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Notizen zu Recht und Moral
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Warum gibt es neben
der Moral überhaupt eine Rechtsordnung mit Recht setzenden Institutionen?
Ein Grund ist der, dass alle allgemeinen Normen auf den Einzelfall angewandt
werden müssen und dazu "ausgelegt" werden müssen. Da über die
Auslegung einer Norm Uneinigkeit bestehen kann, muss ein Entscheidungsverfahren
geschaffen werden, z. B. in Form eines Richters, der die Norm verbindlich
auslegt.
Ein weiterer Grund ist, dass die Anwendung von Normen voraussetzt, dass man
bestimmte Tatsachen feststellt, die als Bedingungen ihrer Anwendung in diesen
Normen enthalten sind. Da über diese Tatsachen Uneinigkeit bestehen kann, muss
ein Entscheidungsverfahren geschaffen werden, z. B. in Form eines Richters, der
nach pflichtgemäßen Ermessen die verschiedenen Behauptungen und Beweise würdigt.
Denkbar sind natürlich auch andere Entscheidungsverfahren
als eine einzelne Person, die das Amt des Richters bekleidet: der Familienrat,
das Familienoberhaupt, ein "Gottesurteil", die Würfel, eine Standesvertretung,
ein von den Streitenden gemeinsam angerufener Schiedsmann
etc.. Die Übergänge
zwischen Moral und Recht sind hier fließend und ein Auseinandertreten beider
Ordnungen stellt sich erst im Zuge zunehmender "Verrechtlichung" ein.)
Eine Moral erfordert
die Sanktionierung der Übertretungen. Auch hier bilden sich eigene Institutionen
heraus, die die angemessene Strafe festsetzen und die Bestrafung der
Normverletzer vollziehen.
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((Prinzipien des Rechtsstaates: / Weisungsunabhängigkeit der Richter / Recht auf Verteidigung / geregeltes Gerichtsverfahren in Bezug auf Untersuchungshaft / Verbot der Folter zur Gewinnung von Aussagen / / rechtliche Nachprüfbarkeit staatlichen Handelns. ))
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Die Vorteile der Rechtsstaatlichkeit:
- Gesetze werden schriftlich formuliert
- für neue Gesetze besteht ein Veröffentlichungszwang
- die Beteiligten wissen, welche Normen gelten
- es besteht Vertrauensschutz, insofern als nur geltende Nomen angewandt werden
dürfen
- Gesetze dürfen sich nicht auf zurückliegende Taten beziehen (" Nulla poena
sine lege" )
- alle Institutionen, auch die Regierung, sind an die geltenden Normen
gebunden
- nur in Notfällen darf der Rechtsweg vorübergehend verlassen werden (Notwehr,
Gefahr im Verzug)
- es gibt keine Selbstjustiz, die Normanwendung ist Sache der Gerichte
- die Auswahl der zuständigen Gerichte ist unabhängig von Sonderinteressen
geregelt, es gibt keine Sondergerichte
- es gibt für alle normsetzenden Verfahren Kontrollverfahren
- es gibt genau festgelegte Prozeduren für den Erlass eines Gesetzes
- die Gesetzgebung ist in ihrem Gang verfassungsmäßig geregelt und dieser kann
von der jeweiligen Regierung nicht verändert werden
- Jeder Beschuldigte hat das Recht auf Verteidigung
- im Zweifel wird für den Beschuldigten entschieden ("in dubio pro reo" )
....
Die Nachteile der Rechtsstaatlichkeit sind:
- die Langsamkeit und Schwerfälligkeit der Verfahren
- der große Aufwand, der erforderlich ist
- geringe Flexibilität durch die
Beschränkung auf das positive Recht. Wer im staatlichen Auftrag eines
Unrechtsstaates gemordet hat, kann nicht zur Verantwortung gezogen werden, da
Normen nicht mit Rückwirkung gesetzt werden dürfen
...
***
Wenn spezielle Verfahren und Institutionen für die Identifizierung, Ergreifung, Verurteilung und Bestrafung von Normverletzern geschaffen werden, kann man von einer "Rechtsordnung" sprechen, die neben der moralischen Ordnung entsteht. Im Unterschied zu den verinnerlichten Sanktionen (Schuldgefühl, schlechtes Gewissen) setzt die Bestrafung von Normverletzungen voraus, dass der Normverletzer identifiziert und ergriffen wird. Diese und weitere Besonderheiten der institutionalisierten Bestrafung können dazu führen, dass moralische und rechtliche Normen einer Gesellschaft nicht deckungsgleich sind.
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Eine Problematik rechtlicher Normen besteht darin, dass sie häufig allein "formal" bzw. verfahrensmäßig legitimiert und geprüft werden, wobei von einer inhaltlichen moralischen Prüfung der entstandenen Regelungen abgesehen wird. Zum Beispiel kann ein Darlehensvertrag mit dem Dritte-Welt-Land rechtswirksam zustande gekommen sein, und doch könnte das Bestehen der Gläubiger auf vollständiger Tilgung des Darlehens und Zahlung der vereinbarten Zinsen moralisch nicht zu rechtfertigen sein.
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Verbindlich gesetzte Rechtsnormen können Planungssicherheit geben und damit die
Verfolgung langfristiger Zielsetzungen ermöglichen. Das
kann ein rein moralisches Normensystem nicht. Aus Gründen
der Planungssicherheit sollen z. B. Gesetze nicht
rückwirkend erlassen werden (" Keine Bestrafung ohne
bestehendes Gesetz!", "Vertrauensschutz" ).
Rechtsnormen werden
deshalb ausdrücklich ab einem bestimmten Datum in Kraft gesetzt
und gelten nur innerhalb der Staatsgrenzen. Moralische
Normen, die zwar hier gelten aber zwei Kilometer weiter nicht, oder
die seit heute gelten aber gestern noch nicht, wären dagegen
absurd.
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Moralische und die rechtliche Ordnung müssen sich ergänzen, weil jede der beiden Ordnungen Unterschiedliches leisten kann.
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Ein Ziel des Rechtssystems muss es sein, keine Fehlurteile zu fällen und
keinen Unschuldigen zu bestrafen. Aus diesem Ziel leiten sich zahlreiche
organisatorische Vorkehrungen ab, die das Verfahren der Rechtsprechung und des
Vollzugs verkomplizieren und den Justizapparat schwerfällig machen. So
auch das Sprichwort: "Die Mühlen der Justiz mahlen langsam."
Die Justiz versagt bei Bagatellfällen. Der
Apparat ist viel zu kostspielig und schwerfällig. Es müsste dafür eine
praktikable Schiedsstelle geben, die ohne viel Aufwand Streitfälle des Alltags
entscheidet. Eventuell mit der Möglichkeit einer Berufung. Die
Schiedsgerichtsbarkeit ist freiwillig.
Eine Rechtsordnung verhindert das Hereinbrechen von Kampf und
Krieg durch eine Art unausgesprochener
Status-quo-Klausel. Diese besagt, dass die bisherige Norm weiter gilt,
solange keine neue Norm gesetzt ist. Wenn also Dissens
darüber besteht, ob eine bestehende Rechtsnorm beibehalten oder
geändert werden soll, so wird durch diesen Dissens der
Rechtsfriede nicht gefährdet, denn der bisherige rechtliche
Status quo gilt davon unberührt weiter.
Weiterhin wird die Möglichkeit von "Lücken"
im Recht durch das Prinzip verhindert: "Was nicht verboten ist,
ist erlaubt". Dadurch lässt das Recht keine Frage offen,
d. h. wenn jemand ein Gericht anruft und ein bestimmtes Recht
fordert oder einen anderen verklagt, so kann es nicht passieren,
dass das Gericht ihm antwortet: "Wir können über Deine Klage
nicht befinden, da Recht und Gesetz darüber nichts aussagen."
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Soziale Koordination:
Die Beantwortung der Frage: "Wie soll ich (in einer bestimmten Situation)
handeln?", hängt nicht zuletzt davon ab, wie andere Menschen handeln. Da ich
dies - ohne mich mit den andern darüber zu verständigen - nicht mit
ausreichender Sicherheit wissen kann, muss ich bei meiner Entscheidung u. U. von
der schlechtesten aller denkbaren Möglichkeiten ausgehen, um das Risiko gering
zu halten. Das bedeutet: als isolierter Einzelner kann ich die Vorteile
aufeinander abgestimmten Handelns nicht nutzen. Stattdessen muss ich ständig
mit dem Schlimmsten rechnen, muss entsprechende Vorkehrungen dagegen treffen und
muss viele gute Möglichkeiten aus lauter Vorsicht auslassen.
Daraus folgt, dass es sinnvoll ist, gleich zu fragen: "Wie soll
man (in
bestimmten Situationen) handeln?"
Durch die Ausrichtung der Fragestellung auf das Handeln aller Beteiligten wird
die soziale Koordination jedoch noch nicht erreicht. Denn die Einzelnen können
zu unterschiedlichen Antworten kommen, wodurch die angestrebte Koordination
wieder verfehlt wird.
Es muss also einen Mechanismus geben, der aus der Menge möglicher Antworten eine
bestimmte Antwort auswählt und die darin angegebene Handlungsnorm als "geltend" auszeichnet.
Diese Auswahl kann auf verschiedenen Wegen erfolgen. Sie kann z. B. durch eine
ungebrochene soziale oder religiöse Tradition bereits entschieden sein. Sie kann aber
auch durch die gesetzgebenden Institutionen eines modernen Staates getroffen
werden.
Um eine soziale Koordination zu erreichen, ist es weiterhin notwendig, dass die "geltenden" Handlungsnormen allen Beteiligten bekannt sind. Dies kann durch
entsprechende Unterrichtung und Information der Individuen erreicht werden.
Zum Gelingen der sozialen Koordination ist es schließlich erforderlich, dass die
beteiligten Individuen hinreichend motiviert sind, die geltenden Handlungsnormen
auch zu beachten. Dies kann durch Verinnerlichung der Normen im
Sozialisationsprozess und durch die Sanktionierung der Normen erreicht werden.
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Ohne verinnerlichte moralische Einstellungen der Individuen ist eine Gesellschaft schlecht dran. Wenn keiner dem andern trauen kann, wenn jeder damit rechnen muss, vom andern hintergangen zu werden, sobald dieser glaubt, ungestraft davonzukommen, so ist das Zusammenleben äußerst erschwert. Die Polizei allein kann die soziale Ordnung nicht aufrecht erhalten.
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Es gibt
immer Situationen, wo die äußeren Sanktionen nicht hinreichen und es einer
verinnerlichten moralischen Haltung bedarf. Die Umkleidekabine im Schwimmbad,
die beschmiert wird, der Fahrstuhl der beschädigt wird, die einsame Landstraße,
an der Müll abgekippt wird: das "Auge des Gesetzes" reicht nicht überall hin.
Und der Spruch "der liebe Gott sieht alles" ist heutzutage auch keine
glaubwürdige Abschreckung mehr.
Deshalb müssen die Individuen selber vom Sinn
der geltenden Verhaltensnormen überzeugt sein und sie sich zu eigen gemacht
haben. Eigene Verletzungen dieser Normen erlebt das Individuum dann als
Versagen, sie beeinträchtigen sein Selbstwertgefühl, es verurteilt sich
moralisch selbst und entwickelt Schuldgefühle.
***
Wenn man auf die gegenwärtig in der Welt bestehende soziale Ordnung blickt, dann
sieht man, dass die Menschen in gebietsmäßig abgegrenzten Staaten organisiert
sind. Sie sind Staatsbürger, die in einer staatlichen Ordnung leben. Geht einmal
eine staatliche Ordnung zugrunde, so bilden sich meist rasch neue
staatliche Strukturen.
Eine staatliche Ordnung verkörpert sich in Staatsorganen, die die oberste
Entscheidungsbefugnis beanspruchen und die zugleich auch tatsächlich die Macht
haben, ihre Entscheidungen innerhalb des jeweiligen Staatsgebietes gegen
jedermann durchzusetzen.
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Was moralisch geboten sein kann, muss nicht gleichzeitig auch rechtlich geboten
sein.
Moralische Sensibilität ist in der Tat für jede Handlung angebracht. Die
Rücksichtnahme auf andere und eine Abwägung der beteiligten Güter bzw.
Interessen ist moralisch immer geboten. Insofern kann es kein moralisches Recht
auf bedingungslose Selbstentfaltung geben.
Andererseits wäre es unsinnig, entsprechende rechtliche Normen aufzustellen. So
ist es sinnvoll, bestimmte Bereiche abzugrenzen, über die jeder allein bestimmen
darf, weil sonst ständig unlösbare Abstimmungsprobleme mit anderen entstehen
würden.
Dies ist einer der Gründe für die Institution des Eigentums. Über sein Eigentum
darf jeder nach Belieben verfügen. Der Wille des Eigentümers setzt die Norm, und
diese Norm ist von jedermann zu respektieren.
Ein solches Eigentum ist außerdem eine Bedingung dafür, dass überwiegend
eigeninteressierte Wesen, wie es Menschen nun mal sind, sich bei der Arbeit
anstrengen. Schließlich wollen sie etwas von ihren Mühen haben, sei es eine
Ernte nach der Saat, sei es Mich von der gut gefütterten Kuh, sei es das
monatliche Gehalt auf dem Konto für den Stress des beruflichen Alltags.
Es kann also sein, dass ich rechtlich volle Verfügungsgewalt über mein Eigentum
habe und dass ich gleichzeitig eine moralische Verpflichtung habe, einen Teil
davon für wertvolle Vorhaben zu spenden.
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Das Normensystem ist in den Überzeugungen und
Einstellungen der allermeisten Gesellschaftsmitglieder verankert, es sei denn,
es existiert eine Konkurrenz verschiedener Normensysteme, weil sich die Gesellschaft in einem Umbruch
befindet, wie z. B. bei Bürgerkrieg oder
Fremdherrschaft. Werden die
Normen der Moralität verletzt, so trifft den Normverletzer (im Folgenden auch
kurz als "Täter" bezeichnet) die soziale Verachtung sowie eine damit
einhergehende soziale Ausgrenzung. Außerdem treffen ihn der Hass und das
Vergeltungsstreben derjenigen, die durch die Normverletzung direkt geschädigt
wurden.
Die "elementare Moralität" besteht aus
praktizierten Sitten und Gewohnheiten, die aus einem gleichsam naturwüchsigen Prozess
hervorgehen und sich nur allmählich verändern.
Der Übergang von der
Moralität zur Rechtsordnung, die "Verrechtlichung" der normativen Ordnung ist
ein fließender Prozess. Verrechtlichung bedeutet z. B., dass an Stelle der nur
mündlichen Überlieferung schriftliche Normen (Gesetzestafeln aus Stein)
herangezogen werden.
***
Wenn eine Normverletzung vom Normverletzer gar nicht gewollt wurde, ist eine
Bestrafung unangebracht oder überflüssig.
***
Kann man auf Moral verzichten, weil man eine
Rechtsordnung hat?
(aus einer Diskussion)
Du meinst, dass wir auf Ethik oder Moral verzichten können, weil wir ja eine
Rechtsordnung haben.
Du schreibst: "Die Gesellschaft pocht lediglich auf die Einhaltung von Gesetzen.
Und diese sind nicht moralisch oder ethisch begründet. Es sind
vernunftbegründete Regeln des Zusammenlebens."
Du schreibst weiter, dass "diese Gesetze von Leuten ausgearbeitet und erlassen
(werden), die dafür vom Volk gewählt sind."
Meine Frage ist, wie sich beides miteinander verträgt: Sind die Gesetze
vernunftbegründet? Dann müssten sie logisch aus Argumentationen und Begründungen
hervorgehen. Oder sind es Erlasse bestimmter Amtspersonen, die als Gesetzgeber
diese Gesetze setzen?
Wenn beides richtig sein soll, so wäre das, was der Bundestag an Gesetzen
verabschiedet, notwendigerweise vernunftbegründet. Letzteres würde eine völlig
total unkritische Haltung zum Staat und zum staatlichen Handeln zur Folge haben.
Also lieber nicht.
Offenbar hast Du eine Abneigung gegen die Begriffe Ethik und Moral und
assoziierst diese mit "moralinsauer", "fromm" und "mittelalterlich". Deshalb
gehört die Ethik für Dich auf den Müllhaufen der Geschichte.
Für mich ist jeder Satz, der menschliches Handeln mit dem Anspruch auf
allgemeine Geltung bewertet und regelt, ein ethischer Satz, Ausdruck einer
Moral. Ich weiß nicht, als was Du das bezeichnest.
Nehmen wir zum Beispiel den Satz: "Wenn man eine öffentliche Toilette benutzt,
dann soll man sie sauber hinterlassen." Oder den Satz: "In Warteschlangen soll
man sich hinten anstellen". Soviel ich weiß, handelt es sich in beiden Fällen
nicht um eine Rechtsnorm. Was sind dies dann für Normen?
Die Vorstellung, eine Gesellschaftsordnung könne allein auf rechtlichen
Sanktionsdrohungen beruhen, ohne eine Verinnerlichung von Normen, bedeutet keine "Weiterentwicklung" sondern ist wirklichkeitsfremd.
Wo jedermann ohne moralische Skrupel die Rechtsnormen verletzt, wenn es ihm
gerade passt und er es unbemerkt tun kann, da hält eine Gesellschaftsordnung
keine 7 Tage.
Man kann nicht hinter jedes Mitglied der Gesellschaft einen Polizisten stellen.
Und wer überwacht wiederum die Polizei? Was hätten wir z. B. für eine
Rechtsordnung, wenn Richter kein Berufsethos hätten und nach Lust und Laune
Recht sprechen würden, solange sie keine Strafen zu befürchten haben.
Um es in der von Dir bevorzugten systemtheoretischen Terminologie zu
sagen: Soziale Systeme benötigen zu ihrer Selbsterhaltung sozialisierte
Individuen, die in ihrem Sozialisationsprozess die Werte und Normen dieses
sozialen Systems verinnerlicht haben.
Für diese Haltungen und Einstellungen sind die Bezeichnungen "Moral" (aus dem
Lateinischen) oder "Ethos" (aus dem Griechischen) üblich. (Der deutsche Begriff "Sittlichkeit" ist von sexualfeindlichen Moralisten wohl unwiederbringlich
zugrunde gerichtet worden.)
(aus einer Diskussion):
Du vertrittst die Ansicht, das Recht habe die Moral
abgelöst, die man nun nicht mehr benötige. Dies ist meiner Ansicht nach
falsch.
Für mich ist eine rechtliche Norm daran zu erkennen, dass diese Norm staatlich
sanktioniert und durchgesetzt wird. "Wer x tut, wird mit y bestraft". Die
Wirkung der Rechtsnorm beruht auf dem angedrohten Übel.
Der Satz: "Man sollte die Rechtsnormen einhalten, auch wenn man sie ungestraft
übertreten könnte" ist jedoch keine Rechtsnorm. Wozu rechnest Du diese Norm?
Wozu rechnest Du Normen wie: "In einer Diskussion soll man andern nicht ins Wort
fallen" oder "Sei hilfsbereit und rücksichtsvoll" ?
Viele Probleme sind wegen der unvermeidlichen Schwerfälligkeit der rechtlichen
Institutionen nicht "justiziabel" und werden nach "ungeschriebenen Gesetzen"
geregelt. Das Auge und der Arm des Rechts reichen bekanntlich nicht überall hin.
Deshalb muss die Rechtsordnung durch eine moralische Ordnung ergänzt werden.
***
Die normative Ethik – so wie ich sie verstehe - sucht nach
Antworten auf die Frage: Wie sollen Menschen in bestimmten Situationen handeln?
Welche Handlungen sind angesichts bestimmter Umstände ethisch geboten, verboten
oder erlaubt?
Ein Recht auf Selbstbestimmung ist eine Erlaubnis, bestimmte Handlungen zu tun.
Auch eine Erlaubnis enthält ein Sollen, zwar nicht für diejenige Person, die
eine Erlaubnis besitzt, aber für die andern: Ihnen ist es verboten, diese Person
daran zu hindern, etwas Erlaubtes zu tun.
Die ethische Frage: "Wie sollen Menschen in bestimmten Situationen handeln?" ist
nicht gleichzusetzen mit der rechtspolitischen Frage: "Welche staatlichen
Gesetze sollten für diese Situationen gelten?", obwohl hier natürlich ein enger
Zusammenhang besteht.
Durch die zwei unterschiedlichen normativen Systeme des Rechts und der Moral
ergibt sich allerdings eine Komplikation. Wenn bereits eine anerkannte
Rechtsordnung existiert, die eine entsprechende Rechtsnorm enthält, z. B. die
Anschnallpflicht im Auto, dann ist auch die allgemeine moralische Verpflichtung
des Staatsbürgers zur Gesetzestreue zu berücksichtigen. Wenn gefragt wird, ob
jemand in einer bestimmten Situation sich anschnallen soll oder nicht, macht es
also einen Unterschied, ob es dazu bereits eine einschlägige Rechtsnorm gibt
oder nicht.
Siehe auch
die folgenden thematisch verwandten Texte in der Ethik-Werkstatt:
***
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Letzte Bearbeitung 27.04.2006 / Eberhard Wesche
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