abrazo,
in der Diskussion geht es ja
augenblicklich um den Wertebegriff und damit kann ich sehr passend anknüpfen an
Abrazos Beitrag # 64, auf den ich noch nicht antworten konnte. Es geht mir hier
gewissermaßen noch um Vorbedingungen für die eigentliche Diskussion. Darum, was
„Werte“ (moralische Normen) eigentlich sind, in welchem Verhältnis sie stehen zu
bloßen Empfindungen usw...
„Werte“ entsprechen nicht bloßen
Gemütsverfassungen, sondern sind Ausfluß menschlichen Verstandes bzw.
menschlicher Vernunft. Ebenso ist auch der Begriff der (normativen) Ethik
(Abrazo würde wohl sagen: Moral) unbedingt mit dem "Denken" verbunden. Tiere
verhalten sich so gesehen unethisch. Nun will ich nicht behaupten, dass ethische
Einstellungen in keinem Zusammenhang stehen zu Gefühlen (der Ab- und Zuneigung,
Mitleid usw.) und menschlichen Instinkten. Aber Ethik und „Wert“-Verständnis
gehen m.E. darüber hinaus, sie sind mehrfach „gespiegelt“ durch den Einsatz des
Verstandes, Früchte unserer Vernunft.
Ich stelle mir die Ursprünge
ethischer Werthaltungen etwa so vor: Beteiligen sich Menschen am Sprachspiel,
geht es Ihnen um Aussagen allgemeiner Gültigkeit. Es geht Ihnen darum,
festzustellen, „was der Fall ist“ (z.B. Wetter, geografische Verhältnisse,
Nahrungsmittelsituation). Dies gilt nun jedoch auch für den gegenseitigen
Umgang, das soziale Miteinander.
Man stelle sich vor, dass sich in der
Steinzeit ein Mensch gegenüber einem anderen Hordenmitglied darüber beklagt,
dass ihm seitens seiner Horde von einer Ressource nicht genügend zugeteilt wird,
er sich mithin als benachteiligt (ungerecht behandelt) empfindet. Kann diesen
Person am nächsten Tag eine andere übervorteilen, ohne sich in Widersprüche zu
verwickeln? Wer für sein Vortragen allgemeine Geltung beansprucht (und das tut
wie gesagt ein jeder durch seine Teilnahme am Sprachspiel), muss sich in seinem
eigenen Verhalten an seinen zuvor geäußerten Grundsätzen messen lassen. Was
immer Vernunft ist, der Begriff hat etwas zu tun mit Konsequenz,
Widerspruchsfreiheit und logischer Folgerichtigkeit.
Wenn ich schrieb,
dass „Werte“ über bloße Gemütsbewegungen wie Mitleid usw. hinausgehen, so meine
ich doch nicht, dass sie erst individuell „erdacht“ werden. Vielmehr sind sie
zum großen Teil bereits über kulturelle Prägungen dem Einzelnen – unbewußt –
vorgegeben, lassen sich aber durch Reflexion hinterfragen. Über das, was
„vernünftig“ ist, kann und soll man streiten.
Eine besondere Bewandtnis
hat es mit dem Zusammenspiel verstandesmäßig reflektierter abstrakter „Werte“
und den konkreten aufgrund von (auch emotionaler) Nähe bestehenden sozialen
Beziehungen. Moral muss ja auch gelebt werden. Soziales Miteinander funktioniert
nur, wenn innerhalb von Solidar- und Verantwortungsgemeinschaften (Familie,
Stamm, Staat) auf der Grundlage empfundener Bindungen soziales Engagement an den
Tag gelegt wird. Nur innerhalb von überschaubaren Verantwortungsgemeinschaften
lassen sich auch funktionierende Ordnungssysteme etablieren. „Werte“ hingegen
scheinen allumfassend zu sein. Hier entsteht ein Spannungsverhältnis, das
vielleicht noch in einzelnen zu problematisieren wäre. Wer sich für die gesamte
Menschheit gleichermaßen verantwortlich fühlt wie für seinen Nächsten, droht
leicht am moralischen Rigorismus zu zerbrechen. In einem wohlverstandenen Sinne
ist der „Wert“ (=Bedeutung), den ein Mensch für mich hat, etwas Subjektes. Dies
steht wie gesagt in einem Konflikt zum intersubjektiven Anspruch moralischer
Normen (?).
on 03/27/07 um 22:40:31, Abrazo wrote:Was aber wäre der
Fall, wenn ethisches Verhalten auf einer Lüge oder einem Irrtum beruhen würde,
wenn es also keine Ethik gäbe? Wie wäre ethisches Verhalten dann zu werten? Gar
nicht, weil es dann gar keine Werte gäbe; oder fällt Dir einer ein?
Das verstehe ich nicht. Wer Grundsätze seines Verhaltens reflektierend
hinterfragt, kann doch nicht meinen, dass alles auf Lüge oder Irrtum beruhe.
Ethisches Verhalten besteht ja gerade darin, die Lüge – ein höchst ethischer
Begriff - zu erkennen bzw. zu vermeiden. Wo es Irrtum und Lüge gibt, muss auch
es Raum für Wahrheit geben, denn nur in der Abgrenzung zur Wahrheit macht diese
Begriff Sinn. Dass die gesamte Ethik Irrtum und Lüge sei, ist ein Widerspruch in
sich. Wer einmal sein ethisches Verhalten hinterfragt, hat dies bereits
verinnerlicht (ohne es vielleicht bewußt verstanden zu haben) und kann dahinter
nicht mehr zurück. „Warum soll ich moralisch handeln?“ Die Antwort liegt bereits
in der Frage verborgen. Indem ich mich auf sie einlasse, sehe ich mich selbst
als Subjekt, das „richtig“ oder „falsch“ handeln kann. Damit bereits habe ich
mich unumkehrbar in den Raum der Moral hineinbegeben...
on
03/27/07 um 22:40:31, Abrazo wrote:Angenommen, einer würde nachts in Dein Haus
einbrechen, um zu stehlen, und Du erwischst ihn. Würdest Du natürlich Dein
Eigentum verteidigen. Ihn z.B. ein bisschen totschießen. Warum? Weil es Dein
Eigentum ist, Dein Revier, und das brauchst Du zum Leben. Haut der Dieb ab,
bevor Du ihn triffst, hat er Deine überlegene Stärke erkannt und Glück gehabt.
Erkennt er das nicht und Du schießt ihn tot, hat er eben Pech gehabt. Fertig is
die Laube. Und wenn er Dich aus Deinem Haus schmeißt, um es selbst in Besitz zu
nehmen, dann hast Du eben Pech gehabt und es nicht besser verdient.
Nun
nimm an, er würde Dich vertreiben, Du suchst Zuflucht bei Deiner Gemeinschaft.
Die sagt, Du gehörst zu uns, wir verteidigen uns gegenseitig, wir ziehen jetzt
los und bringen den Kerl um. Jetzt würdest Du vielleicht sagen, nö, nicht
umbringen, er soll am Leben bleiben. Würden die anderen Dich für bekloppt halten
und sich nicht drum scheren. Aber könnten sie Dich deswegen verurteilen? Aus
welchem Grund? Sagen sie, Dein Wunsch ist schlecht oder böse, dann machen sie
eine Gegenethik auf, bestätigen also das, was sie als Lüge ablehnen. Sagen sie,
das ist unvernünftig, man bringt sich in solchen Fällen immer gegenseitig um,
müssen sie diese Norm begründen; wie?
Werden diese Überlegungen nicht
langsam aberwitzig und vollkommen irreal? Denn so denken, reden, urteilen und
entscheiden wir ja gar nicht.
Wir hier. Doch gibt es für unethisches
Handeln auch das Argument, "das haben wir immer schon so gemacht". Heißt, das
steht außerhalb jeder Wertung.
Die Begründung „das haben wir
schon immer so gemacht“ ist nicht wirklich eine Begründung aus Vernunft, die
intersubjektiv nachvollzogen werden kann. Und ansonsten hast Du ja die
Möglichkeit - um nicht zu sagen: Notwendigkeit - von ethischem Denken bereits
schön aufgezeigt. Auch die „Gegenethik“ ist (normative) Ethik und nicht
Negierung jeglicher Ethik. Der Streit um das, was ethisch "richtig" (bzw.
"falsch") ist, setzt voraus, dass es "Richtigkeit" (bzw. "Falschheit") überhaupt
geben kann... Er setzt weiterhin voraus, dass es einen Standpunkt der Vernunft
gibt, von dem aus eine Beurteilung prinzipiell möglich ist...
....
Speziell zu Eberhards Beispiel: Der Gegenüberstellung „Wert eines menschlichen
Lebens“ zum entgegangenen Konzertbesuch. Die Rollenwechsel-Überlegung führt zu
einem klaren Ergebnis. Dem Konzertbesucher bleibt, sofern er von der sozialen
Gemeinschaft als vernünftiger Sprachspiel-Teilnehmer und akzeptiertes Mitglied
gesehen werden will, nur die Möglichkeit der Hilfeleistung.
Was aber,
wenn das menschliche Leben nun außerhalb der eigenen Sphäre in Gefahr gerät?
Heißt es nicht immer, mit einem Minimum an Aufwand könnten Kinder in der dritten
Welt vor dem Verhungern gerettet werden? Vielleicht könnte der Konzertbesucher
gar dadurch, dass er auf seinen Konzertbesuch verzichtete und das eingesparte
Geld spendete, ein Menschenleben in der Dritten Welt retten? Hiermit spreche ich
erneut das Spannungsfeld an zwischen den subjektiven Bindungen innerhalb von
„sozialen Zellen“ (Solidargemeinschaften), aus denen sich soziales Engagement
letztlich nährt, und dem universellen Anspruch moralischer Werte andererseits.
Eine weitere Frage, die wohl bereits auch schon angesprochen wurde: In
welchem Verhältnis steht das kleine Glück (Unglück) von vielen zum großen
Unglück (Glück) von wenigen Menschen?
Hier muss ich leider abbrechen.
Soweit einige – leider recht ungeordnete – Gedanken zum Thema des
Threads...Vielliecht komme ich heute dazu, präziser auf Eberhards letzte
Beiträge einzugehen...
Frohe Ostern wünscht allen Philtalk-Teilnehmern
Xenon
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn
am 2007-04-06, 12:42 Uhr
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Hi, Xenon,
Du: in der Diskussion geht es ja augenblicklich um den
Wertebegriff...
Ja, so kann man das beschreiben - wir erleben hier die
Wiederauferstehung der nicht enden wollenden Versuche um die Erklärung eines
allgemeingültigen Wertesystems.
Der Unterschied: Eberhard hat die Diskussion
nicht um allgemeingültige Werte eröffnet, sondern um eine allgemeingültige
Methode zum Finden allgemeingültiger Werte.
Im Prinzip ist es dasselbe
und ich sehe keinen Anlaß für die Hoffnung, die Diskussion um die Methode könne
eine Lösung finden, welche dieselbe Diskussion in anderem Gewand um die Werte
nicht hat erbringen können.
Ciao
Wolfgang Horn
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-04-06, 12:55 Uhr
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Welche Diskussion meinst Du?
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Xenon am
2007-04-06, 16:02 Uhr
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Hallo Wolfgang,
auch mir ging es durchaus um das Finden der Werte - im
Rahmen der Vernunft.
Bezogen auf Eberhards Beispiel:
Ich stelle
mir vor, ich selbst wäre derjenige, welcher mit Kreislaufkollaps auf der Straße
läge. Ich stelle mir weiter vor, dass ich dann wohl entsetzt wäre, wenn die
Menschen gleichgültig ihres Weges gingen und mich nicht weiter beachteten.
Also kann ich mich selbst in der Rolle des Passanten aber nicht gleichgültig
verhalten, ohne zu einer Person zu werden, die ihr eigenes Verhalten nicht auf
Schlüssigkeit hin reflektiert oder schizophren ist. Unreflektiertes oder
schizophrenes Verhalten ist aber unvernünftig...
Da ich gerne an
Vernunft glauben will, stimme ich auch Eberhard zu, dass intersubjektive
Interessenabwägung prinzipiell möglich ist.
Zu dem konkreten Beispiel
ist mir aber noch eingefallen, dass bei ihm gefühlsmäßig schwierig abzugrenzen
wäre zwischen den eigenen Interessen des Konzertbesuchers und dem Interesse des
Kollabierten.
Erstens ist ja auch der Konzertbesuch auf ein soziales
Ereignis gerichtet - den "reinen Egoismus", der sich auf ein imaginäres "reines
Ich" bezieht, das völlig losgelöst von jeder sozialen Interaktion und jeder
sinnlicher Erfahrung wäre, gibt es nicht.
Ich möchte meinen Sinnen mit
dem Konzertbesuch etwas Gutes tun. Und gleichermaßen täte es meinen Sinnen eben
NICHT gut, ignorierte ich einfach den Kollabierten, Gewissensbisse verfolgten
mich möglicherweise und die Selbstachtung würde leiden.
Umgekehrt
verschaffte ich mir durch die Hilfeleistung ein Gefühl der Befriedigung: Ich
hätte etwas Wichtiges und Sinnvolles getan.
Am Ende läßt sich dann
vielleicht kaum gedanklich abstrahieren, ob ich letztlich eigene oder fremde
Interessen abgewogen hätte...
Liebe Grüße
Xenon
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn
am 2007-04-06, 20:41 Uhr
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Hi, Eberhard, Xenon,
@Eberhard: Natürlich die Diskussion Deiner
Erörterung der Möglichkeiten eines allgemeingültigen Schlichtungsprozesses.
@Xenon
Du: auch mir ging es durchaus um das Finden der Werte - im
Rahmen der Vernunft.
Natürlich. Jeder hält die Werte, die er bevorzugt,
für die besten aller denkbaren. Denn würde er einen besseren Wert erkennen,
würde er ihn im Moment des Erkennens übernehmen.
Daher möchte jeder, die
anderen würden seine Werte übernehmen, sonst wären sie ja dumm. Aus seiner
Sicht.
Dabei erlebt er dann, was die USA gerade mal wieder erleben: Die
anderen bevorzugen ihre eigenen Wertesysteme, und wer sein Wertesystem mit
Gewalt durchsetzen will, dessen Werte sind wohl die eines Gewalttäters, eines
Bösen, dessen Werte jeder gute Mensch ablehnt.
Natürlich ist die
Vernunft auf den ersten Blick ein guter Kandidat zum Finden von Werten, die
unter vernünftigen Menschen allgemeingültig sein könnten. Wenn "Vernunft"
lediglich "Kalkül" bedeutet und alle Menschen identisch programmiert wären.
Sind wir glücklicherweise nicht. Sondern wir werden viele Menschen finden, die
sich für überaus vernünftig halten, das Geschehen in der Welt aber anders
bewerten als die Folterchefs im Weißen Haus, und auch untereinander anders.
Du: ...Kreislaufkollaps...gleichgültig
'Tschuldigung, aber das ist
intellektuelle Magerkost.
Uns Menschen ist nämlich durchaus ein gemeinsames
Wertesystem angeboren, jedem von uns.
Nämlich: Wir haben die Fähigkeit und
Neigung, uns in die Lage eines anderen (Kranken) zu versetzen und ihm gegenüber
so handeln zu wollen, wie wir an seiner Stelle würden behandelt werden wollen.
Solche deutlichen Fälle eignen sich nicht als Beispiele für den Versuch,
eine allgemeingültige Methode zur Schlichtung von Konflikten zu finden.
Du: Umgekehrt verschaffte ich mir durch die Hilfeleistung ein Gefühl der
Befriedigung: Ich hätte etwas Wichtiges und Sinnvolles getan.
Äh, geht
mir nicht so. Wenn Mensch in Not, dann handele ich aus Mitgefühl, aus der
Vorstellung, wie ich an seiner Stelle leiden würde und daß dies Leiden beseitigt
werden muß.
Du: Am Ende läßt sich dann vielleicht kaum gedanklich
abstrahieren, ob ich letztlich eigene oder fremde Interessen abgewogen hätte...
Letztlich immer für Deinen eigenen Interessen.
Denn die Arbeit für
beispielsweise unseren Arbeitgeber ist Teil eines Handels.
Ciao
Wolfgang Horn
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
2007-04-06, 22:10 Uhr
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Die Juden haben ein großartiges Sprichwort:
Wer einen Menschen rettet, rettet
die ganze Welt.
Ist die Welt es wert, gerettet zu werden?
Wenn ja, dann
braucht es Eure Argumente nicht.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-04-06, 22:21 Uhr
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Hallo Wolfgang,
was meinst Du mit dem Satz: "Jeder hält die Werte, die
er bevorzugt, für die besten aller denkbaren"?
Sind das die Bewertungen,
die die Individuen von ihrem Interessensstandpunkt her vornehmem? Sind das
diejenigen Werte, die die Individuen für allgemeingültig halten?
Von
den Letzteren war bisher nur am Rande die Rede.
Ein Hantieren mit
ungeklärten Begriffen kann nur Verwirrung erzeugen. Besonders wenn dies
einhergeht mit schärfsten Werturteilen wie "böse" oder ähnlichem.
Es
grüßt Dich Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-04-06, 22:26 Uhr
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Hallo Abrazo,
was folgt denn aus der positiven Bewertung der Welt
hinsichtlich der Lösung von Konflikten?
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn
am 2007-04-07, 00:22 Uhr
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Hi, Eberhard,
Du: was meinst Du mit dem Satz: [a] "Jeder hält die Werte,
die er bevorzugt, für die besten aller denkbaren"?
[b] Sind das die
Bewertungen, die die Individuen von ihrem Interessensstandpunkt her vornehmem?
[c] Sind das diejenigen Werte, die die Individuen für allgemeingültig halten?
zu c: Nein. Wer sein Trotzalter überwunden hat, der weiß, daß jeder seine
Werte bevorzugt, manche teilen Werte, in anderen unterscheiden sie sich mit mehr
oder weniger Toleranz.
zu b: In ihrer Rationalisierung vielleicht. Mir
scheint aber folgende Unterteilung aller information für sinnvoll, die eine
Person oder Gruppe für eher wahr hält als deren Gegenteil:
1. Wissen,
darunter vestehe ich alle Informationen, für die man belegen kann, warum sie
eher wahr sind als ihr Gegenteil. Vornehmlich Naturgesetze und alles, was
logisch von ihnen abgeleitet werden kann.
2. Meinungen, jede Information, die
eine Person für eher wahr hält als deren Gegenteil, dies aber nicht belegen
kann. Dazu gehören Werte, Überzeugungen, Ahnungen, Neigungen und Geschmack.
Werte sind Bewertungen, was wir für wichtiger halten als etwas anderes,
beispielsweise Nothilfe wichtiger als Genuß.
Die Meinungsbildung, also
die Auswahl, welche von alternativen Meinungen wir wählen, scheint wesentlich
Sache der Intuition zu sein (Menge der Denkfähigkeiten an anschaulichen,
sinnesnahen, und eben nicht abstrakten Gedankenanteilen).
Wenn es um
Fußball geht, und wir in München und Bayern wohnen, und wir Bayern für o.k.
halten, dann bevorzugen wir als Fußballverein eben den TSV1860 München mit
weiß-blau oder den FC Bayern mit rot.
Wenn die Intuition sich festgelegt
hat, dann kann der Intellekt nur noch nach Argumenten suchen, die ihn nicht doof
klingen lassen...
a) Bei der Meinungsbildung wählen wir. Das eine
schmeckt uns, das andere nicht. Nach dieser Wahl ist unser Geschmack der beste
der Welt für uns, denn wir kennen keinen besseren.
Vielleicht lernen wir ein
neues exotisches Gericht kennen, dann wählen wir - und anschließend ist unser
Geschmack wieder der beste der Welt - für uns.
Ebenso mit allen anderen
Meinungen aller Kategorien, darunter auch Werte.
Bei der Meinungsbildung
ist eine Gesetzmäßigkeit zu erkennen, egal, ob wir die Bildung mit dem Intellekt
begründen oder nicht:
Von zwei alternativen Meinungen wählen wir eher jene,
die zu unseren Wünschen und Zielen paßt, zu dem, was wir erreichen wollen. Die
eher zu all unserem Wissen paßt und zu all unseren bisherigen Meinungen. Die
eher zu den Meinungen unserer Freunde paßt und eher nicht zu denen unserer
Feinde.
Das Wahlverhalten einer erfahrenen Person ergibt sich von
selbst, wenn sie unnötige Mühen meidet und gelernt hat. Insbesondere, wie innere
Konflikte zwischen Meinungen quälen können.
Teams und Gesellschaften
wählen sich ihre kollektiven Meinungen, ihr kollektives Wertesystem, nach
denselben Gesetzmäßigkeiten und aus denselben Gründen.
Ein Bayer mag
wohl BMW, aber ein Fan des FC-Bayern würde einen BMW mit weißblauem Rautenmuster
nicht mal geschenkt haben wollen, es sei denn, er dürfte ihn sofort umspritzen,
vorzugsweise in Rot.
Übrigens, für Deine Suche nach einer
allgemeingültigen Schlichtungsmethode: Jede Konfliktlösung bedeutet für
mindestens einen der Beteiligten ein Schlag gegen sein Wertesystem. Der mag
klein sein oder groß. Manche Personen nehmen ihren Ruf der Unfehlbarkeit derart
wichtig (für sie ein hoher Wert), daß sie in einer Konfliktlösung lieber
draufzahlen.
Deine Methode wird ohne Berücksichtigung der Zusammenhänge
innerhalb eines Wertesystems nicht allgemeingültig sein können.
Ciao
Wolfgang Horn
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von laertes am
2007-04-07, 00:43 Uhr
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ebis allgemeine werte
sind nur was für graduierte.
anders ist die
wirklichkeit:
jeder trägt ein eigen kleid.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
2007-04-07, 01:04 Uhr
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Hi Eberhard,
es folgt zunächst einmal eine andere Bewertung von
Konflikten.
Wir haben uns angewöhnt, von berechtigten Interessen zu
reden. Aber was heißt denn das? Ich habe ein Recht, dieses Interesse zu haben.
Das ist aber schon ein Widerspruch, denn zum einen ist die Frage, wer mir denn
das Recht auf mein Interesse geben sollte, und zum anderen kümmert sich mein
Interesse nicht darum, ob es berechtigt ist oder nicht. Wer das Interesse hat,
Frauen heimlich in der Umkleidekabine zu fotografieren, der fragt nicht vorher
an, ob er das Interesse haben darf; der hat es. Was er zu fragen hat ist, ob er
diesem Interesse nachgehen darf.
Etliche Gesellschaften behaupten, das
berechtigte Interesse zu haben, Homosexualität zu untersagen. Mit welchem Recht?
Sofern sie sich auf göttliche Gebote berufen, kannste nix dagegen machen (wohl
aber die Konsequenzen diskutieren).
Andere wiederum behaupten ihr
berechtigtes Interesse am straffreien Handel mit Betäubungsmitteln. Mit welchem
Recht?
Behaupten, sein Interesse sei berechtigt, kann jeder.
Israel
behauptet das berechtigte Interesse einer Existenz in sicheren Grenzen.
Palästinenser behaupten, dieses Interesse sei nicht berechtigt, berechtigt sei
vielmehr ihr Interesse auf Rückkehr in die ehemals palästinensischen Gebiete.
Und nu?
Wenn ich mein Interesse als berechtigt ansehe, dann brauche ich
mich weiter um nichts mehr zu kümmern, dann setze ich das durch, egal, was die
Folge ist, denn ich bin ja im Recht. Der andere ist im Unrecht, und wenn er mit
meinem Tun Probleme bekommt, dann geschieht im Recht.
Wir haben hier
eine andere Bedeutung von Recht. Nicht die vernünftig diskutierten und
entwickelten Spielregeln, sondern Recht als das, was ich beanspruchen kann.
Dieses Recht ist also ein Anspruch. Es ist dieser Anspruch, der, verknüpft mit
dem relativ neutralen Wort Interesse, zu Konflikten führt.
Anspruch
heißt, ich will etwas haben (muss nicht nur materiell sein). Was ich haben will,
hat im Zweifel ein anderer. Der das aber nicht freiwillig rausrückt. Alldieweil,
der hat das berechtigte Interesse, das zu behalten. Meint er. Wie willst Du denn
da vermitteln, wenn jeder sich im Recht sieht?
Hier versagt die Logik.
Solche antagonistischen Gegensätze lassen sich nur dialektisch lösen, auf einer
höheren Ebene. Bei individuellen Konflikten ist es das Recht in der Bedeutung
Spielregeln der Gesamtgesellschaft. Die allerdings auch nur dann gerechtfertigt
(!) sind, wenn sie ihre Begründung von einer höheren Ebene erfahren (Art. 1 GG).
Heißt, ob mit oder ohne gültige Spielregeln, um die höhere Ebene kommt man nicht
herum.
Problem: die höhere Ebene ist philosophisch. Also schwierig und
nicht spontan für jeden einsichtig; muss erst einsichtig gemacht werden.
Bis dahin würde ich aus praktischen Gründen die Frage zur Diskussion stellen:
für wieviel Zerstörung bist du willens, verantwortlich zu sein, um das zu
kriegen, was du haben willst? Glaub mir, die Frage ist vertrackt. Die Menschen
sind nämlich gar nicht so. Nur, wer meint, im Recht zu sein, verdrängt damit die
Konsequenzen.
Wer lieber zum Konzert geht, denkt in der Regel nicht
daran, dass er, wenn der Mann wg unterlassener Hilfeleistung stirbt, dafür
verantworlich ist, dass er daran schuld ist. Die übliche Antwort ist dann ja
immer, "das habe ich nicht gewollt". Ist aber gleichgültig für die Tatsachen,
die sind, wie sie sind.
Ein positives Verhältnis zur Welt haben führt
dazu, sich gegen Zerstörung zu stemmen, auch gegen die eigenen Interessen.
Gruß
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hedgi am
2007-04-07, 01:06 Uhr
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Wolfgang schrieb:
Quote:Ja, so kann man das beschreiben - wir erleben hier
die Wiederauferstehung der nicht enden wollenden Versuche um die Erklärung eines
allgemeingültigen Wertesystems.
Ich meine, Werte werden langsam
und unmerklich dem Volk eingeimpft. So eigenartig in einem Philosophie-Forum das
klingen mag, einen großen Anteil an den aktuellen Werten hat unter neben anderen
Blättern die BILD-Zeitung. Im Grunde genommen liest man in fast allen Zeitungen
dasselbe wie in der BILD. Die Journalisten kennen die Methoden, wie durch
ständiges wiederholen über das Gefühl ansprechende Geschichtchen, der Leser sich
manipulieren lässt. Auch wenn die Leser in ihrem Fach hervorragendes leisten, in
dem Moment wenn sie die Bild zur Entspannung in sich einsaugen, sind sämtliche
Kontrollmechanismen im Gehirn abgeschaltet, und der Leser merkt nicht, wie er
langsam nach und nach seine Wertevorstellungen anpasst.
Eberhards
Fragestellung nach der Priorität, Hilfe für in Not geratene Menschen oder der
persönlicher Genuss bewirkt überhaupt nichts und war auch schnell beantwortet.
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Im Grunde genommen drehen wir uns in dieser Diskussion im Kreis, es geht in
dieser Diskussion um ein Thema, das bereits seit 3000 Jahren als Goldene Regel
(http://de.wikipedia.org/wiki/Goldene_Regel) in unterschiedlichsten Kulturen
durchgehechelt wurde, ohne das wir uns wirklich daran halten.
hedgi
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-04-07, 10:33 Uhr
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Hallo Wolfgang,
Du skizzierst eine sozialpsychologische Theorie der
Entwicklung von Einstellungen und Überzeugungen, verbunden mit einer z. T.
ungewöhnlichen Umdeutung gebräuchlicher Begriffe. So halte ich es im Unterschied
zu Dir für sinnvoll, immer dann von der "Meinung" einer bestimmten Person zu
sprechen, wenn diese eine bestimmte Ansicht als richtig vertritt, unabhängig
davon, ob und wie sie diese Ansicht belegen kann oder nicht.
Deine
Thesen können nützlich sein, wenn jemand psychologische Konfliktberatung oder
Mediation betreibt. Ich sehe allerdings nicht, dass sie für die ethische Frage
nach einer gerechten, allgemein akzeptablen Konfliktlösung direkt relevant ist.
Aus sozialpsychologischen Annahmen, wie Menschen sich unter bestimmten
Bedingungen verhalten, lässt sich rein logisch nicht folgern, ob und wie eine
allgemein akzeptable Berücksichtigung von Interessen zu bewerkstelligen ist.
In entsprechender Weise lässt sich aus der Tatsache, dass manche Menschen
aufgrund psychischer Hemmnisse für naturwissenschaftliche Argumente nicht
empfänglich sind, nicht folgern, dass die naturwissenschaftlichen Methoden und
Ergebnisse deshalb nicht allgemeingültig sein können - was für Dich ja
andererseits vollkommen fest zu stehen scheint.
Wenn Du anderer Ansicht
bist, dann bin ich auf die präzise Argumentation gespannt, aus der sich
schlüssig der Satz ergibt: "Eine allgemein konsensfähige ethische Gewichtung von
individuellen Interessen ist nicht möglich." Also: Von welchen Prämissen gehst
Du dabei aus? Welche Schlüsse führen in welchen Schritten zum obigen Ergebnis?
fragt Dich Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-04-07, 11:00 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Abrazo,
Du diskutierst den Begriff des
"berechtigten Interesses". Um sich auf ein berechtigtes Interesse berufen zu
können, muss zuvor diese Berechtigung begründet worden sein. Wenn z. B. A und B
in Deutschland leben, wo es - worauf Hedgi bereits hingewiesen hat - im
Strafgesetzbuch den Paragraph "Unterlassene Hilfeleistung" gibt, dann hat A ein
berechtigtes Interesse auf Hilfe.
Ich halte es um der Übersichtlichkeit
der Diskussion willen jedoch für sinnvoll, diese Komplikationen jetzt noch nicht
mit einzubeziehen und von der Annahme auszugehen, dass der Konflikt nicht
bereits anderweitig geregelt wurde.
Das gleiche gilt auch für die von
Xenon angeschnittene Differenzierung des Begriffs "Interesse".
So muss
das Interesse eines Individuums nicht notwendig "eigeninteressiert" sein im
Sinne eines Bezugs zum eigenen Wohlergehen. Man kann auch ein individuelles
Interesse am Wohlergehen anderer haben (z. B. der eigenen Freunde oder Kinder)
oder am "Schlechtergehen" (z. B. der eigenen Feinde).
Auch Phänomene
wie Mitleid, Gewissen, Selbstachtung, Streben nach sozialer Anerkennung etc.
mildern den Konflikt sicherlich häufig ab.
Herzliche Ostergrüße von der
Spree an den Rhein und wo immer in der Welt Teilnehmer oder Leser unserer
Diskussion leben von
Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn
am 2007-04-07, 15:10 Uhr
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Hi, Eberhard,
Du: ...verbunden mit einer z. T. ungewöhnlichen Umdeutung
gebräuchlicher Begriffe.
Ja, die Entdeckung, für den klaren
Zusammenhang, den ich vor meinem inneren Auge sehe, fehlen in der deutschen und
englischen Sparche die passenden Begriffe, hat die größten Qualen verursacht.
Also habe ich den nächstbesten Begriff genommen und für meine Zwecke neu
definiert.
Du: dass sie für die ethische Frage nach einer
gerechten, allgemein akzeptablen Konfliktlösung direkt relevant ist.
Genausowenig wie die Thermodynamik für die Entwicklung eines Perpetuum Mobile.
Mit meinen angeführten Argumenten - und Folgerungen daraus - läßt sich
logisch beweisen, warum der Wunsch nach einem allgemeingültigen Wertesystem,
einer "neuen Weltordnung" genauso illusorisch ist wie ein Motor, der ohne
Energieverbrauch ewig Energie liefert.
Einschränkung: Dies gilt nur für eine
Gesellschaft von Individuen.
Entwarnung: Trotzdem können sich Individuen
in ihrer Gesellschaft auf grundlegende Werte einigen - sofern sie einsehen, wie
die Vorteile für das Individuum letztlich größer sind als die Nachteile.
Daß dies in m Unternehmen, die in ihrem Markt bestehen wollen, machbar ist,
zeigen legendäre Sanierungen, wo der Sanierer im Haufen von Einzelkämpfern "um
den letzten Arbeitsplatz" wieder Miteinander schaffen konnte. Mein
Vorzeigebeispiel: Mettler-Toledo (Albstadt).
Du: Aus
sozialpsychologischen Annahmen, wie Menschen sich unter bestimmten Bedingungen
verhalten, lässt sich rein logisch nicht folgern, ob und wie eine allgemein
akzeptable Berücksichtigung von Interessen zu bewerkstelligen ist.
Genau dasselbe sage ich. Solange die Menschen der betrachteten Gesellschaft
Individuen sind, ist die Möglichkeit zum allgemein
Du: In
entsprechender Weise lässt sich aus der Tatsache, dass manche Menschen aufgrund
psychischer Hemmnisse für naturwissenschaftliche Argumente nicht empfänglich
sind, nicht folgern, dass die naturwissenschaftlichen Methoden und Ergebnisse
deshalb nicht allgemeingültig sein können - was für Dich ja andererseits
vollkommen fest zu stehen scheint.
Allgemeingültige Methoden? Sicher
gelten die Gesetze der Mathematik wohl im ganzen Universum. Jedenfalls sind
keine Informationen bekannt, die Zweifel bestärken, die Kreiszahl PI könne in
der Galaxis Andromeda anders sein als hier.
Aber niemand kann gezwungen
werden, eine bestimmte Methode anzuwenden. Allenfalls sein Kunde kann die
Anwendung zur Kaufbedingung machen und der Sachverständige kann vor Gericht
bewirken, daß der Richter einen klaren Spruch fällt.
Deine These:
"Eine allgemein konsensfähige ethische Gewichtung von individuellen Interessen
ist nicht möglich."
Fein, ja so ist das gut für das Finden eines Konsens
ohne allzuwilde Umwege.
Mein Tatsachen-Gegenbeweise:
a) Die
Ermüdungssitzungen im Tarifkonflikt.
b) Der 30-jährige Krieg.
c) Die
Überlastung der Gerichte mit Streit um Kleinigkeiten zwischen Nachbarn.
Wäre
eine Methode denkbar, die eine allgemeingültige und allseits akzeptable
Gewichtung der Interessen liefert, dann wäre sie angesichts der Kosten von
Endlosdebatten in der Tarifverhandlung und von Kriegen schon längst umgesetzt
worden.
Diesem Argument wird aber wohl nur zustimmen, wer sich nicht anmaßt,
er oder diese Generation sei wesentlich weiser (nicht klüger!) als alle
vorherigen Generationen.
Mein logischer Gegenbeweis gegen Deine These
steckt in deren Widerspruch zwischen "individuell" und "allgemein konsensfähig".
Was denn nun? Wenn individuell, dann eben nicht allgemein konsensfähig. Und wenn
allgemein konsensfähig, dann eben nicht individuell.
Mein Ausweg aus dem
Dilemma (Danke, Eberhard, für die Anregung, darüber nachzudenken und ihn zu
erkennen!):
a) Wir Menschen vom Typ homo sapiens sind eher keine Individuen
in dem, was uns allen gemeinsam angeboren ist. Wie eben auch das gemeinsam
angeborene Wertesystem. Wir alle streben nach persönlichem Glück und Genuß, wir
alle können uns in die Lage eines Herzanfallerkrankten versetzen, mitleiden, und
spontan (also ohne Kalkül!) das Leid für uns und ihn abstellen wollen.
b) Wir
Menschen sind aber sehr individuell in der Wahl unserer Wege zu unserem
persönlichen Glück. Was uns Individuen unterscheidet, dann sind unsere die
kleinen Unterschiede in unseren Erbanlagen, die größeren Unterschiede in unseren
Startchancen, unsere angeborenen Varianten in unseren Geschmäckern und
Fähigkeiten, und in der Menge unserer Meinungen, die wir im Laufe des Lebens
bilden.
Wer die Chancen hat, auf der Arbeitgeberseite aufzusteigen und diese
ergreift, der bildet andere Meinungen als der Klassenkamerad, der die
Gewerkschaftskarriere machte und ihm in der Tarifverhandlung gegenüber sitzt.
Meine Antithese:
"1. Allen Menschen vom Typ Homo sapiens, ist ein
gemeinsames Wertesystem angeboren. Dieses ist äußerst simpel. Darüber ist immer
Konsens einer 2/3-Mehrheit zu erreichen. (Keine 100%, weil immer mit Rebellen zu
rechnen ist und mit Personen, die nicht gesund sind.)
2. Allen Menschen sind
auch Fähigkeit angeboren, seine eigenen Vorlieben und Geschmäcker zu habenm,
seine eigenen Erfahrungen zu machenm, Meinungen und ein persönliches Wertesystem
zu bilden. Eine Einigung in diesen individuellen Wertesystemen ist nur unter
solchen Personen möglich, die in der Einigung einen Vorteil sehen für ihre
angeborenen persönlichen Interessen."
Ciao
Wolfgang Horn
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hythlodeus am
2007-04-07, 20:47 Uhr
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[talker]
Vielleicht hilft dies weiter:
http://www.kellmann-stiftung.de/index.html?/beitrag/hoerster_moral.html
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-04-07, 23:17 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo Hedgi,
Du verweist auf die "Goldene Regel",
mit der für Dich offenbar alle ethischen Fragen beantwortet sind. Was fehle sei
nur die Befolgung dieser Regel.
Diese Position teile ich nicht, obwohl
ich die Goldene Regel für eine genial einfache Faustregel halte, die in der
Mehrzahl der Fälle zu brauchbaren Ergebnissen führt.
Die Goldene Regel
beinhaltet in ihrer negativen Form die Regel:
"Füge dem andern nichts
zu, von dem Du nicht willst, dass jemand es Dir zufügt."
Wenn Du z. B.
nicht willst, dass jemand Dich als dumm bezeichnet, dann bezeichne Du selber
auch niemanden als dumm.
Hier stellt sich einmal die Frage, worin die
Begründung der Goldenen Regel besteht. Die Regel ist ja in keinerlei
methodologische Argumentation eingebunden. Warum ist das, was die Goldene Regel
sagt, richtig?
Ein weiteres Problem: Wenn zwei Individuen die Goldene
Regel anwenden, muss das nicht zu einem einheitlichen Resultat führen.
Dies ist z. B. der Fall, wenn die beiden Individuen nicht die gleichen Vorlieben
und Abneigungen haben. Ich mag es selber nicht mögen, dass mir jemand zum
Geburtstag eine Operetten-DVD schenkt. Trotzdem mag es sinnvoll sein, dass ich
einem Operetten-Fan eine solche DVD schenke.
Dies Problem entsteht
dadurch, dass man sich bei Anwendung der Goldenen Regel nur fragen muss, wie die
eigenen Bedürfnisse sind. Es wird also vorausgesetzt, dass die Menschen
weitgehend identische Bedürfnisstrukturen haben.
Ein anderes Problem
hängt mit der fehlenden Abwägung von Interessen bei Anwendung der Goldenen Regel
zusammen. Ich mag z. B. nicht, wenn mein Nachbar in seinem Garten den Rasenmäher
in Betrieb hat. Trotzdem nehme auch ich meinen Rasenmäher in Betrieb. Die
Begründung hierfür ist, dass es wegen der Arbeitserleichterung sinnvoll sein
kann, laute Maschinen zu benutzen, auch wenn man laute Maschinen an sich nicht
mag.
Das Beispiel „Hilfeleistung oder Konzertbesuch“ interessiert hier nicht
als reales ethisches Problem – da ist es wahrlich simpel. Das Beispiel wurde
eingeführt, um ein theoretisches Problem zu demonstrieren. Das Problem besteht
darin, dass wir uns wohl einig sind, dass die Hilfeleistung für A ethisch
Vorrang hat vor dem Konzertgenuss von B. Gleichzeitig fehlt aber doch eine
Begründung, wie wir zu diesem Vorrang der Hilfeleistung kommen, obwohl B von
seiner Interessenlage her lieber weggucken und ins Konzert eilen möchte.
Die Frage ist: Wie kann man zu einem gemeinsamen Ergebnis bei der Abwägung der
beiden Alternativen und der damit verbundenen Interessen kommen? Wie könnte man
z. B. mit B argumentieren, wenn er nicht eine Moral verinnerlicht hat, die
besagt: Die Rettung eines Menschenlebens hat einen höheren Wert als ein
Kunstgenuss?
Ich hoffe, dass jetzt etwas besser klar geworden ist,
welche Funktion das Beispiel erfüllen soll.
Grüße an alle Teilnehmer und
Nur-Leser von
Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hedgi am
2007-04-08, 01:09 Uhr
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Kant hat die Aussage der Goldenen Regel in seinem Kategorischen Imperativ
(http://de.wikipedia.org/wiki/Kategorischer_Imperativ) schon etwas präziser
gefasst. Er schränkt diese ethische Forderung auf die Allgemeinheit ein, und
fordert dass das gesetzlich verankert wird. Ihm ist klar, dass nicht jedem die
Vernunft gegeben ist, die Interessen des Nächsten im Auge zu haben, weil auch er
irgendwann in die Situation kommen könnte, auf die Hilfe des Nächsten angewiesen
zu sein.
Wir können nicht erwarten, dass die Menschen aus antiker Zeit
bereits die Probleme so scharf analisieren konnten, wie das zu Kants zeit
möglich war, schließlich braucht alles seine Entwicklungszeit.
Wir
dürfen nicht den Fehler begehen, die Goldene Regel auf alle Vorkommnisse im
Leben anwenden. Es ist schon ein Unterschied ob es um banale Bedürfnisse wie
Fragen des persönlichen Geschmacks, oder um existentielle Fragen geht.
Die Frage, ob die Rettung eines gefährdeten Menschen Vorrang vor persönlichen
Genuss haben sollte, ist natürlich auch unsere Annahme gewichtig, dass er
überhaupt gerettet werden möchte. In den meisten Fällen können wir davon
ausgehen, dass das der Fall ist, fragen können wir in diesem Moment einen in Not
geratenen jedenfalls nicht.
hedgi
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-04-08, 07:36 Uhr
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Fröhliche Ostern!
Wie können Individuen angesichts eines Konflikts ihrer
Interessen zu einem gemeinsamen Wollen kommen, ohne dass dabei ein anderer Zwang
ausgeübt wird als der Zwang sich zu einigen?
Sie können einen allen
gemeinsamen Willen bilden, indem jedes Individuum die Interessen jedes andern so
berücksichtigt, als wären es zugleich seine eigenen.
Dies erfordert,
dass dabei die Interessen aller Beteiligten wohlwollend und unparteiisch
berücksichtigt werden, meint
Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hedgi am
2007-04-08, 11:16 Uhr
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Quote:Wie können Individuen angesichts eines Konflikts ihrer Interessen zu
einem gemeinsamen Wollen kommen, ohne dass ……. , als der Zwang sich zu einigen?
Also doch Zwang! So wie das während des Kalten Krieges dank der
Atombombe die Welt im friedlichen Gleichgewicht hielt.
Weder der
amerikanische Präsident noch der sowjetische KP-Chef verspürten in aller
Klarheit große Lust, ihr verbleibendes Leben im atomsicheren Bunker zu
verbringen. Hier kollidierten einmal nicht die Interessen.
hedgi
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-04-08, 12:41 Uhr
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Hallo Hedgi,
zum Verfahren: Wenn man die Behauptung eines andern
Diskussionsteilnehmers kritisiert, dann sollte man ihn zumindest so zitieren,
dass das Zitat einen sinnvollen Satz ergibt.
Der vollständige Satz
lautet:
"Wie können Individuen angesichts eines Konflikts ihrer
Interessen zu einem gemeinsamen Wollen kommen, ohne dass dabei ein anderer Zwang
ausgeübt wird als der Zwang sich zu einigen?"
Der "Zwang" sich zu
einigen ist doch kein realer Zwang sondern ergibt sich logsich "zwingend" aus
dem Ziel, zu einem gemeinsamen Wollen zu kommen.
Soweit zur Klarstellung
von
Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von laertes am
2007-04-08, 13:15 Uhr
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hi ebi,
"Wie können Individuen angesichts eines Konflikts ihrer
Interessen zu einem gemeinsamen Wollen kommen, ohne dass dabei ein anderer Zwang
ausgeübt wird als der Zwang sich zu einigen?"
wenn der
einigungszwang allem vorausgeht, so wird das 'gemeinsame wollen' letztlich
nichts anderes als ein kollektivzwang sein.
siehe, nationalsozialismus,
planwirtschaft, konsumismus, wobei letzterer schon wesentlich virtueller und
raffinierter abläuft, weil der 'zwang' 'innerpsychisch' nur mit verschleierter
aussenkontur vom individuum selbst hergestellt, respektive übernommen wird.
das zu erfassen, bräuchte schon ganz andere themenaufrisse als die simple,
legolandhafte 1x1-ethik, die du, eberhard, hier dauernd als ernstzunehmende
vorlage auftischst.
doch immer wenn jemand deine sprache um wesentliches
zu bereichern versucht, klemmst du erfahrungsgemäss ab.
viele grüsse
laertes
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn
am 2007-04-08, 13:26 Uhr
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Hi, Eberhard
Du (zu wem auch immer): Du verweist auf die "Goldene
Regel", mit der für Dich offenbar alle ethischen Fragen beantwortet sind....
Hier stellt sich einmal die Frage, worin die Begründung der Goldenen Regel
besteht. Die Regel ist ja in keinerlei methodologische Argumentation
eingebunden. Warum ist das, was die Goldene Regel sagt, richtig?
Eine
Antwort zu "richtig" oder "falsch" kann ich mit meiner naturwissenschaftlichen
Kulturlogik nicht geben, weil das künstliche Kategorien sind, erfunden wohl vom
Menschen, der sein Empfinden verallgemeinerte.
Ich halte mich für
aufgeklärt und argumentiere für Aufgeklärte.
Wohl aber habe ich eine
Antwort, warum das Befolgen der Goldenen Regel die Überlebenschancen einer
Gesellschaft und damit ihrer Individuen fördert.
Warum das Befolgen dieser
Regel ein evolutionärer Vorteil ist.
Zur Begründung eine Vorannahme: Wir
beobachten mehrere Horden derselben Art, darunter Horden O (wie Original) und M
(wie mutiert). M hat durch Mutation die "Goldene Regel" eingepflanzt bekommen.
Wie stehen die Überlebenschanden für O und M?
Muß ich das noch
ausführen? Oder sind die kurzen Worte klar genug, daß die Angehörigen von O über
Leichen gehen, Feinde ansammeln, im Gegeneinander ihre Kräfte verschwenden und
nachher so untergehen, wie wir es heute bei denjenigen Konzernen erleben, in
denen das Gegeneinander tobt und Mitarbeiter als "Kostenfaktoren auf zwei
Beinen" (Schrempp) beschimpft werden.
Während die Teilnehmer der Horde M eher
Opfer für Einander bringen, Miteinander und Freunde gewinnen und die
Volksweisheit "Einigkeit macht stark!" umsetzen,
So wahrscheinlich in
der Evolution eine naheliegende Mutation auch irgendwann mal eintritt und sich
auswirkt, vermute ich, daß die Goldene Regel schon unseren Urahnen eher
angeboren war als nicht.
Daß sie eher Sache der Intuition ist (die Menge
aller Denkfähigkeiten an sinnesnahen, anschaulichen Sinneserlebnissen und
Gefühle, darunter auch die bildhafte Vorstellung "was wäre, wenn ich an seiner
Stelle wäre?").
Erklärt dies vielleicht, warum herzlose Manager, deren
Intellekt auf Kriegsfuß steht mit ihrer Intuition, eher gegen die Goldene Regel
verstoßen?
So sehr ich vermute, daß die Goldene Regel allen lernfähigen
und geselligen Arten eher angeboren ist, so sehr vermute ich, daß
menschengemachte, künstliche Gesetze und Religionen diese angeborene Regel nur
formuliert haben.
Und ferner: Weltliche und religiöse Gesetze, die gegen die
Goldenen Regel verstoßen, haben eine kurze Lebenszeit.
Du:Wenn zwei
Individuen die Goldene Regel anwenden, muss das nicht zu einem einheitlichen
Resultat führen.
Zustimmung. Aber die Chance steht höher. Insbesondere,
wenn die anderen Angehörigen der Horde eher Miteinander als Gegeneinander
schätzen und fordern.
Oh, Du hast das ja anders gemeint! Ich mag es
selber nicht mögen, dass mir jemand zum Geburtstag eine Operetten-DVD schenkt.
Trotzdem mag es sinnvoll sein, dass ich einem Operetten-Fan eine solche DVD
schenke.
Simple Antwort: Die Weihnachtsmann-Auslegung:-) der Goldenen
Regel: "Ich mag gern das geschenkt bekommen, was ich mir wünsche."
Du: Ein anderes Problem hängt mit der fehlenden Abwägung von Interessen bei
Anwendung der Goldenen Regel zusammen.
Das hatte ich von Anfang an
eingeräumt mit einer Aufspaltung, und ich präzisiere: In angeborene Goldene
Regel und erlernte Kriterien der Abwägung.
Du: Das Problem besteht
darin, dass wir uns wohl einig sind, dass die Hilfeleistung für A ethisch
Vorrang hat vor dem Konzertgenuss von B.
Eine künstliche Ethik taugt
eher für Forderungen an andere.
Ich habe schon einen Zug mit Sitzkarte
fahren lassen, um einem Armen, der im Schnee in der Gosse lag, zu helfen, bis
die Sanitäter kamen. Und eben nicht aus Kalkül oder Gehorsam gegenüber einer
Ethik, sondern aus Mitgefühl, aus der Vorstellung "was wäre, wenn ich an seiner
Stelle da läge..."
„Um gutes zu tun, braucht‘s keiner Überlegung.“
(Goethe)
Du: Die Frage ist: Wie kann man zu einem gemeinsamen
Ergebnis bei der Abwägung der beiden Alternativen und der damit verbundenen
Interessen kommen?
Ich weiß keinen Weg. Ich meine nur erkannt zu haben,
daß uns die Goldene Regel wohl angeboren ist und eine gute Grundlage für
gemeinsamen Erfolg ist, aber nicht für eine allgemeingültige Methode der
Abwägung in einem Tarifkonflikt.
Ciao
Wolfgang Horn
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-04-08, 21:17 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo Wolfgang,
Deine Art zu argumentieren versetzt
mich immer wieder in Erstaunen.
Die Worte „richtig“ oder „falsch“ sind
für Dich „künstliche Kategorien“, die Du nicht verwenden willst. Aber wenn Du
behauptest, dass das Befolgen der Goldenen Regel ein evolutionärer Vorteil für
eine Gesellschaft ist, dann impliziert das doch, dass Du diese Behauptung für
richtig hältst, oder? Was bringt das also?
Du schreibst: „Ich halte mich
für aufgeklärt und argumentiere für Aufgeklärte.“ Aber was hat das mit
Aufklärung zu tun, wenn Du die Frage, ob eine Theorie richtig ist, durch die
Frage ersetzt, ob die Anwendung dieser Theorie einer Gesellschaft einen
evolutionären Vorteil erbringt?
Ich halte diese Verschiebung der
Fragestellung eher für eine methodischen Flop:
1. Es gibt eine Theorie
Th 1 (die Goldene Regel), von der unbekannt ist, ob sie richtig oder falsch ist.
2. Der aufgeklärte Philosoph hält die Frage nach richtig oder falsch für
künstlich.
3. Er stellt stattdessen die Theorie Th 2 auf („Die
Anwendung der Goldenen Regel verschafft einer Gesellschaft einen evolutionären
Vorteil“).
4. Ist Th 2 nun richtig oder falsch?
5. Der
aufgeklärte Philosoph W hält die Frage nach richtig oder falsch für künstlich.
6. Er stellt stattdessen die Theorie Th 3 auf („Die Anwendung der Theorie
Th 2, dass die Anwendung der Goldenen Regel einer Gesellschaft einen
evolutionären Vorteil verschafft, verschafft einer Gesellschaft einen
evolutionären Vorteil“)
7. Ist Th 3 nun richtig oder falsch?
8.
Der aufgeklärte Philosoph hält die Frage nach richtig oder falsch für künstlich.
9. Er stellt stattdessen …
… … … … … …
Ich blende mich
hier mal aus und lasse den aufgeklärten Philosophen alleine weitermachen.
Es grüßt Dich
Eberhard.
p.s.: Zu dem Kommentar von
Laertes: „wenn der einigungszwang allem vorausgeht, so wird das 'gemeinsame
wollen' letztlich nichts anderes als ein kollektivzwang sein.“
Bitte
beachte: Ausgangspunkt ist der Wille zur Einigung angesichts der Kosten des
Krieges.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn
am 2007-04-08, 21:54 Uhr
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Hi, Eberhard,
Du: Die Worte „richtig“ oder „falsch“ sind für Dich
„künstliche Kategorien“, die Du nicht verwenden willst. Aber wenn Du behauptest,
dass das Befolgen der Goldenen Regel ein evolutionärer Vorteil für eine
Gesellschaft ist, dann impliziert das doch, dass Du diese Behauptung für richtig
hältst, oder?
Wenn ich die Entscheidung oder das Handeln eines
Handelnden bewerte, dann bewerte ich dessen angestrebten Nutzen aus seiner
Sicht.
"Richtig" und "Falsch" lese ich als allgemeingültige Bewertungen.
Der Handelnde sieht das oft anders.
Was das bringt? Es minimiert den
Fehler, der entsteht, wenn ich eine subjektive Entscheidung nach
allgemeingültigen Maßstäben messe.
Du: Aber was hat das mit Aufklärung
zu tun, wenn Du die Frage, ob eine Theorie richtig ist, durch die Frage ersetzt,
ob die Anwendung dieser Theorie einer Gesellschaft einen evolutionären Vorteil
erbringt?
"Richtig" und "Falsch", allgemeingültig verstanden wie auch
"Das Gute" und "das Böse" sind Erfindungen der monotheistischen Religionen.
Sie taugen für die Analyse der Handlung eines Einzelnen nur, wenn er sich diesen
Kategorien und den zugehörigen religiösen Gesetzen unterworfen hat.
Wenn
alle Angehörige einer Gesellschaft sich diesen Kategorien und Gesetzen
bedingungslos unterwerfen, dann wäre Deine allgemeingültige Schlichtungsmethode
leichter zu finden.
Du: 1. Es gibt eine Theorie Th 1 (die Goldene
Regel), von der unbekannt ist, ob sie richtig oder falsch ist.
Können
wir abkürzen. Ich halte die allgemeingültigen Kategorien von "richtig",
"falsch", "das Gute" und "das Böse" für untauglich für eine Abwägung der
Interessen von Personen, die sich diesen Kategorien und ihren zugehörigen
Gesetzen nicht bedingungslos unterworfen haben.
Deshalb argumentiere ich
mit der Nützlichkeit so, wie der jeweils Handelnde sie sieht.
Du:
4. Ist Th 2 nun richtig oder falsch?
Weder noch. Diese Kategorien sind
nicht anwendbar.
Wer es versucht, verirrt sich zwischen den Mehrdeutigkeiten
infolge der Widersprüche zwischen persönlicher und allgemeingültiger Wertung.
Deshalb bleibt: "die konsequente Anwendung der Goldenen Regel steigert die
Überlebenschancen einer Gesellschaft".
Ciao
Wolfgang Horn
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
2007-04-08, 22:05 Uhr
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Hi,
Dreh- und Angelpunkt ist m.E. die Entfremdung von der Welt, dem Sein
(gefällt Dir nicht, Eberhard, ist aber m.E. nur in diesen Tiefen zu lösen, das
Problem). Wir legen uns Ideologien zurecht (Marx), debattieren über unsinnige
Theorien (Wittgenstein), machen Entwürfe von der Welt und werfen damit das Sein
denkend von uns fort (Heidegger). Dadurch schaffen wir mit unserem Denken,
unseren Theorien eine fiktive Welt, und mit einer fiktiven Welt kann man
anstellen, was man will, es passiert ja nicht wirklich etwas.
Aufwachen
tun viele erst dann, wenn ihnen das, was sie tatsächlich bewirkt haben,
tatsächlich vor Augen steht, und zwar mit Entsetzen aufwachen. Das ist vielfach
der Fall bei fahrlässiger Tötung, Spruch "das habe ich nicht gewollt". Das war
aber auch z.B. der Fall, als die Einwohner von Dachau kurzerhand ins KZ geführt
wurden, bekannt ist dieses Phänomen auch von Soldaten und Bomberpiloten, wenn
sie sehen, was sie tatsächlich angerichtet haben oder aus besinnungslosem
Um-Sich-Ballern zwecks Selbstverteidigung aufgewacht sind. Und eben das zeigt,
wie wohl die Mehrheit der Menschen letztlich doch tickt.
Wer der Welt
nicht durch Theorien entfremdet ist, verabscheut Zerstörung, es sei denn, sein
eigenes Sein ist bedroht, denn dies hat den gleichen Wert wie anderes. Wem klar
vor wissenden Augen steht, wenn ich zum Konzert gehe, wird dieser Mensch sterben
oder schwer geschädigt werden, wird etwas Unwiederbringliches zerstört, der hat
keine Wahl: der hilft. Nicht wegen einer Norm, einer Moral, sondern weil er
will. Er kann gar nicht anders.
Das Problem besteht in meinen Augen
darin, dass wir alle möglichen Theoretisierungs- und Verdrängungsmechanismen
haben, die uns die realen Tatsachen nicht erkennen lassen. Aus diesem Grunde ist
es nötig, Richtlinien, Normen, Moralen zu entwickeln. Du wirst aber nie einen
Konsens erreichen, wenn diese auf Theorien aufgebaut werden sollen. Ein Konsens
ist nur dann möglich, wenn sie auf dem tatsächlich, im die Realität der Welt,
des Seins sehenden, sich zeigenden menschlichen Willen aufgebaut werden.
Grüße
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von laertes am
2007-04-08, 22:31 Uhr
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hi eberhard,
"Ausgangspunkt ist der Wille zur Einigung angesichts
der Kosten des Krieges."
eben, ein legolandausgangspunkt.
man hat ein alibi (krieg mit grossen schäden oder z.b. menschenrechte) um andere
interessen durchzusetzen.
man einigt sich also auf etwas, was sowieso
niemand mehr interessiert, um dem medienakt (d.h. dem kasperleteil des ganzen)
den anstrich von ethischem wert zu geben.
die naiven, meist
links-ausgerichteten sozi-ethikschafe nicken dann hinter der zeitung oder vor
dem fernseher.
dann werden aber alle tricks hinten und vorne
ausgespielt, die letztlich wieder den unterschied herstellen zwischen den
trickreichen und den nicht-durchschauern der tricks, die in ihrer aussteuerung
somit fremdbestimmt werden. das passiert so auf der menschlichen wie auf der
nationalen ebene.
dass zeitunglesen und allgemein nachrichten
verbreiten, konsumieren und glauben ausschliesslich zur selbstübereignung führt,
dazu bedarf es wohl keiner grossen erkenntisfähigkeit.
die pathetischen,
aufgeklärten info-heinis, die glauben, weltmänner zu sein, weil sie um das
verbreitete tagesgeschehen wissen, werden schon bald aussterben, weil die
unglaubliche virtualität diese bewusstseins nicht länger bestehen wird.
warum?
weil sich damit kein leben ausfüllen lässt und das wird irgendwann als
schmerz spürbar. nicht die gläubigen werden das in erster linie spüren (und sich
ändern), sondern deren kinder!
deine idee von einer nüchteren grundlage
eines gemeinsamen interesses, das die 'individuelleren', sekundären
spezialanliegen fair besprechen könnte, ist niemals gegeben, sondern geradezu
eine schreiend naive und gestrige vorstellung.
es gibt in der politik immer
das spiel vor und hinter dem vorhang.
ethik und moral haben keinen zutritt
hinter den vorhang und sind auch aufgrund ihres theoretischen anganges, der nur
eine unwirksame sprache abwirft, die im realgefecht null chance hat, weit zu
träge, dort überhaupt etwas ausrichten zu können.
siehe 9/11.
wenn du
eine 'andere welt' möchtest, dann ist das nachsinnen über ethik mittels moralen
wohl das kontraproduktivste, was sich denken lässt.
weit folgenreicher
ist das gewahrwerden, dass alles bewusstsein du selbst bist.
als spekulation:
würde dies breit global erkannt, würde das sich gegenseitige abmessen mittels
moral und der daraus resultierenden mängel, fehler, versäumnisse, die wiederum
für aggressionspotenziale und gewalt sorgen, wegfallen.
d a s wäre mal
was!
den aufwand der schuldsuche vernichten!
wurstelt man aber in den
moralischen kategorien selbst rum, so stärkt man letztlich nur alles, was man
meint mittels ihnen verbessern zu können. oder spricht irgendwo der verlauf
deiner vielen ethikthreads dagegen?
m.e. ist es interessant, diese
bestätigung der moralischen, politischen, wirtschaftlichen (vorstellungs)systeme
möglichst umfassend zu u n t e r l a s s e n ohne ressentiment und auch ohne
verzicht.
wie kann das gehen?
indem man z.b. erfasst, was
vorstellung und was wirklichkeit ist.
nur so könnte (endlich!)
verhindert werden, dass ethik und politik probleme schaffen statt sie zu lösen.
viele grüsse
laertes
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
2007-04-08, 22:36 Uhr
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on 04/07/07 um 20:47:11, hythlodeus wrote:[talker]
Vielleicht hilft
dies weiter:
http://www.kellmann-stiftung.de/index.html?/beitrag/hoerster_moral.html
M.E. vollkommen sinnlos.
1. Seine Argumentation basiert auf
der Einheit und Gleichheit aller Menschen. Genau das jedoch wird von den
Freunden des Massenmordes abgelehnt. Nicht als Menschen oder richtige oder
vollwertige Menschen angesehen wurden Schwarze, Braune, Gelbe, Juden,
Andersgläubige, Behinderte, Homosexuelle, Frauen, Dissoziale,
Psychiatrieinsassen, Kommunisten, Antikommunisten ... die Reihe ist endlos. Im
Grunde sagt er das ja selber: im kleinen Haufen funktioniert sein Argument, um
den großen drückt er sich herum.
2. Würde ich dem Autor dazu raten, sich
mal etwas intensiver mit dem Nationalsozialismus zu befassen (und auch mit
Nietzsche). Die nämlich beriefen sich letztlich auf die Wahrheit der Natur,
anders gesagt, auf die Evidenz der biologischen Steuerungen. Also der Gefühle,
und die sind evident, weil sie empfunden werden, denn von der Biologie her ist
der Mensch ein Viech wie jedes andere auch und wird mit den gleichen Gefühlen
gesteuert. Die Nazis erklärten die Ethik schlichterhand für eine Lüge der Juden,
durch die diese 'Antimenschen' ihr Überleben sichern wollen, da sie ansonsten
von der göttlichen Natur schon längst ausgerottet wären. Wobei zu bedenken ist,
die biologische Steuerung funktioniert, das Viehzeug lebt damit seit
Jahrmillionen. Sie ist vernünftig, sie ist logisch, sie funktioniert, sie ist
nur nicht menschlich.
Von daher behaupte ich, eine Ethik ohne Metaphysik
ist unmöglich, weil Ethik immer nur etwas spezifisch Menschliches sein kann;
dass Menschen seit Jahrtausenden nach ethischen Grundsätzen leben, auch wenn
diese immer wieder gebrochen werden, zeigt, dass Menschen über das Tier
hinausreichen. Das schiere Vorhandensein ethischer Grundsätze zeigt das.
Eine Ethik ohne Metaphysik landet bestenfalls bei der zivilisatorischen Moral,
wie sie z.B. in den USA vertreten wird, wonach die angeblich höchste =
erfolgreichste Zivilisation auch die besten Werte hat, die folglich überall
verbreitet werden müssen, vor allem unter den Unzivilisierten. Wieviel Unheil
dadurch schon angerichtet wurde, ist allseits bekannt. Und letztlich landen
solche Bemühungen genau da, wo alle anderen Bemühungen, eine eigene Moral auf
ihrer ideologischen Basis zu schaffen, auch landen: in der Biologie, die das
friedliche Zusammenleben im eigenen Rudel regelt und ansonsten nach dem Recht
des Stärkeren funktioniert.
Kleiner Hinweis: wie brave Normen,
Demokratie und friedliches Zusammenleben funktionieren, mag man an Oliver
Cromwells Puritanern erkennen. Wobei man allerdings nicht übersehen sollte, wie
diese mit Nichtpuritanern umgingen.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn
am 2007-04-08, 23:45 Uhr
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Hi, Abrazo,
Du: Von daher behaupte ich, eine Ethik ohne Metaphysik
ist unmöglich...
Beinhaltet Deine Behauptung auch den Umkehrschluß:
"Eine allgemein und von jedem Individuum anerkannte metaphysikalische Ethik ist
möglich"?
Wenn ja, wie?
Meine Antithese: In einer Gesellschaft
von Individuen sind außer den wenigen angeborenen keine Gesetze denkbar mit
Aussicht auf allgemeine Anerkennung und von jedem Individuum.
Sondern
allenfalls in einer Gesellschaft von Nicht-Individuen.
Und ich müßte
Dich bisher falsch verstanden haben, wenn Du eine Gesellschaft von
Nicht-Individuen für erstrebenswert hältst.
Ciao
Wolfgang Horn
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
2007-04-09, 01:34 Uhr
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Hi Wolfgang,
Quote:Beinhaltet Deine Behauptung auch den
Umkehrschluß: "Eine allgemein und von jedem Individuum anerkannte
metaphysikalische Ethik ist möglich"?
Sofern es die Grundlage
betrifft, also das, auf dem eine im Konsens akzeptable Moral aufgebaut werden
könnte (Du weißt, ich unterscheide zwischen Ethik = das, was ist und Moral =
das, was sein soll), ja.
Und zwar deswegen, weil die humane Ethik im
Menschen potentiell ebenso vorhanden ist wie die biologischen Steuerungen, mit
denen sie im Konflikt steht. Nicht immer, aber immer dann, wenn die biologische
Steuerung zu einem Tun treibt, das der humanen Ethik widerspricht. Denn die
humane Ethik ist nicht positiv, sondern negativ. Heißt, durch sie will Mensch
nicht etwas tun, sondern etwas nicht tun, etwas verhindern. Deswegen spreche ich
vom ethischen Nein.
Das meiste, was Individuum Mensch tut, ist ethisch
überhaupt nicht relevant.
Vergleich das mal mit Benimmregeln (gehören im
Grunde auch zur Moral, soll man nicht vergessen): wie soll ich mich bewegen, wie
soll ich mich anziehen, wie soll ich Messer und Gabel gebrauchen. Die lassen
sich ethisch höchstens über Umwege begründen: wer direkt vom Teller frisst und
ins Essen rotzt, benimmt sich wie ein Tier, also abscheulich, der Menschenwürde
widersprechend und verdirbt den anderen den Appetit. Das ist schon eine ganz
andere Sache als zu sagen, es ist abscheulich, die Oma ins Pflegeheim zu hauen,
um ihr das Portmonne wegzunehmen.
Gruß
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-04-09, 09:51 Uhr
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Hallo allerseits,
die Kommentare, die zu meinem letzten Beitrag gekommen
sind, unterstreichen für mich die dringende Notwendigkeit, Klarheit und Vernunft
im Denken – auch in Bezug auf Wertungen und Handlungsregeln - zu erreichen.
Hallo Wolfgang.
Dein Satz:
" 'Richtig' und 'Falsch',
allgemeingültig verstanden … sind Erfindungen der monotheistischen Religionen"
ist aus meiner Sicht ein Paradebeispiel für verwirrendes Denken.
Durch Vermeidung der Worte "richtig" oder "falsch" kann man das Problem des
möglichen Irrtums nicht ausscheiden. Wenn Du behauptest, die Anwendung der
Goldenen Regel sei ein evolutionärer Vorteil, dann bleibt doch immer die Frage,
ob es auch so ist, wie Du behauptest. Es bleibt also die Frage, ob das richtig
ist, was Du behauptest.
Diese grundlegende Frage nach der Wahrheit im
weitesten Sinne haben doch nicht Moses, Jesus oder Mohammed erfunden!?
Hallo Laertes.
Ich halte es für eine extrem verzerrte Sicht der Dinge,
wenn Du die Ursache für die schlimmen Dinge, die auf diesem Globus passieren,
bei denen suchst, die sich um eine vernünftige, allgemein verständliche und
einsichtige Beantwortung aller Fragen – auch der moralischen – bemühen.
Die Normen und der damit verbundene Zwang kommen nicht durch die Morallehren in
die Welt, sie sind doch schon lange vorher da als fremder Wille und Befehl.
Diesen Zwang kann nur eine vernünftige, allgemein konsensfähige Moral
auflösen, denn nur eine solche Moral ist ein Gesetz, das wir uns gemeinsam
selber geben für unser Handeln.
Die Annahme, dass die Dinge besser
werden, wenn man auf begründete Normen verzichtet, setzt voraus, dass der Mensch
"gut" ist, dass also eine konfliktfreie Antriebstruktur den Menschen angeboren
ist, die von selbst zu einer sozialen Harmonie führt.
Angesichts der
scheußlichen Verbrechen, zu denen Menschen unter bestimmten Bedingungen fähig
sind - und da schließe ich mich als Mensch ein – und angesichts der
psychologischen Forschungsergebnisse über Aggression halte ich eine solche
Sichtweise der menschlichen Natur für blauäugig, ja für fatal.
Hallo Abrazo,
Du setzt auf einen faktisch im Menschen vorhandenen
ethischen Willen, der nur durch Theoretisierungs- und Verdrängungsmechanismen
verschüttet ist, sodass wir die realen Tatschen nicht erkennen.
Das
Problem ist der Nachweis eines solchen instinktähnlichen angeborenen ethischen
Willens.
Handeln die Menschen zerstörerisch und bringen sich in Kriegen
gegenseitig um - wie etwa bei den blutigen Stammesfehden in Afrika - dann kannst
Du Deine Annahme immer dadurch retten, dass Du irgendwelche Theorien anführst,
an die die Menschen glaubten. Soll heißen: Es besteht bei Deiner Position in
ihrer jetzigen Form der Einwand der Immunisierung gegen Kritik. Um diesem
Einwand zu entgehen, müsstest Du angeben, welche Fakten Deine Annahmen
widerlegen würden.
Im Übrigen sehe ich keinen unbedingten Gegensatz zu
meiner Position. Wenn Deine Position stimmt, dann wird es umso leichter fallen,
zu einem Konsens über den Schutz menschlichen Lebens zu gelangen.
Noch
ein letzter Punkt. Für mich sind Benimmregeln kein Bestandteil der Moral.
Benimmregeln lösen keine Interessenkonflikte sondern sind symbolische Gesten,
die eine exklusive Gemeinschaft sich zur Abgrenzung gegen Außenstehende gibt.
Wer die Benimmregeln nicht beachtet, der "gehört nicht dazu", aber er ist kein
moralisch schlechter Mensch.
Ob man z. B. Damen immer den Vortritt
gewähren soll, ist keine moralische Frage. Wenn ich von einer Gleichberechtigung
der Geschlechter ausgehe, dann darf auch eine Frau mir als Mann den Vortritt
gewähren oder mir in den Mantel helfen.
Sonnenschein drinnen und draußen
wünscht Euch zum Ostermontag
Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
2007-04-09, 12:32 Uhr
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Hi Eberhard,
Quote:Das Problem ist der Nachweis eines solchen
instinktähnlichen angeborenen ethischen Willens.
Genau so ist es.
Wenn der nämlich einfach als Axiom gesetzt würde, würde dies aufgrund der
Dichotomie Humanum - Biologie in der Tat zu einer Immunisierung gegen jegliche
Kritik führen.
Ich sehe die Sache folgendermaßen:
Wir wissen doch so
einigermaßen, wie die biologische Steuerung funktioniert. Wissen wir sowohl von
der Beobachtung des Verhaltens des Viehzeugs wie auch aus der Reflexion über
das, was uns selbst antreibt. Diese Steuerung mit dem Ziel Überleben ist
durchaus sinnvoll und vernünftig.
Wenn wir unter diesem Aspekt nun die
uns bekannte Menschheitsgeschichte uns vor Augen halten - also nicht etwa uns
auf die Gegenwart beschränken und von dort aus uns Erklärungen zusammensuchen -
dann stellen wir fest, dass Menschen immer schon Verhaltensweisen zeigten, die
nicht natürlich sind. Die den Interessen des Überlebens manchmal geradezu
widersprechen. Die also mit Blick auf das Ziel Überleben unsinnig, unvernünftig
und von der Biologie her betrachtet auch unlogisch sind. Gastfreundschaft z.B.
ist unlogisch und auch nicht mit Gegenseitigkeit erklärbar, denn so regelmäßig
haben sich die Menschen nicht von ihrem Rudel wegbewegt. Im Tierreich gibt es
keine Gastfreundschaft. Da gibt es keine fremden Gäste, da gibt es nur
Vertreibung oder Unterwerfung. Man teilt nicht sein Revier und seine Nahrung mit
Fremden. Das ist biologisch widersinnig.
Hier erinnere ich an Kant: gut
ist nur der gute Wille, der Wille, eine Tat zu tun, von der man nun wirklich
keinerlei Vorteile hat, noch nicht einmal ein gutes Gefühl.
Tatsächlich
ist das der Knackpunkt der Ethik: Menschen tun nun mal ab und an was, was ihnen
überhaupt nichts nützt, ihnen vielleicht sogar schadet, und genau solche Taten
sind es im Kern, die als gut bezeichnet werden. Da gibt es keinen vernünftigen
Grund für.
Also gibt es da noch etwas anderes, was uns treibt, als die
Biologie, die Natur, die Logik, die Vernunft. Und deswegen, weil die Ethik
offenbar auf etwas anderem beruht, können die letzteren keine Ethik begründen.
Gruß
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn
am 2007-04-09, 14:00 Uhr
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Hi, Abrazo,
Ich: " Beinhaltet Deine Behauptung auch den Umkehrschluß:
"Eine allgemein und von jedem Individuum anerkannte metaphysikalische Ethik ist
möglich"?"
Du: Sofern es die Grundlage betrifft, also das, auf dem eine
im Konsens akzeptable Moral aufgebaut werden könnte (Du weißt, ich unterscheide
zwischen Ethik = das, was ist und Moral = das, was sein soll), ja.
Danke
für den Hinweis auf die Unterscheidung, so kommen wir eher zusammen. Denn wer
die Dinge so laufen läßt, wie sie laufen, der stößt auf weniger Gegenwehr.
Allerdings vermute ich, die Aufgabe "das, was ist" so zu beschreiben, daß Dir
alle zustimmen, ist so gut wie unmöglich.
Zur Probe beginne mit den
Tarifparteien und hole deren Zustimmung ein für Deine präzise Beschreibung von
"Gerechter Tariflohn".
Ich vermute, eine Beschreibung des Ist ist nur
dann allgemein zustimmungsfähig, wenn sie so schwammig gehalten ist, daß sie
eben nichts mehr beschreibt, was irgendwer als Aufforderung zum persönlichen
Opfer verstehen könnte, sondern allenfalls die Illusion einer Beschreibung
vermittelt. So ähnlich wie "es wird zwar Vieles anders, aber Alles besser!"
Ich vermute auch, daß metaphysische Begründungen aufgrund ihrer
Nicht-Hinterfragbarkeit dazu weit besser geeignet sind als
naturwissenschaftliche mit deren Nachprüfbarkeit.
Du: Und zwar deswegen,
weil die humane Ethik im Menschen potentiell ebenso vorhanden ist wie die
biologischen Steuerungen, mit denen sie im Konflikt steht.
Nur teilweise
Zustimmung.
Ja: Ich vermute, wenn ich die Naturgesetze der Evolution eher
richtig verstanden habe als falsch, dann muß gesellig und erfolgreich lebenden
Arten eine "Goldene Regel" angeboren sein.
Oder im Umkehrschluß: Dann können
nur solche gesellig lebenden Arten Aussicht auf Zukunft im
Verdrängungswettbewerb haben, denen die Goldene Regel angeboren ist.
Nein
gegen die Formulierung : "wie die biologischen Steuerungen, mit denen sie [die
humane Ethik] im Konflikt steht". Denn wenn meine Vermutung zutrifft, daß uns
eine Goldene Regel angeboren sein muß, dann gehört sie eben zur "biologischen
Steuerung" und kann mit dieser nicht in Konflikt geraten. Sondern dann sind eher
künstliche, geschönte humanistische Bilder vom "edlen und guten Menschen" im
Widerspruch zum Ist.
Du: Das meiste, was Individuum Mensch tut, ist
ethisch überhaupt nicht relevant.
Nach Deiner unausgesprochenen Definiton für
"Relevanz" wird das schon so sein.
Du: ...Benimmregeln ...ins Essen
rotzt,... der Menschenwürde widersprechend...
Das laut Grundgesetz
Unantastbare halte ich für wesentlich höherstehend als die Belästigung beim
gemeinsamen Essen. Nämlich eher das Gebot der Anwendung der Goldenen Regel gegen
Folter, Versklavung und Aberkennung des persönlichen Rechts, nach seinem
persönlichen Glück streben zu dürfen.
Ciao
Wolfgang Horn
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn
am 2007-04-09, 14:41 Uhr
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Hi, Eberhard,
Du: Durch Vermeidung der Worte "richtig" oder "falsch"
kann man das Problem des möglichen Irrtums nicht ausscheiden.
Den halte
ich für sowieso nicht ausscheidbar, sondern immer für möglich.
Der Vorwurf
"Irrtum" ist aber wahrscheinlicher, wenn wir eine Handlung mal aus der Sicht des
Handelnden bewerten und mal aus der Sicht des Gesetzgebers.
Wenn Du
behauptest, die Anwendung der Goldenen Regel sei ein evolutionärer Vorteil, dann
bleibt doch immer die Frage, ob es auch so ist, wie Du behauptest.
Klar.
Ich habe dazu nur die Herleitung mit den vermuteten Naturgesetzen der evolution
anzubieten.
Wer eine Alternative zeigen kann, die nach Ockhams Regel als eher
wahr zu gelten hat, der möge sie präsentieren.
Solange sich keiner
meldet, erfreue ich mich der Tatsache, daß meine Erklärung unangefochten bleibt.
Ciao
Wolfgang Horn
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
2007-04-09, 21:34 Uhr
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Hallo allerseits,
Ich schrieb:
„Wie können Individuen angesichts
eines Konflikts ihrer Interessen zu einem gemeinsamen Wollen kommen, ohne dass
dabei ein anderer Zwang ausgeübt wird als der ‚Zwang’ sich zu einigen?
Sie können einen allen gemeinsamen Willen bilden, indem jedes Individuum die
Interessen jedes andern so berücksichtigt, als wären es zugleich seine eigenen.
Dies erfordert, dass dabei die Interessen aller Beteiligten wohlwollend
und unparteiisch berücksichtigt werden.“
Wenn ich die kritischen
Einwände durchgehe, so finde ich kaum konkrete Kritik an diesem Konzept. Die
vorgebrachten Einwände konnten jedenfalls aus meiner Sicht entkräftet werden.
Ich will deshalb in meinem Gedankengang erstmal weitermachen.
Wenn die Interessen aller Beteiligten wohlwollend und unparteiisch
berücksichtigt werden sollen, dann setzt das voraus, dass man diese Interessen
auch erkennen und bestimmen kann – und zwar intersubjektiv nachvollziehbar.
(Hier sehe ich die größten Schwierigkeiten dieses Ansatzes.)
Man kann
einmal die Individuen selber ihre Interessen formulieren lassen.
Ein
Problem ist dabei, dass sich die Individuen aufgrund von Unwissenheit und
„Manipulation“ über ihre „wirklichen“ Interessen täuschen. (Darauf wurde schon
wiederholt hingewiesen.)
Allerdings ist bei der Diagnose „manipuliert“
Vorsicht geboten. Mit dem Argument, dass die Menschen manipuliert seien, kann
man die Menschen auch entmündigen und einen Herrschaftsanspruch absichern, der
sich jeder Kritik entzieht, weil jede Kritik mit dem Argument abgetan werden
kann, sie sei nur Ausfluss der Manipulation. Anstatt durch allgemeine, gleiche
und geheime Wahlen werden dann im Endeffekt alle politischen Institutionen von
einer selbsternannten Elite kontrolliert.
Wenn man annimmt, dass den
Menschen das Hemd näher ist als der Mantel, dass sie also vor allem um das
eigene Wohl besorgt sind (das eigene individuelle Wohl, das Wohl der eigenen
Familie und der eigenen Freunde, der eigenen Region und des eigenen Landes), so
muss man damit rechnen, dass die Individuen die Dringlichkeit ihrer eigenen
Interessen übertreiben und entgegenstehende Interessen anderer in ihrer
Dringlichkeit herunterspielen.
Es gibt allerdings gewisse
Möglichkeiten, solche Argumentationsstrategien aufzudecken. So können die
äußeren Lebensbedingungen empirisch erfasst werden, aus denen sich die
Interessenlage weitgehend ergeben, um nur eine Möglichkeit zu nennen.
Manchmal ist auch rein logisch eine Rangordnung der Dringlichkeit zu erkennen.
So ist es schlimmer, eine Hand zu verlieren als nur einen Finger. Und es ist
schlimmer, nie mehr einen Konzertgenuss zu erleben (weil man tot ist), als den
Anfang eines einzigen Konzertes zu versäumen.
Ich muss hier leider
abbrechen (ist allerdings schon lang genug) und grüße Euch
Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn
am 2007-04-09, 22:32 Uhr
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Hi, Eberhard,
Du: „Wie können Individuen angesichts eines Konflikts
ihrer Interessen zu einem gemeinsamen Wollen kommen, ohne dass dabei ein anderer
Zwang ausgeübt wird als der ‚Zwang’ sich zu einigen?
Sie können einen allen
gemeinsamen Willen bilden, indem jedes Individuum die Interessen jedes andern so
berücksichtigt, als wären es zugleich seine eigenen.
Dies erfordert, dass
dabei die Interessen aller Beteiligten wohlwollend und unparteiisch
berücksichtigt werden.“
Nein, nicht "dies erfordert". Sondern: Eberhard
fordert dies von den Tarifparteien.
Leider werden die Gewerkschaftschefs
Sommer und Bsirske seinetwegen keine Opfer im Namen ihrer Gewerkschafter
bringen.
Deshalb, Eberhard, ist Deine Suche nach einer allgemeingültigen
Methode zum Schlichten durch Abwägung der Interessen illusorisch.
Ich
schreibe das zum wiederholten Mal, lese von Dir aber: so finde ich kaum konkrete
Kritik an diesem Konzept...Die vorgebrachten Einwände konnten jedenfalls aus
meiner Sicht entkräftet werden.
Ich fürchte, das Einfühlungsvermögen,
das Du von anderen erwartest, fehlt Dir in dieser Sache selbst.
Was
lohnt die Diskussion mit Dir, wenn Du Gegenargumente nicht wahrnimmst? Dann
lohnt nur die Diskussion über Dich.
Ich bin erst mal sauer.
Ciao
Wolfgang Horn
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hedgi am
2007-04-09, 23:52 Uhr
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Von Wolfgang las ich:
Quote:….. , Ich vermute, wenn ich die Naturgesetze der
Evolution eher richtig verstanden habe als falsch, dann muß gesellig und
erfolgreich lebenden Arten eine "Goldene Regel" angeboren sein.
Oder im
Umkehrschluß: Dann können nur solche gesellig lebenden Arten Aussicht auf
Zukunft im Verdrängungswettbewerb haben, denen die Goldene Regel angeboren ist.
Das glaube ich nicht, denn das ist die Ethik des kleinen
Mannes. Die Goldene Regel ist wie geschaffen für den Schwachen, für den, der
nichts hat was sich lohnt zu verlieren, bis auf seine Existenz. Die Wirklichkeit
zeigt uns, die Starken stellen das große Heer der Schwachen auf, und lassen sie
für ihre Interessen kämpfen.
Bereits Nietzsche beschrieb den Starken im
Übermenschen, der sich nicht hinter ein Gewissen verstecken musste. Dem schloss
sich auch Sartre über seine Worte an, der Starke rechtfertigt die Verantwortung
für sein Handeln nur sich selbst gegenüber, und braucht keine Rechtfertigung
gegenüber einer von der Religion geprägten Ethik. Der Schwache aber, braucht
eine Instanz, der er die Verantwortung für sein Handeln überantworten kann. Nur
so können Kriege zu Ende geführt werden.
Darum, der Starke sucht keinen
Konsens, er benutzt ihn, um dem Schwachen die Zustimmung erträglich zu
gestalten. Die hat der Starke ohnehin sicher.
Quote:…… , ist Deine
Suche nach einer allgemeingültigen Methode zum Schlichten durch Abwägung der
Interessen illusorisch.
Dem kann ich nur noch beipflichten, der
Schwache braucht die Illusion. Aber Eberhard sieht das nicht ein, dabei bräuchte
er sich nur etwas ausführlicher mit Habermas zu befassen. Die Wahrheit über die
Konsenstheorie
(http://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCrgen_Habermas#Konsensustheorie_der_Wahrheit)
war ihm eine Herzensangelegenheit. Einigung durch Konsens wäre möglich, wenn
sich nur alle an die von Habermas genannten Regeln hielten. Die Goldene Regel
würde in diesem Fall auch schon reichen, aber die ist von Eberhard, wie er dies
am Beispiel eines Geschenks einer DVD anschaulich beschrieb, auch schon als
unzureichend beschrieben worden.
Die Parteien die am Tisch sitzen und
für uns um Konsens ringen, beurteilen das für und wider ihrer Ziele, nach
Kosten-Nutzen Gesichtspunkten. Und diese Kalkulation wurde gewöhnlich schon
durchgeführt, bevor die Verhandlungen überhaupt begannen. Dafür benötigt ein
Staat sein Beamtenheer.
hedgi
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn
am Vorgestern, 00:29 Uhr
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Hi, hedgi,
Ich: "….. , Ich vermute, wenn ich die Naturgesetze der
Evolution eher richtig verstanden habe als falsch, dann muß gesellig und
erfolgreich lebenden Arten eine "Goldene Regel" angeboren sein.
Oder im
Umkehrschluß: Dann können nur solche gesellig lebenden Arten Aussicht auf
Zukunft im Verdrängungswettbewerb haben, denen die Goldene Regel angeboren ist."
Du: Das glaube ich nicht, denn das ist die Ethik des kleinen Mannes.
Mehr als Dein Glaube kannst Du nicht anführen? Schwach.
Dein Glaube
beweist leider gar nichts, weil Du die Richtigkeit des Glaubens nicht begründen
kannst. Sonst wäre es ja kein Glaube.
Ich habe meine These von der
angeborenen Goldenen Regel oben abgeleitet von offensichtlichen Naturgesetzen
der Evolution.
Hast Du dagegen Argumente? Die würden mich durchaus
interessieren.
Trotzdem gebe ich Dir Recht, interpretiere Deine
Wahrheiten aber anders.
Die Wahrheit: ...die Starken stellen das große Heer
der Schwachen auf...
Ja, groß ist die Verlockung nach Vorteilen, die der
Starke durch Verletzung der Goldene Regel gewinnen kann, wenn die Mehrheit der
Schwachen ihm das gestatten.
Aber das ist kein Argument gegen die
angeborene Goldene Regel, sondern die Ergänzung der Tatsache der
Mißbrauchsmöglichkeit.
Ciao
Wolfgang Horn
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
Vorgestern, 09:11 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Wolfgang,
Du kritisierst, dass ich
Gegenargumente von Dir nicht wahrnehme.
Dabei beziehst Du Dich auf die
folgende Stelle:
„Wie können Individuen angesichts eines Konflikts
ihrer Interessen zu einem gemeinsamen Wollen kommen, ohne dass dabei ein anderer
Zwang ausgeübt wird als der ‚Zwang’ sich zu einigen?
Sie können einen
allen gemeinsamen Willen bilden, indem jedes Individuum die Interessen jedes
andern so berücksichtigt, als wären es zugleich seine eigenen.
Dies
erfordert, dass dabei die Interessen aller Beteiligten wohlwollend und
unparteiisch berücksichtigt werden.“
Dein Gegenargument lautet:
“Nein, nicht „dies erfordert“. Sondern: Eberhard fordert dies von den
Tarifparteien. Leider werden die Gewerkschaftschefs .. seinetwegen keine Opfer
bringen. Deshalb .. ist Deine Suche nach einer allgemeingültigen Methode zum
Schlichten durch Abwägung der Interessen illusorisch.“
Hierzu ist
einiges zu sagen und manches Missverständnis auszuräumen. (Das Problem bei
unserer Diskussion ist offenbar, dass einige meiner Gedankengänge ungewohnt sind
und deshalb eine erhöhte Gefahr von Missverständnissen besteht.)
Zum
einen ist ein bloßes „Nein“ zu einer Position noch kein Gegenargument, sondern
die Verneinung dieser Position, eine Gegenbehauptung. Zu einem Gegenargument
wird die Gegenbehauptung erst dadurch, dass sie ihrerseits begründet wird.
Du schreibst, dass ich von den Tarifparteien fordere, die Interessen aller
Beteiligten wohlwollend und unparteiisch zu berücksichtigen. Dies habe ich
jedoch niemals gefordert und bedeutet ein Missverständnis dessen, was mit
Interessenabwägung gemeint ist.
Tarifkonflikte werden ja nicht durch
zwangfreie Argumentation mit dem Ziel einer Einigung gelöst, sondern durch das
Aushandeln von Tarifverträgen.
Das Aushandeln eines Vertrages ist
jedoch etwas anderes als eine Argumentation mit dem Ziel eines allgemeinen
normativen Konsens.
Bei Vertragsverhandlungen sind die Parteien nicht
verpflichtet, die Interessen der andern Partei zu berücksichtigen, sondern sie
sind freigestellt, ihren eigenen Vorteil zu verfolgen. Das schließt ein, dass es
keine Verpflichtung zum Abschluss eines Vertrages gibt.
Zwar darf keine
Vertragspartei die andere durch Drohungen mit der Zufügung eines Übels zum
Vertragsabschluss zwingen (das wären Mafia-Methoden nach der Manier: „Ich machte
ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte). Trotzdem kommt ein Vertrag in
der Regel nicht frei von Zwang zustande, weil die Verhandlungsmacht (englisch:
bargaining power), über die die Parteien verfügen, eine entscheidende Rolle
spielt.
Die Verhandlungsmacht einer Partei hängt entscheidend davon ab,
wie gut die Partei mit einem Scheitern der Verhandlungen leben kann, d. h. wie
stark sie auf einen Vertragsabschluss angewiesen ist.
Die Stärke einer
Gewerkschaft in einer Tarifverhandlung hängt z. B. davon ab, wie groß der
Prozentsatz der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten ist, wie stark und
dauerhaft deren Streikbereitschaft ist, wie voll die Streikkasse der
Gewerkschaft ist, um ausgefallene Lohnzahlungen auszugleichen, wie groß die
Gewinne der Unternehmen sind etc.
Ich hoffe, dass der wichtige
Unterschied zwischen einer vertraglichen Einigung und einer rein argumentativen
Einigung deutlich geworden ist.
Es grüßt Dich und alle andern
Interessierten
Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
Vorgestern, 10:12 Uhr
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Hallo Hedgi,
weil die Konsenstheorie von Habermas kritikwürdig sein mag,
muss deshalb nicht jede andere Konsenstheorie kritikwürdig sein. Die bestehenden
Unterschiede darf man nicht einfach unter den Teppich kehren.
Ich habe
von Habermas viel gelernt, bin jedoch der Ansicht, dass der Versuch, durch
Präzisierung der Bedingungen einer idealen Sprechsituation zum argumentativen
Konsens zu kommen, nicht ausreichend ist und nicht zum Ziel führt.
Solche verfahrensmäßigen Festlegungen bleiben notwendigerweise an der Oberfläche
der behandelten inhaltlichen Streitfragen. Man erkennt das leicht daran, wenn
man einmal versucht, positive (empirische, faktische) Streitfragen durch eine
ideale Sprechsituation zu lösen. Die verfahrensmäßigen Vorschriften führen nicht
weit, solange nicht methodologische Kriterien wie logische Widerspruchsfreiheit
und intersubjektiv und intertemporal übereinstimmende Wahrnehmungen als Bezug
auf das, was ist, eingeführt werden.
Analog dazu muss eine ethische
Theorie methodologisch begründet werden, mit den Kriterien der logischen
Widerspruchsfreiheit und übereinstimmendem Wollen als Bezug auf das, was sein
soll. Dies ist etwas holzschnittartig formuliert, um die Richtung der
Überlegungen möglichst deutlich zu machen.
Um eine pauschale,
undifferenzierte Kritik, die nichts taugt, zu vermeiden, empfiehlt sich eine
Kritik, die möglichst dicht am kritisierten Text bleibt, meint
Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
Vorgestern, 12:01 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Abrazo,
Du hast geschrieben:
“Tatsächlich ist das der Knackpunkt der Ethik: Menschen tun nun mal ab und an
was, was ihnen überhaupt nichts nützt, ihnen vielleicht sogar schadet, und genau
solche Taten sind es im Kern, die als gut bezeichnet werden. Da gibt es keinen
vernünftigen Grund für.“
Meine Frage an Dich: Was ist für Dich ein
„vernünftiger Grund“?
Nach meinem Verständnis kann es sehr wohl
„vernünftig“ sein, sich für andere Menschen aufzuopfern. Ich denke an den Fall
eines Feuerwehrmannes. Als ein Sprengkörper in unmittelbarer Nähe einer großen
Gruppe von Kindern zu explodieren drohte, warf er sich mit seinem Körper über
den Sprengkörper und bezahlte die Rettung der Kinder mit seinem Tode.
Diese Handlung war sicherlich nicht in seinem individuellen Interesse und
insofern nicht „rational“ im engeren Sinne. Doch war sie sicherlich vernünftig
und im höchsten Maße moralisch. Bei einer Abwägung der Interessen aller
Beteiligten wiegt die Lebensrettung von 25 Kindern sicherlich höher als der Tod
des Feuerwehrmannes.
Allerdings bedeutet diese positive moralische
Wertung seines Handelns nicht, dass der Feuerwehrmann nun moralisch verpflichtet
war, sein Leben für das der Kinder zu opfern. Moralische Normen sind auch danach
zu beurteilen, ob die Menschen zu ihrer Befolgung in der Lage sind. Eine
moralische Pflicht, die u. a. beinhaltet, in den sicheren eigenen Tod zu gehen,
würde die allermeisten Menschen sicherlich überfordern.
Ich bleibe also
dabei, dass es eine Moral auf vernünftiger Grundlage geben kann, bis mich ein
überzeugendes Argument eines besseren belehrt.
Grüße an Dich und alle
andern von
Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
Vorgestern, 13:52 Uhr
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Hallo allerseits,
Ich will noch mal kritisch meine Argumentation
hinterfragen. Die Kernthese des Ansatzes lautet:
Wenn die Beteiligten
an einem Konflikt ohne Zwang einen allen gemeinsamen Willens bestimmen wollen,
dann muss jedes Individuum die Interessen jedes andern so berücksichtigen, als
wären es zugleich seine eigenen.
Diese Formulierung beinhaltet, dass
nur in dieser Weise ein allgemeiner Wille zwangfrei hergestellt werden kann.
Die Frage ist, wie sich dies begründen lässt.
Eine Implikation der
Kernthese ist, das es bei der Interessenabwägung zur Bestimmung des allgemeinen
Willens keine Rolle spielen darf, wer der Träger der Interessen ist,
insbesondere wenn es sich um meine eigenen Interessen handelt, die zu gewichten
sind. (Dies wird auch als die Forderung nach Verallgemeinerbarkeit oder
Generalisierbarkeit oder Person-Unabhängigkeit bezeichnet.)
Es gilt also
die methodologische Regel: „Gleichartige Sachverhalte sind gleich zu bewerten.“
Diese methodologische Regel wird meist als eine Art Axiom betrachtet,
das unmittelbar einsichtig ist.
Ich neige eher dazu, diese Regel aus
dem Ziel der zwangfreien Einigung abzuleiten. Welchen Grund könnte denn jemand
haben, einer Lösung zuzustimmen, bei der seine Interessen geringeres Gewicht
erhalten als die Interessen eines anderen, nur weil es sich um seine Interessen
handelt?
Denkbar wäre die Vorstellung, dass der Andere ein „höheres
Wesen“ als man selber sei. Ich sehe für diese Vorstellung jedoch keine
Möglichkeit einer intersubjektiv nachvollziehbaren Begründung, weshalb ich diese
Möglichkeit erstmal ausschließe.
Demnach ergibt sich das Prinzip der
Gleichberücksichtigung aller Individuen und ihrer Interessen aus dem Ziel der
zwangfreien Einigung.
Dies Ziel einer argumentativen Einigung muss
jeder akzeptieren, der überhaupt für irgendeine moralische Norm
Allgemeingültigkeit und nicht nur Gehorsam beanspruchen will, denn nicht
allgemein nachvollziehbare Argumente sind wertlos. Was allgemein gültig sein
soll, muss auch allgemein einsehbar sein. Andernfalls sind alle Rechtfertigungen
nur verbale Verhüllungen eines Herrschaftsverhältnisses.
Ich merke, dass
auf diesem Abstraktionsniveau die Luft allmählich dünn wird, und mache deshalb
erstmal Schluss. Auf Eure textnahe Kritik wartet
Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hedgi am
Vorgestern, 15:07 Uhr
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Hi Wolfgang,
Ob nun die goldene Regel inhaltlich der Evolution
geschuldet ist, kann bis heute geglaubt werden oder auch nicht, mehr ist zurzeit
nicht drin. Sicher wäre es für uns wichtig über größere Feldversuche hierüber zu
Klarheit zu gewinnen.
Theoretisch wären mehrere Versuchsreihen mit
Gefängnisinsassen machbar, aber unsere eigene Ethik verbietet solche Versuche,
weil sie auch nur gegen den Willen der Gefängnisinsassen im größeren Umfang
durchgeführt werden könnten. Unsere Ethik gestattet lediglich medizinische Tests
an Einzelpersonen sowie Tieren, und auch das halte ich für eine fragliche
Praktik, weil selbst hier der ökonomische Gewinn vor dem Wohl des Menschen im
Vordergrund steht. Um aber eine Bestätigung dafür zu bekommen, dass Gruppen, in
denen die Mitglieder das Gemeinwohl der gesamten Gruppe vor dem eigenen Vorteil
im Auge haben, bessere Überlebenschancen haben, bräuchten wir Massendaten, um
eine aussagekräftige Statistik zu erstellen.
Solange nicht über
wissenschaftliche Methoden, die Geheimnisse über den Erfolg des Überlebens
erforscht werden können, bleiben uns nur Beobachtungen aus der Natur. Hier lässt
sich lediglich mit Bestimmtheit feststellen, dass größere Gruppierungen aufgrund
ihres stärkeren militärischen Potentials kleinere Gruppen früher oder später
schlucken. Die goldene Regel besagt auch, dass ihr Inhalt dem Wunsch vieler
Menschen aus allen Kulturkreisen entspricht. Das besagen auch die Religionen und
wenn, darf dort auch nur gemordet werden, wenn es der Verhinderung von anderen
Morden dient.
Konsens ist überhaupt nur erreichbar, wenn er von allen
ohne Ausnahme gewünscht wird. Das erscheint unwahrscheinlich zu sein, es wird
immer jemanden geben, der von seiner Macht dermaßen überzeugt ist, dass er der
Meinung ist, durch Druckausübung auf seine Umwelt, das Maximale herauszuholen.
hedgi
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hedgi am
Vorgestern, 15:14 Uhr
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Hi Eberhard,
um eine gültige Konsenstheorie zu bekommen, können wir nur
die heute praktizierten Methoden beschreiben, um aus deren Summe der
Möglichkeiten, die am häufigsten angewendete als das Muster für alle zukünftig
anzuwendenden Methoden herauszustellen.
Da es sich um die am
Verhandlungstisch sitzenden Parteien um größere Organisationen handelt, haben
sie bereits im Vorwege die Möglichkeit alle denkbaren Konstellationen
durchzuspielen. Es werden auch Profiler beschäftigt, deren Aufgabe es ist,
Strategien zu entwickeln, je nachdem wer von der Gegenseite am Verhandlungstisch
sitzt, ihn in eine gewünschte Richtung zu drängen. Das alles dient dem zu
erringenden Konsens, der letztendlich dem eigenen Willen entsprechen muss. Das
hat aber alles nichts mehr mit dem zu tun, was Habermas sich unter Konsens
vorstellte, und was die Verfasser der Goldenen Regel bezweckten. Schließlich
heißt es darin nicht, wie zwinge ich am besten dem Gegner meinen Willen auf. Bis
hierher geht alles methodologisch zu, Widerspruchsfreiheit wird gewährleistet,
wenn es sein muss, wird es so hingebogen, dass es passt.
Wir können das
am Beispiel der Entscheidung in der UNO, ob in der Nahost-Frage im Irak
militärisch interveniert werden sollte. Dazu müssen die unterschiedlichen
Interessen der betroffenen Mächte offen gelegt werden, nicht die die vorgegeben
werden. Das Interesse der USA und auch der Israels besteht im Wunsch nach einer
neuen Nahost-Ordnung unter der Führung der USA. Der Irak dagegen wollte absolut
nicht auf seine Souveränität verzichten. Um einen Militärschlag gegen den Irak
zu rechtfertigen, war jede Lüge recht. Da die aufgetischten Lügen zu dick waren,
konnte man den Irak auch ohne UN-Mandat überfallen. Zu einer verbalen
Verurteilung gegen den Überfall konnte sich die UNO nicht durchringen, so
reichte es eben nur zu einem peinlichen Schweigen zu dem Vorfall. Selbst der
ehemalige Außenminister Powel schämte sich hinterher und verspürte kein Lust zu
einer erneuten Kandidatur mehr.
Merke, in der UNO wird Konsens, so wie
wir es verstehen, praktiziert.
hedgi
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
Vorgestern, 20:26 Uhr
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Mit dem argumentativen Konsens, um den es mir geht, hat die Entscheidungsfindung
in den Vereinten Nationen herzlich wenig zu tun. Das eigentliche
Entscheidungsgremium ist dort der Weltsicherheitsrat, in dem nur bestimmte
Großmächte einen festen Sitz und zusätzlich ein Veto-Recht haben.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Alltag am
Vorgestern, 22:05 Uhr
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on 04/10/07 um 15:14:03, hedgi wrote:um eine gültige Konsenstheorie zu
bekommen, können wir nur die heute praktizierten Methoden beschreiben, um aus
deren Summe der Möglichkeiten, die am häufigsten angewendete als das Muster für
alle zukünftig anzuwendenden Methoden herauszustellen.
;-)
hoi zäme!
Und was ist das häufigst angewendete Muster?
Vorwand
und eigentliches Anliegen: Ein jeder redet von vielem, aber keiner sagt sein
eigentliches Anliegen. Denn das würde mit Bestimmtheit zumindest aus Argwohn
bekämpft. Trotzdem ist ein jeder selbstsicher genug die Anliegen des Andern zu
erahnen und im Reden_über_Vorwände auszuloten.
Das Ganze nennt sich hohe
Kunst. Und's vergnügt sich genüsslich! Wie's bei der Gastfreundschaft nicht
anders ist.
Danke & Gruss
Euer transparenter Alltag :-)
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn
am Gestern, 00:15 Uhr
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Hi, Eberhard,
Du: Sie können einen allen gemeinsamen Willen bilden,
indem jedes Individuum die Interessen jedes andern so berücksichtigt, als wären
es zugleich seine eigenen.
Halbe Zustimmung, sie könnten schon, wenn sie
alle wollten.
Aber genau dieser Wille ist fraglich.
Wie fraglich, erleben
wir in Tarifverhandlungen.
Eberhard, ich ziehe mich aus dieser
Diskussion zurück, ich habe die Lust verloren, ich habe besseres zu tun als
einen argumentativen Kleinkrieg weiter zu führen.
Ich gebe Dir meinen
Segen, wenn Du Dich als Sieger auf der ganzen Linie fühlen solltest. Es ist mir
egal.
Ciao
Wolfgang Horn
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
Gestern, 09:01 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Wolfgang,
mir geht es nicht um einen
argumentativen Kleinkrieg und auch nicht um Tarifverhandlungen, sondern ich will
das Konzept einer utilitaristischen Ethik auf konsenstheoretischer Grundlage zur
Diskussion stellen. Dabei spielt die Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines
interpersonalen Nutzenvergleichs („interpersonal comparison of utilities“) eine
entscheidende Rolle. Deshalb die Frage, ob man die Interessen verschiedener
Personen gegeneinander abwägen kann, um ein gemeinsames Interesse, das
gemeinsame Beste zu bestimmen.
Ich weiß, dass es in den Ohren
deutschsprachiger Philosophen schrill in den Ohren klingt, wenn sie Wörter wie
„utilitaristisch“ oder „Kosten-Nutzen“ hören. Und ich weiß auch, dass die
Verbindung utilitaristischer und konsenstheoretischer Gedankengänge nicht gerade
zum Mainstream heutigen Philosophierens gehört. Das hält mich jedoch nicht davon
ab, die als richtig und tragfähig erkannten Gedanken weiterzuverfolgen.
Mir geht es nicht um „Siegen auf der ganzen Linie“ sondern ich will das
Verständnis für einen solchen Ansatz wecken (bereits hier türmen sich
offensichtlich nahezu unüberwindliche Hindernisse auf) und ich will diesen
Ansatz durch eine öffentliche Kritik überprüfen lassen.
Dass dieser
Versuch nicht einfach sein wird, war mir klar. Was mich allerdings wundert, ist,
dass sich die anderen ethischen Denkrichtungen nicht kritisch einmischen. Außer
Abrazos ethischem Intuitionismus und der Goldenen Regel habe ich wenig an
Gegenpositionen gesehen. Oder gibt es keine Vertreter anderer ethischer Schulen
im Internet? fragt sich
Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
Gestern, 11:11 Uhr
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Hi Eberhard,
mir gefällt Dein Ansatz nicht, weil er auf Behauptungen
aufbaut, ohne zu hinterfragen oder gar zu begründen, warum es sich so und nicht
anders verhält.
Quote:Wenn die Beteiligten an einem Konflikt ohne
Zwang einen allen gemeinsamen Willens bestimmen wollen, dann muss jedes
Individuum die Interessen jedes andern so berücksichtigen, als wären es zugleich
seine eigenen.
Was setzt dies voraus? Zunächst einmal, dass
das Individuum um seine eigenen Interessen weiß. Es muss wissen, dass es
überhaupt Interessen hat, heißt, dies muss ihm bewusst sein. Einem hungrigen
Hund ist nicht bewußt, dass er Hunger hat und dass daraus das Interesse folgt,
sich Nahrung zu beschaffen. Der geht, vom Hungergefühl getrieben, zu seinem
Herrn und stuppst ihn an, weil den das erfahrungsgemäß dazu bringt, den
Hundenapf zu füllen.
Menschen merken, dass sie Hunger haben. Sie wissen
aus Erfahrung, dass dagegen essen hilft. Sie wissen, was essen ist, denn sie
merken es, wenn sie es tun, sie tun es bewusst. Folgt, sie können es auch
lassen. Menschen können fasten.
Wenn das Individuum um seine Interessen
weiß und weiß, dass und wie es sie verwirklichen kann, dann folgt daraus, dass
es sich entscheiden kann, sie auch nicht zu verwirklichen. Das ist überhaupt die
Grundlage Deiner Theorie, denn wenn Menschen nicht über die Verwirklichung ihrer
Interessen entscheiden könnten, wozu bedürfte es dann einer Konsenstheorie?
(Übrigens, Wolfgang, dem Wissen, dass eine Goldene Regel eventuell angeboren
sein könnte, würde die Möglichkeit folgen, sich auch nicht nach ihr verhalten zu
können.)
Zu fragen ist also: aus welchen Grund sollte einer sich dafür
entscheiden, seine Interessen nicht zu verwirklichen?
Man könnte sagen,
er wird seine derzeitigen Interessen nicht verwirklichen wollen, wenn sie die
Verwirklichung anderer Interessen behindern oder unmöglich machen, die ihm
wichtiger erscheinen.
Schön. Nur was erscheint ihm jeweils wichtiger?
Kannst Du voraussetzen, was Dir wichtiger erscheint, erscheint dem anderen auch
wichtiger? Ich denke, nein.
Denk an die Kopftuch-Diskussion. Viele
setzen voraus, dass ihr Interesse an persönlicher Freiheit das natürliche
Interesse aller Menschen ist. Kann man feststellen. Aber was bringt das?
Menschen haben auch das Interesse an Zugehörigkeit zu ihrer Gemeinschaft. Diese
beiden Interessen können durchaus beide vorhanden sein, jedoch miteinander im
Widerstreit des entweder-oder liegen. Du kannst nicht voraussetzen, dass Deine
Prioritätensetzung auch die Prioritätensetzung anderer ist.
Wenn Du hier
nun das Wort Nutzen einbringst, so behaupte ich, dass das gar nicht geht, weil
der Nutzen abhängig ist vom Zweck, und der ist verschieden.
Wenn es hier
eine Lösung geben soll, so wäre sie nur dialektisch möglich, auf einer höheren
Ebene, auf der ein übergeordneter Zweck einen übergeordneten Nutzen nach sich
zieht. Wie wäre ein solcher Zweck zu bestimmen bzw. zu finden? Bedenke, es
müssten ihm alle zustimmen, unter der Voraussetzung, dass, wenn er bestimmt ist,
man den bestimmten Zweck logisch zwingend nicht nur annehmen, sondern auch
ablehnen kann, denn etwas zu bestimmen heißt, es abgrenzen gegen das, was es
nicht ist - und das, was dies nicht ist, kannste genau so entscheiden.
Gruß
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hedgi am
Gestern, 12:51 Uhr
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Das Individuum muss um seine Interessen wissen.
Es gibt
so etwas wie einen freien Willen.
Das wären unverzichtbare
Voraussetzungen um zu einem Konsens willentlich zu gelangen.
Gegen die
eigenen Interessen handeln, hieße das Individuum müsste sich auch gegen seine
Interessen entscheiden können, d.h. es gibt einen freien Willen. Jetzt sind
diejenigen gefragt die Schopenhauer widerlegen können, und ihm beweisen, der
freie Wille existiert doch. Ich glaube, Schopenhauer wäre jedem dankbar gewesen,
hätte er ihm noch zu seinen Lebzeiten einen Weg aus seinem Dilemma des fehlenden
freien Willens gewiesen.
Sollte es wahr sein, dass es keinen freien
Willen gibt, erübrigt sich die Frage nach einem möglichen Konsens zwischen
verhandelnden Parteien. Dann sollten wir vielmehr gleich danach fragen, gibt es
etwas, das den gemeinsamen Interessen nicht im Weg steht.
Aber um
das herauszubekommen bedarf es keiner Verhandlungen, denn dass können wir mit
etwas Einfühlungsvermögen auch so wissen.
Damit gewinnen die an Boden,
die ihre Entscheidungen an einer Kosten-Nutzen-Analyse ausrichten und diese für
den Gegner gleich mit anfertigen und ihm klarmachen, dass er garnicht anders
entscheiden kann.
hedgi
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Alltag am
Gestern, 18:32 Uhr
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on 04/11/07 um 09:01:39, Eberhard wrote:.... Oder gibt es keine Vertreter
anderer ethischer Schulen im Internet? fragt sichEberhard.
:-) Grüezi Eberhard,
ethische Schulen? Der Alltag, d.h. die Lebenspraxis
ist eine ethische Schule! Voten daraus dürfen aufgemerkt werden. Daher nochmals,
in Kurzfassung: "Man fällt mit der Türe nicht gleich ins Haus."
Dies
ist die Silberne Regel!
Wegen der Silbernen Regel, hebt die
Konsenstheorie nicht mehr ab, als die auf dem Dach pfeiffenden Spatzen.
Ein zwitschernder Alltag :-)
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
Gestern, 19:15 Uhr
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Leute! Euer privates kleines Leben ist nicht die Welt!
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von carpes am
Gestern, 19:27 Uhr
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reden ist silber, schweigen ist gold.
der philosoph sollte der ethik nur
soviel gewicht geben, soweit wie es der gesellschaft dienlich ist. sollte die
gesellschaft verroht sein so ist seine ethik dem skrubel zum opfer gefallen.
es ist nur der rat eines philosophens im leben den fragenden zu geben, kein
urteil.
vg
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
Gestern, 20:36 Uhr
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Ein Philosoph, der Rechtsschreibung und Grammatik nicht beherrscht, ist keiner.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von carpes am
Gestern, 20:54 Uhr
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mag sein...nur wer ist ein Philosoph?
Nach Karl R. Popper sind alle Menschen
Philosophen.
das klein schreiben ist auch philosopisch gewollt, fehler gibt
es überall...auch im denken der anderen. [cheesy]
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von carpes am
Gestern, 20:56 Uhr
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an abrazo...
ist es nicht regel das philosophen rätschläge geben sollen,
statt ein urteil zu fällen...
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von philautos am
Gestern, 21:03 Uhr
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on 04/11/07 um 20:36:11, Abrazo wrote:Ein Philosoph, der Rechtsschreibung
und Grammatik nicht beherrscht, ist keiner.
Verehrte, ich beherrsche die Rechts-schreibung auch nicht, gibtŽs so was in
Köln? [cheesy]
Was tun Sie übrigens in einem so
unphilosophischen Thread, Gnädigste - zum Genieren ist das!
Ihr Alter
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
Gestern, 21:20 Uhr
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Alterchen,
mit der Rechtsschreibung habt Ihr zwar Recht, nur ist das b
vom p skrupulös weit entfernt, als dass man es für einen Tippfehler erachten
könnte. Zudem is dem Philosoph sing Rat, etwas sparsamer mit Zischlauten
umzugehen, es könnte Philosophens schmerzen.
Mit Eberhard raufe ich mich
über Ethik schon länger als mit Euch, verehrter Kellermönch, möget Ihr es
unphilosophisch nennen, ich nenne sein Anliegen aufrichtig, und außerdem ist er
zäh und lässt nicht ab von seinem Thema, was m.E. der Ehren wert ist.
Quote:ist es nicht regel das philosophen rätschläge geben sollen, statt ein
urteil zu fällen...
Nein, ist es nicht.
Philosophen fällen
Urteile, nämlich über wahr und falsch.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
Gestern, 22:09 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Abrazo,
Du kritisierst, dass ich auf
Behauptungen aufbaue, die ich weder hinterfrage noch begründe, warum es sich so
und nicht anders verhält.
Diese Kritik halte ich – zumindest so wie sie
formuliert ist - für irrelevant. Es lässt sich gar nicht vermeiden, dass man auf
Behauptungen aufbaut, die nicht explizit gemacht werden und folglich auch nicht
hinterfragt werden oder begründet werden. Ich könnte Dir zahllose derartiger
Behauptungen nennen:
„Es gibt Menschen“, „Die Menschen haben eine gemeinsame
Sprache“, „Menschen haben Konflikte“, „Menschen haben Interessen“, „Menschen
können vorausschauen“ etc.
Relevant ist eine Kritik, die zeigt, dass
auf Voraussetzungen aufgebaut wird, die nicht gegeben sind, und die zeigt, dass
Schlüsse gezogen werden, die nicht gültig sind.
Was setze ich
spezifisches voraus, was eventuell strittig sein kann?
Ich setze
unausgesprochen voraus,
dass Menschen Interessen (Wünsche, Ziele o. ä.)
haben,
dass sie diese unter geeigneten Bedingungen erkennen können,
dass
sie diese befriedigen wollen,
Ich sehe keine Prämissen, die falsch sind.
Du beziehst Dich auf die Kernthese:
„Wenn die Beteiligten an einem
Konflikt ohne Zwang einen allen gemeinsamen Willens bestimmen wollen, dann muss
jedes Individuum die Interessen jedes andern so berücksichtigen, als wären es
zugleich seine eigenen.“
Diese These ist in höchstem Maße analyse- und
begründungsbedürftig. Vor allem ist zu klären, welche Voraussetzungen gemacht
werden müssen, damit der „Wenn … dann …“-Satz zu einem zwingenden logischen
Schluss wird, der er in der vorliegenden Form nicht ist.
Der Kernthese
geht die These voraus:
„„Wenn die Beteiligten an einem Konflikt ohne Zwang
einen allen gemeinsamen Willen bestimmen wollen, dann müssen die Interessen
aller Beteiligten unabhängig davon berücksichtigt werden, um wessen Interesse es
sich jeweils handelt.“
Zur Kernthese hatte ich bereits geschrieben:
„Wenn die Interessen aller Beteiligten wohlwollend und unparteiisch
berücksichtigt werden sollen, dann setzt das voraus, dass man diese Interessen
auch erkennen und bestimmen kann – und zwar intersubjektiv nachvollziehbar.
(Hier sehe ich die größten Schwierigkeiten dieses Ansatzes.)
Ein
Problem ist dabei, dass sich die Individuen aufgrund von Unwissenheit und
„Manipulation“ über ihre „wirklichen“ Interessen täuschen“.
Außerdem
„muss man damit rechnen, dass die Individuen die Dringlichkeit ihrer eigenen
Interessen übertreiben und entgegenstehende Interessen anderer in ihrer
Dringlichkeit herunterspielen.“
Der Kern Deiner Kritik findet sich in
den Sätzen:
„Kannst Du voraussetzen, was Dir wichtiger erscheint,
erscheint dem anderen auch wichtiger? Ich denke, nein. Denk an die
Kopftuch-Diskussion.“
Im Unterschied zur Goldenen Regel oder dem
Kategorischen Imperativ muss ich nicht voraussetzen, dass das, was mir wichtiger
erscheint, dem andern auch wichtiger erscheint. Menschen sind in ihren
Bedürfnissen und Interessen nicht gleich, Dies wird bereits deutlich bei den
Unterschieden je nach Alter oder Geschlecht. Diese Unterschiede muss ich
bedenken, wenn ich die Interessenlage eines andern Menschen bestimmen will.
Wenn ich ein Draufgänger bin, der kein Risiko scheut, so darf ich die gleiche
Einstellung nicht bei jemandem voraussetzen, der von Haus aus vorsichtig und
eher ängstlich ist. Dem Draufgänger kann etwas zugemutet werden, was dem
Ängstlichen nicht zugemutet werden kann. Diese Unterschiede von Mensch zu Mensch
können z. B. durch das Gespräch herausgearbeitet werden.
Das
Kopftuch-Problem erscheint mir als Beispiel für einen Interessenkonflikt eher
ungeeignet. Eher handelt es sich hier um einen Konflikt zwischen verschiedenen
religiösen Überzeugungen. Ich wüsste nicht, welches Interesse eines andern
Menschen dadurch beeinträchtigt wird, dass eine Frau ein Kopftuch trägt.
Strittig wird das Kopftuchtragen dadurch, dass es als ein Symbol und ein
Bekenntnis zu einer sozialen Ordnung gemeint und/oder angesehen wird, die nicht
akzeptabel ist. (Die Gründe hierfür will ich nicht vertiefen.) Dann handelt es
sich jedoch ebenfalls nicht um einen Konflikt unterschiedlicher Interessen
sondern um einen Konflikt der politischen Werte, um unterschiedliche
Auffassungen von der anzustrebenden Gesellschaftsordnung. (Die Abgrenzung der
Interessenkonflikte von Wertekonflikten hat ebenfalls seine Schwierigkeiten, auf
die wir aber erst später zurückkommen sollten.)
Die Begründung für das
Tragen des Kopftuches kann ein Nicht-Gläubiger nicht nachvollziehen. Was er –
bei Vorhandensein eines gewissen Einfühlungsvermögens in andere Menschen -
nachvollziehen kann ist der Konflikt, dem das gläubige Individuum ausgesetzt
ist, wenn es rechtlich daran gehindert wird, eine religiöse Pflicht zu erfüllen.
Da offenbar zahlreiche Missverständnisse die Diskussion beeinträchtigen,
empfehle ich, dass jeder sich zuerst einmal dessen versichert, ob er den anderen
auch richtig verstanden hat, bevor er mit dem großen Hammer kommt. Mit dieser
Anregung verabschiedet sich
Eberhard.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hedgi am
Gestern, 23:39 Uhr
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Hi Eberhard,
Die Konsensfindung hat dort ihre Grenzen, wenn der andere
überfordert würde.
Halten wir uns beim Kopftuchbeispiel ein wenig auf.
Du schriebst, für uns hat das Kopftuch keine nennenswerte Bedeutung, deshalb
kann es uns egal sein, ob die Muslimin eins trägt. Hier kannst du aber nur für
dich schreiben, aber nicht für alle im christlichen Einflussbereich groß
gewordenen. Für einige Konservative ist dieses Thema äußerst wichtig. Also wenn
wir nach einem Konsens mit Andersgläubigen streben, müssten wir erst einmal
unter uns zu einem Konsens kommen.
Nun wissen wir im Vorwege, dass es
eigentlich nicht um einen Fetzen Stoff geht, sondern darum, dass andere, die
etwas anderes glauben als die meisten von uns, für sich ein Recht beanspruchen,
das wir für uns als Selbstverständlichkeit betrachten, nämlich uns zu einer
Gruppe als zugehörig auszuweisen.
Um zu einem Konsens mit
Andersgläubigen kommen zu können, müssten wir erst einmal unser Ziel definieren.
Alles deutet darauf hin, dass wir von Moslems erwarten, dass sie sich so wie
Christen benehmen, also konvertieren. Jedenfalls benehmen wir uns so. Wenn wir
im Umkehrschluss uns vorstellen, dass Moslems von uns das Selbe erwarten
könnten, spätestens dann müsste jedem klar werden, diese Forderung ist nicht
konsensfähig. Es kann also nur darum gehen zu sehen, worin bereits ein Konsens
besteht. Es gibt zwischen Christen und Moslems sicherlich viel gemeinsames, das
zu erkennen, dabei sollten wir es in diesem Fall bewenden lassen.
hedgi
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von carpes am
Gestern, 23:54 Uhr
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to abrazo;
das urteil fällt der mensch in gedankenlosigkeit des sein,
würde er nach-denken würde ihm das S als laut kaum stören da regionales etwas an
sprache hat das der kundige als dialekt annimmt. so sollte der wahre philosoph
nicht urteilen, er möge ratschläge geben für unkundige.
vg carpes
[spin]
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von carpes am
Heute, 00:00 Uhr
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thema ethik:
sie ist die moral der philosophie, die grundsätze der
menschheit, die längst ihre unschuld verloren hat.
ihre grenzen werden
verschoben das ein gemeinsamer konsenz längst wieder als makulatur erscheinen
mag. ihr sein ist begrenzt.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
Heute, 00:25 Uhr
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Quote:das urteil fällt der mensch in gedankenlosigkeit des sein, würde er
nach-denken würde ihm das S als laut kaum stören da regionales etwas an sprache
hat das der kundige als dialekt annimmt. so sollte der wahre philosoph nicht
urteilen, er möge ratschläge geben für unkundige.
Korrektur:
das urteil fällt der mensch in der gedankenlosigkeit des seins, würde er
nach-denken würde ihn das S als laut kaum stören, da sprache regionale
variationen zeigt, die der kundige als dialekt erkennt. so sollte der wahre
philosoph nicht urteilen, er möge ratschläge geben für unkundige.
(Über den
Sinn der Sätze verliert man besser erst gar kein Wort)
Als der Sprache
Kundiger urteile ich, dass hier kein Dialekt vorliegt, sondern das Unvermögen,
sich in Sprache auszudrücken. Die zahlreichen schweren Grammatikfehler weisen
klar darauf hin, dass die Fähigkeit, korrekte Verbindungen und Bezüge zwischen
Wörtern und Satzteilen herzustellen, mangelhaft entwickelt ist, wobei zu
bedenken ist, dass Sprache das Denken spiegelt. Dem Unkundigen gebe ich den
gewünschten Ratschlag, einen VHS-Kurs Deutsch zu besuchen, ggf. in der Schule
besser aufzupassen.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
Heute, 09:36 Uhr
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Hallo allerseits,
eine auf Interessenabwägung beruhende Ethik muss
voraussetzen, dass die Individuen auch gegen ihre individuellen Interessen
handeln können. Darauf haben Abrazo und Hedgi bereits hingewiesen. Aber auch
alle andern moralphilosophischen Positionen müssen etwas Entsprechendes
voraussetzen.
Ich will hier nicht meine Position zur Frage des „freien
Willens“ ausbreiten (wer will, kann das in meiner Homepage nachlesen). Es ist
ausreichend, wenn die Individuen zwischen Alternativen wählen können, wenn sie
also sagen können: „Wenn ich es wollte, dann könnte ich gemäß meinem
individuellen Interesse handeln. Wenn ich es wollte, dann könnte ich aber auch
gemäß dem kollektiven Interesse handeln.“ Diese Wahlmöglichkeit ist
grundsätzlich gegeben, wie sich leicht nachweisen lässt. Allerdings gibt es auch
so etwas wie „moralische Überforderung“, die wiederum von Individuum zu
Individuum unterschiedlich sein mag. Eine Moral, die nur Erzengel und Heilige
erfüllen können, darf man nicht Menschen vorschreiben, die von anderer Natur
sind.
Eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, dass ein Individuum
auch gegen die eigenen individuellen Interessen moralisch handeln kann, besteht
meines Erachtens darin, dass das Individuum die Berechtigung und die Bedeutung
dieser Moral eingesehen hat. In unserm Fall heißt das, dass es die am
solidarisch bestimmten Gemeininteresse ausgerichteten Normen einsieht und
„verinnerlicht“ hat. Jede unglaubwürdige, nicht nachvollziehbare Begründung von
Moral fördert dagegen im Individuum die sowieso vorhandene Tendenz zur
Ausrichtung seines Handelns am Eigeninteresse.
Grüße an alle von
Eberhard.
p.s.: Vielleicht können sich die kleinen Plappermäuler
woanders ausplappern.
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von carpes am
Heute, 09:36 Uhr
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to abrazo: sie lassen sich gut lenken. um ihnen etwas weitere nahrung zu geben,
möchte ich ihnen folgendes mitteilen!
die natur offenbart uns immer mehr
ihren dialektischen charakter, gerade im bereich des "sozialen" menschen. aber
die meisten menschen können die dialektik nicht vertragen auch die regierenden
können das nicht. dialektik schafft unruhe und unordnung. die menschen wollen
eindeutige und konfektionierte ansichten zur verfügung haben.
die situation
ist das sie lehren wollen mit dem zeigefinger und ich sage ihnen das dies nicht
beschönigt werden darf. wer nicht kapitulieren will, muß die frage beantworten:
wie kann die philosophie des dialektischen m... der natur des menschen wirklich
helfen?
vg carpes
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am
Heute, 09:39 Uhr
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Was hat dieser Beitrag hier zu suchen?
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am
Heute, 10:35 Uhr
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Hi Eberhard,
einverstanden mit Posting #167.
(Mecker nich rum, wir
können durchaus zu Aussagen finden, die wir beide unterschreiben, und gewiss
nicht nur wir.)
Quote:Eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür,
dass ein Individuum auch gegen die eigenen individuellen Interessen moralisch
handeln kann, besteht meines Erachtens darin, dass das Individuum die
Berechtigung und die Bedeutung dieser Moral eingesehen hat. In unserm Fall heißt
das, dass es die am solidarisch bestimmten Gemeininteresse ausgerichteten Normen
einsieht und „verinnerlicht“ hat.
Meiner Ansicht nach hast Du
hier ein zentrales Problem angesprochen: das solidarisch bestimmte
Gemeininteresse.
Die Frage ist, ob und wie es vorhanden ist. Anders gesagt,
ob es als im Zweifel höheres Interesse gewertet wird.
Ich weiß, dass ich mich
dauernd wiederhole, so dass es Dich vielleicht nervt, aber am Grund einer
konsensfähigen Moral liegt nun mal immer der gemeinsam und gleich erkannte Wert.
Doch - in Sachen konsensfähige Moral möchte ich noch auf einen anderen
Aspekt hinweisen. In Algier wurde ein schweres Attentat begangen, das zu vielen
Toten und Verletzten führte. Die, die für die Durchführung dieses Attentats
mitverantwortlich sind oder es begrüßen, haben dafür einen Grund. Es ist ihnen
Selbstlosigkeit zu unterstellen: ihre Interessen fallen mit dem zusammen, was
ihnen Wert ist, ihre Individualinteressen werden dem fraglos untergeordnet.
Fragen wir nach ihrem Wert (leider lassen die sich nicht von uns befragen).
Nicht als allgemeines Wischi-waschi, sondern konkret: was meinst Du damit, mit
dem Wort, dem Satz, den Du sagst?
Ich möchte mich nicht einfühlen, nicht
in sie hineinversetzen - wozu? - sondern ihr Weltbild verstehen. Warum? Weil ich
behaupte, es ist unmöglich, wenn sie denn ihre eigenen Gedanken klären, selber
verstehen, was genau sie meinen, keine Widersprüche zu entdecken. Unmöglich auch
für sie.
Heißt: bei der Suche nach positivem Konsens sollte man den
negativen nicht übersehen. Wir haben unterschiedliche Weltbilder. Ich denke
nicht, dass ein vernünftiger Mensch garantieren würde, dass seines das absolut
richtige ist. Wir haben tatsächlich eine Unmenge unentscheidbarer Möglichkeiten,
dass etwas wahr und richtig sein könnte. Was jedoch vielfach entscheidbar ist,
ist, dass etwas falsch ist. Vielleicht sollte man, wenn man sich mit möglichem
Konsens befasst, lieber darauf konzentrieren, einen Konsens über das zu
erzielen, was falsch ist, denn das ist möglich. Einen Konsens darüber zu
erzielen, was richtig ist, dürfte sich hingegen als äußerst problematisch
erweisen.
Gruß
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Ethik-Werkstatt: Ende der Seite "Konfliktlösung durch Interessenabwägung?" / Letzte Bearbeitung
siehe Datum der Beiträge/ Eberhard Wesche u. a.