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Kriterien der Begriffsbildung
Unter "Begriffsbildung" soll hier die Zuordnung einer
bestimmten Bedeutung zu einem bestimmten Wort verstanden werden.
Ein "Begriff" ist demnach ein Wort einschließlich seiner
Bedeutung.
Wird die Zuordnung der Bedeutung durch andere Begriffe vorgenommen, so spricht
man von einer "(nominalen) Definition".
Wenn jemand einem Wort durch
Definition eine bestimmte Bedeutung zuweist, so handelt es sich um den
Vorschlag einer sprachlichen Konvention und um die
Ankündigung, dass der Betreffende dies Wort künftig nur mit dieser Bedeutung
verwenden will. Keinesfalls kann dies eine Vorschrift sein, wie Wörter von
anderen zu verwenden sind.
Die Berechtigung derartiger sprachlicher Neuschöpfungen muss sich z. B. an dem dadurch
ermöglichten Erkenntnisgewinn erweisen oder an der damit verbundenen
Erleichterung der Verständigung z. B. durch Abkürzung.
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Wenn Aussagen über ein Wort bzw. einen Begriff gemacht werden, so schreibt
man
das Wort in Anführungszeichen (z. B. "Wasser"). Wenn man jedoch über die
durchsichtige Flüssigkeit spricht, verwendet man keine Anführungszeichen und
schreibt nur: Wasser.
Als geschriebenes Zeichen ist "Wasser" nichts anderes als eine Folge von
Buchstaben so wie auch das Wort "Ressaw". Beide haben als solche keine bestimmte
Bedeutung. Bedeutung erhalten Wörter erst durch
Individuen, die diese Wörter nach bestimmten Regeln verwenden, um damit etwas
auszusagen und einander mitzuteilen.
***
Vorteile einer geeigneten Begriffsbildung am Beispiel des Wortes "Wasser"
Wenn Individuum A1 dem Individuum
A2 etwas mitteilen will, so muss A2 die Bedeutung
der von A1 benutzten sprachlichen Ausdrücke kennen, das heißt sie müssen eine gemeinsame Sprache
verstehen und sprechen. Ich nenne diese Sprache einmal "A-Sprache" und das
Land, in dem A1 und A2 wohnen "A-Land".
Angenommen in A-Land ist die moderne Chemie unbekannt. Dort bezeichnet
man alle durchsichtigen farblosen Flüssigkeiten als "Wasser".
Es gibt in der A-Sprache verschiedene Arten von Wasser, z. B. Regenwasser,
Meerwasser, Feuerwasser etc.. Undurchsichtige Flüssigkeiten werden z. B. als "Milch", "Rotwein" etc. bezeichnet.
Wenn man A1 fragt: "Was bedeutet
das Wort 'Wasser' in der A-Sprache?", dann wird er sagen: "Wir sagen zu allen
durchsichtigen farblosen
Flüssigkeiten 'Wasser'". Und er wird vielleicht auf eine Flasche zeigen und
sagen: "Hier ist z. B. Wasser drin."
Wenn ich in Bezug auf eine undurchsichtige blaue Flüssigkeit in der A-Sprache sagen
würde: "Dies Wasser schmeckt süß", dann ist das nicht sachlich falsch sondern ein
sprachlicher Fehler. Ich habe mich nicht in Bezug auf die Tatsachen geirrt, sondern
ich habe das Wort "Wasser" der A-Sprache falsch gebraucht und auf eine blaue
Flüssigkeit angewandt.
Wenn ich A fragen würde: "Was weiß man in A-Land über Wasser und seine
Eigenschaften?", so könnte A wohl nur wenige Aussagen machen, die auf jede Art
von Wasser zutreffen, außer den Merkmalen (wie flüssig, farblos, durchsichtig), die
das Wort "Wasser" definieren. A
könnte sagen: "Wasser ist schwerer als Luft", "Durch Wasser kann man hindurch
sehen", "Wenn man einen Stab in Wasser hält, erscheint der Stab an der
Wasseroberfläche als geknickt". Aber das wäre wohl schon so ziemlich alles. Mit der Aussage "Bei diesem Stoff handelt
es sich um Wasser" übermittle ich in der A-Sprache also relativ wenig implizit darin enthaltene Informationen.
Nehmen wir zum Vergleich O-Land. Dort leben O1 und
O2. Sie sprechen die O-Sprache. In O-Land kennt man die chemische Verbindung H2O.
Ich frage O1: "Was bedeutet das Wort 'Wasser' in der O-Sprache?"
O1 antwortet: "Wir bezeichnen mit dem Wort
'Wasser' alles, was aus der chemischen Verbindung H2O besteht. Sind
zusätzlich andere Stoffe in
Wasser gelöst, so stellen wir die Bezeichnung dieser Stoffe voran, wie z. B. bei
Zuckerwasser, Salzwasser, Mineralwasser, Sodawasser, Seifenwasser etc.
Früher wurde bei uns in O-Land auch hochprozentiger Alkohol als 'Feuerwasser' bezeichnet, aber
dieser Gebrauch ist heute nachrangig geworden, weshalb es selten zu
Missverständnissen kommt."
Wenn man in der O-Sprache von einer bestimmten Flüssigkeit aussagt, dass es
sich um Wasser handelt, so hat man damit eine riesige Menge an Informationen
über diesen Stoff benannt: das gesamte Wissen von Chemie, Physik und aller
anderen Wissenschaften über H2O. Daraus ersieht man den Wert einer theoretisch fruchtbaren Begriffsbildung.
Das Beispiel macht auch deutlich, dass sich die Bedeutung vom Wörter zusammen mit neuen
Erkenntnissen verändert.
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Es gibt Phasen im Erkenntnisprozess, in denen mit relativ vagen und unpräzisen Begriffen gearbeitet werden muss, weil die genaue Fragestellung und die notwendige Reihenfolge der zu stellenden Fragen noch gar nicht feststeht. Wenn man Philosophie jedoch als eine für die Beantwortung bestimmter Fragen entwickelte Wissenschaft versteht, dann kann Vagheit der Aussagen kein Dauerzustand bleiben. Vage Antworten sind immer nur sehr eingeschränkt verwendbare Antworten.
***
Wonach richtet sich die
Begriffsbildung?
Wenn die Begriffsbildung nicht auch von den Sinneseindrücken bestimmt würde, so könnte
man nicht erklären, warum es in allen Sprachen Wörter gibt, die
die Sonne und den Mond bezeichnen, also Namen für diese beiden von der Erde aus
gut sichtbaren Himmelskörper.
Ähnliches gilt für Worte wie "Mutter", "Vater", "Kind", "Bruder", "Schwester", "Kopf", "Hand", "Fuß", "Finger", "Tag", "Nacht", "Freund", "Feind", "essbar", "giftig".
Diesen Worten entsprechen jeweils Bündel von zusammengehörigen, "markanten"
Sinneseindrücken, deren Unterscheidung, Identifizierung und Benennung für jedes
Individuum lebenswichtig ist.
Eine Beliebigkeit der Begriffsbildung in den verschiedenen Sprachen kann es deshalb zumindest auf dieser
elementaren Ebene nicht geben.
***
Ein Gegenstand kann auf die
verschiedenste Weise beschrieben werden
Ein und derselbe
Bereich der Wirklichkeit – nehmen wir als Beispiel ein bestimmtes Auto – kann auf
beliebig viele verschiedene Arten beschrieben werden. Deshalb kann es auch keine
vollständige oder endgültige Beschreibung der Wirklichkeit geben.
Der Hinweis: "Der Sachverhalt ergibt sich aus dem, was Du an einer Sache
betrachten willst", steht dazu nicht in Widerspruch, denn man kann unter den
verschiedensten Interessen an ein Auto herangehen: als Fahrzeug, als
Notunterkunft, als Tötungswaffe, als Altmetall, als Prestigeobjekt, als
Sportgerät usw. usf.
In Bezug auf empirische Theorien gilt diese Beliebigkeit nicht. Ihre Aufgabe ist
ja die Erklärung bzw. Voraussage bestimmter Ereignisse. Es kommen also nur
solche Theorien in Frage, die das betreffende Ereignis erklären können. Dazu
muss das Ereignis aus der Theorie logisch abgeleitet werden. Das setzt aber
voraus, dass die Theorie einen Begriff zur Bezeichnung dieses Phänomens enthält.
Wenn das Faktum des Donners erklärt werden soll, so kommen dazu nur Theorien in
Frage, die Aussagen über sehr laute Geräusche beinhalten.
Eine vorwissenschaftliche Erklärung des Donners bestand darin, dass der Gott
Thor aus Wut seinen Riesenhammer geworfen habe und dabei das Donner-Geräusch
verursacht habe.
Die moderne Theorie geht dagegen von Druckwellen aus, die durch die enorme
Hitze des Blitzes und die dadurch hervorgerufene kurzzeitige Erzeugung eines
Vakuums entstehen.
Beide Theorien geben eine logische Erklärung des Donners.
Die Hammertheorie kann jedoch keine Antwort auf die Frage geben, warum der
zeitliche Abstand zwischen dem Sehen des Blitzes und dem Hören des Donners unterschiedlich
groß ist.
Insofern
die Theorie von der Ausbreitung der Druckwellen in der Luft diesen Unterschied
erklären kann, ist sie zumindest in diesem Punkt der Hammertheorie überlegen.
***
Für die modernen physikalischen Theorien ist die Ebene der Beobachtungen weniger problematisch. Hier werden im wesentlichen Messinstrumente abgelesen. Die Problematik liegt eher auf der Ebene der nicht direkt wahrnehmbaren hypothetischen Konstrukte wie z. B. "Schallwelle".
***
Ein und dasselbe Phänomen kann von zwei miteinander nicht zu vereinbarenden
Theorien erklärt werden, ohne dass es immer möglich ist, eine der beiden zu
widerlegen. Deshalb können zu einem bestimmten Zeitpunkt verschiedene und sogar einander widersprechende Theorien gleichzeitig rational
vertretbar sein.
Allerdings werden die Wissenschaftler alles daransetzen, diesen Zustand
möglichst zu beseitigen. Zu diesem Zweck entwefen sie experimentelle Anordnungen, die eine
begründete Entscheidung für die eine oder die andere Theorie ermöglichen.
***
Müssen sich die beschreibende Sprache und die beschriebene
Wirklichkeit entsprechen?
Die Idee einer Entsprechung zwischen beschreibenden Sätzen und der
damit beschriebenen Wirklichkeit liegt nahe, wenn man von der semantischen Bestimmung
von Wahrheit ausgeht, die besagt, dass ein Satz dann wahr ist, wenn es so ist,
wie der Satz besagt.
Wenn man statt der Sprache ein Foto nimmt, um einen Sachverhalt wiederzugeben,
zum Beispiel das zeitlich erste Tor eines bestimmten Fußballspiels, so ist das Foto dann
echt und keine Fälschung, wenn es so war, wie auf dem Foto zu sehen ist: der
Ball landet dicht am rechten Pfosten im Tor und der Torwart wirft sich
vergebens danach.
Ergeben sich nicht aus der Struktur der Sinneseindrücke "zwingend" bestimmte
Begriffe wie "Ball", "Torwart" oder "Pfosten" ? (Dabei könnte statt "Torwart" natürlich
auch englisch "keeper" gesagt werden, da die Struktur des Satzes die
gleiche bliebe.)
Wenn man von einem bestimmten Vorverständnis, von einer bestimmten Fragestellung
und den damit gegebenen Begriffen ausgeht ("Wie fiel das erste Tor in dem
Spiel?"), dann müssen Begriffe wie "Ball", "Tor" und "Torwart" zwangsläufig
fallen.
Die Beschreibung und ihre Begrifflichkeit ist jedoch keineswegs mehr festgelegt,
wenn man keinerlei Vorverständnis voraussetzt. Jemand, der noch nie einen Ball
gesehen hat, geschweige denn weiß, was ein Fußballspiel ist, würde das Foto
wahrscheinlich ganz anders in Worten wiedergeben.
Im Extremfall würde er das Foto wie ein Scanner beschreiben und würde eine Vielzahl
von Aussagen über eine in bestimmter Weise angeordnete Menge von Pixeln mit sehr
vielen verschiedenen Farbtönen machen.
Auch der folgende Satz, der das Bild beschreibt: "Das 475. Pixel in der 122. Reihe von
oben ist hellgrün" kann wahr sein, weil es so ist, wie der Satz besagt.
Bei fehlendem Vorverständnis gibt es unendlich viele
verschiedene Möglichkeiten, über einen realen Sachverhalt wahre Aussagen zu
machen, so dass von einer Korrespondenz zwischen den Elementen der Wirklichkeit
und bestimmten Begriffen kaum noch gesprochen werden kann.
Derselbe Sachverhalt führt bei unterschiedlichen
Begriffssystemen zu unterschiedlichen Beschreibungen.
Um bei dem Beispiel des Fotos vom Torschuss zu bleiben: Man könnte z. B. das
Geschehen auf dem Foto als etwas zweidimensionales, in einer Ebene
stattfindendes, oder als etwas dreidimensionales, in einem Raum stattfindendes
Geschehen interpretieren und beschreiben.
Bei der zweidimensionalen Beschreibung gäbe es zwar die Beziehungen "links von", "rechts von", "unter" und "über" aber nicht die Beziehungen "vor" und hinter".
Ob eine Mannschaft ein Tor erzielt hat, hängt davon ab, ob der Ball die gedachte
Ebene, die durch Pfosten, Latte und Linie begrenzt wird, überschritten hat.
Da den Fan interessiert, welche Mannschaft gewinnt und da dies wiederum von der
Anzahl der erzielten Tore abhängt, wäre ein zweidimensionales Begriffssystem für
die Beschreibung des Geschehens unbrauchbar, weil in diesem Begriffssystem die
Frage, ob ein Tor gefallen ist, gar nicht gestellt und natürlich auch nicht
entschieden werden kann, weil ein "Tor" nicht in einer zweidimensionalen Sprache
definiert werden kann.
Theorien dienen der Beschreibung und Erklärung bestimmter Sachverhalte, an
denen ein Interesse der Menschen besteht. Von diesem Interesse her lässt sich
dann auch entscheiden, welche Begrifflichkeit angemessen ist und welche nicht.
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Grundsätzlich muss
zwischen der beschriebenen Wirklichkeit und der dazu verwendeten Sprache keine
strukturelle Ähnlichkeit bestehen.
Allerdings erleichtert eine strukturelle Ähnlichkeit zwischen Zeichen und
Bezeichnetem das Erlernen und Merken der Zeichen bzw. Begriffe. Ich will das am
Beispiel der Zahlen verdeutlichen.
Man könnte ein einfaches Zahlensystem bestimmen, das
nur eine Ziffer kennt, den senkrechten Strich "|", und das die unterschiedlichen
Mengen von Elementen durch Folgen von entsprechend vielen Strichen bezeichnet.
Größenmäßig
geordnet erhalte ich dann die Zahlenreihe: | - || - ||| - |||| - ||||| - |||||| -
||||||| - |||||||| - usw. usf.
Hier haben wir eine strukturelle Entsprechung
zwischen der bezeichneten Wirklichkeit und dem Zeichen, weshalb das Erlernen
dieses Zahlensystems kinderleicht ist.
Allerdings ist es nicht sehr komfortabel in der Anwendung, da man etwa ab der
Zahl ||||| die verschiedenen Zahlen
nicht mehr auf den ersten Blick erkennen und unterscheiden kann, sodass es zu
Verwechselungen kommen kann.
Demgegenüber ist das Dezimalsystem, das alle Zahlen durch eine geordnete
Kombination der Ziffern 0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8 und 9 bildet, sehr viel
praktischer.
Hier gibt es jedoch keine strukturelle Ähnlichkeit mehr zwischen der
Wirklichkeit und dem Zeichen für diese Wirklichkeit, wenn man einmal davon
absieht, dass wir zehn Zehen (!) haben, die sich wunderbar abzählen lassen.
Ähnlich ist es mit anderen Zeichen. Bilderschriften wie die Hieroglyphen oder
das Chinesische haben zwar strukturelle Ähnlichkeiten zwischen Zeichen und
Bezeichnetem, jedoch erweist sich eine Lautschrift der gesprochenen Worte, die
nur 25 Buchstaben benötigt, einer Bilderschrift, die mehrere Tausend Zeichen
benötigt, in der Praxis als überlegen.
Aus didaktischen Gründen gibt es auch die
lautmalerische Kindersprache mit "Wauwau", "Miau-Katze", "Muh-Kuh" und "Husch-Husch-Eisenbahn" (aus dem Zeitalter der Dampfloks).
Eine solche akustische Strukturähnlichkeit ist jedoch keineswegs nötig. Es
genügen eindeutige Regeln für die Zuordnung der Zeichen zu bestimmten Dingen,
Verhältnissen und Operationen, damit eine Zeichensprache zur Beschreibung der
Wirklichkeit und zu anderen Zwecken geeignet ist.
***
Siehe auch die folgenden
thematisch verwandten Texte in der Ethik-Werkstatt:
Terminologische
Fragen der normativen Theoriebildung *** (43 K)
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Letzte Bearbeitung 24.04.2008 / Eberhard Wesche
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