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Aus meinen Notizb�chern: Heft XX


Heft XX  

Vorbemerkung:
Den folgenden Text aus meinen Notizb�chern habe ich eigentlich nicht für die Ver�ffentlichung sondern für mich selber geschrieben, um meine eigenen Gedanken festzuhalten und zu klären. Sie haben deshalb einen vorl�ufigen Charakter, insbesondere was die benutzte Terminologie betrifft. Trotz z. T. grundlegender überarbeitung sind diese Notizen auch in der Formulierung holpriger als andere Texte der Ethik-Werkstatt. Es sind m. E. darin jedoch Gedanken enthalten, die für die Entwicklung einer normativen Theorie der kollektiven Entscheidung und für die Ethik allgemein von Interesse sein können. Wo ich heute anderer Ansicht bin als damals, habe ich dies manchmal in eckigen Klammern hinzugef�gt und begr�ndet.


Begonnen am 06/06/1984

Heft 20

*XX-1*
Alle Beispiele gegen den Utilitarismus, bei denen eine Verletzung bestehender Normsetzungsverfahren vorkommt (Versprechen brechen, Unschuldige bestrafen, etc.), werfen die Frage nach dem Verhältnis von inhaltlicher Richtigkeit und institutioneller Verbindlichkeit von Normen auf.

Der extreme Utilitarist (zum Beispiel SMART) sagt: Es muss immer so gehandelt werden, dass der Gesamtnutzen maximiert wird, gleichg�ltig welche Norm durch das institutionalisierte Verfahren gesetzt wurde. Die inhaltliche Richtigkeit (Nutzenmaximierung) ist für ihn allein ma�gebend.
Das Normsetzungsverfahren und dessen Entscheidung m�ssen nach SMART nur indirekt ber�cksichtigt werden. Zum einen, weil seine Anwendung in der Regel bzw. im Gro�en und Ganzen unter dem Gesichtspunkt des Gesamtinteresses besser ist als irgendein anderes Normsetzungsverfahren, und zum andern, weil das Normsetzungsverfahren dadurch, dass es missachtet wird (und dies �ffentlich gerechtfertigt wird), in seiner Anerkennung gef�hrdet wird. Der extreme Utilitarist wird also die sch�dlichen Folgen für eine im allgemeinen n�tzliche Institution abw�gen m�ssen gegen die Vorteile, die im konkreten Einzelfall durch ein Handeln entgegen der gesetzten Norm entstehen.

*XX-2*
Nehmen wir das Beispiel von BRANDT (aus: "Credible Form of Utilitarianism" ) Er argumentiert: "Ich verspreche einem Jungen 5 Mark, wenn er meinen Rasen m�ht. Nachdem es getan ist, frage ich mich, ob ich ihm wirklich das Geld geben soll, oder ob es unter dem Gesichtspunkt des Gesamtinteresses nicht besser wäre, das Geld anderweitig zu verwenden. (Ich tue es und spende Notleidenden.)
Ein derartiges Verhalten wäre gleich unter mehreren Gesichtspunkten problematisch. Zum einen setze ich mit meinen moralischen überlegungen erst dort ein, wo der Rasen bereits gem�ht ist. D.h. ich nehme die Institution 'Versprechen' in ihrer motivierenden Wirkung in Anspruch, obwohl sie zu Ergebnissen f�hrt, die vom Gesichtspunkt des Gesamtnutzens nicht zu billigen sind. Als konsequenter Utilitarist m�sste ich dann jedoch fragen, ob nicht der Anwendungsbereich der Institution "Versprechen" entsprechend eingeschr�nkt werden m�sste. Das Verhältnis beider Ebenen wird jedoch gar nicht problematisiert.
Offenbar handelt es sich hier nicht um einen Sonderfall der Institution "Versprechen", der ausnahmsweise zu schlechten Ergebnissen f�hrt, sondern um ein ganz normales Beispiel. Au�erdem muss die Frage gestellt werden, ob ich ein derartiges Verhalten nur in diesem speziellen Fall praktiziere, sondern ob ich bereit bin, diese Ma�st�be an mein gesamtes Verhalten anzulegen, d.h. ich m�sste zum Beispiel jede Mark in meinem Besitz in ihrer Verwendung den gleichen Prinzipien der Verwendung unterwerfen und sie spenden. Ja, ich m�sste Geld im Besitz anderer in entsprechender Weise versuchen zu verteilen, sofern die gleichen Argumente wie bei den versprochenen 5 Mark Anwendung finden".

*XX-3*
Universalisierbarkeit: Wenn ich utilitaristisch argumentiere, muss ich es immer tun und nicht nur in ausgesuchten F�llen. Ein weiteres Problem besteht darin, dass ich hier auf Kosten anderer moralisch bin.

*XX-4*
Bei normativen, insbesondere moralischen Fragen kommt im normalen Bewusstsein automatisch ein intersubjektives Moment hinzu, das sich in der sprachlichen Wendung ausdr�ckt, dass "man sein Handeln zu verantworten hat". Selbst wenn man etwas nur vor sich selber verantwortet, so ist man dann doch innerlich im Dialog (mit seinem Gewissen, seinen besseren Selbst etc.).

*XX-5*
Wenn man eine Aussage als �wahr� bezeichnet, so empfiehlt man die übernahme entsprechenden überzeugung: "Du sollst diese Aussage für wahr halten". Aber dies ist wohl kein moralisches "Sollen" im Sinne einer Verpflichtung, sondern ein Ratschlag, ein Gebot der Klugheit.

*XX-6*
Der Utilitarismus ist keine Theorie, die der Moralit�t des individuellen Handels entspricht. Das kann man leicht zeigen: Ma�stab der Beurteilung des Handelns ist für den Utilitarismus, inwieweit das betreffende Handeln den Gesamtnutzen maximiert. In F�llen, in denen durch ein Handeln nur der Nutzen des Handelnden selber betroffen ist, ist das utilitaristisch geforderte Handeln dasjenige, das den Nutzen des Handelnden selber und damit zugleich den Gesamtnutzen maximiert. Aber es entspricht nicht dem normalen Sprachgebrauch, eine Forderung nach Maximierung des eigenen Nutzens als "moralische Forderung" zu bezeichnen. Nur bei der R�cksichtnahme auf fremde Interessen spricht man von einer "moralischen" Forderung.

*XX-7*
Wenn ein Eigent�mer über sein Eigentum eigenn�tzig verf�gt, anstatt damit das Gesamtinteresse zu fürdern, so macht man ihm deswegen gewähnlich keinen Vorwurf. Ein konsequenter Utilitarist m�sste das jedoch tun, wenn er das Nutzenprinzip unmittelbar auf das individuelle Handeln anwenden will.

*XX-8*
für die Handlungsnormierung sind die normsetzenden Institutionen (Eigentum, Versprechen etc.) sehr viel wichtiger als die Normen der individuellen Moral, die einen eher sekund�r korrigierenden Effekt haben. Ein Beispiel ist die wohlt�tige Spendent�tigkeit der Reichen. Dadurch werden die durch die Eigentumsordnung und das Steuersystem normierten Verf�gungsrechte etwas korrigiert.

*XX-9*
Normen wie: "Gib dir M�he!" oder "Versuche dein Bestes zu geben!" lassen sich in ihrer Befolgung sozial kaum kontrollieren. Sie sind deshalb untauglich, vorhandene aber ungenutzte Leistungskapazit�ten zu mobilisieren.
Deshalb ist die Leistungsmotivation ein zentrales Element jeder Wirtschaftsordnung und jedes Normensystems. Wenn man jedoch nur isolierte individuelle Handlungen betrachtet und dafür eine übergeordnete Norm sucht, so ignoriert man gewähnlich das Motivationsproblem und tut so, als w�rde die gefundenen Norm immer auch befolgt. Aber um die bestm�gliche Handlung zu finden, muss man die Grenze der Leistungsf�higkeit des Betreffenden kennen. Nur dann k�nnte man ihm ein bestimmtes Handeln (als zugleich m�glich und nutzenmaximal) vorschreiben. Da man aber die St�rke der Leistungsmotivation  gewähnlich nicht kennt, muss man an ihn appellieren, sein Bestes zu geben, oder ich muss ihn durch eigenn�tzige Anreize zur Leistung motivieren.

*XX-10*
Die normsetzenden Institutionen m�gen für das Handeln gewichtiger sein als individuelle Handlungsnormen. Doch beides lässt sich nicht trennen, denn die Normsetzungsverfahren ben�tigen für ihr Funktionieren ebenfalls individuelle Moralit�t, vor allem, wenn es um die Befolgung gesetzter Normen geht. Normen wie: "Versprechen soll man halten!", "Fremdes Eigentum soll man respektieren". Diese Normen sind für die normsetzenden Institutionen (Versprechen, Eigentum) konstitutiv.

*XX-11*
Die Wahrheit zu sagen und ehrlich zu sein, ist nicht notwendig eine konstitutive Norm für ein Normsetzungsverfahren. Allerdings ist die Wahrheitsfindung oft ein Teilproblem der verschiedenen Normsetzungsverfahren. Dass die Beteiligten richtige Annahmen über die Wirklichkeit besitzen, ist zum Beispiel beim Tausch, bei der Abstimmung oder bei der Bestrafung vorauszusetzen, wenn sie sinnvoll sein sollen. Die Ehrlichkeit ist in bestimmten Ma�en für das erw�nschte Funktionieren dieser Institutionen notwendig. Die Wahrheit zu sagen wird dann zur Pflicht gemacht.

*XX-12*
Wenn ein Kritiker der Konsenstheorie sagt: "Lasst uns pr�fen, ob die vorgeschlagene Norm für uns annehmbar ist", so k�nnte man ihm entgegnen: "Wenn du so formulierst, dann geht es doch auch dir um die allgemeine Zwang freie Zustimmung."
Dagegen k�nnte der Kritiker einwenden, dass der Intersubjektivit�tsaspekt für seine Argumentation nicht wesentlich sei. Dies sei eher so zu verstehen, dass er laut monologisierend die verschiedenen Behauptungen und Einw�nde für sich pr�fe. Aber muss er nicht unterstellen, dass sein Gedankengang gleichzeitig von anderen geteilt werden kann?

*XX-13*
Wenn ich eine Behauptung (als wahr) kennzeichne, so erhebe ich damit (implizit) den Anspruch, dass andere mir zustimmen. Wenn sie mir widersprechen, ist meine Behauptung infrage gestellt. Wenn ich meine Behauptung aufrechterhalten will, so muss ich (vern�nftigerweise) die Einw�nde gegen die Norm entkr�ften. Dies kann ich tun, indem ich sie entweder bestreite und gleichzeitig etwas gegen sie einwende. oder indem ich sie als "vielleicht richtig, aber in Bezug auf meine Behauptung nicht entscheidend" hinstelle.  

*XX-14*
Das Argument von TUGENDHAT gegen die Konsenstheorie lautet etwa so: "Die Konsensf�higkeit kann nicht das Kriterium der Wahrheit sein. Da nicht der faktische Konsens z�hlen soll, sondern nur der 'vern�nftige' Konsens, der auf Argumenten beruht, so kann man auf die Idee des Konsens auch verzichten: Die Wahrheit wird durch die korrekte Begr�ndung erreicht und diese Begr�ndung kann auch einer allein für sich vollziehen."
TUGENDHAT: "Dass verschiedene Personen, wenn sie so einen (empirischen E.W.) Satz begr�nden, zu einer übereinstimmung kommen, beruht einfach darauf, dass sie alle dieselben Begr�ndungsregeln anwenden � Das Begr�ndungskriterium von empirischen AussageSätzen ist in den Verifikationsregeln enthalten, die ihre Bedeutung ausmachen." Er meint, dass die intersubjektive übereinstimmung die Folge und nicht das Kriterium des begr�ndet-Seins einer Aussage ist. ("Drei Vorlesungen" Seite 115 � 116) TUGENDHAT kommt zu dem Ergebnis, "dass die Konsensustheorie als eine allgemeine Begr�ndungstheorie unannehmbar ist."
Nach Tugendhats Ansicht f�hrt die Anwendung derselben Begr�ndungsregeln zum Konsens (in empirischen Fragen). Zu zeigen wäre gegen TUGENDHAT, dass der Konsens kein beil�ufiges Ergebnis der Begr�ndung ist, auf das man auch verzichten kann, sondern dass die Begr�ndungsregeln bereits mit dem Ziel konstruiert sind, einen Konsens herbeizuf�hren. Dies l��t sich wohl am besten dort aufzeigen, wo eine Begr�ndung bzw. eine Begr�ndungsregel strittig ist und wo Begr�ndungen ausgeschlossen werden, eben weil sie zu keinem nachvollziehbaren Konsens f�hren können und weil sich nicht jeder selber davon überzeugen kann. Ein geeignetes Beispiel sind vielleicht Behauptungen in Bezug auf "übernatürliche" M�chte und deren Begr�ndungen  (Marienerscheinungen etc.).


*XX-15*
Die Normsetzungsverfahren sind ihrerseits durch individuelle Verhaltensnormen gesch�tzt, die vom Individuum die Befolgung der gesetzten Normen, also die Respektierung des Normsetzungsverfahrens verlangen: "Du sollst Versprechen (bzw. Vertr�ge) halten", "Du sollst nicht stehlen", "Du sollst die Gesetze deines Landes befolgen", "Du sollst dem Vorgesetzten gehorchen" etc.. Diese Normen liegen auf einer anderen Ebene als die konkreten inhaltlichen Normen.


*XX-16*
Lassen sich alle Normen in Normen von der allgemeinen Form: "In der Situation S soll das Individuum A die Handlung H tun" übersetzen? Was ist mit Normen, die Normsetzungsverfahren einsetzen? Was ist mit Verboten und Erlaubnissen?
In die Situationsbeschreibung S gehen nicht nur quasi natürliche Bedingungen ein, sondern auch soziale Umst�nde wie das In-Kraft-sein bestimmter rechtlicher oder konventioneller Normen.

*XX-17*
Wenn man zum Gegenstand normativer Theoriebildung die Antworten auf Fragen derallgemeinen Form: "Was soll ich tun?" nimmt, so geht man damit weit über den Bereich der Ethik hinaus. Denn diese Frage stellt man sich auch in Situationen, wo sich das Eigeninteresse ungehindert entfalten darf. So fragt sich etwa der Wanderer im Wald: "Welchen Weg soll ich w�hlen?" Aber um Handlungsanleitungen im eigenen Interesse soll es ja nicht gehen � oder? (Das Problem stellt sich nicht bei Normen, die relativ zu vorgegebenen Zwecken sind).

*XX-18*
Liegt es im Sinne von Wahrheitsanspr�chen, dass sie im Prinzip argumentativ einl�sbar sein m�ssen? Wenn es keine Gr�nde gibt, die mich zur Erkenntnis des Behaupteten f�hren können, so bleibt nur der pure Glaubensakt, eine Diskussion wäre sinnlos. Wahrheiten, die für mich im Prinzip nicht erkennbar sind, sind für mich buchst�blich "indiskutabel". Ein Satz mag wahr sein, ohne dass wir es begr�nden können oder auch nur vermuten, aber wenn ich beanspruche bzw. behaupte, dass er wahr ist, muss ich dafür Gr�nde haben, sonst bin ich unvern�nftig.

*XX-19*
In den Geschichten vom Till Eulenspiegel gibt es eine, wo er nach Prag (?) kommt und �ffentlich anschlagen lässt, dass er Fragen beantworten kann, die andere Gelehrte nicht beantworten können. Die aufgebrachten Gelehrten der Universit�t wollen dies nicht auf sich sitzen lassen und laden ihn zu einer Pr�fung seines Wissens ein. Der Rektor pers�nlich stellt ihm dann ausgesucht schwierige Fragen wie: "Wie viel Liter Wasser ist in den Meeren aller Welt?" Oder "Wie gro� ist der Himmel?" Auf die letztere Frage zum Beispiel antwortete Eulenspiegel: "300 Klafter lang und 200 Klafter breit" (oder so ähnlich). 
Der Trick ist, dass die Gelehrten die Antworten nicht widerlegen können und deshalb Eulenspiegel nichts anhaben können. An diesem Beispiel wird deutlich, dass der blo�e Wahrheitsanspruch, wie ihn Eulenspiegel im Scherz erhebt, v�llig unbrauchbar ist, wenn man diesen Wahrheitsanspruch nicht für andere nachvollziehbar begr�ndet.

*XX-20*
Wenn man auf eine Frage die "richtige" Antwort sucht und jemand gibt eine Antwort, so n�tzt das einem gar nicht nichts, wenn man nicht wei�, (bzw. mit gewissem Recht vermuten kann), dass es sich um die richtige Antwort handelt. Wenn jemand eine Antwort sagt und er hat zuf�llig recht, so handelt es sich nicht um "Wissen" im �blichen Sinne.
Die M�glichkeit, allein durch Argumente einen allgemeinen Konsens über eine Behauptung herbeizuf�hren, kann nicht Kriterium der G�ltigkeit (Wahrheit) der Behauptung sein. Denn in bestimmten Bereichen, in denen es bisher kein gesichertes Wissen gibt, mag jemand irgendeine Antwort nennen, die zuf�llig die richtige ist (wie sich allerdings erst sp�ter herausstellt). Aber gegenw�rtig gibt es noch keine Argumente für die Behauptung (und auch keine dagegen). Folglich kann sich darüber auch kein Konsens ergeben. Trotzdem ist die Antwort bereits heute richtig, auch wenn man es heute noch nicht wei�, dass sie richtig ist.
Die Konsequenz daraus ist, dass man die Begriffe �Wahrheit�� Begr�ndbarkeit� bzw. �Wissen� trennt, nur �Wissen� wäre an die argumentative Konsensf�higkeit gebunden. (Oder man interpretiert die idealen Bedingungen, unter denen der Konsens tats�chlich eintreten muss, so weit, dass man das gesamte Wissen als verf�gbar annimmt.)

*XX�21*
Es geht um die wissenschaftliche (rationale, vern�nftige) Beantwortung normativer Fragen. Damit ist erstens gemeint, dass nach Antworten gesucht wird, die eine allgemeine G�ltigkeit besitzen, die also für jeden und zu jeder Zeit richtig sind. wäre das nicht so und ginge es nur um Antworten, die eine subjektive, partikulare Geltung beanspruchten, so k�nnte es keinen sinnvollen Streit um die richtige Antwort geben, denn für den einen bes��e die eine Antwort, für den anderen die andere Antwort Geltung. Der Konflikt um das, was sein soll, wäre rational nicht aufl�sbar.

*XX-22*
Aber k�nnte es nicht tats�chlich so sein? Ist eine Position, die das annimmt, von vornherein indiskutabel? Eine solche Position w�rde die Zielstellung nicht teilen, vielleicht mit der Begr�ndung, dass es die richtige Antwort auf normative Fragen nicht geben kann. Aber dann muss die Undurchf�hrbarkeit der Aufgabe begr�ndet werden. Dazu m�sste man sich jedoch erst einmal auf die Aufgabe einlassen. Deshalb scheidet eine solche Position zumindest hier am Anfang aus. Sie k�nnte h�chstens das Resultat eines gescheiterten Versuchs sein, wenn sie begr�ndet sein will.

*XX-23*
Mit der Zielstellung einer wissenschaftlichen Beantwortung normativer Fragen ist weiterhin gemeint, dass der Anspruch auf Geltung für jedermann nachvollziehbar begr�ndbar sein muss. Eine Antwort, für die nur der blo�e Anspruch auf Richtigkeit erhoben wird -  ohne diesen Anspruch irgendwie zu begr�nden, mag zuf�llig richtig sein, aber sie ist als pure Behauptung wissenschaftlich wertlos, da man nicht wei�, ob sie richtig ist. Pure Behauptungen sind indiskutabel, es sei denn, es werden Gr�nde oder Gegengr�nde angef�hrt.
(K�nnte man dann nicht gleich sagen: "Es geht um die begr�ndete Beantwortung normativer Fragen"? Aber darin w�rde wohl das Element der Allgemeinheit fehlen: Mein eigenes Interesse k�nnte vielleicht ein Grund für mich sein, einer bestimmten Behauptung zuzustimmen, aber für den einen oder anderen wird das nicht gelten. Mein Interesse stellt für ihn kein Kriterium dar.)

W�rde jemand sagen: "Mir geht es nicht um begr�ndete Antworten", so ist der Argumentation mit ihm der Boden entzogen.
Wollte jemand daraufhini sagen: "Mir geht es nicht um universal begr�ndete Antworten", so wäre der Argumentation mit ihm ebenfalls der Boden entzogen in Bezug auf all jene, die ausgegrenzt werden. Denn zwischen partikularen Geltungsanspr�chen ist ein argumentativer Streit sinnlos.
Ein Grund für oder gegen eine Behauptung (bzw. gegen deren allgemeine Geltung) ist dabei etwas, das jedermann zwanglos zur Zustimmung bzw. Ablehnung des Behaupteten bewegen kann.

*XX-24*
Gr�nde richten sich an das freie Urteilsverm�gen, das über die überzeugungen hinsichtlich wahr und falsch befindet. Gr�nde m�ssen insofern frei von Drohungen sein. Wenn jemand sagt: "Wer nicht glaubt, dass Jesus Christus Gottes Sohn ist, der endet in der Verdammnis", so ist dies kein Argument für die Behauptung, dass Jesus Gottes Sohn ist, obwohl es vielleicht ein Motiv zur auf Annahme des Christentums darstellen soll und faktisch auch gewesen sein mag.
(Drohungen können keine Gr�nde darstellen, weil man nicht etwas gezwungenerma�en für richtig halten kann. (Es sei  "gezwungen" durch den Zwang der besseren Argumente.) Man mag seine überzeugung hinsichtlich wahr und falsch mittels T�uschung oder Selbstt�uschung bilden und ver�ndern, niemals jedoch unter dem bewussten Einfluss von Gewalt. Au�erdem besteht zwischen beiden Sätzen keine logische Beziehung. (Eine Argumentation mit Drohungen hie� traditionell wohl "argumentum ad baculum".)

*XX-25*
Die Ank�ndigung einer Sanktion kann kein Argument für die Richtigkeit einer normativen Antwort sein, obwohl sie ein Motiv darstellen kann, entsprechend dieser normativen Antwort zu handeln. Drohungen ver�ndern die Situation für den Handelnden, sie greifen in die Situation ein, w�hrend Argumente diese Situation bzw. den Satz, der sich auf sie bezieht, beurteilen.

*XX-26*
Argumente m�ssen sachbezogen sein. Im Alltag findet sich bei Diskussionen oft der Vorwurf der Unsachlichkeit, etwa wenn nicht die These selbst angegriffen wird sondern die Person bzw. das Motiv dessen, der die These vertritt.

*XX-27*
Wer über die Wahrheit einer Behauptung entscheiden will ohne Begr�ndung, der ist irrational.

*XX-28*
Wenn "Wahrheit" " Wahrheit für alle" ist, muss die Begr�ndung eines Wahrheitsanspruchs auch eine Begr�ndung für alle sein. Dann kann aber nur das als eine Begr�ndung für andere gelten, was auch für mich eine Begr�ndung ist. Damit scheiden T�uschungen, Drohungen, Verlockungen als Bestandteil von Begr�ndungen aus.

*XX-29*
Gr�nde richten sich an das freie Urteilsverm�gen, die Vernunft. Was ist damit gemeint?

*XX-30*
Das Wort "Grund" hat verschiedene Bedeutungen auch im Sinne von Begr�ndung. Man spricht von Begr�ndung bei Handlungen und bei Urteilen (bzw. Behauptungen). Man sagt etwa: "Welche Gr�nde gibt es, dies Auto zu kaufen?" Aber auch: "Welche Gr�nde gibt es für die Annahme x?" Wenn ich nach den Gr�nden suche, die für den Kauf eines bestimmten Autos sprechen, so frage ich nicht wie ein empirischer Psychologe nach den Motiven, die ich tats�chlich habe. Wenn ich irrt�mlicherweise annehme, ein bestimmtes Auto sei besonders sparsam im Kraftstoffverbrauch, und wenn ich zugleich diese Eigenschaft hoch bewerte, so erkl�rt meine irrige Annahme kausal meine Kaufentscheidung, ohne dass damit ein Grund für den Kauf gegeben wäre, im Gegenteil. Eine irref�hrende Werbung mag ein Motiv zu kaufen erzeugen, kann aber keinen Grund dafür darstellen. Gr�nde m�ssen den Kauf des Autos rechtfertigen, ihn nicht nur urs�chlich erklären.


*XX-31*
Welchen Unterschied gibt es zwischen Gr�nden, die Handlungen rechtfertigen und Gr�nden, die Annahmen (Behauptungen, überzeugungen) rechtfertigen? In beiden F�llen geht es um die Rechtfertigung einer Entscheidung, sei es für eine Handlung, sei es für eine Annahme. Man kann die Begr�ndung einer Handlung wohl auch immer umformen in die Begr�ndung einer Behauptung: Statt zu sagen: "Welche Gr�nde gibt es für Person K, das Auto X zu kaufen?" k�nnte man sagen: "Welche Gr�nde gibt es für die Behauptung Person K sollte Auto X kaufen"? Inhaltlich macht das wohl keinen Unterschied (?) Wenn das stimmt, dann k�nnten Gr�nde verstanden werden als Rechtfertigung für die Bejahung bzw. Verneinung von Annahmen bzw. Behauptungen.

*XX-32*
Die Begr�ndung eines Urteils (als "richtig") ist in dem Ma�e gelungen, wie sie uns zwangfrei und t�uschungsfrei überzeugt.


*XX-33*

Was macht den eigent�mlich zwanglosen Zwang des besseren Arguments aus?  Gegeben ist ein Urteil u (These, Behauptung, Annahme etc.). für die Richtigkeit von u werden Argumente (Gr�nde) vorgebracht. Es k�nnten auch gegen u Argumente vorgebracht werden. Das wären Gr�nde für die Verneinung von u. (Davon will ich im Folgenden absehen.)

*XX-34*
Damit ein Argument a die These u st�tzen kann, muss es zum einen für die Richtigkeit von u relevant sein. D.h. aus dem Argument a muss allein oder in Verbindung mit weiteren Argumenten die These u deduktiv hervorgehen. Wobei dies "hervorgehen" mehr oder weniger zwingend sein kann, von der logischen Deduktion bis hin zur Erh�hung der Wahrscheinlichkeit von u. (Das wäre noch n�her zu klären.)

Zum anderen muss das Argument a selber richtig sein, um die Richtigkeit von u begr�nden zu können. Der zwanglose Zwang des Argumentes a besteht darin, dass jemand u für richtig halten muss, wenn er a für richtig h�lt. Dies setzt Schlussregeln von a nach u voraus, deren G�ltigkeit gegeben sein muss. Wenn sich auch hier bei a die Richtigkeit einer Begr�ndung erweisen soll, so nimmt u jetzt a die Stelle von u ein und der Prozess muss von neuem beginnen, indem jetzt relevante und richtige Argumente für a gesucht werden.

Ergibt sich damit notwendigerweise ein infiniter Regress der Begr�ndung? Das wäre problematisch, denn damit wäre jegliche Begr�ndung undurchf�hrbar. Im Alltag reichen gewähnlich ähnliche Begr�ndungen aus, d.h. bestimmte S�tze werden als richtig akzeptiert, ohne dass dies durch weitere Argumente begr�ndet wird. (evident)

*XX-35*

Wenn man den bildlichen Gehalt des Wortes "Grund" ernst nimmt, so kann man die Erkenntnis als ein Geb�ude von Sätzen verstehen, wobei ein Satz gest�tzt wird durch andere zu Grunde liegende S�tze, so wie im Bauwerk ein Stein jeweils auf anderen Steinen aufruht. Man kann dann immer fragen: Worauf ruhen die untersten Steine auf?
Auch im Bild kann es einen letzten Grund nicht geben, denn auch unter den Fundamenten und Grundmauern muss etwas sein, das wiederum diese tr�gt. Eine gelungene Begr�ndung setzt voraus, dass man die verwendeten Argumente und Schlussweisen zusammengenommen für weniger zweifelhaft h�lt als die zu begr�ndende These.
Die S�tze haben für uns einen unterschiedlichen Grad an Gewissheit. Wir können uns der Wahrheit bestimmter S�tze sicherer sein als der Wahrheit anderer S�tze. (Man spricht zum Beispiel von "felsenfesten überzeugungen" und von "vagen Vermutungen". Es gibt eine Vielzahl von sprachlichen M�glichkeiten, um den Grad an Gewissheit verschiedener Annahmen auszudr�cken. Man muss allerdings faktische und berechtigte Gewissheit unterscheiden.)

*XX-36*
Die Gr�nde für das Festhalten an bestimmten Annahmen liegen nicht nur in anderen Sätzen, sondern auch in den Verfahren ihrer Erzeugung. Ein Beispiel. Man zeigt mir eine rote und eine blaue Kiste. Ich soll sagen, in welcher Kiste ein W�rfel liegt,  ohne in die Kisten hineinsehen zu d�rfen.

Wenn ich einfach rate, wo der W�rfel liegt, so bin ich mir dieses Satzes nicht sicher, auch wenn ich richtig geraten habe. Wenn ich wei�, dass der W�rfel nach einem festgelegten Muster in die beiden Kisten verteilt wird, so bin ich mir meiner Annahme sicherer. Noch sicherer wäre ich, wenn ich die Kiste dabei �ffnen d�rfte, obwohl es auch hierbei noch Fehlerquellen geben mag. (Beleuchtung, Entfernung zum Gegenstand, Sehfehler, Halluzinationen, Tr�ume, Sehfehler, optische T�uschungen u. a.m.) Solche Fehlerquellen k�nnten durch Hochnehmen, Umdrehen, Bewegen des W�rfels weiter vermindert werden, obwohl nun andere Probleme (Erinnerungsfehler etc.) entstehen können.

*XX-37*
Im Alltag ist es wohl so, dass man so lange von der Richtigkeit einer Annahmen ausgeht, wie es keine Gegengr�nde gibt, solange sich zum Beispiel der W�rfel in der Kiste so verh�lt, wie ich es von einem W�rfel erwarte.

*XX-38*
Wo bricht im Falle einer unmittelbaren Beschreibung des Gesehenen ("Der W�rfel liegt in der blauen Kiste") die Begr�ndung ab, was sind die notwendigen Zwischenschritte?

Offenbar sind das keine deduktiven Schritte (man k�nnte sich jedoch die Wahrnehmung des W�rfels zerlegt denken in die Wahrnehmung elementarer Ph�nomene, wie Rechteckigkeit, K�rperlichkeit, die Anzahl und Anordnung der Augen auf den Au�enfl�chen etc., also alles, was zu den definierenden Merkmalen eines W�rfels geh�ren.)

Der übergang vom Satz: "Ich sehe in der blauen Kiste einen W�rfel" zu dem Satz: "In der blauen Kiste Ist ein W�rfel" ist kein deduktiver übergang. Hinzukommen muss wohl noch eine Annahme über das "Beobachten", etwa: "In den allermeisten F�llen ist die Welt so, wie ich sie sehe." Der Schluss wäre dann wohl eine Art statistischer Schluss (in der Grundstruktur wohl auch deduktiv, oder?) Nach dem Muster: " Alles Gesehene ist wirklich" und "Der W�rfel wird von mir gesehen" Das ergibt: "Der W�rfel existiert wirklich".

Die ersten Gr�nde für die These: "In der blauen Kiste ist ein W�rfel" lauten also:

(1) "Ich sehe in der blauen Kiste einen W�rfel"
(2) "Die Welt ist so, wie ich sie sehe, ausgenommen unter den Bedingungen A, B, C�" �
wobei mit diesen Bedingungen Traumzust�nde, Rauschzust�nde, Wahnzust�nde, optische T�uschungen etc. gemeint sind.
Die Frage ist, ob diese zwei S�tze noch einer weiteren Begr�ndung f�hig und/oder bed�rftig sind.
Der Satz (1) ist insofern einer weiteren Begr�ndung f�hig, als der W�rfel und die Kiste in elementare Merkmale zerlegt werden können.

*XX-39*
Um diesem Problem zu entgehen, hier ein anderes Beispiel.
(1a) "Ich sehe jetzt auf der wei�en Holzplatte vor mir einen schwarzen Kreis".

Kann man sich selber hinsichtlich eines solchen Satzes irren? Auf jeden Fall kann ein solcher Satz bewusst falsch sein, gelogen sein, oder willk�rlich daher gesagt sein. Aber kann sich jemand, dem es um Wahrheit geht, hinsichtlich seiner eigenen Sinneseindr�cke irren?  
Eine Voraussetzung des Ganzen ist natürlich, dass ich die verwendete Sprache beherrsche und folglich meine Sinneseindr�cke sprachlich richtig wiedergeben. D.h. auch, dass ich nicht versehentlich ein falsches Wort w�hle, zum Beispiel "Ring" statt "Kreis".

Wenn jemand bei den Bedeutungen nicht konsistent ist, also keine bestimmte Sprache spricht, lässt sich die Frage der Wahrheit von Sätzen gar nicht beantworten, denn S�tze können nur bezogen auf eine bestimmte Sprache wahr oder falsch sein.

Indem ich den Satz (1a) der Kritik unterziehe, vergeht notwendigerweise Zeit, d.h., ich muss auf Erinnerungen bzw. Aufzeichnungen zur�ckgreifen, die ihrerseits in anderer Art und Weise fehlerhaft sein können. Aber das Erinnerungsproblem k�nnte durch die Formulierung in der grammatischen Gegenwartsform ausgeschaltet werden. Gegenüber der sprachlichen Formulierung von Sinneseindr�cken kann es - die Beherrschung der verwendeten Sprache einmal vorausgesetzt und Aufzeichnungsprobleme ausgeklammert, -  keinen Irrtum geben. Die Forderung nach einer weiteren Begr�ndung derartiger S�tze ist insofern fehl am Platze.


*XX-40*
Sprachf�hig kann wohl nur jemand sein, der zwischen bestimmten Erregungszust�nden des für optische Eindr�cke zust�ndigen Gehirnbereichs und bestimmten Begriffen und Sätzen eine stabile Verbindung herstellen kann. Das setzt unter anderem die Erinnerung an vergangene gleichartige Sinneseindr�cke voraus, die wiedererkannt werden. Frage: Wie kann ich selber meine eigene Sprachf�higkeit erkennen? Wie kann ich die Sprachf�higkeit eines anderen feststellen?

Wichtig ist, dass in der Wiedergabe der Sinneseindr�cke keine versteckten empirischen Annahmen enthalten sind, sondern eine Beschr�nkung auf die wahrgenommenen Ph�nomene erfolgt. (Ist das immer durchf�hrbar?)

Man darf also zum Beispiel nicht sagen: "Ich sehe eine Frau", wenn man eine Person sieht mit Rock, langen Locken und bartlosem Gesicht. Hier wäre eine versteckte empirische Annahme enthalten. Das ginge nur, wenn der Begriff "Frau" durch diese Merkmale definiert wäre. (Zu der Problematik siehe Russell: Nach Ayer kann man nachtr�glich doch die Richtigkeit einer Wiedergabe von Sinneseindr�cken bezweifeln. "Das Problem des Wissens" �The Problem of Knowledge. Er meint wohl, dass man sich hinsichtlich der eigenen Ernsthaftigkeit bzw. Wahrhaftigkeit bei der Wiedergabe der Sinneseindr�cke t�uschen kann.)

*XX-41*
Probleme können natürlich entstehen, wo die korrekte Anwendung der Sprache prinzipiell schwierig ist, etwa wenn man eine rote Farbe allm�hlich immer mehr ins Gelbe übergehen lässt, und wo es in Grenzbereichen keine exakte Abgrenzung zwischen den Farbt�nen orange und rot gibt, weil die Unterschiede nicht merklich sind.


*XX-42*
Wie ist es mit der Begr�ndung von Satz 2: "Die Welt ist so, wie ich sie sehe, ausgenommen unter den Bedingungen A, B, C?".

*XX-43*
Wenn ich Behauptungen zu begr�nden versuche, wende ich mich an die überzeugung des Adressaten. Von etwas überzeugt sein kann man nur als frei Urteilender, niemals gezwungenerma�en. Was jemand aus überzeugung tut, das tut er freiwillig.
Davon zu unterscheiden ist das Handeln unter Zwang oder Sanktionsdrohung. Gr�nde, die auf die überzeugung einwirken, d�rfen keine Sanktionsdrohungen beinhalten.

*XX-44*
Die Bezeichnung "Grund" ist deutlicher als die Bezeichnung "Argument". Angenommen, jemand ist unschl�ssig, ob er den Fernseher der Firma X oder den Fernseher der Firma Y kaufen soll. Nun sagt der Verk�ufer von X: "Wenn Sie bei mir kaufen, gebe ich Ihnen 20 % Preisnachlass." Hierbei handelt es sich nicht um ein Argument in der Entscheidung zwischen einem gegebenen Paar von Handlungsalternativen sondern es handelt sich um eine Ver�nderung der Alternativen. (Man sagt h�chstens ironisch: "Das ist ein Argument, das sich h�ren lässt").

*XX-45*
Andererseits sagt ein Kunde ohne Probleme: "Der Grund für meine Entscheidung für das Fernsehger�t der Firma A war der versprochene Preisnachlass". Wobei "Grund" hier im Sinne von "motivierendes Merkmal" gebraucht wird. Die �u�erung des Verk�ufers wäre allerdings dann ein Argument, wenn dieser nur auf eine bereits bestehende Eigenschaft des Kaufangebots hinweisen w�rde.

*XX-46*
Argumente sind selber Erkenntnisse. Wer argumentieren will, muss sich in seiner Einflussnahme auf den anderen auf die Mittel der Erkenntnis beschr�nken.

Im obigen Fall ging es um eine Entscheidung, bei der es richtig war, sich nur vom Eigeninteresse leiten zu lassen. Das Eigeninteresse wird jedoch durch Sanktionsandrohungen ver�ndert.

Anders ist es bei moralischen Entscheidungsproblemen. Hier ist es ganz offensichtlich, dass Sanktionen zwar motivieren können, eine bestimmte Handlungsalternative zu w�hlen, dass sie aber v�llig irrelevant sind bei der Frage, welches die moralisch richtige Alternative ist. (Jedoch: Sanktionsdrohungen ver�ndern auch hier die Situation. Sie sind insofern nicht irrelevant und m�ssen ber�cksichtigt werden. Sie stellen jedoch keine zus�tzlichen Argumente für die moralische Beurteilung der urspr�nglichen Situation dar

*XX-47*
"Von etwas überzeugt sein" bedeutet "etwas für wahr halten". Ich kann nicht gezwungenerma�en von etwas überzeugt sein (au�er im Falle von Gehirnw�sche). Ich kann ebenso wenig gezwungenerma�en etwas für wahr halten. Wenn man die T�tigkeit des für-wahr-Haltens als "Urteilen" bezeichnet, dann kann man sich das Urteilen nur als frei von Sanktionsdrohungen denken. (Die tats�chliche sprachliche �u�erung des Urteils muss natürlich keineswegs frei von Sanktionsdrohung sein.)
Wenn man die "ehrliche überzeugung" eines Menschen h�ren will, muss man deshalb versuchen, eine m�glichst sanktionsfreie Atmosph�re zu schaffen. Ein Katholik, für den bei der Beurteilung der Darwinschen Abstammungslehre eine Rolle spielt, dass diese Lehre von der katholischen Kirche auf den Index gesetzt wurde, sucht nicht nach Wahrheit. Die Angst vor dem Begehen einer S�nde mag ihn davon abhalten, die Darwinsche Abstammungslehre als wahr anzuerkennen, aber insofern bildet diese S�ndenangst nur ein Motiv aber kein Argument.

*XX-48*
Auf Fragen der allgemeinen Art: "Wie soll jemand in der Situation S handeln?" werden Antworten gesucht, nicht beliebige, sondern "richtige" (oder g�ltige, wahre). Was ist hier mit �richtig� gemeint? Was macht es denn für einen Unterschied, ob eine Antwort richtig ist oder falsch ist? Warum suchen wir überhaupt nach richtigen Antworten?
Wenn eine Antwort richtig ist,
dann sind wir berechtigt daran festzuhalten,
dann sind alle berechtigt, daran festzuhalten,
dann d�rfen wir diese Antwort zu unserer bleibenden überzeugung machen,
dann kann es keinen wirklichen Grund geben, diese Antwort wieder fallen zu lassen oder zu revidieren.
Die Vorteile derartiger überzeugungen liegen auf der Hand:
gemeinsame und dauerhafte überzeugungen erm�glichen gemeinsames konfliktfreies und erfolgreiches Handeln (n�her ausf�hren!)

*XX-49*
Wahrheit überzeugt mit Gewissheit. (?)
Wenn eine Antwort wahr ist,
darf ich an ihr festhalten.
Dann muss ich sogar an ihr festhalten.

*XX-50*
Man kann nicht sagen: "Diese Antwort ist zwar wahr, aber ich bin davon nicht überzeugt.
Zugleich halte ich sie nicht für wahr."

*XX-51*
Wie kann ich sicher sein, dass eine Antwort wahr ist? Wenn ich der Wahrheit nicht sicher bin, dann kann ich auch meiner überzeugungen nicht sicher sein.
Angenommen, eine Antwort ist wahr, ich bin mir ihrer Wahrheit jedoch nicht gewiss. Dann kann es zwar nicht "objektiv", jedoch "subjektiv" für mich einen Grund (= einen vermeintlichen Grund) geben, diese Antwort zu revidieren.
Diese beiden Ebenen sauber voneinander trennen, aber auch ihre Verbindung genau herausarbeiten.

*XX-52*
Wahrheit bewirkt Gewissheit. Aber das Problem ist, der Wahrheit sicher zu sein. Hier spielen die Gr�nde eine Rolle. Aber bei Begr�ndungen gibt es wohl nicht nur die Alternativen "begr�ndet" und "widerlegt", so wie "wahr" oder "falsch", sondern es gibt eine breite Skala unterschiedlicher Grade von Begr�ndetsein.

*XX-53*
Die Gr�nde kann man unterscheiden nach Gr�nden �pro� und Gr�nden �contra�, die betreffende Antwort, nach der Gewichtigkeit der Gr�nde, sowie nach der Anzahl der Gr�nde. Gewichtigkeit und Anzahl kann man vielleicht zusammenfassen. Dann ergibt sich folgendes Schema:

(Schema weggelassen)

*XX-54*
Zur Terminologie: Den Gegenbegriff zu "begr�ndet" gibt es wohl nicht. "Widerlegt" ist zu stark, es ist eigentlich wohl der Gegenbegriff zu "bewiesen" (vielleicht "ersch�ttert". Das ist in Bezug auf Thesen gebr�uchlich).

*XX-55*
Was ist mit Antworten, die prinzipiell keiner Begr�ndung und keiner Widerlegung f�hig sind? Das wird ja für bestimmte religi�se Aussagen in Anspruch genommen. Sie entziehen sich damit der argumentativen Kritik, sind "indiskutabel".
Kann man für solche Behauptungen Wahrheit beanspruchen? Das wären Wahrheiten, für die es kein Kriterium geben kann. Das hei�t aber doch, solche Behauptungen machen keinen Unterschied, ob sie nun wahr oder falsch sind. Insofern können sie einem wohl gleichg�ltig sein. (Zumindest bei positiven Aussagen wird das deutlich.)

Daneben gibt es Behauptungen, deren Begr�ndbarkeit bzw. Widerlegbarkeit in unterschiedlichem Ma�e eingeschr�nkt ist. So wäre eine Behauptung über ein Weiterleben nach dem Tode im Prinzip dann für mich erfahrbar, wenn ich gestorben bin � vorausgesetzt es gibt dies Weiterleben, eingeschr�nkt auf die Begr�ndbarkeit von Aussagen über die R�ckseite des Mondes vor der Entwicklung der Raumfahrt.

*XX-56*
Was ist mit Wahrheiten, deren Begr�ndung bzw. Widerlegung ich selber nicht direkt nachvollziehen kann, so dass ich mich auf das Urteil anderer berufen muss? Mein Grund ist dann nicht inhaltlicher Art, sondern formaler Art. Bestimmte Instanzen besitzen in diesen Fragen für mich Kompetenz und Autorit�t. Ich orientiere meine überzeugungen an Ihnen. Wahrscheinlich ist dieser Fall h�ufiger als man denkt.

*XX-57*
Sprachlich h�ngt "Wahrheit" wohl auch mit "zeitlicher Dauer" zusammen. Man sagt: "sich bew�hren", "etwas bewahren", es "w�hrte" zu lange etc.

*XX-58*
Was macht den Zwang logischer Argumente aus? Beim "Beweis" einer Behauptung B durch die Argumente A1 bis An sieht es so aus, dass ich die G�ltigkeit der A1 bis An anerkenne. Die Behauptung B wird dann deduktiv aus A1 bis An abgeleitet. In diesem Fall muss ich auch die G�ltigkeit von B anerkennen, denn die Bedeutung von B ist in den Argumenten A1 bis An enthalten. Wollte ich die G�ltigkeit von A1 bis An anerkennen und zugleich die G�ltigkeit von B bestreiten, so beginge ich damit einen logischen Widerspruch. Der "Zwang" der logischen Argumentation beruht also auf zweierlei: einmal meiner eigenen Anerkennung der Argumente A1 bis An und zum andern auf dem (methodologischen) Gebot zur Vermeidung von logischen Widerspr�chen. Wie lässt sich das Gebot der Widerspruchsfreiheit seinerseits begr�nden?

*XX-59*
Warum kann man nicht mit Gewalt von der Wahrheit einer Behauptung überzeugt werden? Warum setzt das für-wahr-halten die Freiheit der Entscheidung voraus? In Bezug auf Wahrheit z�hlen nur Argumente.

*XX-60*
Immer scharf unterscheiden zwischen vermeintlichen Gr�nden und wirklichen Gr�nden für eine überzeugung.

*XX-61*
Wenn über die Wahrheit von Behauptungen mit Gewalt entschieden werden k�nnte, dann w�rde die Wahrheit menschlicher Willk�r unterliegen.

*XX-62*
Man spricht von "lieb gewordenen Vorstellungen", von denen man sich schwer trennt: Vorurteile.

*XX-63*
Einmal durchspielen, was wäre, wenn man zum Zwecke sozialer Koordination auf das Konzept einer zwanglos einsehbaren Wahrheit verzichten w�rde und stattdessen ein gesetztes Dogma als verpflichtend für das Denken und Handeln machen w�rde?
lässt sich die Frage: "Ist denn das Dogma wahr?" eliminieren? Oder m�sste man den Begriff der "Wahrheit" neu erfinden?

*XX-64*
Wenn ich für die Behauptung T argumentiere, dann bringe ich Behauptungen vor, aus denen T hervorgeht. Nehmen wir die Behauptung: "Der W�rfel ist in der blauen Kiste". Mein Argument dafür lautet: "Ich sehe in der Kiste einen blauen W�rfel".
Manchmal gibt man jedoch auch ein �Argument�, das gar keine Behauptung darstellt. Man sagt etwa gegenüber dem Zweifelnden: "überzeug dich doch mit deinen eigenen Augen davon!" oder "Du kannst dich mit deinen eigenen Augen davon überzeugen." Das ist eher die Aufforderung an den anderen, ein bestimmtes Verfahren der Erkenntnisgewinnung zu praktizieren. Allerdings unterstellt man dabei unausgesprochen bereits das positive Resultat dieses Verfahrens: "überzeuge dich doch mit deinen eigenen Augen davon und Du wirst sehen, dass der W�rfel in der blauen Kiste ist." Das Letztere (" Du wirst sehen, dass der W�rfel in der blauen Kiste ist") ist eine Behauptung ähnlich der Behauptung: "Ich habe gesehen, dass der W�rfel in der Kiste ist".

*XX-65*
Warum benutzt man die subjektfreie Formulierung: "In der Kiste ist ein W�rfel" anstatt zu sagen: "Ich sehe in der Kiste einen W�rfel"? W�rde man sich auf subjektbezogene Formulierungen beschr�nken, so g�be es keinen logischen Widerspruch zu dem Satz: "Ich sehe in der Kiste keinen W�rfel." Trotzdem k�nnten die Handlungen nicht koordiniert werden. Die subjektfreien Formulierungen, die die M�glichkeit des Widerspruchs enthalten, sind insofern sensibel für intersubjektive St�rungen und Konflikte.

*XX-66*
Was meint man eigentlich, wenn man sagt, dass man eine Behauptung "begr�ndet"? K�nnte man stattdessen sagen: Man begr�ndet, warum die Behauptung zu bejahen (zu akzeptieren, anzuerkennen) ist? Macht das einen Unterschied?

*XX-67*
"Wenn eine These richtig (wahr) ist, dann sollte jeder diese These für wahr halten, dann sollte jeder davon überzeugt sein."
Aber kann man das so sagen? Das für-wahr-halten kann doch nur verlangt werden, wenn der Behauptende Gr�nde dafür hat. (Darin steckt wohl eine Art Autonomie-Forderung: "Der vern�nftige Mensch tut das, was er begr�nden kann").

*XX-68*
Konsensf�higkeit
Das Kriterium der Wahrheit von Normen war, dass jeder der Norm allein aufgrund von Argumenten zustimmen können muss. Dagegen k�nnte jemand sagen: ""Warum kann sich denn nicht jeder auf den Standpunkt meines Interesses stellen? Er kann es, also ist ein allgemeiner Konsens m�glich."
Dagegen k�nnte man sagen: "Aber welchen Grund habe ich dafür, mich auf den Standpunkt eines fremden Eigeninteresses zu stellen?" Es geht also nicht um "konsensf�hig" im Sinne der blo�en physischen M�glichkeit zuzustimmen, sondern es geht um die die M�glichkeit eines begr�ndeten Konsenses.
Wenn der andere dies akzeptiert und sagt: "Der Grund dafür, sich auf den Standpunkt meines Interesses zu stellen, ist einfach der, dass ich derjenige bin." Aber kann der blo�e Hinweis auf die eigene numerische Identit�t ein Grund sein? Jeder andere k�nnte ja die gleichen Argumente vorbringen. Kann dieser Hinweis noch ein Grund sein, ihn besonders zu behandeln? (Siehe dazu auch Marcus Singer).

*XX-69*
Worin besteht der Grund für die Zustimmung zum Prinzip der solidarischen Interessenber�cksichtigung? Wieso können wir hier alle begr�ndet zustimmen? Wieso können dies alle begr�ndet wollen?

*XX-70*
Was macht man, wenn man Argumente "erw�gt"? Man bezieht sich kritisch pr�fend auf die fragliche These. Man fragt: "Ist das Argument �richtig� (stichhaltig)?" Und man fragt: "Ist das Argument, sofern es richtig ist, relevant für die fragliche These? Und man fragt: "Wie stark ist die Begr�ndung, die das Argument für die fragliche These bildet?"

Hier spielen logische Pr�fungen eine wichtige Rolle. Vor allem muss ein vollst�ndiger Argumentationsgang von den Pr�missen zur These konstruiert werden. Eine einzelne Behauptung ist meist auf zus�tzliche Annahmen angewiesen ist, um überhaupt relevant für die fragliche These zu sein.

*XX-71*
Frage: Inwiefern gibt es subjektive Beliebigkeit in der Anerkennung bzw. Ablehnung von Argumenten? Wie lassen sich ihrerseits Standards für die Bewertung von Begr�ndungen begr�nden? Bezugspunkt m�ssen immer die notwendigen Voraussetzungen vern�nftiger Argumentation sein. Ohne die Frage: "Ist die These richtig?" wird die These sinnlos.

*XX-72*
Impliziert der Satz: "These T ist wahr" den Satz: "Die These T ist im Prinzip begr�ndbar"? Es muss hei�en "im Prinzip", denn aktuelle Begr�ndbarkeit kann nicht gemeint sein. Das wäre nicht sinnvoll. Denn man mag eine richtige Vermutung haben (rein gef�hlsm��ig), ohne dass man sie hier und jetzt begr�nden kann. Die Vermutung erweist sich im Nachhinein als richtig. D.h., sie war schon richtig, als ich sie noch nicht begr�nden konnte.
Aber muss eine wahre These im Prinzip begr�ndbar sein? "Begr�ndbar" bedeutet hier "allgemein begr�ndbar". Was "im Prinzip" hier bedeutet, wäre noch zu klären, wahrscheinlich so etwas wie: "unter idealen Erkenntnisbedingungen".
Wie ist das bei positiven Thesen? Ist es sinnvoll zu sagen: "Diese These ist wahr, aber sie ist prinzipiell unbegr�ndbar?" Offenbar nicht, denn dann hat der Sprecher ja auch keinen Grund, die These für wahr zu halten. Aber es ist sinnvoll zu sagen: "Diese These ist m�glicherweise wahr, aber sie ist für immer unbegr�ndbar." Das wäre etwa der Fall bei einer These über fr�hgeschichtlicher Ereignisse (z. B. die These, dass ein bestimmter �gyptischer Pharao an Herzversagen gestorben ist), bei der jede Art von Quellen fehlt um die These begr�nden zu können. Solch eine These ist unbegr�ndet und muss es wohl auch bleiben, aber sie wäre unter idealen Erkenntnisbedingungen � etwa wenn es Protokolle der �rzte geben w�rde  - begr�ndbar.

*XX-73*
Was ist mit der These: "Person A hat zum Zeitpunkt T Kopfschmerzen gehabt"? Ist diese These im Prinzip allgemein begr�ndbar? Man k�nnte Person A fragen und wenn sie �ja� sagt, so gilt das als ein Grund für die These T, vorausgesetzt, dass A zugleich glaubw�rdig und erinnerungsf�hig ist. Wie wird hier der Begriff "Grund" gebraucht? Die Begr�ndung m�sste vollst�ndig etwa folgenderma�en lauten:
1. Person A sagt, dass sie zum Zeitpunkt T Kopfschmerzen gehabt hat.
2. Person A verf�gt in solchen Dingen gewähnlich über ein gutes Erinnerungsverm�gen.
3. Person A ist in Bezug auf derartige �u�erungen in der Regel ehrlich." Oder besser:
3.a In der Regel sind die Empfindungen von Person A so, wie A sie beschreibt.
Daraus folgt: "Die These: �Person A hat zum Zeitpunkt T Kopfschmerzen gehabt� ist sehr wahrscheinlich richtig".

*XX-74*
Wie ist es mit einem "metaphysischen" Satz über "übernatürliche Ph�nomene"? Etwa: "Wer (gegen Gottes Gebot versto�en hat und) eine Tods�nde begangen hat, kommt nach seinem Tod in die H�lle."
Hier werden Gr�nde für die These genannt, etwa:
1."Dies steht in der Bibel".
2. "Die Bibel ist Gottes Wort." Und
3. "Gott sagt die Wahrheit."

Hier wird mancher die Argumente 2. und 3. nicht als richtig akzeptieren. Von prinzipieller Unbegr�ndbarkeit kann man hier wohl nicht sprechen.
Wie ist es mit dem Satz: "Es gibt Gott den Herrn." Fragt man nach einer Begr�ndung hierfür, so wird  gesagt: "Man kann die Existenz Gottes mit unserer unvollkommenen menschlichen Vernunft weder beweisen noch widerlegen. Man kann sie nur im Glauben erfassen."

*XX-75*
Ist es sinnvoll zu sagen: "Das mag wahr sein, obwohl es prinzipiell nicht begr�ndbar ist"? Etwa mit Kierkegaard: Credo quia absurdum? Zu sagen: "Diese These ist wahr aber prinzipiell nicht begr�ndbar" hei�t ja so viel wie: "Diese These ist wahr, aber man kann niemals wissen, ob sie wahr ist." Man k�nnte dann sagen (zumindest bei positiven Thesen): "Wenn es keinen Unterschied für mich macht, ob die These wahr ist oder nicht, so ist die These für mich einfach nichtssagend und irrelevant."

Allerdings w�rde der Gl�ubige traditionelle Christ sagen: "Im Jenseits wirst Du Gott gegenüberstehen", womit mir die Existenz Gottes durch Erfahrung bewiesen wäre. Dies w�rde dann einen Unterschied machen. (Allerdings wäre die Voraussetzung. "Nach dem Tode wird deine Seele weiterleben" wohl kaum zu begr�nden sein.)

*XX-76*
Festzuhalten bleibt: Wer etwas Unbegr�ndetes behauptet, ist unvern�nftig. Also: Wer sagt: "Dies ist wahr aber unbegr�ndet (oder gar unbegr�ndbar), der ist unvern�nftig."

*XX-77*
Es geht nicht darum, darüber zu streiten, was der eigentliche oder �bliche Sinne von "Wahrheit" und "Begr�ndung" ist. Solche Streitereien sind gewähnlich unergiebig. Stattdessen geht es darum, angelehnt an eine bereits bestehende Praxis, solche Konzeptionen von "Wahrheit" und "Begr�ndung" zu entwickeln, die eine methodische und vern�nftige Behandlung normativer Streitfragen erm�glichen. (Zentrales Postulat scheint "Vern�nftigkeit" zu sein.)

*XX-78*
Wenn etwas wahr sein k�nnte, ohne dass es für mich begr�ndbar wäre, ohne dass ich es einsehen k�nnte, so bliebe der Wahrheitsanspruch ein reiner Appell zu glauben. Und insofern verlangt wird, dass ich diese mir unzug�ngliche Wahrheit meinem Handeln zu Grunde legen, wäre es eine reine Forderung zu gehorchen.
Mit einer Wahrheit, die nicht einzusehen ist, ist aber wenig gedient. Was unterscheidet eine solche "Wahrheit" noch von gesetztem Dogma?

*XX-79*
Popper hat aus der Erfahrungswissenschaft solche Theorien ausgeschlossen, die gegen Falsifizierung immunisiert sind. K�nnte man analog sagen, dass Theorien "unwissenschaftlich" sind, die gegen Einw�nde immunisiert sind und sich prinzipiell der Widerlegung bzw. Kritik entziehen?

*XX-80*
Wir suchen nach richtigen Antworten. Dazu geh�rt jedoch auch die Begr�ndung, denn ohne Begr�ndung können wir ja nicht wissen, ob die Antwort richtig ist bzw. wie gro� die entsprechende Wahrscheinlichkeit dafür ist.


*XX-81*
K�nnte man eine Theorie des Werts (bzw. des Allgemeinwohls, des Gesamtinteresses etc.) entwickeln, ohne daraus bereits Konsequenzen für das Handeln zu ziehen; also ohne normative Konsequenzen? Eine Theorie des Allgemeinen Willens), ohne die Frage zu stellen, ob wir auch sollen, was wir wollen, bzw. was das Beste für uns ist.


*XX-82*
Ein Mann (T) wird erschossen aufgefunden. Es gibt nur einen einzigen Augenzeugen (A), der angibt, er habe gesehen, wie T sich eine Pistole an die Schl�fe setzte und dann abdr�ckte. Es geht um die Behauptung: "T hat Selbstmord begangen." Die Begr�ndung für die Behauptung lautet: "Zeuge A sagt aus, dass er den Selbstmord von T mit eigenen Augen gesehen hat."

In dieser Situation ist die Frage, ob die Behauptung über den Selbstmord wahr ist, für den Augenzeugen A anders gelagert als für alle anderen Personen, etwa den Richter. A wei� besser als der Richter, ob er bei seiner Aussage ehrlich ist. Zu wissen: "Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen" hat eine st�rkere überzeugungskraft als zu wissen: "A sagt, dass er es gesehen hat." Im letzteren Fall muss ich zus�tzlich eine Annahme über die Ehrlichkeit des Zeugen A machen bzw. über seine F�higkeit, derartige Dinge zuverl�ssig zu erinnern.

*XX-83*
Sprachliches: "Etwas nicht wahrhaben wollen" , das bedeutet: "für Gr�nde in Bezug auf eine bestimmte These nicht empf�nglich zu sein".

*XX-84*
Angenommen, man w�rde auf das Konzept der wissenschaftlichen Wahrheit im Sinne von allgemeiner Begr�ndbarkeit verzichten: Es g�be stattdessen nur die orthodoxe Lehre. Die orthodoxe Lehre hat mit der Wahrheit gemeinsam, dass jeder aufgefordert ist, sie zu seiner überzeugung zu machen und seinem Handeln zu Grunde zu legen.
Man k�nnte dadurch eine gewisse soziale Koordination erreichen. Aber Probleme w�rden dort entstehen, wo Fragen auftauchen, auf die die orthodoxe Lehre keine Antwort gibt, sei es, dass die Frage zu detailliert ist oder sei es, dass die Frage ganz neu auftaucht. Um dies zu vermeiden, ist eine Instanz erforderlich, die die orthodoxe Lehre st�ndig entsprechend erg�nzt.

Der entscheidende Unterschied ist wohl der, dass die orthodoxe Lehre von den Menschen Gehorsam verlangen muss, w�hrend eine wissenschaftliche Wahrheit ihre Geltung auf einsichtige Gr�nde st�tzt und - wo sie das nicht kann - auf den Wahrheits- und Geltungsanspruch entsprechend verzichtet und die Frage offenlässt.

*XX-85*
Am Beispiel mit dem einzigen Augenzeugen lässt sich zeigen, dass es Grenzen gibt, jenseits derer es nicht sinnvoll ist, weitere Begr�ndung zu verlangen. Der einzige Augenzeuge hat gute Gr�nde für seine überzeugung, dass der Mann Selbstmord begangen hat .  Aber diese Gr�nde sind nicht dieselben bzw. sie haben nicht dieselbe überzeugungskraft wie für einen Dritten, B. Was sind genau die Gr�nde?
Die These ist: "A hat Selbstmord begangen." Die Hauptbegr�ndung hierfür lautet: "A hat gesehen, dass C Selbstmord begangen hat". Dieser Satz ist für A selber in seiner Wahrheit viel weniger zweifelhaft als für irgendein anderes Individuum. Ob ich einen bestimmten Vorgang gesehen habe oder nicht, wei� ich selber am besten.
Handelt es sich angesichts dieser Asymmetrie noch um eine Begr�ndung für alle, oder hat B hier einen privilegierten Zugang zur Wahrheit? Die Privilegierung des einzigen Augenzeugen hinsichtlich der Wahrheit ist jedoch nicht die Privilegierung bestimmter Personen. Sie liegt in der Natur der Sache: Das Blickfeld jedes Menschen ist r�umlich begrenzt. Folglich sieht der eine Ausschnitte der Wirklichkeit, die der andere nicht sieht.
Trotzdem ist es sinnvoll, dass sie sich um die Konstruktion einer einzigen, gemeinsamen Welt bem�hen. Der Bericht des Augenzeugen kann auf seine Glaubw�rdigkeit hin gepr�ft werden, was in der Gerichtspraxis st�ndig passiert.

*XX-86*
Wollte jemand den Standpunkt einnehmen, dass für ihn nur existiert, was er selber gesehen hat, so wäre dieser Standpunkt wohl kaum durchzuhalten. Angesichts der vielen Vorg�nge, bei denen man selber nicht anwesend war, ist es witzlos zu sagen: "Ich glaube nur das, was ich mit eigenen Augen gesehen habe," denn das ist nicht m�glich bei einmaligen Vorg�ngen aus der Vergangenheit. Zu verlangen, dass jeder alles mit eigenen Augen sieht, bevor er es glaubt, scheint unsinnig. Denn es gibt Gr�nde für die Annahme, dass auch ich das, was der andere gesehen hat, gesehen h�tte, wenn ich zum gleichen Zeitpunkt dort gewesen wäre. Insofern wäre es falsch, auf die Augenzeugenberichte als Informationsquelle zu verzichten. Misstrauen gegenüber Zeugenberichten ist sicherlich oft angebracht, aber man kann den Grad des Misstrauens auch begr�nden. Er wir von Fall zu Fall variieren.

*XX-87*
Was hei�t es, dass man seine überzeugungen zur Grundlage des eigenen Handelns macht? Es ist ja nicht so, dass man sich definitiv für bestimmte Annahmen entscheiden muss und die anderen m�glichen Annahmen v�llig ausgeblendet werden. Stattdessen spielt der Grad der überzeugung eine gro�e Rolle. Wo gro�e Werte auf dem Spiel stehen und man sich des n�tigen Wissens nicht sicher ist, wird man versuchen, so zu handeln, dass dabei auch die weniger wahrscheinlichen Annahmen ber�cksichtigt werden.

*XX-88*
Beispiel: Jemand ist krank. Der Arzt ist sich seiner Diagnose nicht ganz sicher: es ist wahrscheinlich die Krankheit A, aber es k�nnte auch die Krankheit B sein. Als Behandlungsformen stehen zur Wahl das Medikament x, das gegen A die besten Wirkungen hat aber im Falle der Krankheit B katastrophal wäre und das Medikament y, das gegen A wirkt, wenn auch weniger gut als x, das aber im Falle von B keinen Schaden anrichtet. In diesem Fall w�rde man zum Medikament y greifen m�ssen, obwohl bei Vorliegen von A das Medikament x besser wäre. Das zugrunde gelegte System von überzeugungen muss also keineswegs eindeutig sein, sondern es kann mit Wahrscheinlichkeiten versehene Alternativen beinhalten.

*XX-89*
Ich muss nichts anderes voraussetzen als das, was ich voraussetzen muss, um sinnvoll diesen wissenschaftlichen Text zu schreiben: dass es dem Leser um überzeugung durch Argumente geht, also um Wahrheitssuche durch Argumentation.

*XX-90*
Wenn jemand für eine These Wahrheit beansprucht, muss die These begr�ndbar sein, denn sonst w�rde er die These ja ohne Grund für wahr halten. Zu sagen: "Ich halte diese These ohne Grund für wahr" disqualifiziert ihn als wissenschaftlichen Diskussionspartner (hinsichtlich dieser Thesen).

*XX-91*
Gr�nde sind Rechtfertigungen des für-wahr-haltens bestimmter Behauptungen.

*XX-92*
Wenn ich das Problem der Normenbegr�ndung in die allgemeine Frage kleide: "Welche Handlung h soll Person P in der Situation S tun?", so scheine ich auf den ersten Blick die Fragestellung zu sehr auszuweiten. Zum Beispiel sind darin dann auch rein auf das Eigeninteresse bezogene Entscheidungen eingeschlossen, etwa die triviale Frage, ob man sp�t abends im Fernsehen noch einen interessanten Film ansehen soll oder ob man besser fr�hzeitig schlafen gehen soll. Was soll die Normenbegr�ndung dort, wo das Eigeninteresse gefragt ist? (Indirekt liegt hier auch eine normative Vorentscheidung zu Grunde. Denn man kann fragen: Darf man diese Frage allein vom Eigeninteresse her entscheiden?)

Ein anderes Beispiel wären Entscheidungen als Teilnehmer eines Spiels, etwa eines Schachspiels. Ich frage mich z. B.:" Soll ich meinen Bauern nach G-7 ziehen?"
Was soll die Normenbegr�ndung? Geht es allein darum, das Spiel zu gewinnen? Aber man kann auch hier fragen: "Darf ich meine Handlungen allein vom Ziel des Spielgewinns bestimmen lassen?" In der Regel sicherlich, aber wie ist es, wenn man gegen seine Tochter spielt, die noch Anf�ngerin ist und die durch st�ndige Niederlagen entmutigt w�rde? Auch hier bedarf es einer normativen Vorentscheidung, auch wenn diese h�ufig trivial ist.

*XX-93*
Wie formuliert man Geltungsanspr�che für S�tze ?
Einmal die sprachlichen Varianten durchgehend:
"Ich versichere dir, dass �
"Du kannst mir glauben, dass �
"Es stimmt, dass �
"Es ist richtig, dass �
"Es ist wahr, dass �
u. a. m.

Das sind gewisserma�en die hundertprozentigen Geltungsanspr�che. Es gibt jedoch auch abgeschw�chte Geltungsanspr�che:
es ist h�chstwahrscheinlich, dass �
es ist anzunehmen, dass �.
es ist kaum zu bezweifeln, dass �.

Oft kleiden sich Geltungsanspr�che auch in Mitteilungen bzw. Informationen über die eigene überzeugung
"Ich bin überzeugt davon, dass �
"Ich meine, dass �

Es gibt auch abgelehnte Geltungsanspr�che:
"Ich bezweifle, dass er noch kommt"
usw. .

*XX-94*
Die meisten dieser Formulierung sind jedoch nur auf positive S�tze anwendbar.  Wie ist die Formulierung bei normativen Sätzen? Was ist hier mit dem Geltungsanspruch gemeint?
Man fordert, dass etwas geglaubt bzw. für wahr gehalten wird, man fordert die Zustimmung zu einem Satz oder die Bejahung eines Satzes, -  und zwar von jedem beliebigen Diskussionsteilnehmer. Und das, wovon man überzeugt ist, nimmt man zur Grundlage des eigenen Handelns. Es bedarf dazu gewähnlich keines zus�tzlichen Motivs. Handeln aus überzeugung wird abgegrenzt gegen Handeln unter Druck (Drohung, Zwang).

Beispiel: Auf der Stra�e bettelt mich jemand um Geld an. Ich lehne ab und bin von der Richtigkeit meiner Entscheidung überzeugt. Dann habe ich es freiwillig getan.

Nun sei der Fall abgewandelt dahingehend, dass der Bettelnde dabei ein Messer in der Hand h�lt, das auf mich bedrohlich wirkt. Ich befürchte, dass er mich verletzen k�nnte, wenn ich ihm nichts gebe und ich gebe ihm Geld, um meine Gesundheit und mein Leben zu sch�tzen. 

Habe ich jetzt entgegen meiner überzeugung gehandelt? Halte ich mein Handeln jetzt nicht mehr für richtig? Ich w�rde doch in einer ähnlichen Situation wieder so handeln. Entscheidend ist, dass durch die Drohung mit dem Messer die Situation ver�ndert wurde: Ich habe etwas getan, was ich eigentlich nicht für richtig halte, was aber unter den ver�nderten Umst�nden (Auftauchen einer Drohung) richtig war. Ich habe dem Bettelnden Geld gegeben, angesichts der Drohung. Wenn man sagt: "Jeder legt seine überzeugungen seinem Handeln zu Grunde", so ergeben sich bei positiven überzeugungen (hinsichtlich der Beschaffenheit der Welt) wohl kaum Probleme.

Auch wenn ich l�ge, lege ich doch meine überzeugung zu Grunde.
Beispiel: Es fragt mich etwa jemand nach dem Aufenthaltsort meines Freundes. Ich wei�, dass der Fragende meinem Freund etwas Sch�dliches antun will. Ich wei� au�erdem, dass sich mein Freund in meiner Wohnung befindet. Wenn ich jetzt l�ge und sage: "Mein Freund ist gestern abgereist", so lege ich auch als L�gner noch die Wahrheit zugrunde, dass mein Freund sich bei mir befindet, denn ich will nicht, dass der Fragende ihn dort findet und schicke ihn deshalb in die Irre


*XX-95*
Sprachliches zu "behaupten":
Man sagt: "Darauf kannst Du dich verlassen", wenn es um Voraussagen des eigenen Handelns geht. Man "beteuert" etwas.

*XX-96*

Formulierungen zur Argumentation:
positiv: begr�nden, beweisen, den Regeln, best�tigen, behaupten, erweisen, überzeugen, ein Argument vorbringen, argumentieren, ein Argument akzeptieren, einsichtig machen, untermauern,...
Negative Formulierungen zur Argumentation: bestreiten, widerlegen, einwenden, einen Einwand vorbringen, ein Argument entkr�ften, ein Argument zur�ckweisen, kritisieren, die besseren (schlechteren) Argumente haben,�

*XX-97*
S�tze, die man für wahr h�lt, macht man zur Grundlage des eigenen Handelns. Warum? Ist das analytisch wahr oder ist es eine psychologische Regelm��igkeit?

*XX-98*
Bei Normen tritt das Problem auf, dass man von der Richtigkeit einer Norm überzeugt sein kann, aber dass man in einem "schwachen Moment" doch anders handelt. Hier ist der psychologische Zusammenhang zwischen überzeugung und Handeln schw�cher. In ähnlicher Weise gibt es das Problem auch beim langfristigen Eigeninteresse, das man kennen kann und das man doch zu Gunsten kurzfristiger Vorteile verletzen kann: "Verf�hrung des Augenblicks".


*XX-99*
Damit man die Normen, von deren Richtigkeit man überzeugt ist, zur Grundlage des eigenen Handelns macht, bedarf es offenbar h�ufig nicht nur der "vern�nftigen Einsicht" als Motivationsquelle sondern zus�tzlicher Motive durch Lohn-Strafe-Arrangements oder ähnliches.

*XX-100*
Offenbar ist die Beziehung zwischen normativer überzeugung und Handeln nicht so zwingend. Allerdings bleibt es dabei, dass man von einem allgemeinen, vern�nftigen Standpunkt aus gem�� der eigenen normativen überzeugung handeln sollte. Das ergibt sich aus der Bedeutung des für-wahr-Haltens. (Auch bei faktischen überzeugungen gibt es Probleme der Umsetzung ins Handeln: beim  "vergessen" zum Beispiel)

*XX-101*
Nochmal die Frage aufnehmen, warum die Vermeidung logischer Widerspr�che als Argumentationsregel anerkannt werden muss. Dabei m�sste man vielleicht unterscheiden zwischen Widerspr�chen innerhalb der von einer Person vorgetragenen Position und Widerspr�chen zwischen den Positionen verschiedener Personen.


*XX-102*
Inwiefern h�ngt das methodologische Gebot der Widerspruchsfreiheit mit der Voraussetzung zusammen, dass wir uns als Erkenntnissuchende auf eine gemeinsame Welt beziehen?

*XX-103*
Welchen Status haben die Argumentationsregeln (methodologischen Regeln)? Sie ergeben sich nicht als Resultate der gewähnlichen normativen Fragestellung, sondern erzeugen selber diese Resultate. Ma�stab ist hier allein, ob etwas der Wahrheitsfindung dienlich ist.

Aber es gibt auch Wahrheiten, deren Verbreitung an bestimmte Personen gef�hrlich oder sch�dlich ist. Davon m�ssen die methodologischen Regeln abstrahieren. Man kann immer die Frage stellen: "Sollen wir die Antwort auf diese Frage (�ffentlich) suchen?" � und diese Frage verneinen.


*XX-104*
Welchen Geltungsanspruch erhebt man für einen Satz, wenn man ihn als "wahr" bezeichnet? Man fordert die Bejahung dieses Satzes, man fordert zum für-wahr-halten auf, jedoch ist damit keinerlei Zwang verbunden. Man sagt eher: "Dieser Satz verdient es, von jedermann für wahr gehalten zu werden." Das ist anders beim Dogma der Rechtgl�ubigen, das mit Sanktionen verkn�pft ist: "Wer es glaubt, der wird selig" oder "Wer es nicht glaubt, der kommt in die H�lle".


*XX-105*
Im Alltag kommt es h�ufiger vor, dass man das Gef�hl hat, entgegen den eigenen überzeugungen gehandelt zu haben. ("Eigentlich entsprach es nicht meiner überzeugung, aber ihm zuliebe habe ich es so gemacht.") Das Problem taucht auch bei Funktionstr�gern auf, die nicht ihrer pers�nlichen Meinung folgen sondern als Repr�sentant einer Gruppe oder Organisation sprechen.

*XX-106*
In einer Welt des puren Kampfes gilt es, etwas zu erfinden oder zu konstruieren, das diesen Kampf beendet.

*XX-107*
"Wahrheit" als eine sinnvolle Erfindung des Menschen ansehen. Zeigen, was diese Erfindung geleistet hat, was wir ohne sie wären.

*XX-108*

Wenn etwas wahr ist,
dann kann man sich darauf verlassen,
dann wird man davon nicht entt�uscht,
dann kann man sich insofern nicht t�uschen,
dann braucht man seine überzeugungen in dieser Hinsicht nicht zu korrigieren,
 dann braucht man nicht mehr nach einer Erkenntnis zu suchen,
dann kann man dies mit guten Gr�nden auch jedem andern als überzeugung anempfehlen.

d. h. Das Finden der Wahrheit erm�glicht ein entt�uschungsfreies kooperatives Handeln: Und vor allem erspart es weiteres Suchen.

*XX-109*
"überzeugen" kommt von "zeugen" bzw. "bezeugen" (Zeuge, Zeugnis, von etwas zeugen, �)

*XX-110*
In Bezug auf positive Wahrheit gibt es den Begriff des "L�gens": Man l�gt, indem man absichtlich die Unwahrheit sagt. Etwas Analoges gibt es im normativen Bereich wohl nicht.

*XX-111*
Was sagt man, wenn jemand unehrlich bestimmte Normen als g�ltig vertritt? Bei Normen f�llt es wohl leichter, selber etwas den eigenen Interessen Dienliches zu glauben und es als im Gesamtinteresse liegend darzustellen: Ideologie, in der man selber befangen ist. Man spricht allerdings von einer "heuchlerischen Moral", wenn das Bekenntnis dazu unehrlich ist und man insgeheim nach ganz anderen GrundSätzen handelt bzw. in Bezug auf das eigene Handeln ganz andere Grunds�tze für richtig h�lt.


*XX-112*
TUGENDHAT versteht Ethik nicht als das Projekt der Begr�ndung normativer S�tze, sondern als Begr�ndung eines Handelns, einer gemeinsamen Praxis. Begr�ndung moralischer Normen hie�e dann, jemandem ein Motiv geben, seine Freiheit entsprechend der Norm einzuschr�nken.
Aber man fragt doch auch zumindest in der Situation des Au�enstehenden: "H�tte er dies tun sollen (d�rfen, etc.)?" Man begr�ndet doch als Au�enstehender, warum ein anderer so (oder anders) h�tte handeln sollen. Wenn ich sage: "Er hat falsch gehandelt" und begr�nde dies, so geht es um die Erzeugung einer Zustimmung zu diesem Satz mit argumentativen Mitteln.

*XX-113*
Meine Frage ist, ob "Wahrheit" notwendigerweise "Begr�ndbarkeit" einschlie�t. Was für eine Art von Frage ist das? Ist es eine Frage nach der normalen Bedeutung von "Wahrheit"? Will ich sagen, dass es ein Missbrauch des Wortes "Wahrheit" ist, wenn jemand sagt: "Dies ist wahr aber nicht begr�ndbar"?

Man k�nnte vielleicht sagen: Damit verfehlt er gerade das, was den Begriff "Wahrheit" vom blo�en Dogma unterscheidet: ihre prinzipielle Begr�ndbarkeit.


*XX-114*
Leichter ist es, gegen den anzugehen, der sagt: "Dies ist wahr, aber ich kann es nicht begr�nden." Hier ist die Frage offen, ob "Wahrheit" im Prinzip begr�ndbar ist. Aber hier wird ein Anspruch erhoben auf Wahrheit, ohne dass dafür Gr�nde gegeben werden. Das ist "unvern�nftig". Insofern ist ein für-wahr-halten beliebig und unwillk�rlich. Kann man mehr sagen? (Diese Kritik gilt nicht für den erstgenannten Fall.)

*XX-115*
Wenn etwas wahr ist, habe ich allen Grund, es für wahr zu halten. Aber ob etwas wahr ist, kann ich allein über Gr�nde "wissen". Wenn ich für meine Annahme keine Gr�nde habe, dann "wei�" ich dies auch nicht. Behaupten ist etwas anderes als Wissen. ("Wissen" kommt sprachlich wohl von "sich erweisen".)

*XX-116*
Die Behauptung lautet: "Auf dem Tisch in Zimmer 5 liegt jetzt ein Buch." Person A sitzt in Zimmer 5 und begr�ndet diese Behauptung bzw. sein eigenes für-wahr-halten so: "Ich sehe den Tisch und das Buch jetzt vor mir." Oder anders ausgedr�ckt: "Person A sieht das Buch vor sich." Dies ist bei bestimmten Zusatzannahmen ein guter Grund, die Behauptung zu akzeptieren. Allerdings ergibt sich für Individuum B bei dieser Begr�ndung im Vergleich zu A ein zus�tzliches Problem. Im Unterschied zu A muss sich B noch fragen: "Sieht A wirklich das Buch vor sich, oder l�gt er mich an?"

*XX-117*
Kann man sagen: "Jeder sollte das für wahr halten, was wahr ist"? Das hie�e wohl auch: "Jeder sollte nach Erkenntnis der Wahrheit streben!" Aber was ist, wenn jemand sagt: "Ich will die Wahrheit gar nicht wissen"? Etwa der todkranke Patient will die Details seiner Krankheit gar nicht wissen. Das Beispiel zeigt, dass die Erkenntnis der Wahrheit kein unbedingter Selbstzweck, kein alles übersteigender Wert sein kann. Nur wenn der andere selber den Anspruch hat, recht zu haben, d.h. etwas als wahr zu behaupten oder wenn er zumindest die Wahrheit erkennen will, dann muss er auch bereit sein, und wollen, dass er nur behauptet bzw. für wahr h�lt (glaubt), was wahr ist.

*XX-118*
Ob eine Behauptung wahr ist, kann sich nur an den Gr�nden (Argumenten) erweisen, die dafür oder dagegen sprechen. Wer die Wahrheit (in Bezug auf eine bestimmte Frage bzw. eine bestimmte Gruppe von Fragen) erkennen will, der muss deshalb auch nach einer m�glichst vollst�ndigen Kenntnis der diesbez�glichen Argumente streben. Das hei�t, er muss alle von ihm selbst oder von andereh angef�hrten Gr�nde zur Kenntnis nehmen und pr�fen.
Ein Argument spricht für eine Behauptung, wenn es 1.) selber wahr ist und wenn es 2.) m�glich ist, daraus logisch die Schlussfolgerung abzuleiten, dass die Wahrheit der strittigen Behauptung wahrscheinlicher ist als die Wahrheit ihrer Verneinung (= dass eher die strittige Behauptung wahr ist als ihre Verneinung).

*XX-119*
Inwiefern kann man den anderen darauf festlegen, nach Erkenntnis der Wahrheit zu streben? Was macht man, wenn der andere sich weigert nach Wahrheit zu streben? Es reicht wohl schon, wenn er bereit ist, sich so zu verhalten, als ob er nach Erkenntnis der Wahrheit strebt. Wenn er auch dies nicht will, dann muss er überhaupt darauf verzichten, Behauptungen und Gr�nde dafür vorzubringen bzw. etwas für wahr zu halten.
Ergebnis: Ohne Wahrheitsanspruch kann keiner meine Behauptungen bestreiten, denn bestreiten hei�t ein Gegenargument formulieren. Damit das Gegenargument Gewicht hat, muss man dessen Wahrheit voraussetzen. Dieser Einwand ist damit für die Wahrheitsfindung irrelevant.

*XX-120*
Nun k�nnte jemand sagen: "Ich strebe nach Erkenntnis der Wahrheit, aber nur für mich. Es gibt deshalb für mich keinen Grund, den andern nicht anzul�gen, zu t�uschen etc." Wenn er diesen Standpunkt einnimmt, dann m�sste er einverstanden sein, dass man die von ihm vorgebrachten Argumente nicht ernst nimmt, da es sich m�glicherweise um L�gen handelt. Andererseits m�sste er bereit sein, die von mir vorgetragenen Argumente ernst zu nehmen.

*XX-121*
Bei allen überlegungen beachten, in Bezug auf welche Art von Fragen die Erkenntnis der Wahrheit angestrebt wird. Nur in Bezug auf diese Fragen kann man dann auch die entsprechenden Konsequenzen � wie Abbruch der Argumentation � ziehen.

*XX-122*
Warum handelt es sich bei der Argumentation gewähnlich um eine kooperative, gemeinsame Wahrheitssuche?

*XX-123*
Oben habe ich gesagt: Ob etwas wahr ist, kann sich nur an den Gr�nden erweisen, die dafür bzw. die dagegen sprechen. über die Wahrheit einer These muss also anhand von Gr�nden entschieden werden. Wenn wir in einer konkreten Situation über die Wahrheit einer These entscheiden m�ssen, so können wir das jedoch nicht anhand aller im Prinzip m�glichen Argumente tun, sondern immer nur anhand der jeweils gerade bekannten Argumente. Deshalb kann es dazu kommen, dass wir eine These (eher) als falsch verwerfen, die in Wirklichkeit wahr ist, weil es Argumente gibt, die wir aber nicht kannten. für jedes einzelne Teilargument stellt sich das Problem in gleicher Weise wie für die These.

*XX-124*
Kann es sein, dass in Bezug auf eine Frage für alle m�glichen Antworten gilt, dass sie eher falsch als wahr sind? Soll man dann diejenige Antwort w�hlen, die noch die relativ gr��te Wahrscheinlichkeit besitzt, wahr zu sein? Oder braucht man sich als Wissenschaftler gar nicht zu entscheiden? Muss man das nur als Handelnder?

*XX-125*
Warum kann man über die Wahrheit einer These nur anhand von Gr�nden entscheiden? Indem ich diese Frage stelle, suche ich selber nach Gr�nden für die Wahrheit der These: "über die Wahrheit�". Das hei�t: Wer von mir eine Begr�ndung dieser These verlangt, der hat selber diese These schon akzeptiert. (Zumindest handelt er so, als ob er sie akzeptiert h�tte.) (Oder kann er mich nach Art der immanenten Kritik auf die Einhaltung meiner eigenen Prinzipien festlegen, ohne selbst diese Prinzipien zu akzeptieren?)

*XX-126*
Kann man eine These ohne Gegenargument bestreiten? Ja, man kann die These einfach verneinen und die Gegenthese aufstellen. Da steht dann Behauptung gegen Behauptung. Die Behauptungen m�gen wahr oder falsch sein, entscheiden lässt sich das nicht. Allerdings kann man etwas nur bestreiten, indem man selber einen Wahrheitsanspruch dafür erhebt.

*XX-127*
Wenn jemand die These, dass er nach Wahrheit streben soll, nicht akzeptiert und nach einer Begr�ndung hierfür verlangt, da hat er es in Bezug auf diese These zumindest bereits akzeptiert, dass es ihm um Wahrheit geht bzw. er hat sich so verhalten, als ob es ihm hier um Wahrheit ginge.


*XX-128*
Die Schwierigkeit entsteht dadurch, dass die These mit Sätzen begr�ndet wird, die ihrerseits zwar allgemein für wahr gehalten werden, deren Wahrheit jedoch nicht feststeht. Kann man oder muss man hier mit Wahrscheinlichkeiten operieren? 

*XX-129*
Dass über die Wahrheit nur anhand von Gr�nden entschieden werden kann, liegt wohl im Begriff der Wahrheit. Es ist eben der spezifische Geltungsanspruch als "wahr", der andere Gesichtspunkte irrelevant werden lässt - aber warum?


*XX-130*
Wenn sich die Wahrheit einer These nur anhand von Gr�nden entscheiden lässt, die ihrerseits wahr sein m�ssen, damit sie als Argument gelten zu können, so ergibt sich unter Umst�nden ein infiniter Regress. Es sei denn, man st��t auf Gr�nde, die ohne weitere Begr�ndung für wahr gehalten werden können. (Evidenzen) Oder aber man entscheidet mithilfe der Gr�nde nicht über die Wahrheit der These sondern nur über den Grad der subjektiven Wahrscheinlichkeit oder Gewissheit, dass die These wahr ist. Dann k�nnte man auch bei den Gr�nden mit relativen Gewissheiten arbeiten.


*XX-131*
Mit einem solchen doppelten Ansatz kann man vielleicht auch dem Problem zu Leibe r�cken, dass ja niemals über die Wahrheit eines Satzes definitiv entschieden wird, dass man aber trotzdem an dem Begriff der Wahrheit und der Alternative "wahr- falsch" festh�lt.


*XX-132*
Ich m�sste mich in diesem Zusammenhang einmal mit Versuchen besch�ftigen, den Begriff der Wahrheit durch den Begriff der Wahrscheinlichkeit zu ersetzen. Wo gibt es das? Reichenbach? Ramsey.? Aber dort wurde wohl immer nur die Hypothesenwahrscheinlichkeit allgemeiner S�tze abgehandelt (dazu: Toulmin).

*XX-133*
"Gelten": Beim Start zum Wettlauf erl�utert der Kampfrichter, der den Startschuss abgibt, mit den Worten: "Das Kommando lautet: "Achtung � fertig � los!" Dann sagt er: "Das Kommando gilt: Achtung � fertig � los!
"Gelten" hei�t hier so viel wie "ist ernst gemeint". In ähnlicher Weise sind Behauptungen über die Realit�t "ernst gemeint" im Unterschied zu erfundenen Geschichten. Wenn ich in einer Erz�hlung sage: "Der Frosch verwandelte sich in einen Prinzen", so ist die Bedeutung der Worte, der Sinn des Satzes derselbe, als wenn ich den Satz berichtend behaupte.

Auch der Bankr�uber, der sagt: "Geld her oder ich schie�e!" ruft vielleicht hinterher: "Ich spa�e nicht, das ist mein blutiger Ernst." Um die Geltung seines Befehls zu betonen, sagt er vielleicht zum Kassierer: "Das gilt auch für dich!"

*XX-134*
Was unterscheidet die Geltung eines Kommandos von der Geltung einer "wahren" Norm? Der Kassierer in der Bank mag sich klar darüber sein, dass der Mann vor ihm den Befehl "Geld her!" und auch die daran gekn�pfte Drohung: "Sonst schie�e ich" ernst meint. Zus�tzlich kann man sich fragen: "Soll ich ihm das Geld geben?" Hier geht es jedoch um eine andere Art von Geltung.

*XX-135*
"Ich nehme wahr, dass etwas da ist." Aber: "Ich will, dass etwas da sein soll". Wahrnehmen und Wollen sind entsprechende Bezugspunkte der positiven bzw. normativen Methodologie.
*XX-136*
Wenn ich den Wahrheitsbegriff für Normen in einer bestimmten Weise formuliere (" Wahrheitsanspr�che m�ssen durch Argumente eingel�st werden, die intersubjektiv einsichtig sind"), so mag ich dabei an das AlltagsVerständnis von Wahrheit anschlie�en, doch scheint mir das nicht entscheidend zu sein. Denn andere m�gen hier anderer Meinung sein und meinen Wahrheitsbegriff ablehnen. Dann muss man sich darauf besinnen, warum man überhaupt auf Wahrheit hinauswill. Intersubjektiv begr�ndete Wahrheitsanspr�che erzeugen gemeinsame überzeugungen und f�hren damit zur M�glichkeit von Kooperation, zur Koordination über die Zeit, und zur Vermeidung von Konflikten. Das kann ein Wahrheitsbegriff nicht, der partikular ist - also nicht intersubjektiv und nicht intertemporal ist - oder der von der argumentativen Begr�ndbarkeit abgekoppelt wurde.
Mit solchen partikularen Wahrheitskonzeptionen wäre man nicht viel besser dran, als wenn man auf Wahrheit ganz verzichten w�rde, und einfach Interesse gegen Interesse bzw. Wille gegen Wille stehen lassen w�rde.

*XX-137*
Wahrheit ist keine Eigenschaft des Satzes. Man kann dem Satz als solchem nicht ansehen, ob er wahr ist oder nicht. Wenn ich nicht wei�, ob ein Satz wahr ist, folgt für mich noch gar nichts. Es wäre nichts gewonnen, wenn wir wahre Antworten produzierten, ohne sie von den falschen unterscheiden zu können. Insofern h�ngt alles an den Begr�ndungen der S�tze bzw. der Anwendung von Kriterien.

*XX-138*
Man sagt: eine Auffassung ist "vertretbar" oder "haltbar", wenn man sie weder belegen noch widerlegen kann. "Darüber kann man geteilter Meinung sein."

*XX-139*
Ich schreibe auf der methodologischen (metaethischen) Ebene. Dort geht es mir um argumentativ begr�ndete Behauptungen (Wahrheit). Ich praktiziere dort ein bestimmtes Konzept von Wissenschaftlichkeit. Wenn auf dieser Ebene jemand nicht "mitspielt" und zum Beispiel nicht nach Wahrheit strebt, Argumenten nicht zug�nglich ist und selber seine Positionen nicht begr�ndet, dann ist mein Unternehmen natürlich umsonst in Bezug auf ihn. Andererseits hat er aber auch zur methodologischen Erkenntnis nichts beizutragen: er nimmt am Unternehmen nicht teilen, d.h. er kann selber nichts mit Wahrheitsanspruch behaupten oder bestreiten.

*XX-140*
Die methodologische Position, die ich vortrage, formuliert die Prinzipien argumentativer Begr�ndung für die Behauptung von Normen. Kann jemand auf dieser Ebene die Prinzipien vern�nftiger Argumentation ablehnen und dies argumentativ begr�nden wollen oder ist er damit inkonsistent? Kann ich ihn deshalb, weil er die methodologischen Fragen argumentativ behandelt, auch darauf festlegen, die normativen Fragen argumentativ zu bhandeln?
Der andere k�nnte ja sagen: "Gut. In methodologischen Fragen lasse ich mich auf Argumentation ein, aber ich weigere mich, in normativen Angelegenheiten nach Allgemeing�ltigkeit zu streben." Diese Weigerung m�sste er argumentativ begr�nden, etwa indem er die Behauptung verteidigt, in normativen Fragen k�nne es keine allgemein g�ltigen Wahrheiten geben sondern nur jeweils individuelle (oder gruppenbezogene) Interessen. Dies kann der normative Skeptiker wohl ohne Inkonsistenz tun. (Allerdings ist verbl�ffend, dass er auf der methodologisch philosophischen Ebene meint, argumentieren zu können, obwohl die Kriterien der Richtigkeit dort keineswegs klarer und bestimmter sind als auf der normativen Ebene).

*XX-141*
Wenn man glaubt, seinen Augen nicht trauen zu können, etwa einem Totgeglaubten begegnet, so macht man vielleicht die Augen zu und �ffnet sie wieder, um zu sehen, ob er immer noch da ist. Oder man bei�t sich auf die Lippe, um zu sehen, ob man tr�umt. Oder man reibt sich erstaunt die Augen. Oder man wendet den Blick ab und wieder zu, um sich des Anblicks zu vergewissern.

*XX-142*
Wir brauchen, um zielstrebig und m�glichst entt�uschungsfrei handeln zu können, bestimmte positive und normative Annahmen. Wir m�ssen uns ein Bild von der Welt machen, wie sie ist und wie sie sein soll, um gezielt eingreifen zu können. Diese Annahmen sind nicht beliebig. In bestimmten unmittelbaren Erfahrungen zeigt sich uns die Welt, wie sie ist und wie sie sein soll: Wir haben z. B. nicht die Freiheit anzunehmen, dass wir schweben werden, wenn wir in den Abgrund st�rzen. Man sagt dann: "Die Wirklichkeit holt uns ein", "Wir werden auf den Boden der Tatsachen zur�ckgeholt". Vor dieser Konfrontation mit der Welt, wie sie ist, vor der Wahrnehmung der Welt kann man nicht ausweichen, es sei denn, man fl�chtet sich in den Wahnsinn oder den Rausch.
In der gleichen Weise haben wir nicht die Freiheit anzunehmen, dass es eine gute Sache für uns ist, wenn wir mit zersplitterten Knochen, blutend und bewegungsunf�hig am Boden liegen, wenn wir vor Schmerz und Todesangst schreien und st�hnen und wenn wir dies am liebsten ungeschehen machen m�chten.
Wenn ich vor dem Schritt über den Abgrund annahm, dass ich schweben werde, und dann erfahren muss, dass ich falle und nicht schwebe, dann muss ich meine Annahme �ndern bzw. berichtigenDie Annahme war falsch, ich kann an ihr nicht festhalten, ich muss sie aufgeben.

*XX-143*
Wenn ich als Individuum nach wahren positiven Annahmen über die Welt strebe, so strebe ich nach Annahmen, an denen ich festhalten kann. Ich suche nach Annahmen, die intertemporal stabil sind. Ich suche nach Annahmen, derer ich - bezogen auf eine bestimmte Fragestellung und einen entsprechenden Informationsgehalt - m�glichst gewiss sein kann. (Was ist im Fall von Ungewissheit und Risiko?)
Hier sieht man auch, dass es unsinnig ist, anzunehmen, dass dieselbe Annahme zum einen Zeitpunkt richtig sein kann und zu einem anderen Zeitpunkt falsch. Wenn die Annahme, dass ich schweben werde, richtig ist, solange ich festen Boden unter den F��en habe, aber falsch wird, sowie ich falle, so taugt eine solche Wahrheit nichts, denn was soll die Auszeichnung einer Annahme als "wahr", wenn ich an ihr nicht festhalten kann? Dann kann ich auf Wahrheit auch verzichten.

ähnliches gilt für normative Annahmen (oder Werturteile). Wenn ich der Auffassung bin, ein Sturz in den Abgrund mit seinen Folgen wie Knochenbr�che und Verletzungen sei etwas Gutes für mich, das sein soll und das ich will, und wenn ich dann feststellen muss, dass ich das n i c h t will, dass es etwas Schlimmes für mich ist, etwas, das nicht sein soll, dann muss ich meine normative (bzw. wertende) Annahme �ndern und berichtigen: "Die Annahme, dass Verletzungen durch einen Fall in einen Abgrund etwas Gutes sind, ist falsch. Ich kann diese Annahme nicht aufrechterhalten. Man kann daran nicht festhalten: Ich h�tte den Schritt in den Abgrund mit seinen Folgen nicht tun sollen."

*XX-144*
Wenn man "wahr" als das bestimmt, an dem man über die Zeit festhalten kann, so können unter Umst�nden mehrere miteinander unvereinbare Annahmen diese Forderung erf�llen. Man denke an Annahmen, die für uns gegenw�rtig (oder auch für immer) keine unmittelbaren Erfahrungen beinhalten, etwa: die Annahme der Existenz von Leben auf entfernten Sternen

*XX-145*
Was ist mit zwei konkurrierenden, allgemeinen Theorien, die beide in Einzelf�llen versagen? Oder mit einer allgemeinen Theorie, an der man trotz ihres Versagens in Einzelf�llen festh�lt, weil man keine bessere hat? Kann man sagen, dass man nur wahre Annahmen dem eigenen Handeln zu Grunde legen sollte? Was ist mit jemanden, der sagt: "Das will ich gar nicht wissen"? Ist eine solche Einstellung nur sinnvoll, wo der Betreffende gar nicht handeln kann oder will?

*XX-146*
Wie lässt sich erklären, dass wir auch hinsichtlich vergangener Ereignisse nach Wahrheit suchen? Inwiefern sind Annahmen über die Vergangenheit für uns relevant?

*XX-147*
Philosophisch geschulte Leser werden darauf hinweisen, dass auch dort, wo sich die Welt in ihrer Beschaffenheit und ihrem Wert unserer Erfahrung unmittelbar aufzwingt ("Ich st�rze jetzt ab", "Ich will hier nicht verbluten"), ein Zweifel bzw. ein Irrtum m�glich ist: Vielleicht falle ich gar nicht, sondern unterliege einer optischen Illusion wie vor einer Kinoleinwand, oder ich tr�ume, oder ich halluziniere. Vielleicht bilde ich mir nur ein, ich h�tte Schmerzen, oder genauer: Vielleicht bilde ich mir nur ein, ich wollte die Schmerzen, die Verletzungen nicht.
Aber man sieht wohl, wie hergeholt diese Zweifel sind. Man kann zweifeln, ob man wirklich f�llt und verletzt am Boden liegt. Aber diesem Zweifel sind doch Grenzen gesetzt. Man kann die Wirklichkeit letztlich nicht fortzweifeln, es sei denn, man geht über zum Wahnsinn.

*XX-148*
Bisher habe ich die Sache vom individuellen Standpunkt aus analysiert. Bezieht man die Situation einer 2-Personengruppe, so ergeben sich hinsichtlich der Funktion von "Wahrheit" weitere Gesichtspunkte.
Wenn die beiden Individuen unterschiedliche Annahmen darüber hegen, wie die Welt ist (wie sie war, wie sie sein wird), es k�nnte einer den anderen nichts über seine Welt lehren. Es sei denn, sie finden positive Annahmen, an denen sie beide festhalten können, die also intersubjektiv übertragbar sind.

*XX-149*
Wenn für den einen wahr ist, was für den anderen falsch ist, dann gibt es keine sinnvolle Mitteilung über die Welt zwischen den Individuen. (Wahrscheinlich wäre dann auch gar keine gemeinsame Sprache entstanden. Die muss man voraussetzen, wenn sich beide auf denselben Satz beziehen sollen. Die Mitteilung des einen über seine Annahmen k�nnte für mich h�chstens ein Indiz sein, so wie ein L�cheln oder eine Handbewegung ein Indiz sein kann. Ich k�nnte dann mit ihm auch nicht darüber argumentieren, wie die Welt wirklich ist, wessen Annahme richtig ist, seine oder meine, denn es fehlt der Bezugspunkt intersubjektiver Wahrheit.

(Vielleicht k�nnte ich mit ihm darüber diskutieren, ob die Annahme für ihn richtig ist, d.h. ob sie so beschaffen ist, dass er daran intertemporal festhalten kann, sich darauf verlassen kann.)

Wenn es keine Annahmen gibt, an denen wir gemeinsam festhalten können, so ist auch eine Koordinierung der Handlungen verschiedener Individuen, Kooperation und gemeinsames Handeln nicht m�glich. Wenn jeder verschiedene positive Annahmen über die Welt seinem Handeln zugrunde legt, so kann sich nichts ähnlich, sofern die Individuen ihren Annahmen entsprechend handeln können.

*XX-150*
Wenn zwei Individuen den Baumstamm gleichzeitig anheben m�ssen, um ihn zu bewegen, so w�rde das Unternehmen schon daran scheitern, dass der eine sagt: "Hier liegt der Baumstamm" und der andere sagt: "Hier liegt kein Baumstamm." Wenn beide rechthaben können, also in verschiedenen Welten leben, wäre das Problem unl�sbar, wenn es dies g�be.
Nur wenn es einen intersubjektiven, allgemeinen Geltungsanspruch für Annahmen über die Welt gibt, weil es wahre Annahmen gibt im Sinne von "wahr für alle", ist ein koordiniertes gemeinsames Handeln m�glich. (Problem: aber auch Bienen oder Zugv�gel koordinieren ihr Verhalten, zum Beispiel über angeborene Reiz-Reaktionsschemata. Annahmen über die Welt setzen wohl ein Gro�hirn voraus.)

*XX-151*
In Bezug auf positive Annahmen erscheint es ganz selbstverst�ndlich, dass eine wahre Annahme auch wahr für alle ist. Wir erlernen ja die Sprache, über die wir verf�gen und in der wir unsere Annahmen über die Beschaffenheit der Welt formulieren, vom sprachkundigen Anderen. Wir erlernen etwa den Namen von Gegenst�nden oder Personen, indem der andere, der die Sprache bereits beherrscht, beim Auftauchen des Gegenstandes � sei es optisch, akustisch oder anders wahrnehmbar � jenen Gegenstand benennt, so dass die Sch�ler den Gegenstand für den Lehrer dann richtig benennen, wenn sie ihn genauso benennen, wie der Lehrer. Wenn es zwischen den Wahrnehmungen des Lehrers und den Wahrnehmungen des Sch�lers keine Entsprechung bzw. übereinstimmung (?) g�be, so k�nnte der Sch�ler die Sprache nicht erlernen.

*XX-152*
Wenn zum Beispiel für den Lehrer Ph�nomene unterschiedlich wären, (die er folglich auch mit unterschiedlichen Namen bezeichnen w�rde), die jedoch für die Sch�ler ununterscheidbar wären, so k�nnte der Sch�ler die Namen bzw. ihre richtige Anwendung nicht erlernen. Wenn dagegen eine gemeinsame Sprache gegeben ist, dann kann man davon ausgehen, dass Beschreibungen der Wirklichkeit in dieser Sprache, die für den einen wahr sind, auch für den anderen wahr sind.

*XX-153*
Wichtig beim Sprachlernen ist wohl auch, dass Lehrer und Sch�ler die gleiche Perspektive zu den Dingen einen einnehmen können, wenn die Dinge ihre Erscheinung je nach Perspektive �ndern. Wenn eine Fl�che in der Farbe changiert (z. B. frontal rot aussieht und von einem schr�gen Winkel aus blau), so d�rfen Lehrer und Sch�ler beim Erlernen der Farbwerte nicht auf verschiedenen Positionen stehen.

*XX-154*
Wie ist es bei Annahmen darüber, wie die Welt sein soll? Welche Probleme ergeben sich hier angesichts mehrerer Individuen.

Warum bem�hen wir uns um ein einheitliches Bild der Welt? Warum sagen wir nicht: "Der Satz p ist wahr zum Zeitpunkt t1 und derselbe Satz ist falsch zum Zeitpunkt t2"? Wir h�tten dann die "Welt zum Zeitpunkt t1" und die "Welt zum Zeitpunkt t2".
Warum sagen wir nicht: "Dieser Satz ist wahr in der akustischen Welt" und "Derselbe Satz ist falsch in der optischen Welt"?
Warum ben�tigen wir eine Synthese der zeitlichen und sinnlichen Dimensionen in eine einzige Welt? K�nnten wir ohne diese Synthese überhaupt von demselben Satz sprechen? K�nnten wir uns dann als ein und dasselbe Subjekt verstehen, das diesen verschiedenen Welten angeh�rt?Ich habe gesagt, dass man Annahmen zum Handeln braucht, und ich habe dargelegt, dass diese Annahmen nicht beliebig sein können, weshalb man nach Annahmen sucht, die sich über die Zeit aufrechterhalten lassen. Aber gibt es nicht auch blo�e Neugier, reinen Wissensdurst, ohne jeden Bezug zum Handeln? Oder sammle ich dabei nur einen Vorrat von Annahmen, auf die ich mich notfalls st�tzen kann, ohne zu wissen, in welcher konkreten Situation ich auf diese Annahmen zur�ckgreifen werde?
Aber gibt es nicht - unabh�ngig von allem Handlungszwang - das Interesse an Annahmen, die ich über die Zeit aufrechterhalten kann? Wie ist es zum Beispiel mit astronomischen Annahmen, (etwa über die Bahn der Venus am Firmament? Hier haben in den vergangenen Jahrhunderten die Menschen jedoch schon Annahmen über den jahreszeitlichen und tageszeitlichen Bahnverlauf gemacht, ohne jede Handlungsrelevanz, die erst mit der Raumfahrt entstand. (Allerdings hatten die Sterne damals ja schon eine astrologische Bedeutsamkeit und galten generell als Schicksalszeichen wie der �Stern von Bethlehem�)


*XX-155*
Man k�nnte sagen: Vielleicht haben sie Annahmen gemacht, aber sie h�tten es auch sein lassen können. Wenn man allerdings gezielt handeln will, bestimmte Zust�nde erreichen oder vermeiden will, dann muss man irgendwelche positiven Annahmen machen.
Aber kann man nicht einfach sagen: Wir machen st�ndig bestimmte Annahmen über die Welt. natürlich nicht über alles und jedes aber doch über vieles, was unsere Interessen ber�hrt oder ber�hren k�nnte. Und diese Annahmen sind nicht beliebig.

In bestimmten unmittelbaren Erfahrungen zwingt sich uns die Welt, wie sie wirklich ist, auf. Sie zwingt uns zur Korrektur unserer Annahmen, sie schw�cht oder st�rkt unsere überzeugung. Wir sagen dann: "Wir haben uns get�uscht (geirrt)."
Wenn wir nach wahren Annahmen suchen, dann suchen wir nach Annahmen, an denen wir festhalten können, auf die wir uns verlassen können.

*XX-156*
" Was ich nicht wei�, macht mich nicht hei�." Manchmal schmerzt und qu�lt schon das Wissen von einem Sachverhalt, dann wenn der Sachverhalt doch nicht zu �ndern oder in seinen negativen Folgen abzuschw�chen ist, dann wird man manchmal zurecht sagen: "Ich will das gar nicht wissen". (Er darf dann allerdings auch nicht durch Nichtber�cksichtigung verschlimmert werden.)

*XX-157*
In vielen Dingen ist Wissen auch überfl�ssig. Seine Gewinnung und Aufnahme beansprucht Zeit und Ged�chtniskapazit�t, die beide begrenzte Ressourcen sind. Wenn das Wissen v�llig uninteressant für mich ist, weil es mir egal ist, ob diese Dinge nun so oder anders sind, dann ist es ebenfalls verst�ndlich, wenn man hier die Wahrheit nicht wissen will. So ist es mir egal, wie viele Zuckerk�rner in dieser T�te sind.
*XX-158*
Ein wahrer Freund ist einer, auf den man sich verlassen kann, so wie eine wahre überzeugung eine ist, auf die man sich verlassen kann. (Das englische �true� und �truth� ist sprachlich wohl verwandt mit dem deutschen �treu�.


*XX-159*
Inwiefern bedarf es bei mehreren Individuen gemeinsamer normativer Annahmen darüber, wie die Welt sein soll und an denen sich jeder festhalten kann?
Angenommen, zwei Individuen A und B sind in einem Raum. A ist leidenschaftlicher Raucher. B ist lungenkrank und kann Rauch nicht vertragen. A z�ndet sich eine Zigarette an, mit der normativen Annahme, dass Inhalation und Geruch des Rauchens in ihm ein Wohlgef�hl ausl�sen werden, dass das Rauchen gut für ihn ist, dass er will, dass es so sein soll.

Da B von der normativen Annahme ausgeht, dass Zigarettenrauch für ihn nicht gut ist, nicht sein soll, wird er etwas gegen das Rauchen unternehmen. Ob A schlie�lich raucht oder nicht, ist in diesem Falle, wo Wille gegen Wille steht, wo zwei rein subjektive unvereinbare normative Annahmen dem Handeln der Individuen zugrunde liegen, nur eine Frage der Macht: Wer kann seinen Willen dem anderen aufzwingen?

Problem: was wäre im Falle eines Vertrages: Hier bleibt jeder bei seinem individuellen Willen bzw. er geht nur von diesem aus. Aber es bedarf gemeinsamer normativer Annahmen zum Verfahren des Vertrages, zum Beispiel welches Ma� an Zwang auf den andern zul�ssig sein soll, um ihn zu einem bestimmten Vertragsabschluss zu bewegen, wann Vertr�ge wegen ungleicher Verhandlungsmacht nichtig werden, dass Vertr�ge einzuhalten sind  etc..

Wenn es keine normativen Annahmen gibt, an denen beide gemeinsam festhalten können, bleibt nur das erzwungene Sich-f�gen des Unterlegenen oder das Durcheinander verschiedenster Einzelbestrebungen, wenn man einmal die M�glichkeit einer genetisch verankerten instinktiven Koordinierung absieht, wie sie bei Tieren vorkommt.

*XX-160*
Das Problem rein subjektiver Behauptungen einmal am Beispiel der Geschmacksurteile durchspielen. Man sagt: "Das schmeckt (mir) gut". Man sagt: "über Geschmack lässt sich nicht streiten" (oder ironisch: "� lässt sich gut streiten.") Was lässt sich hier sinnvoll behaupten oder bestreiten? Man kann zum Beispiel sagen: "Du sagst, dass dir die Suppe nicht schmeckt. Aber das stimmt nicht." Man kann hier die Unwahrheit sagen, aber man kann sich wohl nicht irren. Man kann wohl nicht sagen: "Die Suppe scheint mir gut zu schmecken. Aber es mag sein, dass ich mich irre, dass sie mir nicht gut schmeckt." (Allerdings mag es sein, dass etwas sehr �gemischt� schmeckt, dass man es schwer hat, zu entscheiden, ob man den Geschmack nun mag oder nicht. Einmal durchspielen, welche Konsequenzen es h�tte, wenn man die normativen Urteile entsprechend den Geschmacksurteilen subjektivieren w�rde.

*XX-161*
Was sind im normativen Bereich diejenigen Urteile, die keiner weiteren Begr�ndung f�hig sind, analog etwa zu den Beschreibungen von Sinneseindr�cken im positiven Bereich? Sind es Urteile wie: "Es gef�llt mir (nicht)" ?

*XX-162*
Bei den Geschmackssinnen ist der Mensch (wohl im Unterschied zum Hund) besonders unsicher. Ich erkenne oft nicht, wonach etwas riecht oder schmeckt. Hier ist mein Erinnerungsverm�gen  und mein Unterscheidungsverm�gen schlecht entwickelt. Das hei�t, ich kann mir zum Beispiel schwer vorstellen, wie Zimt, Knoblauch, Majoran schmeckt, es ist mit dem Begriff nur mangelhaft assoziiert.
Deshalb kann ich den Geruch bzw. Geschmack nur schwer wiedererkennen. Hier kann man sagen: "Es schmeckt nach K�mmel, aber ich bin mir nicht sicher, ich kann mich irren." Allerdings kann man sich wohl nicht bei der Frage irren, ob der Geruch bzw. Geschmack angenehm ist oder nicht.

*XX-163*
Die Sprache beherrscht man, wenn man zum Beispiel einen Gegenstand bzw. den für ihn charakteristischen sinnlichen Eindruck richtig benennen kann. Das setzt im Gehirn voraus, dass ein bestimmtes nervliches Reizmuster wiedererkannt wird. Dazu muss das Reizmuster vorstellungsm��ig im Ged�chtnis gespeichert sein, es muss mit dem richtigen Wort eindeutig verbunden sein und das aktuelle Reizmuster als gleichartiges aufgenommen werden. "Die Sprache beherrschen" setzt also bereits verschiedene gelungene Operationen zwischen Sinneseindruck und Benennung voraus.

*XX-164*
Ist bei Fehlen einer positiven "Wahrheit für alle" eine Koordination der Handlungen zwischen den Individuen m�glich? Denkbar wäre auch hier eine Koordination durch Zwang, Dressur etc. Der eine k�nnte den andern in seinem Verhalten durch ein System von Sanktionen und Beschr�nkungen entsprechend seinen Annahmen und W�nschen steuern. Auch so wäre eine Koordination m�glich. Man denke etwa an das System der Galeerensklaven, die koordiniert handelten. Allerdings wäre das eine Koordination ohne �Freiheit�.

*XX-165*
Inwiefern verliert jemand durch Zwang und Sanktionsdrohungen seine "Freiheit"?

Wie ist das bei Zwang, wenn man zum Beispiel jemanden durch hohe Mauern und verschlossene Stahlt�ren zwingt, einen bestimmten Ort nicht zu verlassen? Der Gefangene "sieht ein", dass er die Gef�ngnismauern nicht überwinden kann. Er m�chte gerne hinaus, aber er kann es nicht. Ist das "Unfreiheit"?
Aber gibt es so etwas nicht st�ndig in der Natur, dass wir etwas m�chten, was wir nicht erreichen können? Ist jemand "unfrei", weil er an einen rei�enden Fluss kommt, den er als Nichtschwimmer nicht überqueren kann? Entscheidend ist wohl bei "Unfreiheit, dass mir die gew�nschte M�glichkeit durch den Willen eines anderen genommen wird.

Wie ist es bei Sanktionierung bzw. Sanktionsdrohung? Wird dem Sanktionierten nicht die Freiheit gelassen, gem�� seinen überzeugungen zu handeln? Die "Unfreiheit" besteht auch hier darin, dass dem Sanktionierten eigentlich offenstehende und von ihm gew�nschte Handlungsm�glichkeiten genommen werden.
 
*XX-166*
Wenn A den Raum verschlie�t und zu B sagt: "Du brauchst es gar nicht mehr zu versuchen, du kommst hier sowieso nicht heraus", so ist das kein Argument, denn B kann weiterhin der Meinung sein, dass er den Raum verlassen sollte. B kann unver�ndert gegen das Verhalten von A protestieren und seine Freilassung fordern. B ist abh�ngig von fremdem Willen, d.h. A will und tut etwas, das B nicht will und an dem B den A nicht hindern kann.

Aber ist jeder unaufgel�ste Willenskonflikt als "Unfreiheit" zu bezeichnen?

Angenommen B ist in ein Loch gefallen, aus dem er aus eigener Kraft nicht wieder herauskommt. Zuf�llig kommt A vorbei. A k�nnte B zwar heraushelfen, aber er will das nicht. B dagegen will, dass A ihm heraushilft:

Aber gibt es so etwas nicht st�ndig in der Natur, dass Individuen etwas m�chten, was sie nicht erreichen können? Ist jemand unfrei, weil er an einen rei�enden Fluss kommt, den er als Nichtschwimmer nicht heil überqueren kann, obwohl er das gerne m�chte? Entscheidendes Merkmal  für Unfreiheit ist, dass mir die gew�nschte M�glichkeit durch den Willen eines anderen genommen wird.

*XX-167*
Wie ist es bei Sanktionierung bzw. Sanktionsdrohung? Wird dem Sanktionierten nicht die Freiheit gelassen, gem�� seinen überzeugungen zu handeln?
Die "Unfreiheit" besteht darin, dass dem Sanktionierten eine offenstehende Handlungsm�glichkeit genommen wird. Der Sanktionierte m�chte eine Handlung  vollziehen. Diese M�glichkeit wird ihm verwehrt durch die Sanktion, die mit dieser Handlung verkn�pft wird, so dass der Sanktionierte die Handlung nicht ohne das Eintreten der Sanktion vollziehen kann.

Hat A damit für B ein überzeugendes Argument für den Satz geliefert: "B soll den Raum nicht verlassen"? Jetzt ist B selber davon überzeugt, dass er den Raum nicht verlassen sollte, denn die Drohung ist glaubhaft und das Risiko des Entdecktwerdens sehr gro�. Aber dieser Sinneswandel ist nicht die Folge eines Argumentes, das B bewegt, der Auffassung von A zuzustimmen, sondern sie ist Folge einer Ver�nderung der Situation durch A, die B�s Handlungsm�glichkeiten einschr�nkt, indem ihm z. B. die M�glichkeit zum Verlassen des Raumes ohne Gefahr für sein Leben genommen wird. B befolgt jetzt zwar die Norm von A, aber in einer Situation der Unfreiheit, die durch A erzeugt wurde.

Wie wäre es, wenn der Fall wie folgt l�ge. A ist der Auffassung, dass B den Raum nicht verlassen soll. Als Argument sagt er: "über der T�r h�ngt ein lockerer Felsbrocken, der dich zu erschlagen droht, wenn Du hinausgehst." wäre das ein Argument? Ja, denn durch diese Warnung wird die Situation für B nicht ver�ndert, sondern sie wird nur genauer erkennbar.

Die Zustimmung von B zum Satz: "B soll den Raum nicht verlassen" ergibt sich im Falle des lockeren Felsbrockens nicht aus einer Abh�ngigkeit von einem fremden Willen, sondern aus Einsicht in die gegebenen Umst�nde. Zu beachten ist dabei, dass durch die Androhung einer Erschie�ung zwar in dem Punkt "Soll B den Raum nicht verlassen?" eine übereinstimmung zwischen A und B erzeugt wurde, dass aber der Konflikt der Auffassungen an anderer Stelle aufgebrochen ist bei der Frage "Soll A seinen Wachen die Anweisung geben, B zu erschie�en, wenn dieser den Raum verlässt?". Hier ist B sicherlich ganz anderer Meinung als A.

Offenbar kann durch Sanktionierung der Dissens nicht aufgel�st sondern nur auf einen anderen Punkt verschoben werden. (Dies ist vielleicht ein Hinweis darauf, dass sich die Diskussion nicht auf die Richtigkeit einer einzelnen Norm beschr�nken lässt, sondern andere Normen einbezogen werden m�ssen.)

*XX-168*
A will also für B etwas nicht tun und unterlässt es deshalb. B will, dass A ihn herausholt, doch kann er B nicht dazu zwingen. Auch in diesem Fall ist es wohl nicht falsch zu sagen, dass B von fremdem Willen abh�ngig ist.
für unser Gef�hl ist es ein normativ relevanter Unterschied, ob B allein aus dem Loch klettern k�nnte, und A ihn daran hindert, oder ob B nur mit der Hilfe aus dem Loch klettern kann und A ihm diese Hilfe verweigert. Im ersteren Fall sagt man: "A zwingt B, in dem Loch zu bleiben". Im letzteren Fall wäre der Sprachgebrauch ungewähnlich, denn ohne A steht B die M�glichkeit zum Verlassen des Loches nicht offen, sie wird erst durch das Handeln von A m�glich. Man kann hier   schlecht sagen: "A schr�nkt durch sein Handeln B�s Handlungsm�glichkeiten ein."

Aber das sind wohl eher terminologische Probleme: Wichtig ist, dass ein Willenskonflikt zwischen den Individuen besteht, der nicht aufl�sbar ist, so dass sich schlie�lich die Dinge gegen den Willen von mindestens einem Individuum entwickeln.

Neben dem oben besprochenen Fall einer quasi natürlichen Abh�ngigkeit eines einzelnen Individuums vom Willen eines andern gibt es auch eine beiderseitige Abh�ngigkeit, die in der Spieltheorie anhand des Gefangenendilemmas (?) diskutiert wurde.

*XX-169*
Wozu brauchen wir denn unumst��liche Gewissheit hinsichtlich der Wahrheit unserer Antworten? natürlich ist sie w�nschenswert, weil wir dann an unserer Antwort festhalten können, weil wir uns dann nicht irren. Aber ein Irrtum bringt uns nur in den seltensten F�llen um, wir können Irrt�mer in der Regel verschmerzen und aus ihnen lernen. Wir können auch ohne absolute Gewissheit leben. Wir können mit einer relativen Gewissheit ausgekommen. Au�erdem: Die prinzipiell nicht erreichbare absolute Gewissheit selbst in den einfachsten Fragen, so wie der, ob ich jetzt in mein Notizbuch schreibe, braucht uns praktisch wenig zu st�ren. ("Was soll an den Entt�uschungen eines Irrtums schlimm sein, wenn ich mir noch nicht einmal sicher sein kann, dass ich überhaupt entt�uscht worden bin?", k�nnte man überspitzt fragen.)

*XX-170*
Wahrheit ist keine natürliche Eigenschaft eines Satzes, sondern sie gleicht eher einem Ehrentitel, der einem Satz bis auf weiteres verliehen wird. Alle S�tze sind Bewerber um diesen Ehrentitel. Welcher Bewerber den Ehrentitel zugesprochen bekommt, h�ngt von den Argumenten ab, die für oder gegen die m�glichen Antworten vorgebracht werden. Das Schwierige ist dabei, dass es keine autorisierte Instanz gibt, die diesen Titel verleihen darf, sondern dass jeder den Titel für irgendeinen Satz beanspruchen darf.

*XX-171*
Wir m�ssen nicht ein für alle Mal entscheiden, ob ein Urteil wahr ist. Wie sind immer nur aufgefordert, nach den jetzt verf�gbaren Gr�nden zu entscheiden. Auf dieser Grundlage wird dann entschieden, welcher Grad an Gewissheit den verschiedenen Antworten zukommt. Es k�me ja auch keiner auf die Idee, wegen der Gefahr von Irrt�mern die Suche nach M�rdern aufzugeben. Bevor man auf der Grundlage einer bestimmten Annahme handelt, muss natürlich gefragt werden, ob die Annahme hinreichend gesichert ist, um angesichts der auf dem Spiel stehenden Werte zu entscheiden.

*XX-172*
Wir k�nnten uns auch auf relative Gewissheiten einstellen, wenn wir den Grad ihrer Gewissheit absch�tzen können. Wir können dann entsprechend vorsichtig kalkulieren und eventuelle Irrt�mer von vornherein mit einkalkulieren, damit der etwaige Schaden m�glichst niedrig bleibt.

*XX-173*
Statt der blo�en Alternative �wahr oder falsch�  , mit der die deduktive Logik arbeitet, wäre eher ein Kontinuum zwischen wahr und falsch angebracht. Allerdings lässt das Wort "wahr" keine Steigerung oder Abschw�chung zu. wäre es sinnvoller zu sagen, etwas sei "sehr wahrscheinlich wahr", "vielleicht wahr" oder "sehr wahrscheinlich falsch"?
Um was für Wahrscheinlichkeiten handelt es sich denn hier genau? Ist der Satz: "Morgen wird es wahrscheinlich hier regnen" gleichbedeutend mit dem Satz: "Es ist wahrscheinlich, dass der Satz �Morgen wird es hier regnen� wahr ist"? Ist der obige Satz gleichbedeutend mit dem Satz: "Der Satz: 'Morgen wird es wahrscheinlich hier regnen' ist wahr"?  (Wo findet man etwas über Wahrscheinlichkeitsaussagen in Bezug auf singul�re S�tze? Reichenbach?)

*XX-174*
Zu unserer Orientierung ben�tigen wir nicht unbedingt den einen, für wahr gehaltenen Satz. Vielleicht muss man sich ein komplizierteres Modell der individuellen überzeugungen entwerfen. Denkbar ist auch eine Ordnung alternativer S�tze, die einen bestimmten Wahrscheinlichkeitswert besitzen, wo im Falle begr�ndeter Zweifel mehrere Antworten gleichrangig nebeneinander rangieren, wo Reserveüberzeugungen jederzeit bereitstehen.

*XX-175*
Welchen Grad an Gewissheit wir hinsichtlich bestimmter überzeugungen ben�tigen, h�ngt ganz von der Art ihrer Anwendung ab. In trivialen Dingen gen�gt vielleicht schon eine schwache Wahrscheinlichkeit.

*XX-176*
Wissenschaft ist nicht nur Diskurs, d.h. wahrheitsbezogene Argumentation, sondern angesichts bestimmter Fragen die gezielte Untersuchung, die Beschaffung zus�tzlicher Informationen, um diese Fragen beantworten zu können. natürlich werden diese zus�tzlichen Forschungsergebnisse Erkenntnisse dann in den Diskurs eingebracht. Aber wo die vorhandenen Argumente zur Begr�ndung oder Widerlegung nicht ausreichen, versucht die Wissenschaft, zus�tzliche Argumente zu gewinnen durch Untersuchung. Dabei ist sie durch die Logik der Argumentation angeleitet, die L�cken und Unsicherheiten in der bisherigen Argumentation deutlich macht.   

*XX-177*
Handeln wir immer gem�� unseren positiven überzeugungen? Wohl nicht. Wenn zum Beispiel zwei Wanderer eine gemeinsame Tour unternehmen, und an einer Wegegabelung können sie sich über den besten Weg zum Ziel nicht einigen, so wird einer seine Meinung zur�ckstellen m�ssen, wenn sie den Weg gemeinsam gehen wollen. (ähnlich muss sich der Untergebene von seiner eigenen Meinung abl�sen, wenn er nicht dem Vorgesetzten den Gehorsam verweigern will.) Aber derjenige, der nachgibt, handelt nicht wirklich gegen seine überzeugung. Es ist ihm nur wichtiger, zusammen zu bleiben als den k�rzeren Weg zu gehen.
TOULMINS von HARE übernommene Unterscheidung von " force" und "criteria" eines Begriffes (in �Uses of Argument�) kann man für die Analyse des Konzeptes �wahr� benutzen. �Force� des Begriffs �wahr� wäre ungef�hr �darauf kann sich jeder jederzeit verlassen� Gibt es für �force� bereits eine übersetzung? Sollte man von �Funktion� sprechen? Das Wort "wahr" w�rde also die Funktion haben, uns bestimmte S�tze bzw. Behauptungen als Grundlage unserer Erwartungen und Handlungen zu empfehlen. Und zwar ist dies eine Empfehlung ohne Einschr�nkung, im Unterschied zu der Kennzeichnung eines Satzes bzw. des Ereignisses, das er beschreibt, als "wahrscheinlich (wahr)". (Insofern beschreibt der Begriff zwar nichts, er gibt keine zus�tzliche Information über die Welt gegenüber dem einfachen Satz.) Diese empfehlende Funktion ("Dieser Satz ist als überzeugung uneingeschr�nkt geeignet") ist dieselbe, gleichg�ltig in Bezug auf welche S�tze der Begriff "wahr" verwendet wird. Die Kriterien für das Wort "wahr" sind jedoch unterschiedlich je nach Art des Satzes.

*XX-178*
Das Verhältnis von Zwang und Eigeninteresse ist wohl in vielem ähnlich zum Verhältnis von Zwang und normativer überzeugung. Angenommen, ich w�rde zum Schwimmbad am liebsten mit dem Fahrrad fahren; wenn nicht die Befürchtung best�nde, dass das Fahrrad dort gestohlen wird. Also fahre ich mit dem Bus. Ich "will" dann mit dem Bus fahren, aber es ist kein freier Wille mehr, er ist durch Furcht vor den Handlungen anderer geformt. Wenn eine natürliche Gefahr drohen w�rde, zum Beispiel ein Gewitter, und man w�rde den Bus statt des Fahrrads nehmen, so w�rde man hier nicht von Zwang oder Unfreiheit reden. Man handelt freiwillig, solange man in seinen Entscheidungen nicht durch fremden Willen bzw. durch fremde Handlungen beeinflusst ist. (Aber der normale Sprachgebrauch ist hier wohl ungenau. Man spricht ja auch von der "Freiheit von Hunger" oder der "Freiheit von Krankheit".)

*XX-179*
Die Freiheit der freien Marktwirtschaft zum Beispiel ist ja auch nur eine Freiheit der Konkurrenz, d.h. die Handlungen der anderen wirken st�ndig auf mich zur�ck. Allerdings ist die zus�tzliche Mittelwahl eingeschr�nkt, um sich gegen mich durchzusetzen: Sie können besser oder billiger anbieten (oder anspruchsloser oder teurer Nachfragen) als ich.

Wie ist es, wenn mich Handlungen anderer behindern, ohne dass sie gezielt gegen meine Absichten gerichtet sind? Etwa jemand hat sich auf der Waldlichtung bereits niedergelassen, wo ich ungest�rt Picknick machen wollte. Nun muss ich mir ein anderes Fleckchen suchen. (Man spricht hier von "muss", so wie man auch wegen des drohenden Gewitters aufs Rad verzichten muss.)

*XX-180*
Man kann sich an den normalen Sprachgebrauch nur anlehnen. Mir geht es hier nur um die Unterscheidung zwischen einem normativen Gehorsamsanspruch (mit Befehl und Sanktionsdrohung) und einem normativen Wahrheitsanspruch (mit Behauptung und überzeugender Begr�ndung).

*XX-181*
Manchmal erkennt man einen Sinneseindruck zwar wieder, kann ihn aber nicht benennen. Man sagt dann etwa: "Dies Gesicht habe ich schon irgendwo einmal gesehen, aber ich wei� nicht mehr, wo das war und wer sie ist." Oder: "Diesen Geschmack kenne ich, aber mir f�llt der Name nicht ein." Wenn ein Sinneseindruck einen Namen hat, f�llt das Wiedererkennen leichter. Aber Sprache ist wohl grunds�tzlich nicht dazu notwendig.

*XX-182*
Das Problem der Ungewissheit lässt sich offenbar begrenzen indem man sich fragt: "Wie schlimm k�nnte es werden, wenn ich mich irre?" Man versucht, das beste aller schlechtesten m�glichen Ergebnisse zu bestimmen. Aber diese Sch�tzung kann ihrerseits ungewiss sein, man kann sich auch hier irren. Dann k�nnte man ja auch bei der Ausgangsfrage das Risiko nicht begrenzen. Wenn alles ungewiss ist, kann ein Fehler in den trivialsten Annahmen zu den allerschlimmsten Folgen f�hren.

*XX-183*
Jedoch: Wenn die Ungewissheit so grunds�tzlich wäre, k�nnte ich allerdings nicht einmal mit Gewissheit sagen, dass die Folgen tats�chlich schlimm sind. Vielleicht irre ich mich ja auch hier.

In der Wirklichkeit sieht es jedoch anders aus. Es gibt Annahmen, die sind sicherer als andere. Neben dem Denken in Gewissheiten gibt es auch und gerade im Alltag das Denken in Wahrscheinlichkeiten und M�glichkeiten.

*XX-184*
Im Englischen gibt es zum Wort "true" ("wahr�) das Wort "trust" ("Vertrauen�). TOULMIN schreibt: "Certainly the most reasonable estimate a man can make of the probability of some hypothesis depends in every case on the evidence a man has at his disposal � but equally, it depends on the same body of evidence whether he can reasonably conclude that a given statement is true. �� (Use of Arg. S.81)

Wenn wir also von einer Behauptung sagen, sie sei wahr, so sagen wir: sie kann (soll?) von jedermann mit vollkommenem Vertrauen anerkannt werden. "Wahr" hie�e dann soviel wie "trustworthy". Im Englischen h�ngen die Worte für "vern�nftig" ("reasonable") und "begr�ndbar" bzw. "Grund" auch sprachlich zusammen.

*XX-185*
"Gelten":
Man sagt: "Am kommenden Montag wird es sonnig und warm sein. Das gleiche gilt für Dienstag."
Das Wort "gelten" wird hier im Sinne von "zutreffen", "stimmen", "richtig sein" gebraucht. ähnlich bei Befehlen. Der Feldwebel sagt etwa: "Gefreiter M�ller, setzen Sie ihren Helm gerade! Das gleiche gilt auch für Sie, Maier!"   

*XX-186*
Gibt es Behauptungen, die keiner weiteren Begr�ndung mehr f�hig sind? Ein Beispiel:

Behauptung 1: "Das Papier, auf dem ich schreibe, ist liniert". Begr�ndung: "Auf dem Papier, auf dem ich schreibe, sehe ich Linien."

Auch hier handelt es sich um eine Behauptung, allerdings nicht über �u�ere Gegenst�nde, sondern über Sinneseindr�cke eines Individuums.
Auch diese Behauptung lässt sich von anderen bestreiten: "Du l�gst! Du siehst gar keine Linien, Du sagst das nur so."
Was kann der andere dagegen sagen? Er entgegnet: "Aber warum sollte ich dich anl�gen? Es gibt für mich doch gar keinen Grund (kein Motiv) dazu."

*XX-187*
Kann man sinnvoll seinen eigenen Sinneseindruck bezweifeln?
Wenn jemand sagt: "Auf dem Papier, auf dem ich schreibe, sehe ich jetzt Linien, aber ich kann mich auch irren", so wirkt das seltsam. Der Satz h�tte h�chstens dann einen Sinn, wenn man den Begriff "Linie" in einem genau definierten Sinne meint, z. B. "gerades, nicht andersfarbig unterbrochenes optisches Ph�nomen". Wenn man sich nicht sicher ist, ob das Ph�nomen zum Beispiel nicht doch irgendwo kaum merklich unterbrochen ist, kann man fragen: "Merkst Du jetzt eine Unterbrechung oder nicht?" Dann m�sste eigentlich eine eindeutige Antwort m�glich sein, oder?

Wenn mein Sinneseindruck schwankend ist, (mal sehe ich ein durchgehendes, mal ein unterbrochenes Ph�nomen), so k�nnte man das durch eine zeitliche Bestimmung ausschalten. (� zum Zeitpunkt t �)

*XX-188*
Man k�nnte auch ein psychologisches Experiment konstruieren und zum Beispiel langsam aber kontinuierlich die Beleuchtung verringern. Irgendwo wird es für die Versuchsperson einen Grenzbereich geben, indem sie sich nicht sicher ist, ob sie überhaupt eine Linie sieht oder ob er sie nur bei Dunkelheit wahrnimmt. Man sagt dann nicht: "Ich sehe eine Linie, aber ich kann mich auch irren, sondern eher "Ich glaube, ich sehe eine Linie" oder "Ich meine eine Linie gesehen zu haben." (Man k�nnte das auch an Fotografien demonstrieren, die mit abnehmender Helligkeit aufgenommen werden. Sie entsprechen dem Netzhautph�nomen, das vom Gehirn verarbeitet wird.

*XX-189*
Was sind intersubjektiv überzeugende Argumente in Bezug auf Normen? Insofern die begr�ndenden Argumente eine logische Ableitung der fraglichen Norm erm�glichen sollen, m�ssen in der Begr�ndung selber bereits normative Elemente enthalten sein. Andernfalls liegt ein Fehlschluss vom Sein auf das Sollen vor. Welches können nun diese normativen Pr�missen sein? Damit sie die gestellte Aufgabe erf�llen können, m�ssen es S�tze sein, die selber intersubjektiv unstrittig sind bzw. unstrittig gemacht werden können, vergleichbar etwa den BeobachtungsSätzen im Bereich der empirischen Erkenntnis.

*XX-190*
Die verschiedenen normativen Theorien und Ans�tze unterscheiden sich vor allem darin, welche Art von Sätzen sie als normative "Basiss�tze" in die Normenbegr�ndung einbringen:
Menschenrechte -  Locke? � /moralische Intuitionen � Ross? � /sozial aggregierte individuelle Willensinhalte - /Utilitaristen � sozial gleichgerichtete individuelle Willensinhalte �/ Vertragstheoretiker � individuelle Willensinhalte unter Bedingungen gebrochenen Eigeninteresses - Rawls , Harsanyi  / u.a.m.

*XX-191*
 Das Problem ist, wie man unter diesen verschiedenen AnSätzen begr�ndet entscheiden kann. So einfach, wie ich es mir in der Dissertation gemacht habe, geht es wohl nicht. Dort war ich davon ausgegangen, dass Solls�tze Willensinhalte ausdr�cken bzw. dass Normen die Aufgaben haben, Willenskonflikte aufzul�sen. Von dort her gelangte ich zum "solidarisch bestimmten Gesamtinteresse", den sozial aggregierten individuellen Willensinhalten als Basiss�tze der normativen Argumentation.

*XX-192*
Ein Argument für die Wahrheit des Satzes S ist eine Menge von Behauptungen, die 1. ihrerseits wahr sind (begr�ndet für wahr gehalten werden) und aus denen 2. nach g�ltigen Schlussregeln der Satz S abgeleitet werden kann. Oder sollte man besser komparativ formulieren: Eine argumentative Begr�ndung des Satzes S ist umso besser, je besser die Ausgangspr�missen der Argumentation begr�ndet sind und je zwingender der übergang von den Pr�missen zum Satz S ist. Im anzustrebenden Idealfall sind die Pr�missen wahr und die zum Satz S f�hrenden Schl�sse sind deduktiv g�ltig.

 

*XX-193*
Das Pr�dikat "wahr" bezieht sich auf S�tze. Begr�ndungen beziehen sich scheinbar auch nur auf S�tze. Das ist jedoch nur die eine Ebene. Au�erdem existiert noch die Ebene des für-wahr-Haltens, also der überzeugung. Zwischen diesen Ebenen schwanke ich in meinen Bestimmungen der Begriffe "wahr", "Begr�ndung", "Argument" etc.
Werden S�tze begr�ndet oder werden überzeugungen begr�ndet? Oder ist beides dasselbe?

*XX-194*
Logik: Wenn man die Pr�missen für wahr h�lt, dann muss man auch die daraus gezogenen Schlussfolgerung für wahr halten. Auf der Ebene des für-wahr-Haltens funktioniert die Logik wie auf der Ebene des Wahrseins. Man spricht auf beiden Ebenen ähnlich: Ein Ereignis wird als gewiss bezeichnet, aber auch der Satz der dieses Ereignis beschreibt: "Es ist gewiss, dass morgen die Sonne aufgeht". Oder: "Morgen geht die Sonne auf. Diese Erkenntnis ist gewiss."
Wie verh�lt sich beides zueinander?

"*XX-195*
"Es ist wahr, dass A gestorben ist."
"Es ist gewiss, dass A gestorben ist."

Wo liegt der Unterschied? Gewissheit ist immer Gewissheit für jemanden. Man kann zum Beispiel sagen: "Es mag wahr sein, dass A gestorben ist, aber solange ich keine Beweise für seinen Tod habe, gehe ich davon aus, dass er noch lebt."

Man kann jedoch nicht sagen: "Es mag gewiss (für mich) sein, dass A gestorben ist. Aber solange ich keine Beweise dafür habe, gehe ich davon aus, dass A noch am Leben ist."

*XX-196*
Wenn etwas (für einen selbst) gewiss ist, dann hat man dafür auch Beweise. Wenn etwas wahr ist, dann muss man dafür noch keine Beweise haben und kann deshalb sagen: "Vielleicht ist es wahr", aber nicht: "Vielleicht ist es gewiss". Der lutherische Ausspruch "Das ist gewisslich wahr" ist also keine Tautologie.

*XX-197*
Man kann gewähnlich selber einsch�tzen, wie irrtumsanf�llig eine Wahrnehmung oder eine Erinnerung bzw. die darauf aufbauende Aussage ist. Hat man klar und deutlich wahrgenommen bzw. erinnert, hat man unzweifelhaft bzw. zweifelsfrei etwas gesehen bzw. erinnert, oder hat man etwas verschwommen und undeutlich wahrgenommen bzw. erinnert. Vor Gericht spielt diese subjektive Gewissheit der Zeugen eine gro�e Rolle, bis hin zu der Frage: Kannst Du das beschwären? D.h. Bist Du dir dessen so sicher, dass Du bereit bist, im Falle der entdeckten Unwahrheit eine Strafe wegen Meineids auf dich zu nehmen?

*XX-198*
Was macht den Unterschied aus zwischen: überzeugt sein von � für wahr halten � zustimmen � bejahen � anerkennen?

*XX-199*
Ich sollte mich weniger um die Pr�zisierung eines allgemeinen Wahrheitsbegriff m�hen, als vielmehr weiter fragen: "Wie m�ssten Begr�ndungen für Normen aussehen? Welches Kriterium ist für Normen angemessen und warum?"

*XX-200*
Ich hatte als normative Frage die allgemeine Form gew�hlt: "Welche Handlung h soll Individuum P in der Situation S tun? D.h. die Frage zielt auf die einzelne Handlung eines einzelnen Individuums. In diesem Fall m�ssen in der Bestimmung der Situation S die Handlungen der anderen Individuen gegeben sein, da die Situation sonst unbestimmt wird. Das gleiche gilt wohl für die Reaktionen der anderen Individuen (einschlie�lich der sp�teren eigenen Reaktionen?). Denn nur, wenn diese gegeben sind, sind die Konsequenzen der Handlung h berechenbar. (Oder kann man hier mit Wahrscheinlichkeiten bzw. Ungewissheiten operieren?).

*XX-201*
Aber von welchen Handlungen soll man denn ausgehen? Man k�nnte in der theoretischen Analyse einmal alle m�glichen Handlungen bzw. Handlungskombination durchspielen und die Situation S entsprechend variieren. Damit ist noch nicht die Frage gel�st, von welchen Handlungen der anderen das Individuum P bei seiner eigenen Handlung/Entscheidung ausgehen soll. Aus der Perspektive des isolierten Einzelnen wird unter Umst�nden das kollektive Optimum verfehlt, wie zum Beispiel REGAN gezeigt hat. Um dies Problem zu l�sen, ist wohl die Erweiterung der Fragestellung auf Interdependenz der Handlungskombination verschiedener Individuen erforderlich.

*XX-202*
Ein Vertrag gilt meist vom Zeitpunkt des Vertragsschlusses an. Insofern kann durch ihn "Wahrheit" als zeitloses Pr�dikat nicht erzeugt werden.

*XX-203*
Der Eindruck, dass es keine zeitlos g�ltigen Normen geben k�nne, dass Normen "veralten", entsteht dadurch, dass man sich auf Norms�tze bezieht, die ein Handeln unabh�ngig von einem bestimmten Situationsbezug vorschreiben. Diese können natürlich mit dem Wandel der Situationsbedingungen veralten.

*XX-204*
"Wird es heute noch regnen?" � "Ja, h�chstwahrscheinlich wird es heute noch regnen."
Wir haben hier eine Frage und wir haben eine Antwort darauf. Die Antwort ist jedoch problematisch, Sie sagt nicht "ja" oder "nein", sondern sie sagt "ja, h�chstwahrscheinlich".
Hierzu ergeben sich Fragen:
1.)
Inwiefern ist eine probabilistische Aussage "schlechter" als eine Gewissheitsaussage? (Der Ausdruck "deterministisch" ist wohl nur sinnvoll bei Aussagen über Zusammenh�nge?) Ist Ihr Informationsgehalt geringer? Ist ihre praktische Orientierungskraft schw�cher?
2.)
Inwiefern kann man sagen, die obige Antwort sei" wahr"? Von einer übereinstimmung mit den Fakten kann wohl nicht die Rede sein. Wie k�nnte man die Wahrheitsbedingung Tarskis auf derartige S�tze anwenden?

�Der Satz:  "Heute wird es wahrscheinlich regnen" ist wahr, wenn es wahrscheinlich heute regnet.�

Das gibt wohl keinen Sinn, der über eine Tautologie hinausgeht. Andererseits hat der folgende Satz einen Sinn: �Der Satz: "Heute wird es bestimmt regnen� ist wahr, wenn es heute regnet.�

*XX-205*
Die Frage ist, was die modalen Aussagen beinhalten. Offenbar sagen sie nicht nur etwas über das Objekt aus, sondern enthalten zus�tzlich eine Information über den Grad der Verl�sslichkeit der Objektaussage. Bei den nicht-modalen, den gewissen Aussagen, ist dieser Aspekt verdeckt bzw. unausgesprochen. Gewissheit ist ja auch ein Grad der Verl�sslichkeit. (Was findet sich hierzu bei den Versuchen über modale Logik? Was ist mit den Quantoren in der Aussagenlogik wie: "Einige V�gel sind krank. � Dieser Pfau ist ein Vogel. - Also ist dieser Pfau vielleicht krank.")

Auf jeden Fall geht man mit einer probabilistischen Aussage ein geringeres Risiko ein, denn man gibt gewisserma�en nur eine halbherzige Antwort. Trotzdem ist es eine Antwort, für die man eine Begr�ndung verlangen kann. Wenn A gefragt wird: "Wird es heute noch regnen?" Und A antwortet: "Vielleicht" oder "M�glicherweise", dann kann man ihn z. B. fragen, warum er weder die M�glichkeit des Regnens noch die des Nicht-Regnens ausschlie�t. Wenn er jedoch sagt: "Ich wei� es nicht", so gibt er überhaupt keine Antwort. Da ist dann auch nichts zu begr�nden. (Was findet sich hierzu in der Wahrscheinlichkeits- und Stichprobentheorie bzw. der Theorie der statistischen Hypothesenpr�fung? Welche Art von nicht-deduktiven Schl�ssen findet hier Anwendung?)

*XX-206*
TOULMIN betont in �Uses of argument�, "dass die G�te von Begr�ndungen kontext- bzw.  zeitabh�ngig ist. ( Allerdings unterscheidet er nicht gegenüber Wahrheitsanspr�chen). Eine Voraussage mag bestm�glich begr�ndet sein und sich im Nachhinein doch als falsch erweisen (TOULMIN 235). Dies weiterverfolgen. Man gibt sein Urteil ab "nach dem Stand der Wissenschaft", "nach dem heutigen Stand der Erkenntnis". Insofern ist ein Zeitbezug da. Trotzdem streben wir nach Begr�ndungen, die auch in Zukunft Bestand haben werden.

*XX-207*
können Normen durch Sanktionen "wahr gemacht werden"? Insofern nicht, als Sanktionen bzw. Sanktionsdrohung die Situation ver�ndern. Da Normen situationsbezogen formuliert werden m�ssen, handelt es sich nach der Sanktionierung um andere Normen. Au�erdem kann durch Sanktionierung zwar Zustimmung zu einem bestimmten Handeln erzeugt werden, nicht jedoch zum sanktionierenden Handeln selber. Selbst ein allm�chtiger Gott k�nnte durch ein effektives Sanktionssystem zwar die Befolgung beliebiger Handlungsnormen den Individuen zur überzeugung werden lassen, aber damit sind die Individuen noch nicht davon überzeugt, dass So handeln und sanktionieren sollte. Sanktionen können wie die Gesamtheit der Normen st�tzen, weil sie sich nicht selber st�tzen können.

*XX-208*
Normalerweise sagt man, dass jemand dann nicht von der Richtigkeit einer Handlung oder Unterlassung überzeugt ist, wenn er dies nur im Hinblick auf die Sanktion tut. Allerdings geht in die Handlungsbeschreibung ja nicht die Situation und damit auch nicht die Sanktionsdrohung ein. Die Sanktionierung und damit der Einfluss fremden Willens sind doch von besonderer Bedeutung. Andererseits wenn jemand unter Sanktionsdrohung etwas tut, so kann er insofern von der Richtigkeit seines Tuns überzeugt sein, als er der Meinung ist, dass er in der gleichen Situation wieder so handeln sollte).

Ob ein Satz bzw. eine Behauptung wahr ist, kann sich nur an den Gr�nden bzw. Argumenten erweisen, die sich für die Wahrheit bzw. Falschheit dieser Behauptung anf�hren lassen. Diese Redeweise ist jedoch unbestimmt. Die Frage, ob eine Behauptung wahr ist, wird jeweils zu einem bestimmten Zeitpunkt gestellt. Wenn man sich zu diesem Zeitpunkt ein Urteil über die Wahrheit der Behauptung bilden will, kann man nur die Gr�nde heranziehen, die zu diesem Zeitpunkt verf�gbar sind.

Insofern ist die Beurteilung der Wahrheit einer Behauptung immer abh�ngig von einem bestimmten Zeitpunkt. Allerdings ist nicht die Wahrheit selber zeitabh�ngig. Man sagt:"Aufgrund der gegenw�rtig vorliegenden Erkenntnisse, komme ich zu dem Schluss, dass p."
Allerdings kann man in Bezug auf eine gegebene Behauptung und die dazu vorliegenden Begr�ndungen in der Regel angeben, wie weit die Behauptung durch die vorliegenden Begr�ndungen als gesichert angesehen werden kann und inwieweit mit neu aufkommenden Gr�nden gerechnet werden muss, die die bisherige Schlussfolgerung umwerfen, oder man kann angeben, welche Gr�nde noch fehlen bzw. beschaffbar sind.

*XX-209*
Warum muss ich mich auf die Frage von Kritikern einlassen, was ich denn meine, wenn ich auf Fragen wahre Antworten suche? Dann gibt es da immer den Einwand, das ganze Bedeutungsspektrum des Begriffs "Wahrheit" sei aber durch die von mir gegebene Bestimmung nicht erfasst worden. Zur Abwehr sollte ich ganz offen eine konventionelle Bestimmung von "Wahrheit" geben und sagen: "Ich suche nach Antworten, an denen jeder festhalten kann bzw. darf. Ich nenne solche Art von Antworten "wahr" (oder auch "g�ltig")". Stimmt jemand dann mit meinem  Wahrheitsbegriff nicht überein, so hat er eben eine andere Fragestellung als ich, dann sucht er eben andere Arten von Antworten als ich.

*XX-210*
Bei den positiven Behauptungen korrigieren wir unsere überzeugungen normalerweise durch unsere eigenen Erfahrungen (wenn wir lernf�hig sind). Wir können dann an bestimmten Behauptungen nicht festhalten aufgrund unserer neugewonnenen eigenen Erkenntnisse. Diese Erkenntnisse zwingen sich uns von unserem eigenen Standpunkt her auf. Dies ist bei normativen Behauptung anders. Nur bei Interessenformulierungen gibt es eine vergleichbare individuelle Korrekturinstanz.
Bei genuin normativen Behauptungen ist das nicht so. Da gibt es keine individuell zwingende Falsifikationsinstanz. Hier reicht es nicht zu fragen: "Kann ich das auch in Zukunft noch wollen?" Hier muss ich fragen: "Kann ich es auch noch wollen, wenn ich der andere wäre?" Bei normativen Behauptungen können der individuelle und der allgemeine Standpunkt auseinandertreten, bei positiven Behauptungen ist das nicht m�glich. (Wie ist das bei "inneren" Vorg�ngen? Zum Beispiel Aussagen über Schmerzen, die ich habe?)
AUSTIN weist in dem Aufsatz "Performative und konstatierende �u�erungen (1958) (auch in BUBNER: Sprache und Analysis) darauf hin, dass auch in Bezug auf Aussagen "wahr" oder "falsch" keine Sache wie "schwarz" oder "wei�" ist, dass wir nicht immer eindeutig sagen können, ob eine bestimmte Aussage wahr oder falsch ist. Die Aussage: "Oxford ist von London 69 Meilen entfernt" ist richtig oder falsch, je nachdem welchen Grad von Genauigkeit man verlangt. AUSTIN schreibt: "Unter dem Titel �Wahrheit� verbirgt sich keine einfache Qualit�t und auch keine Relation, überhaupt nicht eine Sache, sondern vielmehr eine ganze Dimension der Kritik. Wir können uns eine Vorstellung von dieser Kritik machen, vielleicht keine sehr klare Vorstellung. Klar ist nur, dass es eine ganze Menge von Dingen in dieser einen Dimension zu betrachten und zu w�gen gibt � die Tatsachen sicherlich, aber auch die Situation des Sprechenden, die Absicht, die er beim Reden verfolgt, seine Zuh�rer, Fragen der Genauigkeit usw. (p. 158 folgende)."

(Exzerpte von STRAWSON)


*XX-211*
Fragen beziehen sich auf bestimmte Handlungssituationen. Von dort her ergibt sich, welchen Grad an Genauigkeit die Antwort haben muss, um brauchbar zu sein als Antwort. Wir geben den gew�nschten Genauigkeitsgrad oft schon in der Frage an. Wir fragen etwa: "Wie sp�t ist es ungef�hr?" oder "Wie sp�t ist es genau?", wobei es beim Letzteren so gemeint ist, dass die Zeit auf die Minute genau in der Antwort angegeben werden sollte. Die Frage nach der ungef�hren Zeit stellt man etwa, wenn man sich fragt, ob man jetzt eine Pause einlegen sollte. Die Frage nach der minutengenauen Uhrzeit stellt man, wenn man zum Beispiel einen Bus nicht verpassen will. Man will ja keine Antworten mit h�chster Genauigkeit. "H�chste Genauigkeit" wäre w�rtlich genommen auch ein unerf�llbarer Standard, da man immer kleinere Sekundenbruchteile fordern k�nnte. Wo Genauigkeitsfragen auftauchen können (bei flie�enden überg�ngen zwischen verschiedenen Eigenschaften) m�sste eigentlich in der Antwort nur angegeben werden, mit welchem Genauigkeitsgrad die Antwort gemeint ist. Bei L�ngenangaben macht man dies oft durch die Zahl der Stellen hinter dem Komma deutlich, die man angibt. Die letzte Zahl ist dabei auf- oder abgerundet, so dass man die Toleranzgrenze wei�.

*XX-212*
Wenn man seinem Handeln richtige überzeugungen zugrunde legt, so hei�t das, dass man sein Handeln nicht zu bereuen braucht (intertemporale Stabilit�t) und seine überzeugungen nicht zu korrigieren braucht.

*XX-213*
In gewisser Weise ist die methodologische Fragestellung sehr abstrakt: Sie fragt nicht, wie eine konkrete Frage beantwortet werden kann, sondern wie alle Fragen einer bestimmten Art zu beantworten sind.

*XX-214*
Die Zeit schreitet fort. Damit machen wir neue Erfahrungen, gewinnen neue Erkenntnisse. Diese Erkenntnisse wirken unter Umst�nden ver�ndernd auf unsere bisherigen überzeugungen ein. Deshalb können die überzeugungen zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht das letzte Wort hinsichtlich der Wahrheit sein. Neue andere "Wahrheiten" können entdeckt werden. "Wahrheit" und "Begr�ndbarkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt" fallen deshalb nicht immer zusammen.

*XX-215*
Zum Verhältnis von Wahrheit und Begr�ndbarkeit.

Einerseits können wir wohl sagen: "Ob eine Behauptung wahr ist, lässt sich nur anhand von Gr�nden erkennen.
Andererseits muss man sagen: "Ob eine Behauptung wahr ist, h�ngt nicht davon ab, ob wir (gegenw�rtig) Gr�nde für diese Behauptung haben." Eine Aussage kann wahr sein, obwohl wir das (gegenw�rtig) noch nicht im Entferntesten ahnen. Wie geht beides zusammen?
Kann man sagen: "Ob eine Aussage wahr ist, h�ngt davon ab, ob wir sie jemals begr�nden können"? (ob wir sie im Prinzip begr�nden können / ob sie im Prinzip begr�ndbar ist?)
Was ist zum Beispiel mit dem Wissen, das jemand "mit ins Grab nimmt", wie man so sagt.

Ein Beispiel: Ein M�rder bringt sein Opfer um, und bringt anschlie�end sich selbst um. Wir wissen, dass beide noch miteinander gesprochen haben, aber wir wissen nicht, was das Opfer zum M�rder zuletzt gesagt hat. (kein gutes Beispiel).
Es mag wahr sein, dass das Opfer den M�rder beschimpft hat, aber das wird sich nie begr�nden lassen.
Man k�nnte vielleicht sagen, dass es im Prinzip begr�ndbar wäre, wenn es Ohrenzeugen oder Tonbandaufnahmen dieser Situation gegeben h�tte, bzw. wenn der M�rder oder das Opfer noch leben w�rden.

Soll man sagen: "Begr�ndbarkeit ist das Kriterium der Wahrheit"? Begr�ndbarkeit als Pr�fstein ist wohl nicht sinnvoll, denn ein Urteil mag nicht begr�ndbar sein und kann trotzdem wahr sein. Besser ist es wohl zu sagen: "Begr�ndbarkeit ist das Zeichen von Erkenntnis (bzw. Wissen)."

*XX-217*
Zur intersubjektiven übereinstimmung von Wahrnehmungen und Bewertungen.
Auch Wahrnehmungen sind genau genommen standpunktbezogen. Zugespitzt gesprochen: Auf meiner Netzhaut ergibt sich ein anderes Bild als auf deiner Netzhaut, wenn wir an verschiedenen Punkten stehen. Auch intertemporal sind meine Wahrnehmungen unterschiedlich, obwohl die Dinge unver�ndert sind, wenn ich meinen Standpunkt �ndere.

Die Dinge gelten als unver�nderlich, wenn die Wahrnehmung unver�ndert ist, falls ich meinen fr�heren Standpunkt wieder einnehme. In der Dingsprache wird von diesen je besonderen Standpunkten abgesehen. Die Dingsprache ist standpunktfrei. In ihr wird kein Subjekt mehr erw�hnt. Sie ist �objektiv�:

In dem Satz der Dingsprache: "Das Telefon steht auf dem Tisch" sind die unendlich vielen m�glichen verschiedenen Wahrnehmungen integriert. Wir lernen als Kinder ja Gegenst�nde erkennen und benennen immer schon aus den verschiedensten Perspektiven: "Dies ist ein Pferd von der Seite gesehen." � "Dies ist ein Pferd von vorne gesehen." � "Dies ist ein Pferd von unten gesehen." � "Dies ist ein Pferd von oben gesehen."

Die Kinder sprechen ja sofort in der Dingsprache: "Da, ein Pferd!" Die Dingsprache erm�glicht eine intersubjektiv übereinstimmendes Bild der Welt, wie sie ist.
Wie ist das bei Bewertungen, bei Normen? Die Bewertungen sind je nach dem Standpunkt (Situation, Lage) unterschiedlich. Wir können allerdings auch einen Standpunkt, den wir gegenw�rtig nicht einnehmen, vorstellungsm��ig mehr oder weniger detailliert nachvollziehen. Dabei spielen Unterschiede der Pers�nlichkeit eine viel gr��ere Rolle als bei Wahrnehmungen.

*XX-218*
Was hei�t bei meiner Explikation von "Wahrheit" "intersubjektive übertragbarkeit" und "intertemporale Zuverl�ssigkeit"? Mit der intersubjektiven und intertemporalen Stabilit�t der Behauptungen ist natürlich nicht eine übertragbarkeit der überzeugungen durch Indoktrination oder L�gen gemeint. Und mit "intertemporaler Stabilit�t" ist nicht die M�glichkeit eines bornierten Festhaltens an den eigenen überzeugungen gemeint. Gemeint ist, dass jeder aus Einsicht daran festhalten kann.

Oder ist damit nur gesagt: "Wenn ein Satz wahr ist, dann ist er auch wahr für jeden und wahr jederzeit?"

*XX-219*
Wenn ich die Frage stelle: "Ist dies Urteil wahr?", so stelle ich zugleich die Frage: "Soll ich (und jeder andere) an diesem Urteil festhalten?" Oder: "Soll ich (und soll jeder andere) dies Urteil weiterhin für wahr halten?"
Was macht man, wenn man einen Satz für wahr h�lt?
Zum einen ist das wohl ein psychischer Akt: man ist überzeugt, stimmt zu, bejaht etc.
Zum andern hat es Konsequenzen für das eigene Handeln.
Aber sind die zwei Fragen "Ist dies wahr?" und "Soll ich dies für wahr halten?" wirklich gleichbedeutend? Bei der zweiten Frage k�nnten ganz andere Gesichtspunkte auftauchen, etwa Gr�nde, sich selbst zu bel�gen (wenn es so etwas gibt). Dies wird offensichtlich bei der Frage, ob jeder andere dies Urteil für wahr halten soll. Vielleicht m�chte man jemand anderen in dieser Frage lieber t�uschen und die Wahrheit vor ihm geheim halten.

*XX-220*
Wie ist der "vern�nftige" und der empirischen Zusammenhang zwischen überzeugung und Handeln? In vielen F�llen handelt man entgegen seinen empirischen oder normativen überzeugungen - oder?

*XX-221*
Wenn man fragt: "Was spricht für oder gegen eine Behauptung?", so ist das ungenau. Dann k�nnte man gegen eine Behauptung auch ins Feld f�hren, dass sie umst�ndlich formuliert sei, dass ihre Verbreitung für mich nachteilige Folgen haben k�nnte, dass sie nichts Neues bringt, dass sie von einem unmoralischen Menschen hervorgebracht wurde, dass sie mich langweilt, usw. usf.
Deshalb muss man hinsichtlich der Begr�ndung einer Behauptung genauer fragen: "Was spricht für oder gegen die Wahrheit einer Behauptung?" Es geht um wahrheitsrelevante Gr�nde. Die Wahrheit einer Behauptung lässt sich nur begr�nden durch die Herleitung aus anderen Behauptungen, deren Wahrheit hinreichend gesichert ist bzw. erscheint.

 

*XX-222*
Man sagt oft: "Ich kann zu recht vermuten (behaupten, bezweifeln, bestreiten�), dass�" oder: "Ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass�, oder: "Man kann berechtigterweise davon ausgehen, dass�" oder: "Er bestreitet die Behauptung nicht ohne eine gewisse Berechtigung �

Woraus ergibt sich diese Berechtigung? An welchem Standard misst sich diese? Die Berechtigung ergibt sich wohl aus den Gr�nden, die jemand für eine Behauptung nennen kann. 


*XX-223*
In Diskussionen kommt es darauf an, dass der Behauptende selber die Gr�nde für seine Behauptung parat hat. Dies ist ganz extrem verwirklicht in Zivilprozessen, wo jede Partei in der Regel die Beweislast für ihre Behauptungen tr�gt. Ansonsten z�hlen seine Behauptungen nicht.

*XX-224*
Man spricht von "berechtigtem Zweifel" oder "berechtigter Vermutung", wenn man auch von "begr�ndetem Zweifel" oder "begr�ndetem Verdacht" sprechen k�nnte.

Man spricht oft auch von "handfesten Beweisen" oder "Beweisst�cken". Wie verhalten sich derartige Indizien oder Demonstrationen zu "Beweisen" im Sinne von "Begr�ndungen"? Ein simples Beispiel: Person A behauptet, dass er an der linken Hand nur 4 Finger hat. Dies wird bezweifelt. Zum Beweis h�lt A seine linke Hand für alle sichtbar in die H�he. Man sagt dann vielleicht: "Der Anblick (oder der Augenschein) hat alle davon überzeugt, dass A ein Finger an seiner rechten Hand fehlt."

Das Ganze l�uft ohne jede verbale Begr�ndung. Wie h�tte eine verbale Ausformulierung der Gr�nde auszusehen?
Die Behauptung lautet: "Person A hat an seiner linken Hand nur 4 Finger." �
 Die Personen B, C, D,� haben die Hand gesehen und best�tigen intersubjektiv übereinstimmend, dass sie an der rechten Hand von A nur 4 Finger gesehen haben."

(für Unbeteiligte m�ssten natürlich noch zus�tzliche Annahmen gemacht werden:
1. dass der Bericht über den Vorgang glaubw�rdig ist,
2. dass die Zeugen glaubw�rdig sind.)

*XX-255*
überhaupt spielt das methodische Erzeugen von Begr�ndungen in der Wissenschaft eine gro�e Rolle. Evidenzen sind keine gewähnlichen Argumente, die ihrerseits deduktiv begr�ndet werden m�ssten, sondern es sind Aussagen, die sich aus eigener Kraft "behaupten" und somit einen geeigneten Anfang für die Begr�ndung der strittigen Thesen bilden. Welche Aussagen evident sind und welche es nicht sind ist eine zentrale Fragestellung der wissenschaftlichen Methodologie.)

*XX-256*
Intertemporale Stabilit�t als Bestandteil von Wahrheit.
Wenn ich einen Satz heute für wahr halte und ich halte ihn morgen nicht mehr für wahr, dann muss ich mich zumindest einmal geirrt haben. Was heute wahr ist, muss auch gestern wahr gewesen sein und es muss auch morgen noch wahr sein.

*XX-257*
Intersubjektive übertragbarkeit als Bestandteil von Wahrheit.
Wenn ich einen Satz für wahr halte und ein anderer h�lt ihn nicht für wahr, so muss sich mindestens einer von uns irren.

*XX-258*
Was wird beim Argumentieren vorausgesetzt?
Dass man alle vorgebrachten Argumente unvoreingenommen pr�ft und gelten lässt,
dass man versucht, zus�tzliche relevante Argumente zu gewinnen,
dass man ehrlich ist und nicht wider besseres Wissen falsche Argumente einbringt.

(Es folgen Exzerpte von HEMPEL und AJDUKIEWICZ)

*XX-259*
Ich gehe davon aus, dass (normative) Wahrheit oder Falschheit den Antworten auf normative Fragen zukommt bzw. den damit gegebenen Behauptungen (oder Urteilen). Nun spricht man jedoch auch Handlungen Richtigkeit zu. Dies kann man jedoch als abgeleitetes Ph�nomen ansehen: Handlungen sind richtig, insofern sie richtigen (bzw. wahren) normativen Behauptungen entsprechen. Wenn also über die Richtigkeit der Handlung h gestritten wird, so wird genau genommen über die Richtigkeit des Satzes: "h soll sein" gestritten.

*XX-260*
Noch einmal genau darlegen, warum Wahrheit und Begr�ndung zusammengeh�ren, und warum Wahrheitsüberzeugungen nur durch Argumente beeinflusst werden können (und nicht durch Zwang, Indoktrination, Eigeninteresse etc.). Aber damit �ndert man noch nicht das für-wahr-halten des Gefolterten, seine überzeugung.
Au�erdem mag es unbewusste Prozesse zur Reduzierung psychischer Dissonanz geben, etwa indem man sich auf die Seite der st�rkeren Bataillone schl�gt und sich einredet, man sei nicht der Gewalt gewichen, sondern der eigene Sinneswandel beruhe auf einer begr�ndeten Meinungs�nderung. Wie man sieht, ben�tigt man auch in diesem Fall der Begr�ndung des eigenen Sinneswandels.

Aber wird eine überzeugung nicht auch durch eigene Erlebnisse, Offenbarungen, Eingebungen, neue Erfahrungen beeinflusst und nicht nur durch Argumente? Beides ist jedoch nicht alternativ: Diese neuen Erlebnisse, Erfahrungen etc. lassen sich ja als Argumente formulieren.

*XX-261*
Handelt es sich bei diesem Zusammenhang zwischen für-wahr-halten und Argumentation um eine empirische psychologische Regelm��igkeit, um eine Norm der Vern�nftigkeit oder um einen analytischen begrifflichen Zusammenhang? Hier trifft wohl das zweite zu.

*XX-262*
 "Woher nimmst Du das Recht zu einer solchen Behauptung?" fragt man. Behauptungen erfordern eine entsprechende Berechtigung, sie erfordern Gr�nde. Warum darf man nicht grundlos irgendwelche ungepr�ften Behauptungen in die Welt setzt? Weil man damit unwahre Behauptungen und deren Anerkennung fürdert, was wiederum Schaden anrichten kann. Welche normativen Gesichtspunkte stehen hinter diesem Argument?

*XX-263*
"Dieser Satz ist wahr!" bedeutet unter anderem: "Dieser Satz ist beizubehalten und von anderen zu übernehmen."
"Dieser Satz ist falsch" bedeutet unter anderem: "Dieser Satz bzw. die entsprechende überzeugung ist aufzugeben und von andern nicht zu übernehmen."

(Es folgt ein l�ngerer Text von RESCHER, nicht übernommen) 

*XX-264*
(Einschub zum Probleme der Gleichheit.)
Werden die knappen Mittel der Bed�rfnisbefriedigung auf alle Individuen gleichm��ig verteilt, so kann sich vielleicht niemand so weit von den unumg�nglichen M�hen der Existenzerhaltung befreien, um für weitergehende kreative T�tigkeiten freigesetzt zu werden, die ein bestimmtes Ma� an musse erfordern. Eine egalit�re Gesellschaft ist vergleichsweise statisch, was die technische, soziale und kulturelle Entwicklung angeht. Sie ist insofern schw�cher als eine Gesellschaft mit einer Klassenstruktur. Ist die egalit�re Gesellschaft deshalb in Bezug auf die Interessen zuk�nftiger Generationen problematisch?]

*XX-265*
Ich habe darauf hingewiesen, dass intersubjektive übertragbarkeit und intertemporale Best�ndigkeit die Suche nach Wahrheit erst lohnend macht. A. fragt dagegen, ob ich damit eine utilitaristische Begr�ndung des Wahrheitsbegriffs suchen und Wahrheit nach N�tzlichkeit beurteilen will.
Das ist von mir natürlich nicht beabsichtigt. Wenn ich zum Beispiel darauf hinweise, dass es lohnend ist, nach kausalen Zusammenh�ngen zu suchen, (weil man mit der Kenntnis von Ursachen die Dinge gezielt ver�ndern kann) so folgt daraus nicht, dass man deshalb die N�tzlichkeit zum Kriterium dafür macht, ob ein bestimmter Kausalzusammenhang besteht oder nicht.

*XX-266*
Ich sage nur, dass es sinnvoll ist, das normative Erkenntnisproblem so zu formulieren, dass nach Antworten auf normative Fragen gesucht wird, die eine person- und zeitunabh�ngige Geltung beanspruchen können, weil nur derartige Antworten im Falle eines Konfliktes eine argumentative L�sung erlauben. Wenn für mich eine Norm wahr ist, die für dich falsch ist, und wir sollen beide Recht haben, so kann es keine argumentative L�sung geben. Wenn S�tze erlaubt sind wie:" Norm N ist zwar für dich richtig, aber falsch für mich" so ist jegliche Diskussion über Wahrheit am Ende.

*XX-267*
A. fragt, ob die universale argumentative Konsensf�higkeit ein Wahrheitskriterium ist. Darüber bin ich mir nicht klar. In der positiven Wissenschaft spricht man gewähnlich von der Beobachtbarkeit als Wahrheitskriterium.

Ich hatte geschrieben: "Die G�te der Begr�ndung für eine Norm misst sich daran, inwieweit sie jedes wahrheitssuchende Individuum von der Wahrheit überzeugen kann." A. fragt: "Ist das Kriterium hinreichend oder notwendig für Wahrheit oder formuliert es eine noch komplexere Bedingung?"

Wenn das, (die argumentative Konsensf�higkeit) eine notwendige und hinreichende Bedingung wäre, so hie�e das: "Der Satz �T ist wahr� bedeutet: "für den Satz p ist eine Begr�ndung vorhanden, die jedes wahrheitssuchende Individuum von dessen Wahrheit überzeugen kann" oder "Satz p ist dann und nur dann wahr, wenn für p eine Begr�ndung vorhanden ist, die jedes wahrheitssuchende Individuum von dessen Wahrheit überzeugen kann."

So formuliert ist das wohl nicht richtig. Ein Satz ist unabh�ngig davon wahr oder falsch, ob wir ihn hier und heute begr�nden können bzw. dessen Verneinung begr�nden können. Der Satz "Auf der R�ckseite des Mondes gibt es zum Zeitpunkt t Krater wie auf der Vorderseite" war vor 50 Jahren schon so wahr oder falsch wie heute, obwohl vor 50 Jahren noch kein Mensch jemals diese Mondseite gesehen oder fotografiert hatte und dieser Satz vor 50 Jahren im Unterschied zu heute noch nicht allgemein überzeugend begr�ndet werden konnte.(Die Begr�ndung eines Satzes entscheidet also nicht über die Wahrheit des Satzes an sich, sondern darüber, ob wir rationaler Weise berechtigt sind, dem Satz Wahrheit zuzusprechen oder nicht (ihn zu behaupten, für wahr zu halten, von ihm überzeugt zu sein).

*XX-267*
Wahrheit und Verf�gbarkeit einer allgemein überzeugenden Begr�ndung fallen nicht zusammen (andererseits fallen sie wohl auch nicht v�llig auseinander), weil sich die verf�gbaren Begr�ndungen im Zeitverlauf �ndern können, der Wahrheitswert eines Satzes jedoch nicht. (Andererseits wäre es wohl wenig sinnvoll, S�tze zuzulassen wie "Dieser Satz ist wahr, aber es ist unm�glich und undenkbar, dass dieser Satz jemals begr�ndet werden kann" - oder?
Nehmen wir folgenden Fall an: Ich setze mich in eine Sandgrube und f�lle einen L�ffel mit Sand. Ich sage dann: "Auf diesem L�ffel befinden sich jetzt 341 Sandk�rner" und kippe den L�ffel wieder aus. Damit ist wohl ausgeschlossen, dass jemals eine Begr�ndung dieses Satzes bzw. seiner Verneinung gegeben werden kann. Trotzdem mag der Satz zuf�lligerweise wahr gewesen sein.

*XX-268*
Die Begr�ndbarkeit ist kein notwendiges Kriterium für die Wahrheit eines Satzes. Dieser Satz kann wahr sein, ohne dass wir ihn hier und heute begr�nden können. Die Begr�ndbarkeit ist auch kein hinreichendes Kriterium für die Wahrheit eines Satzes, es können ja neue Argumente auftauchen, die die jetzige Begr�ndung infrage stellen. Die Begr�ndbarkeit (oder besser: Die allgemein überzeugungsf�hige Begr�ndung) eines Satzes berechtigt jedoch, für den Satz Wahrheit zu beanspruchen, d.h. ihn zu behaupten, ihn für wahr zu halten, an ihm festzuhalten, ihn den anderen als überzeugungsinhalt zu empfehlen etc.

(Es folgt ein Text von AJDUKIEWIC.)

*XX-269*
Ich habe formuliert: "Die G�te der Begr�ndung für eine Norm bemisst sich daran, inwieweit sie jedes wahrheitssuchende Individuum von der Wahrheit überzeugen kann". A. fragt: "Was sind wahrheitssuchende Individuen? Wird das Kriterium hier nicht zirkul�r?" Wollte man das Attribut "wahrheitssuchend" ganz weglassen, so stellt sich das Problem, dass faktisch bestimmte Individuen für Argumente in der betreffenden Frage unempf�nglich sind und deshalb auch nicht überzeugt werden können. Dies ist etwa der Fall bei "hermetischen Vorurteilen" � ("Das ist alles kleinb�rgerliche Ideologie") wo die betreffenden Individuen gar nicht bereit sind, die vorgetragenen Argumente zur Kenntnis zu nehmen oder gar unvoreingenommen zu pr�fen, d.h. wo sie sich gar nicht ernsthaft auf eine Diskussion einlassen und wo sie Ihre überzeugungen gar nicht infrage stellen lassen.

Es wäre jedoch unsinnig, solchen Dissens der jeweiligen Begr�ndung anzulasten, denn hier w�rde jede denkbare Begr�ndung versagen, diese Individuen zu überzeugen und von ihren Vorurteilen abzubringen.

Ein anderes Problem ist mangelnde Kompetenz von Individuen, die Begr�ndung zu verstehen und den Gedankengang nachzuvollziehen. Dies schlie�t das überzeugt werden durch die Begr�ndung aus, ohne dass dies der Begr�ndung angelastet werden kann. Denn angesichts bestimmter Intelligenzm�ngel muss jede Begr�ndung mit einem noch h�heren Komplexit�tsgrad hinsichtlich der überzeugungs�nderung versagen.

Gibt es weitere Qualit�ten, die man in Bezug auf die zu überzeugenden Individuen verlangen kann? Kann man verlangen, dass die Individuen davon absehen, welche ganz pers�nlichen Interessen, W�nsche, Bed�rfnisse etc. sie selber haben?

*XX-270*
�blich ist ja auch die Formulierung, dass eine Begr�ndung umso besser ist, je besser sie m�glichen bzw. vorgebrachten Einw�nden standh�lt. Kann man sagen: "Eine Begr�ndung kann nur an Einw�nden scheitern, nicht jedoch am puren Faktum, dass Individuen nicht überzeugt wurden? Z�hlt das nicht-überzeugt- werden nur, insofern es sich in einem g�ltigen Gegenargument ausdr�cken kann? Offenbar ist die blo�e Feststellung; Das überzeugt mich nicht" kein relevanter Einwand gegen eine Begr�ndung.:" In Bezug auf welche Elemente (Pr�missen, Folgerungen, Ableitungsregeln) oder Man kann dann versuchen, die als strittig genannten Elemente ihrerseits zu begr�nden und ebenfalls nach m�glichen Einw�nden gegen diese Begr�ndung zu suchen.

*XX-271*
Aus welchen Gr�nden auch immer: Man entwickelt Vorlieben für bestimmte Aussagen und Abneigungen gegen bestimmte andere Aussagen. Diese Emotionen d�rfen bei der Pr�fung der Wahrheit von Aussagen keine Rolle spielen.

*XX-272*
Gefordert werden muss auch Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit bei den an der Diskussion Beteiligten; also bei den Individuen, im Bezug auf welche die überzeugungskraft einer Begr�ndung gepr�ft wird. Sie m�ssen es zugeben, wenn für sie ihre Position unhaltbar geworden ist bzw. wenn sie überzeugt wurden. Bei Gericht ist das anders.

*XX-273*
Zum Zusammenhang von überzeugung und Handeln.
Handelt der T�ter wider besseres Wissen, wenn     er seine T�terschaft leugnet, entsprechend seiner überzeugung? Tut das der L�gner? Tut das jemand, der sich zum Beweis des Gegenteils auf die für falsch gehaltene überzeugung des Anderen einlässt?

*XX-274*
Gesucht sind wahre Antworten auf normative Fragen. Kann es auf die gleiche Frage mehrere unterschiedliche Antworten geben, die alle richtig sind? Wohl nur, wenn die Frage nicht pr�zise gestellt war. Dies weiterverfolgen! Welche Anforderungen sind an die Fragen zu stellen? (292)  

Warum muss eine Behauptung, also ein Anspruch auf Wahrheit, vom Behauptenden begr�ndet werden? Warum tr�gt sich eine Behauptung nicht selber? Mit einer Behauptung verbindet sich ja der Anspruch, dass sie geglaubt wird, dass jeder sie für wahr h�lt.

*XX-275*
Hier kommen die Individuum ins Spiel. Ihnen gegenüber soll die Behauptung begr�ndet, bewiesen, demonstriert werden, damit sie für wahr gehalten wird. Aus diesem Grunde muss die Behauptung auf Argumente gest�tzt werden, die allen Adressaten einsichtig sind bzw. einsichtig gemacht werden können (und auf eindeutige Schlussweisen).

*XX-276*
Man m�sste dies "wissenschaftliche" bzw. rationale Verfahren der Argumentation einmal konfrontieren mit anderen Verfahren, bei Individuen bestimmte überzeugungen zu erzeugen: Autorit�tsgl�ubigkeit, Hypnose, Gehirnw�sche, Offenbarungserlebnisse und Halluzinationen, fr�hkindliche in Doktrinen, Ausnutzung von Konformismus Streben, Anerkennung durch die soziale Umwelt, Seelen Massage jeder Art, versteckte Appelle an das Eigeninteresse ...

*XX-277*
Man sagt: "Die Antwort war fast richtig" oder: "Die Antwort war v�llig falsch". Man stuft hier zwischen "wahr" und "falsch" ab, etwa wenn die Temperatur, die Uhrzeit, oder die Wahlergebnisse gesch�tzt werden sollen. 

*XX-278*
Wenn man sagt, man sucht nach Wahrheit bzw. nach wahren Antworten, so darf diese Aufgabe nicht so verstanden werden, wie wenn man nach vierbl�ttrigen Kleebl�ttern sucht. Im letzteren Fall ist es so, dass man ein vierbl�ttriges Kleeblatt unmittelbar als solches erkennen kann, wenn man es vor sich hat. Mit wahren Sätzen ist das nicht so. Wahrheit ist keine Eigenschaft, die dem Satz als solchem irgendwie anhaftet.
Unter 10 m�glichen Antworten mag die richtige sein. Ich mag sie vor mir aufgeschrieben haben neben neun anderen, die falsch sind. Aber ich wei� dann immer noch nicht, welche Antwort
 wahr ist. Wahrheit ist keine Eigenschaft, die dem Satz als solchem irgendwie wie anhaftet. Unter zehn m�glichen Antworten mag die richtige sein, ich mag sie vor mir aufgeschrieben haben neben neuen anderen, die falsch sind. Aber ich wei� dann immer noch nicht, welche Antwort wahr ist. Es bedarf also zus�tzlicher Pr�fungsverfahren, um die wahre Antwort als solche zu erkennen und zu bestimmen.

*XX-279*
Die Begr�ndung ist hier ein Verfahren (Oder ist sie das einzige Messverfahren? lässt sich Wahrheit nur an Gr�nden erkennen?) Was macht seine besondere Eignung aus? Sie f�hrt zu überzeugungen, die das betreffende Individuum vor sich selber begr�nden kann.

Warum sollte das aber so sein? Weil andernfalls diese überzeugung indiskutabel wäre, das hei�t, dass eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Position sinnlos wäre? Man k�nnte eine solche Position nur noch als solche identifizieren. Aber warum soll man Fragen wissenschaftlich l�sen?
Man k�nnte dies wohl begr�nden, aber das wäre wiederum eine inhaltliche normative Frage, die bereits eine normative Methodologie voraussetzt.

*XX-280*
Vor Gericht wird von den Zeugen verlangt, die "ganze" Wahrheit zu sagen. Dies spielt zum Beispiel eine Rolle bei Antworten, die aus Konjunktionen bestehen. "Wann haben sie den Get�teten am letzten Montag gesehen?" �"Ich habe ihn um 9:00 Uhr fr�h gesehen." Dieser Satz mag richtig sein, aber er ist nur die halbe Wahrheit, wenn der Befragte den Get�teten noch einmal abends um 22:00 Uhr gesehen hat. Die ganze Wahrheit wäre: "Ich habe den Get�teten am letzten Montag um 9:00 Uhr fr�h und um 22:00 Uhr abends gesehen".


*XX-281*
A. fragt kritisch gegen meine Formulierungen: "Ist also das �überzeugt-sein durch Argumente� eine notwendige Bedingung für Wahrheit? Wenn für einen Satz keine überzeugende Begr�ndung existiert, dann kann er auch nicht wahr sein."

Das wäre wohl falsch. Ein analoger Satz: "Im Bereich der Milchstra�e gibt es Himmelsk�rper mit organischem Leben". Dieser Satz mag wahr sein, obwohl dafür heute noch keinerlei allgemein überzeugende Begr�ndung gegeben werden kann. Solange bleibt die Behauptung "unentschieden", �strittig�, �offen�, �vertretbar�
.
�Notwendige Wahrheitsbedingung� w�rde bedeuten: "Wenn ein Satz wahr ist, dann muss dafür auch eine allgemein überzeugende Begr�ndung gegeben werden können". Auch das wäre nicht richtig. Denn der oben genannte Satz mag wahr sein, ohne dass heute eine überzeugende Begr�ndung dafür gegeben werden kann.

*XX-282*
Behauptungen werden durch Argumente begr�ndet, die ihrerseits Behauptungen sind, also ihrerseits begr�ndet werden m�ssen, wozu wiederum Behauptungen verwendet werden, usw. Endet also die Begr�ndung in einem infiniten Regress (oder Zirkel)? Dies muss zum Gl�ck nicht sein, denn es gibt begr�ndungsrelevante Argumente, bei denen die Frage nach weiteren Begr�ndungen sinnlos wird. Wenn ich etwa sage: "Ich sehe jetzt den Zeiger auf der 10 stehen", so wäre es sinnlos für mich, hier nach weiteren Begr�ndung zu suchen, um mir der Wahrheit dieser Feststellung sicherer zu werden.

ähnliches gibt es wohl auch im normativen Bereich. Wenn ich etwa sage: "Ich will jetzt lieber etwas essen als weiter zu hungern", so wäre es ebenfalls sinnlos für mich, hier nach weiteren Begr�ndungen zu suchen, um mit dieser Feststellung bzw. ihrer Wahrheit sicher zu werden.

*XX-283*
Aus den verschiedenen Geltungsanspr�chen, die mit Wahrheit verbunden sind, ergibt sich, dass es unzul�ssig ist, das Wort "wahr" folgenderma�en zu verwenden:
"Dieser Satz ist heute falsch aber war gestern wahr" und
"Dieser Satz ist für mich falsch, aber er ist für dich wahr."


*XX-284*
"Wahr" ist ein vertracktes Pr�dikat von Sätzen. Wahrscheinlich ist es eher wie ein Titel, der dem Satz verliehen wird, als eine Eigenschaft des Satzes. Ein Satz ist "wahr", hei�t, dass er von jedermann geteilt werden soll (kann?) bzw. geglaubt werden soll (kann).

*XX-285*
RESCHER macht eine interessante Unterscheidung zwischen einem garantierenden und einem berechtigenden Kriterium (in Skirbek). für "Wahrheit" kann es nur berechtigende und keine garantierenden Kriterien geben.

*XX-286*
Die Begr�ndung ist ja nur der Versuch, die Wahrheit einer Behauptung dadurch zu demonstrieren dass man diese Behauptung unter Verwendung g�ltiger Schlussweisen aus anderen Behauptungen ableitet, deren Wahrheit unstrittig ist

*XX-287*
A. fragt, ob die allgemein überzeugende Begr�ndbarkeit eine hinreichende Bedingung für Wahrheit ist. Das hie�e: "Immer wenn eine Behauptung allgemein überzeugend begr�ndet ist, dann ist sie wahr." Dies kann h�chstens so gelten, dass man dann berechtigt ist, eine Behauptung als wahr zu bezeichnen, dass man Wahrheit dafür beanspruchen darf, aber nicht im Sinne eines garantierenden Kriteriums, einer definitiven Feststellung von Wahrheit.

*XX-288*
Warum ist es nicht sinnvoll, hier ein garantierendes Wahrheitskriterium einzuf�hren? Dies h�ngt wohl damit zusammen, dass im Zeitverlauf neue Erkenntnisse auftauchen können und damit auch neue Argumente in Bezug auf die fragliche Behauptung. Insofern sind Begr�ndungen � zumindest was die Empirie angeht � nicht abschlie�bar. Der Nachteil eines garantierenden Wahrheitskriteriums wäre, dass man sich damit vor neuen Erkenntnissen verschlie�en w�rde. Aber gibt es Erkenntnisbereiche, in denen man sicher ist, dass keine neuen und relevanten Argumente mehr auftauchen können?

*XX-289*
A. fragt, ob in meiner Konzeption der Konsens etwas mit Wahrheit oder auch mit guten Gr�nden zu tun hat. Ich hatte in meinem 1. Brief geschrieben: "Wenn wir nach Antworten suchen auf normative Fragen, so suchen wir nach Antworten, von deren Wahrheit m�glichst jedermann jederzeit allein durch Argumente überzeugt werden kann; kurz gesagt: Wir suchen nach argumentativ konsensf�higen Normen."

Im n�chsten Brief hatte ich geschrieben: "Wenn ich über überzeugende Gr�nde verf�ge, so bin ich berechtigt, einen Wahrheitsanspruch für den betreffenden Satz zu erheben bzw. ihn zu behaupten, das hei�t jedoch nicht, dass der Satz damit definitiv wahr ist."
A. schreibt: "Problematisch ist die Beziehung, dass p konsensf�hig ist und deshalb begr�ndet. Die Begr�ndung best�nde dann in der Zustimmung seitens vieler Individuen, wobei die Zustimmung selbst nicht normativ qualifiziert werden darf, soll das Ganze nicht zirkul�r werden. Man kann die Frage, um die es geht, auch so formulieren:
Wie verhalten sich die beiden folgenden S�tze zueinander:
(1) �Ich bin epistemisch berechtigt zu glauben, dass p�    und:
(2) �Alle r-Personen w�rden ebenso glauben, dass p�
 

Das r in (2) soll dabei andeuten, dass der Typ von Personen weiter qualifiziert werden muss, etwa als �rational�. Ich glaube nun nicht, dass man (1) mit (2) explizieren kann, ohne dass man in �r� das hinein steckt, was in �epistemischer Berechtigung� auch schon steckt."
Dazu schreibe ich:

*XX-290*
"Begr�ndet wird ein Anspruch auf Wahrheit in Bezug auf einen bestimmten Satz, also ein Anspruch auf allgemeine interpersonale und intertemporale G�ltigkeit für diesen Satz.

Eine Begr�ndung ist umso gelungener, je überzeugende sie für jedermann ist. Jemanden von einem Satz zu überzeugen hei�t, ihn durch Darlegen von Argumenten zur Bejahung, zum für-wahr-halten des Satzes zu bewegen. �Argumentative Konsensf�higkeit� hei�t, dass jedermann allein durch Argumente zur Bejahung (zum für-wahr-halten) des Satzes gebracht werden kann. Das Problem steckt in dem Wort �kann�

*XX-291*
"Kann" ist ein M�glichkeitsbegriff: Unter welchen Bedingungen ist es m�glich, dass jedermann durch Argumente von der Wahrheit eines Satzes überzeugt wird (bzw. zur Bejahung dieses Satzes gebracht wird?) Wenn man sagt: �Etwas ist m�glich�, dann muss es nicht real bzw. aktuell sein. Aber es m�ssen Bedingungen angegeben werden, unter denen es real wird. (Gemeint ist hier nicht: "zuf�llig m�glich". Sonst wäre ununterscheidbar, ob etwas m�glich ist oder nicht.)
Wenn jemand durch eine Argumentation nicht überzeugt wird, die jemand anderen überzeugt, so zeigt das, dass einzelne Elemente der Argumentation strittig sind. Bewegt man sich auf einer anderen Ebene, wenn man sagt, dass man sich dann nicht einig darüber ist, was (in diesem Fall) als eine überzeugende bzw. gute Argumentation zu gelten hat? Das wäre dann die methodologische Ebene.

*XX-292*
Die Begr�ndungen von Behauptungen haben für verschiedene Individuen insofern verschiedene überzeugungskraft, als die Individuen verschiedene Standorte in der Welt einnehmen mit entsprechend verschiedenen Wahrnehmungen und Erkenntnism�glichkeiten. Angenommen, A kann ein Ereignis direkt beobachten und B kann dies nicht. Ich brauche dann gegenüber A nicht zu begr�nden, dass er selber etwas Bestimmtes sieht, aber ich muss gegenüber B begr�nden, dass A etwas Bestimmtes sieht.
B kann Behauptungen sinnvoll bezweifeln, die A nicht sinnvoll bezweifeln kann.

*XX-293*
Die Frage, ob ein bestimmtes Argument ein gutes Argument ist, wird nicht nur am Einzelfall entschieden. Wenn man sagt: "Das Argument x ist ein gutes Argument", so bezieht man sich auf bestimmte (konsenserzeugende) Eigenschaften dieses Argumentes. D.h. aber, dass alle Argumente mit diesen Eigenschaften gute Argumente sein m�ssen. Hier kann man HAREs Universalisierbarkeitsprinzip (in der elementarsten Form) heranziehen, das ja für alle Urteile gilt(?).

*XX-294*
Man sagt bei strittigen Fragen manchmal: "In Bezug auf diese Frage sind unterschiedliche Positionen vertretbar." D.h. für verschiedene miteinander unvereinbare Antworten existieren (= sind bekannt) fast gleich gute Begr�ndungen. Oder schw�cher: Es gibt mehrere nicht widerlegte Antworten auf eine Frage. Man spricht auch von "legitimen (verst�ndlichen, berechtigten) Meinungsverschiedenheiten". Daraus ergibt sich ein Pluralismus der Meinungen. Solange eine Frage nicht definitiv beantwortet ist (und wann ist sie das schon) ist dieser Pluralismus konkurrierender Wahrheitsanspr�che sinnvoll. Denn er erlaubt es jedem, seine Meinung als Arbeitshypothese weiterzuverfolgen und nach weiteren Evidenzen für ihre Richtigkeit zu suchen.

*XX-295*
Die Frage, die ich weiterverfolgen muss: "Warum ist die Beschaffenheit der individuellen Interessen relevant für die Beantwortung normativer Fragen?" Eine L�sung wäre, dass ich mich bewusst auf solche Normen beschr�nke, die geeignet sind, Konflikte zwischen individuellen Interessen (Willen) zu l�sen. Aber das wäre eine definitorische L�sung. Die resultierenden Normen w�rden nur unter dem Vorbehalt gelten, dass keine anderen Gesichtspunkte normativ wirksam bzw. relevant sind.

*XX-296*
TOULMIN meint (�Place of Reason .. ), dass es keinen Zweck hat, der allgemeinen Frage nachzugehen was gute Gr�nde sind:

*XX-297*
TOULMIN will die Kriterien für ethische Argumente durch eine Bestimmung der �Funktion� der ethischen Argumentation in der Praxis gewinnen. Aber die Probleme von Funktionsbestimmungen diskutiert er nicht weiter. Au�erdem ist für ihn Bezugspunkt, wie eine Pflicht oder etwas ähnliches in der gesellschaftlichen Praxis tats�chlich erkannt wird. Das ist letztlich ein Vertrauen darauf, dass es, so wie es ist, auch gut ist.

*XX-298*
Die Frage:
 "Warum sind für die Richtigkeit normativer Behauptungen die (aufgekl�rten) Willen der Individuen entscheidend?" mit der Frage vergleichen:
"Warum sind für die Richtigkeit positiver Behauptungen die (überpr�ften) Beobachtungen der Menschen entscheidend?"
Beides ist ja keine Frage der reinen Logik oder Begriffsbedeutung. Im Falle der normativen Behauptungen m�sste die Begr�ndung wohl so laufen, dass in Bezug auf andere normative Ausgangspunkte der Argumentation  gezeigt wird, dass sie nicht direkt konsensf�hig sind, sondern ihrerseits der Rechtfertigung bed�rfen, dass sie insofern nicht als Basiss�tze normativer Argumentation geeignet sind. Das wäre zu zeigen für Rechte, Werte etc. als gegebene Basis der normativen Argumentation.

*XX-299*
Wenn man den Ausgangspunkt normativer Argumentation beim Willen (bzw. Wohlergehen) der Individuen nimmt, dann entspricht das strukturell dem Vorgehen bei individuellen Entscheidungen.  Auch dort wären ja nicht nur die eigenen Interessen des betreffenden Individuums sondern auch die vom Individuum verfolgten Werte, Ideale, Normen zu ber�cksichtigen, die ebenfalls in seinen Pr�ferenzen Ausdruck finden.

Wenn man als Ausgangspunkt normativer Argumentation bereits moralische Intuitionen nimmt, so entspricht das eher der Struktur der Erfahrungswissenschaft, wo ebenfalls bereits empirische Wahrnehmungen zum Ausgangspunkt genommen werden. Individuelle Interessen m�ssen dagegen erst durch das Solidarit�tsprinzip oder etwas Entsprechendes aggregiert bzw. transformiert werden.

*XX-300*
Es kann natürlich auch sein, dass sowohl individuelle Interessen als auch moralische Intuitionen Ausgangspunkte normativer Argumentation sein können. Allerdings w�rde die Theorie dadurch erheblich komplizierter.

*XX-301*
Wertungen können nur dann Ausgangspunkte sein, wenn sie hinreichend konsensf�hig sind und wenn sie prim�r sind. (was hei�t hier "prim�r"?)

(Es folgen Zitate von PATZIG sowie SIDGWICK; TUGENDHAT; UND LEIST.)        

*XX-302*
A. schreibt zustimmend zu Tugendhat: "� dass die übereinstimmung allein nicht hinreichend (für Wahrheit) ist. Wichtig ist die übereinstimmung in korrekten Argumenten und das Kriterium für korrekte Argumente ist nicht wiederum die übereinstimmung. Dass der Satz: �Dieser Fleck ist rot� richtig ist, ist nicht allein dadurch gegeben, dass alle mit mir übereinstimmen, sondern dadurch, dass das Pr�dikat in seiner Anwendung so geregelt ist, dass die übereinstimmung in diesem Urteil richtig ist."

*XX-303*
Nehmen wir das Beispiel "Dieser Fleck ist rot". Wenn wir uns fragen, ob dieser Satz wahr ist, welche Rolle spielt dabei seine argumentative Konsensf�higkeit? Wie kann Person A die Behauptung �Dieser Fleck ist rot� begr�nden? A sagt: "Ich sehe diesen Fleck deutlich vor mir und ich sehe, dass er rot ist."
Die Begr�ndung der Behauptung eines Sachverhaltes erfolgt also durch die Behauptung über eine entsprechende (visuelle) Wahrnehmung. Warum ist diese Begr�ndung normalerweise als Begr�ndung allgemein überzeugend? Sie ist dies unter zwei Voraussetzungen. Die eine ist die, dass A bei der Mitteilung über seine Wahrnehmung nicht bewusst l�gt. Die andere Voraussetzung ist, dass A mit dem Wort �rot� dasselbe meint wie wir, n�mlich die Farbe reifer Tomaten.

Wenn A. weder bewusst irref�hren will, noch Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache hat, so ist der Hinweis, dass er den Fleck mit eigenen Augen gesehen hat, normalerweise eine allgemein überzeugende Begr�ndung für den Satz: �Dieser Fleck ist rot�, d.h. der Satz ist argumentativ konsensf�hig.

*XX-304*
Aber warum ist der Hinweis auf die deutliche visuelle Wahrnehmung ein allgemein überzeugender Grund? Der Begr�ndung hierfür liegt meines Erachtens darin, dass ein bestimmter Farbton, den jemand deutlich vor sich sieht, auch von anderen normalerweise als derselbe wahrgenommen wird und A deshalb berechtigt ist, den Satz als wahr zu behaupten.  "Normalerweise" deshalb, weil natürlich die F�higkeit, zu sehen und farbig zu sehen von Individuum zu Individuum schwanken kann.

H�tte A als Begr�ndung für seine Behauptung gesagt: "Immer wenn ich die Augen schlie�e und mich ganz auf die zwei Worte �dieser Fleck� konzentriere, so habe ich die Eingebung �rot�", so h�tte die Begr�ndung sicherlich niemanden überzeugt, eben weil es keine intersubjektive übereinstimmung bei derartigen Eingebungen gibt.

Nach dieser Auffassung stellen Hinweise auf Wahrnehmungen aus methodologischen Gr�nden gute Argumente bei Fragen nach der Beschaffenheit der Welt (speziell nach der fürbung von Gegenst�nden) dar.

*XX-305*
Gegen diese Auffassung w�rde TUGENDHAT wahrscheinlich einwenden, dass jemand, der sich bei der Frage nach der Farbigkeit von Gegenst�nden nicht auf seinen Farbeindruck im direkten Ansehen des Gegenstandes beruft, den Sinn des Satzes und speziell des Wortes "rot" gar nicht verstanden habe: Die Bedeutung des Satzes "Dieser Fleck ist rot" w�rde durch dessen Verifikationsregeln ausgemacht und diese bez�gen sich auf empirische Wahrnehmung.

So selbstverst�ndlich, wie uns die Berufung auf direkte Wahrnehmung im Falle der Farbe eines Fleckes auch ist, so würdech doch bezweifeln, dass sie in der Bedeutung des Wortes "rot" bereits enthalten ist, dass man die Frage, ob etwas rot ist durch Hinsehen und nicht durch meditative Eingebung, Tr�ume, etc. zu entscheiden habe.
Mir scheint, dass dabei die von der modernen Erfahrungswissenschaft gepr�gte Weltsicht unter der Hand in die Sprache und ihre Bedeutung hineingelegt wird. A klassifiziert solche S�tze von vornherein als empirische S�tze, d.h. er klassifiziert sie vom Verifikationskriterium der Empirie her.

Man k�nnte sie aber z. B. auch neutraler als "positive S�tze" oder "Feststellungen" bezeichnen.

T. w�rde wahrscheinlich weiter einwenden, dass das Wort "rot" ja nicht anders erlernt werden kann, als durch das Ansehen von Gegenst�nden, die vom Sprachlehrer als "rot" bezeichnet werden. Damit geh�re das direkte Hinsehen zur Bedeutung des Wortes "rot". Aber Methoden des Lebens und Lernens sind mit der gelehrten Bedeutung ja nicht identisch. (N�her begr�nden).

*XX-306*
Wenn man aber nun der Auffassung zustimmt, dass der Sinn eines Satzes in den Regeln seiner Verifikation besteht, kann man dann nicht immer noch sagen, dass dann eben die Verfahren der Sinnvermittlung und Sinngebung von Sprache so konstruiert sind, dass Intersubjektivit�t und Konsensf�higkeit entsteht. Dass es sich um ein Prinzip der Methodologie handelt, wird daran deutlich, dass es dazu dient, bestimmte S�tze als "sinnlos" auszugrenzen, eben jene, für die kein Verifikationsverfahren angegeben werden kann. Was ist mit dem Satz: "Dieser Mann ist von einem Teufel besessen"? Was sind die Verifikationsregeln für den Satz: "x ist von einem Teufel besessen"?

*XX-307*
Dass ein Wort wie "rot" Bestandteil der Sprache ist, also gelehrt und gelernt werden kann, setzt schon so etwas wie eine übereinstimmende diesbez�gliche Wahrnehmung voraus. Angenommen wir w�rden nur schwarz-wei� sehen können oder besser: angenommen die Farben würdendividuell im Gehirn hinzu koloriert, so wäre ein Wort wie "rot" nicht lehr- und lernbar, es sei denn, bestimmte Farben w�rden immer mit bestimmten anderen Ph�nomenen verbunden auftauchen etwa bestimmte Stimmungen, Erkrankungen, physiologische Zust�nde etc..

Was macht denn der Sprachlehrer, wenn er die Verwendung eines Wortes lehrt? Nehmen wir Worte, die sich nicht durch R�ckgriff auf andere bereits bekannte Worte definieren lassen, wie "rot" oder "blau". Der Sprachlehrer hat vor sich und dem Sch�ler ein Bilderbuch, in dem ein roter und ein blauer Ball gemalt sind. Er zeigt auf den gemalten roten Ball und sagt: "Dieser Ball ist rot". Dann zeigt er auf den gemalten blauen Ball und sagt: "Dieser Ball ist blau". Der Lehrer arbeitet dabei selber mit Behauptungen, d.h. er demonstriert den Gebrauch des Wortes "rot" in der Praxis. Er fragt dann vielleicht den Sch�ler: "Welcher von den B�llen ist rot?" Der Sch�ler zeigt auf einen der B�lle. Wenn er auf den roten Ball zeigt, sagt der Lehrer: "Richtig, dieser Ball ist rot. Wenn er auf den blauen Ball zeigt, sagt der Lehrer: "Falsch, dieser Ball ist nicht rot, dieser Ball ist blau".

Wenn das Sprachlernen in der beschriebenen Weise verl�uft, so ist die Vermittlung des richtigen Wortgebrauchs ununterscheidbar vom Erlernen des Aufstellens wahrer Behauptungen.

Der Gebrauch des Wortes "rot" wird hier also erlernt unter der Bedingung, dass der rote Gegenstand  vom Lehrer und vom Sch�ler deutlich gesehen werden kann. Nur wenn der Sch�ler den Farbeindruck selber hat, kann er ihn mit dem zugeh�rigen Wort "rot" verbinden.

Wenn der Lehrer die B�lle in verschlossenen Blechdosen h�tte und sagen w�rde: "In dieser Dose ist ein roter Ball und in jener Dose ist der blaue Ball", so k�nnte der Sch�ler das Wort "rot" nicht erlernen. Der Sch�ler muss den visuellen Roteindruck haben, um eine Assoziation mit dem Wort "rot" im Gehirn herstellen zu können.

*XX-308*
Angenommen, diese Verbindung ist für den Lernenden hergestellt. Er kann also auf Befragen unter mehreren gezeigten Gegenst�nden die roten Gegenst�nde heraussuchen. Ist damit auch gesagt, dass er wei�, dass man den Gegenstand direkt ansehen muss, um zu entscheiden, ob er rot ist oder nicht? Ist das mit "Verifikation" gemeint? Geh�rt das zur Bedeutung des Wortes "rot"? Ich glaube nicht. (Ich m�sste dazu nochmal TUGENDHATS Interpretation von TARSKI lesen)

Das Erlernen des Wortes "rot" in der oben beschriebenen Weise setzt voraus, dass der Sch�ler die Sprache des Lehrers erlernen will. Das hei�t, dass der Lehrer bestimmt, welche �u�erung des Sch�lers richtig sind und welche nicht. Der Sch�ler erkennt die Autorit�t des Lehrers in dieser Hinsicht an, d.h, die �u�erung des Sch�lers kann nur richtig sein, wenn sie mit der �u�erung des Lehrers übereinstimmt bzw. wenn der Lehrer die �u�erung als richtig best�tigt.

Insofern ist das Sprachlernen bereits auf übereinstimmung angelegt: Der Sch�ler will dieselbe Sprache sprechen wie der Lehrer. Das Sprachlernen kann nur funktionieren, wenn der Lehrer wahre �u�erungen macht bzw. wenn der Sprachlehrer selber seine Begriffe konsistent benutzt. Das erfolgreiche Sprachlernen unterliegt gewissen Regeln, die sich wohl mit den methodologischen Regeln decken.

*XX-309*
W�rde sich die Situation �ndern, wenn das Sprachlernen nicht im praktischen Gebrauch beim behaupten realer Sachverhalte erfolgen w�rde, sondern ausdr�cklich als Information über den Sprachgebrauch. Der Sprachlehrer w�rde dann sagen: "Die Farbe dieses Balles nennt man in der deutschen Sprache �rot�. Die Farbe jenes Balles nennt man in der deutschen Sprache �blau�".

Zur Kontrolle des Lernens w�rde der Lehrer fragen: "Wie nennt man die Farbe dieses Balles?" und er w�rde gleichzeitig auf einen Ball zeigt, etwa den roten. Wenn der Sch�ler auf die Frage antwortet: "Die Farbe dieses Balles nennt man �rot�", so wird der Lehrer sagen: "Richtig, die Farbe dieses Balles nennt man �rot�."
Der Lehrer kann dies aber nur dann sagen, wenn er tats�chlich auf den roten Ball gezeigt hat. Also wird auch die Wahrheit des Satzes: "Der Lehrer zeigt auf den roten Ball" vorausgesetzt.

*XX-310*
Angenommen, ich habe mit Person A einen Dissens über den Satz: "Dieser Fleck ist rot". Wie kann ich feststellen, ob er den Gebrauch des Wortes �rot� nicht beherrscht oder ob er einen anderen Fehler macht? Vorausgesetzt sei, dass der Fleck tats�chlich rot ist. Vorausgesetzt sei au�erdem, dass der Dissens nicht dadurch beseitigt werden konnte, dass ich A den Fleck aus der N�he bei Tageslicht vorgef�hrt habe.

Ob A die Bedeutung des Wortes "rot" kennt, k�nnte man feststellen, indem man ihm verschiedene Gegenst�nde pr�sentiert und ihn auffordert, die roten Gegenst�nde auszusuchen. Wenn er etwa alle gr�nen Gegenst�nde als rot identifiziert, so kann man daraus schlie�en, dass er das Wort �rot� anders als �blich verwendet, so dass es einer übersetzung bedarf, um den sprachlich bedingten Dissens zwischen uns aufzul�sen. (Eventuell verstellt er sich aber auch nur bewusst.)

Man k�nnte ihn auch fragen: "Wie bezeichnest Du die Farbe reifer Tomaten?" Wenn er diese Frage mit "gr�n" beantwortet, so erkennt man, dass er das Wort "rot" anders als �blich verwendet.

Ob A sich verstellt oder den Dissens ernst meint, k�nnte man folgenderma�en "testen". Man setzt ihn vor einen Apparat mit Kn�pfen von unterschiedlicher Farbe und sagt ihm: "Beim Ert�nen eines Summtons musst Du innerhalb von 3 Sekunden den roten Knopf dr�cken. Andernfalls bekommst Du einen schmerzhaften Elektroschock."
Wenn er trotzdem nicht den roten sondern einen anderen Knopf dr�ckt, so zeigt dies, dass er seine Behauptung über die Farbe reifer Tomaten wohl ernst und ehrlich meint.

*XX-311*
Das Sprachlernen ist ganz auf Konsens angelegt. Der Sch�ler wird durch Nachahmen dazu gebracht, den Gegenst�nden dieselben Farbworte beizulegen, wie es der Lehrer tut. Ma�stab des erfolgreichen Sprachlernens ist es, wie weit die �u�erungen des Sch�lers mit denen des Lehrers übereinstimmen. Einen Dissens kann der Sch�ler mit dem Lehrer sinnvollerweise erst dann haben, wenn er die Sprache bereits beherrscht.

Wenn der Lehrer selbst Fehler macht, z. B. die Farbe einer gelben Blume aus Versehen als �rot� bezeichnet und ansonsten aber diese Art von Blumen als "gelb" bezeichnet, so muss das den Sch�ler verwirren und sein Sprachlernen behindern.

Das Sprachlernen erfolgt bei Menschen allerdings so, dass gelegentliche Ausrutscher eliminiert werden. Das ist bei Computer anders, die auf solche Inkonsistenzen bei der Programmierung total reagieren w�rden. Allerdings reicht dort zum Lernen auch ein einmaliger Befehl, und es bedarf nicht der h�ufigen Wiederholung, wie beim menschlichen Sprachlernen.

*XX-312*
Das Sprachlernen ist nur dann erfolgreich, wenn die Worte an den typischen, den charakteristischen Anwendungsf�llen gelernt werden, wo die sachliche Richtigkeit der �u�erung v�llig unproblematisch ist. Wenn die Worte an Grenzf�llen ihrer Anwendung exemplifiziert werden, ist das Lernen erschwert oder v�llig unm�glich. Dies ist etwa der Fall, wenn die Worte �rot� und �gelb� nicht an den reinen Farbt�nen, sondern an eher r�tlichen oder eher gelblichen Oranget�nen gelernt werden.

Der Sch�ler kann nur das mit unterschiedlichen W�rtern bezeichnen, was er auch als unterschiedlich wahrnehmen kann. Und er kann nur das mit dem gleichen Wort bezeichnen, was er in Bezug auf das relevante Merkmal als �gleich� wahrnehmen kann. Wenn ein Sch�ler von seinem Lehrer eine bestimmte Sprache mit einem bestimmten Wortschatz erlernen kann, so zeigt das, dass er über ein entsprechend differenziertes Wahrnehmungsverm�gen verf�gt.

*XX-313*
Behauptungen, die W�rter oder Wendungen enthalten, die für mich nicht verst�ndlich gemacht werden können, deren Verwendungsregeln ich nicht erlernen kann, sind für mich indiskutabel. Einen Wahrheitsanspruch für derartige Behauptungen zu erheben wäre unsinnig. Man kann nicht etwas für wahr halten, das man gar nicht versteht. 

*XX-314*
TUGENDHAT zum Problem Wahrheit � Begr�ndung � Bedeutung:
T. schreibt in "Logisch semantische Pr.�" S.221, �"dass wir eine Aussage nur verstehen, wenn wir wissen, was der Fall ist, wenn sie wahr ist, und d.h. weiterhin: wenn wir wissen, wie sie zu verifizieren ist. In "Probleme der Ethik" schreibt er (Seite 61) "für einen empirischen Satz gilt, dass sein Begr�ndungskriterium letztlich die Erfahrung ist, und wenn wir uns �  nach der Begr�ndung dieses Begr�ndungskriteriums fragen, ergibt sich, dass es in der Bedeutung eines empirischen Satzes gr�ndet� Diese Behauptung lässt sich ihrerseits nur begr�nden durch eine semantische Analyse der entsprechenden S�tze. �. 
Wenn es sich um die Frage handelt, wie ein bestimmter Typus von Sätzen zu begr�nden ist oder ob er gar nicht zu begr�nden ist, sehen wir uns auf die semantische Struktur dieser S�tze verwiesen."

Man hat einen bestimmten Typus von Behauptungen und fragt, wie man für oder gegen derartige Behauptungen argumentieren kann, wie ein Wahrheitskriterium für derartige Behauptungen zu bestimmen sei. Aber ist es in den Erfahrungswissenschaften nicht eher umgekehrt?: Man hat das Kriterium der Beobachtung. Welche Behauptungen mit diesem Kriterium zu erfassen sind, bestimmt den Bereich der Erfahrungswissenschaft. Was au�erhalb des Kriteriums der Beobachtung liegt, darüber enth�lt man sich als Wissenschaftler des Urteils.

K�nnte man im normativen Bereich ähnlich vorgehen und sagen: Wir haben das Kriterium des solidarisch bestimmten Gesamtinteresses und beschr�nken uns in unseren Urteilen auf diejenigen Normen, die diesem Kriterium zug�nglich sind, die also den Zweck haben, Interessenkonflikte zu entscheiden?

Aber gibt es Normen, die sich nur auf Interessen beziehen? können nicht immer auch andere Gesichtspunkte oder Kriterien auf dieselben Normen angewandt werden? Wie ist das bei positiven Aussagen? K�nnte man das Problem aufl�sen durch den Nachweis, dass die andern Gesichtspunkte nicht konsensf�hig sind?

T. verlegt offenbar alle methodologischen bzw. wissenschaftstheoretischen Probleme in die Semantik: "Wenn es sich darum handelt, wie ein bestimmter Typus von Sätzen zu begr�nden ist, sehen wir uns auf die semantische Analyse verwiesen (P. d. Ethik, S.61). Man muss demnach nach der Bedeutung des Satzes, der S�tze und Worte fragen. Die Bedeutung eines Satzes zu wissen, hei�t dann, zu wissen, wie er zu verifizieren ist.

Damit ist das Problem der Begr�ndung gel�st, die Methodologie in die Semantik eingegliedert. Aber stimmt das? Nehmen wir den Satz: "Sie sind gestern um 12:30 Uhr auf der Hauptstra�e mit Ihrem PKW schneller als 50 km/h gefahren". Wie kann man begr�nden, ob jemand schneller als 50 km/h gefahren ist? Sagt uns die semantische Analyse, ob die pers�nliche Einsch�tzung eines Polizisten, ich sei ca. 60 km/h gefahren, eine hinreichende Begr�ndung ist oder ob die Messung durch einen Radarwagen eine hinreichende Begr�ndung der obigen Behauptung ist?

Wie lernt der Sprachsch�ler die Verwendungsregeln der W�rter und S�tze? Kriterium, ob der Sch�ler diese Regeln befolgt, ist die übereinstimmung mit dem Lehrer. Der Konsens ist also das einzige Merkmal, an dem der Lehrer feststellen kann, ob der Sch�ler die Worte korrekt gebraucht, ob er dieselben Verwendungsregeln bzw. Begr�ndungsregeln befolgt.

*XX-315*
Moralische Normen sind unbedingte, absolute Normen, insofern ihre Geltung nicht aus irgendeinem vorausgesetzten Normsystem abgeleitet wird. Es geht um die Frage: Was soll ich tun, ohne wenn und aber: Nicht: Was soll ich tun, wenn ich das geltende Recht, die geltende Moral, Sitte, Kondition, Etikette o.�. beachten will und auch nicht: Was soll ich tun, wenn ich mein Wohlergehen verfolgen will o.�. Insofern fordert die moralische Entscheidung Autonomie und erkennt keine andere Autorit�t an als die Vernunft.

*XX-316*
Wenn ich die Farbe eines Gegenstand als "rot" bezeichne und ein Farbenblinder kann mir nicht zustimmen, so lässt sich insofern zwar kein Konsens herstellen, aber es besteht zwischen mir und dem Farbenblinden auch kein Dissens. Er widerspricht mir nicht, er kann mir auch gar nicht widersprechen, denn für ihn hat das Wort "rot" keine Bedeutung (es sei denn, er kann Farben auf anderem Wege für sich unterscheidbar machen, etwa über die Messung der Lichtfrequenzen). Der Farbenblinde ist für die Frage, ob etwas rot ist, unzust�ndig.

Wir lernen die beschreibende Sprache an eindeutigen Standardf�llen, für die eine gemeinsame Wahrnehmungsbasis existiert: Standard der Wortverwendung sind F�lle der unmittelbaren, gegenw�rtigen Wahrnehmung: "Dieser Fleck ist dunkelblau". Dann folgt die Anwendung auf gegenw�rtig nicht wahrnehmbare Gegenst�nde. "Das Hemd, das ich gestern trug, war blau". Stellt sich das Wahrheitsproblem erst auf dieser Stufe, nicht jedoch für die Standardf�lle?

TUGENDHAT w�rde wohl sagen: "Ein Satz ist wahr, wenn er korrekt entsprechend den für ihn geltenden Verwendungsregeln angewandt wurde, und nicht, wenn er konsensf�hig ist."

Aber das Kriterium für die korrekte Verwendung der Sprache (die korrekte Befolgung der sprachlichen Verwendungsregeln) ist doch seinerseits der Konsens.

*XX-317*
über die Standardf�lle der Sprachverwendung kann man sich nicht sinnvoll streiten. Ein Dissens hier w�rde nur zeigen, dass man keine gemeinsame Sprache spricht. Es wäre ein Streit um Worte, aber kein inhaltlicher Konflikt.

*XX-318*
Am Rande: Ein lehrreiches Beispiel für Wissenschaftsfeindlichkeit mit allen problematischen Konsequenzen findet sich in H. Str. Chamberlains  "Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts". S. 292

A macht die Unterscheidung zwischen einem Hintergrundkonsens (=HK) und einem Wahrheitskonsens (= WK). Der Hintergrundkonsens bezieht sich auf Hintergrundannahmen der Erkenntnis und ist notwendige Bedingung für m�gliche Erkenntnis.

Einen Schl�ssel zur Bestimmung des Hintergrundkonsens haben wir mit der übereinstimmung in den Bedeutungsregeln.

Der WK bezieht sich dagegen auf eine bestimmte Erkenntnis. Die Frage, um die es dabei geht, formuliert A so: "In welchem Verhältnis steht "Die Mitglieder der Gruppe G stimmen mit Gr�nden R darin überein, dass p" zu: "Es ist der Fall, dass p?" (soweit A)

Seiner Meinung nach bezogen sich meine Ausf�hrungen nur auf den Hintergrundkonsens und sind insofern keine Antwort auf seine Skepsis hinsichtlich des WK.

*XX-319*
Kamlah/Lorenzen schreiben: "Wenn auch jeder andere, der mit mir dieselbe Sprache spricht, der sachkundig und vern�nftig ist, einem Gegenstand nach geeigneter Nachpr�fung den Pr�dikator P zusprechen w�rde, dann habe auch ich das Recht zu sagen: "Dies ist P" (Dann kommt der Pr�dikator  P diesem Gegenstand zu). Und wenn diese Bedingung erf�llt ist, dann darf ich ferner sagen: "Die Aussage �Dies ist P� ist wahr." (Dann kommt der Pr�dikator �wahr� dieser Aussage zu) oder auch: "Die Behauptung �Dies ist P� ist berechtigt." (In Skirrbek S.485f.) "Jeder andere kann sich davon überzeugen und muss mir dann zustimmen:"

*XX-320-*
Ich hatte geschrieben: "Die übereinstimmung in Bezug auf die exemplarischen Standardf�lle des Wortgebrauchs ist geradezu der Ma�stab des Erfolgs beim Erlernen der Sprache."

A sieht hier Zirkularit�t: "Wie kann ich denn wissen, dass ich mit B hinsichtlich "Es regnet jetzt" übereinstimme, wenn ich nicht unterstellen darf, dass B "Es regnet jetzt" genauso verwendet wie ich?

A verweist dazu auf DAVIDSONs "Belief and the Basis of Meaning". Ohne Ds Aufsatz zu kennen, würdech darauf erst einmal folgendes antworten:
Ob ich mit B hinsichtlich des Satzes "Es regnet jetzt" übereinstimme, sehe ich doch daran, dass B diese Aussage in Bezug auf die gleichen für uns beide eindeutig wahrnehmbaren Ph�nomene macht wie ich.

Wenn es sich allerdings um Aussagen über Ph�nomene handelt, die wir nicht gemeinsam wahrnehmen oder wahrgenommen haben, zum Beispiel "Gestern hat es in Hamburg geregnet", mag es sein, dass wir beide diesem Satz zustimmen, diese übereinstimmung jedoch irref�hrend und nur scheinbar ist, weil wir beide unter "regnen" etwas Verschiedenes verstehen, ohne es zu merken.

Und wenn es sich um ein Ph�nomen handelt, das im Grenzbereich des Wortes �regnen� liegt, etwa �Schneeregen�, so m�gen wir in dem Satz "Es regnet jetzt" übereinstimmen, obwohl B etwas anderes meint als ich, weil er �schneien� als �regnen� bezeichnet.

A wendet weiterhin ein, dass man die übereinstimmung im Wortgebrauch auch durch verbale Erl�uterungen feststellen k�nnte, ohne gleichzeitig testen zu m�ssen, ob man darin übereinstimmt, dass es jetzt de facto regnet. Dies ist wohl richtig, gilt jedoch nur für abgeleitete Begriffe, die sich durch Definition mit anderen Begriffen gewinnen lassen. Es kann nicht für alle Begriffe einer Sprache gelten.

Beim Sprachlernen wird nicht so vorgegangen, dass die Grundbegriffe durch Aufzeigen definiert werden ("Dies ist �rot�") und die abgeleiteten Begriffe verbal mit den Grundbegriffen definiert werden, sondern auch die ableitbaren Begriffe werden - wenn m�glich - durch Aufzeigen definiert. Es bleibt dabei unklar, welches die Grundbegriffe sind und welches die abgeleiteten. So wie in einem einsprachigen W�rterbuch werden die W�rter wechselseitig auseinander erkl�rt, ohne eine eindeutige Hierarchie von grundlegenden und abgeleiteten Begriffen einzuhalten. (Man m�sste daraufhin einmal W�rterb�cher wie das Oxford Dictionary untersuchen).

Mit As Unterscheidung von Hintergrundkonsens und Wahrheitskonsens habe ich meine Schwierigkeiten. Wenn der Hintergrundkonsens in der übereinstimmung in Bezug auf die Wortbedeutung besteht o.k., aber wie ist es mit intersubjektiv übereinstimmenden Beobachtungen bzw. Wahrnehmungen? Ist das auch Hintergrundkonsens, dass ein Augenzeuge hinsichtlich der Wahrheit einer Aussage in der Regel entscheidend ist?

*XX-321*
Wenn man davon ausgeht, dass jede Aussage entweder wahr oder falsch ist, und wenn man sich zugleich klarmacht, dass über viele Aussagen kein Konsens herstellbar ist, weil sie nicht ausreichend überpr�fbar sind, so folgt daraus, dass es viele wahre Aussagen gibt, über die kein Konsens herstellbar ist. Aus diesem Grunde z�gere ich, Konsensf�higkeit als Definiens oder als Kriterium für "Wahrheit" zu nehmen, und formuliere deshalb:
"Man ist nur dann berechtigt, eine Aussage als wahr (oder falsch) zu behaupten, wenn die Aussage argumentativ konsensf�hig ist."
Ein Beispiel: Vor mir liegt ein Haufen mit Erbsen. Ich greife in den Haufen hinein und f�lle meine rechte Hand mit Erbsen. Dann sage ich: "Jetzt befinden sich in meiner rechten Hand 107 Erbsen." Dann leere ich meine Hand wieder und lege die Erbsen zur�ck. Ob tats�chlich 107 Erbsen in meiner Hand waren, wird nie mehr feststellbar sein, ein Konsens über diese Aussage erscheint unm�glich. Insofern ist es problematisch zu sagen: "Eine Aussage ist dann wahr, wenn über sie ein Konsens herstellbar ist."

Das Problem lie�e sich dadurch umgehen, dass man sich auf "ideale Erkenntnisbedingungen" bezieht. Das tun wohl Kamlah/Lorenzen, wenn sie sagen, dass jeder bei geeigneter Nachpr�fung zustimmen w�rde. Dabei bleibt offen, was "ideale Erkenntnisbedingungen" sind bzw. was eine "geeignete Nachpr�fung" ist. Ist hier der von A befürchtet Zirkel zu erwarten? Ist eine vollst�ndige Auflistung der geforderten Erkenntnisbedingungen m�glich? Steckt hier nicht die gesamte Methodologie drin, die ihrerseits als unkontrovers vorausgesetzt wird?

Auf mein Beispiel bezogen k�nnte man sich wahrscheinlich einigen, was eine "geeignete Nachpr�fung" der Anzahl der Erbsen in meiner Hand gewesen wäre, das Abz�hlen. (�brigens setzen auch Kamlah/ Lorenzen <Ich bin berechtigt zu sagen: �Dies ist P� ist wahr> gleich mit <�Dies ist P� ist wahr>.)

*XX-322*
Wie h�ngt "Ich bin berechtigt zu behaupten, dass P wahr ist" mit "P ist wahr" zusammen? Meine Berechtigung ergibt sich aus den Gr�nden für die Wahrheit von "P ist wahr".

"Wahrheit" bedeutet G�ltigkeit für jeden und für immer. Aber weil man u.U. nicht wei�, ob ein Satz wahr ist, man kann nicht sagen: "Wenn ein Satz wahr ist, dann muss ihm jeder jederzeit zustimmen". Aber zul�ssig ist: "Wenn ein Satz als wahr erwiesen ist, dann muss ihm jeder jederzeit zustimmen."

*XX-323*
Wenn sich zwei kleine Kinder, Peter und Klaus, auf dem Spielplatz um den Besitz einer Backform streiten, so ist das in gewisser Weise auch ein Streit um Normen, also um das, was sein soll. Peter sagt: "Gib mir die Backform!" bzw."Du sollst mir die Backform geben!" Und Klaus sagt:"Lass mir die Backform!" bzw. "Du sollst mir die Backform lassen!", wobei Peter versucht, die Backform Klaus aus der Hand zu rei�en.

Hier steht einfach Wille gegen Wille. Die jeweilig gewollten Zust�nde der Welt, sind miteinander unvereinbar: Entweder benutzt jetzt Klaus oder Peter die Backform, jedoch können nicht beide gleichzeitig die Backform haben.

Von einem solchen Konflikt des Wollens und der Imperative muss der Fall unterschieden werden, wo jemand eine Norm formuliert mit dem Anspruch, recht zu haben, und wo jemand anders die Norm bestreitet, indem er zugleich bestreitet, dass der andere Recht hat.

Hier einmal die Unterschiede zwischen beiden F�llen sorgf�ltig herausarbeiten. Woran erkennt man, dass jemand eine formulierte Norm nicht als blo�e subjektive Willens�u�erung sondern als "g�ltige" ("richtige") Norm meint?

Entscheidend ist wohl, welche Art von Gr�nden angef�hrt werden, um der ge�u�erten Norm Nachdruck zu verleihen."

Klaus: "Warum soll ich dir die Backform geben?"
Peter: "Weil ich es so will."
Klaus: "Warum soll ich das tun, was du von mir willst?"
Peter: "Weil ich dich sonst haue." Oder:
          "Weil ich Dir sonst nichts von meiner Schokolade abgebe."

Letztlich m�ssen die Gr�nde Appelle an das Eigeninteresse des Normadressaten sein, wobei dies Interesse auch durch Sanktionsdrohungen oder Versprechungen noch eigens verst�rkt sein kann.
(? Wo ist die "vern�nftige" oder die "einvernehmliche" L�sung des Konfliktes?

*XX-324*
Aber wie ist es, wenn jemand zwar nicht an individuelle Interessen, aber an spezifische überzeugungen appelliert. Bei einem Mohammedaner argumentiert er etwa mit Vorschriften des Korans, die dieser für g�ltig h�lt. Wie ist es bei "immanenter Kritik"? Hier orientiert sich zumindest der eine Partner an "g�ltigen" Normen.

*XX-325*
Tugendhat sagt, dass Intersubjektivit�t kein Kriterium sondern eine Folge der Wahrheit einer Aussage ist. Aber wieso ist sie das? Und was macht das für einen Unterschied? Wenn das Ph�nomen B immer eine notwendige Folge für das Vorliegen von A ist, dann kann B als Kriterium für das Vorhandensein von A dienen.

*XX-326*
Wenn ich etwas behaupte, dann fordere ich alle zur Zustimmung auf: "Ja, so ist es" bzw." Ja, so soll es sein." Die Frage ist dann: Behaupte ich es zu Recht bzw. fordere ich alle zu Recht zur Zustimmung auf? Aber was hei�t hier: "zu Recht"?

*XX-327*
Kann man sagen: "Gegen die Regeln der Argumentation kann man nicht argumentieren, da man sie dazu gleichzeitig in Anspruch nehmen muss" ? Das klingt logisch. Aber kann es nicht sein, dass Argumentation in einer bestimmten Form durch eine Mehrzahl von Regeln konstituiert wird, die jedoch nicht s�mtlich bei jedem einzelnen Argument Verwendung finden. Dann k�nnte man unter Umst�nden gegen eine bestimmte, einzelne Argumentationsregel argumentieren, ohne sie dabei in Anspruch nehmen zu m�ssen. Dann wäre auch eine argumentative Weiterentwicklung des Sprachspiels Argumentation m�glich. (Das zu Kuhlmann)

*XX-328*
Bei jeder Argumentation muss man die Voraussetzung machen, dass es m�glich ist, vom andern verstanden zu werden, mit ihm eine gemeinsame Sprache zu finden. Wenn das nicht m�glich wäre, wäre Argumentation sinnlos. Aber die Suche nach Verständnis kann auch vergeblich sein.

 *XX-329*
Unsere Wahrnehmungen der Welt m�ssen intersubjektiv ähnlich strukturiert sein, sonst k�nnten wir keine gemeinsame Sprache sprechen. Ich kann W�rter wie "Auto (oder "Schmerz") nur jemandem beibringen, wenn dieser zwischen allen von mir als "Auto" bezeichneten Ph�nomene eine bestimmte ähnlichkeit erkennt, so wie ich ebenfalls ähnlichkeiten wahrnehmen können muss. (Es m�ssen wohl nicht dieselben ähnlichkeiten sein. Oder ist diese Frage sinnlos?) "Auto" kann allerdings auch noch sprachlich definiert werden durch elementarere Ph�nomene, die zusammengenommen den Komplex "Auto" bilden.

*XX-330*
Zu fragen ist, wozu der Wahrheitsbegriff überhaupt benutzt werden soll. Warum bem�ht und streitet man sich denn so um die Wahrheit?
Die Wahrheit ist etwas, dem jeder Vern�nftige (und Ehrliche) zustimmen muss.
Die Wahrheit ist au�erdem etwas, an dem man festhalten darf. überzeugungen, an denen jeder zu jeder Zeit festhalten kann. Wenn man solche kennt, so hat das für die individuelle Lebensplanung und für die soziale Koordination erheblichen Wert. Nicht zuf�llig wird deshalb in die Erkenntnis der Wahrheit viel M�he gesteckt. In die Verbreitung der für wahr gehaltenen überzeugungen wird ebenfalls viel investiert (obwohl dahinter auch Eigeninteressen stehen können.)

*XX-331*
Darf man der Wahrheit zustimmen oder muss man es auch? Wenn man sicher sein k�nnte, dass ein Satz wahr ist, dann m�sste man ihm auch zustimmen. Andernfalls wäre man unwahrhaftig bzw. unehrlich. Es ist also wohl ein moralisches "m�ssen". Wenn man jedoch Zustimmung nicht als �ffentliche verbale �u�erung sondern als innere Zustimmung auffasst, so ist das tautologisch: Wovon ich sicher sein kann, dass es wahr ist, davon bin ich überzeugt, dem stimme ich innerlich zu, das halte ich auch für wahr.

*XX-332*
Wenn ein Satz zwar wahr ist, aber ich selber das nicht wei�, so muss ich diesem Satz nicht zustimmen: Moralisch (oder auch nur rational) gesehen kann nur von mir gefordert werden, dass ich im Rahmen meines Wissens verantwortlich handele. Warum soll ich dem Satz: "Gestern wurde die franz�sische Regierung umgebildet" zustimmen, wenn ich überhaupt nicht wei�, ob das stimmt? Dazu wäre notwendig, diesen Satz zu begr�nden, zum Beispiel, wenn man eine entsprechende Meldung in den Nachrichten geh�rt h�tte. Wenn einem jemand glaubw�rdig versichert h�tte, er habe eine solche Meldung geh�rt, dann h�tte man Gr�nde, diesem Satz zuzustimmen.

*XX-333*
Ein Grund ist etwas, das für einen Satz bzw. dessen Bejahung spricht. Gr�nde richten sich auf die überzeugungen von Menschen, sie sind Festigungen dieser überzeugungen. Allerdings sind sie Befestigungen besonderer Art, man k�nnte sagen" rationaler" Art, denn überzeugungen können auch durch Emotionen, unbewusste Motivkonstellationen, Interessenlagen oder ähnliches verfestigt werden.

*XX-334*
Was ist mit dem Ausdruck "rational oder vern�nftig" gemeint? Was unterscheidet eine begr�ndete überzeugung von einer anderweitig gefestigten überzeugung? Gr�nde sprechen berechtigterweise für eine überzeugung, w�hrend Wahrsagereien, Verk�ndigungen selbst ernannter Propheten, eigene Interessen oder ähnliches meist schlechte Antwortgeber sind.
Die Identifizierung und Gewichtung von Gr�nden ist Aufgabe der Methodologie (der Erkenntnis). Sie sucht nach Gr�nden dafür, warum bestimmte Dinge Gr�nde (bzw. mehr oder weniger gute Gr�nde) sind und bestimmte Dinge eben nicht.

*XX-335*
Wie kann man Gr�nde finden hinsichtlich der Erkenntnis der Wahrheit? Um diesen Erfolg überhaupt bestimmen zu können, muss man wiederum voraussetzen, dass man sich der Wahrheit (bzw. Falschheit) bestimmter S�tze praktisch sicher sein kann, so dass diese S�tze als Kriterium für die G�te der verschiedenen Begr�ndungsversuche dienen können. Aber auch von diesen Sätzen können wir ja nur annehmen, dass sie wahr sind, weil sie besonders gut begr�ndet sind, und so messe ich praktisch Begr�ndungen der einen Art an Gr�nden der anderen Art. (Fortsetzen! Warum sind wir uns bestimmter überzeugungen praktisch v�llig sicher?)

*XX-336*
überzeugungen lassen sich nicht durch Zwang bestimmen. Sie beruhen auf dem "eigenen" Urteil des betreffenden Individuums.

*XX-337*
Wenn man bei einer normativen Argumentation an überzeugungen des anderen appelliert und diese als Pr�missen der Argumentation benutzt, obwohl man diese überzeugungen selber nicht teilt, so tritt man dabei keine Wahrheitsbegr�ndung an. Der Konsens, der dabei m�glicherweise erzielt wird, ist zuf�llig, weil er nicht auf einen Konsens hinsichtlich der Begr�ndungsstruktur zur�ckgeht. Wenn es um G�ltigkeit im Sinne einer interpersonalen Konsensf�higkeit geht, muss eine für jeden nachvollziehbare Begr�ndung gegeben werden.

(Heft 20 beendet am 17/07/1985)


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