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Welt - Sinneseindruck - Wahrnehmung - Wahrheit
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Vorbemerkung:
Dieser Text soll den Zusammenhang der für die Erkenntnistheorie grundlegenden
Begriffe klären.
Es handelt sich also weitgehend um Definitionen, die den Gebrauch der
Wörter festlegen sollen.Hier ist noch viel zu klären.
I. Die Welt
Die Welt ist die Gesamtheit aller
wirklichen Sachverhalte
(Tatsachen) im Unterschied zu nur vorgestellten Sachverhalten.
Wirkliche Sachverhalte existieren zu einem bestimmten Zeitpunkt
und einem bestimmten räumlichen Ort
Wir Menschen sind
ein Teil dieser Welt.
Menschen haben Sinnesorgane, auf die die existierenden
Sachverhalte je nach ihrer unterschiedlichen und veränderlichen Beschaffenheit
in bestimmter Weise einwirken.
Die dadurch entstandenen
Sinneseindrücke werden mittels unseres Gehirns bewusst gemacht,
geordnet und gespeichert. Diese Rohdaten enthalten Informationen über die tatsächliche Beschaffenheit der Welt.
Durch Interpretation und deren sprachliche
Formulierung werden Sinneseindrücke zu sinnlichen Wahrnehmungen.
Sprachlich ausgedrückte Wahrnehmungen können falsch sein, wenn sie auf
fehlerhaften Interpretationen der Sinneseindrücke (optische Täuschung) beruhen.
Wahrnehmungen
können andern Menschen mittels einer gemeinsamen Sprache
mitgeteilt werden.
Sachverhalte bleiben gleich oder sie ändern sich, sie entstehen und vergehen.
Wir erinnern vergangene Sachverhalte und formen daraus ein Bild bzw.
Modell der
vergangenen
Welt. Wir stellen uns künftige Sachverhalte vor und entwerfen ein Bild der zukünftigen Welt.
Positive Behauptungen beschreiben einzelne räumlich und zeitlich geordnete Sachverhalte.
Sie erklären die Existenz bestimmter Sachverhalte
aus Regelmäßigkeiten. Sie sagen die
Folgen bestimmter Sachverhalte voraus.
Sachverhalte wirken in regelmäßiger Weise auf die Sinnesorgane und
erzeugen
einen bewussten Sinneseindruck. Unterschiedliche
Tatsachen wirken auf die
Sinnesorgane in jeweils unterschiedlicher Weise und erzeugen entsprechend
unterschiedliche Sinneseindrücke. Dadurch vermitteln Sinneseindrücke Informationen darüber, wie die Welt beschaffen ist.
Neben den Tatsachen, die direkt auf die Sinnesorgane
einwirken, gibt es auch Sachverhalte, auf deren Existenz man gedanklich
schließen kann und die zur Ordnung und Erklärung der Sinneseindrücke
nötig sind. Dazu gehören z. B. die Röntgenstrahlen, die keinen direkten
Sinneseindruck über die Sinnesorgane erzeugen, die jedoch auf dem Röntgenschirm
sichtbare Schattenbilder der bestrahlten Gliedmaßen erzeugen. Diese Sachverhalte
werden als "hypothetische Konstrukte" bezeichnet und gehören ebenfalls zur Welt.
Die Welt, von der ich selber ein Teil bin, ist somit ein
Geflecht von Wirkungen der verschiedenen Teile der Welt aufeinander, das aus der Vergangenheit in die Zukunft hinüberreicht.
II. Sprache
Fragen und Antworten bestehen aus
Sätzen. Was ein Satz beinhaltet oder bedeutet, hängt von der
Bedeutung der Ausdrücke und der einzelnen Wörter ab, aus denen sich der Satz
zusammensetzt. Die Bedeutung der verschiedenen Ausdrücke und Wörter sind durch
die vereinbarte Terminologie bzw. Sprache festgelegt. Die Bedeutung eines Satzes
ist also immer bezogen auf eine bestimmte Terminologie oder Sprache.
Über die Wahrheit von positiven Sätzen in der Sprache L kann man nur mit
jemandem argumentieren, der die Sprache L beherrscht.
Für die Zwecke der Kommunikation muss eine Sprache nicht nur über
eindeutige und
genaue Begriffe verfügen, sondern sie muss auch eine möglichst
schnelle
Verständigung ermöglichen. Beide Ziele, Eindeutigkeit und
Kürze können dabei miteinander im Konflikt liegen. Durch eine Annäherung
an das eine Ziel entfernt man sich vom andern Ziel. In der
gesprochenen Sprache werden zur Mitteilung gehörige Informationen, die sich aus dem Zusammenhang erschließen
lassen, oft nicht explizit formuliert. Anton sagt zu Georg z. B. nur: "Komm!" anstatt: "Georg! Komm jetzt zu Anton!" Um
fehlerfrei logisch schließen zu können, müssen die
im Kontext implizierten Bedeutungselemente allerdings explizit gemacht werden.
III. Das Weltbild
Wenn man weiß, wie die Welt beschaffen ist (wenn man also über ein vollständiges und fehlerfreies Bild der Welt verfügt), dann weiß man,
- was man zukünftig zu erwarten hat,
- welche Möglichkeiten des Handelns bestehen,
- was die Folgen des Handelns sind und
- was die Ursachen bestimmter Phänomene sind.
Unsere Handlungsmöglichkeiten werden durch die Kenntnis der
regelmäßigen Zusammenhänge erweitert. Man täuscht sich nicht über die Beschaffenheit der Welt
und es kann deshalb keine Ent-Täuschungen geben.
Das vollständige und irrtumsfreie Weltbild kann nur
ein Ziel sein, das man anstrebt.
IV. Wahrheit
Auf gestellte Fragen will man nicht irgendwelche Antworten
haben, sondern richtige Antworten, die aus wahren Sätzen bestehen.
Was ist mit einem wahren positiven Satz gemeint?
Ein positiver Satz ist wahr, wenn die Welt so beschaffen ist, wie der Satz
beinhaltet.
Damit ist vorausgesetzt, dass es nur eine gemeinsame Welt
gibt. Gäbe es mehrere Welten, so könnte ein bestimmter positiver Satz (in der
Sprache L) in der einen Welt wahr und in der anderen Welt
falsch sein.
Damit ist weiter vorausgesetzt, dass nur eine Wahrheit für alle
gilt.
Schließlich ist damit vorausgesetzt, dass ein Satz wahr oder falsch ist,
unabhängig von der Person, dem Zeitpunkt und dem Ort, an dem der Satz geäußert
wird. Ein positiver Satz kann also nicht heute wahr und morgen falsch sein. Er
kann allerdings heute als wahr gelten und morgen als falsch.
V. Das Kriterium der Wahrheit
Wie kann man feststellen, ob ein positiver Satz wahr ist, ob also die Welt so
beschaffen ist, wie der betreffende Satz beinhaltet?
Nehmen wir einen Satz p, der die gegenwärtige Beschaffenheit eines begrenzten
Teils der Welt beschreibt:
Der Satz
p lautet: "Auf dem Tisch vor mir liegt (jetzt) ein Apfel."
Wie kann ich feststellen, ob p wahr ist, ob also auf dem
Tisch vor mir ein Apfel liegt?
VI. Der Sinneseindruck und seine Interpretation: die Wahrnehmung
Ich setze im Folgenden voraus, dass ich gelernt habe, was
das Wort "Apfel" in der Sprache L bedeutet (die Frucht des Apfelbaumes o.ä.) und
dass ich außerdem weiß, welche Eigenschaften Äpfel erfahrungsgemäß haben (ca.
faustgroße, rundliche, essbare Objekte mit glatter Schale, Fruchtfleisch und Kerngehäuse
usw.).
Wenn ich mit beiden Augen auf den Tisch vor mir sehe, habe ich einen
plastischen visuellen Sinneseindruck. Dieser Sinneseindruck ist nur mir
direkt zugänglich. Er setzt sich aus Farben und Formen hellerer oder dunklerer
Art zusammen, die in meinem Gesichtsfeld räumlich angeordnet sind. Der visuelle Sinneseindruck
vermittelt die Richtung und die Entfernung des Gesehenen. Indem er sich verändert, ergibt sich eine
zeitliche Reihenfolge der
unterschiedlichen visuellen Sinneseindrücke.
Folgende Voraussetzungen müssen für das Zustandekommen des visuellen
Sinneseindrucks erfüllt sein:
- Das Gesehene muss Lichtstrahlen aussenden oder reflektieren.
- Zwischen der Netzhaut meiner Augen und dem Objekt dürfen sich nur
lichtdurchlässige Stoffe befinden (Luft, Glas etc.).
- Meine Sehnerven und mein Sehzentrum im Gehirn müssen normal funktionieren.
Wenn ich unter Anleitung einer sprach- und sachkundigen Person gelernt habe, wie ein Apfel aussieht, dann kann ich
meinen aktuellen visuellen Sinneseindruck damit
vergleichen und ihn interpretieren durch die sprachlich ausgedrückte
Wahrnehmung: "Ich sehe auf dem Tisch vor mir einen
Apfel."
Wenn es Dinge gibt, die fast genauso aussehen wie Äpfel (z. B. Quitten,
Nachbildungen von Äpfeln aus Plastik oder Wachs), kann ich meine Interpretation zusätzlich
absichern, indem ich näher herangehe, den Gegenstand in die Hand nehme und
betaste. Bin ich mir der Interpretation meines Sinneseindrucks immer noch nicht
sicher, kann ich hineinbeißen und den Gegenstand schmecken.
Wenn der Gegenstand so aussieht, sich so anfühlt und so schmeckt, wie ich das
von andern Äpfeln bereits kenne, so habe ich gute Gründe zu behaupten: "Es ist
so, wie p besagt. Auf dem Tisch vor mir liegt ein Apfel, d.h. p ist wahr."
VII. Die intersubjektive Nachvollziehbarkeit von Sinneseindrücken
Anderen Individuen, die der Meinung sind, dass p falsch
ist, kann ich p zwanglos einsichtig machen, indem ich zu ihnen sage: "Kommt her
und seht selbst auf den Tisch." So kann ich - zumindest bei dauerhaften oder
wiederholbaren Sachverhalten - aufgrund intersubjektiv
übereinstimmender Wahrnehmungen den allgemeinen Geltungsanspruch wahrer Sätze
zwangfrei einlösen.
Die intersubjektive Geltung positiver Sätze ist eine wichtige Bedingung für die
Einigung bei kollektiven Entscheidungen und Handlungen.
Siehe auch
die folgenden thematisch verwandten Texte in der Ethik-Werkstatt:
Erkenntnis - Wahrheit - Wissenschaft ** (49 K)
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Wahrheit"
Letzte Bearbeitung 15.11.2011 / Eberhard Wesche
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