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Schwächen ordinaler Nutzenmessung
Arrow hat mit seinem Allgemeinen Unmöglichkeits-Theorem gezeigt, dass auf der
Grundlage einer nur ordinalen Erfassung der individuellen Nutzen keine
akzeptable kollektive Entscheidungsregel existiert, die in jedem
Fall zu einer transitiven kollektiven Rangordnung führt.
Diese Schwäche der ordinalen Messung ist jedoch nicht die einzige. Es lässt sich zeigen,
dass kollektive Entscheidungsregeln, die nur auf
individuellen Rangordnungen beruhen, zu suboptimalen Ergebnissen führen können. "Suboptimal" ist eine
Alternative immer dann, wenn es eine andere Alternative gibt,
die für jeden Beteiligten besser ist.
Das bedeutet. dass es zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt, je nachdem. ob
über die Punkte einzeln abgestimmt wird oder ob über das ganze Bündel en bloc
abgestimmt wird.
.
Im Folgenden soll anhand der Mehrheitsregel
demonstriert werden, dass es zu derart suboptimalen Ergebnissen kommen kann.
Die Mehrheitsregel besagt: "Es gilt diejenige Alternative als kollektiv gewählt, die im paarweisen Vergleich mit jeder anderen Alternative jeweils
von einer Mehrheit vorgezogen wird." Dies ist die sogenannte "Mehrheitsalternative".
Nehmen wir das einfachste Beispiel, wo 3 Individuen (A, B, C) 3 gemeinsame
Entscheidungen treffen müssen:
1. Entscheidung zwischen den Alternativen r
und s
2. Entscheidung zwischen den Alternativen v und w
3. Entscheiduing
zwischen den Alternativen x und y
Die Ziffern in den Zellen der Tabellen
drücken die subjektive Wertschätzung der Abstimmungsergebnisse durch die
entsprechenden Individuen aus. Wenn ein Individuum durch das Ergebnis etwas
abgeben muss, so wird dies durch ein Minuszeichen
"-"
ausgedrückt. Wenn ein Individuum etwas
hinzubekommt, so wird dies durch ein Pluszeichen "+" ausgedrückt. Ist ein
Individuum gegenüber dem Ausgang der Entscheidung indifferent, so wird dies
durch eine Null "0" ausgedrückt. Die Menge der positiven und negativen Güter
werden durch die Größe der Zahlen ausgedrückt.
Bei der Stückzahlen in den folgenden Tabellen handelt es sich also um naturale
Einheiten eines Gutes und nicht um Nutzeneinheiten. Allerdings lassen sich aus
diesen Stückzahlen ordinale Präferenzordnungen für jedes Individuum ablesen, denn für jedes
Individuum ist nach der Modellannahme eine größere Stückzahl besser als eine kleinere. Eine
interpersonale Vergleichbarkeit der Nutzengrößen ist damit nicht vorausgesetzt.
Vergleichbar miteinander sind jeweils nur
Werte aus derselben Spalte.
Bei Entscheidung 1 zwischen x und y würde im Falle, dass Alternative x
gewählt wird, das Individuum A z. B. weder etwas hinzubekommen noch etwas abgeben
müssen. Dies wird durch die Null im obersten Feld der Spalte für das
Individuum A ausgedrückt.
Falls Alternative y gewählt würde, müsste Individuum A eine Einheit des
Gutes abgeben. Dies wird durch "-1" im zweitobersten Feld der Spalte für das
Individuum A ausgedrückt.
Bei der Wahl zwischen x und y zieht Individuum A dementsprechend die
Alternative x vor.
Tabelle 1:
3
Individuen treffen 3 Entscheidungen zwischen jeweils 2 Alternativen
nach dem Mehrheitsprinzip
|
Person A |
Person B |
Person C |
|
Alternative x |
0 |
0 |
0 |
siegt |
Alternative y |
-1 |
3 |
-1 |
verliert |
|
||||
Alternative r |
0 |
0 |
0 |
verliert |
Alternative s |
3 |
-1 |
-1 |
siegt |
|
||||
Alternative v |
0 |
0 |
0 |
siegt |
Alternative w |
-1 |
-1 |
3 |
verliert |
Wie aus der Tabelle 1 ersichtlich ist, würden bei
isolierten Entscheidungen nach der Mehrheitsregel die Alternativen x, r und
v mit einem Stimmenverhältnis von jeweils 2:1 gewählt. Dabei sind
Nutzeninterdependenzen ausgeschlossen.
Die folgende Tabelle zeigt jedoch, dass das Alternativenbündel
y+s+w dem Alternativenbündel x+r+v pareto-überlegen ist, d. h. dass y+s+w für alle Individuen
besser ist als x+r+v. Bei den Einzelabstimmungen hatten jedoch x, r und v
gesiegt.
Tabelle 2
3 Individuen treffen 1 Entscheidung zwischen 2
Alternativenbündeln
nach dem Mehrheitsprinzip
|
A |
B |
C |
|
x+r+v |
0 |
0 |
0 |
verliert |
y+s+w |
1 |
1 |
1 |
siegt |
Derart suboptimale Ergebnisse stellen sich bei Anwendung
der Mehrheitsregel auf Serien voneinander unabhängiger Entscheidungen meist dann ein, wenn
sich die Individuen bei den für sie wichtigen Entscheidungen in der Minderheit
befinden und bei den für sie weniger wichtigen Entscheidungen der Mehrheit
angehören.
Man kann das Problem natürlich dadurch mildern, dass man die Mehrheitsregel
von vornherein auf Bündel von Alternativen anwendet. Aber solange es mehrere
Entscheidungen gibt, bleibt das Problem bestehen.
Gleichzeitig demonstriert das obige Beispiel, dass die Resultate von
Entscheidungen nach dem Mehrheitsprinzip auch davon abhängen, ob und wie diese
Entscheidungen gebündelt zur Abstimmung vorgelegt werden.
Eine Reihe von isolierten Einzelabstimmungen kann zu einem Gesamtergebnis
führen, das von keinem der Wähler gewünscht wurde. Dies ist ein gewichtiges Argument gegen eine
direkte Demokratie, die vorwiegend mit Volksentscheiden arbeitet.
Siehe auch
die folgenden thematisch verwandten Texte in der Ethik-Werkstatt:
Einzelinteresse und Gesamtinteresse, § 37
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Letzte Bearbeitung 28.07.2007 / 20.03.2016 Eberhard Wesche
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