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Was ist mit "Normen" gemeint?
Definition des Begriffs "Norm"
Beispiele für Normen
Bestandteile von Normen
Sprachliche Ausdrucksform für Normen
Zwei Unterscheidungen: faktische und normative Behauptungen / singuläre und
generelle Behauptungen
Vor- und Nachteile genereller Normen
Ausnahmen von
der Regel: ein Alltagsbeispiel
Arten von
Normen
Besondere Loyalitäten
Normen für Konflikte und Normen für Kooperation
Normen und Regelmäßigkeiten
Definition des Begriffs "Norm"
Als
"normativer Satz" oder kurz
als "Norm" wird ein Satz bezeichnet, der nichts be-schreibt sondern etwas
vor-schreibt. Normen haben keine de-skriptive sondern eine
prä-skriptive Bedeutung. (Deshalb wird von einigen Autoren an Stelle von "Norm" auch
der Begriff "präskriptiver Satz" verwendet.)
Normen beinhalten nicht, wie die Wirklichkeit ist, sondern wie die Wirklichkeit
sein soll. (Deshalb werden Normen manchmal auch als "Soll-Sätze" bezeichnet.)
Normen stellen nichts fest, sondern fordern zu etwas auf. (Deshalb spricht man
auch von "Forderungssätzen").
Beispiele für Normen:
(1) "Das Blech der Dose muss mindestens 1 mm dick sein."
Dies ist eine technische Norm, die sich auf die Beschaffenheit eines Produktes bezieht.
Daraus ergeben sich indirekt Handlungsnormen für den Hersteller der Dose.
(2) "Man nehme: 200g Mehl, 1/4 Liter Milch und 1 Prise Salz."
Diese Norm ist eine Backanleitung, die das Vorgehen bei der Herstellung eines bestimmten
Kuchens vorschreibt.
(3) "Bleib stehen, Bert!"
Dies ist ein Befehl, der in einer bestimmten Situation eine direkte Vorschrift
für das Handeln der angesprochenen Person enthält.
(4) "Jedes Mitglied unserer Fußballmannschaft hat sich voll für den Gewinn der
Meisterschaft einzusetzen."
Dies ist eine Gebotsnorm, die sich an einen bestimmten Adressatenkreis richtet.
(5) "Sonja, Du darfst heute Abend ausnahmsweise bis 23 Uhr fernsehen."
Mit dieser Erlaubnis wird für die angesprochene Sonja ein
Handlungsspielraum festgelegt. Eine Erlaubnis verbietet indirekt Dritten, Sonja
an der Ausnutzung des gewährten Handlungsspielraums zu hindern.
(6) "Du sollst nicht lügen!"
Dies ist eine allgemeine moralische Verbotsnorm, die ohne einschränkende Bedingungen formuliert
ist.
(7) "An einer Straßenkreuzung hat dasjenige Fahrzeug Vorfahrt, das
von rechts kommt."
Dies ist eine rechtliche Norm für den Straßenverkehr, die die Reihenfolge beim
Fahren regelt.
Dieser Satz muss allerdings nicht die Äußerung einer Norm sein, er kann auch die
Information über die faktische Geltung einer Norm sein. Beides muss man
sorgfältig unterscheiden. Man kann z. B. über die Sitte der Witwenverbrennung in
bestimmten Kulturen informieren, indem man bei der Beschreibung dieser Kultur
sagt:
(8) "Wenn der Ehemann vor seiner Frau verstirbt, soll die
Witwe verbrannt werden."
Dieser Satz ist
keine Norm sondern die Beschreibung eines bestimmten Brauchs. Mit diesem Satz
fordert man niemanden dazu auf, diesen Brauch seinerseits zu praktizieren.
(9) "Wenn man sich von jemandem etwas leiht, so soll
man es ihm auch wieder zurückgeben."
Diese Norm
leitet sich aus einer bestehenden sozialen Einrichtung ab, dem Eigentum. Sie
definiert die Handlung des Verleihens.
(10) "Der
Arbeitgeber hat das Recht, dem Arbeitnehmer die Arbeit zuzuteilen."
Diese Norm schreibt kein bestimmtes Handeln der Beteiligten
vor, sondern ermächtigt den Arbeitgeber dazu, dem Arbeitnehmer Anweisungen zu
geben in Bezug auf dessen Tätigkeit. Man spricht deshalb auch von einer
"Ermächtigungsnorm". Eine solche Ermächtigungsnorm formuliert die Erlaubnis für
die Inhaber bestimmter sozialer Positionen oder Ämter, bestimmte inhaltliche
Normen für verbindlich zu setzen. Das Grundgesetz und andere Verfassungen
bestehen vorwiegend aus solchen Ermächtigungsnormen.
Bestandteile von Normen
Eine Norm kann folgende Bestandteile enthalten:
-- die normierte Handlung bzw. das normierte Verhalten
(z. B. sprechen, schlafen, töten,
lügen, schweigen, abtreiben, pünktlich sein, helfen, gehorchen, verehren,
... )
-- den Adressaten, an den sich die Norm
richtet (z. B. jedermann, jede Person, Frauen, Kinder unter 14, Ausländer,
Mitglieder einer bestimmten Organisation)
-- die Anwendungsbedingungen der Norm (z. B. immer, niemals, unter allen Umständen,
unter keinen Umständen, wenn ein Mensch in Not ist, wenn es regnet, wenn man
einen Käsekuchen backen will, wenn niemand geschädigt wird etc. )
-- die Art der Normierung der Handlung (z. B.
ist verboten, ist geboten, ist erlaubt, muss getan werden, darf getan werden,
soll getan werden, ist richtig zu tun, ist falsch zu tun, ist empfohlen zu tun,
ist vernünftig zu tun, ist ratsam zu tun, ... )
-- die Art der Sanktion (wird mit Gefängnis nicht unter 2 Jahren bestraft, wird
aus der Vereinigung ausgeschlossen, muss 100 DM Strafe bezahlen, bekommt einen
Orden, ist ein Schuft, ... )
--
den Grad der Dringlichkeit einer Norm (es wird
strengstens geboten, man muss ... , man soll ... , es wird empfohlen, geraten,
gebeten ...).
Sprachliche Ausdrucksformen für Normen
Es gibt verschiedenste Möglichkeiten, um eine Norm auszudrücken:
"Patrick, komm jetzt hierher!" / "Patrick, Du sollst hierherkommen!" / "Patrick,
Du musst jetzt hierherkommen!" / "Patrick, Du hast jetzt hierherzukommen!" /
"Patrick, Du kommst jetzt hierher!" / Patrick, Du wird jetzt hierherkommen!" /
"Patrick, wenn Du jetzt nicht hierher kommst, dann darfst Du nicht mehr
mitspielen" / "Patrick, ich befehle Dir hiermit, hierher zu kommen!" u. a. m.
Deshalb muss man manchmal einen Text erst genauer analysieren, um den normativen
Gehalt des Textes zu erkennen.
Auch Gebärden oder Zeichen können Normen ausdrücken, etwa der erhobene Arm des
Verkehrspolizisten.
Zwei Unterscheidungen: Faktische und normative Behauptungen / singuläre und generelle Behauptungen
1. singuläre Behauptungen (sind bezogen auf ein bestimmtes raum-zeitliches Ereignis)
a.) "Mark hat gestern die 'Rechtsphilosophie' von Radbruch aus der Uni-Bibliothek mitgenommen, ohne sie als
entliehen verbuchen zu lassen." (faktisch / singulär)
b.) "Mark hätte gestern nicht die 'Rechtsphilosophie' von Radbruch aus der Uni-Bibliothek mitnehmen
dürfen, ohne sie als entliehen verbuchen zu lassen." (normativ /
singulär),
2. allgemeine Behauptungen
(sind bezogen auf wiederkehrende Arten von Ereignissen)
a.) "Wenn jemand ein Buch aus einer
öffentlichen Bibliothek mitnimmt, dann lässt er es als entliehen
verbuchen." (faktisch / generell)
b.) "Wenn jemand ein Buch aus einer
öffentlichen Bibliothek mitnimmt, dann soll er es als entliehen
verbuchen lassen." (normativ / generell)
Gemäß dieser Einteilung gibt es also auch
normative Behauptungen, die nur ein bestimmtes
singuläres Ereignis betreffen. Singuläre Normen kann man jedoch
nur einmal anwenden und wenn man damit das Handeln eines
Individuums anleiten wollte, müsste man ständig neue
singuläre Normen an das Individuum adressieren.
Bei generellen Normen, die auf
bestimmte Arten oder Klassen von Ereignissen bezogen sind,
wird eine unbegrenzte Anzahl von Ereignissen normativ
geregelt, weshalb sie sich grundsätzlich zur Anleitung zukünftigen Handelns
eignen.
Dabei kann die Verallgemeinerung
unterschiedlich weit gehen.
Vor- und Nachteile genereller Normen
Die Kunst bei der Formulierung von Normen besteht unter anderem darin, die
normativen Inhalt mit
möglichst wenigen Sätzen, also möglichst kurz und einfach auszudrücken, ohne deshalb im
Einzelfall etwas Falsches vorzuschreiben.
Jede Verallgemeinerung enthält das Risiko, dass relevante
Umstände, die neuartig oder selten sind, durch die allgemeinen Begriffe nicht
erfasst und
berücksichtigt werden. Z. B. darf man Bücher aus einer Bibliothek
ausnahmsweise ohne Verbuchung
mitnehmen, wenn sie ausgemustert wurden. Natürlich kann man
versuchen, sämtliche Ausnahmen als
Bedingungen in die Formulierung der Norm mit
aufzunehmen, aber ganz ausschließen kann man damit das Problem auch dann nicht.
So würde die Norm: "Wenn jemand ein Buch aus einer öffentlichen Bibliothek
mitnimmt, dann soll er es als entliehen verbuchen lassen" in einer
Gesellschaftsordnung falsch werden, in der es überhaupt kein Eigentum an Büchern gibt.
Allgemein formulierte Normen sind also immer wieder revisionsbedürftig.
Es lassen
sich offenbar kaum Handlungen formulieren, die unter
allen möglichen Bedingungen geboten oder verboten sein
sollten. Redensarten wie "Ausnahmen bestimmen die Regel" oder "Keine Regel ohne Ausnahme" gelten sogar für Handlungen wie
das Töten von Menschen. Wie kann man das Problem lösen oder zumindest
entschärfen?
Eine Möglichkeit besteht darin, dass man die
Norm "Du sollst nicht töten!" durch die Angabe von
Bedingungen präzisiert. In den §§ 212 bis 222 unseres
Strafgesetzbuches wird zwischen verschiedenen Umständen der Tötung
unterschieden, vom Mord über Totschlag, Tötung auf Verlangen,
Schwangerschaftsabbruch, Völkermord und Aussetzung bis hin zur
fahrlässigen Tötung.
Solche Normen, die spezielle Bedingungen
ihrer Anwendung enthalten, eignen sich schon sehr viel besser für eine
ausnahmslose Anwendung. Doch kann
damit das Problem nicht völlig beseitigt werden. Jeder
Fall liegt anders und wir wissen heute noch nicht, welche völlig
neuartigen Situationen sich zukünftig einmal ergeben werden. Deshalb hat
der Gesetzgeber die
Möglichkeit, Gesetze neu zu fassen und für eine neu aufgetretene Art von Fällen
besondere zusätzliche Normen zu formulieren. Mögliche Widersprüche zwischen den alten und
neuen Gesetzen können durch Auslegungsgrundsätze wie "Die speziellere Norm hat
Vorrang vor der allgemeineren Norm" oder "Die jüngere Norm hat Vorrang vor der
älteren Norm" aufgelöst werden können.
Allerdings wird ein Gesetzbuch durch die
Einbeziehung der Anwendungsbedingungen und durch die
Hinzufügung von Ausnahmen nicht gerade dünner und übersichtlicher, weshalb der Spezifizierung von dorther Grenzen gesetzt
sind. Ein Normensystem, das zu kompliziert ist, um
von den Adressaten verstanden und behalten zu werden, erfüllt seinen Zweck u. U. schlechter als ein relativ
allgemein formuliertes Normensystem, das in
Einzelfällen problematisch sein mag, das jedoch leichter zu verstehen und
zu
befolgen ist.
Das aufgezeigte Dilemma bei der Formulierung von Normen wird dadurch entschärft,
dass die Normen durch Richter angewendet werden, die für den jeweiligen Einzelfall
die Anwendbarkeit der Norm zu prüfen haben und eine dem Einzelfall angepasste
Interpretation der Norm vornehmen können.
Im deutschen Strafgesetzbuch wird das Problem in der Weise angegangen, dass in einem
vorangestellten allgemeinen Teil Voraussetzungen der Strafbarkeit dargestellt
werden, die
für alle Delikte gelten. So ist eine Handlung, die objektiv den
Tatbestand der Körperverletzung erfüllt, trotzdem dann nicht
rechtswidrig, wenn diese Handlung erforderlich war, um
einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich und anderen
abzuwehren.
Ausnahmen von der Regel: ein Alltagsbeispiel
Eine Familie lebt in einem
Einfamilienhaus, und damit nicht soviel Schmutz in das Haus getragen wird, haben
die Eltern die Norm gesetzt, dass man nicht mit Straßenschuhen in die oberen
Etagen gehen darf. Nun mag es Situationen geben, wo es angebracht ist, gegen
diese Norm zu verstoßen. Ein Beispiel: Man hat einen ganz dringenden
Termin und muss dazu eine bestimmte Zugverbindung erreichen. Man hat sich fertig
angezogen - einschließlich der Straßenschuhe - und bemerkt nun im letzten
Moment, dass man etwas Wichtiges im Haus vergessen hat, etwa die Fahrkarte, die
noch
in der oberen Etage liegt. In diesem Fall, wo es auf jede
Sekunde ankommt, mag es gerechtfertigt sein, ausnahmsweise schnell mit den Straßenschuhen nach oben zu gehen.
Gegenüber kleinen Kindern wird man jedoch solche Ausnahmeregelungen besser nicht propagieren, da zu
erwarten ist, dass sie diese Ausnahmeregelung ("In besonders dringenden Fällen
darf man mit Straßenschuhen in die oberen Etagen gehen!") für ihre Zwecke missbrauchen werden und in der Anwendung auf sich selbst extensiv auslegen.
Die Begründung für das Auseinandertreten von "öffentlich zu propagierenden Norm"
und "eigentlich"
richtiger Norm liegt hier in der Notwendigkeit der Lernbarkeit des Normensystems
durch die jeweiligen Adressaten (und der begrenzten Stärke moralischer Motivation
der Individuen). Wenn ein Normensystem zu kompliziert ist, weil für alle
denkbaren Sonderfälle Ausnahmeregelungen gelten, so kann dies Normensystem den
Adressaten nicht mehr vermittelt werden, allein schon deswegen, weil sie es sich
nicht merken können. Es bieten sich sonst schnell Entschuldigungen an
wie: "Ich habe nicht gewusst, dass ich das nicht darf" oder "Ich hab vergessen,
dass es verboten ist."
Wie man an den Beispielen sieht, gibt es neben den moralischen Normen sehr verschiedenartige Normen und auch
sprachlich können Normen auf sehr unterschiedliche Weise ausgedrückt werden.
Sehr viele Normen sind Standards, um die Kooperation zu erleichtern
oder zu ermöglichen, z. B. DIN-Normen. Das sind technische Normen, die Vorschriften hinsichtlich der Beschaffenheit
bestimmter Produkte enthalten.
Häufig beziehen sich Normen auf
vorgegebene Ziele bzw. Zwecke.
Ein Backrezept richtet sich nur an
jemanden, der diesen bestimmten Kuchen backen will. Auch
Bedienungsanleitungen für technische Geräte
gelten nur
für diejenigen, die die Geräte benutzen wollen.
Schachregeln gelten nur für diejenigen,
die Schach spielen
wollen. Grammatische Regeln gelten nur für diejenigen, die eine bestimmte
Sprache sprechen wollen, ärztliche Anweisungen gelten nur für den, der gesund
werden will usw.
Ratschläge ("Ich rate dir dringend von einer Reise in tropische Zonen ab") sind gewöhnlich
auf das Wohlergehen des Beratenen ausgerichtet und stellen ebenfalls keine
moralischen Normen dar sondern sind Regeln der Klugheit. Es gibt jedoch auch den
Rat in moralischen Fragen: "Wie soll ich die Erbschaft auf die Kinder aufteilen,
damit ich allen gerecht werde?"
Es gibt auch Normen, die das Handeln von Menschen nicht direkt vorschreiben, die
jedoch handlungsorientierend und
handlungsanleitend sind. Zu dieser Gruppe gehören die
Zielbestimmungen.
Sie sind handlungsanleitend, indem sie einen
bestimmten Zustand der Wirklichkeit als "sein sollend" herausheben, ohne bereits
genaue Handlungsanweisungen anzugeben, wie dieser
Zielzustand zu erreichen ist. ("Bleib gesund!")
Noch weiter von konkreten Handlungsvorschriften entfernt sind
Werturteile ("Gesundheit ist ein hohes Gut").
Sie dienen der groben Handlungsorientierung. Unterschiedliche Werte können zu
Wertkonflikten führen, etwa wenn die Sicherheit der Fluggäste mit langwierigen
Kontrollen verbunden ist. Um aus Werten Normen für das Handeln abzuleiten,
müssen die betroffenen Werte gewichtet und gegeneinander abgewogen werden.
Das Problem der Geltung von Normen wird dadurch kompliziert, dass die Individuen
mehreren sozialen
Gruppierungen angehören (Ehe, Familie, Staat, freiwillige
Vereinigungen wirtschaftlicher, politischer, kultureller oder religiöser Art,
Freundschaft, Verwandtschaft, Nachbarschaft, Nation, Volk). Zwischen
den Angehörigen bzw. Mitgliedern dieser Gruppierungen bestehen besondere soziale
Beziehungen mit besonderen gegenseitigen Erwartungen und den
entsprechenden Gefühlen der Loyalität bei den Mitgliedern.
Die Individuen unterliegen damit den besonderen Normen der
Gruppierungen, denen sie angehören. Diese Normen existieren teilweise nur
als "ungeschriebene Gesetze" in Form von tradierten gegenseitigen Erwartungen an
das Verhalten der Mitglieder dieser Gruppierungen, die allein durch die Sanktion
der soziale Ächtung gestützt werden. Die Normen können jedoch auch durch
institutionalisierte Verfahren gesetzt, schriftlich fixiert und durch
gerichtliche Strafverfahren sanktioniert werden.
Soziale Gruppierungen können auch unter den Mitgliedern weiter differenzieren
und sich "organisieren" mit speziellen Positionen (Ämtern, Stellen, Funktionen,
Rollen) denen jeweils Individuen als Positionsinhaber (Amtsinhaber, Funktionäre)
zugeordnet werden. Für Positionsinhaber gelten wiederum besondere Normen.
Insofern ein Individuum mehreren Vereinigungen gleichzeitig angehören kann, können
sich daraus auch widersprüchliche Forderungen ergeben, die das Individuum nicht
zugleich erfüllen kann. So können die Normen für Kleidung und Frisur, die
für einen Jugendlichen als Familienmitglied gelten, mit den Normen, die in
seiner nachbarschaftlichen Gruppe von Gleichaltrigen gelten, miteinander nicht
vereinbar sein.
Normen für Konflikte und Normen für Kooperation
Man kann zwei Arten von Anlässen unterscheiden, bei denen man von anderen etwas
will:
1. Ich will nicht, dass der andere bestimmte Handlungen ausführt, die meine Interessen verletzen (mich töten, verletzen,
falsch informieren, täuschen, berauben, gefangen halten
usw.) Hier besteht zwischen mir und dem andern ein Konflikt, d. h.
unsere Interessen stoßen zusammen, unsere Willensinhalte sind unvereinbar. Das
ist das zentrale Feld der moralischen Normen.
Diese Normen, die vor allem die
Unterlassung bestimmter Handlungen fordern, werden benötigt als Mittel einer "vernünftigen", allgemein konsensfähigen Konfliktlösung.
Eine besondere Konfliktart ist der Konflikt um "knappe Güter" jeder Art: die
besten Plätze zum Schlafen oder zum Sonnen, die süßesten Früchte, die
attraktivsten Partner, die tollsten Klamotten usw. Da die Güter nicht
einfach da sind, sondern oft erst "produziert" werden müssen, gibt es Regeln des
Erwerbs und der Veräußerung dieser Güter, die ein Motiv zu Fleiß und Anstrengung
bieten sollen (z. B. Unternehmergewinn, Akkordlohn etc.) Wir sind hier bei den
zentralen Normen einer
Gesellschaft, ihrer Eigentumsordnung.
2. Der andere Anlass, bei dem ich von anderen etwas will, sind
Vorteile der Zusammenarbeit: Man benötigt die Mitwirkung anderer, um bestimmte
Ziele zu erreichen. Der Baumstamm ist zu schwer für einen, aber zwei
können ihn tragen. Ich möchte, dass jemand mir hilft und mit anfasst.
Die Regeln der Kooperation sind gewöhnlich nicht in Form inhaltlicher moralischer Normen festgelegt, wenn man einmal vom pauschalen Lob der
Hilfsbereitschaft absieht. Denn inhaltliche Regeln, wer was wann zu tun hat,
lassen sich nur in der aktuellen Situation bestimmen. Deshalb vollzieht sich die unmittelbare Kooperation
einer Gruppe meist hierarchisch: der Chef, der Meister, der Polier, der
Vorarbeiter sagt, wer wie und mit wem zusammenarbeitet, d. h.
wir haben keine inhaltlichen Normen sondern "Normsetzungsverfahren" vor Ort:
die Befugnis zu befehlen. Moral kommt hier nur sekundär ins Spiel, z. B. als Lob
des Fleißes oder der Zuverlässigkeit bei der gemeinsamen Arbeit bzw. bei
der Abwertung für Drückeberger und Faulpelze.
Diese Hierarchie kann auch auf vertraglichen Vereinbarungen beruhen: "Ich bilde
mit dir eine Gesellschaft" bzw. "Du stellst mich gegen Lohn zum Arbeiten ein".
Die Moral taucht auch hier nur am Rande auf: Verträge soll man halten.
An Stelle des Wortes
"Norm" benutzt man auch das Wort "Regel" ("Die Vorfahrtsregel besagt, dass
derjenige, der von von mir aus gesehen von rechts kommt, mir gegenüber
vorfahrtsberechtigt ist"). Das Wort "Regel" ist jedoch mehrdeutig. Es kann
einmal "Norm" bedeuten, wie im Beispiel der Vorfahrtsregel, es kann jedoch auch
"Regelmäßigkeit" bedeuten ("Eine alte Bauernregel besagt: Ist der Mai kühl und
nass, füllt's dem Bauern Scheun' und Fass"). Im folgenden Satz findet sich
das Wort "Regel" in beiden Bedeutungen: "In der Regel halten sich die
Verkehrsteilnehmer an die Vorfahrtsregel."
Eine "Regel" im nicht-normativen Sinne bezeichnet etwas sich Wiederholendes,
Gleichbleibendes. Die zugehörigen Eigenschaftswörter sind "regelmäßig" und
"unregelmäßig" ("Auf einen Blitz folgt regelmäßig ein Donner." - "Er hat seine
Medizin nur unregelmäßig eingenommen").
Eine "Regel" im normativen Sinne bezeichnet etwas zu Befolgendes,
Einzuhaltendes. Die zugehörigen Eigenschaftswörter sind "regelgemäß" und
"regelwidrig" ("Der Autofahrer hat regelgemäß angehalten, um das von rechts
kommende Fahrzeug vorbei zu lassen", "Der Mittelstürmer hat den Fußball
regelwidrig mit der Hand berührt"). Dass das Wort "Regel" in einem bestimmten Fall
normativ gebraucht wird, kann man recht gut daran erkennen, dass man es durch das
Wort "Regelung" ersetzen kann.
Das Wort "normal" verbindet in seiner Bedeutung Beschreibung und Bewertung. Wenn
man zu jemandem sagt: "Das ist doch nicht normal, wie Du Dich hier benimmst!",
dann drückt man damit zum einen aus, dass man das Benehmen des Angesprochenen
ungewöhnlich findet. Zum andern drückt man damit aus, dass man das Benehmen als
nicht normgemäß missbilligt.
Siehe auch
die folgenden thematisch verwandten Texte in der Ethik-Werkstatt:
Institutionelle Normen * (7 K)
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gemeint?"
Letzte Bearbeitung 08.06.2010 /08.2015 / Eberhard Wesche
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