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Skeptizismus
Angenommen jemand - nennen wir ihn Skeptikus I - sagt: "Es
gibt keine Wahrheit", womit gemeint ist: "Es gibt keine wahren Sätze."
Wie könnte man gegen eine solche skeptische Position argumentieren?
Meine erste Frage an Skeptikus I wäre: " Soll
ich also Deine Ansicht teilen, dass es keine wahren Sätze gibt?" Verbindest Du
mit diesem Satz den Anspruch, dass ich – oder womöglich jedermann – diesem Satz
zustimmen soll?"
Skeptikus I könnte antworten: "Nein. Ich habe diesen Satz nur so
gesagt. Ich erhebe für diesen Satz gegenüber niemandem einen Anspruch auf
Geltung. Mehr noch: Ich erhebe für gar keinen Satz irgendeinen
Geltungsanspruch."
Wenn Skeptikus I in dieser Weise antwortet, stellt seine Position für mich kein
Problem dar, denn seine Äußerungen stellen meine
eigenen Überzeugungen in keiner Weise in Frage. Zwar gelingt es mir
damit nicht, Skeptikus I von der Unhaltbarkeit seiner Position zu
überzeugen. Aber kann man das eigentlich sinnvoller Weise verlangen?
Welchen Sinn kann denn die Forderung haben, jemanden von der Unhaltbarkeit
seiner Ansichten zu überzeugen, die er nach eigenen Aussagen gar nicht behauptet?
Wenn jemand fordert, dass ich Skeptikus 'überzeugen' soll, dann bedeutet dies,
dass ich gegen seine Ansicht solche Argumente vorbringen muss, die ich
für richtig halte und die auch für Skeptikus I gelten. Aber mit dem Satz "Ich
erhebe für keinen Satz irgendeinen Geltungsanspruch" hat Skeptikus I jedem
Austausch von Argumenten die Grundlage entzogen. Es liegt also nicht
an der Schwäche meiner Argumente, wenn ich Skeptikus I, der
zugestandenermaßen selber keine Überzeugungen besitzt, nicht überzeugen kann.
Anders antwortet Skeptikus II auf meine Frage. Seine Antwort lautet: "Ja. Auch Du solltest
dem Satz: 'Es gibt keine wahren Sätze' zustimmen und meine Ansicht
teilen." Damit
erhebt Skeptikus II für den von ihm geäußerten Satz einen
Geltungsanspruch, er behauptet also etwas.
Damit
stellt sich die Frage, ob der geäußerte Geltungsanspruch haltbar ist.
Ich gehe
von folgender Definition des Wortes "wahr" aus: "Ein Satz ist
wahr, wenn es so ist, wie der Satz besagt."
Die Position des Skeptikus lässt sich dann so formulieren: "Es gibt keinen Satz,
für den gilt, dass es so ist, wie der Satz besagt."
Dies ist gleichbedeutend mit der Formulierung "Für jeden Satz gilt, dass es
nicht so ist, wie der Satz besagt."
Dies gilt damit auch für den von Skeptikus geäußerten Satz.
Die Position des Skeptikus lautet folglich: "Für den von mir geäußerten Satz 'Es
gibt keine wahren Sätze' gilt, dass es nicht so ist, wie der Satz besagt."
Wenn man die obige Definition des Wortes "wahr" negativ umformuliert, so ergibt sich
als Definition für "nicht wahr" bzw. "falsch": "Ein Satz ist falsch, wenn es
nicht so ist, wie der Satz besagt."
Damit lautet die Position des Skeptikus: "Der von mir
behauptete Satz: 'Es gibt keine wahren Sätze' ist falsch." Damit hat er sich
selber widerlegt.
***
Der vorsichtige
Skeptiker, nennen wir ihn "Skeptikus II", sagt:
"Man kann von keiner Annahme wissen, ob sie wahr oder falsch ist.
Auch von dem, was ich hier sage, weiß ich nicht, ob es wahr oder falsch ist.
Deshalb halte ich lieber meinen Mund." Dies ist offenbar eine
konsequente Position. Haltung, die sich allerdings zugleich von dem Bemühen um Erkenntnis
verabschiedet.
Man sollte auch selber konsequent sein und mit Skeptikus II nicht mehr argumentieren.
Ich könnte mich allerdings selber fragen, ob ich nicht
seine Ansicht übernehmen sollte.
Ehrlich gesagt, ich kann mich mit einer
solchen Position nicht recht anfreunden. Ich wüsste dann ja noch nicht mal, ob
ich letztes Semester meine Zwischenprüfung bestanden habe oder ich gestern meine
Freundin geküsst habe. Ich könnte mich über nichts mehr richtig freuen, weil ich
ja niemals wüsste, ob der Grund zur Freude überhaupt real bestanden hat.
Aber
vielleicht hat die skeptische Position auch ihre guten Seiten: Wenn ich mir beim
Skifahren ein Bein breche, so könnte ich mich immer damit trösten, dass ich mir
sage: "Vielleicht ist es ja gar
nicht wahr, dass ich mir das Bein gebrochen habe."
Außerdem könnte ich als Skeptikus II so richtig in den Tag hinein leben, ohne
über das, was die Zukunft bringen wird, irgendwelche Sorgen zu machen,
denn ich kann ja doch nichts wissen. Als Skeptikus II brauchte ich mir auch
keine Fragen mehr zu stellen, denn ich könnte ja doch bei keiner Antwort wissen,
ob sie richtig ist.
Aber wenn ich mir das so recht überlege, wäre die Position von Skeptikus II nichts
für mich .. und ich könnte sie auch niemandem empfehlen. Ich gebe zwar zu,
dass ich vieles nicht weiß – z. B. wie die Lottozahlen vom kommenden Sonntag
lauten werden. Ich gebe auch zu, dass ich mich ab und zu irre, beispielsweise über die
Charaktereigenschaften von Mitmenschen, aber ich bin auch der Meinung,
dass ich viele Dinge zweifelsfrei weiß. So weiß ich z. B., dass ich jetzt gerade
etwas schreibe. Könnte ich mich diesbezüglich irren? Was ist denn überhaupt ein "Irrtum" ? "Sich irren" heißt doch, dass ich einen Satz fälschlicherweise für
wahr halte. Diesen Irrtum kann ich aber nur dann als solchen erkennen, wenn ich es
irgendwann besser weiß und von dieser Basis aus meine irrige Annahme korrigiere.
Ich kann mir aber keine irgendwie geartete neue Erkenntnis vorstellen, die mich
dazu bringen könnte, dass ich den Satz "Ich schreibe jetzt (am 02.03.09. 24
h MEZ)" nachträglich als falsch erkenne und korrigiere.
***
Mein Dialog mit einem Zweifler
***
Täuschung oder Irrtum hinsichtlich der
Beschaffenheit der Wirklichkeit liegen dann vor, wenn man einen Satz, der etwas
über die Wirklichkeit besagt, für richtig hält, obwohl er falsch ist. Wenn ich
etwas wahrnehme und diese Wahrnehmung in Worte fasse (" Ich sehe am Ende der
Straße eine Eiche" ) so habe ich mich getäuscht, wenn dort keine Eiche sondern
eine Linde steht. ***
Ich kann eine
Theorie nur dann "an den Fakten scheitern lassen", wenn ich voraussetze, dass
die dabei benutzten Aussagen über diese Fakten "wahr" sind. Ich kann
einen Irrtum nur feststellen durch Bezug auf etwas, das ich für irrtumsfrei bzw.
wahr halte. Wenn der Richter den Zeugen fragt: "Trug der Täter bei der Tat eine
Brille?" und der Zeuge antwortet: "Ja, der Täter trug bei der Tat eine Brille",
so ist diese Aussage dann wahr, wenn er tatsächlich eine Brille trug. Dass man
sich auch in Bezug auf derartige Aussagen irren kann, will ich nicht
ausschließen, aber wenn ich z. B. die Brille mit eigenen Augen gesehen
habe und zu dem Zeitpunkt nüchtern war, habe ich guten Grund, die Aussage
für wahr zu halten. *** Wer diese Website interessant
findet, den bitte ich, auch Freunde, Kollegen und Bekannte auf die
"Ethik-Werkstatt" hinzuweisen.
Zweifler: "Du kannst nicht widerlegen, dass alles, was Du
wahrnimmst, eine Täuschung ist."
Ich: "Gibt es einen Grund dafür, dies anzunehmen?"
Zweifler: "Es gibt keinen speziellen Grund, dies anzunehmen,
aber es ist z. B. denkbar, dass Du alles nur träumst. Und solange Du diese
Möglichkeit nicht ausschließen kannst, hast Du keine 100%ige Gewissheit."
Dieser Dialog könnte von mir auf verschiedene Weise fortgesetzt werden:
Variante I:
Ich:"Ich brauche keine 100%ige Gewissheit. Ich muss nicht jede noch so
unwahrscheinliche Möglichkeit ausschließen, um meinem Handeln eine Annahme
zugrunde zu legen. Wenn ich alle Möglichkeiten der Täuschung ausschließen
wollte, die sich irgendjemand ausdenkt, dann hätte ich nur noch mit der
Widerlegung der ausgefallensten theoretischen Konstruktionen zu tun. Ich kann
auch mit einer Ungewissheit leben. Du müsstest mir deshalb schon
einen bestimmtem Grund zum Zweifel nennen. Der prinzipielle Zweifel an allem reicht
nicht aus."
Variante II
Ich: "Wenn alles, was ich wahrnehme, nur eine
Täuschung ist und nicht wirklich existiert, dann existierst Du, der Zweifler, ja
auch nicht wirklich. Mit einer Täuschung kann man jedoch nicht sinnvoll
argumentieren. Insofern ist der Dialog beendet."
Variante III:
Ich: "Wenn Du sagst, dass möglicherweise alles,
was ich wahrnehme, eine Täuschung ist, so kümmert mich das wenig. Denn
wenn alles Täuschung ist, gibt es nichts, was mich enttäuschen könnte. Es gibt
keine Annahme, die ich korrigieren müsste. Eine "Täuschung" besteht ja
darin, dass ich jetzt einen Satz für richtig halte, der sich dann als falsch erweist. Das
heißt, dass es eine Quelle der Erkenntnis geben muss, der ich mehr vertraue als
einer anderen Quelle der Erkenntnis.
Ein Beispiel: Ich sehe in der Ferne einen Baum und bin der Meinung, dass es sich
um eine Eiche handelt. Nachdem ich näher an den Baum herangekommen bin und die
Form der Blätter und Früchte sehe, komme ich zu der Meinung, dass es keine Eiche
sondern eine Linde ist. Wenn ich der Wahrnehmung aus der Nähe mehr vertraue als
der Wahrnehmung aus der Ferne - und dafür gibt es gute Gründe - dann korrigiere
ich meine ursprüngliche Meinung und sage: "Ich habe mich in der Art des Baumes
getäuscht."
Um eine Täuschung als Täuschung zu identifizieren, muss
ich also einen Zugang zur Wahrheit voraussetzen. Ich kann einen
Geldschein nur dadurch als "Fälschung" ausmachen, wenn ich einen "echten"
Geldschein kenne, der anders ist. Wenn es nur gefälschte Geldscheine gibt, macht
es keinen Sinn mehr, von Fälschung zu sprechen.
Dass ich etwas mit guten Gründen als "Täuschung" bezeichne, schließt im
Übrigen nicht aus, dass ich diese Meinung zukünftig nicht noch einmal
korrigiere. In gleicher Weise kann ich etwas mit guten Gründen für "wahr"
halten, ohne auszuschließen, dass ich diese Meinung zukünftig noch einmal
korrigiere.
Eine Täuschung kann nur als solche entdeckt werden, wenn
ich eine zweite, zu ersten im Widerspruch stehende Aussage über die
Wirklichkeit habe, der ich mehr glaube. z. B. ich bin nahe heran gegangen
und kann jetzt nicht nur den Wuchs sondern auch die einzelnen Blätter erkennen.
Wenn "alles", was ich wahrnehme, Täuschung per Annahme ist, dann kann ich
logischerweise keine Täuschung aufdecken. Wenn mein ganzes Leben in dieser Art
vollkommene Täuschung ist, dann macht es für mich keinen Sinn mehr, zwischen
Täuschung und Wirklichkeit zu unterscheiden.
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Letzte Bearbeitung 08.02.2008 / Eberhard Wesche