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Begründung von Normen in der Ethik
(nicht beendet)
Inhalt:
Teil I: Die Problemstellung:
Der zwischenmenschliche Konflikt als Ausgangsproblem
Konfliktverschiebung durch Zwang oder Drohung
Konfliktlösung durch Einigung
Die vertragliche Einigung
Die argumentative Einigung
Kriterien für die
Beantwortung normativer Fragen
Rationale und dogmatische Behauptungen
Präzisierung der normativen Fragestellung
Teil 2: Formale Bedingungen für allgemein anerkennbare
Normen
Das Problem der Bildung eines "allgemeinen Willens"
Übergang von der Willensterminologie zur Interessenterminologie
Textanfang
Teil I: Die Problemstellung
Der zwischenmenschliche Konflikt als Ausgangsproblem
Ausgangsproblem der folgenden Überlegungen sind zwischenmenschliche Konflikte, z. B. wenn Individuum A ein bestimmtes Grundstück alleine nutzen will und Individuum B über dies Grundstück gehen will. Es können nicht beide Individuen ihren Willen erfüllt bekommen.
Wenn jede Konfliktpartei ihren Willen ohne Rücksicht auf die andere Partei durchzusetzen versucht, so wird daraus ein offener Streit und es kommt zum Kampf. Im äußersten Fall ist es ein Kampf um Leben und Tod unter Einsatz aller zur Verfügung stehenden Mittel.
Konfliktverschiebung durch Zwang oder Drohung
A kann versuchen, seinen Willen durchzusetzen, indem er androht, jeden zu erschießen, der das Grundstück betritt.
Wenn B nicht erschossen werden will und er sich gegen einen Schuss von A nicht schützen kann, wird B unter diesen neuen, von A geschaffenen Bedingungen, das Grundstück nicht mehr betreten wollen.
Insofern ist der ursprüngliche Konflikt nicht mehr akut. Jetzt gibt es jedoch dafür einen neuen Konflikt, denn B ist nicht damit einverstanden, dass A ihn derart bedroht. Damit wurde der Konflikt nur verschoben, er ist jedoch nicht beseitigt.
Wenn B gegen die Drohung von A machtlos ist und sich im eigenen Interesse fügt, so ergibt sich eine Situation der erzwungenen Unterordnung von B unter A, die zwar relativ stabil sein mag, die jedoch durch nichts gerechtfertigt werden kann.
Zu sagen, dass hier "das Recht des Stärkeren gilt", wäre nur ein schönfärberischer Ausdruck dafür, dass den gesetzten Normen keinerlei nachvollziehbare Rechtfertigung zukommt. Man kann mit der gleichen Berechtigung sagen, dass hier das "Gesetz des Dschungels gilt".
A kann gegenüber B dessen Unterordnung nicht mit für B einsichtigen Argumenten begründen. Er kann nur unter Verweis auf seine überlegenen Möglichkeiten, B zu schaden, B zu verstehen geben, dass es in dessen eigenem Interesse liegt, gemäß dem Willen von A zu handeln.Konfliktlösung durch Einigung
Die Austragung eines Konfliktes kann jedoch auch dadurch vermieden werden, dass eine Regelung für das Handeln der Beteiligten gesucht wird, der jede Konfliktpartei zustimmen kann, ohne dass sie dazu gezwungen oder deswegen bedroht wurde. Sie beruht auf der freiwilligen Einigung der Beteiligten.
Die so gewonnenen Normen können dem ursprünglichen individuellen Willen ebenfalls entgegenstehen. Trotzdem stellen sie keine Gewalt gegenüber irgendeiner Partei dar, denn diesen Normen hat jede Partei freiwillig zugestimmt.
Die Frage ist, wie angesichts vorhandener Konflikte in Form miteinander unvereinbarer Willensinhalte verschiedener Subjekte Regelungen für das Handeln gefunden werden können, denen alle Beteiligte zustimmen können.Die vertragliche Einigung
Eine Möglichkeit ist die Suche nach Bereichen, in denen die Willensinhalte bestimmter Individuen übereinstimmen, wobei die bestehenden Verhältnisse, der Status quo, als gegeben akzeptiert werden. Das bedeutet: Insofern es zu keiner Einigung kommt, bleibt es beim Status quo. Eine Einigung gilt nur für die sich einigenden Parteien, obwohl die Einigung Auswirkungen auf Dritte haben kann. Im Extremfall können sich zwei sogar zum Nachteil eines Dritten und gegen diesen vereinigen. Insofern ist die vertragliche Einigung nicht ausreichend für die Lösung des Problems. ((außerdem: bargaining power, der stumme Zwang der Verhältnisse))Die argumentative Einigung
Dazu müssen die miteinander nicht zu vereinbarenden Willensinhalte aller betroffenen Subjekte durch einen gemeinsamen Willen ersetzt werden, der beinhaltet, wie gehandelt werden soll. Die Frage: Wie sollen die Beteiligten an diesem Konflikt handeln? ist ein normative Frage nach dem, was sein soll. Wie können solche normativen Fragen aber beantwortet werden?
Kriterien für die Beantwortung normativer Fragen
Die Antworten auf normative Fragen dieser Art sind Sätze, die beinhalten, wie Menschen handeln sollen, oder genauer: wie bestimmte Individuen in bestimmten Situationen handeln sollen. Beispiele für derartige Normen sind Sätze wie: "Versprechen soll man halten!", "Komm pünktlich zum Unterricht in der Schule!" oder "Der Polizist hätte unter diesen Umständen nicht schießen dürfen".
Diese Antworten müssen so beschaffen sein, dass sie die Zustimmung aller Beteiligten finden können, andernfalls wären sie nicht zur Lösung des Konfliktes geeignet.
Sätze, die mit einem Anspruch auf allgemeine Zustimmung verbunden sind, sollen im Folgenden als "Behauptungen" bezeichnet werden. Zum Beispiel ist der Satz: "Berlin hatte 1925 mehr als 4 Millionen Einwohner" eine solche Behauptung - und zwar faktischer Art - mit einem Anspruch auf Zustimmung bzw. Anerkennung. Im Unterschied dazu handelt es sich bei Sätzen in einem Gedicht, Märchen oder Witz nicht um Behauptungen mit einem Anspruch auf Zustimmung.
Dieser Anspruch auf Anerkennung für Behauptungen wird immer und gegenüber allen Person erhoben, er gilt also "intertemporal" und "interpersonal". Ein derartiger Anspruch soll im Folgenden als "allgemeiner Geltungsanspruch" bezeichnet werden.
Die Problemstellung, um die es hier geht, lässt sich demnach folgendermaßen formulieren: Auf die Fragen, wie Individuum A in der Situation s handeln soll, wird eine Antwort gesucht, die einen Anspruch auf allgemeine Geltung besitzt.
Würde nicht nach Antworten gesucht, die jederzeit gelten sollen, d. h. intertemporal, so gäbe es in Bezug auf die gesuchten Antworten keinen Irrtum, den man korrigieren müsste. Wenn jemand auf die Frage: "Durfte Individuum A in der Situation s die Handlung h tun?" heute mit "ja", morgen mit "nein" und übermorgen wieder mit "ja" antwortet, so müsste er sich wegen des häufigen Wechsels seiner Stellungnahme keine Gedanken machen. Seine Stellungnahmen wären so wenig widersprüchlich, wie wenn ich am Montag sage: "Heute hat es geregnet" und am Dienstag sage: "Heute hat es nicht geregnet".
Damit wäre das Ausgangsproblem jedoch hinfällig und eine Diskussion sinnlos. Gerade weil wir im nachhinein unsere Ansichten in normativen Fragen - oft schmerzlich - korrigieren müssen, suchen wir ja mühevoll nach einer dauerhaften, zeitunabhängigen Antwort, die wir später nicht bereuen müssen. Antworten, die unvorhersehbar mal gelten und mal nicht, lösen keine Probleme.
Und ginge es nicht um Antworten, die für alle gelten, d. h. intersubjektiv, dann wäre für das eine Individuum die eine Antwort richtig und für das andere Individuum eine andere Antwort. Damit könnte es jedoch zwischen den Individuen keinen sinnvollen Streit um die gesuchte Antwort mehr geben und das Ausgangsproblem wäre ebenfalls hinfällig. Zusammenfassend sei also festgehalten: Gesucht werden Normen mit einem allgemeinen (intersubjektiven und intertemporalen) Geltungsanspruch.Rationale und dogmatische Behauptungen
An die Einlösung dieses allgemeinen Geltungsanspruchs werden nun ebenfalls bestimmte Maßstäbe angelegt.
Wenn der Geltungsanspruch einer Behauptung nur auf Argumente gestützt werden darf, die allgemein einsichtig und zwangfrei nachvollziehbar sind, so soll von einer "rationalen Behauptung" gesprochen werden.
Wird der Geltungsanspruch einer Behauptung dagegen unabhängig von einer nachvollziehbaren Begründung erhoben und wird stattdessen Vertrauen oder Glauben verlangt, so soll von einer "dogmatischen Behauptung" gesprochen werden. Dogmatische Behauptungen stellen sich selbst außerhalb des Bereichs rationaler Diskussion, wie sie hier verstanden wird. Insofern sind sie für rationale Versuche einer Beantwortung normativer Fragen irrelevant.
Die gesuchten Antworten auf die gestellten normativen Fragen sollen also rationale Behauptungen sein, die allgemein nachvollziehbar begründet und damit allgemein anerkennbar sind.
(Mit dieser Formulierung wird bewusst auf den Begriff der "Wahrheit" verzichtet, um den wenig ergiebigen Streit darüber zu vermeiden, was "Wahrheit" sei und ob Normen überhaupt "wahr" sein können.)Präzisierung der normativen Fragestellung
Die obige Formulierung, dass die gesuchten Normen "allgemein anerkennbar" sein sollen, bedarf noch der näheren Präzisierung. Vorerst mag dies soviel besagen, dass die gesuchte Norm von jedem Individuum zwangfrei akzeptiert werden kann, das die Norm und die zugehörigen Argumente versteht und das Ziel teilt, zu allgemein anerkennbaren Normen zu gelangen.
Eine Norm "anerkennen" soll hier bedeuten, "die Befolgung der Norm bejahen". (Damit wird deutlich, dass die folgenden Überlegungen sich noch auf einer relativ abstrakten Ebene bewegen, weil vorerst die Normen unter der Voraussetzung diskutiert werden, dass sie befolgt werden. Auf dieser Ebene werden alle Probleme noch ausgeklammert, die sich aus Normverstößen ergeben.)
Nachdem die Fragestellung verdeutlicht wurde, soll im Folgenden versucht werden, aus der Bedingung der allgemeinen Anerkennbarkeit Kriterien für die Beantwortung normativer Fragen zu gewinnen. Es soll versucht werden, bestimmte normative Antworten als ungeeignet auszuscheiden und aus mehreren denkbaren Antworten diejenige zu bestimmen, die am ehesten für alle anerkennbar ist.
Teil 2: Formale Bedingungen für allgemein anerkennbare Normen
Das Problem der Bildung eines "allgemeinen Willens"
Wenn Normen Willensinhalte ausdrücken, so lässt sich
das Problem der Bestimmung allgemein anerkennbarer Normen umformulieren zu
dem Problem, Willensinhalte zu bestimmen, die jeder teilen kann. Der Wille,
dessen Inhalt von jedem Individuum geteilt werden kann, also der gemeinsame
Wille aller, soll im Folgenden als "allgemeiner Wille"
bezeichnet werden.
Moralische Normen drücken demnach aus, was die Individuen gemäß dem allgemeinen
Willen tun sollen. Die Frage ist, ob und wie man einen derartigen "allgemeinen
Willen" als Antwort auf offene normative Fragen bestimmen kann.
Auf den ersten Blick erscheint ein gemeinsamer Wille aller unmöglich, weil die
Willensinhalte der Individuen häufig miteinander im Konflikt stehen und nicht
gleichzeitig erfüllt werden können: Diesen schönen Apfel will sowohl Individuum
A essen als auch Individuum B. Aber der Apfel kann nur einmal gegessen werden.
Wenn nun z. B. das Individuum A auf seinen individuellen Willensinhalten beharrt,
so ist offensichtlich kein allgemeiner Wille herstellbar.
Mit dem Beharren auf seinen individuellen Willensinhalten verletzt A jedoch die
Verpflichtung zur Suche nach allgemein anerkennbaren Normen.
Wenn A aus den unvereinbaren individuellen Willensinhalten den Schluss zieht,
dass es keinen Konsens geben kann, dann kann A für die von ihm vertretenen
Normen höchstens den Gehorsam der anderen fordern und womöglich erzwingen. A
kann jedoch niemanden zu deren Befolgung verpflichten. A kann niemandem
irgendwelche Vorwürfe machen, A kann sich auf keinerlei Normen berufen, die die
andern zu befolgen hätten. Die Auseinandersetzung mit A findet deshalb nicht
mehr auf der Ebene der Argumentation statt, sondern auf der Ebene der
Machtausübung.
In der Diskussion zur Formulierung eines allgemeinen Willens kann jeder
Diskussionsteilnehmer darauf festgelegt werden, dass er sich um Normen bemüht,
die allgemein anerkennbar sind. Wenn jemand also eine Norm als die richtige
behauptet, so muss er davon ausgehen, dass die andern Beteiligten dieser Norm
ebenfalls zustimmen können.
Deshalb muss er sich die Frage stellen lassen, ob er
selber dieser Norm auch dann noch zustimmen würde, wenn er in der Position eines
der anderen Beteiligten wäre. Um ein Beispiel zu geben: Wenn jemand
fordert, dass die Forschung an menschlichen Stammzellen verboten wird, so müsste
er zu diesem Verbot auch dann noch stehen, wenn er selber die Alzheimersche
Krankheit bekommen würde. Würde er dies bestreiten, so würde das gegen die
methodische Regel sein, nach allgemein anerkennbaren Normen zu suchen.
Übergang von der Willensterminologie zur Interessenterminologie
Bevor diese Frage weiterverfolgt wird, erscheint es notwendig, die geeignete
Begrifflichkeit für die Untersuchung dieser Fragen zu bestimmen.
Wenn man die Willen der Individuen zu einem kollektiven Willen
zusammenfassen will, so bedarf es einer Gewichtung, d. h. einer größenmäßigen
Bestimmung der individuellen Willensinhalte.
Die Umgangssprache stellt für eine Quantifizierung des Willens jedoch nur eine
verhältnismäßig undifferenzierte Begrifflichkeit zur Verfügung. Man spricht von
einem "starken" oder einem "schwachen" Willen, von einem "festen" oder einem "schwankenden Willen", man spricht davon, dass jemand etwas "lieber" will als
etwas anderes. Aber feinere Abwägungen und Quantifizierungen sind sprachlich
schwer möglich. So klingt es ungewohnt, den Willen des Individuums A gegen den
Willen des Individuums B abzuwägen, eher spricht man davon, das Interesse des
Individuums A gegen das Interesse des Individuums B abzuwägen. Und statt zu
sagen: "Das Individuum A hat einen stärkeren Willen, den Zustand x zu erreichen
als den Zustand y" sagt man besser: "Individuum A legt dem Zustand x einen
höheren Wert bei als dem Zustand y."
Außerdem ist die Willensterminologie wenig geeignet, wenn es um die Beschreibung
einer Vielzahl gleichzeitig zu berücksichtigender Probleme geht, da Wille so
etwas wie eine aktuelle Handlungsenergie bezeichnet. Dies entspricht der Art und
Weise, wie Menschen Probleme gewöhnlich bewältigen. Charakteristisch dabei ist,
dass sie sich in ihrem Denken und Wollen jeweils auf eines der Probleme
konzentrieren und die Probleme zeitlich nacheinander angehen.
....
((nicht fertig!))
Siehe auch
die folgenden thematisch verwandten Texte in der Ethik-Werkstatt:
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Normen in der Ethik"
Letzte Bearbeitung 08.12.2005 / Eberhard Wesche
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